Ludifizierung von Kultur. Zur Bedeutung des Spiels in alltäglichen Praxen der digitalen Ära

June 3, 2017 | Author: Sonia Fizek | Category: Anthropology, Game studies, Media Studies, Digital Humanities, Media Anthropology, Digital Media, STS (Anthropology), Media theory and Research, Digital Media, STS (Anthropology), Media theory and Research
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Ludifizierung von Kultur. Zur Bedeutung des Spiels in alltäglichen Praxen der digitalen Ära Anne Dippel und Sonia Fizek

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Ludus und empirische Kulturanalyse »Das Begehren zu spielen ist das grundsätzliche Begehren zu sein.« (Jean-Paul Sartre 1995: 170)1

Spiel, Verspieltheit und Spielen eröffnet der Analyse von Digitalisierungsprozessen und -phänomenen im Rahmen theoretischer und empirischer Kulturforschung neue Dimensionen und Felder. Ihre jeweiligen Erscheinungsformen können axiomatisch als fundamentale Bestandteile menschlichen Verhaltens gesetzt werden, die den Bewusstheitsgrad des Einzelnen überschreiten und zugleich begründen. Das Spiel entfaltet seine Kräfte im Menschen stets. Die Durchdringung unterschiedlichster Lebensbereiche mit Spiellogiken im Besonderen und die Ludifizierung von Kultur im Allgemeinen haben in den vergangenen Jahrzehnten eine immer stärker wachsende Bedeutung erlangt. Im computerdurchdrungenen Alltag lässt sich eine Vervielfältigung von Spielformen, -weisen, und –zeug beobachten. Inzwischen werden daher symptomatische Forschungshypothesen überprüft: »What if our whole life were turned into a game? What sounds like the premise of a science fiction novel is today becoming reality« (Deterding/Walz 2015). Die wachsende Präsenz, Bedeutung und Anerkennung von Spiel hat zuletzt zur Proklamation eines just angebrochenen Jahrhunderts verleitet, in dem Spiele zur dominanten sozio-kulturellen Organisationsform würden (Zimmerman 2009). 1

Anm.: Übersetzung der Autorinnen (Im Original: „(...) the desire to play is fundamentally the desire to be“). 1

Anne Dippel und Sonia Fizek

Aus anthropologischer Perspektive scheint diese Situationsbestimmung ein wenig zu weit gegriffen, schließlich blickt das Fach seit seiner Entstehung auf eine wenn auch nicht dominante so doch lebendige Spielforschung zurück und bezeugt damit die von Digitalisierungsprozessen unabhängige Omnipräsenz des Spiels (Malaby 2009; Wienker-Piepho 2008). Auch das 18. Jahrhundert wurde im Übrigen schon als Jahrhundert des Spiels betitelt; Daniel Bernoulli notierte in 1751: „Das gegenwärtige Jahrhundert konnte man in den Geschichtsbüchern nicht besser, als unter dem Titel: Das Freygeister-Journal und Spielsaeculum nennen“ (Bernoulli 1769: 387; Bauer 2006: 377; Fuchs 2014: 131). Indessen hat die Digitalisierung dem Spiel eine neue Dimension und etliche neue Felder eröffnet. Das Spiel wird im digitalen Zeitalter überdacht und in neuen Kontexten untersucht, vom Nichtstun bis zur Arbeit, von einem Phänomen des totalen Prokrastinierens bis hin zum Phänomen der gesteigerten Produktivität. Im Folgenden zeigen wir auf, dass die Ludifizierung der Kulturen durch digitale Rechenmaschinen mit ausgelöst wurde. Vor allem ihre Kapazität in kürzester Zeit große Mengen von Daten zu prozessieren und die Kommunikation in großen Netzwerken zu vereinfachen spielt dabei im wahrsten Sinne des Wortes eine Rolle. Diese Qualitäten des Mediums begünstigen kreative Möglichkeiten des Menschen neue Spielzeuge, -typen und -formen zu entwickeln, materiell, symbolisch und imaginär. Damit möchten wir für das dominante Phänomen digitaler Spielwelten einerseits und dem Offenbarwerden der Allgegenwärtigkeit des Spiels im Digitalen andererseits ein empirisch-hermeneutisches Werkzeug an die Hand geben, das neuere Ansätze mit bestehenden Traditionen der Spielforschung verknüpft. Zunächst wird das Konzept der Ludifizierung von Kultur aus einer multidisziplinären Perspektive vorgestellt, unser besonderes Augenmerk gilt dabei der Kulturanthropologie, der Philosophie, Medientheorie und der Spielforschung. Die Argumentation stützt sich auf aktuelle Arbeiten, knüpft aber an ältere spielorientierte Untersuchung an. Zur Illustration unserer Thesen dient ein empirisches Beispiel, an dem sich aufzeigen lässt, wie unser aktueller digitaler Alltag durch Logiken und Metaphern des Spiels beeinflusst und damit die Ludifizierung von Kultur in konkreten sozialen Praktiken sichtbar wird. Abschließend werden wir Tendenzen und weitere Möglichkeiten für die Entwicklung des Konzeptes selbst aufzeigen und sie mit empirischen Forschungen über ludifizierte soziale Phänomene in Verbindung bringen.

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Ludifizierung von Kultur

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Ludifizierung des Alltags »Der Gedanke Kultur sub specie ludi zu betrachten, ist nicht neu.« (Johan Huizinga 1938, 2015: 13)

2.1. Die Allgegenwärtigkeit digitaler und analoger Spiele Wie die Kulturanthropologin Gertraud Koch in ihrer Analyse digitalisierter Lebenswelten feststellt, lässt sich die wachsende Bedeutung der digitalen Mediatisierung durch Zahlen belegen. Immer mehr Menschen verbringen Zeit im digitalen Raum, ihre alltäglichen Erfahrungen verändern sich (2015: 180). Ein ähnliches quantitatives Bild belegt die Allgegenwärtigkeit und steigende Bedeutung digitaler Spiele und verspielter Anwendungen. Aktuell können ungefähr 1,5 Milliarden mobile Spieler gezählt werden, gleichgültig welchen Geschlechts, welcher gesellschaftlicher Schicht oder welchen Alters.2 In der digitalen Sphäre haben Spiele noch größere Bedeutung. Doch nicht allein um des Spielens willen, zum Zeitvertreib, wird gespielt. Spiele und Spielen werden in andere Zusammenhänge eingebettet, für wirtschaftliche Interessen instrumentalisiert, dienen zur Erziehung, drücken Sinn aus oder tragen zu wissenschaftlicher oder gesellschaftlicher Erkenntnis bei, wie etwa so genannte Serious Games und Games for Change. Digitale Spiele werden nicht mehr nur in Wohnzimmern (PC- oder Konsolespiele) gespielt, sondern auch in Arbeitsbüros („gamified Apps“ für Unternehmen), im öffentlichen Transport (auf Mobiltelefonen und portablen Konsolen), im städtischem Raum („augmented reality mobile gaming“), in medizinischen Einrichtungen (Gesundheitsspiele), Schulen und Universitäten als Teil der Ausbildung (pädagogische Spiele) und in Forschungsprojekten, -institutionen und Museen, als Form von Öffentlichkeitsarbeit in Form interaktiver Installationen. Jüngere Phänomene, wie das Streaming von live-übertragenen digitalen Spielsessions Online per Twitch TV, sowie der Übertragung von großen digitalen Spielwettbewerben deuten darauf hin, dass die Lust des Menschen daran, anderen beim Spielen zuzusehen genauso wenig Grenzen

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The Global Mobile Games Landscape: https://newzoo.com/insights/infographics/infographic-global-mobile-landscapereloaded. 3

Anne Dippel und Sonia Fizek

kennt, wie die Lust zu Spielen selbst.3

Diese Vielfältigkeit und offene Unbestimmtheit des Spiels, faszinierte schon, wenn auch in seiner analogen Form, den Kulturanthropologen Brian SuttonSmith, der seine Erkenntnisse zuletzt in The Ambiguity of Play (1997) zusammenfasste. Spiel sei von seiner Grundlage her ambivalent, unscharf und zwar in all seinen Aspekten: In seinen Bezügen, seinen Referenten, seinen Intentionen, seinem Sinn, seiner liminalen Positionierung (so schon Turner 1969: viii, 177), die den Übergang in einen anderen Zustand ermöglicht, seinen Widersprüchen oder in seiner Bedeutung (Sutton-Smith 1997: 2). Beinahe alles kann der Spielsphäre zugeordnet werden, auch das Metaphern- und Gedankenspiel, Fernsehen (Fernsehspiel), sexuelle Intimität, Witzeln, Geburtstagsfeste, Tratschen und Lästern (Sutton-Smith 1997: 5). Die Vielfältigkeit eröffnet sich nicht nur im Blick auf Spielformen und Erfahrungen gegeben, sondern auch auf die Spielerinnen und Spieler bezogen (Babies, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Männer, Frauen, Intersexuelle – aber auch Glücksspieler, Sportler, Schauspieler, Kabarettisten, Komödianten und Akteure der Programme, die auf Spielplänen von Musik-, Theater und Lichtspielhäusern angekündigt werden). Wie sollte man also einen einzigen Sinn in so einem mannigfaltig anzuschauenden Phänomen entdecken, das selbst der Sinnlosigkeit einen Sinn gibt und einen Rahmen bietet? Wie kann ein Phänomen begriffen werden, das so allgegenwärtig ist, dass es bald unerkannt bleiben kann? Sutton-Smith versuchte diesen gordischen Knoten durch die Analyse von sieben populär-ideologischen Rhetoriken des Spiels zu durchtrennen: Spiel als Fortschritt, Schicksal, Macht, Identität, Imaginäres, als Selbst und nicht zuletzt als Lust (Sutton-Smith 1997: 9-11).

2.2. Ludifizierung von Kultur In den vergangenen Jahren hat die bis hierhin ausgebreitete Vielfältigkeit des Spiels den akademischen Diskurs nicht nur im Blick auf menschliche Akteure befruchtet, neue Perspektiven auf ihre Aktivitäten und Lebensräume ermöglicht, sondern auch die Forschung über digitale Medien und die Rolle nicht-menschlicher Akteure vorangetrieben. Viele Medientheoretiker und Spielforscher, -designer und -entwickler haben die jüngere Allgegenwärtigkeit und wachsende Bedeutung des Spiels in der Alltagskultur insbesondere mit Digitalisierungsprozessen in Verbindung gesetzt (so z.B. 3

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Twitch: http://www.twitch.tv.

Ludifizierung von Kultur

Adamowsky 2000; De Mul u.a. 2015; Deterding u.a. 2011; Fuchs/Fizek u.a. 2014; McGonigal 2011; Raessens 2006, 2010, 2014; Rautzenberg 2015; Sicart 2014; Zimmerman 2009, 2013). Medien und Praktiken schreiben sich in Subjektlogiken und Technologien des Selbst ein, die ebenfalls einer Ludifizierung unterliegen. Die Omnipräsenz von Verspieltheit und Spielen wird mit Begriffen wie Ludifzierung, Gamification oder Spielifizierung bezeichnet. Dabei ist es notwendig zwischen den Begriffen zu differenzieren, da mit ihnen jeweils verschiedene Phänomene beschrieben werden, die nicht austauschbar sind. Gamification (Spielifizierung) ist ein Werkzeug, tool, das Elemente aus Spieldesigns in nicht-spielerische Kontexte einführt (Detering u.a. 2011). Der ursprünglich englische Terminus Gamification beschreibt die Indienstnahme der mechanischen und iterativen Kapazitäten von ludifizierten Systemen im digitalen Zeitalter. Spielmechaniken tauchen vermehrt in Alltagspraktiken auf, bis dahin, dass individuelles Verhaltens und kollektives Engagement für wirtschaftliche Zwecke nutzbar gemacht wird (Gartner Inc. 2011; Radoff 2011; Zichermann/Linder 2013; Zichermann/Cunningham 2011). Gewinnund Erfahrungspunkte sammeln, an Gewinnspielen teilnehmen, Erfolgsbalken verfolgen und in Leveling-Up-Prozesse eingebunden sein, auf virtuellen und realen Ranglisten geführt werden und virtuelle Güter als Belohnung zu erhalten, sind spielerische Mechaniken, die sonst mühsame oder lästige Prozesse kurzweilig gestalten und attraktiv machen. Belohnung wird hier zu einem spielerischen Element, das an Gewinn und Erfolg gebunden ist und stets den Zufall der Überraschungsangebote und – geschenke verspricht. Denn wo das Spiel herrscht, ist der Zufall vorprogrammiert. Ludifizierung analysiert Kultur im Allgemeinen und Alltag im Besonderen im Blick auf Erscheinungsformen des Spiels. Der Spielforscher Joost Raessens etwa verweist in seinen Studien zur Ludifizierung von Kultur auch auf die verspielte Natur des digitalen Mediums selbst (Raessens 2006, 2010, 2014). Der Spielcharakter der Sprache erfährt durch mobile soziale Plattformen wie Twitter neue Impulse und bringt seinen Analysen folgend eine breite Masse dazu, verspielt und experimentell zu schreiben und zu texten. Eine vergleichbare ludische Tendenz lässt sich auch am Beispiel des Fernsehens beobachten. Zwar bot dieses Medium Ratespielen und Wettkämpfen von Anfang an Raum, doch erst seit einigen Jahren erweitern sich die Möglichkeiten des verspielten Zugangs für die Zuschauer durch einen so genannten „Second Screen“, womit die Zuschauer selbst untereinander in Austausch treten. Auf mobilen Geräten kann man eine zusätzliche Anwendung öffnen, wie etwa „Heineken Star Player“ für das 5

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iPhone, den Zuschauern der Champions League ermöglicht, in Echtzeit mit anderen zu interagieren, ihre Spielwelten in sozialen Netzwerken, wie z.B. Facebook oder Twitter zu kommunizieren und in Wettbewerb zu treten. Auf der Mikroebene ist diese Anwendung ein konkretes Beispiel für Gamification, da hier Badges, Punkte und Erfolge sowie andere kompetitive Spielmechaniken eingebaut sind, um das Programm attraktiver zu gestalten. Auf der Makroebene verdeutlicht dieser Wandel alltäglicher Interaktionsformen von Nutzern im Umgang mit dem Medium Fernsehen den Prozess ludifizierender kultureller Praxen. Auch im verspielten Gebrauch von Arbeitsanwendungen wie Photoshop und den sich dadurch eröffnenden Möglichkeiten der Verfremdung und Verwandlung von Inhalten, sowie der daraus resultierenden Verbreitung von Mash-Ups, Memes und Gifs haben sich Repertoire und Werkzeug spielerischer Ausdrucksformen im Digitalen erweitert. Die Ludifizierung von Kultur beschreibt somit ein gesellschaftliches Phänomen, das auf eine immer größer werdende Bedeutung des Spiels im Alltag hinweist. Das Konzept geht weit über die Nutzung spezifischer Spielmechaniken hinaus, die dazu eingesetzt werden, das Verhalten von Menschen zu steuern.

2.3. Ludifizierung als universales Phänomen, das Kulturen durchdringt Schon die Vielfalt der geistigen Spielräume, in denen sich das Wort „Spiel“ im Deutschen spielen und abspielen kann, 4 zeigt, dass Spiel, Spielen und Verspieltheit fundamentale Kategorien menschlichen Verhaltensrepertoires darstellen, allgegenwärtig anzutreffen sind. So verweist der Historiker Johan Huizinga darauf, dass alle archetypischen Aktivitäten menschlicher Gesellschaften vom Spiel durchdrungen sind: Sprache, Mythen und Rituale (Huizinga 1938, 2015: 13), Sammeln und Jagen, Krieg und Liebe. Spiele bestimmen unser Leben grundsätzlich. Sie durchdringen alle Bereiche unseres Lebens, sogar unsere Vorstellungen vom Dasein an sich. Darüber hinaus scheint das Spiel vorgängig zu sein und dem Menschen gar nicht als 4

So verzeichnet das Deutsche zum „Beispiel“: Spielzeug, Spielarten, Spielweisen, Spielfelder, Spielräume, Spielzeiten, Spielmöglichkeiten, Spieltheorien, Spielpraktiken, Gedankenspiele, Theaterspiele im Allgemeinen, Lustspiele (Komödie) und Trauerspiele (Drama) im Besonderen, Lichtspiele (Kino), Spielkinder und Kinderspiele (so im Ausruf „Das ist ja ein Kinderspiel!“ für etwas, das ganz leicht von der Hand geht oder dem Anwurf „Du Spielkind!“), Liebesspiele, Machtspiele, Glücksspiele, Wettspiele, Kampfspiele, Kriegsspiele, aber auch Streiche spielen, dem Spiel des Schicksals ausgeliefert sein oder das Schauspiel der Natur beobachten. 6

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einzigem Wesen dieses Kosmos zu eignen. Der Mensch mag vielleicht das einzige Tier sein, das logos hat, um es mit Aristoteles (1971) zu fassen, aber er ist offenkundig nicht das einzige Tier, das spielt. Johan Huizinga behauptet kühn, Verspieltheit sei eines der Fundamente von Zivilisation und zeigt damit auf, dass die Grenzen zwischen Mensch und Tier, Kultur und Natur im Spiel durchlässig werden (1938, 2015: 11). Ein Gang ins Britische Museum von London scheint Huizingas Hypothese Kraft zu verleihen. Archäologen konnten bei den Ausgrabungen der königlichen Gräber von Ur in Mesopotamien ein Brettspiel freilegen, das beinahe viertausendfünfhundert Jahre alt ist (Becker 2008).5 Es gibt keine Kultur, der Volkskundler, Historiker, Ethnologen, Anthropologen oder Missionare begegnet wären, die ohne Spiel gewesen sei (Bally 1966: 61; Wienker-Piepho 2008: 6; Mäyrä 2008: 37). Ein etymologischer Exkurs zum englischen Wort Game selbst liefert weitreichenden Aufschluss. Game, das sich in seine proto-germanischen Wurzeln ga und mann aufspalten lässt, bedeutet zunächst nichts anderes als „zusammen“ und „Menschen“. Die zweite Bedeutung des englischen Wortes, bezeichnet jagdbares Wild. Nehmen wir also die doppelte Bedeutung des englischen Game und fassen sie wörtlich, so können wir schon in den altsteinzeitlichen Höhlenmalereien die Überlagerung von nutzenorientierter Arbeit, nämlich der Jagd und sinnübersteigendem Spiel, das die Jagd eben immer auch darstellte, beobachten. In den Tierdarstellungen und Jagdszenerien werden Game und Games portraitiert und schon die ersten Höhlenmalereien, selbst Mimikri von Natur, Spiel mit Licht und Schatten, Form und Linien, vergegenwärtigen, dass sowohl Funktionalität als auch Verspieltheit in grundständigen Praxen des Menschen zu beobachten ist. Spiel heißt eine kollektive Form Gemeinschaft zu praktizieren und somit zum Überleben der Gruppe und des je eigenen Lebens beizutragen. Wir mutmaßen daher mit den Herausgebern von Understanding Video Games und eingedenk Hans Blumenbergs Reflexionen in Höhlenausgänge, dass vermutlich sogar unsere höhlenbewohnenden Vorfahren regelbasierte Systeme von Spiel kannten (Egenfeldt-Nielsen u.a. 2013: 3; Blumenberg 1979).

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Am längsten sind strategische Mancala-Brettspiele bezeugt, und sie werden noch heute in Afrika und Asien in vielfältigen Variationen gespielt. Die älteste Version dieser Spiele konnte etwa unweit von Petra im jordanischen Beidha ausgegraben werden, und wird in die Jungsteinzeit um etwa 7200 v. Chr. datiert (Murray 1952). 7

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3 Das Spiel als Teil des Arbeitsalltags – Beispielstudie »Wenn es irgend etwas zu sagen gäbe, um die neuen Formen von Arbeit/Spiel zu charakterisieren, dann wäre es genau die Art jenes Zusammenspiels.« (Casey O’Donnell 2014: 12)6

3.1 Ludifizierung des Arbeitsplatzes in der digitalen Ära Ludifizierung von Kultur basiert, so wie wir den Terminus oben eingeführt haben, auf dem fundamentalen Phänomen des Spiels, das Menschen von Anbeginn auszeichnet. Ludifizierung erlangt durch Industrialisierung und Digitalisierung als Konzept eine immer größere Bedeutung. Trotzdem bleibt die Frage offen, was in der digitalen Ära anders geworden ist, außer dass sich die Größenordnungen verschieben und durch die Computerisierung die schiere Anzahl und das Ausmaß der virtuellen Welten aber auch der Vernetzung zwischen Menschen und nichtmenschlichen Akteuren sich vervielfacht hat. Folgen wir Johan Huizinga, Brian Sutton-Smith und vielen anderen Spielforschern, können wir beobachten, dass das Spiel alle Domänen und Abschnitte unseres Lebens durchdringt. Sie alle gehören zum Bereich der Freizeit (so wie Sprache, Mythen, Rituale, Gedankenspiel, Fernsehen, Theater, sexuelle Intimität, Witzeln, Geburtstagsfeste, Tratschen und Lästern). In der digitalen Ära aber verwandeln sich durch Quantifizierungsphänomene in und Interaktivität von digitalen Medien auch andere Bereiche, die bis dato als spielfreie Zonen galten, ja Gegensätze heben sich sogar auf, Arbeit etwa nimmt spielförmige Züge an und insbesondere in der Ausbildung finden sich mehr und mehr spielifizierte Lösungen für sonst trockene Lernaufgaben. Die Unterscheidung zwischen Arbeit und Spiel löst sich im Digitalen auf. Insbesondere wenn der Arbeitsalltag einen Komplexitätsgrad erreicht, dass er nicht anders kann als spielförmig zu werden, wenn der Arbeitsraum zu einem „Labyrinth von Spielräumen“ mutiert, wie bei Google oder anderen großen Firmen des Silicon Valley (Stewart 2013), beobachten wir die Überlagerung von Spiel und Arbeit. Ludifizierung, so scheint es, ist nicht ein 6

Übersetzung der Autorinnen (Im Original: „If anything could be said to characterize new modes of work/play, it [would be] precisely this sort of interplay“). 8

Ludifizierung von Kultur

Einbahnstraßenphänomen, sondern das Spiel tritt durch Digitalisierung in Wechselwirkung mit anderen Bereichen, seine Dynamiken formen und gestalten die digitale Sphäre, das Interface etwa selbst kann als Theater gedacht werden (Laurel 1993) und Arbeit und Spiel bleiben zwar unterschiedliche Tätigkeitsformen, sind aber nicht mehr dualistisch getrennt. Denn ebenso, wie sich spielerische Elemente im Bereich der Arbeit finden, können auch Spiel von Arbeitselementen beeinflusst und durchdrungen sein. Die Beziehung Arbeit–Spiel kann weder durch das Konzept der Ludifizierung noch von dessen Gegenteil, der Laborisierung (der Prozess der Durchdringung des Spiels durch Arbeitselemente), vollständig erfasst werden. Sie muss als ein Verhältnis der Interferenz gedacht werden, in dem sich Arbeit und Spiel überlagern.7 Mit diesem Begriff gelingt es sich von Vorstellungen der „Reinheit“ des Spiels und seiner „Korruption“ (Caillois 1958, 2001) zu lösen und das Spiel als das anzusehen, was es ist, schmutzig und rein zugleich. Der Begriff der Interferenz erfasst die wechselseitige Überlagerung und damit einhergehende Zustandsveränderung von Interaktionen die weder rein als Spiel bezeichnet werden können, noch ganz Arbeit sind, wo beides beobachtbar wird. Mit der Metapher der Interferenz können strikt dualistische Modelle, denen ein mechanisches Bild oder anthropozentrische Interpretationen für komplexe und unreine soziale Prozesse zugrunde liegen, aufgebrochen werden. Elemente, Dynamiken oder Logiken des Spiels, die in die Arbeitswelt getragen und dort funktionalisiert werden, modifizieren die Arbeitswelt, so wie Spielwelten der Laborisierung unterliegen und Arbeitselemente das Spiel korrumpieren. In der Empirie entfalten diese Begriffe Horizonte zum Verständnis der diskursiven Vielschichtigkeit und überkomplexen soziokulturellen Multidimensionalität des Alltags. Arbeit und Spiel wirken im Modell wie Ergebnisse zweier Pole ein und desselben Phänomens. sie beschreiben ein Spannungsverhältnis das Menschen in ihren Tätigkeiten und Weltbezügen erleben. Schon Aristoteles unterscheidet grundlegend zwischen arbeiten und spielen. Beider, so argumentiert er, bedürfe es, um Glück zu erlangen und Glück sei schließlich die höchste Tugend des freien Menschen (1971). Gregory Bateson differenziert bald zweitausendfünfhundert Jahre später, von der Tierwelt ausgehend, zwischen dem Kampf und dem Spiel (1972). Spiel steht hier im Gegensatz zu Handlungen für den Lebenserhalt oder Reaktionen 7

Vorgestellt von Anne Dippel und Sonia Fizek bei der Konferenz „Diversity of Play“ der Digital Games Research Association (2015): „Playful Laboratories. The significance of games for knowledge production in the digital age“. 9

Anne Dippel und Sonia Fizek

auf Bedrohungen. Brian Sutton-Smith (1997) diagnostiziert in solcherlei Dualismen eine Rhetorik der „Frivolität“, die eine implizite Arbeitsethik mit sich bringt und Spiel somit stets in den Bereich des Nonsense rückt. Spiele aber definieren sich über ihre Selbstgenügsamkeit und stehen nur insoweit im Gegensatz zu „Fron“, als dass sie meistens Spaß machen und die Zeit im Spiel verfliegt. In der Regel wird Spielen als Tätigkeit beschrieben, die „aus Freude und Funktionslust an dieser Tätigkeit selbst geschieht, verbunden mit der Freude an ihrem gegenständlichen Inhalt und Ergebnis“ (Brockhaus 1957: 102). Das Spiel besitzt nach dem Pädagogen Hans Scheuerl insgesamt sieben Wesensmerkmale: den Moment der Freiheit, die innere Unendlichkeit, Scheinhaftigkeit, Ambivalenz, Geschlossenheit und Gegenwärtigkeit (Scheuerl 1979: 69). Ein gelungenes Spielerlebnis birgt die Erfahrung, dass die Zeit zu verfliegen scheint – so als ob man in einem Moment gegenwärtiger Ewigkeit eingetreten sei, in dem Vergangenheit und Zukunft keine Rolle spielten. Die Zeit im Spiel ist Zeitvertreib, weil wir ganz in der Zeit des Spiels eingefangen sein müssen, um mitspielen zu können. Es ist der Zusammenfall von Dauer und Gleichzeitigkeit in der Präsenz, der das Zeitempfinden in Spielräumen bestimmt. Diese Erfahrung im Spiel kann als Zustand der Immersion (Calleja 2011; Tekinbaş Salen/Zimmerman 2003) oder des Flow (Csikszentmihalyi 1990, 2008) bezeichnet werden. Im Medium des Computers, das für uns auf der Arbeit und in der Freizeit ein Werkzeug und ein Spielzeug darstellt, verschmieren Spiel und Verspieltheit mit Arbeit. Von Anbeginn nutzten Menschen digitale Computer für beides. In staatlichen Büros, Universitäten und Forschungs- oder Kulturinstitutionen wurde er zur Unterstützung bei Berechnungen und Simulationen eingesetzt. Gleichzeitig wurde derselbe Verbund von Hardware und Software dazu verwendet, die ersten Spiele zu programmieren. 1961 entwickelte eine Forschergruppe am MIT das Spiel Spacewar, eine Simulation kämpfender Raketen im Weltall, anhand derer die Kapazitäten der Rechenmaschine öffentlichkeitswirksam visuell demonstriert werden konnte. In hochindustrialisierten Teilen der Welt sind die beliebtesten digitalen Maschinen (Personal Computer, Smartphones, Tablets) heute ein unverzichtbarer Teil von Arbeit und Muße und durchdringen beide Bereiche. Der nachfolgende Abschnitt illustriert beispielhaft anhand einer anthropologischen Studie wie die Ludifizierung von Kultur und sozialen Praxen des Digitalen miteinander verwoben und in alltäglichen Arbeitsszenarien zu beobachten sind.

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3.2 Developer’s Dilemma Die Komplexität von Arbeit und Spiel, ihre wechselseitigen Interdependenzen und Superpositionen sind auch das Thema einer kulturanthropologischen Studie, die kollaborative Arbeitspraktiken unter Videospielentwicklern beforscht (O’Donnell 2014). Die Untersuchung ist das Ergebnis einer mehrjährigen ethnografischen Feldforschung unter Spielentwicklern in „AAA“-Studios 8 der Vereinigten Staaten von Amerika und Indien. Die Daten wurden zwischen 2004 und 2008 gesammelt und wurden durch teilnehmende Beobachtung, strukturierte narrative Interviews und informelle Gespräche mit Spielentwicklern nach getaner Arbeit gewonnen. In seinen Beobachtungen einer Gruppe „Berufener mit Beruf“ versucht Casey O’Donnell zu verstehen, was Arbeit im gegenwärtigen historisch-kulturell spezifischen Moment heißt. Er fragt: »... how the creative collaborative practice of game developers and game development work sheds new conceptual light on our understanding of work, the organization of work, and the market forces that shape and are shaped by media industries in the new economy« (2014: 4). Die primäre Beobachtung auf der die Feldforschung des Autors basiert und die für die Argumentation unseres Artikels ebenfalls zentral ist, stellt die Bedeutung des Spiels im Arbeitsumfeld dar. Aufbauend auf der Arbeit von T.L. Taylor (2006: 72-73), bezeichnet O’Donnell verspielte Arbeit oder die Dimension laborisierten Spiels als work/play interplay. Die Überschneidungen von Arbeit und Spiel beobachtet er auf verschiedensten Ebenen, von der kollaborativen Teamarbeit über verspieltes Arbeitsverhalten bis hin zum Arrangement in Firmenräumen, in denen Angestellte Klettern, Volleyballspielen oder Gewichtheben können. Er bezeichnet diese Phänomene auch als „Googlefizierung“ des Arbeitsplatzes (2014: 32). Zum Verständnis der Überlagerung von Arbeit und Spiel trägt in diesem Fall insbesondere der Umstand bei, dass die meisten Spielentwickler zur Generation Nintendo gehörten. O’Donnell zeigt auf, dass das Bewusstsein einer geteilten Geschichte und geteilter Erfahrungen die Grundlage dafür liefert, wie Spielentwickler über ihre Beschäftigung sprechen und wie sie arbeiten (2014: 26). Die Entwickler bedienten sich eines spezifisches Jargons, einer „Insidersprache“ die zugleich als Torhüter und Türöffner zum metaphorischen Spiel der Spielentwicklung fungiere, auf die Arbeit selbst Auswirkungen zeitige und somit Teil des Arbeitsplatzes würde (2014: 42). 8

AAA bezeichnet die Spielfirmen mit den höchsten Entwicklungsbudgets, deren Spiele regelmäßig Bestseller produzieren. 11

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So idyllisch die Vision von Arbeit bei O’Donnell zuweilen auch erscheinen mag, zeigt der Autor zugleich auf, wie sich aus der Überlagerung von Arbeits- und Spielpraxen auch „destruktive Arbeitspraxen“ entwickelten (2015: 31). Denn so sehr verspielte Arbeitspläne Menschen dazu ermutigen würden, kreativ zu denken, so sehr zwängen solche Strukturen auch Menschen dazu, mehr Zeit mit Arbeit zu verbringen. Die verspielten Arbeitsstrukturen erlaubten den Spielproduzenten und –verlagen die Arbeitszeit der Entwickler auf überall 80 Stunden pro Woche anzuheben. Erst instrumentalisiertes work/play, das im Kern in der Gamerkultur angelegt sei, könne solche Arbeitszeiten überhaupt ermöglichen. Denn die Gamer orientierten sich in ihrem Arbeitsstil an den Lösungsstrategien, die sie für komplexe Probleme in Videospielen anwenden. Jedes Umgehen von Arbeit gleiche somit dem Umgehen von Regeln im Spiel (O’Donnell 2014: 61). Mit anderen Worten, Die Spielmentalität der Gamer wird auf den Arbeitsalltag übertragen, der zu einem Rätsel oder Abenteuer wird, das gelöst, ein verspieltes System, das geknackt und verstanden werden muss. Für O’Donnell stellt die Erforschung der Arbeitssysteme und ihrer unterliegenden technischen, konzeptuellen und sozialen Strukturen das eigentliche Ziel bei der Beobachtung instrumentalisierter work/play Phänomene dar. Dabei scheint dem Autor die Fähigkeit und Notwendigkeit zu spielen, zentrales Merkmal kreativer kollaborativer Arbeitspraxen (2014: 5, 31). Allerdings führten, so O’Donnell, die ausgedehnten und unmenschlichen Arbeitszeiten der Spielentwickler über kurz oder lang zum Kollaps des Begehrens. An diesem Punkt verwandele sich work/play in AutoPlay und alles, was bisher zu Engagement und Freude geführt habe hemme jeglichen Antrieb und führe zur Loslösung von der Tätigkeit des work/play, münde in Unlust (2014:137).

4 Ludifizierung - neuere Tendenzen und Weiterentwicklungen Mögen die Spiele beginnen.

4.1. Das Konzept in (Trans)formation Die Bedeutung von Spiel und Spielen wurde über die Zeiten hinweg von vielen beobachtet, reflektiert und im Hinblick auf unterschiedlichste Sphären 12

Ludifizierung von Kultur

des Lebens interpretiert.9 Wie wir schon weiter oben ausgeführt haben, hat das Konzept der Ludifizierung den akademischen Diskurs erst in jüngerer Zeit erreicht und unterliegt Aushandlungsprozessen, die von der rasanten Entwicklung der digitalen Spiellandschaft und der digitalen Praxen beeinflusst werden. Ludifizierung allein vermag nicht länger sowohl die Durchdringung von Spiel in vormals spielfreien Lebensbereichen und den Einfluss des Konzepts auf das Spiel selbst erfassen, noch lässt sich mit dem Begriff die Laborisierungstendenzen in Spielen einfangen. Wie wir zuvor schon vorgeschlagen haben, ist die komplexe Relation leichter mit dem Konzept der Interferenz von Arbeit und Spiel zu begreifen (Dippel/Fizek 2015) oder durch den Begriff work[/play] zu bezeichnen (T.L.Taylor 2006; O’Donnel 2014). Diese wechselseitige Beziehung wurde auch in The Gameful World (2015) diagnostiziert und diskutiert, einem Werk, das sich der Ludifizierung unterschiedlichster Lebensbereiche widmet. Seine Herausgeber schlagen eine Erweiterung des Konzepts der Ludifizierung von Kultur durch die Kultivierung des Ludus vor. Letzteres drückt die Wanderungsbewegung von Spiel und Spielen in andere Bereiche aus, die jeweils dadurch einer Akkulturation unterliegen und damit selbst Veränderung erfahren (Deterding/Walz 2015: 7). Um dualistisches Denken zu vermeiden und sowohl die Ludifizierung von Kultur als auch die Kultivierung des Ludus zu analysieren, schlagen die Autoren vor, beide Konzepte durch den Begriff der gameful world zu ersetzen, die das Potential in sich trägt, den Gebrauch von Spiel und Spielen über die Sphäre der Unterhaltung hinauszudenken (Deterding/Walz 2015: 7).

4.2. Neuere kulturanthropologische Feldforschungen Neue Tendenzen und Entwicklungen der Ludifizierung von Kultur können nicht bloß in den theoretischen Überlegungen über das Konzept selbst, sondern auch in ethnografischen Studien digitaler sozialer Räume und darin auftauchender Praxen der Verspieltheit beobachtet werden. Dicht besiedelte

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Zu den Prominentesten zählen Aristoteles, Gregory Bateson, Roger Caillois, Stewart Culin, Jacques Derrida, René Descartes, Eugen Fink, James Frazer, G.W.F. Fröbel, Erving Goffman, Johan Huizinga, Immanuel Kant, Moritz Lazarus, John Locke, Marcel Mauss, George Herbert Mead, Michel de Montaigne, John von Neumann, Blaise Pascal, Jean Piaget, Friedrich Schiller, Herbert Spencer, Brian Sutton-Smith, Edward Tylor, Ludwig Wittgenstein, und viele mehr. 13

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virtuelle Räume 10 verwandeln sich zu einem perfekten Forschungsfeld und eröffnen damit wiederum Themenfelder, die Spieler und Spielkultur in den Blick nehmen. Eine gelungene ethnografische Analyse der virtuellen Spielwelt von World of Warcraft gelang Mark Chen mit seiner Ethnografie Leet Noobs (2011). Insbesondere die Ethnologin T.L. Taylor beforscht in ihren Arbeiten unterschiedlichste Aspekte des digitalen Spiels, sei es etwa im Blick auf sozialen Praktiken wie den so genannten Lan-Partys (Taylor/Witkowski 2010), den drängenden Fragen um Gender und Sexualität in Spielen (Taylor 2008) oder den Phänomenen der Professionalisierung und Partizipation in digitalen Spielen (Taylor 2006). Kiri Miller verfolgt mittels ethnografischer Methoden die Spielwelt und das Spielererlebnis von Grand Theft Auto (2008). Thomas Lackner untersucht das Computerspiel aus lebensweltlicher Perspektive und beschreibt seinen Erfahrungsraum (Lackner 2014). Der Kulturanthropologe Tom Boellstorff widmet sich in seiner auf OnlineFeldforschung basierenden Ethnografie Coming of Age in Second Life: An Anthropologist explores the virtually Human (2008) auch dem Verhältnis von Spiel und Ernst. Die ethnographische Analyse der virtuellen Onlinewelt Second Life erlaubt die Differenzierung der spielhaften Simulation von Realität im Virtuellen einerseits und der virtuellen Realität von digitalen Spielen andererseits. Die methodischen Herangehensweisen reflektiert Boellstorff mit anderen Autoren in dem Sammelband Ethnography and Virtual Worlds (Boellstorff u.a. 2012), die disziplinären Konsequenzen erörtert er in dem Aufsatz A Ludicrous Discipline? Ethnography and Games Studies (2006). Auch Simona Isabella reflektiert im Rahmen ihrer Studie zur Individuumskonzeption in MUDs (textbasierten virtuellen Realitäten) Möglichkeiten ethnografischer Methodologie in digitalen Umwelten (2007). Die Ludifizierung von Kultur hat auch die kulturwissenschaftliche Feldforschung und ihre hermeneutische Interpretation beeinflusst, denn neben der Beforschung der Bewohner virtueller Welten, von Spielern und Spielkultur an sich, begann auch die Analyse anderer Räume, die durch Digitalität und Verspieltheit beeinflusst wurden, sei es der Arbeitsplatz, der öffentliche Raum oder unsere Alltagswelt. Die ausführlich vorgestellte Beispielstudie von Casey O’Donnell lässt sich in diese Entwicklung einordnen. Eine andere Studie untersucht, wie mobile Interfaces unsere 10

Eines der bekanntesten Spiele, das World of Warcraft (2004), zählte zu seinen Spitzenzeiten 12 Millionen aktive Spieler (Statista. The Statistics Portal: http://www.statista.com/statistics/276601/number-of-world-of-warcraft-subscribersby-quarter). 14

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alltäglichen Interaktionen beeinflussen und neue Formen der Geselligkeit auslösen. Adriana de Souza e Silva und Jordan Frith (2012, 2015) untersucht ortsbasierte soziale Netzwerke und mobile Spiele wie Foursquare (2009), die Spielelemente nutzen und Menschen dazu ermuntern miteinander in einen Wettbewerb zu treten, indem sie an verschiedenen Plätzen, die auf einem Stadtplan markiert sind, einchecken. Den Forschern zufolge ermöglichen solcherlei verspielte Anwendungen neue Formen ortsbasierter Kontrolle und erlauben zugleich durch die individuelle Manipulation lokalisierter Informationen, den urbanen Raum zu personalisieren und somit unsere Erfahrung des öffentlichen Raums zu verändern. In seiner ethnografischen Studie über die Produktion des Spiels „Americas First Army“ verfolgt Robertson Allen die Verflechtung von Arbeit und Spiel, Krieg und Entertainment in den USA (2014). Er analysiert die Wechselwirkungen von militärischen Interessen, dem marktbasierten Bedürfnis nach Unterhaltung für die Massen sowie die Bedeutung des Krieges und die ihm inhärenten Subjektkonstitutionen eines zur Rekrutierung und Ausbildung für die Amerikanische Armee entwickelten Kriegsspiels. Andere Formen der Arbeit-Spiel-Interferenz sind im Bereich des so genannten „Gold Farming“ in MMORPGs am Beispiel von World of Warcraft (Nakamura 2014) studiert worden oder aber der digitalen Spielprofessionalisierung im E-Sport (Taylor 2012). Elemente, Mechaniken, Logiken, Strategien und Dynamiken des Spiels lassen sich auch in wissenschaftlichem Arbeiten beobachten. In der Hochenergiephysik etwa, wo fundamentale Phänomene der Natur in großen Teams beforscht werden, zeigen sich spielerische Aspekte des Forschens besonders deutlich am Beispiel der bühnenreifen Experimentalsysteme von Großkollaborationen. Während ihrer laufenden Feldforschung am CERN (Centre Européen de la Recherche Nucléaire) sammelt Anne Dippel eine Fülle praxeografisch (Knecht 2012, 2013; Niewöhner, Sørensen und Beck 2012) gewonnener Daten die die Ludifizierung des Arbeitsalltags empirisch belegen (Dippel 2014, 2015; Dippel/Fizek 2015). Spielerische Elemente lassen sich in allen Bereichen der Arbeitskollaboration und in jedem Experimentalsystem beobachten. Der Physiker Harald Lesch sagt daher über die Forschungseinrichtung zutreffend: „Wieso das CERN so gut funktioniert? Weil dort alle spielen“.11 Und das meinen sie ganz ernst. 11

Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Sternstunde Philosophie „60 Jahre CERN“ mit Harald Lesch vom 29.9.2014.

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Empirische Feldforschung, Praxeografie, Teilnehmende Beobachtung, Interviews und kritisch-hermeneutische Analysen ermöglichen der Allgegenwärtigkeit des Spiels im Informationszeitalter anzunähern. Neue Perspektiven auf Menschen, ihr Miteinander und ihren Umgang mit Welt, sowie den Einfluss ihrer Medien auf ihr Verhalten treten zu Tage. Auch wenn das Spiel eine universelle und nicht nur auf den Menschen beschränkte Aktivität darstellt, fördern digitale interaktive Massenmedien die spielerische Verwandlung alltäglicher Praxen die Vervielfältigung des Spiels. Digitalisierung scheint mit Ludifizierung einherzugehen, wodurch Interferenzen von Arbeit und Spiel auftauchen. Die Gefahren der Ausbeutung und Selbstentfremdung des spielenden Wesens Mensch in der globalisierten Marktwirtschaft werden dadurch nicht geringer. Heute wandern in alle Lebensbereiche Logiken digitaler Spiele in bis dato unbekanntem Ausmaß ein und wirken auf den sozialen Alltag zurück. Sie tragen Wandel der Identität im digitalen Zeitalter mit bei (Turkle 1995). Regelbasierte Spielelemente und -mechaniken durchdringen alltägliche Domänen, etwa den Arbeitsplatz, ebenso, wie sich nicht-spielerische Praxen in Spielfeldern und räumen manifestieren. An diesen Überlagerungspunkten bis dato geschiedener Praxen laufen „Wellen der Neuheit über die Oberfläche des Seins“ (Bachelard 2007: 175). Die Felder des Digitalen und die darin entstehenden Praxen sind so jung, dass sie naturgemäß erst im Ansatz studiert wurden. In den kommenden Jahren ist daher auf eine Vielzahl neuer Impulse und kritischer Studien zu hoffen, die sich mit der Entwicklung ludifizierter Kulturen beschäftigen.

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