Lebensstil und Wohnpräferenz in Graz. Eine Projektion auf den geplanten Stadtteil Graz-Reininghaus. Masterarbeit

June 7, 2017 | Author: Stephan Schwarzinger | Category: Die Soziale Stadt, Lifestyle, Lebensstil, Gentrifizierung, Sozialstruktur, Urbanisierung, Stadtforschung, Stadtsoziologie, Urban Life, Eigenlogik der Städte, Lifestyles and Behaviors, Stadtplanung, Verkehrsinfrastruktur, Quartiersentwicklung, Benachteiligte Stadtquartiere, Urban Lifestyle, Lebensstile, Urban Milieus, Lebensstilforschung, Lifestyle Groups, Urbanisierung, Stadtforschung, Stadtsoziologie, Urban Life, Eigenlogik der Städte, Lifestyles and Behaviors, Stadtplanung, Verkehrsinfrastruktur, Quartiersentwicklung, Benachteiligte Stadtquartiere, Urban Lifestyle, Lebensstile, Urban Milieus, Lebensstilforschung, Lifestyle Groups
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Stephan SCHWARZINGER

Lebensstil und Wohnpräferenz in Graz Eine Projektion auf den geplanten Stadtteil Graz-Reininghaus.

Masterarbeit Zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der Studienrichtung Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz

Betreuer: Ao. Univ.-Prof. Dr.phil. Franz Höllinger Institut für Soziologie Graz, Februar 2016

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum:

Unterschrift:

Inhalt ABBILDUNGEN ................................................................................................................................................ IV TABELLEN ........................................................................................................................................................ IV EINFÜHRENDES ZUR LEBENSSTILFORSCHUNG .................................................................................................. 1 ANNÄHERUNG AN DAS FORSCHUNGSTHEMA .................................................................................................. 3 GRAZ-REININGHAUS IM KONTEXT AKTUELLER STADTSOZIOLOGISCHER FORSCHUNG ...................................... 6 FESTLEGUNG DER FORSCHUNGSFRAGE ............................................................................................................ 7 ERHEBUNGSBEREICHE .................................................................................................................................... 11 KOMPLEX „WÜNSCHE UND ERFORDERNISSE“ .............................................................................................................. 12 Natur/Luftgüte/Ruhelage/Parks .................................................................................................................. 12 Alltagsmobilität (Arbeitsweg, ÖV, E-Mobility, Carsharing, Rad, Parken) ..................................................... 13 Gute Gegend/gehobenes soziales Umfeld .................................................................................................... 16 Kulturangebot und Sportmöglichkeiten ....................................................................................................... 17 Kinderbetreuung ........................................................................................................................................... 18 Nachhaltiger Konsum ................................................................................................................................... 19 KOMPLEX „ÄNGSTE UND BEDENKEN“ ........................................................................................................................ 22 Eigentum als Alternative zur Miete .............................................................................................................. 22 Neuer Stadtteil ............................................................................................................................................. 23 Pragmatische Bedenken (Baustellen) ........................................................................................................... 25 (Un-)Erwünschte Interaktion (Nachbarschaft) ............................................................................................. 26 Generationenfrage ....................................................................................................................................... 27 Nationalitäten und Kulturen ......................................................................................................................... 28 METHODISCHER ZUGANG .............................................................................................................................. 29 ERHEBUNGSINSTRUMENT .............................................................................................................................. 31 AUSWAHL EINES GEEIGNETEN MODELLS ..................................................................................................................... 31 SKALENBASIERTES MILIEU-MODELL NACH GUNNAR OTTE ............................................................................................. 37 OPERATIONALISIERUNG DER ERHEBUNGSBEREICHE ....................................................................................................... 44 HYPOTHESEN ZU DEN ERHEBUNGSDIMENSIONEN ......................................................................................... 50 HYPOTHESEN ZUM AUSSTATTUNGSNIVEAU ................................................................................................................. 51 HYPOTHESEN ZUR MODERNITÄT ............................................................................................................................... 55 HYPOTHESEN ZU KONSTELLATIONEN .......................................................................................................................... 57 EXPLORATIV ZU UNTERSUCHENDE ITEMS..................................................................................................................... 61 DATENERHEBUNG .......................................................................................................................................... 61 AUSWAHL DER ERHEBUNGSPOPULATION .................................................................................................................... 61

II

ERHEBUNGSMODUS ............................................................................................................................................... 62 FELDZUGANG ........................................................................................................................................................ 62 STATISTISCHE AUSWERTUNG ......................................................................................................................... 65 PLAUSIBILITÄTSKONTROLLE ...................................................................................................................................... 65 SOZIODEMOGRAPHIE .............................................................................................................................................. 66 ÜBERPRÜFUNG DES MILIEUMODELLS ............................................................................................................ 71 AUSSTATTUNGSNIVEAU ........................................................................................................................................... 71 MODERNITÄT........................................................................................................................................................ 73 VERTEILUNG DER BEFRAGTEN AUF DIE MILIEUS............................................................................................................ 74 SOZIODEMOGRAPHIE DER UNTERSUCHTEN MILIEUS ...................................................................................................... 75 HYPOTHESENPRÜFUNG UND DETAILANALYSE ............................................................................................... 77 WÜNSCHE UND ERFORDERNISSE ............................................................................................................................... 77 ÄNGSTE UND BEDENKEN ......................................................................................................................................... 95 EXPERIMENTELLES ITEM ........................................................................................................................................ 101 FAZIT ............................................................................................................................................................ 103 ERGEBNISÜBERBLICK............................................................................................................................................. 103 WOHNPRÄFERENZEN DER LEBENSSTILE .................................................................................................................... 106 KONSEQUENZEN FÜR GRAZ-REININGHAUS ................................................................................................................ 107 LITERATUR ................................................................................................................................................... 109 ANHANG – FRAGEBOGEN ............................................................................................................................. 112

III

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 - Quartiere und Eigentümer im Areal Graz-Reininghaus. ................................................... 4 Abbildung 2 - Quartiere 1 und 4a am Reininghaus-Areal. ...................................................................... 5 Abbildung 3 - Modal-Split in Graz nach Verkehrszweck 2013............................................................... 14 Abbildung 4 - Modal-Split in Graz nach Alter 2013 ............................................................................... 14 Abbildung 5 - Volksschulen in der Umgebung. Satellitenbild. .............................................................. 19 Abbildung 6 - Erlebnismilieus nach Gerhard Schulze ............................................................................ 35 Abbildung 7 - Lebensstiltypologie nach Gunnar Otte ........................................................................... 40 Abbildung 8 – Facebook-Gruppen zur Wohnungssuche ...................................................................... 63 Abbildung 9 - Altersverteilung der Befragten ....................................................................................... 66 Abbildung 10 - Familienstand der Befragten nach Geschlecht ............................................................. 69 Abbildung 11 – Höchster Bildungsabschluss der Befragten nach Geschlecht ...................................... 69 Abbildung 12 – Anteile Kinderzahlen nach Altersgruppen ................................................................... 70 Abbildung 13 - Antwortverteilung für das Item "Parkmöglichkeit für eigenen PKW" .......................... 88

Tabellenverzeichnis Tabelle 1 - Erhebungsbereiche .............................................................................................................. 11 Tabelle 2 - Ergebnisse unterschiedlicher Milieustudien. ...................................................................... 20 Tabelle 3 – Grazer Bevölkerung mit Hauptwohnsitz pro Bezirk (13.12.2015) ..................................... 29 Tabelle 4 - Milieuspezifische Varianten der Erlebnisorientierung. ....................................................... 34 Tabelle 5 Hypothetische Handlungslogiken der Lebensführungstypen ................................................ 41 Tabelle 6 Indikatoren für das "Niveau" der Lebensführung.................................................................. 43 Tabelle 7 Indikatoren der Dimension "Modernität/biographische Perspektive" ................................. 43 Tabelle 8 - Altersgruppen und Berufstätigkeit ...................................................................................... 67 Tabelle 9 – Durchschnittliche Kinderzahl nach Altersgruppen ............................................................. 70 Tabelle 10 – Varimax-Rotierte Komponentenmatrix der Skala "Ausstattungsniveau"......................... 71 Tabelle 11 - Korrelationen der Items zum "Ausstattungsniveau" ......................................................... 72 Tabelle 12 – Item-Skala-Statistik "Ausstattungsniveau" ....................................................................... 72 Tabelle 13 - Varimax-Rotierte Komponentenmatrix der Skala "Modernität" ....................................... 73 Tabelle 14 - Korrelationen der Items zur "Modernität" ........................................................................ 73 Tabelle 15 - Item-Skala-Statistik "Modernität" ..................................................................................... 74 Tabelle 16 - Verteilung der Befragten auf die Lebensstile .................................................................... 74 Tabelle 17 - Soziodemographie der Lebensstilgruppen ........................................................................ 76 Tabelle 18 – Häufigkeiten: Anzahl eigener Kinder ................................................................................ 77 Tabelle 19 – Varimax rotierte Hauptkomponentenmatrix "Natur" ...................................................... 78 Tabelle 20 - Subjektive Wichtigkeit der Dimension "Natur" nach Lebensstil ....................................... 78 Tabelle 21 – Mittelwertvergleich subjektiver Relevanz der Dimension Natur, teilmodern/modern ... 79 Tabelle 22 - Subjektive Wichtigkeit öffentlicher Parks nach Lebensstil ................................................ 79 Tabelle 23 - Mittelwertvergleich (Ausstattungsniveau) mittel/hoch, öffentliche Parks ....................... 80 Tabelle 24 - Mittelwertvergleich teilmodern/modern öffentliche Parks .............................................. 80 Tabelle 25 - Varimax rotierte Komponentenmatrix "Mobilität" ........................................................... 81 Tabelle 26 - Subjektive Wichtigkeit alternativer Formen von MIV nach Lebensstil.............................. 82 Tabelle 27 - Subjektive Wichtigkeit eines kurzen/schnellen Arbeitswegs nach Lebensstil .................. 83 IV

Tabelle 28 – Ausstattungsniveau und subjektive Wichtigkeit eines kurzen Arbeitswegs..................... 83 Tabelle 29 - Subjektive Wichtigkeit öffentlicher Verkehrsanbindung nach Lebensstil ......................... 84 Tabelle 30 – Relevanz öffentlicher Verkehrsanbindung, Unterhaltungssuchende/Übrige .................. 84 Tabelle 31 - Subjektive Wichtigkeit von Fahrradinfrastruktur nach Lebensstil .................................... 85 Tabelle 32 - Subjektive Wichtigkeit von Fahrradinfrastruktur, Ausstattungsniveau niedrig/Übrige .... 85 Tabelle 33 - Subjektive Wichtigkeit von Fahrradinfrastruktur, Reflexive und übrige Gruppen ............ 86 Tabelle 34 - Subjektive Wichtigkeit von Parkmöglichkeiten für den eigenen PKW nach Lebensstil .... 87 Tabelle 35 - Subjektive Wichtigkeit von Parkmöglichkeiten, teilmoderne/moderne Milieus .............. 87 Tabelle 36 - Subjektive Wichtigkeit von Parkmöglichkeiten, Heimzentrierte/Übrige .......................... 88 Tabelle 37 - Subjektive Wichtigkeit von Parkmöglichkeiten, Reflexive/Übrige .................................... 89 Tabelle 38 - Subjektive Wichtigkeit einer Lage in einer guten Gegend nach Lebensstil ....................... 90 Tabelle 39 - Subjektive Wichtigkeit einer "guten Gegend", niedriges/hohes Ausstattungsniveau ...... 90 Tabelle 40 - Subjektive Wichtigkeit kulturellen Angebots in der Nähe nach Lebensstil ....................... 91 Tabelle 41 - Subjektive Wichtigkeit kulturellen Angebots, ASN niedrig/mittel bzw. mittel/hoch ........ 92 Tabelle 42 - Subjektive Wichtigkeit kulturellen Angebots in der Nähe, teilmodern/modern .............. 92 Tabelle 43 - Subjektive Wichtigkeit von Sportmöglichkeiten in der Nähe nach Lebensstil .................. 93 Tabelle 44 - Subjektive Wichtigk. nachhaltigen Konsums in der Nähe nach Lebensstil ....................... 94 Tabelle 45 - Subjektive Wichtigkeit nachhaltigen Konsums, ASN niedrig/mittel bzw. mittel/hoch ..... 94 Tabelle 46 - Subjektive Wichtigkeit nachhaltigen Konsums in der Nähe, teilmodern/modern............ 95 Tabelle 47 - Wunsch eines Tages Eigentum erwerben zu wollen nach Lebensstil ............................... 96 Tabelle 48 – Wunsch nach Wohneigentum, Unterhaltungssuchende/Andere .................................... 96 Tabelle 49 - Alter und geplanter Eigentumserwerb, Unterhaltungssuchende und Übrige .................. 97 Tabelle 50 - Bedenken bezüglich dem Einzug in einen neuen Stadtteil nach Lebensstil ...................... 97 Tabelle 51 - Unerwünschtheit nachbarschaftlicher Interaktion nach Lebensstil .................................. 98 Tabelle 52 - Unerwünschtheit von Intergenerationalität nach Lebensstil ............................................ 99 Tabelle 53 - Ablehnung interkulturellen Zusammenlebens nach Lebensstil ........................................ 99 Tabelle 54 - Ablehnung interkult. Zusammenlebens nach ASN, niedrig/mittel bzw. mittel/hoch ..... 100 Tabelle 55 - Ausstattungsniveau und Ablehnung interkulturellen Zusammenlebens ........................ 100 Tabelle 56 - Ablehnung interkulturellen Zusammenlebens nach Modernität, mittel/hoch ............... 101 Tabelle 57 - Bedenken wegen beim Einzug nicht abgeschlossener Bauarbeiten nach Lebensstil...... 102 Tabelle 58 - Ergebnisse für die untersuchten Lebensstile................................................................... 106

V

Einführendes zur Lebensstilforschung Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sich in der Soziologie die Erkenntnis verbreitet, dass die Beschreibung von Bevölkerungsgruppen (bzw. deren Wertehaltungen und Vorlieben) auf der Grundlage soziodemographischer Merkmale häufig rasch an ihre Grenzen stößt. Während die Parameter „Alter“ und „Geschlecht“ beispielsweise eine problemlose Zuordnung von SchülerInnen zu entsprechenden Schulsport-Gruppen ermöglichen, treten schon bei der Frage nach „typischen“ FreizeitAktivitäten bestimmter Alterskohorten oder eines Geschlechts ernsthafte Probleme auf. Abgesehen von kollektiven Phänomenen in Form von besonderen Trends, die phasenweise eine Vielzahl Angehöriger bestimmter Altersgruppen einschließen, sind differenzierte Aussagen über die Präferenz- und Wertemuster einzelner Kollektive ausgesprochen schwierig. Die Lebensstilforschung nähert sich dieser Problematik auf folgendem Weg an: Man kategorisiert Menschen nicht primär auf Basis harter (soziodemographischer) Merkmale wie „Alter“, „Geschlecht“ oder „Bildungsabschluss“, sondern erhebt Einstellungen und Wertehaltungen und untersucht diese auf Regelmäßigkeiten, um Personengruppen (Milieus) mit ähnlichen Antwortprofilen zu finden. Diese können mit soziodemographischen Parametern korrelieren, müssen dies jedoch nicht zwingend. Ein inzwischen klassisches Beispiel für eine – von Parametern wie Alter oder Geschlecht weitgehend losgelöste – Form der Analyse von Lebensstilen ist das Kapitalmodell von Pierre Bourdieu. Dieses verortet Individuen in einem sozialen Raum, in welchem sich die soziale Lage einer Person durch das individuell vorhandene Verhältnis aus ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital definiert (Vgl. Bourdieu 1983: 183ff.). Anders als die Lebensstilforschung hat die Theorie hinter dem Kapitalbegriff von Bourdieu jedoch nicht das Hauptziel, Menschen anhand von Ähnlichkeiten im Bereich ihrer Vorlieben und Wertvorstellungen in Milieu- bzw. Lebensstilgruppen zu kategorisieren. Bei Bourdieu steht der Klassenbegriff im Zentrum und man unterscheidet für die jeweilige Kapitalform, in welchem Ausmaß diese beim zu beschreibenden Individuum vorhanden ist. Die Lebensstilforschung fokussiert hingegen auf die Erfassung und den Vergleich von grundsätzlichen Wertvorstellungen und Einstellungen hinsichtlich des eigenen Lebens. Zwar ist es in beiden Fällen möglich, die Position von Individuen in einem mehrdimensionalen Raum abzubilden und Personen mit ähnlichen Ausprägungen in Gruppen zusammenzufassen, allerdings eignen sich die dahinter stehenden Überlegungen für gänzlich unterschiedliche Bereiche. Bourdieu verfolgte demnach also ein Streben nach soziologischer Erkenntnis mit ökonomischem Einschlag. Das Erkenntnisziel in der Lebensstilforschung unterscheidet sich von jenem des Kapitalmodells daher wesentlich. Diese Unterscheidung begründet sich meiner Einschätzung nach aus folgenden Überlegungen:

1

Das Modell von Bourdieu fokussiert bei ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital (obwohl auch qualitative Beschreibungen und kulturelle Vorlieben Eingang finden) nicht unwesentlich auf die Abbildung der akkumulierten Menge und die Frage nach Transformationsmöglichkeiten zwischen diesen Kapitalformen (vgl. ebd.: 185ff.). Damit wohnt dieser Theorie stets eine – im ökonomischen Kontext ja durchaus übliche – ordinale Unterscheidung zwischen „viel“ und „wenig“ inne. Die Typologisierung im Rahmen von Lebensstilanalysen basiert zwar im Regelfall auch auf Unterschieden, dabei kommen jedoch Indikatoren für die Ausprägung von Werthaltungen und Einstellungen im Bereich der eigenen Lebensführung zum Einsatz. Der Fokus liegt in der Lebensstilforschung also primär auf Ähnlichkeiten und Unterschieden in den Einstellungsprofilen zur Verwendung der eigenen Ressourcen und nicht so sehr auf dem (ungleich verteilten) Verfügen und Transformieren dieser Ressourcen (Vgl. Otte 2005: 4). Doch worin findet diese Lebensstilforschung nun idealerweise Anwendung? Der potentielle Einsatzbereich der Lebensstilforschung erstreckt sich auf alle jene Fragestellungen, bei denen es sinnvoll erscheint, eine Grundgesamtheit von Individuen in eine überschaubare Anzahl von Kategorien einzuordnen, deren Angehörige sich hinsichtlich bestimmter Präferenzmuster besonders ähnlich sind. Auffallend gerne und häufig wurden diese „Milieu-Modelle“ in den letzten Jahren und Jahrzehnen außerhalb des wissenschaftlichen Bereichs in Marketingfragen eingesetzt. Dies dürfte unter anderem deshalb der Fall sein, weil sich die Ergebnisse aus solchen Erhebungen auch von sozialwissenschaftlich weniger versierten Personen relativ intuitiv interpretieren lassen. Die Möglichkeit einer auch visuell übersichtlichen Darstellung dürfte hierzu ebenfalls beitragen. An dieser Stelle sei stellvertretend für eine Vielzahl bekannter Lebensstil- bzw. Milieu-Typologien auf die (kommerziell) erfolgreichen „Sinus-Milieus“ verwiesen, die in der betriebswirtschaftlichen Praxis häufig eingesetzt werden (vgl.

http://www.sinus-institut.de/sinus-loesungen/sinus-milieus/,

19.8.2015).

Diese

Sinus-

Typologien stehen jedoch aufgrund ihrer methodischen Intransparenz, die ihren wissenschaftlich legitimen Einsatz weitgehend unterbinden, in der Kritik (vgl. Feist 2009: 136). Eine ausführliche Methodenreflexion mit einem Vergleich in Frage kommender Ansätze findet sich im diesbezüglichen Kapitel der vorliegenden Arbeit. Die Lebensstilforschung stellt also offensichtlich einen methodischen Bereich dar, der prinzipiell – abhängig von seiner konkreten Anwendung und Ausführung – wissenschaftlichen Standards entsprechen und zugleich empirisch fundierte Ergebnisse in einer (auch für Nicht-SozialwissenschaftlerInnen) verständlichen Form darstellen kann. Dieser Spagat gelingt beim Einsatz anderer Ansätze der Sozialstrukturanalyse oft deutlich schwerer. Die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an ein nichtwissenschaftliches Publikum stellt aus meiner Sicht eine wichtige Anforderung in der sozialwissenschaftlicher Forschung dar. Die Themenwahl für die gegenständliche Masterarbeit ermöglicht die 2

Verwendung eines Lebensstil-Ansatzes mit der Gelegenheit, bei der Präsentation der Ergebnisse auf die Vorzüge eines solchen Modells zu setzen.

Annäherung an das Forschungsthema Thematisch steht bei der vorliegenden Arbeit die Frage im Mittelpunkt, wie der persönliche Lebensstil und Wohnpräferenzen in Zusammenhang stehen. Diese Auswahl begründet sich einerseits in einer früheren Auseinandersetzung mit Pierre Bourdieus Analysen zum Einrichtungsgeschmack (vgl. Bourdieu 2010: 69ff.) in Abhängigkeit von der individuellen Schichtzugehörigkeit sowie andererseits im Wunsch, im Rahmen meiner Masterarbeit neben dem Qualifikationsaspekt einen praktischen Nutzen zu generieren. Im Zuge einiger Lehrveranstaltungen bat sich mir die Möglichkeit, mich mit der Stadtsoziologie im weiteren Sinne zu befassen, sodass die thematischen Eckpunkte „LebensraumLebensstil-Wohnen“ nicht allzu fern lagen. Aus den Medien war mir bekannt, dass in Graz im Laufe der nächsten Jahre ein Vorhaben umgesetzt werden soll, das sich möglicherweise für eine nähere Auseinandersetzung in Form einer Masterarbeit eignen würde. Im Folgenden möchte ich die Hintergründe dieses Projekts kurz umreißen.

Das Areal Graz-Reininghaus Im westlich der Mur gelegenen Teil der steirischen Landeshauptstadt Graz befindet sich in den Bezirken Eggenberg, Gries und Wetzelsdorf ein zum größten Teil unbebautes Areal mit einer Fläche von rund 54 Hektar. Zwischen 1853 und Mitte der 1940er Jahre wurde auf diesen Grundstücken und in den darauf errichteten Industriegebäuden vorwiegend Bier gebraut. Die Unternehmerfamilie Reininghaus emigrierte während der nationalsozialistischen Herrschaft, der Brauereibetrieb wurde 1944 durch das nationalsozialistische Regime mit der Brauerei Puntigam zwangsfusioniert. Nach der Rückkehr der Eigentümer wurden die Brauaktivitäten gänzlich nach Puntigam ausgelagert und am ursprünglichen Gelände verblieb nur ein stark reduzierter Teil der ursprünglichen Produktionsmittel. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden zunächst noch Likör, Hefe und Essig produziert, später – teilweise bis ins Jahr 2000 - stand das Areal als landwirtschaftliche Nutzfläche im Einsatz. Überlegungen bezüglich der Folgenutzung förderten zahlreiche, sehr verschiedenartige Vorschläge zutage. Zu einer Umsetzung eines Vorschlags kam es jedoch lange Zeit nicht. (Vgl. Werkstadt017: 7ff.) 2005 wurden die Reininghaus-Grundstücke von einem Grazer Unternehmer erworben. Dem Kauf sollte die Entwicklung eines neuen Stadtteils in Zusammenarbeit mit der Stadt Graz folgen, was jedoch

zunächst

aufgrund

nicht

vorgenommener

Umwidmungen

http://www.falter.at/falter/2014/02/18/der-koenig-im-luftschloss/, 13.6.2015)

3

ausblieb.

(Vgl.

Im Jahr 2012 wurden die Grazer BürgerInnen zwischen im Zuge einer BürgerInnenbefragung über einen möglichen Ankauf des „Reininghaus-Areals“ durch die Stadt Graz zum Zweck einer selbstinitiierten Stadtteilentwicklung befragt. 67,67 Prozent der 70.593 teilnehmenden Personen stimmten letztlich gegen den Ankauf der Fläche durch die Stadt Graz (vgl. http://steiermark.orf.at/ news/stories/2541654, 13.6.2015). Das leerstehende Industrie- und Brachland wurde daraufhin parzelliert und an private Investoren verkauft. Die Aufteilung des Areals und die jeweils neuen Eigentümer der resultierenden Quartiere (der Quartiersbegriff wird später noch diskutiert) sind in Abbildung 1 ersichtlich.

Abbildung 1 - Quartiere und Eigentümer im Areal Graz-Reininghaus. Quelle: Exposé Erber

Drei der im Zuge dieser Aufteilung entstandenen Quartiere, nämlich die nördlich gelegenen (Q1, Q4a, Q5), auf denen teilweise unter historischem Denkmalschutz stehende Altbestände aus der industriellen Nutzung dieser Flächen zu finden sind, wurden von der Grazer Erber-Gruppe gekauft. Diese hat im Rahmen eines ausgeschriebenen Wettbewerbs ein in Graz ansässiges Architekturbüro auserkoren, Konzeption, Design und Planung eines zeitgemäßen und für zukünftig möglicherweise erforderlich werdende Modifikationen möglichst gut adaptierbaren Bauprojekts im Bereich der Quartiere 1 und 4a durchzuführen (vgl. Erber Exposé 2015: 17). Da dieses Vorhaben das erste ist, das auf den Reininghaus-Gründen umgesetzt werden soll, spielt es für die öffentliche Wahrnehmung des Stadtteils „Graz-Reininghaus“ eine wesentliche Rolle. Daher ist es naheliegend, sich mit der Zukunft dieser bei-

4

den Quartiere im Besonderen und dem geplanten Stadtteil im Allgemeinen genauer auseinanderzusetzen.

Abbildung 2 - Quartiere 1 und 4a am Reininghaus-Areal. Satellitenbild: © Google Kartendaten 2015.

Abb. 2 zeigt die Lage der im Rahmen dieser Arbeit thematisierten Flächen, die Quartiere 1 und 4a. Nördlich des Areals verläuft die Reininghausstraße, auf der östlichen Seite wird das Quartier 1 durch die Alte Poststraße begrenzt. Die in der Abbildung ersichtlichen, bestehenden Bauwerke sollen teilweise erhalten und in modifizierter Form weiterverwendet werden. An dieser Stelle sei auf die Besonderheiten bei der hier etwas ungewöhnlichen Verwendung des Quartierbegriffs hingewiesen. Der Begriff „Quartier“ wird im stadtsoziologischen Kontext üblicherweise als Synonym für die Mesoebene im städtischen Raum verwendet. Die damit gekennzeichneten (geographischen) Teilgebiete im urbanen Bereich stellen dabei jene Umgebung dar, auf der sich sozialer Wandel und die Veränderung von Lebensstilen letzten Endes abzeichnen. Die Stadtforschung versteht die Betrachtung auf Quartiers-Ebene daher als Möglichkeit zur unmittelbaren Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklung an konkreten Orten im städtischen Umfeld (Vgl. Frey 2012: 509). Die Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit der bloßen Aufteilung der zur Verfügung stehenden Flächen ist also nicht ganz treffend. Dass die (willkürlich) getroffene Aufteilung des Areals in „Quartiere“ letztlich (also nach Abschluss der Bauphase) einer Unterteilung im Sinne des soziologischen Quartiersbegriffs entsprechen wird, erscheint daher unwahrscheinlich. Die Bezeichnung gegenwärtig leerer Flächenstücke als „Quartiere“ wirkt also – aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive – 5

fragwürdig. Das diesbezügliche Begriffsverständnis ist auf Seiten der Reininghaus-AkteurInnen jedoch dem Anschein nach von einer eher technisch-materiellen Interpretation von „Raum“ geprägt. Dieses rationalistische Raumverständnis wird auch von Oliver Frey thematisiert, der sich dabei kontrastierend auf die Wechselbeziehung zwischen Orten und Individuen nach Peter Noller bezieht: „In den Disziplinen Städtebau, Architektur und Raumplanung ist zumeist die Vorstellung von ‚objektiven‘ Räumen vorherrschend, die sich objektiv vermessen lassen und die materiell-objektiv relationierbar sind. Der öffentliche Raum wird dabei als neutrales Gefäß konzipiert, das materielle, körperliche Objekte in sich aufnimmt, deren Einzug bzw. Inkorporation zu einer Umwidmung des Raums führt. Die jeweilige Infrastruktur oder Gebäudestruktur in einem bestimmten Stadtquartier wird unter dem Aspekt der meist quantitativ messbaren Ausprägungen wie Dichte oder Häufigkeit gesehen. […] Fragt man aber nach den Wahrnehmungs-, Deutungs- und Aneignungsstrategien städtischer Milieus, so steht die Konstruktionsleistung des sozialen Akteurs bei der Gestaltung des Raumes im Vordergrund. Das theoretische Raumkonzept von Milieus zieht in Betracht, dass Räume kontextabhängig konstruiert werden. Kontextabhängig meint, dass die Sinnzusammenhänge im lokalen Kontext mit jeweils spezifischen institutionellen Kulturen, Normen und Arbeitsabläufen stehen. Auch die Werthaltungen, der Habitus und die sozialstrukturellen Merkmale innerhalb unterschiedlicher städtischer Milieus bestimmen die Konstruktionsleistung mit. Die Sichtweise der Individuen auf Räume unterscheidet sich nach Milieu-, Geschlechts- oder Kohortenzugehörigkeit.“ (Frey 2012: 510) Hieraus wird besonders gut ersichtlich, welcher Nutzen sich aus einer milieu- bzw. lebensstiltheoretischen Forschungsarbeit im Kontext des Vorhabens „Graz-Reininghaus“ ergibt: Mit einer Untersuchung der Milieuabhängigkeit von Bewertungen und Prioritäten kann ermittelt werden, wie stark sich die Anforderungen an die eigene Wohnumgebung in unterschiedlichen Lebensstilgruppen voneinander unterscheiden. Daraus gewonnene Ergebnisse können als Ergänzung zu ihrem sozialwissenschaftlichen Nutzen auch im außerwissenschaftlichen Bereich von Bedeutung sein.

Graz-Reininghaus im Kontext aktueller stadtsoziologischer Forschung Der „Stadtteil Reininghaus“ unterscheidet sich aus mehreren Gründen wesentlich von den meisten bekannt gewordenen Projekten, die im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte zur Umsetzung gebracht und von der Urbanistik intensiv diskutiert wurden. Die wesentlichsten Unterschiede und daraus resultierende Implikationen aus stadtsoziologischer Sicht werden nachfolgend behandelt.

Gentrifizierung versus Nutzbarmachung Der hier beleuchtete Stadtteil entsteht auf einer bis dato weitgehend unbebauten und nur sporadisch landwirtschaftlich genutzten Fläche. Aus diesem Grund unterscheidet sich das Vorhaben ele6

mentar von Projekten, wie etwa jenem der Londoner „Docklands“, bei dem berechtigt von „Gentrifizierung“ – inklusive aller positiven und negativen Nebeneffekte – gesprochen werden kann (vgl.: Butler 2007: 761). Denn – so stellen Jörg Rössel und Michael Hoelscher in ihrer Arbeit zu Lebensstil und Wohnstandortwahl fest: „Unter Gentrifizierung wird eine soziale und bauliche Aufwertung

von Stadtteilen verstanden (für Definitionen: Zukin 1989; Dangschat und Blasius 1990; Friedrichs 1998). Diese findet typischerweise in innerstädtisch gelegenen Altbauquartieren mit einem gründerzeitlichen Baubestand und niedrigen Mieten statt, die vor Beginn des Prozesses häufig eine sozial schwache Bevölkerung aus Arbeitern, Ausländern und Älteren aufweisen. Im Prozess der Gentrifizierung drängen sukzessive Gruppen von neuen Bewohnern in das Viertel ein. Handelt es sich im ersten Schritt um Personengruppen wie Künstler und Studenten auf der Suche nach günstigem und attraktivem Wohnraum, so folgen im zweiten Schritt besserverdienende Bevölkerungsgruppen mit urbanen Lebensstilen und Haushaltsformen, also häufig unverheiratet zusammenlebende Paare ohne Kinder, die einen innerstädtischen Lebensstil pflegen wollen.“ (Rössel/Hölscher 2012: 306f.) Mit dem Projekt „Graz-Reininghaus“ findet also kein Prozess statt, der in seiner Systematik der Definition einer Gentrifizierung nahe kommen würde. Stattdessen wird das Areal für eine neue Art der Verwendung – mit dem Hauptziel einer Schaffung von Wohnraum – nutzbar gemacht. Daraus ergibt sich das Problem, dass nur in sehr beschränktem Maße auf vorliegende Erkenntnisse bereits umgesetzter Projekte und diesbezüglicher Forschungsarbeiten zurückgegriffen werden kann. Das Vorhaben auf dem Reininghaus-Areal wird zwangsweise einer anderen Ablauflogik

folgen,

als

dies

von

Stadtteilprojekten

mit

Revitalisierungs-

und

(Wieder-)

Aufwertungsbestrebungen bekannt ist. Der Sinn einer empirischen Untersuchung auf Lebensstilbasis wird also auch auf Grundlage dieser Überlegungen klar.

Festlegung der Forschungsfrage Auf den Reininghaus-Quartieren 1 und 4a sind Häuser mit Wohn- und Geschäftsflächen geplant, die im Eigentum des Unternehmens verbleiben und vermietet werden sollen. Im Zuge der Planung wurde von der Firma Erber als Ziel definiert, auf den Reininghaus-Grundstücken nach und nach einen „neuen Stadtteil“ entstehen zu lassen, der weitgehend eigenständig funktionieren kann. Den BewohnerInnen solle darin – im Gegensatz zu einem reinen Wohnbauprojekt - nicht nur das Wohnen selbst ermöglicht werden, sondern man strebe an, eine funktional sinnvolle Infrastruktur entstehen zu lassen, die neben Freizeit- und Kulturaktivitäten sowie Konsumangeboten auch Raum für die berufliche Entfaltung in Form von Büroräumlichkeiten biete (vgl. Erber Exposé: 12). Die Zielsetzung von 7

Seiten des Unternehmens umfasst zusätzlich jene Punkte, die im Folgenden vorgestellt werden und Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind.

Anforderungen an die Sozialstruktur In Gesprächen mit Vertretern des Unternehmens wurde von deren Seite das Ziel kommuniziert, als BewohnerInnen derart unterschiedliche Menschen zu gewinnen, dass sich eine heterogene Zusammensetzung von Lebensstilen im neuen Stadtteil etabliert und nicht etwa eine bestimmte Personengruppe oder ein bestimmtes Milieu mit einem so großen Anteil vertreten ist, der erwarten ließe, dass sich im gesellschaftlichen Diskurs schnell ein diesbezügliches Vorurteil manifestiert. Erreicht werden soll demnach also eine sozialstrukturelle Zusammensetzung, die eine längerfristige Attraktivität des neuen Stadtteils für eine Vielzahl an Personen (und Lebensstilen) ermöglicht. Zugleich soll das externe Meinungsbild nach Möglichkeit nicht durch eine starke Überrepräsentation eines bestimmten BewohnerInnen-Milieus geprägt sein. So wären beispielsweise die nachfolgend geschilderten Entwicklungen – sowohl für die Stadt Graz als auch für das investierende Unternehmen – nicht wünschenswert: Es wäre beispielsweise vorstellbar, dass ein neu entstehender Stadtteil zu Beginn in erster Linie experimentierfreudige, junge Menschen einer bestimmten Einkommens- und Bildungsschicht anspricht und es durch einen solchen einseitigen „Startimpuls“ zu einer sehr selektiven öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion kommt, was das Projekt für andere Bevölkerungsgruppen in weiterer Folge an Attraktivität verlieren lässt. Ebenso problematisch wäre auch ein Phänomen, das in der Vergangenheit bei reinen Wohnbauprojekten teilweise beobachtet werden konnte: Die hauptsächliche Ansiedlung von Jungfamilien mit einem oder mehreren Kindern in ähnlichem Alter. Mit dem Erreichen des Jugendalters dieser Kinder wurden dort beispielsweise zu Beginn noch dringend erforderliche Kinderbetreuungseinrichtungen plötzlich obsolet. Für den Bau oder die Einrichtung von Schulen fehlten räumliche, zeitliche oder finanzielle Ressourcen. Spielplätze wurden nicht mehr in der ursprünglich angedachten Form genutzt, sondern entwickelten sich zu funktional beschränkten Jugendtreffpunkten. Einige Jahre später – mit dem sukzessiven Wegzug der Kinder – bleibt in solchen Fällen eine Elterngeneration mittleren Alters in einem Wohnareal zurück, das nicht mehr in der ursprünglich gedachten Form genutzt und bewohnt wird und damit an Lebhaftigkeit verliert. Diese und ähnliche Entwicklungen stellen Faktoren dar, die den äußeren Eindruck und den Meinungsbildungsprozess wesentlich beeinflussen können. Die rein logische Schlüssigkeit der hier beschriebenen Befürchtungen scheint (nicht zuletzt aufgrund ihres immer wieder zu beobachtenden Auftretens) gegeben. Allerdings lässt sich zumindest für den zweiten Fall relativ rasch klären, ob eine Entwicklung dieser Art beim geplanten Projekt überhaupt 8

wahrscheinlich ist. Aufgrund der Tatsache, dass die Wohnungen der Quartiere 1 und 4a nicht verkauft, sondern lediglich vermietet werden sollen, erscheint das angesprochene Jungfamilienszenario in der beschriebenen Form als nicht unmittelbar naheliegend. Die Zeitpunkte der „Familiengründung“ und des Erwerbs von Wohneigentum liegen alleine schon aufgrund biographischer Faktoren häufig nahe beieinander. Zusätzlich impliziert der Kauf einer Immobilie häufig eine längere Bindung an den damit verbundenen Wohnort (diese Form der Verbindlichkeit wird im Laufe der vorliegenden Arbeit noch mehrmals eine Rolle spielen). Diese beiden Punkte sind dem Vernehmen nach mit dem Einzug in eine Mietwohnung wesentlich weniger eng verknüpft. Eine der oben genannten Befürchtung entsprechende Entwicklung erscheint also schon aus diesen beiden Gründen als eher unwahrscheinlich. Trotzdem ist es natürlich legitim, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie attraktiv „Graz-Reininghaus“ in der angedachten Form von potentiellen InteressentInnen (auch in Bezug auf andere Gegebenheiten) wahrgenommen wird und welche Präferenzen oder Bedenken für verschiedene Lebensstilgruppen charakteristisch sind. Auf diese Art kann ein Eindruck davon gewonnen werden, wie gut die jeweils geplanten Quartiere den Geschmack (bzw. die grundsätzlichen Anforderungen und Wünsche) der einzelnen sozialen Milieus treffen und in welchen Bereichen unter Umständen nachgebessert werden muss, um die angestrebte Vielfalt unter den BewohnerInnen fördern zu können.

Zukunftsorientierte Stadtteilentwicklung Geht man von einem exemplarischen Wohnbauprojekt aus, das – wie zuvor kurz umrissen – speziell für eine bestimmte Nutzungsform oder NutzerInnentypologie ausgelegt ist, so ergibt sich daraus folgendes, naheliegendes Problem: Die Dauer eines von möglichst vielen sozialen Gruppen geteilten Attraktivitätsempfindens entspricht beispielsweise im angesprochenen „Jungfamilienszenario“ einem relativ eng gesteckten Zeitrahmen. Dieser wird dabei hauptsächlich von biologischen und in der Sozialisation liegenden Faktoren determiniert. Wenn aber ein Stadtteil, der sich zu einem längerfristig attraktiven und integrativen Teil einer Stadt entwickeln soll, von Grund auf geplant wird, muss ein Szenario, in dem „Graz-Reininghaus“ für die Grazerinnen und Grazer nur vorübergehend als attraktive Wohnoption gilt, möglichst vermieden werden. Ein zeitnaher Attraktivitätsverlust des neu entstehenden Stadtteils „Graz Reininghaus“ wäre nicht nur aus ökonomischer Sicht für die dort investierenden Unternehmen problematisch, sondern im Besonderen hinsichtlich sinnvoller Raumnutzung und zukunftsorientierter Stadtentwicklung ein nur schwer wieder auszugleichender Einschnitt. Es sollte daher möglichst frühzeitig in Erfahrung gebracht werden, wie sehr die geplanten Rahmenbedingungen Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen ansprechen und ob die angestrebte Konstellation möglicherweise nur wenigen abgrenzbaren Gruppen attraktiv erscheint.

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Wie eng die Verknüpfung zwischen Lebensstil und gewünschter Wohnumgebung tatsächlich sein kann, haben Rössel und Hoelscher treffend formuliert:

„So wie ein heimzentrierter Lebensstil das eigene Haus mit Garten und Werkstatt benötigt, kann ein urbaner Lebensstil, der auf die Nutzung städtischer kultureller Einrichtungen und gastronomischer Betriebe ausgerichtet ist, nur in innerstädtischen Quartieren gelebt werden.“ (Rössel/Hölscher 2012: 307.)

Erkenntnisziele Im Zentrum des Vorhabens steht die Erforschung milieu- bzw. lebensstilspezifischer Vorlieben und Abneigungen in Bezug auf die eigene Wohnumgebung. Die Erhebung dieser Parameter muss im selben räumlichen Bezugsrahmen (in diesem Fall die Stadt Graz) geschehen, in dem später auch der öffentliche Diskurs sowie Meinungsbildungs- und Aushandlungsprozesse stattfinden werden. Hierzu sei auf den Eigenlogik-Begriff verwiesen, der von Martina Löw entwickelt wurde und davon ausgeht, dass Städte höchst individuellen Deutungsmustern und Praktiken der Sinnzuschreibung folgen (vgl. Löw 2008: 19f.). Zwar befinden sich diesen Bewertungs- und Deutungslogiken zugrunde liegende Mechanismen – speziell im Hinblick auf ein noch in der Zukunft liegendes Stadtteilprojekt – im Regelfall außerhalb des für die Forschung Zugänglichen, jedoch steht dies mit dem gegenständlichen Forschungsprozess nicht im Widerspruch. Das Erkenntnisziel ist schließlich keine Prognose zukünftiger Entwicklungen, sondern eine Momentaufnahme. Aufgrund der bereits abgeschlossenen Planungsphase im Sinne architektonischer und gestalterischer Variablen zielt diese Arbeit darauf ab, die lebensstilspezifischen Präferenzen und Ängste der GrazerInnen im Hinblick auf für die ersten beiden Quartiere besonders charakteristische Parameter zu betrachten. Es handelt sich also nicht um eine Bedarfsanalyse, sondern um eine Untersuchung milieuspezifischer Vorlieben (sowie Befürchtungen) im Wohnbereich mit Fokus auf die geplanten Rahmenbedingungen in „Graz-Reininghaus“. Als Grundgesamtheit für die Untersuchung wurde – dem oben erwähnten Eigenlogik-Begriff folgend – die Wohnbevölkerung der Stadt Graz und des Bezirks Graz-Umgebung ausgewählt. Diese Festlegung begründet sich in der Überlegung, dass der Ruf des „Stadtteils Reininghaus“ aller Voraussicht nach maßgeblich in Graz selbst geprägt werden wird. Eine Erhebung unter BewohnerInnen des Großraums Graz verspricht daher wertvollere Erkenntnisse, als eine Untersuchung mit einem geographisch sehr weiten Einzugsgebiet, bei der zu einem großen Teil Personen befragt werden würden, die keinen Bezug zur Stadt Graz haben.

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Der methodische Rahmen (eine lebensstiltheoretische Studie) wurde gewählt, um Ergebnisse in einer Form zu generieren, die auch für Personen ohne soziologisches Vorwissen einigermaßen verständlich ist. Im Zuge von Vorgesprächen wurde ich über die Besonderheiten des Reininghaus-Projekts und daraus resultierende Unklarheiten unterrichtet. Unter Berücksichtigung theoretischer und methodischer Möglichkeiten (bzw. fachlicher Kompatibilität), sowie zeitlicher und personeller Ressourcen wurden dann in mehreren Schritten jene Fragestellungen zu thematischen Bündeln verdichtet, die sich für eine milieu- bzw. lebensstiltheoretische Herangehensweise besonders eignen. Die nun im Mittelpunkt stehenden Themenkomplexe sowie daraus abgeleitete Forschungsfragen werden im Folgenden erläutert.

Erhebungsbereiche Das Erkenntnisinteresse lässt sich am besten unter Bearbeitung jener Fragestellungen bedienen, die die Einstellungen gegenüber Rahmenbedingungen erfassen, die in „Graz-Reininghaus“ aus jetziger Sicht eine nicht ganz alltägliche Form annehmen werden. Aus diesem Grund fiel die Wahl auf die nachfolgend aufgelisteten und beschriebenen Themenkomplexe, die sich in die Kategorien „Wünsche und Erfordernisse“ bzw. „Ängste und Bedenken“ gliedern. Allen thematischen Punkten gemein ist ihr zentraler Fokus auf eine vermutete Abhängigkeit der jeweiligen Ausprägungsstärke von der Milieubzw. Lebensstilgruppenzugehörigkeit der befragten Personen. Die Verwendung des Lebensstils als unabhängige Variable soll eine gezielte Diskussion der Erkenntnisse auf einer fundierten empirischen Basis ermöglichen. Tabelle 1 - Erhebungsbereiche

Komplex „Wünsche und Erfordernisse“

Komplex „Ängste und Bedenken“

Inwieweit sind besondere Wünsche oder Erfor- Inwieweit sind Ängste und Bedenken hinsichtlich dernisse in Bezug auf eine Mietwohnung milieu- der Mietwohnungs-Wahl milieu- bzw. lebensbzw. lebensstilgruppenabhängig?       

stilgruppenabhängig?      

Natur/Luftgüte/Ruhelage/öffentl. Parks Alltagsmobilität (Arbeitsweg, ÖV, EMobility, Carsharing, Rad, Parken) Gehobenes soziales Umfeld Kulturangebot Sportmöglichkeiten Kinderbetreuungsangebot Nachhaltiger Konsum (Bio, Regionales) 11

Eigentum als Alternative zur Miete Unbekanntes Terrain (neuer Stadtteil) Pragmatische Bedenken (Baustellen) (Un-)Erwünschte Interaktion (Nachbarn) Generationenfrage Nationalitäten & Kulturen

Komplex „Wünsche und Erfordernisse“ Es erscheint naheliegend, dass Wünsche an die eigene (bzw. zukünftige) Wohnumgebung stark von Lebensstilparametern und damit häufig eng verknüpften Wertvorstellungen abhängig sind. Die einzelnen Punkte des Komplexes umfassen jene Eigenschaften eines Wohn(ungs)-Umfeldes, die beim „Reininghaus-Projekt“ als besonders beachtenswert erscheinen. Natur/Luftgüte/Ruhelage/Parks Für das Projekt „Graz-Reininghaus“ spielen Einstellungsdifferenzen hinsichtlich der subjektiv empfundenen Wichtigkeit von lokalen Gegebenheiten wie der „Nähe zur Natur“ (in Form von Wäldern und Wiesen, aber auch in Form von urbanen, öffentlichen Parks), der Luftgüte oder Abwesenheit von akustischen Beeinträchtigungen eine wesentliche Rolle. Dies erscheint speziell nach einem ersten Blick auf die lokalen Rahmenbedingungen naheliegend. Das zu bebauende Areal befindet sich in einer Umgebung, die in erster Linie von industriellen und gewerblichen Elementen geprägt ist. Auch der von der Stadt Graz in Auftrag gegebene Rahmenplan zu „Graz-Reininghaus“ gibt zu bedenken, dass das gewerblich geprägte Umfeld des Areals gewisse Einschränkungen impliziert: „Im Norden und Osten angrenzend an das Planungsgebiet befinden sich Kerngebiets- bzw. Gewerbeund Industriegebietszonen, im Süden und Westen im Wesentlichen Wohngebiete. Neben den betrieblichen Immissionen stellen Brunnenschutzgebiete und ein Seveso-Schutzgebiet als wesentliche Nutzungsbeschränkungen dar. Das Planungsgebiet wird von der ÖBB- Südbahn-Linie, der GKB-Trasse begrenzt und von stark befahrenen Landesstraßen gekreuzt. Aufgrund dieser Verkehrsinfrastrukturen, aber auch bestehender betrieblicher Nutzungen, liegen teilweise hohe Immissionsbelastungen vor, die in den weiteren Planungen berücksichtigt werden müssen.“ (Rahmenplan Graz-Reininghaus: 10) Auch eine von der Stadt Graz im Jahr 2013 durchgeführte Erhebung zur subjektiven Lebensqualität weist die Umgebung des Reininghaus-Areals als Gebiet mit „großem Handlungsbedarf“ in Sachen Umweltqualität

aus

(vgl.

http://www1.graz.at/statistik/LQI_2013/Brosch%C3%BCre_00.pdf,

30.11.2015) In Anbetracht dieser recht hohen Industrie- und Gewerbedichte in unmittelbarer Umgebung der Reininghaus-Gründe und der hier vermehrt behandelten Quartiere wird die Notwendigkeit einer diesbezüglichen Bedarfs- und Einstellungserhebung unter potentiellen zukünftigen BewohnerInnen offensichtlich. Personen mit einer erhöhten Neigung zu Aktivitäten in der Natur und dem Aufenthalt in Parks und Gärten werden möglicherweise vor der Entscheidung zurückschrecken, sich in einem neu entstehenden Stadtteil in einer eigentlich industriell geprägten Umgebung anzusiedeln, wenn ihnen

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nicht bekannt ist, ob und welche Möglichkeiten für Outdoor-Aktivitäten dort vorzufinden sein werden bzw. ob es überhaupt Grünanlagen in einem nennenswerten Ausmaß geben wird. Hinsichtlich der auf dem Areal vorherrschenden Luftgüte liegen derzeit keine expliziten Daten vor, es wäre theoretisch nur möglich, näherungsweise Mittelwerte aus den umliegenden Luft-Messstationen „Graz West“, „Graz Mitte“ und „Graz Don Bosco“ (vgl. http://www.umwelt.graz.at/cms/ beitrag/10085082/4849446/, 29.7.2015) zu errechnen. Die Berechnung eines solchen Wertes erscheint aber aufgrund spezifischer geographischer, meteorologischer und verkehrstechnischer Einflüsse an den jeweiligen Messpositionen als wenig aussagekräftig. Im Kontext des gegenständlichen Projekts relevanter als tatsächliche Messwerte erscheint jedoch ohnehin die subjektive Relevanz der Luftgüte in Entscheidungsprozessen für potentielle MieterInnen. Die Präsenz zahlreicher Industrieund Gewerbebetriebe in der unmittelbaren Umgebung der für die Errichtung des geplanten Stadtteils vorgesehenen Flächen rückt die Luftgütethematik möglicherweise ohnehin in ein sehr selektiv geprägtes Wahrnehmungsbild. Eine visuelle und akustische Konfrontation mit Industrieanlagen könnte die subjektiv empfundene Wahrnehmungsintensität verstärken und so – völlig unabhängig von tatsächlichen Messwerten – in einer intensiven und von persönlichen Empfindungen beeinflussten Diskussion um die Luftgüte im Reininghaus-Areal münden. Was das Stichwort „Ruhelage“ betrifft, so bezieht sich die Fragestellung primär auf die damit verknüpfte akustische Komponente. Das Reininghaus-Gelände selbst ist mit über 54 Hektar derzeit noch unbebauter Fläche von einiger Größe, weshalb speziell in Bezug auf mögliche Einschränkungen der Lebensqualität durch Lärm nicht pauschal vom gesamten Areal gesprochen werden kann, sondern eigentlich die einzelnen Quartiere individuell betrachtet werden müssten. Teilweise wäre es wohl erforderlich, sogar innerhalb einzelner Quartiere zu differenzieren, da aufgrund baulicher Gegebenheiten nicht von einer gleichförmigen Lärmbelastung ausgegangen werden kann. Zudem ist die effektive Lärmbelastung im Endstadium des alle Quartiere umfassenden (Gesamt-)Bauprojekts zum derzeitigen Zeitpunkt de facto nicht abschätz- oder berechenbar. Diese wird sich selbst nach Fertigstellung in Abhängigkeit vom Wachstumsstand der Bepflanzung und der Detailgestaltung bzw. Nutzungsart des öffentlichen Raumes noch verändern. Auch in diesem Punkt steht also nicht die Einstellung gegenüber einem hypothetischen Geräuschpegel zum Zeitpunkt „X“ im Zentrum des Interesses, sondern die subjektive Wichtigkeit geringer Lärmbelastung in der Wohnumgebung. Alltagsmobilität (Arbeitsweg, ÖV, E-Mobility, Carsharing, Rad, Parken) In Sachen Verkehrsanbindung pflegt es die auf den Quartieren 1 und 4a bauende Erber-Gruppe, besonders auf die diesbezüglichen Besonderheiten in der Planung hinzuweisen. Dabei ergibt sich jedoch zumindest ein recht offensichtlicher Interessenskonflikt. So sollen ausschließlich unterirdische Parkmöglichkeiten angeboten werden, um einen „nahezu autofreien Stadtteil“ zu realisieren, in dem „nur 13

der nötigste Individualverkehr“ unterwegs sein wird. Gleichzeitig wird aber auf die „systembedingte Limitiertheit“ von Abstellplätzen für PKW hingewiesen, die „ein hohes Maß an Begehrlichkeit“ schafft und Parkplätze zu einem „seltenen Gut“ bzw. „begehrten Gut“ werden lässt, mit dessen Verkauf oder Vermietung „dementsprechende Preise“ zu erzielen sein werden. (Vgl. Exposé Erber: 40ff.) Laut Aussagen des Unternehmens wurde bei der Planung das Ziel verfolgt, die Wege der BewohnerInnen möglichst kurz zu halten und eigene Ladestationen für E-Autos, E-Scooter sowie eigene Abstellbereiche für Fahrräder einzurichten. Zusätzlich würde angestrebt, die Tiefgaragen bzw. die darin vorhandenen Stellplätze mehrfach zu nutzen, nämlich sowohl Nachts durch Personen, die mit dem Auto zu einer Arbeitsstelle außerhalb des Reininghaus-Areals fahren, als auch tagsüber durch Personen, die mit dem PKW nach „Graz-Reininghaus“ kommen, um dort zu arbeiten (Vgl. ebd.). Die Ankündigung und der (teilweise offiziell auferlegte – vgl. Rahmenplan Graz-Reininghaus: 17ff.) Plan, einen Stadtteil errichten zu wollen, in dem der Autoverkehr nur eine untergeordnete Rolle spielt, erscheint im Kontext der in Graz ohnehin vieldiskutierten Luftgütethematik als sinnvoll und (abgesehen vom oben angesprochenen Widerspruch) logisch. Für Maßnahmen, die zu einer Reduktion des Autoverkehrs beitragen, spricht auch die gegenwärtige Ausprägung des Modal-Splits für die Grazer Wohnbevölkerung (Abb. 3). Der motorisierte Individualverkehr ist in praktisch allen Bereichen dominant. Der Ausbildungs-Pendlerverkehr umfasst auch jene zum Teil jungen Personen (Abb.4), die entweder noch keinen Führerschein besitzen oder keinen PKW zur Verfügung haben.

Abbildung 3 - Modal-Split in Graz nach Verkehrszweck 2013, Grafik: ZIS+P, Quelle: http://www.graz.at/cms/beitrag/ 10192604/4438856#7 (15.1.2016)

Abbildung 4 - Modal-Split in Graz nach Alter 2013, Quelle: ebd.

Die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr soll laut einer unternehmenseigenen Veröffentlichung in „Graz-Reininghaus“ zukünftig in Form einer eigenen Straßenbahntrasse erfolgen (vgl. Exposé Erber: 47). Gerechnet wird laut Aussage des Unternehmens mit einer Straßenbahnanbindung um das Jahr 2019. Zwischen dem Einzug der ersten BewohnerInnen und der Inbetriebnahme der Straßenbahnverlängerung solle eine Busverbindung eingerichtet werden.

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Für den Fuß- und Radverkehr soll innerhalb des Reininghaus-Areals ein Netz an Fuß- und Radwegen zur Verfügung gestellt werden, das auch Anschluss an außerhalb des Projekts liegende Wege und Strecken bietet. Pro 30 Quadratmeter Wohnfläche müssen mindestens 4 Fahrradabstellplätze errichtet werden (vgl. ebd.). Diese Verpflichtung deckt sich grundsätzlich mit dem Vorhaben, den neu entstehenden Stadtteil bzw. die Quartiere möglichst so zu gestalten, dass die Autonutzung weder im Vordergrund steht, noch für einen großen Teil der BewohnerInnen zwingend erforderlich ist. Im Sinne des Erkenntnisinteresses von großer Bedeutung ist die Frage, wie gut diese Eigenart des Reininghaus-Projekts bezüglich der Verkehrsmittelpriorität mit den Einstellungsparametern der jeweiligen Lebensstiltypen harmoniert. Was den Arbeitsweg, also die Fahrt (oder wohl seltener den Fußweg) zwischen Arbeitsplatz und Wohnort betrifft, ist es erforderlich, im Stadtteil „Graz-Reininghaus“ sowohl PendlerInnen, als auch vor Ort oder in unmittelbarer Nähe arbeitende Personen zu deren Zufriedenheit versorgen zu können. Das Verkehrskonzept muss also in Summe möglichst vielfältigen individuellen (Mobilitäts-) Bedürfnissen gerecht werden können. Sieht man von der oben bereits angesprochenen Diskrepanz zwischen „nahezu autofrei“ und der Betonung des „begehrten Gutes Parkplatz“ ab, so wirkt die verkehrstechnische Auslegung auf den ersten Blick durchdacht und den gegenwärtigen Möglichkeiten und Erfordernissen in der Stadt Graz angepasst. Was jedoch von elementarer Bedeutung sein dürfte und ein Verkehrskonzept wohl kaum in allen Fällen effektiv abzufedern vermag, ist die Notwendigkeit einer praktisch täglichen Bewältigung der Wege zwischen Wohn- und Arbeitsort. Auch wenn von Seiten des projektbetreibenden Unternehmens (sowie auch von anderen Investoren bzw. Projektentwicklern innerhalb des Reininghaus-Areals) angestrebt wird, Wohnen und Arbeiten bestmöglich an einem Ort zu vereinen, so ist doch anzunehmen, dass ein wesentlicher Anteil der zukünftigen Reininghaus-BewohnerInnen seinen Arbeitsplatz nicht innerhalb oder in unmittelbarer Umgebung des Wohnareals haben wird. Zumindest wenn man von einem heterogenen BewohnerInnen-Mix ausgeht, wird es nicht der Regelfall sein, dass das Gros der hier wohnhaften Personen vor Ort praktizierbaren Tätigkeiten (darunter fallen vermutlich hauptsächlich Kreativ- und Dienstleistungsberufe) nachgeht. Wie auch immer der Weg zwischen Wohnsitz und Arbeitsplatz im einzelnen Fall bewältigt wird, spielt doch die Entfernung bzw. die Wegzeit zwischen diesen Orten eine entscheidende Rolle. Die geographische Lage der entstehenden Wohnungen wird also möglicherweise deren Attraktivität für unterschiedliche Berufsgruppen wesentlich (mit-)determinieren. Von einer unmittelbar lokalen Verknüpfung von Arbeit und Wohnen werden vermutlich vorwiegend Personen in den ebengenannten Berufen besonders gut Gebrauch machen und profitieren können. So ergibt sich hier gewissermaßen ein Zusatznutzen für jene Bevölkerungsgruppe, die in den letzten Jahren gerne medienwirksam als „urbane Elite“ bezeichnet wurde, aber dem Vernehmen nach nur eine kleine, idealisierte Zielgruppe

darstellt

(vgl.

http://www.welt.de/debatte/kolumnen/Maxeiner-und-Miersch/ 15

article8835688/Die-muehevolle-Suche-nach-der-urbanen-Elite.html, 28.9.2015). Eine Ansiedlung von Industrie- oder Handwerksbetrieben innerhalb des Reininghaus-Areals erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt als unwahrscheinlich. Durchaus vorstellbar ist jedoch, dass die entstehenden Wohnflächen für Personen, die in den unmittelbar außerhalb der Quartiere liegenden Gewerbe- und Industriebetrieben (sowie Bildungseinrichtungen) tätig sind, attraktiv sein könnten. Es kann meiner Einschätzung nach jedoch die Vermutung angestellt werden, dass in Anbetracht aktueller Arbeitsmarkttrends die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz in den nächsten Jahren von weniger Entscheidungsrelevanz sein dürfte, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Gute Gegend/gehobenes soziales Umfeld Der Erörterung dieser Dimension möchte ich die Frage voranstellen, wodurch sich ein solches „gehobenes“ Umfeld eigentlich auszeichnet. Diese Definition scheint eine nicht ganz eindeutige und vor allem intersubjektive zu sein. Geht man davon aus, dass eine „gute Gegend“ sich durch einen hohen durchschnittlichen sozioökonomischen Status seiner BewohnerInnen definiert, stößt man an die Grenzen dieser Definition, sobald man folgendes berücksichtigt: Im alltagssprachlichen Gebrauch mögen die Begriffe „Gehobenes Umfeld“ und „Gute Gegend“ wie unzertrennliche Synonyme wirken. Dass eine vorliegende Sozialstruktur auf sozioökonomisch hohem Niveau aber nicht zwangsweise mit einer subjektiven Bewertung als „gute Gegend“ gleichzusetzen sein muss und wesentliche Parameter der Wohnstandortwahl einem zeitlichen Wandel unterworfen sind, diskutieren beispielsweise Susanne Eder Sandtner und Rita Schneider-Sliwa folgendermaßen: „Für bestimmte Sozialgruppen ist heute nicht mehr die sozial einheitliche Struktur und das Prestige eines gesamten Stadtviertels wichtig, sondern die Qualität des unmittelbaren physisch-materiellen Wohnumfelds. Räumliche Folge der gesellschaftlichen Heterogenisierung in eine Vielzahl von sozioökonomischen Subgruppen ist die Auflösung der klassischen, sozial relativ homogenen Viertelstrukturen der Industriegesellschaft in eine kleinräumige Fragmentierung der Wohnbevölkerung (…)“ (Eder Sandtner et al. 2007: 142) Ein (nur) prestigeträchtiges und einheitlich strukturiertes Stadtviertel wird demnach nicht von allen Personen gleichermaßen als attraktive Wohnortoption wahrgenommen. In ihrer Analyse zu BaselStadt kommen Eder Sandtner und Schneider-Sliwa zur Erkenntnis, dass Personen aus sozialen Lagen am oberen und unteren Ende der Skala die größten Unterschiede in ihrer Wohnstandortverteilung aufweisen. Demnach bilden (in Basel-Stadt) Angehörige der Oberschicht noch am ehesten homogene Viertelstrukturen, während diese Diagnose für die Unterschicht nur eingeschränkt zutrifft. „Für sie (Anm.: Die Unterschicht) sind neben den sozial einheitlich strukturierten Arbeiter- und Industriequartieren auch sozial homogene Blockstrukturen in benachteiligten Wohnlagen verschiedener Quartiere typisch. Die Mittelschicht wohnt eher gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilt. […] Während die 16

postmoderne Oberschicht frei von finanziellen Zwängen ihre individuellen Wohnortwünsche in verschiedenen luxussanierten Baublöcken in den unterschiedlichsten Wohnquartieren, überwiegend innenstadtnah, befriedigen kann und damit Gentrifikationsprozesse auslöst, steht der traditionellen Unterschicht (meist ärmere Familienhaushalte) Wohnraum auch außerhalb der Arbeiter- und Industriequartiere in bestimmten ungünstig gelegenen Baublöcken zur Verfügung.“ (ebd.: 157) Strenggenommen müsste also das subjektive Verständnis einer „guten Gegend“ oder eines „gehobenen sozialen Umfeldes“ Berücksichtigung finden. Ich halte es aber für naheliegend, dass im alltäglichen Sprachgebrauch weitgehende Einigkeit über die Definition einer „guten Gegend“ einer Stadt herrscht. Eine weiterführende Auseinandersetzung kann also unterbleiben und die Forschungsfrage lautet: Welche subjektive Wichtigkeit hat es für die Befragten, ihre neue Wohnung in einer Gegend zu mieten, die in einer (für die Bewertungs- und Diskussionspraxis der Stadt Graz geltend) „guten“ bzw. als hochpreisig bekannten Gegend liegt?

Kulturangebot und Sportmöglichkeiten Für den Bereich Sport und Kultur wurde von Seiten der Erber-Gruppe bzw. vom beauftragten Planungsbüro vorgesehen, entsprechende Räume bzw. Flächen in Form von „programmatischen Feldern“ (das genaue Begriffsverständnis erschließt sich mir bis dato nicht) zu schaffen (vgl. Erber Exposé: 22). Das Ziel, sportlichen und kulturellen Aktivitäten Platz zu geben, steht grundsätzlich also außer Frage. Im Zuge des Forschungsvorhabens besonders von Interesse sind die milieu- bzw. lebensstiltypenspezifischen Ausprägungen in der Frage nach der Wichtigkeit dieser Sport- bzw. Kultureinrichtungen. Was die Möglichkeiten zur Sportausübung und zum Kulturkonsum im näheren Umfeld des Areals betrifft, so lässt sich eine Analyse diesbezüglichen Bedarfs innerhalb der Projektzone meines Erachtens nur sehr ungenau und hypothetisch ableiten, da die Vielfalt an praktizierten Spielarten in Sport und Kultur für konkrete Vermutungen als zu groß erscheint. Eine genauere Untersuchung der tatsächlich benötigten oder erwünschten Einrichtungen lässt sich im Vorfeld aus diesem Grund nicht sinnvoll durchführen, sodass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die grundsätzliche Abfrage der Wichtigkeit räumlicher Nähe zu diesen Stätten (im allgemeinen Sinne) als einzig gangbarer Weg erscheint. Eine differenzierte Bedarfsanalyse aller Facetten und Variationen wäre unter Umständen im Zuge einer nachfolgenden (und den weiteren Entstehungs- und Entwicklungsprozess begleitenden) Längsschnittstudie denkbar. 17

Kinderbetreuung Dieser Punkt umfasst neben der Verfügbarkeit von (Klein-)Kinderbetreuung auch die räumliche Nähe zu Kindergärten und Volksschulen. Es kann angenommen werden, dass in diesen thematischen Komplex betreffenden Fragen die lebensstiltypologische Zugehörigkeit der Befragten eine geringere Rolle spielt als das Vorhandensein eigener Kinder. Wie zu Beginn bereits kurz thematisiert, unterscheidet sich das Projekt „Stadtteil Reininghaus“ von anderen, „herkömmlichen“ Wohnbauprojekten im engeren Sinne speziell dahingehend, dass die Wohnflächen der Quartiere 1 und 4a nicht an BewohnerInnen verkauft werden sollen, sondern lediglich zur Vermietung bestimmt sind. Ein dem im Zuge der einleitenden Erörterung entsprechendes Problem mit einer weitgehenden Altershomogenität der zu betreuenden und später schulisch auszubildenden Kinder mitsamt den daraus resultierenden Konsequenzen erscheint aus diesem Grund als weniger naheliegend. Aufgrund der bei gemieteten Wohnungen weniger langfristigen Bindung ist mit einem zeitlich weniger punktuell kumulierten Zu- und Wegzug von BewohnerInnen zu rechnen, weshalb ein dauerhafterer und gleichmäßiger verteilter Bedarf an Kinderbetreuungseinrichtungen und Ausbildungsstätten wahrscheinlicher wird. In Sachen Kinder- und Kleinkinderbetreuung bestehen auf dem Reininghaus-Areal selbst derzeit eine Kinderkrippe sowie ein mit einer Kinderkrippe kombinierter Kindergarten. Auch außerhalb der Reininghaus-Gründe finden sich innerhalb weniger hundert Meter Kinderbetreuungseinrichtungen, so dass in diesem Punkt grundsätzlich kein Engpass zu erwarten sein dürfte. Was die Verfügbarkeit von Volksschulen in der Umgebung der Reininghaus-Gründe betrifft, so scheint derzeit kein unmittelbarer Handlungsbedarf zu bestehen, wie ein Blick auf die regionale Verteilung dieser Schulen zeigt:

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Abbildung 5 - Volksschulen in der Umgebung. Satellitenbild: © Google Kartendaten 2015.

Wenige hundert Meter bis Kilometer von den Reininghaus-Arealen entfernt befinden sich, wie aus Abb. 5 ersichtlich wird, gegenwärtig mehrere Volksschulen. Die Einrichtung einer weiteren Schule innerhalb der Projektgrenzen erscheint also – entsprechende Kapazitäten der bereits vorhandenen vorausgesetzt – aus momentaner Sicht nicht unbedingt erforderlich. Wie die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt haben, spielt die geographische Nähe von Schulen zum Wohnort nicht (mehr) die Hauptrolle bei der Schulwahl. Der Einzugsbereich, aus dem die SchülerInnen an die Schulen kommen, wird tendenziell größer (vgl. http://www.kleinezeitung.at/s/steiermark/graz/4707957/GrazerSchulen_Taferlklassler_Stadt-Graz-plant-freie-Wahl, 6.8.2015). Es ist davon auszugehen, dass sich das Phänomen des „Schulpendelns“ auch auf Familien erstreckt, die sich in den Reininghaus-Quartieren niederlassen werden. Ein besonders punktueller Mehranfall von SchülerInnen dürfte demnach also ausbleiben. Trotz der angeführten Erwartungen und Entwicklungen werden milieu- bzw. lebensstilspezifische Werte für die subjektive Wichtigkeit einer räumlichen Nähe zu Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen miterhoben, um hierzu möglicherweise noch aufkommenden Erkenntnisbedarf mitabzudecken. Auf eine Auswertung und Diskussion der Ergebnisse dieses Items wird im Rahmen dieser Arbeit aufgrund momentan nicht zu erwartender Betreuungsengpässe verzichtet. Nachhaltiger Konsum Der in den letzten Jahren zu vernehmende Trend hin zu Bioprodukten und Lebensmitteln aus nachhaltiger, regionaler Produktion muss – beinahe zwangsläufig – auch in einem neu geplanten Stadtteil Niederschlag finden. Neben Geschäften für Artikel des täglichen Bedarfs und Lebensmitteln soll im Reininghaus-Projekt nach Aussagen von Unternehmensvertretern der wachsenden Nachfrage nach 19

biologischen und regional produzierten Produkten Raum geboten werden. Hierfür sei beispielsweise vorgesehen, die zum historischen Altbestand gehörende Markthalle (vgl. Erber Exposé: 18f.) in revitalisierter Form zu erhalten und einen Marktplatz im Stil bekannter Bauernmärkte zu etablieren. Diese Möglichkeit zum Direktbezug regionaler Produkte direkt vom Produzenten bzw. der Produzentin solle den auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Eindruck des Viertels untermalen und durch die Verfügbarkeit aller regelmäßig benötigten Güter wie auch „Spezialprodukte“ den Quartiers-Charakter stärken. Was die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit betrifft, so lassen sich insbesondere für den Themenkomplex „nachhaltiger Konsum“ Vermutungen hinsichtlich möglicherweise bevorzugt angesprochener Zielgruppen formulieren. Eine in dieser Hinsicht sehr hilfreiche und übersichtliche Auflistung milieutheoretischer Zielgruppenuntersuchungen für Bio-Lebensmittel wurde von Achim Spiller vorgelegt: Tabelle 2 - Ergebnisse unterschiedlicher Milieustudien. Quelle: Spiller 2006: 7, nach Kropp/Brunner 2004

Zielgruppe Zugehörige Milieus Kernzielgruppe für Bio Postmaterielle Produkte  Kulturbezogen-asketisch  Selbstdarstellung, Genuss und Avantgardismus  Arrivierte Anspruchsvolle  Alternative Hedonisten  Gesund und natürlich  Ganzheitlich überzeugte  Etablierte Erweiterte Zielgruppe  Bürgerliche Mitte  Gehoben-konservatives Bürgertum  Gehobener Hedonismus  Statusorientierte Privilegierte  Familienzentrierte Frauen  Zurückhaltend-konventioneller Lebensstil  Aktive Senioren  Ältere Gesundheitsorientierte  Moderne Performer Nicht erreichbar  Experimentalisten  Junge Fast Food Männer  Junge Desinteressierte  Traditionsverwurzelte  Konservative, ältere Kleinbürger  Hedonistische Expressive  Konsumgenervte  Schlecht gestellte Überforderte  Konsummaterialisten

Die obenstehende Tabelle (Tab.2) fasst die Ergebnisse zahlreicher Milieustudien zum Thema „BioLebensmittel“ zusammen und weist – in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Sinus Sociovision

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Studie aus dem Jahr 2006 - einen starken Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Bio-Affinität aus. Spiller formuliert die zum Veröffentlichungszeitpunkt aktuellen Ergebnisse folgendermaßen: „Insgesamt ist offensichtlich, dass die soziale Lage ein starker Einflussfaktor für die Biopräferenz ist. Die Kernzielgruppe für Bio-Lebensmittel bilden besser gebildete und einkommensstärkere Personen, und zwar sowohl mit konservativem als auch mit postmaterialistischem Hintergrund. […] Die schwächeren sozialen Schichten sind dagegen kaum zu erreichen. […] Für die Kernzielgruppe ist Bio immer noch ein gesellschaftliches Anliegen, auch wenn Genuss, Geschmack und Wellness/Selfness an Relevanz gewinnen. Im gehobenen Bürgertum ist Bio ein Vernunftargument, teilweise auch Statuskonsum gegen eine „Geiz ist Geil“-Mentalität. Für postmoderne, junge Zielgruppen sind ökologische Lebensmittel teilweise Trendprodukte eines fitnessorientierten Lebensstils.“ (Spiller 2006: 6f, nach Sinus Sociovision 2006)

Zwar liegen die von Spiller zusammengefassten Erkenntnisse schon einige Jahre zurück, jedoch ist in Anbetracht des (oben erwähnten) seit Jahren anhaltenden Bio-Trends davon auszugehen, dass Kernzielgruppen und grundsätzlich zugängliche Milieus nach wie vor an Bio-Lebensmitteln interessiert sind. Eine Abnahme der Bio-Affinität im Bereich von Kernzielgruppen bzw. erweiterten Zielgruppen erscheint unwahrscheinlich. Nicht unwahrscheinlich wirkt hingegen die Möglichkeit, dass durch intensive Forschungs- und Vermarktungsanstrengungen (vgl. Biohandel 3/2006: 12f) in der Zwischenzeit Wege gefunden wurden, zum damaligen Zeitpunkt noch nicht erreichbare Personenkreise für einen häufigeren Kauf von Bioprodukten zu gewinnen. An diesem Punkt zeigt sich allerdings eine wesentliche Schwäche clusteranalytischer Modelle, wie jenem, das vom Sinus-Institut für seine Sociovision-Studien verwendet wird: Diese basieren auf einer Berechnungsart, die relational arbeitet. Die Positionen einzelner „Milieu-Gruppen“ kommen also nicht auf Basis absoluter Positionierungen entlang von inhaltlich begründeten Skalen zustande, sondern werden relativ zu den Wertehaltungen bzw. Antwortschemata der Referenzgruppen berechnet. Eine Untersuchung im Längsschnitt ist daher unter Anwendung dieser Modelle stets von Unschärfen betroffen, die kaum bis gar nicht auszumerzen sind. Diese Problematik wird später im Rahmen der Methodendiskussion noch ausführlich zur Sprache kommen. Im gegenständlichen Erhebungsbereich „Nachhaltiger Konsum“ ist jedenfalls die Frage von Interesse, welche Relevanz die Verfügbarkeit von Bioprodukten und regionalen Lebensmitteln für die unterschiedlichsten Lebensstilgruppen in Graz hat. Die vorliegenden Erkenntnisse aus bereits durchgeführten Erhebungen zur Bio-Affinität in Abhängigkeit vom gepflegten Lebensstil bzw. der MilieuZugehörigkeit lassen jedenfalls die Vermutung zu, dass auch in Graz die Neigung zum Kauf von BioProdukten maßgeblich von Lebensstilparametern abhängig ist. 21

Komplex „Ängste und Bedenken“ Wenn die Entscheidung ansteht, eine neue Wohnung zu mieten und sich für üblicherweise zumindest einige Jahre einen neuen Lebensmittelpunkt zu schaffen, so sind neben persönlichen Wünschen und Erfordernissen auch individuelle Ängste und Bedenken wesentliche Punkte im damit verbundenen Reflexions- und Entscheidungsprozess. Nachfolgend werden jene Forschungsbereiche erläutert, die für die geplanten Gegebenheiten in den beiden behandelten Quartieren im Speziellen und die Besonderheiten des Reininghaus-Projekts im Allgemeinen von besonderer Relevanz sind. Eigentum als Alternative zur Miete Die Entscheidung zwischen dem Mieten einer Wohnung und dem Kauf einer solchen ist in vielen Fällen ähnlich komplex wie die Grundsatzfrage, wo die neue Residenz geographisch gelegen sein soll. Während regionale Gegebenheiten im Regelfall aber zumindest physisch von einiger Stabilität sind und damit gerechnet werden kann, dass „Innenstadt“ wohl noch länger „Innenstadt“ bzw. „Stadtrand“ zumindest noch einige Zeit „Stadtrand“ bleiben wird, ist die Planungssicherheit in wirtschaftlichen bzw. finanziellen Kriterien wesentlich geringer. Die Kontextbedingungen wirtschaftlicher Entscheidungen unterliegen mehrheitlich „Ungewissheit“, also dem Fehlen von Informationen hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeiten erwünschter bzw. unerwünschter Entwicklungswege (vgl. Endres 2007: 79ff). Zur Ungewissheit hinzu kommt das Problem begrenzter Rationalität, die aus der Tatsache resultiert, dass es für den menschlichen Geist – selbst wenn (entgegen dem Prinzip der Ungewissheit) zum Zeitpunkt „X“ alle zukünftigen Entwicklungen absehbar wären – nicht möglich ist, alle relevanten Informationen zu verarbeiten, die die rationale Sinnhaftigkeit einer Entscheidung betreffen (vgl. Beckert 1996: 137). Wenn ein beispielhafter Akteur heute die Entscheidung trifft, eine neue Wohnung zu kaufen statt diese zu mieten, weil ihm unter den momentanen Bedingungen der Erwerb der Immobilie langfristig preisgünstiger erscheint als das Mieten (vgl. http://wirtschaftsblatt.at/ home/nachrichten/europa/4682659/Es-bleibt-dabei_Immobilienkauf-gunstiger-als-Mieten,

7.8.

2015), so kann sich die Situation theoretisch binnen weniger Monate oder Jahre umkehren. Die eben noch (beschränkt) rational argumentierbare Handlung wird möglicherweise zum finanziellen Problem. Natürlich ebenso möglich und immer wieder zu beobachten sind in die andere Richtung laufende Phänomene einer unvorhergesehenen Wertsteigerung von Immobilien, die InvestorInnen dann entsprechend erfreut. In Anbetracht ökonomischer Unsicherheiten und ohnehin nur in geringem Maße prognostizierbarer Trends in Bezug auf die ökonomische Entwicklung einzelner Immobilien oder ganzer Märkte liegt es also nahe, die Entscheidungsparameter für die Frage „Miete oder Kauf“ auf individuellere Kriterien auszuweiten. Die persönlichen Pläne sowie berufliche und private Gegebenheiten spielen in vielen

22

Fällen eine wohl ebenso große Rolle, wie scheinbar harte ökonomische Kriterien. Diesbezüglich formuliert beispielsweise Sandra Holzinger folgende Meinung: „Österreichweit geht der Trend derzeit eher in Richtung Miete. Einerseits sind die Kaufpreise für Wohnungen und Häuser deutlich stärker gestiegen als die Mieten, und andererseits ist es auch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die das Ihre dazu beiträgt: Die Scheidungsrate ist hoch, es gibt immer mehr Singles und das Berufsleben ist mehr und mehr von Flexibilität geprägt, was im Vergleich zu früher weniger gefühlte Sicherheit bietet. […] Mieten ist auch dann die bessere Entscheidung, wenn die finanziellen Verhältnisse schwanken und/oder nicht überschaubar geregelt sind.“ (http:// derstandard.at/1360681467918/Mieten-oder-kaufen--Entscheidend-sind-die-Lebensumstaende, 7.8.2015) Trotz eines nachfolgenden Hinweises auf die zum momentanen Zeitpunkt langfristig günstiger erscheinende Variante des Immobilienkaufs (vgl. ebd.) ist die Diskussion um das Miteinbeziehen persönlicher Einflussfaktoren im privaten und beruflichen Umfeld aus meiner Sicht ein essenzieller Bestandteil in der Analyse lebensstil- bzw. milieuabhängiger Präferenzen bei der Frage nach der Entscheidung zwischen Eigentum und Miete. Ich würde sogar so weit gehen, noch nicht in Form von konkreten Plänen manifestierten Zukunftsvorstellungen über die Frage „Miete oder Kauf“ eine größere soziale als ökonomische Komponente zuzuschreiben. Neuer Stadtteil Wenn von einem neu geplanten bzw. zukünftig entstehenden Stadtteil die Rede ist, so geht damit zwangsläufig ein Informationsdefizit einher, das sich sowohl auf rational beschreibbare Faktoren bezieht als auch Komponenten mit einschließt, die primär emotionaler Natur sind und nicht ohne einige Anstrengung in Worte gefasst und für Dritte verständlich ausgedrückt werden können. An dieser Stelle sei noch einmal auf den – aus meiner Sicht sehr tragfähigen – Begriff der „Eigenlogik“ einer Stadt nach Martina Löw verwiesen (vgl. Löw 2008: 19f.), der die höchst individuellen und nur aus der Innenperspektive logisch schlüssigen Deutungs- bzw. Bewertungsmuster von Aktivitäten, Gegenden und Entwicklungen in Städten zum Begriff hat. Dieser Ansatz kann im Kontext der Planung eines „neuen Stadtteils“ besonders bei jenen Fragen und Unsicherheiten Anwendung finden, die sich auf die Meinungsbildung in Bezug auf das entstehende Viertel und die darin befindlichen Wohn- und Geschäftsflächen beziehen. Wie vielschichtig und kontrovers verschiedene Stadtbezirke diskutiert werden, zeigt sich beispielsweise in Gesprächen über empfehlenswerte und weniger empfehlenswerte Wohnbezirke in Graz. Während etwa im Fall des Bezirks „Gries“ vergleichsweise große Einigkeit darüber herrscht, dass es sich dabei in Sachen Integration und politische wie soziale Intervention um keinen Vorzeigebezirk 23

handelt (vgl. http://www.profil.at/oesterreich/grazer-bezirk-gries-brennpunkt-integrationsdebatte5583174, 17.8.2015) und generell nur wenig Positives Erwähnung findet, scheiden sich am Bezirk „Lend“ die Geister. Hier ist die Bewertung aufgrund der Kombination aus multikultureller Sozialstruktur und lebendiger Kunst- bzw. Kulturszene besonders stark von der individuellen Perspektive der Diskutanten und deren persönlichen Präferenzen abhängig: „Rechts der Mur gestaltet sich das (Zusammen-)Leben etwas anders. ‚Doch das Image von Lend hat sich in den letzten Jahren gebessert‘, sagt Bezirksvorsteher Otto Trafella. ‚LEND - Leben, Energie, Niveau und Dynamik.‘ Eine Dynamik, die Pensionistin Anna Eisner missfällt. ‚Oder kann mir wer sagen, warum ausgerechnet bei uns alle Ausländer angesiedelt werden?‘ Mit 18,49 Prozent verzeichnet Lend den zweithöchsten Migrantenanteil der Stadt. Nur in Gries liegt er mit 21,43 Prozent noch höher (am wenigsten Migranten wohnen in Ries, dort sind es 2,81 Prozent). Dato Gasitaschwili, Asylwerber aus Georgien, stellt das Positive in den Vordergrund. ‚Wir sind mitten in der Stadt, haben den Markt und den Augartenpark.‘ Außerdem genießt er mit seiner Freundin, selbst Künstlerin, die Kreativszene im Bezirk.“

(http://www.kleinezeitung.at/s/oesterreich/4206469/Die-Lebensqualitaet-in-den-Grazer-

Bezirken?seite=1, 17.8.2015) Diese exemplarische Darstellung anhand der Bezirke „Gries“ und „Lend“ soll vor allem eines zeigen: Wie über Bezirke und Wohnviertel geurteilt wird, ist teilweise kaum (Gries) und teilweise sehr stark (Lend) von Individualparametern der BewohnerInnen und Diskussionspartner abhängig. In welchem Ausmaß individuelle bzw. lebensstilspezifische Faktoren eine Rolle in der Urteilsfindung spielen, hängt in jedem einzelnen Bezirk und jedem Stadtquartier von der sozialen Zusammensetzung der BewohnerInnen und den objektiven Lebensbedingungen ab, die dort vorzufinden sind. Für das Reininghaus-Projekt bedeutet dies jedoch, dass die Problematik des zu Beginn völlig „unbekannten Terrains“ eine sehr spezielle Form des Eigenlogik-Ansatzes als Konsequenz hat. Konkret findet der (de facto bereits begonnene) Bewertungsprozess für die Beurteilung der Qualität dieses Stadtteils bis zur Fertigstellung der ersten Wohnmöglichkeiten zur Gänze aus einer Außenperspektive statt. Ein Kritikpunkte eventuell relativierendes Moment in Form positiver Beschreibung durch BewohnerInnen des Stadtteils kann bis zur Fertigstellung und zum Einzug einer relevanten Zahl an Personen daher nicht entstehen. Kontrastierende „Pluspunkte“ können demnach über einen langen Zeitraum nicht durch Beobachter aus einer „Innenperspektive“ in den Aushandlungsprozess eingebracht werden, sondern hauptsächlich von den am Projekt beteiligten Unternehmen in Umlauf gebracht werden. Es erscheint naheliegend, dass die für einen intendierten Meinungsbildungsprozess nötigen PR-Aktivitäten einigermaßen komplex sein dürften und anstelle einer bewussten Lenkung eher eine punktuelle Einflussnahme stattfinden wird.

24

Die Entscheidung, in den Stadtteil „Graz-Reininghaus“ zu ziehen, wird also maßgeblich von jenen Informationen beeinflusst werden, die über mediale Kanäle zu den potentiellen BewohnerInnen transportiert werden können. Dass damit eine erhebliche Selektivität verbunden ist, die stark willkürlichen Einflüssen (sowohl in positive, wie auch in negative Richtung) Tür und Tor öffnen, ist selbsterklärend. Der Meinungsbildungsprozess zum Projekt „Graz-Reininghaus“ unterscheidet sich also besonders während seiner Frühphase wesentlich von der Bewertung bereits bestehender bzw. „auf natürlichem Wege“ gewachsener Stadtteile oder Bezirke. Im Rahmen der Erhebung werden milieubzw. lebensstilspezifische Neigungen für oder gegen eine Wohnortwahl in einem solchen, neuen Wohnviertel erhoben. Nähere Ortsbeschreibungen oder eine Erwähnung des Stadtteils „Reininghaus“ sollen in die Fragestellung jedoch nicht einfließen. Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt erst ein überschaubarer Umfang an Informationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, können sich Befragte bisher ohnehin kaum eine Meinung zum dortigen Vorhaben gebildet haben. Pragmatische Bedenken (Baustellen) Im Laufe von drei Jahren nach Baubeginn sollen – so die Information von Seiten des Unternehmens – die im Zuge des Projekts errichteten Wohnungen und Geschäftsflächen einen bezugsfertigen Status erreichen. Als Hauptproblem hinsichtlich der hier diskutieren Dimension „Pragmatische Bedenken“ tritt der zeitliche Ablauf in der Umsetzung des Gesamtvorhabens am Reininghaus-Areal auf. Nicht alle investierenden Firmen und Akteure starten mit den Bauarbeiten zeitgleich, für einige Quartiere sollen bis dato noch nicht einmal endgültige Pläne vorliegen. Es kann und muss also davon ausgegangen werden, dass die BewohnerInnen der ersten beiden Quartiere zumindest einige Jahre in unmittelbarer Nähe zu Großbaustellen wohnen werden. Auch im firmeneigenen Exposé wird in einer Illustration von einem „Teilausbau 2020“ und einem „Vollausbau 2040“ (Exposé Erber: 23) gesprochen. In Anbetracht dessen, dass diese Vorausschau nur die Quartiere 1 und 4a, nicht jedoch alle zur Diskussion stehenden Flächen auf den ehemaligen Reininghaus-Gründen betrifft, erscheint für das „Projekt Stadtteil“ als Gesamtvorhaben eher eine Entwicklungsphase von mehreren Jahrzehnten als realistisch. Da der zeitliche Ablauf der Stadtteilentwicklung insgesamt natürlich kaum vorherzusehen ist, sind Erkenntnisse über lebensstilabhängige Bedenken in Bezug auf Störungen durch räumlich naheliegende Bauarbeiten natürlich von Interesse. Es dürfte jedoch zu erwarten sein, dass sich die Freude über Großbaustellen in unmittelbarer Nachbarschaft unabhängig von der Milieuzugehörigkeit in Grenzen hält. Ich nehme an, dass die Aussagekraft dieses Items aus folgendem Grund beschränkt sein dürfte: Die individuelle Vorstellung über das zeitliche und räumliche Ausmaß derartiger Baustellen im Umfeld der eigenen Wohnung unterscheidet sich von Person zu Person wahrscheinlich stark. Hinzu kommt 25

die schlechte Abschätzbarkeit der tatsächlichen Situation. Aus diesem Grund ist das gegenständliche Erkenntnisinteresse von einer doppelten Unschärfe betroffen. Daher wird das Item als experimentell betrachtet und fließt in keine Hypothese ein sondern wird explorativ untersucht. (Un-)Erwünschte Interaktion (Nachbarschaft) Dass das Zusammentreffen und Kommunizieren mit NachbarInnen, Haus-MitbewohnerInnen oder Menschen aus der näheren Wohnumgebung nicht jeder Person zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen Freude bereitet, steht außer Frage. Von unmittelbarem Interesse ist jedoch die Frage, wie sich eine eventuell grundsätzlich positive oder grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber einer Interaktion mit Menschen aus der Nachbarschaft über unterschiedliche Milieu- bzw. Lebensstilgruppen verteilt. Für diese Thematik halte ich jedoch eine Definition postulierter Zusammenhänge aus Öffentlichkeit und Privatheit im Spannungsfeld zwischen „Stadt“ und „Dorf“ für sinnvoll. Hans Paul Bahrdt verwendet die Intensität der Ausprägung der Polarität zwischen privater und öffentlicher Sphäre als Indikator für den Grad, wie eindeutig von einem Stadtcharakter gesprochen werden kann (vgl. Bahrdt 1998: 83f). Mir erscheint eine Öffentlichkeits-/Privatheits-Polarität als besonders geeignete Diskussionsgrundlage für die weitere Auseinandersetzung mit dem Nachbarschafts-Interaktionskomplex in Bezug auf das Projekt „Graz-Reininghaus“. Zwar drängt sich hinsichtlich einer möglichen (milieuspezifischen) Auffälligkeit in diesem Untersuchungskomplex noch keine Hypothese auf, jedoch sticht eine Eigenschaft der Quartiere 1 und 4a in Bezug auf das Spannungsfeld aus Öffentlichkeit und Privatheit doch hervor: Im Altbestand des Reininghaus-Quartiers 4a befindet sich u.a. eine Markthalle, die erhalten und geringfügig modernisiert dem Verkauf regionaler und biologischer Produkte durch ProduzentInnen dienen soll. Dieser Markt soll neben dem Bezug von Lebensmitteln auch als Kommunikations- und Integrationspunkt dienen und Reininghaus-BewohnerInnen miteinander in Kontakt bringen. Diese Funktion erfüllen derartige Märkte in vielen Städten wie auch in Graz, wo der Kaiser-Joseph-Platz als größter Bauernmarkt der Stadt nicht nur GrazerInnen, sondern auch interessierte BesucherInnen aus zahlreichen Ländern anlockt (vgl. http://www.graztourismus.at/de/sehen-und-erleben/sightseeing/ sehenswuerdigkeiten/kaiser-josef-markt_sh-1245, 17.8.2015). Für viele GrazerInnen sind die Bauernmärkte, wie jener am Kaiser-Joseph-Platz, ohne Zweifel sowohl ein Ort der Identifikation mit regionaler Kultur und ebensolchen Produkten als auch ein Treffpunkt für zwanglose Kommunikation und „Tratsch“. Die Marktdichte in der Stadt Graz ist mit 15 relativ gleichmäßig über die Stadt verteilten Bauernmärkten

(vgl.

http://blog.holding-graz.at/bauernmaerkte_15_koestliche_orte_in_graz/,

16.11. 2015) unterschiedlicher Größe und Relevanz mit rund einem Markt pro 19000 EinwohnerIn26

nen – im Vergleich zu jener am Reininghaus-Areal derzeit anzunehmenden (ein Markt für insgesamt rund 10000 EinwohnerInnen) – eher gering. Ein zusätzlicher Aspekt ist die räumliche Nähe und empfundene Zusammengehörigkeit zwischen Wohnsiedlungen und diesen Märkten. Wenn „GrazReininghaus“ (was ich für wahrscheinlich halte) auch zukünftig als weitgehend autarker Stadtteil präsentiert und diskutiert wird, so wird die unmittelbare räumliche Nähe zur Markthalle zusätzlich um die wahrgenommene Verknüpfung der angrenzenden Quartiere mit dem Marktgeschehen erweitert. Nimmt man also an, dass eine besonders interaktionsscheue Individuengruppe existiert, wäre es naheliegend, dass die räumlich und funktional nahe an einem sozialen Knotenpunkt in Form eines Marktes liegenden Quartiere 1 und 4a von diesen als wenig anziehend empfunden werden. Generationenfrage Dass in praktisch allen Teilen einer Stadt ein permanentes Zusammen- und Miteinander-Leben verschiedener Generationen und verschiedenaltriger Individuen innerhalb einer Generation stattfindet, steht außer Frage. Denn selbst wenn sich der Grad der diesbezüglichen Heterogenität nicht gleich über alle Stadtviertel verteilt, gilt pauschal wohl eines: Einen reinen „Altenbezirk“ oder „Jugendbezirk“ gibt es – nach der strengen Lesart dieser Begriffe – de facto nicht. Versucht man, die Frage nach allgemein und zeitlich stabil gültigen Unterscheidungsmerkmalen aufeinandertreffender und streckenweise zeitgleich lebender Generationen auf ihre wesentliche Essenz zu reduzieren, so stellt man fest, dass die einzig dauerhaft wahre Distinktionsmerkmal das zeitversetzte Durchlaufen von Lebensphasen und die damit einhergehenden Unterschiede in Wahrnehmungs- und Deutungsmustern ist. Joachim Matthes formulierte zu diesem Phänomen im Zuge einer Abhandlung über Karl Mannheims Aufsatz „Das Problem der Generationen“ beispielsweise: „(…) genau das ist die gesellschaftliche ‚Leistung‘, die über die generationellen Verhältnisse erbracht wird: chronologisch gegeneinander versetzte Muster der Weltwahrnehmung wechselseitig identifizierbar zu machen, in ihrer Konfrontation aus der Selbstverständlichkeit ihrer ‚konjunktiven Geltung‘ unter den Gleichzeitigkeiten herauszuholen, zurechenbar und ‚verhandlungsfähig‘ zu machen. Nicht um ‚Generationen‘ als wie auch immer gestaltete und bestimmbare Gruppen geht es, sondern um generationelle Verhältnisse, in denen sich die Zeitlichkeitsstruktur des gesellschaftlichen Geschehens ‚polyphon organisiert‘ (Mannheim 1964, S. 538), - in denen soziales Erinnern und Vergessen (Mannheim 1964, S. 532ff.) geregelt, - kurzum: die mit der lebenszeitlichen Abständigkeit der Menschen bei ständiger gesellschaftlicher Gleichzeitigkeit immer erneut entstehende und erzeugte Wechselseitige Fremdheitsrelation identifizierbar und bearbeitbar gemacht wird.“ (Matthes 1985: 369) Das gleichzeitige Erleben einer objektiv beschreibbaren Umwelt durch generationenbedingte Wahrnehmungsfilter führt also zu einer wechselweise wahrgenommenen Fremdartigkeit zwischen den unterschiedlichen Generationen. Diese Unterschiede in der Wahrnehmung ziehen sich durch sämtli27

che Bereiche des Lebens. Eine nicht von der eigenen Kohortenzugehörigkeit (mit-)geprägte Interpretation der sozialen Umwelt ist also äußerst unwahrscheinlich. Ich halte es vor diesem Hintergrund für wahrscheinlich, dass die Bereitschaft und Fähigkeit, sich mit den Deutungsmustern und Wertvorstellungen anderer Generationen längerfristig (also etwa in der Nachbarschaft) zu arrangieren stark vom persönlichen Lebensstil abhängig ist. Daher soll die Offenheit gegenüber einer intergenerationell geprägten Wohnumgebung für die einzelnen Lebensstilgruppen erhoben werden. Nationalitäten und Kulturen Wird – wie zu Beginn bereits erwähnt – eine heterogene BewohnerInnenstruktur angestrebt, so ist diese auch mit der Anforderung nach einer grundsätzlichen Offenheit der zukünftigen MieterInnen in Bezug auf andere Nationalitäten und Kulturen verknüpft. Als Ziel wurde von Seiten des auf den Quartieren 1 und 4a bauenden Unternehmens eine durchmischte Konstellation aus Generationen, Lebensstilen und Nationalitäten bzw. Kulturen definiert. Einerseits soll dieses Arrangement eine dauerhafte, lebhafte Dynamik entstehen lassen und unerwünschte Entwicklungen in Richtung eines sukzessiven „Einschlafens“ – wie z.B. den eingangs kurz besprochenen „Jungfamilieneffekt“ – verhindern. Andererseits sollen aber jene Dysbalancen in der Bevölkerungsstruktur vermieden werden, die eine längerfristige Attraktivität des geplanten Stadtteils gefährden würde. Als nationalitäten- und kulturenspezifisches Ungleichgewicht sei an dieser Stelle noch einmal auf die vieldiskutierten Integrationsprobleme in den Grazer Bezirken Lend und Gries und die damit verbundene Instrumentalisierung dieser Sachverhalte durch politische Parteien hingewiesen. Unbedingt anzumerken ist hierzu, dass sich das politisch und medial häufig transportierte Bild einer rein auf MigrantInnen zurückzuführenden Integrationsproblematik nicht mit der Realität deckt. MigrantInnen sind in Österreich in einigen Bereichen, etwa was die Arbeitslosigkeit betrifft, zwar deutlich überrepräsentiert (vgl. http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/4744609/Statistik_Immer-mehrarbeitslose-Auslaender, 18.8.2015) und der öffentliche Diskurs zum Thema „Integration“ bezieht sich daher sehr stark auf das Phänomen der Arbeitslosigkeit. Integration auf dieses Problem zu beschränken halte ich aber für kurzsichtig. Allerdings erscheint es vor diesem Hintergrund naheliegend, dass öffentlich wahrgenommene Integrationsschwierigkeiten von MigrantInnen tatsächlich sehr stark durch An- oder Abwesenheit von Arbeitslosigkeit determiniert werden. MigrantInnen ohne aktive Rolle im Arbeitsmarkt wird demnach vermutlich eher Integrationsunfähigkeit oder –Unwilligkeit attestiert, als im Erwerbsleben stehenden. Für das Projekt „Stadtteil Reininghaus“ spielen (leicht wahrnehmbare) Integrationsschwierigkeiten aus diesem Grund vermutlich kaum eine Rolle. Eher hochpreisige Wohnungen werden üblicherweise von Personen bewohnt, die erwerbstätig oder im Ruhestand sind. Eine übermäßige Präsenz „sichtbarer“ Integrationsprobleme in Form von Arbeitslosigkeit

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ist daher nicht zu erwarten. Dennoch ist es in Bezug auf das Reininghaus-Vorhaben aus dem nachfolgend diskutierten Grund sinnvoll, der Nationalitäten-Frage Aufmerksamkeit zu widmen. Geht man davon aus, dass sich MigrantInnen mit Integrationsproblemen vornehmlich in Bezirken niederlassen, wo ein hoher Anteil der entsprechenden Nationalitäten anzutreffen ist, so lässt sich daraus folgendes ableiten: Eine Stadt, in deren einzelnen Bezirken der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund möglichst dem Anteil in der gesamten Stadt entspricht, hat in Sachen „Integration“ eher wenig Probleme. In Graz weichen einzelne Bezirke allerdings sehr stark von der Gesamtquote ab. Dies zeigt der exemplarische Vergleich der Bezirke Gries (niedrigster ÖsterreicherInnen-Anteil) und St. Peter (höchster ÖsterreicherInnen-Anteil): Tabelle 3 - Quelle: http://www.graz.at/cms/dokumente/10022937_415557/92d64f74/Grazer%20Bev%C3%B6lkerung%20mit%20Hauptwoh nsitz%20pro%20Bezirk%202015.pdf (13.12.2015)

Bezirk Gries St. Peter Eggenberg Graz ges.

ÖsterreicherInnen 17.419 13.274 15.745 223.905

In % 64,0 90,5 80,6 81,0

EUBürgerInnen 3.785 962 1.674 26.176

In % 13,9 6,6 8,6 9,5

Nicht-EUBürgerInnen 5.995 427 2.124 26.445

In %

Gesamt

22,0 2,9 10,9 9,6

27.199 14.663 19.543 276.526

Im Bezirk Gries sind BewohnerInnen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft bezogen auf den Gesamtwert für die Stadt Graz stark überrepräsentiert, während diese im Bezirk St. Peter stark unterrepräsentiert sind. Deutlich besser entsprechen die Anteile im Bezirk Eggenberg den für die Stadt insgesamt geltenden Quoten. In 12 von 17 Bezirken von Graz ist die ÖsterreicherInnen-Quote höher als im Gesamtschnitt. In den restlichen fünf Bezirken ist sie teilweise wesentlich geringer (Vgl. http://www.graz.at/cms/dokumente/10022937_415557/92d64f74/Grazer%20Bev%C3%B6lkerung% 20mit%20Hauptwohnsitz%20pro%20Bezirk%202015.pdf, 13.12.2015). Geht man von einem etwa dem Grazer Durchschnitt entsprechenden AusländerInnen-Anteil im neuen Stadtteil aus, so wäre dieser Anteil höher als in rund 70 Prozent der Grazer Bezirke. Die Offenheit potentieller BewohnerInnen gegenüber anderen Nationalitäten und Kulturen wird also unabhängig von der oben diskutierten Arbeitsmarktkomponente eine Rolle spielen.

Methodischer Zugang Wie bereits einleitend erwähnt, fiel die Entscheidung für den methodischen und theoretischen Zugang zugunsten eines lebensstil- bzw. milieutheoretischen Ansatzes aus. Diese Herangehensweise hat zum Ziel, eine untersuchte Grundgesamtheit anhand bestimmter Eigenschaften innerhalb eines im Regelfall zweidimensionalen Möglichkeitsraumes in Typen zu klassifizieren, die sich in der Ausprä29

gung bestimmter Werthaltungen, Einstellungen oder Lebensstilparameter in besonderer Nähe zueinander befinden. Auf diese Art ist es möglich, aus einem Datensatz mit vielen hundert oder tausend befragten Personen eine überschaubare Anzahl von Idealtypen zu extrahieren, denen Gruppen von Befragten in bestimmter Weise entsprechen oder einstellungsmäßig nahe stehen. Ein innerhalb und außerhalb wissenschaftlicher Medien in den letzten Jahren besonders häufig anzutreffendes Modell ist jenes, das vom privaten Sozial- und Marktforschungsinstitut „Sinus Sociovision“ etablierte und für zahlreiche – zum gegenwärtigen Zeitpunkt 18 (vgl. http://www.sinusinstitut.de/loesungen/sinus-milieus.html, 19.8.2015) – Länder und Märkte verfügbare Prinzip der „Sinus-Milieus“: „Das SINUS-Modell unterteilt die Milieus in die für Werber und Produzenten jeweils attraktiven und unattraktiven Milieus. Bei den attraktiven gilt es dann für Medienunternehmen (…), große Reichweiten zu erzielen, wenn sie Anzeigekunden gewinnen wollen, denn die attraktiven Lebensstilkollektive sollen von den Produzenten, Parteien, Verbänden etc. kommunikativ mit ihrer Werbebotschaft erreicht werden." (Diaz-Bone 2004: 12) Das Modell des Sinus-Instituts entspricht damit in seiner Zielsetzung grundsätzlich weitgehend anderen, konkurrierenden Milieu-Instrumenten. Die zielgruppenmäßige Sondierung von Gesellschaften oder Märkten beschränkt sich bei diesen Modellen aber natürlich nicht auf eine Verwertung durch Medienunternehmen beim Anzeigenverkauf, sondern kann in zahlreichen Bereichen der Sozialforschung sowie bei strategierelevanten Entscheidungen von Unternehmen Anwendung finden. Ich möchte in der methodischen Reflexion noch kurz beim Sinus-Modell bleiben, da sich anhand dessen Vor- und Nachteile bzw. Eigenheiten bestimmter Verfahrensweisen sehr gut darstellen lassen. Das Vorgehen des Sinus-Instituts ist insofern ein sehr geeignetes Beispiel zur Veranschaulichung, als dass es zwar als beliebter und kommerziell erfolgreicher Weg der Lebensstilklassifikation und Zielgruppenkategorisierung etabliert werden konnte, jedoch aufgrund seiner methodischen Undurchsichtigkeit (vgl. Geißler 2002: 132), Problemhaftigkeit in Bezug auf wissenschaftliche Gütekriterien und finanziell kostspieligen Lizenzierung im Bereich der Grundlagenforschung zwar häufig Erwähnung, jedoch vergleichsweise selten Anwendung findet (vgl. Diaz-Bone 2004: 14f.). Teilweise recht offenem und generalisierendem Lob gegenüber dem Sinus-Modell („Im Falle des SINUS-Modells, das auch für die Wissenschaftler der attraktivste Milieustandard ist (…)“ ebd.) kann aus meiner Sicht daher nicht grundsätzlich zugestimmt werden. Zu Beginn der Arbeit am gegenständlichen MasterProjekt zu „Graz-Reininghaus“ stand jedoch eine prinzipielle Offenheit gegenüber allen verfügbaren bzw. methodisch in Frage kommenden Arbeitsweisen und Modellen. Die gegenüber den soziologieexternen Adressaten aus den Unternehmen natürlich erforderliche Aufklärung über Sinn und Ver30

wertbarkeit einer milieutheoretischen Forschungsarbeit erfolgte aus sehr pragmatischen Gründen vorwiegend auf Basis von Veröffentlichungen über Erkenntnisse, die mit der Methodik und Vorgehensweise des Sinus-Instituts gewonnen wurden. Die mediale Präsenz sinus-basierter Forschungsarbeiten ist – im Vergleich zu konkurrierenden Modellen – ungleich größer und so ist eine Vielzahl an Medienberichten verfügbar, die den großen Erkenntnisgehalt von milieutheoretischen Erhebungen auch für ein – mit sozialwissenschaftlichen Methoden nicht näher vertrautes - Laienpublikum verständlich aufbereitet darstellen (vgl. beispielsweise http://derstandard.at/1363706908561/SinusMilieu-Studie-Jugend-sieht-persoenliche-Zukunft-optimistisch, 19.8.2015).

Erhebungsinstrument Trotz der von Beginn an klaren Entscheidung für die Verwendung eines Milieumodells musste natürlich die Entscheidung getroffen werden, welche der bekannten Methoden tatsächlich zum Einsatz kommen sollte. Nach einer ersten Bestandsaufnahme standen grundsätzlich das bereits erwähnte Modell des Instituts Sinus-Sociovision bzw. ein theoretisch nahe liegendes Substitut, der erlebnistheoretische Ansatz von Gerhard Schulze und die Lebensstiltypologie von Gunnar Otte zur Auswahl.

Auswahl eines geeigneten Modells Das Sinus-Milieumodell tritt in der wissenschaftsnahen Community gewissermaßen als „Paradeexemplar“ eines milieutheoretischen Zugangs auf. Die zuvor bereits geschilderten Faktoren „Methodentransparenz“ und „kommerzielle Verwertung“ machen es für das gegenständliche Vorhaben, das im Zuge einer Qualifikationsarbeit durchgeführt wird, zu einer eigentlich ungeeigneten Option, da in diesem Fall erstens die wissenschaftlich-methodische Komponente ausgeprägt, nachvollziehbar und auf eigenen gedanklichen Leistungen aufbauend sein muss und zweitens der Ankauf externer Leistungen in einem integrativen Teilbereich der Arbeit deren Charakter als Qualifikationsarbeit in Frage stellen würde. Alternativen und Widersprüche Die zunächst angedachte Alternative, ein eigenes, auf einer Clusteranalyse basierendes Verfahren zu entwickeln und anzuwenden (und damit quasi eine Sinus-Typologie unter unbekannten Methodendetails „nachzumodellieren“), stellte sich aus mehreren Gründen als unattraktive Lösungsmöglichkeit heraus: 1. Die als Milieuindikator dienende Item-Batterie des Modells wurde offenbar in einem mehrstufigen qualitative und quantitative Verfahren einschließenden Prozess entwickelt und im Zuge einer diskriminanzanalytischen Reduktion für die Anwendbarkeit in einem Fragebogen komprimiert (vgl. Otte 2005: 445). Ein Entwicklungsprozess dieses Umfangs durchbricht die 31

obere Grenze der im Rahmen einer Masterarbeit zur Verfügung stehenden Ressourcen deutlich. Zusätzlich ist die Tauglichkeit im Sinne wissenschaftlicher Gütekriterien eines auf diesem Vorwissen und unter Berücksichtigung zur Verfügung stehender Ressourcen „nachgebauten“ Verfahrens nicht automatisch gegeben. In diesem Bereich erscheinen im Speziellen die Kriterien der Validität und Reliabilität als Krisenherde. Verzichtet man beispielsweise aus Ressourcengründen auf eine qualitative Bestimmung der Milieuzugehörigkeit von Personen, deren Werthaltungen und Lebensstile für die Konstruktion der quantitativen Items herangezogen werden oder verletzt man aufgrund der Verwendung einer „Sparversion“ eines der Gütekriterien, so ergibt sich folgendes Problem: Das resultierende Messinstrument misst unter Umständen nicht das, was es messen soll bzw. zu messen vorgibt (Validität) oder das Messinstrument liefert möglicherweise nicht-reproduzierbare Ergebnisse (Reliabilität). Zusätzlich stellt natürlich die Gewährleistung des Kriteriums der Objektivität eine Anforderung dar, die unter minimalen personellen Ressourcen leichter verletzt wird als in einem Team oder einer Arbeitsgruppe, wo bereits die Gestaltung der Erhebungsinstrumente einer permanenten, intersubjektiven Kontrolle unterworfen ist. 2. Dass das Sinus-Modell das Resultat eines Vorgehens ist, in dem für die Klassifikation der Individuen eine Clusteranalyse Anwendung findet, wurde bereits kurz erwähnt. Dieses Verfahren schafft jedoch – neben seinen bekannten Vorteilen (vgl. Brosius 2011: 711) – auch Probleme, die im gegenständlichen Fall schwerwiegender erscheinen als mögliche Abstriche, die bei der Anwendung eines alternativen Zugangs in Kauf genommen werden müssten. Das Vorgehen im Rahmen einer Clusteranalyse umfasst einige Schritte, die das Ergebnis maßgeblich beeinflussen, deren Auswirkung darauf jedoch im Regelfall weder prognostiziert noch in ihrem Umfang an einer Konstante gemessen werden kann. Gunnar Otte fasst die schwer abschätzbare Reichweite dieser Schritte treffend zusammen: „Dabei sind vom Anwender eine Reihe von Entscheidungen zu treffen: Auswahl und Gewichtung der Einbezogenen Indikatoren; Wahl eines Ähnlichkeitsmaßes und eines Clusteralgorithmus; Festlegung der Anzahl resultierender Typen (zitiert nach: Bailey 1994: 40ff., Bacher 1994). All diese Entscheidungen strukturieren in bedeutsamem Ausmaß vor, welche ‚Lösung‘ man erhält, und es ist naiv zu glauben, man erhielte auf induktive Weise so etwas wie ‚natürliche‘ Lebensstiltypen. Ein Problem (…) liegt darin, dass diese Entscheidungen kaum theoretisch begründbar sind (…).“ (Otte 2005: 444). 3. Ein weiteres Problem bei der Anwendung einer Clusteranalyse liegt in der nicht absoluten, sondern relationalen Typenzuordnung. Diese hat als Konsequenz, dass die Einordnung einzelner Personen in Milieus zeitlich nicht konstant, sondern vom Antwortverhalten aller übrigen Personen abhängig ist. Eine befragte Person kann also heute – trotz gleichbleibender Be32

antwortung der Indikatoren-Items und konstanter Numerik – einem anderen Milieutypus zugeordnet werden als beispielsweise vor oder in einem Jahr. Aufgrund dieser datenbegründeten Determiniertheit der Milieuzuordnung kann aus Veränderungen in der zahlenmäßigen Verteilung der Lebensstiltypen nicht immer genau abgeleitet werden, ob dieser Wandel auf algorithmisch verursachte Grenzverschiebungen zurückzuführen ist, oder es tatsächlich zu einer Modifikation im Lebensstil einer zu einem bestimmten Typus gehörenden Personengruppe gekommen ist. Zusätzlich zu den bereits angeführten Einschränkungen in Bezug auf die meisten clusteranalytisch basierten Rechenmodelle ergibt sich daraus das Problem einer weitgehenden Untauglichkeit dieser Verfahren, wenn es um die Erstellung zeitvergleichender Diagnosen geht. Das einzig bekannte Modell, bei dem ein Zeitvergleich anscheinend funktioniert, ist jenes des Sinus-Instituts. (Vgl. Otte 2005: 444f.) Wie Gunnar Otte diesbezüglich aber treffend formuliert, hilft diese Erkenntnis bei eigenen Forschungsvorhaben wenig: „Hier scheint eine Replikation zu gelingen – aber wie? Leider weiß das außerhalb des Instituts niemand genau, denn der Zuweisungsalgorithmus gilt als Betriebsgeheimnis.“ (ebd. 445) Die Möglichkeit einer mehrmaligen Erhebung milieuspezifischer Wünsche und Bedenken erscheint aber in Anbetracht der langen Zeitdauer des „Reininghaus-Projekts“ als durchaus wünschenswert und eines Tages unter Umständen dringend notwendig. Eine Typologisierung unter Anwendung eines Rechenmodells nach Art einer Clusteranalyse kommt für die gegenständliche Arbeit also weder in Form eines diesbezüglichen Auftrags an das SinusInstitut oder einer „Nachmodellierung“ der Sinus-Typologie, noch in einer anderen Ausführung auf Cluster-Basis in Frage. Die Einteilung in Lebensstile bzw. Milieus muss also auf eine andere Art und Weise erfolgen, bei der die vorangehend besprochenen Begleitumstände und Eigenarten nicht auftreten und zusätzlich für einzelne Personen eine über einen längeren Zeitverlauf hinweg (im Sinne der Typengrenzen) stabile und von Lebensstilmobilitäten anderer Individuen oder Gruppen unabhängige Typenzuordnung gewährleistet ist. Eine solche replizierbare Typenzuordnung ist unter einem halbwegs überschaubaren Aufwand nur möglich, wenn eine Typologie Anwendung findet, in der die Indikatorausprägungs-Grenzwerte für die Einordnung einer befragten Person in eine Kategorie konstant sind und nicht von den Indikatoren-Antwortprofilen der übrigen Erhebungspersonen beeinflusst werden kann. Beispiele für solche Absolut-Modelle sind die Erlebnismilieus von Gerhard Schulze (vgl. Schulze 2005: 165ff.) und die Lebensführungstypologie von Gunnar Otte (Otte 2005: 452ff.). Erlebnismilieus nach Schulze Gerhard Schulze geht im Zuge der Legitimation seiner „Erlebnismilieus“ davon aus, dass eine ordinale Einteilung in Schichten oder Klassen seit der Transformationsphase zwischen der Knappheitsgesellschaft während der Nachkriegsjahre und einer heute vorherrschenden Überflussgesellschaft nicht 33

mehr ausreichend trennscharf ist, um die gesellschaftliche Ausdifferenzierung hinreichend zu beschreiben. Schulze bezeichnet die Gesellschaft des späten 20. Jahrhunderts als „Erlebnisgesellschaft“ und argumentiert dies anhand folgender Überlegung: Waren früher hierarchische bzw. ordinale Kriterien ausschlaggebend, wenn es um eine Klassifikation von Menschen(gruppen) ging, so ist heute die Eigenartigkeit des individuellen Erlebens das zentrale Distinktionsmerkmal. Personen, die demselben Erlebnismilieu angehören, haben laut Schulze besonders ähnliche Vorstellungen darüber, welche Erlebnisse und Genüsse für sie erstrebenswert und schön sind (vgl. Wenzel 1999: 3). Die Milieuzuordnung ergibt sich bei Gerhard Schulze aus der Kombination von Nähe und Distanz zu drei alltagsästhetischen Schemata, genauer: Hochkulturschema, Trivialschema und Spannungsschema. Die aus Zustimmungs- und Ablehnungstendenzen resultierende Milieuzugehörigkeit mündet in fünf unterschiedlichen Milieus. Die diesem Modell zugrunde liegende Zuordnung ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen: Tabelle 4 - Milieuspezifische Varianten der Erlebnisorientierung. (Schulze 2005: 165)

Milieuspezifische Varianten der Übersetzung in den dimensionalen Raum alltagsästhetischer Erlebnisorientierung Schemata (Stiltypen) „+“ bedeutet Nähe, „-„ bedeutet Distanz Hochkulturschema Trivialschema Spannungsschema Streben nach Rang + (Niveaumilieu) Streben nach Konformität + + (Integrationsmilieu) Streben nach Geborgenheit + (Harmoniemilieu) Streben nach Selbstverwirklichung + + (Selbstverwirklichungsmilieu) Streben nach Stimulation + (Unterhaltungsmilieu)

Schulze unterscheidet also zwischen fünf (Erlebnis-)Milieutypen, deren alltägliche Routinen, Präferenzen und Wertvorstellungen innerhalb der Kategorien jeweils eine überzufällige Ähnlichkeit zueinander aufweisen sollen. Die resultierenden Schulze-Milieus sollen sich hinsichtlich Bildungsgrad und Alter der darin vorhandenen Personengruppen entsprechend der folgenden Darstellung positionieren.

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Abbildung 6 - Erlebnismilieus nach Gerhard Schulze (eigene Grafik, vgl. Schulze 2005: 384)

Zunächst ist auffällig, dass sich die Zahl der aus nach dem Modell von Schulze anzutreffenden Konstellationen aus alltagsästhetischen Schemata auf fünf resultierende Milieus beschränkt (Abb. 6). Ein nur mit diesem augenscheinlichen Grund argumentiertes Verwerfen der Option, diese Typologie anzuwenden, erscheint jedoch – sofern die sonstige Methodik plausibel ist und nachvollziehbare Folgerungen zulässt – nicht angebracht. Wie bereits kurz angesprochen wurde, handelt es sich bei der Schulze-Milieutypologie um eine mit absoluten Kategoriezuordnungen. Die Einordnung der Befragten auf Grundlage ihrer Item-Ausprägungen erfolgt also nicht auf der Grundlage einer Clusteranalyse, bei der die Milieuzuordnung der Individuen mit den Antwortwerten aller übrigen Personen interdependent ist, sondern um eine fixe, stabile Variante. Jeder Antwortbogen resultiert aufgrund seiner jeweiligen (Milieu-)Indikatorenwerte (die in Skalen zusammengefasst werden, vgl. Schulze 2005: 282f.) in einer eindeutigen Milieuzuordnung, die bei gleichbleibendem Antwortverhalten über einen beliebigen Zeitraum hinweg konstant bleibt, auch wenn sich die Skalenwerte anderer Personen beliebig ändern. Diese zeitliche und gegenüber außerhalb des einzelnen Individuums liegenden Veränderungen stabile Art der Milieuzuweisung ist eine der in der Diskussion zum Sinus-Modell vorgebrachten Voraussetzungen für die Anwendung im gegenständlichen Forschungsvorhaben. Die Verwendung der Typologie nach Schulze erscheint jedoch aufgrund folgender Einwände als nicht frei von einigen erwähnenswerten Zweifeln: 1. Die geringe Zahl an Milieus an sich wirkt zwar unmittelbar auffällig, aber an sich nicht zwingend problematisch. Als sehr wohl problematisch stellt sich der Einwand dar, dass der Weg, wie aus drei alltagsästhetischen Schemata exakt fünf Erlebnismilieus abgeleitet werden können, weitgehend unerklärt bleibt (vgl. Diaz-Bone 2004: 10). 35

2. Eine feinmaschigere Ausdifferenzierung von Milieutypen im Rahmen einer umfangreichen Interpretation erscheint auf der Grundlage von 5 Kategorien als wenig wahrscheinlich. Eine von Olaf Wenzel durchgeführte Validierung der Klassifikation auf Grundlage der Präferenzstruktur der Erlebnismilieus unter Anwendung einer Clusteranalyse mit Verwendung eines partitionierenden K-Means-Algorithmus bestätigte diese Vermutung auch statistisch. Um eine clusteranalytische Kategorisierung im Sinne der fünf konstruierten Milieus zu erreichen, wäre – um tatsächlich alle befragten Personen kategorisieren zu können - die Einführung einer sechsten Type erforderlich. Diese sechste Type fällt aber durch eine Distanz zu allen drei alltagsästhetischen Schemata auf. Nach Einschätzung Wenzels könnte es sich bei diesem sechsten Milieu einerseits um ein Methodenartefakt oder andererseits um ein tatsächlich vorhandenes „Milieu der Interesselosen“ oder gar „Milieu der Freizeitarmen“ handeln (Vgl. Wenzel 1999: 22ff.). 3. Eine erstaunliche Deckungsgleichheit zwischen Milieugrenzen und den Grenzlinien bloßer soziodemographischer Parameter wie Alter und Bildung (vgl. Schulze 2005: 383f.) lässt die Verwendung dieses Milieuinstruments beispielsweise aus der Sicht von Rainer Diaz-Bone als zweifelhaft erscheinen: „(…) erweckt (…) Skepsis, ob eine valide Milieukonzeption unterliegt, die sich ja gerade von einfachen Ansätzen mit objektiven Kriterien abheben will, da argumentiert wird, die milieubildende Instanz seien subjektive (alltagsästhetische) Faktoren.“ (DiazBone 2004: 10). Beim Einsatz des Schulze-Modells von Olaf Wenzel ergaben sich für die Varianzaufklärung durch die Variablen „Alter“ und „Bildung“ Werte zwischen 33% und 55%. Diese Werte versteht der Autor als Hinweis auf eine unzureichende Klassifikation der Milieus allein auf Basis von Alter und Bildung und relativiert damit zwar den obigen Einwand etwas, führt aber zugleich ins Treffen, dass die Durchführung einer Clusteranalyse eine deutlich höhere Erklärkraft erwarten ließe (Vgl. Wenzel 1999: 15f.). Diese teilweise widersprüchlich wirkenden Sichtweisen haben für das gegenständliche Forschungsvorhaben doch eine gemeinsame Konsequenz: Die Verwendung des Schulze-Modells als im vorliegenden Fall gegenüber einer Clusteranalyse zu bevorzugende Alternative ist hinfällig. Zwar argumentiert Schulze im Rahmen einer umfangreichen Abhandlung über Inkonsistenzen, Unschärfe und Ungenauigkeit, dass die eigentlich eingeführte, scharfe Abgrenzung der fünf Milieus aufgrund einiger Überlegungen nicht beizubehalten sei, sondern an Stelle harter Grenzen „Bereiche relativer Unbestimmtheit“ zuzulassen wären (vgl. Schulze 2005: 383), diesen Ausführungen kann ich aber nur bedingt zustimmen. Erstens vermag das bewusste Zulassen von undefinierten Grenzbereichen das Problem der Kongruenzen zwischen bloßen soziodemographischen Merkmalen und Milieutypen nicht beheben. Damit ist das Dasein des Konstrukts als „wirkliches“ Milieumodell mit dementsprechendem Zusatznutzen in seiner Anwendung und Interpretation weiterhin in Frage zu stellen. 36

Zweitens ist das Einbeziehen von Unschärfebereichen zwischen den Kategorien zwar ohne Zweifel ein Zugeständnis an die Lebenswirklichkeit in der Realität, jedoch löst dieses nicht das Problem des offensichtlichen Erfordernisses einer weiteren Ausdifferenzierbarkeit (und vor allem Beschreibung!) bestimmter sozialer Gruppen. Das Zusammenspiel aus eingeschränkter Transparenz, ausbaufähiger Detailliertheit im Sinne einer gering wirkenden Typenanzahl und dem Grenz-Kongruenzeffekt lässt beim Modell von Gerhard Schulze die Zweifel überwiegen. Eine Anwendung dieser Typologie für eine zielgruppenorientierte Milieustudie mit Fokus auf das Projekt „Graz-Reininghaus“ erscheint daher als eher nicht optimal bzw. hätte vor allem aufgrund der niedrigen Kategorienanzahl unter Umständen den Charakter einer Kompromiss- oder Sparlösung. Das finale K.O.-Kriterium stellen jedoch nicht alleine methodische Zweifel dar (die Schulze-Methodik kann – entsprechende Detailarbeit und bedarfsorientierte Modifikationen vorausgesetzt – mit Sicherheit qualitativ ansprechende und konsistente Ergebnisse liefern), sondern ein sehr naheliegendes Problem: Der Umfang der Items, die den Milieuindikator darstellen. Im Erlebnismilieu-Modell von Schulze werden zur Erfassung der individuellen Haltungen in Bezug auf alltagsästhetische Schemata 34 Variablen verwendet. In einem von Olaf Wenzel durchgeführten Projekt, in dessen Zentrum die empirische Umsetzung der Typologie stand, ergab sich im Rahmen einer Faktorenanalyse ein Bild scharf abgegrenzter Faktorladungen (sowie in einigen Fällen gut argumentierbare Mehrfachladungen) (vgl. Wenzel 1999: 14), was für die Validität der Messung in Bezug auf die alltagsästhetischen Schemata spricht (vgl. ebd.: 22). Die stattliche Anzahl von 34 Variablen erscheint mir jedoch – trotz ohne Zweifel diskussionswürdiger, statistischer und inhaltlichtheoretischer Argumente – als zu groß, um den Milieu-Indikator für das Modell von Gerhard Schulze in einem nicht-persönlichen Interview (dazu später mehr) einzusetzen. Die in empirischen Projekten ohnehin häufig schon problematisch geringe Rücklaufquote würde durch einen zeitaufwendigeren Fragebogen vermutlich zusätzlich verringert. Es gilt also, ein Milieu-Modell auszuwählen, das nicht auf einer Clusteranalyse aufbaut, die vorangehend diskutierten Einschränkungen bei einer Anwendung des Schulze-Modells vermeidet und unter Verwendung einer möglichst kompakten IndikatorBatterie valide und reliable Ergebnisse liefert. Ein methodisch und theoretisch gut dokumentiertes und transparentes Konstrukt, das diese scheinbar kühnen Wünsche in sich vereint ist jenes, das Gunnar Otte 2005 unter dem Titel „Entwicklung und Test einer integrativen Typologie der Lebensführung für die Bundesrepublik Deutschland“ vorstellte.

Skalenbasiertes Milieu-Modell nach Gunnar Otte Gunnar Otte bringt einleitend vor, dass in der deutschen Lebensstilforschung trotz jahrzehntelanger Aktivitäten in diesem Bereich keine nennenswerten, simultan-kumulativen Fortschritte zu verzeich37

nen sind. Die Gründe hierfür sieht er im empirischen Vorgehen der Lebensstilforschung, das sich primär auf Cluster- und Korrespondenzanalysen stützt (vgl. Otte 2005: 442). Die Vielzahl von (im Rahmen unterschiedlichster Forschungsarbeiten präsentierten) vorliegenden Milieumodellen veranlasste Otte zu einer ungewöhnlichen Vorgehensweise: Eine Theoretisierung und Operationalisierung von neun unterschiedlichen Arten der Lebensführung in Deutschland unter Berücksichtigung von Ergebnissen einer Metaanalyse vielfältiger Studien aus den Bereichen der Lebensstil- und Werteforschung. Dieser zufolge werden Muster der Lebensführung hauptsächlich von drei Dimensionen determiniert: „Ausstattungsniveau“, „Modernität/biographische Perspektive“ und „Aktionsradius“. (Vgl. ebd.) Otte formuliert auf seine grundsätzliche Kritik in Bezug auf das Fehlen einer einheitlichen Stoßrichtung in der Lebensstilforschung im deutschsprachigen Raum (in Deutschland entwickelte Methoden können üblicherweise auch in Österreich und der Schweiz Anwendung finden bzw. umgekehrt) aufbauend vier aus seiner Sicht zentrale Probleme hinsichtlich der Leistungsfähigkeit von Milieu- bzw. Lebensstilansätzen: 1. Mangelnde Vergleichbarkeit der Typologien: Zwar wurden mit unterschiedlichen Methoden empirisch häufig vergleichbare bzw. sich stark ähnelnde Typen benannt, jedoch ist eine Parallelisierung unterschiedlich aufgebauter und theoretisch begründeter Forschungsansätze im Regelfall eher problematisch. 2. Fraglicher Realitätsgehalt einzelner Typen: Teilweise erscheint es fraglich, ob es für bestimmte Lebensstiltypen tatsächlich eine signifikante Anzahl an realen Entsprechungen gibt. Nach Einschätzung von Gunnar Otte sollte jede Lebensstiltypologie eine modellhafte Auswahl datensatzexterner Fälle vorbringen. Es erscheint jedenfalls naheliegend, dass jene Typologien die meiste Beachtung erhalten haben, deren Kategorien sich intuitiv unterscheiden und verstehen lassen. Dabei handelt es sich um die bereits diskutierten Modelle von Sinus und Schulze. 3. Theoriearmut: Die Beschreibung von Unterschieden im Freizeitverhalten oder alltagsästhetischen Geschmack zeichnet sich in den meisten Fällen durch eine deutliche Distanz zu theoretisch schlüssigen Herleitungen und Erklärungen aus. 4. Erhebungsaufwand: Eine Sozialstrukturanalyse auf Grundlage von Milieuinstrumenten ist im Regelfall komplexer und aufwendiger als eine Differenzierung auf der Grundlage herkömmlicher Merkmale (wie beispielsweise soziodemografischer Fakten). So basiert beispielsweise der Milieu-Indikator des Sinus-Instituts auf einer Statement-Batterie von beinahe 50 Items, im Wohlfahrtssurvey 38

von 1993 wurden Lebensstile im Rahmen von 11 Batterien mit insgesamt 132 Items erhoben. Gängige Typologien benötigen im Normalfall ein unteres Limit von 40 bis 50 Variablen. Damit sind Milieumodelle und die dazugehörigen Erhebungsinstrumente sehr ressourcenintensiv. Eine weitreichende Etablierung derartiger Ansätze kann also nur erreicht werden, wenn dem wesentlich erhöhten Erhebungsaufwand (und Auswertungsaufwand) ein hoher Erkenntnisgewinn gegenübersteht bzw. sich nach Möglichkeit eine sparsamere Operationalisierung durchführen lässt. (Vgl. Otte 2005: 443) Die Ursache für dieses Problembündel sieht Gunnar Otte in der Methodik begründet, die bei Lebensstilmodellen bisweilen regelmäßig Anwendung findet: Lebensstiltypen werden sehr häufig durch eine Cluster- oder Korrespondenzanalyse generiert und nicht a priori bestimmt. Dieses „empiristische“ Vorgehen zeichnet sich dadurch aus, dass die Typologien datengesteuert entstehen und nicht das genuine Resultat theoretisch-inhaltlicher Überlegungen sind. Individuen werden bei gängigen Verfahren daher nicht auf Grundlage einer Indikatorenbatterie vorab begründeten Kategorien zugewiesen, sondern die Kategorien entstehen auf der Grundlage numerischer Prozesse, in denen Individuen aufgrund von Distanzmaßen zueinander gebündelt werden (Vgl. ebd.). Die theoretische Interpretation der auf einer Datengrundlage berechneten Kategorien erfolgt bei bisherigen Modellen also erst im Nachhinein. Diese Kritikpunkte decken sich hinsichtlich ihrer Implikationen weitgehend mit den von mir im Rahmen der Diskussion über die Tauglichkeit datengesteuerter Klassifikationen für die „Reininghaus-Milieustudie“ vorgebrachten Bedenken anderer Autoren. Um diese Einschränkungen in der Anwendung bekannter Milieumodelle und –Instrumente zu dezimieren, zeigt Otte folgendes: „(…) eine alternative Konstruktionsmöglichkeit für eine Typologie (…): Die Typenkonstruktion erfolgt intersubjektiv nachvollziehbar entlang a priori etablierter, theoretisierter und empirisch zentraler Dimensionen der Lebensführung, die mit einem Kurzinstrument von zehn Indikatoren effizient operationalisiert werden, so dass sich die Typologie in Bevölkerungsumfragen unaufwändig replizieren lässt.“ (Otte 2005: 444) Dabei verfolgt er aber nicht das Ziel (noch) einer inhaltlich neuartigen Typologie, sondern einer Reduktion der Vielfalt empirischer Typologien. Dies soll auf der Grundlage einer Synthese empirischer Befunde aus der Lebensstilforschung geschehen. Auf dem empirischen Boden dieser oben bereits kurz angesprochenen Metaanalyse entwickelt Otte seine Lebensstiltypologie, die – trotz möglichst guter Überschaubarkeit – „hinreichend komplex“ sein und im Sinne Bourdieus in einem mehrdimensionalen „sozialen Raum“ angelegt sein soll. Diese Anforderungen führen unter Anwendung der beschriebenen Vorgehensweise (Metaanalyse) zu einem zweidimensionalen Möglichkeitsraum, in dem 39

sich beide Dimensionen in jeweils drei Ausprägungsstärken unterteilen. So entsteht eine 3x3-Matrix, auf deren vertikaler Achse das „Ausstattungsniveau“ aufgetragen ist und in der Horizontalen der Grad an „Modernität“ bzw. „biographischer Perspektive“ abgebildet wird. (Vgl. ebd.: 451f.)

Abbildung 7 - Lebensstiltypologie nach Gunnar Otte (eigene Grafik, vgl. Otte 2005: 452)

Bei der ersten Betrachtung dieser (aus den Skalen „Ausstattungsniveau“ und „Modernität“ resultierenden) Milieutypen (Abb.7) zeigt sich neben dem Ziel der Berücksichtigung „hinreichender Komplexität“ bei gleichzeitiger „Übersichtlichkeit“ recht deutlich der Versuch, dieses Modell – im Sinne der diesbezüglichen Pluspunkte in den Typologien von Sinus und Schulze – so zu gestalten, dass die Kategorien Bezeichnungen tragen und Milieus darstellen, die möglichst auch für LeserInnen ohne sozialwissenschaftlichen Hintergrund einleuchtend erscheinen. Gunnar Otte charakterisiert die resultierenden Milieu-Typen in seinem Präsentationspaper in einem kurzen Umriss zwar hypothetisch, aber dem Vernehmen nach stimmig folgendermaßen:

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Tabelle 5 Hypothetische Handlungslogiken der Lebensführungstypen (Otte 2005: 454)

1 Konservativ Gehobene

2 Konventionalisten

3 Traditionelle Arbeiter

4 Liberal Gehobene

5 Aufstiegsorientierte

6 Heimzentrierte

7 Reflexive

8 Hedonisten

9 Unterhaltungssuchende

Tradition des Besitzbürgertums, Konservatismus, Distinktion durch „Rang“, Exklusivität im Lebensstandard, klassische Hochkultur, Leistungs- und Führungsbereitschaft, Religiosität Tradition des Kleinbürgertums, Pflicht- und Akzeptanzwerte, Sicherheitsorientierung, Hochkulturkonsum mit volkstümlichem Einschlag, konservativ-religiöse Moral, häusliche Idylle Tradition der Facharbeit, Bescheidenheit, Orientierung am Praktischen, Bedeutung sozialer Sicherheit, gewerkschaftliche Nähe, deutsches Liedgut, Vereinsleben Tradition des Bildungsbürgertums, Liberalität, berufliche Selbstverwirklichung, Hochkulturkonsum mit „alternativem“ Einschlag, Sinn für Authentizität, Kennerschaft im Konsum Zentriertheit um solide Berufskarriere, Familie und Partizipation am Mainstream der modernen Freizeitkultur, „Durchschnittlichkeit“ und interne Heterogenität des Typus durch Mittelposition Familienzentriertheit und Häuslichkeit durch Kinder und geringe Ressourcenverfügbarkeit, traditionelle Volksfestszene und moderne Massenkultur wie Popmusik und Fernsehen Kulturelle, akademisch geprägte Avantgarde, Reflexivität, Kreativität und Experimentierfreude, Suche nach eigenverantwortlicher Persönlichkeitsentfaltung, globales Lebensgefühl Jugendkultureller Stilprotest durch Mode und Musik, Innovationsfreude, gegenwartsbezogene Genuss- und Konsumorientierung, Extraversion, städtische Spektakel- und Clubkultur Erlebniskonsum, materialistische Statussymbolik und außerhäusliche Unterhaltungsorientierung vor dem Hintergrund einer Deklassierungsbedrohung, Depolitisiertheit

Die vorgestellte Typologie wirkt – bei Betrachtung der obigen Kurzbeschreibungen – in Umfang, Kategorisierung und Beschreibung meiner Einschätzung nach „rund“ und vollständig. Ich gehe aufgrund der höheren Typenzahl davon aus, dass sich das Modell nach Gunnar Otte wesentlich besser für die Abbildung eines stark ausdifferenzierten, städtischen Milieus eignet, als dies bei der Variante nach Gerhard Schulze der Fall wäre. Aufgrund einer interessanten Konstellation von mehrerer Universitäten bzw. Fachhochschulen, innovativen Klein- und Mittelbetrieben und Industrieunternehmen sowie vielfältigen Szenen in Kunst und Kultur in und um Graz vermute ich, dass die Reichweite der fünf Erlebnismilieus von Schulze von gewissen Einschränkungen betroffen wäre. Diese Limitierungen in der Anwendung eines nur 5 Kategorien umfassenden Modells beträfen vor allem die Bereiche „Interpretierbarkeit“ und „Auflösungsgenauigkeit“. Damit wären genau jene Punkte eingeschränkt, die im gegenständlichen Vorhaben von besonderer Relevanz sind.

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Es mag etwas kühn wirken, aus einer Indikatoren-Batterie von nur zehn Items eine Typologie mit neun Kategorien abzuleiten. Auch mir bereitete dieser Punkt während der erstmaligen Lektüre des Beitrags zur Modellpräsentation und –Validierung zunächst Kopfzerbrechen. An dieser Stelle möchte ich aber anmerken, dass dieser bloße „Zahlenvergleich“ nicht besonders zielführend ist. Wesentlich ist der Punkt, dass die neun Milieus umfassende Typologie aus zwei Skalen resultiert, die aus jeweils fünf Items bestehen und damit die jeweiligen Skalenausprägungen in „nur“ drei Gruppen unterteilt werden. Natürlich wäre es problematisch, wenn beispielsweise ein einzelnes Item mit 3 bzw. vielleicht gar 9 Antwortausprägungen dazu verwendet würde, Personen aufgrund des beobachteten Antwortverhaltens in 3 Kategorien entlang einer Achse bzw. 9 Typen im zweidimensionalen Optionsraum zu unterteilen. Da eine aus mehreren (im konkreten Fall eben jeweils 5) Items bestehende Skala Einstellungs- und Werthaltungsparameter wesentlich besser zu erfassen vermag als einzelne Items, ist eine Skalen-Splittung in jeweils 3 Kategorien – die Berücksichtigung der erforderlichen Gütekriterien vorausgesetzt – im Sinne des von Gunnar Otte vorgestellten Modells unproblematisch. Die resultierenden neun Milieu-Kategorien sind daher nicht die Folge einer (ich erlaube mir, dies so zu bezeichnen) inflationsbedingten Scheingenauigkeit, sondern das Resultat einer durchaus als berechtigt anzusehenden Konzeption unter Einbeziehung empirischer Befunde sowie theoretischer Überlegungen. Die Typologie von Gunnar Otte vereint zahlreiche Problemlösungen in Bezug auf die im Vorfeld zu dessen Vorstellung von mir angesprochenen Herausforderungen und Einschränkungen bei der Verwendung anderer Modelle und ist zugleich – nicht zuletzt aufgrund ihres sehr kompakten Indikators von (in der Kurzversion – vgl. Otte 2005: 445) nur 10 Items – für eine Anwendung im Rahmen eines empirischen Projekts mit nicht-persönlichen Interviews prädestiniert. Im Vorfeld wurden Bedenken hinsichtlich möglicherweise erhöhter Abbruchraten aufgrund einer zu langen Befragungsdauer laut. Ein bezüglich der Zahl der Indikator-Items sehr umfangreicher Fragebogen ist ohne Zweifel ein Begleitumstand, der – möglicherweise ohnehin nur mäßig motivierte – TeilnehmerInnen sicherlich nicht zum vollständigen Beantworten aller Fragen motiviert. Die Erstellung eines insgesamt (für die Befragungsperson) möglichst zeitsparenden, aber empirisch dennoch funktionalen und inhaltlich wertvollen Erhebungsinstruments hat demnach also oberste Priorität. Das Milieu-Modell nach Gunnar Otte erfüllt diese Voraussetzung in Anbetracht aller bisher vorgebrachten Für und Wider meiner Einschätzung nach von den diskutierten Varianten am besten. Der Milieuindikator der Otte-Typologie Wie bereits vorangehend ausgeführt wurde, erfüllt die vorliegende Milieu-Typologie alle Erforderlichkeiten, um im gegenständlichen Forschungsprojekt Anwendung finden zu können. Die bekannt sparsame, aber methodisch hinreichende Item-Batterie, die als Indikator für die Kategorisierung der 42

Befragten zum Einsatz kommt, wird im Folgenden kurz vorgestellt. Der Indikator selbst gliedert sich in Items für die Erstellung der verwendeten und in der in Abbildung 7 eingezeichneten Skalen „Ausstattungsniveau“ und „Modernität/biographische Perspektive“. Fragestellungen und Überlegungen zur Dimension „Ausstattungsniveau“: Tabelle 6 Indikatoren für (ökonomisches bzw. kulturelles) "Niveau" der Lebensführung (vgl. Otte 2005: 455)

Item-Bezeichnung A1 A2 A3 A4 A5

Frage/Inhalt Ich pflege einen gehobenen Lebensstandard. Maximale Ausgabenhöhe im Restaurant. Kunstausstellungen/Galerien Bücher lesen Überregionale Tageszeitung lesen

Die Items „A1“ und „A2“ repräsentieren die Selbsteinschätzung des eigenen Lebensstandards und den alltagspraktischen Umgang mit finanziellen Ressourcen (Tab. 6). Diese Items folgen Ottes Überlegung, „dass die Lebensführung in ihrem Ausstattungsniveau über zwei ‚Routen‘ beeinflussbar sei“ und repräsentieren das vom ökonomischen Kapital determinierte „Niveau“ der Lebensführung. Die kulturelle Komponente des Ausstattungsniveaus wird durch die Items „A3“, „A4“ und „A5“ operationalisiert. Neben der Besuchshäufigkeit von Ausstellungen und Galerien wird über „Bücher“ und „überregionale Tageszeitungen“ das „Ausmaß der – mit Zeitinvestitionen verbundenen – Pflege komplexer Informationsverarbeitungskapazitäten“ erfasst. Dem Autor zufolge stellen Leseaktivitäten einen besonders umfangreichen Faktor in der Aneignung hochkulturellen Kapitals dar. Mit der Überregionalität gelesener Tageszeitungen wird letztlich die „Weltläufigkeit“ des individuellen Interessenhorizonts ermittelt. Nach Otte stellt diese Weltläufigkeit der persönlichen Interessen besonders in gehobenen Lebensführungsmilieus einen geschätzten Faktor dar. (Vgl. Otte 2005: 455f.) Die Indikatoren für die Skala „Modernität/biographische Perspektive“ sind in Tabelle 7 ersichtlich und werden nachfolgend vorgestellt. Tabelle 7 Indikatoren der Dimension "Modernität/biographische Perspektive" (vgl. ebd.)

Item-Bezeichnung B1 B2 B3 B4 B5

Frage/Inhalt Ich lebe nach religiösen Prinzipien Ich halte an alten Traditionen meiner Familie fest. Ich genieße das Leben in vollen Zügen. Ich gehe viel aus. Mein Leben gefällt mir dann besonders gut, wenn ständig etwas los ist.

Die Komponente der Traditionalität in der Lebensführung wird durch die Items „B1“ und „B2“ erfasst. Diese messen das Maß der „Ausrichtung der Lebensprinzipien an traditionalen Sinngebungs- und 43

Vergemeinschaftungsinstanzen: Religion und Familie“. Mit dem Element „Lebensgenuss“ (B3) findet ein gerne verwendeter Indikator für „Selbstentfaltung und Hedonismus“ Anwendung. „Typisch für eine offene biographische Perspektive“ ist nach Otte auch eine Action-Orientierung, deren Messung über die Ausgehhäufigkeit (B4) und die Affinität zu permanenter Unterhaltung bzw. Aktivität (B5) erfolgt. Was Gunnar Otte besonders hervorhebt, ist die Zeitstabilität der hier vorgestellten Indikatoren. Demnach mag ein Indikator wie „Internetnutzung“ zwar zum aktuellen Zeitpunkt gewissermaßen in der Lage sein, „Modernität“ abzubilden, aufgrund technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse sei eine dauerhafte (und vor allem quantitativ gleichbleibende) Validität dieses Items aber nicht zu erwarten. (Vgl. ebd.) Das Erreichen einer möglichst großen Zeitstabilität deckt sich mit der diesbezüglichen Komponente des Anforderungsprofils an das Erhebungsinstrument und die dazugehörige Typen-Zuordnung für die gegenständliche „Reininghaus-Milieustudie“ bzw. eventuell erforderliche Folgeuntersuchungen.

Operationalisierung der Erhebungsbereiche Im Folgenden werden die im Abschnitt „Erhebungsdimensionen“ vorgestellten Erkenntnisziele im Zuge einer Überführung in inhaltlich möglichst korrekt abbildende Forschungsfragen operationalisiert. Im Zuge dessen werden – sofern evident – jeweils auftretende Probleme und dazugehörige Lösungsansätze diskutiert. Komplex „Wünsche und Erfordernisse“ Der Erkenntniskomplex „Wünsche und Erfordernisse“ hat – wie bereits dargelegt wurde – das Ziel, die milieuabhängigen bzw. –spezifischen Einstellungsparameter in den untersuchten Bereichen zutage zu fördern. Die zugehörigen Items befinden sich innerhalb einer Batterie, die mit einer allgemeinen Aufforderung zur Beantwortung („Bitte verraten Sie uns, wie wichtig Ihnen die folgenden Punkte bei der Wahl einer neuen Mietwohnung sind“) eröffnet wird. Die Antwortausprägungen entsprechen einer vierstufigen Likert-Skala mit symmetrischen Optionen zwischen „Sehr wichtig“ und „Nicht wichtig“. Für Befragte, die sich zu einem solchen Präferenz-Item keine Meinung gebildet haben oder diese nicht preisgeben wollen, steht die Antwortoption „Weiß nicht“ zur Verfügung, die – anders als eine neutrale Kategorie – beispielsweise im Rahmen einer Skalenbildung nicht quantitativ berücksichtigt wird, sondern als „fehlende Antwort“ definiert ist. Nähe zur Natur/Luftgüte/Ruhelage/Öffentl. Parks Diese Kategorie erstreckt sich über mehrere Themenbereiche, was für die Erhebung mittels Fragebogen eine Splittung in mehrere einzelne Items erfordert. Die Verwendung findenden Items erfordern meiner Einschätzung nach keine speziellen Überlegungen in Bezug auf deren Verständlichkeit oder Interpretierbarkeit und können daher mehr oder weniger direkt aus den Erkenntnisdimensionen 44

abgeleitet werden. Lediglich eine Substitution des Begriffs „Luftgüte“ durch „Luftqualität“ (die Formulierung als „Luftqualität“ erscheint mir wertneutraler) und eine Ergänzung von „Ruhelage“ um die Zusatzinformation „Geräuschpegel“ wurde vorgenommen: 

Nähe zur Natur



Luftqualität



Ruhelage (Geräuschpegel)



Öffentliche Parks und Gärten in der Umgebung

Auf Grundlage inhaltlich-theoretischer Überlegungen (diese werden im Zuge der Hypothesenargumentation noch dargelegt) wird in dieser Kategorie im Zuge der Auswertung zwischen der aus den Items „Nähe zur Natur“, „Luftqualität“ und „Ruhelage“ bestehenden Dimension „Natur“ sowie der nur aus dem Item „Öffentliche Parks“ bestehenden Dimension unterschieden. Alltagsmobilität (Arbeitsweg, ÖV, E-Mobility, Carsharing, Rad, Parken) Die Dimension der Alltagsmobilität stellt eines der zentralen Erkenntnisziele im gegenständlichen Projekt dar. Nicht nur, dass der Sphäre der Mobilität im Reininghaus-Projekt durch die Firma Erber einiges an Aufmerksamkeit beigemessen wird, auch der Rahmenplan der Stadt Graz zeigt diesbezügliche Herausforderungen aber auch Potentiale auf (vgl. Rahmenplan Graz-Reininghaus: 17ff.). Auf die im Bereich der Alltagsmobilität liegenden Sub-Dimensionen entfallen für die Erhebung jeweils eigene Items. Auch diese können zum größten Teil ohne die notwendige Bewältigung methodischer oder verständnisrelevanter Herausforderungen formuliert werden: 

Kurzer/schneller Arbeitsweg



Öffentliche Verkehrsanbindung



Zugang zu Elektromobilität und Ladestationen



Carsharing-Angebote in der Umgebung



Anschluss an Radwege



Sichere Rad-Abstellplätze



Parkmöglichkeit für eigenen PKW

Das Item „Kurzer/schneller Arbeitsweg“ erfasst sowohl die zeitliche, als auch die räumliche Dimension und soll damit sowohl verkehrs(mittel)bedingte Verzögerungen als auch die Komponente der tatsächlichen Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort berücksichtigen. Eine weitere Ausdifferenzierung des Items im Sinne einer Modal-Split Analyse o.ä. würde sich für das vorliegende Forschungsprojekt thematisch außerhalb des Rahmens bewegen. Der Modal-Split für die Stadt Graz 45

findet lediglich in der Hypothesenbegründung Berücksichtigung. Bei der Frage nach der Wichtigkeit des Zugangs zu Elektromobilität und Ladestationen wurde bewusst ein beide Komponenten einschließendes Item formuliert, um sowohl BesitzerInnen von Elektrofahrzeugen (inkl. E-Fahrrädern) als auch Personen anzusprechen, die sich für Elektromobilität in Form von Leihfahrzeugen oder im Rahmen von Carsharing-Modellen interessieren. Gehobenes soziales Umfeld/gute Gegend Wie aus der im Kapitel „Erhebungsdimensionen“ geführten Diskussion zu dieser Dimension ersichtlich wird, bezieht sich das hierin liegende Erkenntnisinteresse nicht darauf, ob für die befragte Person ein Ansiedeln in einer konkreten, aus objektiven Gründen „guten Gegend“ überhaupt zur Debatte steht, sondern die Frage richtet sich nach der subjektiven Wichtigkeit für die Befragten, ihre neue Wohnung in einer Gegend zu mieten, die in einer – der stadtspezifischen Diskussions- und Bewertungspraxis entsprechend –„guten“ bzw. „als hochpreisig bekannten“ Gegend liegt. Die im Fragebogen eingesetzte Formulierung lautet daher wie folgt: 

Lage in einer „guten Gegend“

Durch die Schreibweise unter Anführungszeichen soll der befragten Person deutlich gemacht werden, dass es sich hier beim Begriff „gute Gegend“ nicht um einen Absolutbegriff handelt, sondern sich die Fragestellung auf eine Gegend bezieht, die im Allgemeinen als „gute Gegend“ bezeichnet und wahrgenommen wird. Kulturangebot und Sportmöglichkeiten Die Elemente „Kulturangebot“ und „Sportmöglichkeiten“ bedürfen in der Gestaltung der zugehörigen Items keinen nennenswerten Anstrengungen, um verständlich formuliert zu sein. Lediglich die Anführung beispielhafter Formen kultureller Angebote sollte meiner Einschätzung nach hinzugefügt werden, um bei möglichst allen Befragten eine korrekte Interpretation der Fragestellung zu erreichen. 

Kulturelles Angebot in der Nähe (Konzerte, Ausstellungen, Theater etc.)



Sportmöglichkeiten in der Nähe

Eine detaillierte ausdifferenzierte Bedarfserhebung in den Bereichen „Kultur“ und „Sport“ bietet sich im Zuge einer Längsschnitt-Begleitstudie an und macht zum gegenwärtigen Zeitpunkt (der Stadtteil „Graz-Reininghaus“ und seine BewohnerInnen sind bisher bekanntlich bloß theoretischer Natur) wenig Sinn.

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Kinderbetreuungsangebot Die Erforderlichkeit von Betreuungs- und Ausbildungsangeboten für Kinder beschränkt sich naheliegend nicht nur auf Kinderkrippen bzw. Kindergärten, sondern umfasst auch Schulen. Dementsprechend muss das zugehörige Item derart ausgeführt sein, dass es alle Arten an Einrichtungen berücksichtigt. Erwähnenswerte Anforderungen an die Verständlichkeit des Items ergeben sich im vorliegenden Fall nicht. 

Schule/Kinderbetreuung in unmittelbarer Nähe

Der Grund für die Wahl der Formulierung mit dem Bezug auf „unmittelbare Nähe“ liegt in folgender Überlegung: Beispielsweise öffentliche Parks (hier wurde als Ortsergänzung „in der Umgebung“ verwendet) werden im Regelfall nicht mit einer vergleichbaren Regelmäßigkeit aufgesucht wie Schulen. Während Kinder täglich in Betreuungseinrichtungen oder Schulen gebracht werden müssen (bzw. später selbstständig auf den Weg geschickt werden), ist der Besuch eines öffentlichen Parks im Regelfall an weniger (sich permanent positiv oder negativ auswirkende) alltagspraktische Anforderungen gebunden. Zeitgemäßes Multimedia-Angebot Dieser Punkt wird auf Anfrage der Firma Erber miterhoben, findet im Rahmen dieser Arbeit jedoch keine weitere Berücksichtigung. Spezialprodukte (Bioläden, Regionales) Die subjektiv bewertete Relevanz der Verfügbarkeit biologisch und/oder regional produzierter Lebensmittel kann mit einem einfachen Item abgefragt werden, an dessen Formulierung keine besonderen Anforderungen im Sinne der Eindeutigkeit und Verständlichkeit augenscheinlich sind. Die Zusammenfassung der Kategorien „Bio“ und „Regionales“ erscheint unproblematisch, da sich die Komplexe in der Realität in vielen Fällen überschneiden dürften und das tatsächliche Angebot im Zuge der Stadtteilentwicklung (inkl. dem Anwerben entsprechender Gewerbebetriebe) letztlich erst geschaffen werden muss. 

Verfügbarkeit von Bioprodukten und regional produzierten Lebensmitteln

Komplex „Ängste und Bedenken“ Auch dieser Komplex hat zum Ziel, die milieuabhängig auftretenden Effekte in Bezug auf die Ausprägungsstärke der jeweiligen Erhebungsdimensionen zu erheben. Der Block „Ängste und Bedenken“ fokussiert auf jene Überlegungen, die aufgrund der Besonderheiten von „Graz-Reininghaus“ nahe liegen und zu Akzeptanz- oder Attraktivitätsproblemen führen könnten. 47

Eigentum als Alternative zur Miete Die diesbezügliche Fragestellung hat zum Ziel, in Abhängigkeit von der Milieuzugehörigkeit die individuellen Präferenzen der befragten Personen zu erfassen. Wie in der weiter oben befindlichen Abhandlung über die Problematik mit von „Ungewissheit“ dominierten Entscheidungssituationen gezeigt wurde, kann die Frage nur auf „hier und heute“ vorliegende Pläne bzw. Zukunftsvorstellungen abzielen. Die Erforschung in der Zukunft liegender Entscheidungstendenzen unter hypothetischen Bedingungen innerhalb und außerhalb des jeweiligen Individuums ist naheliegend nicht möglich. Erfragt wird also die „hier und heute“ gültige Selbsteinschätzung hinsichtlich zukünftiger Handlungen: 

Ich habe vor, eines Tages eine eigene Wohnung oder ein Haus zu kaufen.

Das resultierende Item erscheint in Bezug auf Verständlichkeit und Eindeutigkeit unproblematisch. Eine Erweiterung oder eine alternative Formulierung ist daher nicht vonnöten. Unbekanntes Terrain (Neuer Stadtteil) Beim Begriff „Stadtteil“ handelt es sich meines Erachtens um einen Terminus, der an Uneindeutigkeit kaum zu übertreffen ist. Von einigen Wohnblocks über Straßenzüge oder ganze Bezirke bis hin zu mehrere Bezirke umfassenden Gebieten kann das Verständnis eines „Stadtteils“ reichen. Aus diesem Grund erscheint es dringend angebracht, die im Erhebungsinstrument zum Einsatz kommende Fragestellung unter besonderer Berücksichtigung dieser Problematik zu formulieren. Die zunächst angedachte Frage-Formulierung „Bei einem neuen Stadtteil weiß man nicht, worauf man sich einlässt.“ ist mit dem Problem verknüpft, dass sich der Begriff „Stadtteil“ – vor allem in Anbetracht des sehr spezifischen Erkenntnisinteresses – nur schwer ersetzen lässt. Beim Projekt „Stadtteil Reininghaus“ wird es sich (Stichwort „Quartiere“) nicht um ein Wohnbauprojekt handeln, wie es in größeren Städten eigentlich permanent irgendwo gebaut wird. Für diese Bezeichnung ist das auf dem Areal angedachte Vorhaben meiner Einschätzung nach erstens zu groß und zweitens funktional zu stark verwoben. Auch was den Planungsumfang betrifft, übersteigt das auf den ReininghausGründen Geplante das Übliche. So ist beispielsweise im bereits 2010 von der Stadt Graz veröffentlichen Rahmenplan für das Reininghaus-Areal zu lesen: „Der Rahmenplan hat damit eine wichtige Vorsorgefunktion für eine kontinuierliche Entwicklung des Stadtteils, indem er langfristige Entwicklungsziele abbildet und als planerische Anforderungen festlegt. (…) Für Eigentümer und Verantwortliche ist der Rahmenplan das Mittel, mit dem die Entwicklung von Graz-Reininghaus jederzeit navigierbar bleibt: Man kann zu jedem Zeitpunkt steuernd eingreifen und dadurch ein organisches Wachstum

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sicherstellen, so, wie es für funktionierende Stadtteile kennzeichnend ist.“ (Rahmenplan GrazReininghaus: 8) Die Verwendung des Begriffs „Stadtteil“ ist damit zwar für alle in Planung und Entwicklung involvierten Personen klar und logisch, im Zuge einer empirischen Erhebung ist er aber dennoch kritisch zu betrachten. Aus diesem Grund wurde – im Bewusstsein über eventuell auch mit dieser Begrifflichkeit verbundene Interpretationsprobleme – das entsprechende Item auf die folgende Art formuliert: 

Wenn man in ein neu gebautes Wohngebiet zieht, weiß man nicht, worauf man sich einlässt.

Zwar ist der etwas ungenaue Begriff „Wohngebiet“ für das Reininghaus-Projekt aufgrund genannter Faktoren nicht in allen Details korrekt, diese Formulierung erscheint aber aufgrund andernfalls zu befürchtender Verständnisprobleme bzw. Unschärfen aufgrund von Interpretationsdifferenzen als sinnvoller Kompromiss. Pragmatische Bedenken (Baustellen) Die Problematik voraussichtlich mehrere Jahre andauernder Bauaktivitäten in unmittelbarer Umgebung der als erstes bezugsfertigen Quartiere wird mit der nachfolgenden Fragestellung erhoben: 

Ich habe Bedenken, dass beim Einzug in eine neue Wohnsiedlung noch nicht alle Bauarbeiten in der Umgebung der Wohnung abgeschlossen sind.

Diese Formulierung – inklusive der Bezeichnung „Wohnsiedlung“ – ergibt sich aus Überlegungen analog zu den oben angeführten Problemen in Bezug auf die zu verwendende Terminologie. Allerdings ergaben Rückmeldungen nach Pretest-Interviews, dass die (beim vorhergehend besprochenen Item verwendete) Formulierung „Wohngebiet“ von einigen Befragten als Ausdruck für ein eher großräumiges Gebiet empfunden wird und daher Bauarbeiten aufgrund des großen räumlichen Abstandes kein nennenswertes Störpotential hätten. Es wird nun erhofft, dass der Begriff „Wohnsiedlung“ in der Vorstellungswelt der Befragten geringere räumliche Abstände bzw. eine als unmittelbarer empfundene Einschränkung in der eigenen Lebensqualität impliziert und dennoch eine differenzierte Messung der Ausprägungsstärke erfolgen kann. Insgesamt ist anzunehmen, dass die Resultate dieses Items eher von geringer Aussagekraft sein werden, da die individuelle Vorstellung über das zeitliche und räumliche Ausmaß von derartigen Bauarbeiten in der Umgebung einer neuen Wohnung sehr uneinheitlich sein dürfte. Da auch der tatsächliche Ablauf der Bauarbeiten in „Graz-Reininghaus“ aus heutiger Sicht bestenfalls grob abgeschätzt werden kann, ist dieses Thema von einer doppelten Unschärfe betroffen. Daher wird das Item als

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experimentell betrachtet und quasi außer Konkurrenz und ohne ex-ante formulierte Hypothese ausgewertet. (Un-)Erwünschte Interaktion (Nachbarn) Das in dieser Dimension eingesetzte Item stellt keine speziellen Anforderungen in Sachen Verständlichkeit und Interpretationseindeutigkeit. Es kann daher wie folgt formuliert werden: 

Ich möchte meinen Nachbarn möglichst wenig begegnen.

Generationenfrage Auch bei diesem Item gestaltet sich die Formulierung hinsichtlich ihrer Verständlichkeit und Eindeutigkeit problemlos. 

Ich finde, junge und alte Menschen sollten nicht in derselben Gegend wohnen.

Nationalitäten & Kulturen Die hier zum Einsatz kommende Fragestellung ist ebenfalls klar und bietet wenig Spielraum für Interpretationen. 

Ich möchte nicht in einer Gegend mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten leben.

Die Einschränkung auf den Begriff „Nationalitäten“ hat den Grund, dass der Kulturbegriff sehr vielschichtig ist und daher die Eindeutigkeit der Fragestellung unter Umständen deutlich einschränken würde.

Hypothesen zu den Erhebungsdimensionen Um aus den erhobenen Daten möglichst zielgerichtet Erkenntnisse im Sinne des Forschungsinteresses ableiten zu können, ist die Formulierung von vermuteten Annahmen in Form von Hypothesen ein probates Mittel. Die Ausformulierung dieser Forschungshypothesen erfolgt auf Grundlage der Lebensstil-Typologie nach Gunnar Otte, dessen neun Lebensstil-Kategorien in der gegenständlichen Arbeit die Basis für eine differenzierte Analyse lebensstilspezifischer „Wünsche und Erfordernisse“ auf der einen beziehungsweise „Ängste und Bedenken“ auf der anderen Seite bilden. Diese Typologie wurde weiter oben in Tabelle 5 und Abbildung 7 unter Nennung idealtypischer Handlungslogiken vorgestellt. Im Folgenden werden die darauf aufbauenden Hypothesen in Bezug auf die behandelte Wohnungs-Thematik vorgestellt. Dabei bediene ich mich einer anderen Reihenfolge als in der Vorstellung der Erhebungsbereiche: Die Hypothesen werden nach ihrem Bezug zu den im Milieumodell 50

verwendeten Skalen („Ausstattungsniveau“ und „Modernität“) kategorisiert vorgestellt, um die theoretischen bzw. logischen Sprünge zwischen den einzelnen Annahmen überschaubar zu halten.

Hypothesen zum Ausstattungsniveau Die nachfolgenden Hypothesen unterstellen eine Abhängigkeit der Antwortausprägungen von der Skala „Ausstattungsniveau“. Bei Lebensstilen mit hohem Ausstattungsniveau wird darin ein tendenziell anderes Antwortverhalten vermutet als in Milieus mit mittlerem oder niedrigem Ausstattungsniveau. Dimension Natur Eine Wohnumgebung, die den einzelnen Komponenten dieser Dimension möglichst gut entspricht, ist in Graz vorwiegend in den nördlichen bis östlichen Randbezirken zu finden. Dies liegt einerseits an der Eigenart, dass die rechte (westlich des Flusses gelegene) Murseite, auf der auch das ReininghausAreal liegt, die Mehrzahl der Grazer Industriebetriebe beheimatet und andererseits am Faktor, dass die regionale Topographie in Kombination mit der hohen Verkehrs- und Industriedichte das lokal besonders

relevante

Feinstaub-Problem

mit

determiniert

(vgl.

http://steiermark.orf.at/

news/stories/2704285/, 30.11.2015). Diese Parameter schlagen sich auch in der subjektiven Einschätzung der Umweltqualität der Grazer BezirksbewohnerInnen nieder. So wiesen beispielsweise im Rahmen einer 2013 durchgeführten Studie zur Lebensqualität der Grazer Wohnbevölkerung die nördlichen bis östlichen Randbezirke auf einer fünfstufigen Likert-Skala wesentlich höhere Zufriedenheitswerte auf (Mittelwert aus Andritz, Mariatrost, Ries, Waltendorf und St. Peter: 2,21), als die westlichen Randbezirke (Mittelwert aus Gösting, Eggenberg, Wetzelsdorf und Straßgang: 2,55) auf der rechten Murseite (Eigene Mittelwert-Berechnungen, Datenquelle: LQI Umfrage Stadt Graz 2013: http://www1.graz.at/statistik/LQI_2013/Brosch%C3%BCre_00.pdf, 30.11.2015: 40f). Die Bezirke mit gutem subjektivem Umwelt-Qualitätsempfinden (bei zugleich objektiv besseren Bedingungen) in nördlicher bis östlicher Stadtrandlage sind jene, die eher bürgerlich geprägt sind. Ein Blick auf die zweidimensionale Typologie des verwendeten Milieumodells führt zu folgender Überlegung: Die vertikale Achse („Ausstattungsniveau“) findet Anwendung, um die „Konsumgüterausstattungen und Kulturpraktiken“ der befragten Personen zu messen und ordinal den Wertorientierungen „gehoben-anspruchsvoll“, „respektabel-strebend“ und „kalkulierend-bescheiden“ zuzuordnen (vgl. Otte 2005: 452). Hieraus lässt sich folgern, dass eine höhere Ausprägung auf dieser Achse mit einer erweiterten Optionsvielfalt in der persönlichen Lebensgestaltung einhergeht. Dieses mit zunehmender Skalenausprägung wachsende Möglichkeitsspektrum erstreckt sich naheliegend auch auf die Wahl der eigenen Wohnumgebung. Versteht man den Wunsch nach Ruhe und sauberer Luft als weitgehend universell und stärker von persönlichen Werthaltungen und Alltagspraktiken entkop51

pelt als andere Präferenzen (wie z.B. die Entscheidung zwischen PKW und öffentlichen Verkehrsmitteln), so ergibt sich daraus die Hypothese: Je höher das Ausstattungsniveau desto wichtiger ist den Befragten die Dimension Natur. Elektromobilität Der bis zum heutigen Zeitpunkt nach wie vor eher geringe Verbreitung aufweisende Bereich der Elektromobilität soll – wie weiter oben ausführlicher behandelt – beim Reininghaus-Projekt eine größere Rolle spielen als derzeit noch üblich. Der im Zuge der Erhebung berücksichtigte „Zugang zu Elektromobilität und Ladestationen“ dürfte also momentan nur für einen eher kleinen Personenkreis von unmittelbarer Bedeutung sein. Eine gegenwärtige Relevanz von Ladestationen wäre beispielsweise für Personen gegeben, die bereits über ein Elektrofahrzeug verfügen, das nicht (wie zum Beispiel die meisten E-Fahrräder) mit einem Akku betrieben wird, der mit in die Wohnung oder ein Kellerabteil genommen und dort aufgeladen werden kann. Per 31. Oktober 2015 machten in Österreich 4748 Stück elektrisch angetriebene PKW rund 0,1% des Bestandes aus (http://www.statistik.at/ wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=0 61766, 4.12.2015). Dieser geringe Anteil legt die Vermutung nahe, dass rein elektrische Autos im Moment ein Nischenprodukt sind, das von einer KäuferInnen- bzw. NutzerInnenschicht mit bestimmten Werthaltungen und Präferenzen nachgefragt wird. Die Komplexe „Umweltschutz“ und „fortschrittliche Technik“ sind im öffentlichen Diskurs eng mit der Elektromobilität verknüpft, sodass angenommen werden kann, dass diese Dimensionen für die derzeitigen NutzerInnen ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Der bisher sehr geringe Anteil solcher Fahrzeuge bietet zudem die Möglichkeit, sich durch das Nutzen oder Besitzen eine gewisse Form an Distinktion zu verschaffen. Diese Punkte führen zur Annahme, dass Elektromobilität und Ladestationen für Angehörige jener Lebensstilgruppen besonders wesentlich sind, in denen eine überdurchschnittlich große Affinität zu einer fortschrittlichen Technologie, zum Umweltschutz und/oder einer besonderen Distinktionsmöglichkeit vermutet werden kann. Eine solche Kombination halte ich für am wahrscheinlichsten im Milieu der Reflexiven, und in den Gruppen der konservativ und liberal Gehobenen. Der verwendete PKW gilt (trotz eines inzwischen rückläufigen Trends) bis heute für einen beachtlichen Teil seiner FahrerInnen als Sinnbild für den eigenen Erfolg oder Ausdruck der eigenen Persönlichkeit (vgl. https://www.wko.at/Content.Node/branchen/vbg/Fahrzeughandel/Ein_Leben_ohne_ Auto_.html, 4.12.2015). Die sozial zentrale Bedeutung des Automobils „als transportables Statussymbol“ (Preisendörfer 2001: 734f.) wurde fallweise sogar als so weitreichend diskutiert, dass das Auto und seine kulturelle Bedeutung als ein Teil der „Grundausstattung eines vollwertigen Gesellschaftsmitgliedes“ (Burkart 1994: 224) beschrieben wurde. In dieser kulturellen bzw. sozialen (Symbol-)Bedeutung und Funktionalität des Autos und der finanziell nicht unwesentlichen Hürde beim 52

Kauf eines Elektrofahrzeugs liegt der Grund für meine Annahme, dass Elektromobilität und die dazugehörige Infrastruktur durch entsprechende Werthaltungen, Eigenarten in der Lebensgestaltung und finanzielle Mittel zur Option und zur ernsthaften Überlegung wird. Daraus ergibt sich die Hypothese: Je höher das Ausstattungsniveau desto wichtiger ist den Befragten der Zugang zu Ladestationen und Elektromobilität. Gute Gegend/gehobenes soziales Umfeld Ein häufig gebrauchtes Sprichwort lautet „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ und unterstellt, Menschen würden soziale Kontakte bevorzugen, die ihnen selbst in Sachen Wertorientierung und Lebensgestaltung besonders ähnlich sind. Das eigene Verständnis von „Normalität“ wird in hohem Maße von der uns umgebenden Gesellschaft definiert. Auf der Grundlage einer Unterscheidung zwischen „normal“ und „nicht normal“ kommt es zur Exklusion durch die im jeweiligen Kontext als „normal“ geltende soziale Gruppe wie Alex Demirović ausführt: „Die moderne Gesellschaft ist durch statistische Regelmäßigkeiten bestimmt. Diese werden nicht mehr normativ in dem Sinne bewertet, dass man bestimmte Vorkommnisse und Ereignisse verhindern oder ausgrenzen möchte; vielmehr werden sie positiv unterstellt: sie finden statt, man kann sich auf diese Ereignisse des Verbrechens, des Wahnsinns, der Geburtenrate, der epidemischen Verbreitung von Krankheiten, der Teuerung oder der Inflation stützen. Das Verhältnis zu den Ereignissen ist derart, dass Normalitätsklassen gebildet und Normalitätsdifferentiale beobachtet werden. Die Exklusion trifft den negativ bewerteten Randbereich der Normalitätskurve, alle anderen gelten als normal.“ (Demirović 2008: 406) Ich möchte mich in meiner Hypothesenbegründung besonders auf die von Demirović vorgebrachten „statistischen Regelmäßigkeiten“ beziehen. Solche – in der Zahl ihrer Kategorien beliebig erweiterbaren – Regelmäßigkeiten lassen sich nämlich auch auf das Normalitätsempfinden einzelner sozialer Gruppen innerhalb einer Gesellschaft anwenden. Es kann daher angenommen werden, dass Personen aus einem sozialen Umfeld mit gehobenem Lebensstandard ihre eigene Art der Lebensgestaltung als ebenso „normal“ empfinden wie auch Angehörige anderer Milieus. Dieser Vermutung folgend geht die gegenständliche Hypothese davon aus, dass ein vorhandener oder angestrebter gehobener Lebensstandard im Sinne des Ausstattungsniveaus zu einer höheren subjektiven Relevanz eines gehobenen sozialen Umfeldes führt: Je höher das Ausstattungsniveau oder das Streben danach, desto wichtiger ist den Befragten ein gehobenes soziales Umfeld.

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Kulturelles Angebot Die subjektive Bedeutung der Verfügbarkeit kultureller Angebote in der Nähe der Wohnung dürfte eng mit der Häufigkeit der Inanspruchnahme solcher Darbietungen verknüpft sein. Diese wird im Rahmen des Lebensstilindikators nach Gunnar Otte sogar explizit erhoben (Frage nach der Häufigkeit von „Kunstausstellungen oder Galerien besuchen“. Die Rolle dieser Form der Freizeitgestaltung ist nach Otte jedoch keine bloße Frage ökonomischen Kapitals sondern vielmehr eine Konsequenz des vorhandenen „kulturellen Kapitals“: „Da eine spezifische Lebensführung aber nicht einfach „gekauft“ werden kann, sondern kultiviert werden muss, ist immer auch der Einsatz von Zeit nötig, die – wie Geld – knapp ist: Verfügbar sind vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Die in dieser Zeit vollzogenen Tätigkeiten konstituieren „kulturelles Kapital“, das stark vorstrukturiert ist durch die soziale Herkunft und die Bildungslaufbahn. Insbesondere durch die in der Schule getätigten Zeitinvestitionen wird die Lebensführung mit zunehmender Bildungsdauer in Richtung einer erhöhten Reflexivität und Komplexität des Denkens und der Auseinandersetzung mit „Hochkultur“ ausgeformt. Nicht nur mit dem ökonomischen, sondern auch mit dem Bildungskapital sollte daher die Wahrscheinlichkeit einer im Ausstattungsniveau „gehobenen“ Lebensführung steigen. Es gibt also zwei „Routen“ der Variation im Ausstattungsniveau, die eine einer ökonomischen, die andere einer kulturellen Logik folgend.“ (Otte 2005: 453) Der Entwickler der verwendeten Lebensstiltypologie nimmt damit gewissermaßen die Hypothese zur Relevanz von Kulturangeboten vorweg. Die resultierende Vermutung lautet daher: Je höher das Ausstattungsniveau, desto wichtiger ist den Befragten die Verfügbarkeit kultureller Angebote in der Nähe ihrer Wohnung. Nachhaltiger Konsum Die zu diesem Punkt eingangs besprochene Metastudie über die Zugänglichkeit von sozialen Milieus für den Verkauf von Bioprodukten dient als Grundlage für die Hypothesenbildung bezüglich nachhaltigen Konsums. Achim Spiller stellt in seinem 2006 publizierten Paper fest, „dass Bio-Konsum sich heute stärker auf verschiedene Milieus verteilt als in einer vergleichbaren Studie Mitte der 90er Jahre“ und weist darauf hin, dass es damals „noch ein sog. ‚alternatives Milieu‘“ gab. Hierzu diagnostizierte er: „Bio-Präferenzen sind am stärksten bei den ‚Postmateriellen‘ ausgeprägt, ein leicht überproportionaler Anteil findet sich in der ‚Bürgerlichen Mitte‘, bei den ‚Konservativen‘ und in jüngerer Zeit auch bei den ‚Modernen Performern‘.“ (Spiller 2006: 5)

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Ausgehend von der damaligen Situation kann für die Gegenwart angenommen werden, dass die Tendenz einer Ausbreitung des Bio-Trends auf weitere Lebensstilgruppen bis heute nicht wesentlich gebrochen wurde. Umgelegt auf die neun Milieutypen nach Gunnar Otte bedeutet dies, dass die Annahme einer erhöhten Relevanz nachhaltigen Konsums für jene Lebensstile gerechtfertigt erscheint, die über ein gehobenes Ausstattungsniveau verfügen oder ein solches anstreben. Die entsprechende Hypothese lautet also: Je höher das Ausstattungsniveau oder das Streben danach, desto wichtiger ist den Befragten die Möglichkeit nachhaltigen Konsums. Nationalitäten und Kulturen Wie aus dem zu diesem Punkt weiter oben vorgebrachten Bezirksvergleich hervorgeht, sind die bürgerlich geprägten Stadtteile in Graz zugleich jene mit der größten Homogenität hinsichtlich der Nationalität ihrer BewohnerInnen. Das Umgekehrte gilt für die multikulturell geprägten Bezirke. Zwar wäre es möglich, aus dieser Beobachtung die Vermutung eines Richtungszusammenhangs hinsichtlich der diesbezüglichen Offenheit der jeweils ansässigen Bevölkerung abzuleiten, jedoch erscheint diese schon bei etwas genauerer Betrachtung als wenig tragfähig. Die Offenheit gegenüber anderen Nationalitäten und Kulturen äußert sich demnach nicht durch das Wohnen in einer heterogenen Umgebung. Die genaue Wohnstandortwahl ergibt sich auf Grundlage der in der Naturhypothese dargelegten Überlegungen meiner Einschätzung nach zu einem wesentlichen Teil aus den Möglichkeiten, die sich in finanzieller Hinsicht bieten. Einflussfaktoren auf die nationalitäten- und kulturspezifische Offenheit sind daher vermutlich eher in der Ausprägung des Ausstattungsniveaus zu suchen. In diese Skala fließen neben ökonomischen Parametern mehrheitlich Faktoren ein, die Komplexität kultureller Praktiken sowie die Überregionalität des persönlichen Interessenhorizonts abbilden (vgl. Otte 2005: 455f.). Ich nehme daher eine mit dem Ausstattungsniveau steigende Offenheit gegenüber anderen Nationalitäten und Kulturen an: Je höher das Ausstattungsniveau, desto größer ist die subjektive Offenheit gegenüber dem Leben in einem Stadtteil mit unterschiedlichen Nationalitäten.

Hypothesen zur Modernität Die Hypothesen zur Skala „Modernität“ unterstellen eine Abhängigkeit der Antwortausprägungen von der entsprechenden Skala. Es wird also angenommen, dass sich das Antwortverhalten der Milieus entlang der Modernitätsskala nach bestimmten Mustern verändert.

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Eigentum als Alternative zur Miete Im Zuge der einführenden Diskussion der Interessensbereiche fanden bereits unterschiedliche Denkansätze für die Entscheidung „Mieten oder Kaufen“ Erwähnung. In diesem Rahmen habe ich bereits die Vermutung formuliert, die Entscheidung zwischen diesen Optionen könnte stärker von Lebensstilparametern abhängen als von externen und ökonomischen Parametern. Diese Überlegung hat als Konsequenz, dass der Haupteinfluss auf Individualebene nicht in der Größe des Ausstattungsniveaus vermutet werden darf, sondern eine primäre Rolle der Modernitätsskala unterstellt werden muss. Otte bezeichnet die Ausprägungsstufen dieser Skala als „Traditional/biographische Schließung“, „Teilmodern/biographische Konsolidierung“ und „Modern/biographische Offenheit“ und bezieht sich dabei auf den Grad des getätigten Investitionsaufwands in eine konkretisierte Zukunft: „(…) die beiden Sichtweisen (Anm.: Traditional und teilmodern) vereint, dass Akteure früh in ihrem Lebenslauf damit beginnen, zeitraubende Investitionen in ihre Lebensführung vorzunehmen, und aufgrund der bindenden Wirkung dieser Investitionen eine ‚biographische Schließung‘ vollziehen, die nach außen hin als ‚traditional‘ erscheint.“ (Otte 2005: 452f.) Es liegt also nahe, in diesem Maß einer verbindlichen Zukunftsorientierung auch Aktivitäten miteinzubeziehen, die finanziell – und damit indirekt auch zeitlich – längerfristig bindenden Charakter haben. Die Investition in Wohneigentum ist zweifelsohne für die meisten Menschen ein solches Vorhaben. In der diesbezüglichen Hypothese gehe ich also davon aus, dass das konkrete in Betracht ziehen von Eigentumserwerb ein Merkmal ist, das in Abhängigkeit von der biographischen Offenheit einer Person auftritt: Je größer die Modernität, desto weniger relevant ist die Alternative „Eigentum“ für die Befragten. Angst vor unbekanntem Terrain Die im vorhergehenden Punkt „Eigentum als Alternative zur Miete“ getroffenen Überlegungen zur Lebensstilabhängigkeit gelten zum Großteil auch für die Hypothese zur Offenheit gegenüber unbekanntem Terrain in Form eines neuen Stadtteils. Es liegt auch hier die Vermutung nahe, dass die Entscheidung, in ein unbekanntes bzw. erst im Entstehen begriffenes Gebiet zu ziehen, maßgeblich von der biographischen Perspektive abhängt. Soll mit dem Wohnortwechsel eine dauerhafte und identitätsstiftende Definition der eigenen Biographie einhergehen, so werden derartige Bedenken eine größere Rolle spielen als bei einem Umzug, der voraussichtlich nicht der letzte seiner Art sein wird. Die Höhe des Ausstattungsniveaus mit seinen jeweils spezifischen Kulturpraktiken spielt bei einer generellen Überlegung dieser Art keine nennenswerte Rolle, da über den potenziellen neuen Lebensmittelpunkt keine näheren Informationen vorliegen, die eine Berücksichtigung dort anzutreffender Bedingungen erlauben würden. Damit lautet die resultierende Hypothese: 56

Je größer die Modernität, desto geringer sind die Bedenken hinsichtlich eines „neu gebauten Stadtteils“.

Hypothesen zu Konstellationen In den nachfolgenden Hypothesen werden beobachtbare und gerichtete Einflüsse beider Skalen auf das Antwortverhalten der Lebensstilgruppen vermutet. Öffentliche Parks Parks stellen in gewisser Weise grüne Inseln inmitten einer ansonsten dicht städtischen und von Bauwerken dominierten Umgebung dar. Personen, die einen städtisch geprägten Lebensstil pflegen, dürften daher öffentlichen Parks eine größere Bedeutung beimessen als jene, die ohnehin am Stadtrand in der Nähe von Wäldern oder Feldern und Wiesen leben. Eine Präferenz für einen Lebensmittelpunkt im städtischen Bereich lässt beispielsweise im Milieu der Hedonisten vermuten, wo vor allem die Nähe zur städtischen Spektakel- und Clubkultur einen zentralen Wohnstandort nahelegt. Auch das reflexive Milieu vereint einige Faktoren, die gewisse Überschneidungen mit studentischer und urbaner Lebensart vermuten lassen. Was die Situation speziell in Graz betrifft vermute ich, dass öffentliche Parks hier auch für die Kategorie der liberal Gehobenen von großer Bedeutung sind. Ich nehme an, dass im Raum Graz das Verständnis eines Parks stark von der Rolle des Stadtparks geprägt ist. Hier hat sich mit dem „Forum Stadtpark“ sowie einigen Gastronomiebetrieben und einer besonders in den Sommermonaten lebhaften Veranstaltungsszene eine Form der städtischen Kultur entwickelt, die Lebensstil-Elementen des liberal-gehobenen Milieus nahe steht. Dies führt zur folgenden Hypothese: Je größer die Summe aus beiden Skalenwerten, desto wichtiger sind den Befragten öffentliche Parks. Kurzer Arbeitsweg Die Präferenz eines kurzen bzw. zeitlich überschaubaren Arbeitsweges scheint zunächst ähnlich universell zu sein, wie der Wunsch nach Ruhe und sauberer Luft. Da sich die Lebensstile hinsichtlich ihrer Relevanz beruflichen Erfolgs bzw. Aufstiegs jedoch wesentlich unterscheiden, können doch Unterschiede in der subjektiven Bewertung eines kurzen Arbeitsweges vermutet werden. Konservativ Gehobene, Konventionalisten, liberal Gehobene und Aufstiegsorientierte weisen jeweils eines oder mehrere Merkmale auf, die hinsichtlich des Arbeitsweges eine erhöhte Kompromissbereitschaft wahrscheinlich werden lassen. Eine ausgeprägtere Kompromissbereitschaft könnte auf die subjektiv empfundene Relevanz eines kurzen Arbeitsweges durchschlagen. Den umgekehrten Effekt 57

– nämlich einen besonders hohen Stellenwert zeitlich oder räumlich kurzer Fahrtstrecken – halte ich bei den Milieus der Reflexiven und Hedonisten für naheliegend. Während das Milieu der Reflexiven Merkmale aufweist, die auf eine erhöhte Offenheit gegenüber einer vom Mainstream alternativen Lebensgestaltung schließen lassen, spricht die Charakterisierung des hedonistischen Milieus aus meiner Sicht vor allem wegen des starken Gegenwartsbezuges für die Vermutung. Daraus resultiert die dritte Hypothese: Reflexive und Hedonisten legen größeren Wert auf kurze Wegstrecken/-zeiten als konservativ Gehobene, Konventionalisten, liberal Gehobene, Aufstiegsorientierte und Unterhaltungssuchende. Öffentliche Verkehrsanbindung Hinsichtlich der subjektiven Relevanz einer öffentlichen Verkehrsanbindung liegt die Vermutung nahe, dass diese infrastrukturelle Gegebenheit bei Personengruppen mit städtisch geprägtem Lebensstil von größerer subjektiver Bedeutung ist als für Individuen, die einen Lebensstil pflegen, der mit der hauptsächlichen Nutzung eines privaten PKW als Verkehrsmittel einhergeht. Das österreichische Verkehrsministerium erhob für das Jahr 2002 beispielsweise, dass 23,9% der in Österreich zurückgelegen Wege (5,713 Mio. Wege pro Werktag) der Anreise zum Arbeitsort geschuldet sind. Damit sind fast ein Viertel der von den ÖsterreicherInnen zurückgelegten Strecken Arbeitswege (vgl. https://www.bmvit.gv.at/verkehr/gesamtverkehr/verkehrsprognose_2025/download/vpoe25_kap4. pdf: 16). Wird die Arbeit also von einer Person mit dem PKW aufgesucht, so spielt dieser in deren Leben eine zentrale Rolle. Die Zahl der mit dem PKW erledigten Wege wächst jedoch zusätzlich, wenn auf dem Weg zwischen Arbeits- und Wohnort (unter Akzeptanz kleinerer und größerer Umwege) Einkäufe, persönliche Erledigungen, Kinder-Transporte (Schulweg) oder Freizeitaktivitäten durchgeführt werden. Je mehr Zwecke so durch das Auto abgedeckt werden, desto weniger wichtig erscheint vermutlich die Möglichkeit, nahe dem Wohnort öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung zu haben. Die nachfolgende Hypothese begründet sich also auf der Annahme, dass die subjektive Wichtigkeit kurzer/schneller Arbeitswege und der Verfügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel über das Bindeglied der Automobilnutzung in Zusammenhang stehen. Auf eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel legen demnach dieselben Personengruppen verstärkt Wert, denen auch kurze bzw. schnelle Arbeitswege wichtig sind. Reflexive und Hedonisten legen größeren Wert auf eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr als konservativ Gehobene, Konventionalisten, liberal Gehobene, Aufstiegsorientierte und Unterhaltungssuchende.

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Carsharing Die Nutzung von Carsharing-Angeboten bietet die Möglichkeit, auf den Besitz eines nur für eigene Zwecke verwendeten PKW zu verzichten. Es liegt daher nahe, dass die Verfügbarkeit von entsprechenden Fahrzeugen von jenen Personen als relevant betrachtet wird, die einen Lebensstil mit einer geringen Rolle der PKW-Nutzung pflegen und beispielsweise vorwiegend öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Daher gilt für die subjektive Wichtigkeit von Carsharing eine ähnliche Hypothese wie bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, allerdings kommen als dritte Lebensstilgruppe die liberal Gehobenen hinzu, die aufgrund des Merkmals „Kennerschaft im Konsum“ zusätzlich in die CarsharingHypothese aufgenommen werden. Ich vermute, dass beim Carsharing die alternative Komponente (wohl auch aufgrund seiner noch überschaubaren Verbreitung) neben dem postmateriellen Aspekt eine wichtige Rolle spielt. Daher lässt sich folgende Hypothese formulieren: Hedonisten, liberal Gehobenen und Reflexiven sind Carsharing-Angebote subjektiv wichtiger als den übrigen Gruppen. Fahrradspezifische Infrastruktur Das Rad als im Alltag eingesetztes Verkehrsmittel findet naheliegend besonders im städtischen Bereich Verwendung. Jedoch vermute ich, dass ein Wohnort in der Stadt alleine keinen hauptsächlichen Grund für das Radfahren im Alltag darstellt. Andernfalls wäre das Aufkommen von Autos (mit „einheimischem“ Kennzeichen) im städtischen Bereich wohl wesentlich geringer und der Modal Split sähe anders aus als in den Abbildungen 3 und 4. Die Affinität zum Fahrrad als Verkehrsmittel muss also neben praktischen Überlegungen auch vom persönlichen Lebensstil determiniert sein. Ich halte es daher für wahrscheinlich, dass die Verwendung des Fahrrades im Alltag im Wesentlichen von pragmatischen Gründen (Transport) und der Ausprägung der Skalen „Modernität“ und „Ausstattungsniveau“ abhängt. Da der Faktor „Transport“ bei gelegentlichen Anlässen, für die ein KFZ erforderlich ist (z.B. das nach Hause bringen von Möbeln), nicht die Hauptursache für die Anteile des Modal-Splits sein dürften, können solche Einzelereignisse weitgehend unberücksichtigt bleiben. Wichtig ist hingegen die Berücksichtigung alltäglicher Praxen, wenn beispielsweise berufliche (Transport-) Gründe die KFZ-Nutzung erforderlich machen, wie es beispielsweise in Handwerksberufen häufig der Fall ist. Betrachtet man die 9 Lebensstiltypen nach Otte, so fällt auf, dass beispielsweise das Milieu der „traditionellen Arbeiter“ am Ursprung der beiden Skalenachsen liegt. Insofern deckt sich hier die lebensstiltheoretische Annahme, fahrradspezifische Infrastruktur sei für Personen mit einer Kombination von hohen Skalenwerten von größerer Bedeutung mit der Feststellung, dass die Fahrradnutzung auch von alltagspraktischen Überlegungen abhängig ist. Daraus resultiert die Hypothese, dass die subjektive Wichtigkeit von Radwegen und –Abstellplätzen hauptsächlich von der Summe der beiden Skalenwerte abhängt. 59

Je größer die Summe aus beiden Skalenwerten, desto wichtiger ist den Befragten fahrradspezifische Infrastruktur. Parkmöglichkeit für den eigenen PKW Ich vermute, dass für die persönliche Relevanz von Parkmöglichkeiten für einen privaten PKW weitgehend dieselben Bedingungen ausschlaggebend sind wie bei den vorherigen Punkten. Neben der sehr zentralen Rolle verkehrsmäßiger Alltagspraxen dürften das Maß der Offenheit gegenüber alternativen Möglichkeiten sowie die mit dem Ausstattungsniveau korrespondierende Werthaltungen ihren Beitrag zur subjektiv empfundenen Wichtigkeit eines persönlichen Autoabstellplatzes leisten. Die von mir erwartete Wirkungsrichtung resultiert in folgender Hypothese: Je größer die Summe aus beiden Skalenwerten, desto weniger wichtig ist den Befragten die Verfügbarkeit von PKW-Abstellplätzen. Generationenfrage Was die Offenheit gegenüber einem altersmäßig heterogenen Wohnumfeld betrifft, so erscheint besonders die Bereitschaft Einfluss zu üben, sich mit Lebensweisen und Deutungsmustern zu arrangieren, die von der eigenen Weltsicht deutlich abweichen. Diese unterschiedlichen Sichtweisen haben ihren Ursprung zu einem großen Teil in der einführend besprochenen Spezifität der Wahrnehmungsfilter durch eine Sozialisation in verschiedenen zeithistorischen Epochen. Der Wille und die Fähigkeit, diese wesentlichen Unterschiede in den Blickwinkeln auf die objektive Umwelt zu entschlüsseln, sind meines Erachtens nicht in allen Lebensstilgruppen gleichermaßen ausgeprägt. Im Speziellen vermute ich, dass eine Kombination aus hoher Modernität und niedrigem Ausstattungsniveau der intergenerationellen Offenheit entgegenstehen könnte. Eher traditionell sozialisierte und lebende Personen könnten im Laufe ihrer Biographie einen verstärkten Fokus auf „Respekt gegenüber Älteren“ vermittelt bekommen haben, und daher (unabhängig vom erworbenen Ausstattungsniveau) ein höheres Maß an generationenübergreifender Toleranz aufweisen als Angehörige der biographisch offenen Milieus mit verstärkter „Actionorientierung“ (Otte 2005: 456). Während vor diesem Hintergrund bei traditionell geprägten Lebensstilen die Offenheit gegenüber einem Zusammenleben mit anderen Generationen vom Ausstattungsniveau relativ entkoppelt wirkt, vermute ich bei den modernen Lebensstilen, dass diese Offenheit erst mit dem Erwerb „generalisierbarer Kompetenzen der Diskursivität“ (ebd.) steigt. Die aus diesen Überlegungen resultierende Hypothese lautet also: Unterhaltungssuchende und Hedonisten weisen die geringste Offenheit gegenüber einem Zusammenleben verschiedener Generationen auf.

60

Explorativ zu untersuchende Items Jene Items, bei denen keine Hypothese naheliegt, werden explorativ untersucht. In der Auswertung wird dabei zunächst Mittelwertgleichheit der einzelnen Milieus unterstellt und beim Vorliegen statistisch signifikanter Unterschiede wird die Analyse vertieft. (Un-)Erwünschte Interaktion (Nachbarschaft) Trotz der in der Einführung in diesen Punkt dargelegten Relevanz der Frage nach einer möglichen Lebensstilabhängigkeit des Willens bzw. Unwillens, zur eigenen Nachbarschaft Kontakt zu haben, lässt sich keine schlüssige Hypothese ableiten, die eine auffällige Haltung einer bestimmten Milieugruppe nahelegen würde. Jeder naheliegenden Vermutung lassen sich relativ problemlos ebenso starke Gegenargumente gegenüberstellen. Daher wird dieses item explorativ untersucht. Sport Aufgrund sehr vielfältiger Gestaltungs- und Definitionsformen sportlicher Aktivität liegt auch in diesem Punkt keine zu favorisierende Hypothese nahe.

Datenerhebung Vor dem Hintergrund der methodischen Ausgestaltung (skalenbasiertes Verfahren) stellten sich an das zum Einsatz kommende Datengewinnungsverfahren weniger komplexe Anforderungen, als dies bei der Verwendung eines Clustermodells der Fall gewesen wäre. Während man mit einem Clusteralgorithmus stets Gefahr läuft, durch Unter- oder Überrepräsentation bzw. Extremfälle praktisch nicht mehr zu korrigierende Verzerrungen bei der Typologisierung zu generieren, ist die individuelle Zuordnung beim skalenbasierten Modell (wie im Methodik-Kapitel dargelegt wurde) absolut und nicht von den Eigenschaften der übrigen Befragten abhängig. Das Erfordernis, ein Sample zu erheben, das möglichst repräsentativ für die Grundgesamtheit ist, steht – vor allem auf statistischer Ebene – also nicht unmittelbar im Zentrum der Bestrebungen. Wesentlich wichtiger ist das Ziel, aus möglichst allen Milieus eine annehmbare Zahl an Befragten zu erreichen, um Vergleiche zwischen den Lebensstilen auf einer quantitativ soliden Grundlage anstellen zu können.

Auswahl der Erhebungspopulation Die Grundgesamtheit wurde im Zuge einer weiteren Fokussierung auf den Untersuchungsgegenstand auf jene BewohnerInnen von Graz und –Umgebung beschränkt, die entweder gerade aktiv auf der Suche nach einer Mietwohnung sind, gerade umgezogen sind oder mit dem Gedanken spielen, dies in nächster Zeit zu tun. Der Grund für die Auswahl dieser Population liegt in der Annahme, dass Fragen zu den persönlichen Wohnpräferenzen nur dann realitätsnah beantwortet werden können, wenn

61

eine zeitnahe Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Faktoren und Entscheidungsfragen stattgefunden hat.

Erhebungsmodus Aufgrund des verwendeten Milieu-Indikators und einer größeren Zahl in Form einer Likert-Skala zu beantwortender Fragen erschien die Entscheidung für eine schriftliche Befragung von Beginn an naheliegend. Im persönlichen oder telefonischen Interview würden die Fragestellungen des MilieuIndikators meiner Einschätzung nach zu verstärkten Verzerrungen in Richtung eines höheren „Ausstattungsniveaus“ neigen. Dazu kommt, dass die Items zu den „Nationalitäten“, zur „Generationenfrage“ und zum „Nachbarschaftskontakt“ in Bezug auf sozial erwünschtes Antwortverhalten besonders gefährdet sein dürften (vgl. Krumpal/Näher 2012: 66). Mir erscheint im gegenständlichen Forschungsvorhaben jedoch noch ein weiterer Punkt unbedingt beachtenswert: Das skalenbasierte Milieu-Modell nach Gunnar Otte verwendet für seine Kategorisierung absolute Skalenwerte. Eine durch äußere Gründe (z.B. zeitliche Effizienz) beeinflusste Beantwortung zahlreicher Items durch eine Vielzahl an Personen könnte dem Ergebnis daher insofern schaden, dass die Typenzuordnung dadurch unmittelbar in ihrer Validität beschränkt würde. Solche externen Faktoren, die der Wahl einer starken Antwortausprägung durch eine/n Befragte/n entgegenwirken, müssen also bestmöglich ausgeschlossen werden. In einem persönlichen oder telefonischen Interview halte ich eine Beeinflussung durch empfundene soziale Erwünschtheit oder eine Nivellierung durch ressourcenschonendes Antworten für problematischer als bei einer schriftlichen Befragung. Im vorliegenden Fall stehen den Befragten jeweils vier Antwortausprägungen sowie eine zusätzliche Option bei Antwortverweigerung oder Beantwortungsunfähigkeit zur Verfügung. Diese (auch von Gunnar Otte verwendete) vierstufige Skala motiviert die befragte Person zusätzlich dazu, sich für eine Richtung zu entscheiden. Die Möglichkeit, sich bei kurzfristiger Unentschlossenheit keine weiteren Gedanken zu machen und eine „Weiß nicht“-Option zu wählen, liegt damit nicht so nahe, wie bei einer fünfstufigen Antwortskala mit einer neutralen Antwortoption zwischen den angebotenen Richtungen.

Feldzugang Das möglichst zielgenaue Erreichen der interessierenden Bevölkerungsgruppe ist ein Anliegen, dessen Gründe selbsterklärend sein dürften und daher an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Was allerdings diskussionsbedürftig ist, ist die Frage nach der bestmöglichen Umsetzung dieses Vorhabens. Im vorliegenden Fall lässt sich die Grundgesamtheit nicht nur sehr gut theoretisch eingrenzen, sondern auch auf relativ praktische Art und Weise für empirische Zwecke rekrutieren. Ein erheblicher Anteil an einer neuen Wohnung interessierter Personen verwendet heute für die Suche das Internet. Beispielsweise werden online neben reinen Seiten für Immobilien-Inserate auch zahlreiche Kleinanzeigen-Portale mit Immobilien-Rubriken betrieben. Diese beiden Arten des Online-Angebots 62

eignen sich aber nur bedingt für die Ansprache potentieller StudienteilnehmerInnen. Es gibt darin schlicht keine praktikable Möglichkeit, InteressentInnen unabhängig von ihrer jeweiligen Wohnungspräferenz (Größe, Preis, Lage etc.) anzusprechen. Würde man also versuchen, über ein fingiertes Inserat den Hinweis auf eine empirische Erhebung unter die Leute zu bringen, so wäre dies in jedem Fall sehr selektiv und hinsichtlich der zu erwartenden Rücklaufquote vermutlich eher fragwürdig. Was die „Lebensdauer“ solcher Inserate angeht, halte ich Zuversicht ebenfalls für wenig angebracht. Die BetreiberInnen von Online-Plattformen würden vermutlich keine große Freude mit Scheininseraten für Forschungszwecke haben. Anreiz durch Gewinnmöglichkeit Um die Teilnahmebereitschaft zu erhöhen, wurde ein Anreiz in Form einer Gewinnmöglichkeit geschaffen. Um die Anonymität der Befragten nicht zu durchbrechen, wurde die Gewinnspielteilnahme an eine E-Mail Nachricht geknüpft, die nach der vollständigen Beantwortung des Fragebogens gesendet werden musste. Als Gewinn wurde ein in zahlreichen Betrieben der Stadt Graz einlösbarer Gutschein, der sogenannte „Graz-Gutschein“, ausgeschrieben. Teil 1: Der Zugang über Facebook Die wohl effektivste und zugleich effizienteste Variante des Feldzugangs ergibt sich im vorliegenden Fall über das soziale Online-Netzwerk „Facebook“.

Abbildung 8 – Eigener Screenshot: Facebook-Gruppen zur Wohnungssuche mit regionaler Spezialisierung auf Graz

Wie Abbildung 8 zeigt, finden sich auf Facebook mehrere „Gruppen“ mit Fokus auf Wohnungssucheund –Vermittlung, die sich explizit auf die Stadt Graz beziehen. Diese „Gruppen“ haben zwischen 63

einigen hundert und über 30.000 Mitglieder und dienen zum größten Teil sowohl als Plattform für Inserate als auch als Diskussionsportal. Diese Gruppen-Seiten weisen eine sehr wenig ausdifferenzierte Struktur auf. Zum einen gibt es darin Diskussionsbeiträge und zum anderen natürlich Inserate in Form von Such- oder Angebotsanzeigen. Die Beiträge werden auf der „Startseite“ der jeweiligen Gruppe in chronologischer Reihenfolge angezeigt, das heißt neue Beiträge stehen oben, ältere unten. Navigiert der/die BenutzerIn auf der Seite nach unten, so tauchen nach und nach weitere Beiträge auf, bis irgendwann der erste jemals in dieser Gruppe veröffentlichte Beitrag zu sehen ist. Solche Facebook-Gruppen vereinen für das Erreichen einer möglichst großen Gruppe aus der zu untersuchenden Grundgesamtheit meines Erachtens mehrere Vorteile: 1. Die Mitglieder dieser Gruppen sind zu einem großen Teil Personen, die sich aktiv mit der Wohnungssuche auseinandersetzen. Dies stellt die erste Stufe der Fokussierung auf die interessierende Population dar. 2. Die (nur) chronologische Anordnung der Beiträge hat den Vorteil, dass die Selektivität der erreichten Personen auf ein Minimum reduziert wird. Bei einem Schein-Inserat auf einem anderweitigen Verkaufsportal würde die potentielle Zielgruppe durch die nötige Kategorisierung (Größe, Zimmerzahl, Preis etc.) sowie ein willkürliches (aber wiederum nicht jeden Geschmack treffendes) Anzeigebild jeweils stark eingeschränkt. Die Zielgenauigkeit wird damit um eine weitere Stufe erhöht. 3. Die von Facebook verwendeten Algorithmen sind zwar üblicherweise unbekannt und in gleichbleibender Form meist von kurzer Dauer, jedoch scheint sich ein Trend eher zu verstärken: NutzerInnen sollen auf ihrer persönlichen Facebook-Startseite Beiträge angezeigt werden, die für diese besonders relevant sind (vgl. http://t3n.de/news/facebook-newsfeedalgorithmus-2-577027/ 9.12.2015). Damit lässt sich im Sinne der „Trefferquote“ für eine empirische Untersuchung eine weitere Präzisierung erreichen. Personen, die in naher Vergangenheit in Gruppen zur Wohnungssuche aktiv waren, bekommen neue Beiträge aus diesen Gruppen wesentlich häufiger in den Neuigkeiten auf ihrer persönlichen Facebook-Startseite präsentiert, als dies bei inaktiven Mitgliedern dieser Gruppen der Fall ist. Die Entscheidung, unter anderem Facebook-Gruppen für die Rekrutierung potentieller TeilnehmerInnen zu verwenden, konnte aufgrund der vorangegangenen Überlegungen relativ rasch getroffen werden. Das Optimum ist die (alleinige) Nutzung dieser Gruppen jedoch aus zumindest zwei Gründen nicht. Erstens würde eine zu starke Favorisierung des Facebook-Ansatzes systematisch jene Personen ausschließen bzw. unterrepräsentieren, die Facebook entweder gar nicht oder selten benutzen. Zweitens ist nicht bekannt, inwieweit die Zusammensetzung der in diesen Gruppen verkehrenden Personen jener der tatsächlich in Graz eine Wohnung suchenden Personen entspricht. Ich halte die 64

positiven Aspekte (speziell unter Verweis auf die im Vergleich zu einem Clustermodell geringeren Anforderungen an die Repräsentativität der Stichprobe) jedoch für stark genug, um Facebook jedenfalls als einen von mehreren Zugängen Verwendung finden zu lassen. Teil 2: Schneeball-Verfahren Ohne Zweifel handelt es sich bei der Gruppe der Wohnungssuchenden um eine spezielle Population, die weder zeitlich stabil noch über halbwegs vollständige Verzeichnisse abrufbar sind. Sie sind also wesentlich schwerer zu erfassen und zu erreichen, als dies beispielsweise bei längerfristig stabilen Gruppen der Fall wäre (Vgl. Gabler 1992: 48f.). Daher bietet der Einsatz eines Schneeball-Verfahrens die Möglichkeit, die Reichweite in der Ausbringung des Fragebogens wesentlich zu erhöhen. Eine wichtige Rolle spielt das Verfahren im gegenständlichen Projekt deshalb, weil die soziodemographische Zusammensetzung der auf Facebook aktiven NutzerInnen vermutlich Eigenschaften aufweist, die dem Abbilden eines möglichst umfassenden Meinungsbildes der zu untersuchenden Grundgesamtheit entgegen steht. Die Anforderung, auch wohnungssuchende Personen erreichen zu können, die sich nicht mit Facebook beschäftigen, liegt also auf der Hand. Das Schneeball-Verfahren wurde mit Hilfe einer Kontaktierung von 9 mir persönlich bekannten (und auf Wohnungssuche befindlichen) Personen mittels E-Mail Nachricht und der Bitte um Weiterleitung an ebenfalls an einer neuen Mietwohnung interessierte Freunde und Bekannte gestartet. Im Zuge der Erhebung wurde leider nicht abgefragt, wie die TeilnehmerInnen auf die Befragung aufmerksam wurden. Dies wäre aber rückblickend durchaus von Interesse gewesen, um eine Aussage über die Balance zwischen den beiden Rekrutierungsmethoden treffen zu können. Erhebung mittels Lime-Survey Als Plattform für die Erstellung des Online-Fragebogens wurde LimeSurvey in der Version 2.05 verwendet, wie es derzeit auf Servern der Universität Graz für Studierende verfügbar ist. Der Link zur dort erstellten Umfrage wurde anklickbar sowohl in den Facebook-Postings, als auch in den E-Mails für das Schneeballverfahren eingefügt, um eine zügige Teilnahme der Befragten zu ermöglichen.

Statistische Auswertung Nachfolgend wird die statistische Auswertung der mittels Lime-Survey erhobenen Daten erläutert.

Plausibilitätskontrolle Bereits während der laufenden Erhebung wurden sukzessive jene Antwortbögen aussortiert, die augenscheinliche Auffälligkeiten aufwiesen, die ihre Glaubwürdigkeit in Frage stellten. Dabei fanden folgende Punkte Berücksichtigung:

65

1. Beantwortungsdauer: Benötigte ein/e Befragte/r weniger als zwei Minuten, so wurde davon ausgegangen, dass diese/r die Beantwortung nicht ernsthaft durchführte. Für das laute und zügige Vorlesen aller Anweisungen und Fragen benötigt man rund 2 Minuten und 15 Sekunden. Deutlich kürzere Gesamtzeiten sind also unter Berücksichtigung einer minimalen aber merkbaren Latenz des Online-Systems und zumindest kurzen Überlegens unglaubwürdig. 2. Unplausible Geldbeträge: Gab ein/e Befragte/r für ein „richtig gutes Essengehen im Restaurant“ beispielsweise einen Betrag von € 1.- an, wurde der Antwortbogen ebenfalls aussortiert. Ebenso bleiben Fälle in der Auswertung unberücksichtigt, in denen zum Beispiel ein monatliches Nettoeinkommen von € 100.000.- angegeben wurde. Insgesamt wurde rund ein Dutzend Fälle aus der Auswertung ausgeschlossen. Nach dieser Plausibilitätskontrolle befanden sich noch 521 Antwortbögen im Pool, wovon 467 vollständig ausgefüllt wurden.

Soziodemographie In einer ersten Sichtung wurden jene Parameter analysiert, die einleitende Aussagen über die erreichten TeilnehmerInnen zulassen. Alter und Berufstätigkeit 45,0%

41,2%

40,0% 35,0% 30,0% 25,0%

21,4%

19,6%

20,0% 15,0%

11,3%

10,0% 4,1%

5,0%

2,4%

0,0% bis 20

21-25

26-30

31-40

41-50

über 50

Abbildung 9 - Altersverteilung der Befragten

In der Altersverteilung der Befragten (Abb. 9) fällt speziell der hohe Anteil an unter 30-Jährigen auf. Dieser Effekt dürfte zum einen häufigeren Wohnortwechseln (und damit aktive Suche nach Insera66

ten) und einem höheren Anteil an MieterInnen in dieser Altersgruppe geschuldet sein sowie zum anderen an den angewandten Rekrutierungsverfahren liegen. Es liegt die Vermutung nahe, dass das Gros der TeilnehmerInnen über Facebook erreicht wurde. In den dort benutzten Gruppen sind zum Hauptteil junge Erwachsene aktiv. Das eigentlich als Gegenpol mit dem Ziel einer altersmäßigen Heterogenität gedachte Schneeballverfahren dürfte demnach nicht die Reichweite erzielt haben, die wünschenswert und für eine gleichmäßigere Verteilung erforderlich gewesen wäre. Wie vorhin bereits kurz erwähnt, wurde leider nicht miterhoben, wie der/die jeweilige TeilnehmerIn auf die Erhebung aufmerksam gemacht wurde. Daher sind über das genaue Zustandekommen der Stichprobe nur Mutmaßungen möglich. Offensichtlich wird an dieser Stelle aber die Rolle eines der in der Methodendiskussion dargelegten Kritikpunkte hinsichtlich der zeitweise in Betracht gezogenen SchulzeErlebnismilieus: Decken sich Milieu-Grenzen (wie dies bei den Erlebnismilieus der Fall ist) von vorn herein mit Altersgrenzen, sind – bei einer Altersverteilung wie der hier erreichten – die Einschränkungen möglicherweise schwerwiegend. Auch die Verwendung eines clusteranalytischen Verfahrens wäre mit dem vorliegenden Datensatz hinsichtlich einer datengenerierten Kategorienbildung wahrscheinlich problematisch. Ob und inwieweit die nun erreichte Altersverteilung bei der milieuspezifischen Analyse nach Otte hinderlich ist, wird sich im weiteren Verlauf der Auswertung noch zeigen. Durch diesen eher niedrigen Altersschwerpunkt werden jene Milieus, die von Traditionalität und biographischer Schließung geprägt sind in eher geringer Zahl besetzt sein. Der Fokus in der Auswertung des erhobenen Datenmaterials wird also im Bereich der teilmodernen bis modernen Milieus liegen. Tabelle 8 - Altersgruppen und Berufstätigkeit

Altersgruppe bis 20 21-25 26-30 31-40 41-50 über 50 Gesamt

Berufstätigkeit Ja Nein 38,6% 61,4% 57,5% 42,5% 78,2% 21,8% 92,2% 7,8% 83,3% 16,7% 90,0% 10,0% 64,0% 36,0%

Der Anteil berufstätiger Befragter (Tab. 8) ist bei den unter 20-jährigen am geringsten und der Altersgruppe zwischen 31 und 40 Jahren am größten. In der Gesamtstichprobe liegt der Anteil Berufstätiger mit 64% unter dem Anteil erwerbstätiger Erwerbspersonen zwischen 15 und 64 Jahren in Österreich (2014: 71,1%, Quelle: http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE& RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=073478, 21.1.2016). Dieser niedrigere Anteil 67

Erwerbstätiger dürfte an der Überrepräsentation junger BefragungsteilnehmerInnen liegen, von denen sich wohl ein großer Teil noch in Ausbildung befindet. Geschlecht Bei der Erhebung kam es mit einem Anteil von 77% zu einer deutlichen Überrepräsentation von Frauen. Als Erklärung für diesen Effekt liegen meiner Einschätzung nach zwei wesentliche Punkte auf der Hand: Zum einen liegen aus dem Bereich der Marktforschung zumindest Hinweise darauf vor, dass in Paarbeziehungen die Wohnungssuche mehrheitlich von Frauen übernommen wird (vgl. https://www.wiso-net.de:443/document/IMMO__050731031, 22.12.2015). Zum anderen könnte die Affinität von Frauen gegenüber „Shopping“ als Freizeitvergnügen tatsächlich stärker ausgeprägt sein. Dieser Eindruck entsteht besonders dann, wenn man sich mit Veröffentlichungen aus den Bereichen Handel und Marketing befasst. Darin vorzufindende Formulierungen scheinen die Vermutung grundlegender Geschlechterunterschiede in Sachen „Einkaufen als Erlebnis“ zu bestärken. Dies geht sogar so weit, dass in Branchenmagazinen nicht an Geschlechterstereotypen gespart wird: „Die Frau kauft Mode, der Mann trinkt ein Bier.“ (Gerth 2012: 30) Die Kombination der beiden oben genannten Faktoren legt zumindest einen Erklärungsansatz nahe, wie ein Geschlechterverhältnis dieser Art zustande kommen konnte. Hinsichtlich einer lebensstilspezifischen Untersuchung erscheint das vorliegende Geschlechterverhältnis unproblematisch, da zwischen Geschlecht und Milieuzugehörigkeit keine Interaktion zu erwarten ist. Familienstand Die Mehrzahl der befragten Personen ist entweder ledig oder lebt in einer Beziehung (Abb. 10). In Ehe, geschieden, getrennt lebend oder verwitwet ist jeweils nur ein kleiner Anteil. Diese Datenlage ergibt sich wohl hauptsächlich aus dem eher geringen Alter der Befragten und dem im Laufe der letzten rund vier Jahrzehnte tendenziell steigenden Alter bei der ersten Eheschließung (vgl. http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=Latest Released&dDocName=023297, 23.12.2015). An dieser Stelle sei auf eine sehr wahrscheinliche

Unschärfe aufgrund der verwendeten Formulierung hingewiesen: Die Unterscheidung zwischen „in einer Beziehung“ und „ledig“ ist für differenzierte Aussagen nicht klar genug, da daraus nicht hervorgeht, ob die TeilnehmerInnen in einer Beziehung mit einem gemeinsamen Wohnsitz leben und ob „ledig“ als „allein lebend“ oder „unverheiratet“ aufgefasst wird. Weitere Interpretationen hinsichtlich möglicher Auswirkungen des Familienstands sind daher nur eingeschränkt möglich.

68

Verwitwet Getrennt lebend Geschieden In einer Ehe

Männlich

In eingetr. Partnerschaft

Weiblich

In einer Beziehung Ledig 0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

Abbildung 10 - Familienstand der Befragten nach Geschlecht

Bildungsabschluss Die Verteilung der Bildungsabschlüsse unter den Befragten (Abb. 11) ist besonders in Anbetracht des Erhebungsverfahrens interessant. Offensichtlich konnten vermehrt Personen zur Teilnahme bewogen werden, die über einen Abschluss einer sekundären oder postsekundären Bildungseinrichtung verfügen. Ob dieser Effekt daran liegt, dass über die benutzten Facebook-Gruppen und das Schneeballverfahren mehrheitlich Personen mit diesen Abschlüssen erreicht wurden oder ob diese gegenüber einer Studienteilnahme grundsätzlich offener sind, kann nicht sicher beantwortet werden. Vermutlich ist Studierenden und AbsolventInnen aber stärker bewusst, wie wichtig eine rege Teilnahme an derartigen Erhebungen für die jeweils Forschenden ist und nehmen sich daher eher Zeit, gelegentlich Fragebögen auszufüllen. Hingewiesen werden muss darauf, dass es sich bei den dargestellten Daten um den höchsten bisherigen Bildungsabschluss handelt. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass beispielsweise ein nicht unwesentlicher Anteil an Befragten mit Matura derzeit ein Studium absolviert, dieses aber noch nicht abgeschlossen hat.

Universität oder Fachhochschule BHS-Matura (HTL, HLW, HAK etc.) AHS-Matura Männlich Lehre

Weiblich

Pflichtschule Kein Abschluss 0%

5%

10%

15%

20%

Abbildung 11 – Höchster Bildungsabschluss der Befragten nach Geschlecht

69

25%

30%

35%

40%

Jedenfalls werfen die Anteile der Bildungsabschlüsse die Frage auf, wie stark Bildungsabschluss und Milieuzugehörigkeit unter den Befragten in Zusammenhang stehen. Grundsätzlich sollte der Zusammenhang zwischen Bildung und der Skala „Ausstattungsniveau“ der von Gunnar Otte beabsichtigten Logik folgen. Kinder Insgesamt gaben 89,1% der Befragten an, keine Kinder zu haben. Dies erklärt sich aus der Altersverteilung (Abb.9) und der Kinderzahl in den jeweiligen Altersgruppen (Abb. 12). Eine Untersuchung von Forschungsfragen, in denen das Vorhandensein eigener Kinder eine Rolle spielt, wäre dadurch deutlich erschwert. Wie in der Vorstellung der Erhebungsbereiche festgestellt wurde, sind diesbezügliche Analysen jedoch nicht von besonderer Relevanz. Die geringe Repräsentation von Befragten mit Kindern beeinflusst also keine der zentralen (und in Hypothesen berücksichtigten) Forschungsfragen.

über 50

18,20%

41-50

40,00%

Keine 1

31-40

69,10%

2 3

21-30

95,40%

bis 20

4

100,00% 0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

Abbildung 12 – Anteile Kinderzahlen nach Altersgruppen

Wie aus Abb. 12 hervorgeht, ist der Anteil an kinderlosen Personen in den unteren Altersgruppen bis 30 erwartungsgemäß sehr hoch. Die durchschnittliche Kinderzahl steigt dann mit zunehmendem Alter (Tab. 9). Dies ist ein Effekt, der nicht weiter überraschend erscheint. Tabelle 9 – Durchschnittliche Kinderzahl nach Altersgruppen

Alter Durchschnittliche Kinderzahl Anzahl Befragte

bis 20 0 98

70

21-30 0,07 283

31-40 0,49 55

41-50 1,25 20

über 50 1,36 11

Überprüfung des Milieumodells Noch vor der eigentlichen Hypothesenprüfung wird nachfolgend kurz besprochen, welche Besonderheiten die verwendeten Skalen „Ausstattungsniveau“ und „Modernität“ in statistischer Hinsicht aufweisen. Dabei soll geklärt werden, ob die von Gunnar Otte getroffenen, inhaltlichen Überlegungen sich auch in den quantitativen Daten dieser kleineren Stichprobe aus einer Spezialpopulation abzeichnen. Auffällig ist, dass sich für die beiden Skalen derart niedrige Reliabilitätswerte ergeben, dass man auf eine weitgehende Unbrauchbarkeit derselben schließen könnte. Für die „Modernität“ ergibt sich ein Cronbach-Alpha von 0,415 und für das „Ausstattungsniveau“ 0,426. Der Autor des Modells erreicht in seiner Teststudie bei n=979 mit 0,53 bzw. 0,55 (vgl. Otte 2005: 458f) ebenfalls Werte, die als sehr gering erscheinen. Die Skalen werden nachfolgend ausführlicher diskutiert.

Ausstattungsniveau Die sowohl im ursprünglichen Test des Modells (0,55) als auch im gegenständlichen Projekt (0,426) auffallend geringe Inter-Item-Korrelation erklärt sich zu einem großen Teil aus der von Otte im Modell verarbeiteten Annahme, das Ausstattungsniveau lasse sich über zwei „Routen“ beeinflussen (vgl. Otte 2005: 455ff). Ein relativ hohes Ausstattungsniveau lässt sich demnach sowohl durch eine Kombination von Bildungs- und Einkommensressourcen erzielen als auch durch eine besonders intensive Ausprägung in einem der beiden Komplexe. Es ist daher der Fall, dass die einzelnen Items innerhalb der Skala „Ausstattungsniveau“ nicht zwangsläufig hoch miteinander korrelieren müssen, um das von Otte angestrebte inhaltliche Konstrukt sinnvoll abzubilden. Die zwei grundverschiedenen Möglichkeiten, ein hohes Ausstattungsniveau zu erzielen, werden im Zuge einer Hauptkomponentenanalyse ersichtlich: Tabelle 10 – Varimax-Rotierte Komponentenmatrix der Skala "Ausstattungsniveau"

Komponente Kulturell Ökonomisch 0,0013 0,765 0,766 0,104 0,633 -0,357 0,738 0,069 0,352 0,202 0,100 0,710

Ich pflege einen gehobenen Lebensstandard Besuchen von Kunstausstellungen oder Galerien Lesen von Büchern und Fachbüchern Lesen überregionaler Tageszeitung Lesen von Boulevardzeitungen (Item umgepolt) Ausgabehöhe im Restaurant

Die ökonomische Komponente des Ausstattungsniveaus wird durch die Items „Lebensstandard“ und „Ausgabehöhe“ abgebildet. Die kulturelle Dimension wird durch die übrigen vier Items repräsentiert. (Vgl. ebd.: 458) Diese Zweiteilung geht auch aus der Korrelationsmatrix hervor:

71

Tabelle 11 - Korrelationen der Items zum "Ausstattungsniveau", n=467

Lebensstandard

Kunstausst./ Galerien

Bücher/ Überreg. Fachbücher Tagesz.

Boulevardzeitungen

Ausgabehöhe

Lebensstandard

1

0,086

-0,118*

0,052

0,002

0,218**

Kunstausstellungen/Galerien

0,086

1

0,288**

0,361**

0,170**

0,07

Bücher/ Fachbücher

-0,118*

0,288**

1

0,252**

-0,004

-0,026

Überregionale Tageszeitung

0,052

0,361**

0,252**

1

0,151**

0,06

Boulevardzeitungen

0,002

0,170**

-0,004

0,151**

1

0,062

Ausgabehöhe

0,218**

0,07

-0,026

0,06

0,062

1

** Korrelation ist bei Niveau 0,01 signifikant (zweiseitig).

Die Korrelationen der Items zur Skala „Ausstattungsniveau“ folgen weitgehend der vorgesehenen Zweikomponenten-Logik. Eine relativ niedrige Inter-Item-Korrelation in der Gesamtskala erscheint also aufgrund der inhaltlichen Überlegungen hinter der Konstruktion weiterhin schlüssig. Dass sich die Skalenreliabilität rein statistisch durch das Ausschließen einzelner Items minimal erhöhen ließe (Tab. 12), ist eine Überlegung, die an dieser Stelle wenig sinnvoll erscheint. Tabelle 12 – Item-Skala-Statistik "Ausstattungsniveau"

Ich pflege einen gehobenen Lebensstandard. Kunstausstellungen oder Galerien besuchen. Bücher lesen (auch Fachbücher, aber keine Zeitschriften o.ä.) Überregionale Tageszeitung wie "der Standard" oder "die Presse" "Krone" oder "Österreich" Ausgabehöhe beim Restaurantbesuch

Korrigierte Item-Skala- Cronbach-Alpha, wenn Korrelation Item gelöscht 0,1 0,433 0,387 0,274 0,156

0,409

0,337 0,148 0,128

0,289 0,418 0,437

Würde man beispielsweise das Item zur Ausgabehöhe im Restaurant ausschließen, um das Cronbach Alpha um 0,011 zu erhöhen, würde dies den Verzicht auf eines von zwei Items zur Messung der ökonomischen Komponente bedeuten. In Anbetracht dessen, dass das hier verwendete Konstrukt zwei Faktoren beinhaltet und ein Item-Ausschluss nur einen minimalen Zugewinn verspricht, muss der

72

quantitative Kennwert für die Skalenreliabilität hier hinter die inhaltlichen Überlegungen gestellt werden.

Modernität Auch die Modernitätsskala weist sowohl in der vorliegenden Anwendung (0,415) als auch im Testlauf des Entwicklers (0,53) ein auffallend niedriges Cronbach-Alpha auf. Dies liegt auch bei der Modernitätsskala in einer Aufteilung auf zwei Dimensionen begründet. Hier besteht die Skala aus den Faktoren „Traditionalität“ und „Lebensgenuss“ (vgl. ebd.: 456). Tabelle 13 - Varimax-Rotierte Komponentenmatrix der Skala "Modernität" (n=467)

Ich gehe viel aus. Ich lebe nach religiösen Prinzipien. Ich halte an alten Traditionen meiner Familie fest. Ich genieße das Leben in vollen Zügen. Mein Leben gefällt mir dann besonders gut, wenn ständig etwas los ist.

Komponente Lebensgenuss Traditionalität 0,775 -0,041 0,071 0,839 -0,075 0,84 0,683 0,008 0,742 0,025

Die Komponente „Lebensgenuss“ besteht aus den Items zur Ausgehhäufigkeit, zur Genuss- und zur Unterhaltungsorientierung (Tab.13). Die Ausprägungen hinsichtlich des Lebens nach religiösen Prinzipien und Familientraditionen bilden die Komponente „Traditionalität“ ab. Auch auf der Modernitätsskala schlägt sich die Teilung in Subkomponenten in der Korrelationsmatrix nieder: Tabelle 14 - Korrelationen der Items zur "Modernität", n=467

Ausgehhäufigkeit

Religiöse Prinzipien

Familiäre Traditionen

Leben in vollen Zügen genießen

Unterhaltungsorientierung

Ausgehhäufigkeit

1

0,021

-0,064

0,300**

0,372**

Religiöse Prinzipien

0,021

1

0,410**

0,046

0,026

Familiäre Traditionen

-0,064

0,410**

1

-0,043

-0,007

Leben in vollen Zügen genießen

0,300**

0,046

-0,043

1

0,256**

Unterhaltungsorientierung

0,372**

0,026

-0,007

0,256**

1

** Korrelation ist bei Niveau 0,01 signifikant (zweiseitig). Damit folgt auch die Skala „Modernität“ – trotz kleinerer Stichprobe und Spezialpopulation – den methodischen und inhaltlichen Überlegungen von Gunnar Otte (Tab. 14). Bei der Prüfung der vorlie73

genden Hypothesen müssen diesbezüglich also keine zusätzlichen Besonderheiten oder Schwierigkeiten berücksichtigt werden. Ebenso wie bei der Skala zum Ausstattungsniveau wäre durch einen ItemAusschluss eine Steigerung des Cronbach-Alpha möglich. Allerdings möchte ich auch in diesem Fall weitgehend die oben dargelegte Einschätzung beibehalten: Würde man das Item mit dem Bezug auf alte Familientraditionen ausschließen, würde dies zwar leicht die Skalen-Reliabilität (von 0,415 auf 0,47) erhöhen, jedoch ginge dies mit dem Verzicht auf eines von zwei Items des Faktors „Traditionalität“ einher. Tabelle 15 - Item-Skala-Statistik "Modernität"

Ich gehe viel aus. Ich lebe nach religiösen Prinzipien. Ich halte an alten Traditionen meiner Familie fest. Ich genieße das Leben in vollen Zügen. Mein Leben gefällt mir dann besonders gut, wenn ständig etwas los ist.

Korrigierte Item-Skala- Cronbach-Alpha, wenn Korrelation Item gelöscht 0,255 0,326 0,235 0,352 0,093 0,241

0,47 0,348

0,281

0,306

Der durch einen Item-Ausschluss erzielte Reliabilitätsgewinn ist in Anbetracht der inhaltlichen Relevanz des betreffenden Items meiner Ansicht nach nicht gerechtfertigt (Tab. 15). Daher findet die Skala in der vorliegenden Form Verwendung.

Verteilung der Befragten auf die Milieus Wie oben erwähnt, wurde im Zuge des Erhebungsverfahrens hinsichtlich soziodemographischer Merkmale eine geringere Heterogenität erzielt als angestrebt. Dies wirkt sich natürlich auf die Gruppenbesetzungen aus (Tab. 16). Traditionelle Lebensstile sind im Datensatz so gut wie nicht enthalten (Abb. 13). Tabelle 16 - Verteilung der Befragten auf die Lebensstile

Lebensstil Konservativ Gehobene Konventionalisten Traditionelle Arbeiter Liberal Gehobene Aufstiegsorientierte Heimzentrierte Reflexive Hedonisten Unterhaltungssuchende

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Fallzahl 1 4 3 65 87 21 108 153 25

Zwar wurde dieser Trend bereits im Laufe der Erhebung sichtbar, jedoch waren Gegenmaßnahmen nicht zufriedenstellend umsetzbar. Der Zugang zu einer traditionell geprägten Untergruppe der Spezialpopulation „Wohnungssuchende“ konnte leider nicht erreicht werden. Berücksichtigt man, dass sich das Erkenntnisinteresse im gegenständlichen Projekt auf den geplanten Stadtteil „GrazReininghaus“ bezieht, erscheint dieser Repräsentationsmangel aber nicht ganz so problematisch: Was dort gebaut werden soll, zielt nach derzeitigem Stand vermutlich am wenigsten auf Personen mit traditionellem Lebensstil ab, sondern richtet sich verstärkt an Menschen mit zumindest mäßiger Offenheit bezüglich der eigenen Biographie. Diese Einschätzung begründet sich auf den Tatsachen, dass (zumindest in den hier im Fokus stehenden Quartieren 1 und 4a) die dortigen Wohnungen nur zur Vermietung bestimmt sind (Kurzfristigkeit und hohes Maß an Unverbindlichkeit. vgl. Otte 2005: 452f.) und ein neuer Stadtteil in der ersten Zeit seiner Existenz potentiellen BewohnerInnen eine gewisse Experimentierfreude abverlangt. Die Hypothesenprüfung beschränkt sich aufgrund dieser Feststellungen auf die teilmodernen und modernen Lebensstile. Alle nachfolgenden Berechnungen berücksichtigen die 8 Befragten mit traditioneller Lebensweise daher nicht und schließen nur die 459 gültigen Fälle der teilmodernen und modernen Milieus ein.

Soziodemographie der untersuchten Milieus Um erste Aussagen über die einzelnen Lebensstilgruppen sowie erste Vergleiche zu ermöglichen, sind in der umseitig angeführten Übersicht (Tab. 17) deren soziodemographische Merkmale zusammengefasst.

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Tabelle 17 - Soziodemographie der Lebensstilgruppen

Geschlecht männlich weiblich Alter Durchschnitt BildungsAbschluss Uni/FH AHS/BHS Lehre höchstens Pflichtschule Familie durchschnittl. Kinderzahl Einkommen inkl. Beihilfen Durchschnitt Über 30Jährige

Teilmoderne Lebensstile Liberal AufstiegsHeimGehobebe orientierte zentrierte

Moderne Lebensstile Reflexive Hedonisten Unterhaltungssuchende

16,9% 83,1%

17,2% 82,8%

19,0% 81%

25,0% 75,0%

28,8% 71,2%

24,0% 76,0%

28,9

25,4

27

27,2

24,7

24,4

43,1% 52,3% 1,5% 3,1%

31,0% 58,6% 6,9% 3,4%

19,0% 47,6% 14,3% 19,0%

52,8% 42,6% 1,9% 2,8%

26,1% 60,1% 8,5% 5,2%

12,0% 64,0% 16,0% 8,0%

0,37

0,20

0,67

0,12

0,08

0,2

1141 1612

825 1583

1104 1720

1218 2455

969 1711

941 1533

Alter und Geschlecht Das ungleiche Geschlechterverhältnis zieht sich grundsätzlich durch alle Milieus. Auffällig ist aber, dass in den modernen Lebensstilen der Anteil männlicher Befragter wesentlich größer ist als in den teilmodernen Gruppen. Der (bekanntlich allgemein sehr niedrige) Altersschnitt variiert ebenfalls nur geringfügig und ist in den Milieus der Hedonisten und Unterhaltungssuchenden am niedrigsten bzw. unter liberal Gehobenen am höchsten. Bildungsabschluss Zwischen den Milieus zeigt sich in beiden Modernitätskategorien eine starke Zunahme des Anteils von Universitäts- bzw. Fachhochschulabschlüssen mit steigendem Ausstattungsniveau. Der umgekehrte Effekt ist bei Lehrabschlüssen und Pflichtschulabschlüssen zu sehen. Familiäre Situation Aufgrund der (wie zuvor erwähnt) missverständlichen Formulierung des Items zum Familienstand finden die damit gewonnen Daten keine weitere Berücksichtigung. Was die durchschnittliche Kinderzahl betrifft, sei noch einmal auf den überwiegenden Anteil kinderloser Befragter verwiesen (Tab. 76

18). Diese Besonderheit ist, wie im ersten soziodemographischen Überblick gezeigt wurde, zu einem wesentlichen Teil dem niedrigen Durchschnittsalter der TeilnehmerInnen geschuldet. In späteren Auswertungen spielt die Kinderzahl der Befragten daher nur eine geringe Rolle. Unmittelbar auffällig erscheint lediglich die mit Abstand größte durchschnittliche Kinderzahl in der Gruppe der Heimzentrierten. Tabelle 18 – Häufigkeiten: Anzahl eigener Kinder

Kinderzahl

Häufigkeit 0 1 2 3 4

409 25 18 4 3 459

Gesamt

Anteil 89,1% 5,4% 3,9% 0,9% 0,7% 100%

Einkommen Aufgrund des vermutlich großen Anteils Studierender unter den jungen BefragungsteilnehmerInnen sind die Gesamt-Durchschnittseinkommen der einzelnen Milieus weniger aussagekräftig. Ein Vergleich der durchschnittlichen Einkommen von über 30-Jährigen erscheint daher sinnvoller. Erhoben wurde mit dem entsprechenden Item das monatliche Nettoeinkommen inklusive aller Beihilfen. Bei den modernen Lebensstilen steigt das durchschnittliche Einkommen der Milieus mit dem Ausstattungsniveau. In der teilmodernen Kategorie ist dies nicht der Fall. Die Heimzentrierten erreichen hier sogar das höchste Einkommen. Es wäre allerdings denkbar, dass dieser Effekt mit der höheren Kinderzahl (und dem damit verbundenen Bezug von Familienbeihilfe) in dieser Gruppe in Zusammenhang steht.

Hypothesenprüfung und Detailanalyse Im Folgenden werden die zuvor vorgestellten Hypothesen geprüft sowie aus den Ergebnissen resultierende Überlegungen diskutiert. Ebenso wird die Analyse jener Items durchgeführt, die ohne zugrundeliegende Hypothese explorativ untersucht werden.

Wünsche und Erfordernisse In dieser Rubrik steht die subjektive Wichtigkeit der einzelnen Rahmenbedingungen in der Wohnumgebung aus Sicht der Befragten im Fokus.

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Natur Zu Beginn wurde mittels einer Faktorenanalyse überprüft, ob eine getrennte Betrachtung des thematischen Komplexes „Natur“ im Sinne einer Trennung zwischen der „Dimension Natur“ und dem Einzel-Item „Öffentliche Parks“ (wie im Zuge der Hypothesenformulierung argumentiert) nach statistischen Kriterien sinnvoll erscheint. Erst danach kann entschieden werden, ob die Hypothesenprüfung in der angedachten Form durchgeführt werden soll oder ob eine Überarbeitung angebracht ist. Im Rahmen der Faktorenanalyse wurde zugleich auf Eindimensionalität geprüft. Die Hauptkomponentenanalyse aller Items des Bereichs „Natur“ zeigt folgendes Ergebnis: Tabelle 19 – Varimax rotierte Hauptkomponentenmatrix "Natur" (n=467)

Komponente Natur [alle Items] Naturnähe 0,796 Ruhelage 0,644 Luftqualität 0,786 Öffentliche Parks 0,459

Die Hauptkomponentenanalyse extrahiert wie erhofft nur eine Komponente und das Item „Öffentliche Parks“ weist die mit Abstand geringste Faktorladung auf. Es erscheint daher unter Berücksichtigung der diesbezüglichen theoretischen Überlegungen trotz Eindimensionalität gerechtfertigt, öffentliche Parks und eine eigenständige Dimension „Natur“ tatsächlich in separaten Hypothesen auszuwerten. Dimension Natur Als erste Hypothese wurde jene zur oben behandelten Dimension „Natur“ geprüft: Je höher das Ausstattungsniveau desto wichtiger ist den Befragten die Dimension Natur. Tabelle 20 - Subjektive Wichtigkeit der Dimension "Natur" nach Lebensstil (1=überhaupt nicht wichtig, 4=sehr wichtig)

Teilmoderne Lebensstile Liberal AufstiegsHeimGehobene orientierte zentrierte Mittelwert Standardabweichung

Moderne Lebensstile UnterhaltungsReflexive Hedonisten suchende

3,31

3,22

3,24

2,95

2,93

2,83

0,521

0,660

0,616

0,578

0,570

0,609

Minimum

2

1

2

1

1,33

1,67

Maximum

4

4

4

4

4

4

Die lebensstilspezifischen Mittelwerte (Tab. 20) zeigen, dass die Dimension „Natur“ mit den Items „Naturnähe“, „Ruhelage“ und „Luftqualität“ den Befragten durchschnittlich „eher wichtig“ (Mittel78

werte nahe 3) ist. Die in der Hypothese postulierte Abhängigkeit dieser subjektiven Wichtigkeit von der Höhe des Ausstattungsniveaus bestätigt sich nicht. Auffällig ist jedoch, dass sich die subjektive Wichtigkeit der Dimension zwischen den Lebensstilkategorien „teilmodern“ und „modern“ klar unterscheidet. Dieser Unterschied ist hochsignifikant (Tab. 21). Der beobachtete Effekt könnte seine Ursache in einer eher städtisch geprägten Lebensweise der biographisch offenen Milieus haben. Tabelle 21 – Mittelwertvergleich subjektiver Relevanz der Dimension Natur, teilmodern/modern

teilmodern

modern

Häufigkeit

173

286

Mittelwert Standardabweichung

3,25

2,93

0,604

0,575 Mittelwertdifferenz [95% Konfidenzintervall der Differenz] 0,3266 [0,21562 ; 0,43757]

Signifikanz 2-seitig

t-test auf Mittelwertgleichheit



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