Libido und psychische Energie

June 6, 2017 | Author: Siegfried Zepf | Category: Psychology
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Originalarbeiten Forum Psychoanal 2007 · 23:315–329 DOI 10.1007/s00451-007-0331-z Online publiziert: 26. November 2007 © Springer Medizin Verlag GmbH 2007

Siegfried Zepf · Saarbrücken und Florian D. Zepf · Frankfurt a.M.

Libido und psychische Energie Freuds Konzepte nochmals betrachtet

W

ie jedes andere psychoanalytische Konzept wird auch das Konzept der „Libido“ bzw. der „psychischen Energie“ im psychoanalytischen Schrifttum strittig diskutiert. Ausgehend von einigen Formulierungen Freuds, in denen der Begriff der „psychischen Energie“ erscheint, wird unter Libido eine psychische Energie verstanden, die das Seelenleben antreibt (z. B. Palombo 1992). Zu Freuds Aussagen, auf die in diesem Zusammenhang Bezug genommen wird, gehören u. a., dass „man . . . die Bezeichnung Libido . . . als gleichbedeutend mit psychischer Energie überhaupt gebrauchen“ kann (Freud 1933 a, S. 109), dass Freud „der Versuchung sorgfältig aus dem Wege gehen“ will, „die psychische Lokalität etwa anatomisch zu bestimmen“ (1900 a, S. 541), dass sich die „psychische Topik“, die Freud entworfen hat, „nicht auf anatomische Örtlichkeiten“ bezieht und dass „alle Bemühungen, die Vorstellungen in Nervenzellen aufgespeichert zu denken und die Erregung auf Nervenfasern wandern zu lassen . . . gründlich gescheitert“ sind (1915 e, S. 273). Der Charakter dieser Energie blieb allerdings mysteriös. So meint Rapaport (1959, S. 55), dass diese „psychologischen Energien . . . mit keiner bekannten Art biochemischer Energie gleichgesetzt“ werden. Zwischen biochemischer und psychischer Energie bestehe lediglich eine Analogie. Brenner (1982, S. 36), der Hauptvertreter dieser Auffassung, nimmt an, dass Freud im Zusammenhang mit der „motivierende[n], treibende[n] Eigenschaft“ der Trie-

be „den Begriff der psychischen Energie ein[führte], ein Terminus, den er aus der Sprache der Physik entlehnte, um das Vermögen der Triebe zu kennzeichnen, psychische Aktivität in Gang zu setzen“. Er ist sich mit Autoren wie z. B. Hyman (1975) in der Auffassung einig, dass die Libido „nur aufgrund [dieser] Analogie“ den „Namen . . . psychische Energie“ trage (Brenner 1982, S. 36). Brenner (1982, S. 35) ist der Ansicht, dass diese psychische Energie „wie alle anderen psychischen Phänomene . . . aus der Tätigkeit des Gehirns [entspringt]. Sie ist eine Eigenschaft jener Gehirnaktivität, die wir Psyche nennen“. Aber dieser Konsens ist beschränkt und kann über die Unterschiede in den Auffassungen nicht hinwegtäuschen. So definiert beispielsweise Applegarth (1971, S. 380; Übersetzung d. Autoren) psychische Energie „als die Energie, von der angenommen wird, dass sie im psychischen Apparat arbeitet. Sie besitzt jedoch keine definierte Beziehung zu der physischen Energie, von der angenommen wird, dass sie im Gehirn wirksam ist“. Und Tyson (2002, S. 35; Übersetzung d. Autoren) wendet ein, dass das Konzept der „ ,psychischen Energie‘ mit den gegenwärtigen neurobiologischen Daten nicht konsistent ist“. Eine weitere Kontroverse besteht zwischen Analytikern, die meinen, dass die Bewegungs- und Verteilungsformen der psychischen Energie menschliches Verhalten erklären können (z. B. Freeman 1997), Forum der Psychoanalyse 4 · 2007

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Originalarbeiten und solchen, die die Ansicht vertreten, dass ökonomische Begründungen nicht als Sachaussagen zu betrachten sind, sondern lediglich metaphorischen Charakter haben (z. B. Doidge 2002). Wallerstein (1977) glaubt sogar, dass Freud selbst seine ökonomischen Begründungen immer nur metaphorisch meinte. Gedo (2001, S. 311; Übersetzung d. Autoren) widerspricht diesem Verständnis dezidiert: „Als dezidierter Anhänger der ,Schule von Helmholtz‘ hat Freud psychische Energie sicher nicht als eine Metapher verstanden“. Trotz dieser widersprüchlichen Auffassungen ist dieses Konzept auch weiterhin in unterschiedlichen Kontexten und in all seinen unterschiedlichen Bedeutungen in Gebrauch geblieben (z. B. Shervin 2003, S. 1009 f.). Soll die Benutzung dieses Begriffs wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, ist eine konzeptuelle Klärung auch dann unverzichtbar, wenn die Konzepte der psychischen Energie und der Libido die zentrale Position, die sie noch vor dreißig Jahren in der psychoanalytischen Theorie einnahmen (s. z. B. Hyman 1975, S. 21), nicht beibehalten haben. Wir werden zunächst der Frage nachgehen, inwieweit sich Freuds Konzept der psychischen Energie und der Libido im Verständnis von Brenner und anderen wiederfindet. Obwohl das Interesse an Freud im Verschwinden begriffen ist und die Aufforderung, zu seinen Konzeptualisierungen zurückzukehren, eher diskreditiert wird (z. B. Schafer 1999), scheint es uns gleichwohl sinnvoll, daran anschließend das Freudsche Verständnis der Libido und die Probleme zu diskutieren, die seinem Verständnis inhärent sind. Den Schluss bildet ein Versuch, diese Probleme auf dem Wege zu einer konsensfähigen Definition der Libido einer Lösung näher zu bringen.

Probleme des Konzepts einer „psychischen Energie“ Brenners (1982, S. 35) Verständnis der Libido oder der psychischen Energie als „eine

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der Eigenschaften jener Gehirnaktivität, die wir Psyche nennen“, ist in sein generelles Verständnis des „psychische[n] Geschehen[s]“ als „ein Aspekt der Wirkungsweise des Zentralnervensystems“ eingebettet. Das Gehirn ist „das Organ der Psyche“, so wie „die Lungen die Organe der Atmung“ sind „und das Herz das Organ des Blutkreislaufes“ ist (1982, S. 30). Mit diesem Verständnis verschreibt sich Brenner der mehr als ein Jahrhundert alten vulgärmaterialistischen Ansicht von Moleschott und anderen, die inzwischen längst überholt ist oder doch überholt sein sollte. Gemeinsam mit Büchner und Vogt vertrat Moleschott (zit. nach Wittich 1971, S. 284) die Ansicht, dass „die Gedanken etwa in demselben Verhältnis zum Gehirn stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren“. Aus dieser Auffassung folgt, dass psychische Phänomene inhaltlich nicht die Außenwelt, sondern lediglich die durch die Effekte der Außenwelt veränderten neuronalen Hirnprozesse in der Weise spiegeln, wie beispielsweise die Blutzirkulation die Herzfunktion in Abhängigkeit von ihren Veränderungen durch körperliche Aktivität abbildet. Die Absurdität dieser Auffassung wird ganz unmittelbar evident, wenn man sich überlegt, dass unter dieser Annahme die neuronalen Prozesse Albert Einsteins allein die Frage beantworten können, warum seine Hand zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben mit relativ unbestimmten Zeichen ein Stück Papier bekritzelte, das wir der Kürze halber „Relativitätstheorie-Handschrift“ nennen. Da allein zerebrale Prozesse für die Relativitätstheorie verantwortlich sind, würde Bewusstsein zu einem bloßen Epiphänomen und für die Entstehung der Relativitätstheorie gänzlich irrelevant. Brenners These verkennt das materielle Substrat seelischer Vorgänge, die neuronalen Prozesse, als ihre Quelle. Die Quelle seelischer Prozesse ist aber, wie S.L. Rubinstein (1957, S. 4) zutreffend anmerkt, die Welt, die auf uns einwirkt und die wir in unserer Repräsentanzwelt reproduzieren.

Zusammenfassung · Abstract Forum Psychoanal 2007 · 23:315–329 DOI 10.1007/s00451-007-0331-z © Springer Medizin Verlag GmbH 2007

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Libido und psychische Energie Freuds Konzepte nochmals betrachtet Zusammenfassung

Die Autoren untersuchen verschiedene Definitionen der „psychischen Energie“ und der „Libido“ sowie deren Kritik. Im Hinblick auf die „psychische Energie“zeigensie,dasssichdieKritikinsbesondere aufdasVerständnisBrennersundandererundnicht auf Freuds Definitionen bezieht. Sie argumentieren, dass Freud den Ausdruck „psychische Energie“ als ein Synonym für „Libido“, nicht aber „Libido“als ein Synonym für „psychische Energie“ benutzt hat. „Libido“ wiederum bezieht sich bei Freud vermutlich bis 1914 auf die Erscheinung sexueller Körperspannungen und danach auf die Erscheinung einer sexuellen Energie auf seelischer Ebene. Aus epistemologischen Gründen lehnen die Autoren diese terminologische Veränderung ebenso ab wie Freuds dynamisch-ökonomischen Erklärungsansatz. Freuds Energiebegriff ist nicht kon-

sistent mit der Definition der Energie in den Naturwissenschaften, und während der topische, der dynamische und der strukturelle metapsychologische Gesichtspunkt in der Repräsentanzwelt verankert sind, die allein im psychoanalytischen Verfahren erfasst werden kann, trifft dies für den ökonomischen Gesichtspunkt nicht zu. Körperspannungen finden sich in der Repräsentanzwelt nur in Form von Affekten, sodass nach Ansicht der Autoren der ökonomische Gesichtspunkt durch einen affektiven Gesichtspunkt ersetzt werden sollte. In der Perspektive der Lustgewinnung und Unlustvermeidung, dem Freudschen Lustprinzip, fokussiert er auf die Beziehungen zwischen Affekten und den anderen Elementen der Repräsentanzwelt, die Topoi der anderen metapsychologischen Untersuchungsdimensionen sind.

Libido and psychic energy Freud’s concepts revisited Abstract

The authors investigate different definitions of “psychic energy” and “libido” as well as their critique. With regard to “psychic energy” it is shown that the critique relates in particular to the perspective of Brenner and others and not to Freud’s definition. They argue that Freud uses the term “psychic energy” as a synonym for “libido” and not “libido” as a synonym for “psychic energy”. It is assumed that until 1914, Freud related “libido” to manifestations of bodily sexual tensions and afterwards to manifestations of sexual energy in the psychic field. The authors reject this change for epistemological reasons as well as Freud’s attempt to use dynamic, economic considerations as an explanatory device. Freud’s energy concept is inconsistent with the definition of energy in natural

sciences, and, whereas the meta-psychological topographical, dynamic and structural viewpoints have a solid foundation in the representational world to which the psychoanalytic process affords unique access, this is not true of the economic viewpoint. It is claimed that bodily tensions exist in the representational world only in the form of affects, so that the economic viewpoint should, in the authors’ opinion, be abandoned in favour of an affective one. In the context of the endeavour to obtain pleasure and avoid unpleasure as adduced by Freud, this viewpoint concentrates on the relationships between affects and the different elements of the representational world, thereby serving as the topoi of meta-psychological investigation dimensions.

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Originalarbeiten Aber nicht nur der Bezugsrahmen, in dem Brenner die psychische Energie definiert, ist problematisch. Die von Brenner und anderen favorisierte These, dass es zwischen psychischer und physischer Energie keine Beziehung gibt, hat einige fatale Konsequenzen. Zum einen folgt daraus, dass ein Triebwunsch keine somatische Grundlage mehr hat. Wie Compton (1983, S. 368) zu Recht bemerkt, wird damit der Triebwunsch zu einem erklärenden, rein psychologischen Konstrukt. Zum anderen kann man sich mit der These, dass psychische Energie durch motorische Aktionen abgeführt wird oder zur Bildung von Konversionssymptomen veranlasst, auch nicht mehr auf eine Formveränderung einer allgemeinen Energie beziehen. Wenn „psychische Energie . . . nicht eine Form physikalischer Energie“ ist (Brenner 1982, S. 36), kann die psychische Energie auch nicht mehr in eine körperlich-physikalische umgewandelt werden. Vielmehr müsste die psychische Energie bei diesen Vorgängen verloren gehen, und die körperliche Energie müsste bei der Abfuhr bzw. der Bildung eines Konversionssymptoms in einem kreativen Akt neu geschaffen werden. Diese Konzeption steht damit auch im Widerspruch zum Gesetz von der Erhaltung der Energie. Mit demselben Argument stellt Swanson (1977, S. 612) Freuds energetische Konzeption infrage. Er ist der Ansicht, dass „psychische Energie . . . und [das] damit verwandte Konzept in Freuds Trieb-AbfuhrModell entweder unmöglich, nutzlos oder falsch sind“ (1977, S. 629; Übersetzung d. Autoren). In dieser Totalität kann allerdings seine Kritik Freuds energetische Überlegungen nicht wirklich infrage stellen. Gegenstand der Kritik Swansons sind nicht Freuds, sondern die Überlegungen Brenners und anderer. Brenner jedenfalls stattet die Energie mit Eigenschaften aus, die man bei Freud nicht findet, und weist Aspekte von Freuds Konzeptualisierung ausdrücklich zurück. Beispielsweise zitiert Brenner (1982, S. 20 f.) Freuds Ansicht, dass die Libido der Triebe „ein Maß für die

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Arbeitsanforderung [ist], die dem Seelischen infolge seines Zusammenhanges mit dem Körperlichen auferlegt ist“ (Freud 1915 c, S. 215), und nachdem er feststellt, dass die Libido „aus der Tätigkeit des Gehirns . . . entspringt“ (Brenner 1982, S. 35), weist er Freuds Annahme von „hormonale[n] und andere[n] somatische[n] Prozesse[n] in den erogenen Zonen als Libidoquellen“ (1982, S. 23) ausdrücklich zurück: „Stimulierungen [der erogenen Zonen], Hormone etc. sind keine Libidoquellen“ (1982, S. 35). Auch liegt Brenner (1982, S. 36) falsch, wenn er behauptet, dass Freud „den Begriff psychische Energie ein[führte] . . . um das Vermögen der Triebe zu kennzeichnen, psychische Aktivität in Gang zu setzen“. Zwar trifft es zu, dass Freud in einer Passage „Libido von der Energie [sondert], die den seelischen Prozessen allgemein unterzulegen ist“ und die er „psychische[.] Energie“ nennt (1905 d, S. 118). Aus dem, was dieser Passage folgt, geht jedoch hervor, dass es nicht psychische Energie, sondern die Libido ist – hier „Ichlibido“ genannt –, die zur „Besetzung von Sexualobjekten“ verwendet wird, sich an sie „fixieren oder aber diese Objekte verlassen“ kann, und die für „die Sexualbetätigung des Individuums“ verantwortlich ist, „die zur Befriedigung, das heißt zum partiellen und zeitweisen Erlöschen der Libido führt“ (Freud 1905 d). Dasselbe gilt auch für Brenners Annahme einer, von der physischen Energie unabhängigen psychischen Energie. Auch diese Annahme findet sich bei Freud nicht. Obwohl Freud an einigen Stellen Libido und psychische Energie synonym benutzt, wird Libido keine psychische Energie, die keine körperliche Qualität hat. Beispielsweise schreibt Freud 1915: „In den bisherigen Erörterungen behandelten wir die Verdrängung einer Triebrepräsentanz und verstanden unter einer solchen eine Vorstellung oder Vorstellungsgruppe, welche vom Trieb her mit einem bestimmten Betrag von psychischer Energie (Libido, Interesse) besetzt ist“ (1915 d, S. 254 f.).

Und 1933, nachdem er entdeckte, dass „unausgesetzt Ichlibido in Objektlibido . . . und Objektlibido in Ichlibido . . . umgewandelt“ wird, sieht er „keinen Sinn, die Energie der einen von der der anderen zu unterscheiden“, und hält fest: „[M]an kann die Bezeichnung Libido fallen lassen oder sie als gleichbedeutend mit psychischer Energie überhaupt gebrauchen“ (1933 a, S. 109). Aber bei dieser Gelegenheit benutzt er psychische Energie als Synonym für Libido und nicht umgekehrt, wie Hyman (1975, S. 21) glaubt. Wenn der Begriff der „psychischen Energie“ erscheint, schreibt Freud der psychischen Energie die gleichen Eigenschaften zu, die er der Libido beimisst, zum Beispiel kann sie verschiebbar sein, zur Besetzung verwandt und entladen werden – so in Angst – (Freud 1926 d, S. 175), und sie kann frei beweglich oder gebunden sein (1915 e, S. 287). Und wenn er 1923 gegen C. G. Jung argumentiert, stellt er explizit fest: „Der Name ,Libido‘ bedeutet in der Psychoanalyse . . . nicht psychische Energie schlechtweg, sondern die Triebkraft der Sexualtriebe“ (1923 a, S. 228). Diese Sektion abschließend, wollen wir festhalten, dass Brenners Verständnis der Libido oder der psychischen Energie nicht mit der Freudschen konzeptuellen Fassung deckungsgleich ist.

Libido als seelische Manifestation körperlicher Spannungen Wir möchten Freuds Konzept der Libido nicht in einem weiteren Überblick darstellen, sondern insbesondere auf einen Aspekt hinweisen, der u. E. in den meisten Übersichten nicht ausreichend gewürdigt wurde, nämlich dass bei Freud Libido weder allein eine psychische Qualität noch eine körperliche Qualität bezeichnet. Libido bezieht sich bei Freud auf eine körperliche Qualität, die im Psychischen als Libido erscheint. Nachdem Freud (1985 c, S. 64) diesen Begriff bereits in einem Brief vom 25. 04. 1894 im Zusammenhang mit dem Überwinden

der eigenen Rauchlust erwähnt, erscheint er im Zusammenhang mit Sexualität vermutlich erstmals im „Manuskript E“. Eine „endogene Spannung“ heißt es, „deren Quelle im eigenen Körper liegt . . . [wird] erst bemerkt, wenn sie eine gewisse Schwelle erreicht hat. Erst von dieser Schwelle an wird sie psychisch verwertet, tritt mit einer gewissen Vorstellungsgruppe in Beziehung, welche dann die spezifische Abhilfe veranstalten. Also physisch sexuale Spannung erweckt von gewissem Wert an psychische Libido“ (1985 c, S. 73 f.). Die Unterscheidung von endogener Spannung und Libido ist kongruent mit der strikten Abgrenzung von somatischer und psychischer sexueller Erregung, die er im „Sexualschema“ vornimmt, das im „Manuskript G“ (vermutlich vom 07. 01. 1895, 1985 c, S. 99) enthalten ist. In der Diskussion der Neurasthenie und der Angstneurose wird der Begriff der Libido dann in einem systematischen Zusammenhang einbezogen. Durch somatische Sexualerregung wird „die in der Psyche vorhandene sexuelle Vorstellungsgruppe mit Energie ausgestattet und es entsteht der psychische Zustand libidinöser Spannung, welcher den Drang nach Aufhebung dieser Spannung mit sich bringt“ (1895 b, S. 334 f.). Bleibt die erforderliche „spezifische[.] Aktion“ aus, wird „die somatische Erregung . . . auf andere Wege abgelenkt“ und kann „als Angst sich äußern“ (1895 b, S. 336). Diese Angst entspricht einer „angehäuften Erregung“, die „somatischer Herkunft“ und „sexueller Natur“ ist (1895 b, S. 134; Kursivierungen aufgehoben). Wäre die somatische Sexualspannung nicht „vom Psychischen abgelenkt[.]“ worden, hätte sie sich „als Libido geltend gemacht“ (1895 f., S. 360). Dieses Verständnis der Libido bleibt unverändert. Ihr körperliches Substrat wird insbesondere von den erogenen Zonen, aber auch „von allen Körperorganen“ generiert, es resultiert aus „einem besonderen Chemismus“, und wir haben „die Vorstellung eines Libidoquantums, dessen psychische Vertretung wir Ichlibido heißen“ (1905 d, Forum der Psychoanalyse 4 · 2007

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Originalarbeiten S. 118). Im Jahr 1909 äußert er sich dahingehend, er „habe sich damit begnügt, psychologische Vorläufigkeiten wie Sexualerregung, Libido aufzustellen, die zunächst vom Organischen ganz absehen“ (Nunberg u. Federn 1967, S. 105), und gegenüber Adler wendet er 1911 ein: „Die Libido ist freilich nicht real . . . Wenn man von ihr sagt, sie sei nicht real, so ist das richtig; aber zu sagen, sie ist falsch, ist gänzlich willkürlich und ein unwissenschaftlicher Begriff“ (Nunberg u. Federn 1974, S. 146). Mit dem Verständnis der Libido als seelische Wahrnehmung körperlicher sexueller Spannungen oder Erregungen (s. auch 1905 d, S. 111, 119), verschwindet auch das beispielsweise von Swanson (1977) festgestellte Problem einer energetischen Abfuhr oder der Umwandlung von Energie im Konversionsprozess. In seinem ursprünglichen Konversionskonzept betrachtete Freud sowohl die körperlichen Symptome der Angstneurose wie auch der Hysterie als Resultate einer Konversion. In der Angstneurose, die durch sexuelle Abstinenz hervorgerufen wird, ist es „die physische Spannung, die nicht ins Psychische gehen kann und daher auf physischem Weg verbleibt“ (1985 c, S. 76) und so zu einem „Äquivalent[.] des Angstanfalls“ (1895 b, S. 319) wird. So wie bei diesem Konversionsprozess erwähnt Freud auch in Bezug auf die hysterische, durch Konflikte ausgelöste Symptombildung eine physische Spannung als Gegenstand der Konversion. Als „das Konvertierte“, schreibt Freud (1895 d, S. 234), ist bei der Hysterie die „Quantität“ der körperlich-sexuellen Erregung zu „bezeichnen“, die sich auf der Repräsentanzebene in einem „gewissen Affektbetrag“ darstellt. Mit der Konversion dieser, im Affekt wahrgenommenen körperlich-sexuellen Erregung in die Enervierung bestimmter Organsysteme gelingt es somit, aus einer „starken Vorstellung eine schwache zu machen, ihr den Affekt“, d. h. „die Erregungssumme, mit der sie behaftet ist, zu entreißen“ (1894 a, S. 63). Damit ist auch ihre Erscheinungsform in der Repräsentanzwelt zum Verschwinden gebracht.

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Im Kern sind die Konversionsarten bei der Angstneurose und bei der Hysterie als identisch und hinsichtlich der Bedingungen, unter denen dieser Mechanismus eingesetzt wird, als verschieden anzusehen. Auch Freud (1895b, S. 342) fasst in diesem Sinne ihre Gleichartigkeit und Verschiedenheit zusammen: „Hier wie dort Anhäufung der Erregung . . . hier wie dort eine psychische Unzulänglichkeit, der zufolge abnorme somatische Vorgänge zustande kommen. Hier wie dort tritt an Stelle einer psychischen Verarbeitung eine Ablenkung der Erregung ins Somatische ein; der Unterschied liegt bloß darin, dass die Erregung, in deren Verschiebung sich die Neurose äußert, bei der Angstneurose eine rein somatische (die somatische Sexualerregung), bei der Hysterie eine psychische (durch Konflikt hervorgerufene) ist“.

Probleme von Freuds Libidokonzept Vermutlich war es dieses Verständnis der Libido, auf das sich Freud bezog, als er am 22. 09. 1912 an Jones schrieb: „Ich habe die Bedeutung der Libido nie verändert und habe an meiner ersten Definition durchgängig festgehalten“ (Freud 1993 e, S. 162; Übersetzung d. Autoren). Kurz danach aber scheint sich dieses Verständnis zu verändern. Obwohl der Repräsentanzcharakter der Libido unverändert bleibt – beispielsweise schreibt Freud, dass wir „die Kraft, mit welcher der Sexualtrieb im Seelenleben auftritt, Libido“ nennen (1917 a, S. 4) –, definiert er vermutlich von 1914 an diese Kraft explizit als „Sexualenergie“ (1914 c, S. 144; Kursivierungen durch d. Autoren). Auf der Repräsentanzebene erscheint diese „quantitativ veränderliche“ Kraft (1924 f, S. 420) der Triebe in der Besetzung relevanter Vorstellungen, wodurch sie vom Individuum als „sexuelles Verlangen“ (1917 a, S. 4) oder als „Interesse“ (1915 d, S. 255) erfahren werden kann. Sozusagen in Parenthese wollen wir darauf hinweisen, dass Freuds psychologisches Konzept der Besetzung einen neuro-

physiologischen Vorläufer in der Formulierung Freuds (1894 a, S. 74) hat, „dass es an den psychischen Funktionen etwas zu unterscheiden gibt (Affektbetrag, Erregungssumme), das alle Eigenschaften einer Quantität hat . . . etwa, das der Vergrößerung, Verminderung, der Verschiebung und der Abfuhr fähig ist und sich über die Gedächtnisspuren der Vorstellungen verbreitet, wie etwa eine elektrische Ladung über die Oberflächen von Körpern“ (s. auch Freeman 1997, S. 33). Die somatische Energie kann sich auch „neben der Vorstellung“ in einem „andere[n] Element der psychischen Repräsentanz“ darstellen – einem Element, in dem der „Trieb[.], insofern er sich von der Vorstellung abgelöst hat, einen seiner Quantität gemäßen Ausdruck in Vorgängen findet, welche als Affekte der Empfindung bemerkbar werden“ und für dessen Quantität „sich der Name Affektbetrag eingebürgert“ hat (1915 d, S. 255). „Vorstellungen und Affekte, beides sind Triebrepräsentanzen. Würde der Trieb sich nicht an eine Vorstellung heften oder nicht als ein Affektzustand zum Vorschein kommen, so könnten wir nichts von ihm wissen“ (1915 e, S. 276). Neben dieser sexuellen Energie nimmt Freud noch eine aggressive Energie an (z. B. 1930 a, S. 497 ff.), und in Wendung gegen die Annahme einer „einheitlichen Libido“, wie sie von C.G. Jung vorgeschlagen wurde, unterscheidet Freud (1916–1917 a, S. 427 f.) zunächst eine „asexuelle[.]“ von der „sexuelle[n] Libido“ und führt beide Begriffe „als Benennung für Energiequellen des Individuums“ ein, die die „Ich- und Sexualtriebe“ speisen. Vier Jahre später wird die Idee, dass die Ich-Triebe von asexueller Energie gespeist werden, aufgegeben. Von 1923 (1923 b, S. 273) an wird aus der asexuellen Libido eine desexualiserte: „Die Umsetzung von Objektlibido in narzisstische Libido . . . bringt offenbar ein Aufgeben der Sexualziele, eine Desexualisierung mit sich“ (1923 b, S. 258), und 1926 stellt Freud dezidiert fest, dass „das Ich mit desexualisierter Energie arbeitet“ (1926 d, S. 194).

Gegen diese qualitativ differenzierten Energien wenden Rosenblatt und Thickstun (1970) zu Recht ein, dass die Unterscheidung in sexuelle, narzisstische, aggressive und desexualisierte Energie von der Art und Weise, in der in den Naturwissenschaften die Begriffe chemische Energie, Wärmeenergie, Atomenergie usw. verwendet werden, sehr verschieden ist. Sie werden als Abkürzungen für den Reaktionstyp verstanden, durch den der Wechsel von einer in eine andere Energieform hergestellt wird. Die Energie bleibt dieselbe und in keiner Weise geht aus den unterschiedlichen Reaktionstypen hervor, dass sich die Energie in Abhängigkeit von dem Reaktionstyp qualitativ verändert. Die These, dass das Ich mit desexualierter Energie arbeitet, steht aus zwei weiteren Gründen in der Kritik. Erstens, Freud nimmt an, dass die narzisstische Libido desexualisiert wird. Dabei ist diese Desexualisierung so konzeptualisiert, dass sie sich selbst verbietet. Sie müsste als eine Ich-Funktion verstanden werden, sodass diese Operation impliziert, dass diese IchFunktion schon desexualisiert ist, das Ich mittels dieser Funktion seine zunächst narzisstische Antriebsenergie desexualisiert. Strukturell entspräche diese Operation dem Vorgang, in dem der Motor eines Autos, der die chemische Energie des Benzins in kinetische verwandelt, bereits vom Produkt dieser Umwandlung, der kinetischen Energie, angetrieben wird. Zweitens ebnet Freud damit den Unterschied zwischen Antriebs- und psychisch erscheinender Besetzungsenergie ein. Die Wahrnehmung der Energie ist etwas gänzlich anderes als die Energie selbst, und das Problem, wie aus deren Wahrnehmung Energie selbst werden und ihre Qualität verändern kann, lässt sich mit der Annahme einer Desexualisierung der auf das Ich verschobenen libidinösen Objektbesetzungen nicht auflösen. Abgesehen von diesen Widersprüchen, verkennt Freud mit seiner These, dass das Ich mit desexualierter Energie arbeitet, generell, dass seelischen Tätigkeiten – gleich Forum der Psychoanalyse 4 · 2007

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Originalarbeiten welcher Art – neuronale, körperliche Energie verbrauchende Hirnprozesse zugrunde liegen. Ein weiteres Problem ergibt sich dadurch, dass Freud in seinen späteren Schriften die Minimierung der Affektintensität im Falle einer hysterischen Konversion um einen kognitiven Aspekt ergänzt. Nun ist die Rede davon, dass die „hysterischen Symptome . . . nichts anderes als die durch ,Konversion‘ zur Darstellung gebrachten unbewussten Phantasien“ sind (1908 a, S. 194). Damit wird natürlich zur Frage, wie im Akt der Konversion unbewusste Inhalte in körperlichen Symptomen mystifiziert dargestellt werden können. Im Einvernehmen mit dem früher vorgetragenen Konversionskonzept, das Freud nicht widerrufen hat, müsste man sich diesen Transport seelischer Inhalte in körperliche Erscheinungen als eine Operation vorstellen, in der sich die Inhalte der Vorstellungsgruppen, mit denen eine somatische Sexualerregung als Libido in Kontakt kam, in diese Erregung eingetragen haben. Nur so ließe sich verständlich machen, dass in den Organsystemen, die durch diese Erregung innerviert werden, seelische Inhalte in körperlichen verschleiert erscheinen können. Im Lichte seiner Auffassung, dass sich Libido auf die Wahrnehmung körperlichsexueller Erregung bezieht, ist diese Annahme nicht haltbar, und es scheint, als ob auch Freud ernsthafte Zweifel an seinem Versuch hatte, die Konvertierung unbewusster Fantasien in körperliche Symptome mit einer libidinösen Verschiebung zu begründen. Jedenfalls stellt er ein Jahr nach dieser These fest, dass wir den „Sprung aus dem Seelischen in die somatische Innervation, – die hysterische Konversion, – . . . mit unseren Begriffen . . . niemals mitmachen können“ (1909 d, S. 382). Denn der von ihm konzeptualisierte Sprung würde voraussetzen, dass allein die Wahrnehmung die wahrgenommene sexuelle Energie qualitativ verändern kann. Dies ist unmöglich, sodass es auch nicht möglich ist, mittels sexueller Energie see-

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lische Inhalte in den Körper zu transferieren.

Ökonomische Aussagen als Erklärungen Wie Freeman (1997) und andere war auch schon Shope (1973) der Ansicht, dass Freud dem Konzept der Energie einen erklärenden Status zugeschrieben hat. Zwar könnte man einwenden, dass Freud (1915 d, S. 260 f.; Kursivierung durch d. Autoren) es eine „metapsychologische Darstellung“ nennt, „wenn es uns gelingt, einen psychischen Vorgang nach seinen dynamischen, topischen und ökonomischen Beziehungen zu beschreiben“. Aber an anderer Stelle heißt es dezidiert: „Wir wollen die Erscheinungen nicht bloß beschreiben und klassifizieren, sondern sie als Anzeichen eines Kräftespiels in der Seele begreifen, als Äußerungenvon zielstrebigen Tendenzen, die zusammen oder gegeneinander arbeiten“ (1916–1917 a, S. 62; Kursivierungen durch d. Autoren). Er spricht von einer „Libidotheorie der Neurosen . . . welche alle neurotischen wie psychotischen Erscheinungen aus abnormen Schicksalen der Libido . . . erklären“ soll (1914 d, S. 68; Kursivierungen durch d. Autoren), von einer „ökonomische[n] Erklärung der „Unwiderstehlichkeit perverser Impulse“ (1930 a, S. 437; Kursivierung durch d. Autoren), und kurz nachdem er „die überragende Wichtigkeit des quantitativen Faktors“ anerkennt, betont er „das Anrecht der metapsychologischen Betrachtungsweise bei jedem Erklärungsversuch“ (1937 c, S. 79; Kursivierung durch d. Autoren). Zumindest in den folgenden Formulierungen kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass die ökonomischen Feststellungen von Freud als Erklärungen gedacht sind: · Das energetisch-ökonomische „quantitative Moment“ ist „entscheidend für den Konflikt“ (1915 d, S. 254). · „Die Gegenbesetzung ist der alleinige Mechanismus der Urverdrängung“ (1915 e, S. 280). · Die „Gegenbesetzung [besorgt die] Herstellung und Fortdauer [der] Verdrängung“ (1915 e).

· Beim „Traum betrifft die Entziehung der Besetzung . . . alle Systeme gleichmäßig, bei den Übertragungsneurosen wird die Vbw-Besetzung zurückgezogen, bei der Schizophrenie die des Ubw, bei der Amentia die des Bw“ (1916– 1917 f, S. 426). · „[D]as System Vbw entsteht, indem die Sachvorstellung durch Verknüpfung mit den ihr entsprechenden Wortvorstellungen überbesetzt wird“, während „der nicht überbesetzte psychische Akt . . . im Unbewussten als verdrängt zurück [bleibt]“ (1915 e, S. 300). · „Größenwahn“entsteht „durch Einbeziehung der Objektbesetzungen“ (1914 c, S. 140). Brenner (1980, S. 193) betrachtet diese energiebezogenen Erklärungen Freuds als zeitgebunden. Sie bestehen jedoch auch nach der Einführung der Strukturtheorie fort. Zum Beispiel heißt es: Die „Gegenbesetzung“ hat den Effekt, dass „alle anderen psychischen Systeme verarmen“ (Freud 1920 g, S. 30); 1925 stellt er fest (1925 d, S. 55): Das „Ich . . . muss sich . . . gegen den immer bereiten Andrang der verdrängten Regung durch einen permanenten Aufwand, eine Gegenbesetzung, schützen und verarmte dabei“, und 1926 (1926 d, S. 190) erscheint die „Gegenbesetzung . . . als Ichveränderung, als Reaktionsbildung im Ich“. In wissenschaftstheoretischer Sicht bestehen aber Erklärungen notwendig aus drei Klassen von Sätzen. Die erste Klasse bezieht sich auf das „Explanandum“ und beschreibt das, was der Fall war bzw. ist. Die Erklärung – das „Explanans“ – besteht notwendig aus zwei Klassen von Sätzen: „Die eine von ihnen enthält gewisse Sätze . . . welche spezifische Antecendenzbedingungen konstatieren; die andere ist eine Menge von Sätzen . . . welche allgemeine Gesetze darstellen“ (Apel 1964/65, S. 240). Diese Unterscheidung wird der wissenschaftlichen Warum-Frage gerecht, die stets fragt: „Aufgrund welcher allgemeinen Gesetze und aufgrund welcher Antecen-

densbedingungen ist bzw. war dies der Fall?“ (Apel 1964/65, S. 240). Begreift man etwa die Freudsche (1915 e, S. 281) These über das Zusammenwirken von Besetzung und Gegenbesetzung im Falle der Verdrängung – bei der Verdrängung wird den verdrängten Inhalten ein Teil der Libido, mit der sie besetzt sind, entzogen und für die Besetzung der psychischen Repräsentanzen verwendet, die die verdrängten Vorstellungen ersetzen, wodurch ihr Wiederauftreten im Bewusstsein verhindert wird – als ein allgemeines Gesetz, wäre eine einzelne Verdrängung erklärt, wenn sie als Resultat eines besonderen Kräftespiels ausgewiesen werden könnte. Bedingung einer wahren Erklärung ist allerdings, dass die Existenz nicht nur des Explanandums – der Verdrängung –, sondern auch das Vorhandensein der Antezendenzbedingungen – die Kräfteverteilung in Besetzung und Gegenbesetzung – wie auch die Wahrheit ihres, im allgemeinen Gesetz formulierten Zusammenhangs gesichert ist. Diese letzte Bedingung kann jedoch in keinem und insbesondere nicht in dem sprachgebundenen Verfahren der Psychoanalyse eingelöst werden, in dem „nichts anderes vor[geht] als ein Austausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt“ (Freud, 1916–1917 a, S. 9). Da sich sprachlichen Darstellungen das Dargestellte nicht unmittelbar entnehmen lässt, kann in diesem Verfahren auch eine quantitative Verteilung der psychischen Energie auf bewusste und unbewusste Repräsentanzen nicht ermittelt werden. Das heißt, auch gemessen am Freudschen (1900 a, S. 515) Verständnis der Erklärung – „[E]rklären heißt auf Bekanntes zurückführen“ – können besetzungstheoretische Überlegungen keinen explikativen Status beanspruchen. Gleichwohl greift diese Kritik noch zu kurz. Swanson (1977) sowie Rosenblatt und Thickstun (1970) bezweifeln entschieden, ob in energetischen Aussagen überhaupt ein wesentlicher Aspekt des klinischen Materials so abgebildet werden Forum der Psychoanalyse 4 · 2007

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Originalarbeiten kann, dass daraus Erkenntnisse resultieren, welche über klinische Einsichten hinausreichen. Sie argumentieren, dass energetische Erklärungen tautologischen Charakter haben und dass in ihnen ein motivationaler Sachverhalt ohne jedweden Zugewinn an Erkenntnis lediglich in einer anderen Sprache dupliziert wird (Rosenblatt u. Thickstun 1970, S. 271). Man beobachtet beispielsweise eine starke emotionale Antwort auf ein Ereignis, „erklärt“ dieses Phänomen als eine intensive Besetzung eines bestimmten Inhalts und führt dann als Beweis für eine intensive Besetzung die starke emotionale Antwort an. Oder man gewinnt den Eindruck, dass eine Person nur sich selbst liebt und andere Menschen nicht lieben kann, „erklärt“ dies mit einer starken libidinösen Besetzung seiner Selbstrepräsentanz sowie einer mangelhaften Besetzung der Objektrepräsentanzen und nimmt den gewonnenen Eindruck als Beleg. Ein weiteres Beispiel für eine derartige Pseudoerklärung durch Neubeschreibung findet sich bei Arlow und Brenner (1964, S. 74 f.). Entsprechend der Auffassung Freuds (1915 e, S. 287; 1920 g, S. 35), dass im Sekundärvorgang die Energien an Vorstellungen gebunden und im Primärvorgang frei verschieblich sind – Freud (1915 e, S. 287) glaubte, „dass diese Unterscheidung bis jetzt unsere tiefste Einsicht in das Wesen der nervösen Energie darstellt“ – heißt es zunächst: „Grundlegend charakteristisch für den Sekundärvorgang ist die Stabilität der Besetzungsenergien. Dem Sekundärvorgang zugeordnete Besetzungsenergien sind insofern ,gebunden‘, als sie mit fixierten und gleichbleibenden Wort- und Objektvorstellungen verknüpft werden“. Dann wird gefolgert: „Wenn Besetzungen auf die Weise gebunden sind und wenn Worte und Objekte allmählich einen festen Bezugsrahmen bekommen, wird logisches und kausales Denken ermöglicht. So werden die Gesetze der Syntax, das Freisein von Widersprüchen und ein realistisches Verhältnis zurzeit zu einem Teil des Geschehens des Sekundärvorgangs“.

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Obwohl Rosenblatt und Thickstun (1970) schon vor über dreißig Jahren zu Recht anmerkten, dass mit dem Hinzufügen der energetischen Dimension der Sachverhalt, „wenn Worte und Objekte allmählich einen festen Bezugsrahmen bekommen“, nicht erklärt, sondern lediglich in anderen Worten – z. B. „Stabilität der Besetzungsenergien“ – verdoppelt wird, werden auch heute noch dieselben energetischen Begründungen für eine Erklärung des Sekundär- und Primärvorgangs angeführt (z. B. Andrade 2003). Unserer Ansicht nach ist es genau dieser tautologische Charakter ökonomischer Erklärungen, der die Frage Sandlers (1983, S. 37; Übersetzung d. Autoren) rechtfertigt: „Für wie lange wollen wir unseren Weiterbildungskandidaten noch die Veränderungen der Besetzungen und die akrobatischen Energieverwandlungen erklären und so tun, als ob dies von unmittelbarer Relevanz für ihre klinische Arbeit wäre?“

Ökonomische Aussagen als Metaphern Applegarth (1971), Doidge (2002), Wallerstein (1977) und andere sind der Ansicht, dass besetzungstheoretische Begründungen nicht als Sachaussagen zu betrachten sind, und schlagen vor, die Begriffe „psychische Energie“ und „Libido“ nur metaphorisch zu verwenden. Würden wir diesem Vorschlag folgen, müssten wir uns auch eingestehen, dass wir uns mit einem erkenntnislosen Zustand zufrieden geben. Ohne dass man genau weiß, wofür Freuds besetzungstheoretische Aussagen eine Metapher sind – sodass „in der Konsequenz zugelassene Metaphern wie die der ,Energie‘ . . . keinen spezifischen Inhalt haben und nach eigenem Gutdünken ausgelegt werden können“ (Nagel 1959, S. 41; Übersetzung d. Autoren) –, präsentieren seine Aussagen nichts als ungelöste Rätsel, und ungelöste Rätsel können das Begründungsproblem nicht lösen. Aber, meint Kubie (1947, S. 511; Übersetzung d. Autoren), die Metapher der psychischen

Energie gibt uns „ein Gefühl wissenschaftlicher Reife“. Tatsächlich ist dieses Gefühl jedoch „unreif und illusorisch“ (1947, S. 511), weil diese Metapher, wie Habermas (1968, S. 308) einwendet, „nur den Anschein [erzeugt], als würden sich die psychoanalytischen Aussagen auf messbare Energieverwandlungen beziehen“ und so gefasst ist, dass „Beobachtbarkeit zwar sprachlich assoziiert, aber tatsächlich nicht eingelöst wird – und nicht eingelöst werden kann“. Obwohl energetische Aussagen nichts erklären, tautologisch und unbegriffene Metaphern sind, votieren einige Autoren für das Beibehalten des Energiemodells. Deren wesentliche Argumente sind: 5 Die psychische Energie werde irgendwann messbar sein. 5 Das Modell einer psychischen Energie ermöglicht in der Zukunft die Verbindung mit anderen, insbesondere neurophysiologischen Wissenschaften. 5 Man benötige dieses Modell zur Ordnung und Systematisierung klinischer Daten. 5 Dieses Modell führt zu neuen Einsichten. Gegen die erste Begründung spricht, dass Energieverteilungen im sprachgebundenen psychoanalytischen Verfahren nie messbar sein werden, und der zweiten Begründung ist außer diesem Argument noch entgegenzuhalten, dass eine Metaphorik nicht eine Metatheorie ersetzen kann, welche erst eine Vermittlung der theoretischen Einsichten einzelner Wissenschaften ermöglicht, die einzelnen Aspekten des untersuchten Gegenstands adäquat sind. In der dritten Begründung wird übersehen, dass eine metaphorische Ordnung und Systematisierung klinischer Daten immer nur scheinbar einen Einblick in die Zusammenhänge ermöglicht, in denen die erhobenen Daten im Gegenstand stehen, sie in Wirklichkeit von ihren wirklichen Zusammenhängen so weit entfernt ist wie der Zorn der Götter von den Bedingungen, unter denen ein Blitz bei einem Gewitter auftritt. Sie kann mithin

auch nur scheinbar zu neuen Einsichten führen. Was Metaphern offerieren können, sind immer nur weitere Metaphern. Wenn wir uns mit Metaphern als Erklärungen zufrieden geben, verpflichten wir uns aber nicht nur auf ein falsches Verständnis; wir werden damit auch blind gegenüber Problemen und der Notwendigkeit von Erklärungen, die der Sachlage adäquat sind.

Ist der ökonomische metapsychologische Gesichtspunkt aufzugeben? Wenn sich Energien und ihre Verteilungen dem psychoanalytischen Verfahren entziehen, kann natürlich das Seelenleben nicht unter dem Aspekt von Besetzungen, Gegenbesetzungen, Ich- bzw. Objektlibido, fusionierter und qualitativ veränderten Energien und Energieabfuhr untersucht werden. Die These, die Freud im Konstanzprinzip formuliert, erweist sich mithin nicht als ein genuin psychoanalytisches Erkenntnisprodukt. Jedenfalls kann die Annahme, dass „die herrschende Tendenz des Seelenlebens . . . das Streben nach Herabsetzung, Konstanterhaltung, Aufhebung der inneren Reizspannung“ sei (Freud 1920 g, S. 60), im psychoanalytischen Verfahren weder ermittelt noch verifiziert werden. Nicht nur, weil sich die Ansicht, dass das Nervensystem der Organismen nach diesem Prinzip funktioniert, als falsch erwies (z. B. Compton 1981, S. 204), sollten wir das in Anlehnung an Fechner konzipierte Konstanzprinzip als umfassenden Erklärungsrahmen psychoanalytisch gewonnener Daten verwerfen. Unserer Auffassung nach sollten wir uns schon allein aus diesem Grunde von diesem konzeptuellen Rahmen verabschieden. Es wäre allerdings voreilig, wenn man aus der Unmöglichkeit, Energien im psychoanalytischen Verfahren zu erfassen, folgerte, dass der ökonomische Gesichtspunkt, den Freud (1926 f, S. 302 f.) selbst als „open to revision“ ansah, ersatzlos aufForum der Psychoanalyse 4 · 2007

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Originalarbeiten zugeben ist. Aufzugeben ist lediglich die Idee, dass er sich auf die realen Kräfte körperlicher Prozesse bezieht. Analog dem dynamischen Gesichtspunkt, der die Aufmerksamkeit nicht auf den Trieb, sondern auf die seelische Repräsentanz des Triebes konzentriert – Freud (1915 e, S. 276) schreibt: „Würde der Trieb sich nicht an eine Vorstellung heften oder nicht als Affektzustand zu Vorschein kommen, so könnten wir nichts von ihm wissen“ –, sollte auch der ökonomische Gesichtspunkt lediglich auf die Erscheinungsformen dieser körperlichen Antriebskräfte in der Repräsentanzwelt bezogen werden. Es sind diese Erscheinungsformen, die Freud als Libido konzeptualisiert. Gewiss, man kann darüber streiten, ob Freud den Libidobegriff punktuell und gelegentlich nicht auch auf die körperliche Energie selbst bezogen hat. In seiner systematischen Verwendung erweist sich jedoch der Terminus „Libido“ als ein theoretischer Begriff, der sich auf die als „Besetzung“ und „Affektbetrag“ konzipierten Erscheinungen der „aus dem Körperinnern stammenden, in die Seele gelangenden Reize“ (Freud 1915 c, S. 214) in der Repräsentanzwelt bezieht. Diese Reize können in Gestalt eines „sexuelle[n] Verlangen[s]“ (1917 a, S. 4) bzw. eines „Interesse[s]“ (1915 d, S. 255) oder in der Form von Affekten in der Repräsentanzwelt erscheinen und erlebt werden. Ob die Erscheinungsformen der Libido als Besetzung und Affektbetrag aber als besondere aufgefasst werden müssen und auch angenommen werden muss, dass sie sich wechselseitig ausschließen, ist fraglich. Die Grundlage, auf der Freud diese Unterscheidung trifft, ergibt sich aus der innerhalb seiner topographischen Theorie liegenden Annahme, dass „Affekte und Gefühle Abfuhrvorgängen entsprechen, deren letzte Äußerungen als Empfindungen wahrgenommen werden“ (Freud 1915 e, S. 277). Deshalb muss sich die libidinöse Besetzung von der Vorstellung des Triebes erst ablösen, ehe sie in Form eines Affektes auftreten kann. Dies trifft jedoch lediglich

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für eine die Libido abführende Triebhandlung zu, sodass mit dieser Annahme die klinische Tatsache nicht erklärt werden kann, dass Gefühle und Affekte nicht nur während, sondern sowohl am Beginn – Freud verweist darauf mit Begriffen wie „sexuelles Verlangen“ oder „Interesse“ – als auch nach Beendigung einer Triebhandlung erlebt werden können. Es ist jedenfalls klar, dass bereits am Beginn einer triebbestimmten Handlung eine affektive Beziehung zum dem vorliegen muss, wonach man verlangt. Mit der Einführung der Strukturtheorie wird diese Lücke ein Stück weit geschlossen. In ihrem Rahmen konzediert Freud (1924 c, S. 372), „dass es lustvolle Spannungen“ gibt. Sie stehen am Beginn triebbestimmter Handlungen, die von Lust begleitet werden und die, wie Joffe und Sandler (1968, S. 452) anfügen, in einem Gefühl des Wohlbefindens enden. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch Freud (1906 c, S. 7) von „affektbesetzte[n] Gedanken“ und von „affektiv besetzten Vorstellungen“ (1926 f, S. 301) spricht. Der Besetzungsbegriff ist somit lediglich eine andere Bezeichnung für das Vorhandensein von Gefühlen. Sie sind die einheitliche Erlebnisform der im Begriff „Libido“ gefassten „aus dem Körperinnern stammenden, in die Seele gelangenden Reize“ (Freud 1915c, S. 214). Der ökonomische Gesichtspunkt ist mithin durch einen affektiven zu ersetzen. Er bezieht sich auf das Erleben und fordert dazu auf, im Patienten die Beziehungen zwischen den Affekten und den Vorstellungen, in die sich seine Repräsentanzwelt gliedert, im Zusammenhang mit den anderen metapsychologischen Untersuchungsdimensionen in der Perspektive des zweigliedrigen „Streben[s] nach Lustgewinn und Unlustvermeidung“ (1916–1917 a, S. 390) aufzuklären. Wenn wir das Lust-Unlust-Prinzip von der Spannungsregulierung ablösen, zu der Freud es in Beziehung setzt, bleiben nicht nur die Begründungen psychischer Phänomene in epistemologischer Hinsicht völlig ausreichend. Die Verdrängung beispiels-

weise wird damit begründbar, „dass das Unlustmotiv eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust“ (Freud 1915 d, S. 249), und dass sie aufrechterhalten wird, kann damit begründet werden, dass ansonsten die Unlust, welche die Verdrängung veranlasste, wieder erfahren wird. Darüber hinaus lassen sich diese Begründungen im psychoanalytischen Verfahren überprüfen, und wir befinden uns auch im Einvernehmen mit der Auffassung, dass unser Verhalten nicht von körperlichen Ursachen, sondern von Motiven angetrieben wird, von Affekten und von Triebwünschen, in deren Gestalt die körperlichen Ursachen im Zuge unserer Entwicklung in unserem Seelenleben dialektisch negiert aufgehoben und aufbewahrt werden.

Schlussbemerkungen Wie die Begriffe „Ich“, „Über-Ich“ oder „unbewusst“ gehört auch der Terminus „Libido“ in die Kategorie theoretischer Begriffe, die sich auf einen Aspekt der Repräsentanzwelt – den genuinen Gegenstand der Psychoanalyse – beziehen, hier auf die Repräsentanz wahrgenommener sexueller Körperspannung. Abstrahiert aus der Repräsentanzwelt, eröffnet dieser Begriff die Perspektive für die Untersuchung ihrer Beziehung zum körperlichen Substrat der Triebe, für die Untersuchung der Beziehung zwischen „der psychischen Repräsentanz“ der Triebe und „der aus dem Körperinnern stammenden, in die Seele gelangenden Reize“ (1915 c, S. 214). Dabei ist natürlich klar, dass der Zusammenhang zwischen körperlichen Reizen und Erleben nicht allein im psychoanalytischen Verfahren ergründet werden kann. In diesem Verfahren lassen sich nur Einsichten in die repräsentierten und nicht in die wirklichen körperlichen Abläufe gewinnen. Für Einsichten in diese Abläufe bedarf es jedenfalls noch anderer Erkenntnisse als jene, die im psychoanalytischen Verfahren erwirtschaftet werden können. Der wirkliche Körper liegt im Fragebe-

reich anderer, mit anderen Untersuchungsverfahren arbeitenden Wissenschaften. Sie bringen ihre Erkenntnisse in Theorien auf Begriffe, die anders sind als die psychoanalytische Theorie, sodass eine integrale Betrachtung des Seelenlebens unter Einbeziehung körperlicher Prozesse eine metatheoretische Vermittlungsarbeit erfordert. Da die von Körperprozessen ausgehenden Sensationen als Affekte oder als Verlangen bzw. Interesse im Erleben, in der Repräsentanzwelt erscheinen, können der psychoanalytische Affekt- und Besetzungsbegriff als Ausgangspunkte dieser Vermittlungsarbeit angesehen werden. Natürlich kann auch das empirisch feststellbare Zusammenspiel von zerebralen und psychischen Prozessen nicht durch ein bloß punktuelles In-Beziehung-Setzen einzelner Kategorien auf den Status begriffener Zusammenhänge angehoben werden. Die begrifflichen Inhalte sind, jeweils von einem bestimmten theoretischen Bezugssystem abhängig, definiert, dem sie angehören und in dem sie ihre Erkenntnisfunktion haben. Begriffe haben nicht nur einen empirischen, sondern immer auch einen theoretischen Bezug. Verweist man ohne vorherige metatheoretische Vermittlung der verschiedenen Theoriebereiche bei der psychoanalytischen Untersuchung eines neurotischen Symptoms etwa auf die Kategorie „funktionelle zerebrale Trennung der rechten von der linken Hemisphäre“ (Lewin u. Vukovich 1983, S. 188; Übersetzung durch d. Autoren) als dem zerebralen Substrat der Verdrängung, kann sie nur noch in zweierlei Weise verwendet werden. Man kann dieser Kategorie einmal den spezifischen theoretischen Inhalt belassen, den sie im neurobiologischen Begründungszusammenhang eines neurotischen Symptoms hat. Dann aber lässt sie sich der psychoanalytischen Auffassung dieses Symptoms nur mehr additiv anfügen. Die Beziehung zwischen ihr und der psychoanalytischen Kategorie der Verdrängung bliebe unklar. Man kann sie weiter empiristisch und/oder entsprechend dem jeweiligen Vorverständnis des UnterForum der Psychoanalyse 4 · 2007

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Originalarbeiten suchers definieren, womit sie freilich ihren systematischen Stellenwert und ihre Erkenntnisfunktion verlöre, die sie im neurobiologischen Begründungszusammenhang eines neurotischen Symptoms hat. Anders ausgedrückt: Ohne metatheoretische Vermittlung bleibt sowohl der Stellenwert einer „funktionellen zerebralen Trennung“ wie auch der der Verdrängung im neurosenätiologischen Gesamtzusammenhang unbegriffen. Wir fassen abschließend die wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchung zusammen: 5 Das Konzept der psychischen Energie ist mit dem allgemeinen Energiebegriff nicht konsistent. 5 Seelische Prozesse werden nicht von einer wie immer gearteten psychischen Energie gespeist. Wenn ein Subjekt denkt, fantasiert, träumt oder plant, liegen diesen Tätigkeiten neuronale, körperliche Energie verbrauchende Hirnprozesse zugrunde. 5 Freud benutzt den Terminus „psychische Energie“ meistens als Synonym für „Libido“. 5 Energetische Aussagen sind lediglich Duplikate klinischer, sich auf Erleben beziehender Aussagen in einer anderen Sprache. Sie haben weder eine explikative noch eine prognostische Funktion. Sie haben lediglich den Status von Metaphern. 5 „Libido“ ist ein theoretischer Begriff, der sich auf die erfahrbaren, als „Affektbetrag“ und „Besetzung“ konzipierten Erscheinungsformen objektiv sexueller körperlicher Spannungen bezieht. Durch die als Libido beschriebene Wahrnehmung dieser Körperspannungen gewinnen sie auch für das Subjekt einen sexuellen Charakter.

Anschrift Univ.-Prof. em. Dr. med. Siegfried Zepf

Narzissenstraße 5 66119 Saarbrücken E-Mail: [email protected]

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