LAZARILLO DE TORMES UND DIE INQUISITION – DER SCHELMENROMAN ALS GRUNDLEGUNG SOZIAL-KRITISCHER LITERATUR INHALTSVERZEICHNIS I
Einleitung
2-5
II
Die Inquisition als Instrument zur Festigung säkularer Vormachtstellung 5-13
III
Die Inquisition auf der Iberischen Halbinsel im 16. Jahrhundert
13-16
IV
Die Geburtsstunde des Schelmenromans
17-18
V
Das Charakteristikum des Schelmenromans
18-20
VI
Die Rolle des unbekannten Verfassers
21-24
VII
Die Definition des zeitlichen Rahmens im Lazarillo de Tormes
24-26
VIII
Die Funktion des Verwebens von Realismus und Fiktion
27-34
IX
Das Verbot und die Zensur des Lazarillo de Tormes
34-40
X
Conclusión
40-47
XI
Bibliographie
48-50
XII
Plagiatserklärung
51
1
I Einleitung Im Folgenden wird der Schelmenroman „La Vida de Lazarillo de Tormes y de sus Fortunas y Adversidades“ aus dem Jahre 1554 mit Bezug auf sein historisches Umfeld betrachtet und auf den Kontext des inquisitorischen Zeitgeistes und den Humanismus des 16. Jahrhunderts eingegangen. Die Gründe, die 1559 zunächst für das komplette Verbot und vierzehn Jahre danach zur Veröffentlichung einer zensierten, umgeänderten Version des Werkes führten, werden geklärt. Augenmerk richtet sich hierbei auf den Inquisitor Juan López de Velasco, der seinerzeit für die Zensur von der Inquisition geächteter häretischer Schriften auch für die „bestrafte“ Version des Lazarillo de Tormes verantwortlich ist. Dass die Realitätsbezüge innerhalb des Romans eine tiefere Funktion haben als nur den zeitlichen Rahmen seiner Erstehung bestimmen zu können, wird erläutert. Warum die innovative Verwebung von fiktiver Handlung innerhalb der realen Welt der Geschichte des Lazarillo de Tormes ein wichtiges Charakteristikum des Schelmenromans präsentiert und welchen Effekt sie beim Leser bewirken soll, wird erkenntlich (Stichwort „Wahrheitsanspruch“). Lazarillo de Tormes ist der Erste seiner Art und noch heute werden Werke, die sich gegen den jeweiligen Status Quo richten, ebenfalls verboten und zensiert, was u.a. in der abschließenden Betrachtung aufgegriffen wird. Lazarillo de Tormes als Grundlegung sozialkritischer Literatur zu verstehen, beginnt mit der Geburtsstunde einer neuen literarischen Gattung, die nicht bei ihrer Entstehung, sondern erst in nach-geschichtlicher Betrachtung als „Schelmenroman“ bezeichnet werden konnte. Ein weiterer Fokus richtet sich auf das kontemporär-gesellschaftliche Umfeld und die Gründe des Verbotes und der Zensur seitens der spanischen Inquisition anhand textlicher Evidenzen aus der Originalversion und der inhaltlich veränderten, sowie auf den zeitlosen Bezug der Geschichte des Lazarillos bis hin in die Gegenwart. Die
sich
im
Vorfeld
der
Entstehung
des
Romans
geschichtlichen,
bzw.
gesellschaftlichen Realitäten auf der Iberischen Halbinsel müssen bei der näheren Betrachtung des Werkes miteinbezogen werden. Die gesellschaftlichen Veränderungen im Spanien des 16. Jahrhunderts boten aufgrund des verschärften sozialen Gefälles zwischen der Obrigkeit und einer stetig wachsenden Masse an nahezu Mittellosen, maßgeblich den Nährboden für die Grundlegung des Pikaresken. Die Tatsache, dass die 2
Machtelite dieser Zeit sich aus dem iberischen Adel und der katholischen Kirche zusammensetzte und in dieser Kollaboration die nach außen hin verschlossene Aufteilung der Reichtums- und Produktionsverwaltung ihr Eigen nennen konnte, sorgte u.a. dafür, dass sich innerhalb der spanischen Gesellschaft die soziale Schere immer weiter öffneteI. Die prekäre soziale Spannung wurde erstmals in literarischer Form im Lazarillo de Tormes aufgegriffen. Was einst als selbstloses Werk anonym veröffentlicht wurde – was wiederum bedeutet, dass der Verfasser keine persönlichen finanziellen Ziele damit verfolgte – und anonym publiziert werden musste – wollte der Verfasser sein leibliches Wohlbefinden nicht aufs Spiel setzen, welches aufgrund der inquisitorischen Gesetzlage konkret in Gefahr gebracht worden wäre – sollte womöglich eben diese durch die ungerechte Verteilung der u.a. aus den amerikanischen Kolonien erbeuteten und erwirtschafteten Produkte (u.a. Gold und Zuckerrohr) noch verschärfte soziale Ungerechtigkeit anprangern, die schon lange im Vorfeld der Expansion des Spanischen Imperiums einen Teil der Bevölkerung strukturell diskriminierte. Im Spanien des Lazarillo de Tormes spielte die persönliche Herkunft und der soziale Stand eine entscheidende Rolle bzgl. des Erlangens eines dezenten Lebensstiles: Lazarillo – dessen Vater durchaus ein Maure gewesen sein könnte – wird aufgrund seiner (noch dazu titellosen) Abstammung von Geburt an benachteiligt. Die Liebe seiner Mutter zu einem möglicherweise als „ungläubig“ Geborenen, bis hin zu ihrer Beziehung mit einem Schwarzafrikaner (unverheiratet!), aus der ein Halbbruder Lazarillos hervorgeht, bedeutet für die Familie den Verlust ihres Ansehens und markiert das soziale Ende innerhalb der damaligen Gesellschaft, die neben diesen Faktoren auch auf die Einhaltung der nach ihrer Façon interpretierten „christlichen Werte“ erpicht war. Laut ihrer Doktrin hieß man die Beziehung einer „guten“ Katholikin weder mit einem „ExUngläubigen“, noch mit einem Menschen dunkler Hautfarbe gut (wenn es sich nicht gerade um Menschen hohen Standes gehandelt haben sollte, was aber in keinem der beiden Fälle zutraf)II. Auf dieser Grundlage, anhand dieser prekären gedanklichen Struktur der Herabsetzung des Wertes eines Menschen aufgrund seiner Herkunft, ist Lazarillo de Tormes zum ersten Antihelden der Literatur avanciert. Das spezifische Charakteristikum eines Schelmenromans wird in diesem Zusammenhang verdeutlicht.
I II
In den Jahren 1521 und 1548 stiegen die Lebenskosten kontinuierlich an. (Vgl. España y su mundo 1500-1700, Seite 282.) Für die in aristokratischer Tradition aufgewachsener Europäer spielte u.a. die Hautfarbe eines Menschen eine bedeutende Rolle – vom äußeren Aspekt aus, schloss man auf die charakterlichen Eigenschaften einer Person. (Vgl. ibid., Seite 76.)
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Der Aspekt einer Parallele hin zu einer Frühform des „Amerikanischen Traumes“ ist im Verhalten und in der Geisteshaltung des Protagonisten zu finden. Lazarillo, dem aufgrund seiner bloßen Existenz es quasi verwehrt ist, innerhalb der spanischen Gesellschaft sozial aufzusteigen, verteidigt eine Gesellschaftsform, die für die strukturelle Benachteiligung seiner Selbst die Verantwortung trägt. Diese zeitlose Paradoxie lebt bis zum heutigen Tage in manch einem Geiste weiter; die Idee, dass man es vom „Tellerwäscher zum Millionär“ schaffen kann, ist zwar eine Vision aus dem 19. Jahrhundert, doch kann man sie schon im Werk des anonymen Verfassers erkennen, dessen Protagonist jedoch seinen gesellschaftlichen Aufstieg vor allem seiner „pikaresken“ Gewitztheit zu verdanken hat und verdeutlicht, dass man mit den staatlich offiziell angepriesenen christlichen Tugenden weder sozialen Aufstieg noch finanziellen Reichtum erlangen kann. Die Frage nach der möglichen Identität des anonymen Verfassers wird behandelt. Der Fakt, dass das Werk keinem persönlichen wirtschaftlichen Nutzen dienen sollte, macht neugierig auf dessen möglichen Motive und lässt gewisse Vermutungen zu, die aber allesamt nicht eindeutig nachweisbar sind. Auch in Bezug auf die Zielgruppe des Werkes wird Augenmerk genommen und dabei auf den hohen Grad an Analphabetismus der Bevölkerung des 16. und 17. Jahrhundert eingegangen. Die eigentliche Funktion der Inquisition in Zusammenhang mit dem zunächst absoluten Verbot des Lazarillo de Tormes und der späteren genehmigten, aber zensierten Veröffentlichung wird aufgegriffen und bezüglich einer bis heute andauernden Fortführung staatlich organisierter „Instandhaltung“ des jeweiligen geistigen Status Quo erkenntlich (die staatliche Willkür spielt seit jeher bei der Festlegung von Legalität innerhalb
der
Gesellschaft
Schadensbegrenzung
seitens
eine der
entscheidende Inquisition
Rolle).
gegen
das
Die Werk,
Intention
der
welches
die
gesellschaftlichen Missstände Spaniens thematisierte, unterstützte gewissermaßen dessen Popularität in In- und Ausland. Ihr Versuch, das Ansehen Spaniens auf nationaler und internationaler Ebene zu bewahren – d.h. unangenehme Fakten zu vertuschen – erwies sich in zweiter Linie als Förderer und Retter des Lazarillo de Tormes. Die Gründe, warum das Werk auf den Index der verbotenen Schriften gelangte, werden aufgeführt und anhand vorheriger Informationen über die inquisitorische Gesetzgebung deutlich. Auch der Fakt, dass die sozialen Strukturen vieler Gesellschaften nach wie vor einen Nährboden – eine Grundlegung – für die Entstehung eines „Lazarillos“ bieten, 4
kann anhand des Vergleiches der im Werk behandelten Umstände belegt werden. Nach wie vor werden Menschen als „Lazarillos“ geboren, d.h. die Thematik des Romans – der rote Faden einer strukturellen Benachteiligung aufgrund von persönlicher Herkunft – ist nach wie vor eine aktuelle Tatsache, mit der man sich auseinanderzusetzen hat und wird abschließend im Fazit aufgegriffen.
II
Die
Inquisition
als
Instrument
zur
Festigung
säkularer
Vormachtstellung Mit dem Ende des Franco-Regimes 19751 erlebte die historische Betrachtung der Inquisition in Spanien neuen Aufwind und es kam zu einer zuvor nicht möglichen kritischeren Auslegung der Jahre 1489 – 1898 (Medina del Campo-Abkommen und Unabhängigkeit Kubas als letztes transatlantisches Hoheitsgebiet Spaniens). Die Inquisition war ein Produkt des spanischen Adels und der römisch-katholischen Kirche und etablierte sich zuerst im christlich erstarkten Spanien und im Zuge der Conquista in den eroberten amerikanischen Gebieten, sowie in allen Ländern, in denen sich die Obrigkeit zum römisch-katholischen Glauben bekannte. In Bezug auf den Schelmenroman „Lazarillo de Tormes“ von 1554 muss näher auf die Inquisition in Spanien eingegangen werden, damit die Polemik um das Werk verstanden werden kann. Im Folgenden werden die Anfänge und Umstände erläutert, unter welchen es zu der sogenannten „Inquisition“ (aus dem lat. Inquirere; Verhör, Vernehmen) gekommen ist. Die simple Auffassung, dass die primäre Funktion der Inquisition das Vorgehen gegen „Ungläubige“ und „Häretiker“ gewesen wäre, d.h. dass alle Nicht-Christen und Ketzer/innen zum römisch-katholischen Glauben bekehrt werden sollten und ggf. auch zum Schutze der Menschen und der Welt umgebracht werden konnten, ist eine stark vereinfachte Betrachtung dieser organisierten Verfolgung säkular-geostrategischer Ziele, welche aus den ins Wanken gekommenen Machtverhältnissen auf politischer und ideologischer Ebene in Europa resultierte2. Die Inquisition hatte neben der allgemein bekannten Zensur, Verbot und Vernichtung der von ihr als blasphemisch deklarierten Schriften die Aufgabe, ihre Werte zu vermitteln. Martínez Millán beschreibt es wiefolgt:
1
2
Mit der Machtübernahme Francos und „[…] el clima intelectual que se vivía en España tras la crisis tremenda de la guerra civil.“, (Historia de la Inquisición en España y América. Seite 27-28.) wurde eine differenzierte Auslegung der Vergangenheit unterbunden, bzw. zensiert und geahndet. Schulterschluss von Staat und Kirche blieben bis zum Ableben Francos eine Barriere bzgl. einer kritischeren Auseinandersetzung mit der Geschichte und Gesellschaft Spaniens. „La censura inquisitorial se fue configurando como una actividad de control sistemático, para responder a las nuevas exigencias de los conflictos religiosos“, ibid., Seite 661.
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„El estado utilizó la institución inquisitorial para difundir su propia ideología y controlar aquellas que le resultaban inconvenientes. De ahí que la función de la censura sea doble: por una parte dejar libre e impulsar la ideología que toda la sociedad debía asumir; por otra – en sentido negativo – perseguir las lecturas, imágenes, pinturas, etc. que resultaban heterodoxas.“3 Der Inquisition ging es vor allem darum, die Bevölkerung geistig zu formen und die Gesellschaft in ihren Werten zu festigen. Durch den Schulterschluss von Adel (Staat) und Kirche sorgte man dafür, dass auch Kritik an weltlichen Belangen unter Strafe gestellt wurde. Reyes Coll-Tellechea stellt dies in ihrer Abhandlung „The Spanish Inquisition and the Battle for Lazarillo: 1554-1555-1573“ fest und bestätigt die These der eigentlichen Funktion der Inquisition. Es vollzog sich die Gleichsetzung zwischen der Hinterfragung des Staates und der Kirche, was mitunter schwerwiegende strafrechtliche Folgen hatte: „(...) toda idea escrita contra el Estado será tachada de herética y, viceversa, todo libro publicado contra la Inquisición será considerado prejudical por el Estado.“4 Lazarillo de Tormes wurde zunächst aufgrund seiner kritischen Beschreibungen der gesellschaftlichen Umstände, die sich vor allem gegen das Verhalten der Kirchenvertreter richtete – der moralischen Instanz im Lande – verboten und dann in zensierter und umgeschriebener Version wieder veröffentlicht. Ausschlaggebend dafür, dass man das Werk auf den Index der verbotenen Bücher setzte, war die 1555 erschienene Fortsetzung La Segunda Parte, deren Kritik sich vor allem gegen die Obrigkeit richtete. Der maßgebliche Arbeitgeber der Inquisition geriet laut ihrer fachmännischen Begutachtung – trotz seiner fabelartigen Elemente – ins Kreuzfeuer der Kritik und La Segunda Parte, sowie das Werk, auf welches dieser aufbaute, wurden verboten5. Der Großinquisitor General Fernando de Valdés war für die gesetzlichen Schritte gegen den Lazarillo verantwortlich und auf die besondere Rolle des von diesem mit der Zensur des Werkes Beauftragten Juan López de Velásco wird in Punkt IX eingegangen.
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The Spanish Inquisition and the Battle for Lazarillo, Seite 81. Ibid., Seite 81. Den Begutachtern wird bewusst gewesen sein, dass die Leserschaft sehr wohl die Parallelen zwischen dem fehlenden Antagonismus der Thunfischhierarchie und seinem irdischen Gegengewicht der Spanischen Obrigkeit erkennen konnte.
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In ihren Beginnen richtete sich die Inquisition primär gegen alle „Ungläubigen“ (nichtChristen) und später wurde das Entgegenwirken zum aufkommende Protestantismus zu einem weiteren ihrer offiziellen Hauptanliegen – neben der wichtigsten Aufgabe der Festigung eines geistigen Status Quo anhand ihrer Werte6. „Einen Ungläubigen zu töten ist kein Mord, sondern der Pfad ins Paradies!“, lautete eine Devise aus dem 11. Jahrhundert und wurde den Kreuzzüglern mit auf ihrem Weg ins Heilige Land gegeben 7. Machteliten einer jeden Nation, einer jeden Kulturgemeinschaft bedienen sich seit jeher den jeweiligen Glaubensansätzen oder Ideologien des überwiegenden geistigen Konsenses ihrer Gesellschaft, um deren Massen zu indoktrinieren und ggf. zu lenken. Wie bringt man Menschen dazu gegen andere Menschen gewaltsam vorzugehen? Man muss sie davon überzeugen, die „Guten“ zu sein, die gegen die „Bösen“ zu agieren haben. Bis heute kann Gewalt und moralisches Unrecht staatlich legitimiert werden und bis heute ist die Auslegung des Begriffes „Legalität“ eine Geisel der Willkür der herrschenden Klasse. Die allzu weltlichen Konflikte um Macht, Reichtum und Kontrolle werden stets – seitdem sich Machteliten in allen Gesellschaften gebildet haben – mit den vorhandenen Ideologien (Religionen) in Verbindung gebracht und dementsprechend die gesellschaftlichen Normen geformt. Die Masche der Vermittlung einer bestimmten Ideologie, die es zu verteidigen gilt, ist die Grundlage zur Kontrolle über die Massen. Ohne eine gemeinsame Ideologie, ohne eine gemeinsamen mentalen Nenner, der zum besten aller ernannt wird, war und ist es bis heute nicht möglich, die Masse zu vereinen und deren breite Akzeptanz auch für die absurdesten und menschenverachtendsten Normen der machthaberischen Willkür zu gewinnen8. Eine bestimmte Religion aufgrund von menschlicher Natur (u.a. Habgier, Neid, Narzissmus, Hass) als Ursprung allen Übels zu bezeichnen, ist naiv und irrig. Wenn man die Gräuel der Inquisition mit dem was Jesus Christus predigte vergleicht, stößt man sofort auf eine enorme Ungereimtheit zwischen dem, was einen Christen ausmacht und dem, was sogenannte Christen im Namen der Inquisition an Unheil anrichte(te)n9. Die Diskrepanz zwischen 6
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Die staatliche Allgemeinbildung der niedrigeren Bevölkerungsschichten soll für einen gefestigten mentalen Konsens innerhalb der Masse sorgen und dem Individuum dabei helfen, sich in seiner Gesellschaft gemäß den allgemeinen Vorsätzen zurechtzufinden – bis heute. Die Verbreitung und Vermittlung moralischer Werte – die stets gesellschaftlich (kulturell) abhängig sind – dienen als Grundlage einer gemeinsamen Wertegemeinschaft, welche wiederum stark von den maßgeblichen Regelmachern abhängig ist. Papst Urbanus II, rief am 27.November 1095 auf dem Konzil von Clermont zum Kreuzzug auf und kam damit der Bitte des byzantinischen Kaisers Komnenos nach, der um Hilfe gegen die islamische Ausbreitung durch die türkischen Eroberungen griechischer Gebiete bat. „Welche Ideen den Massen auch suggeriert werden mögen, zur Wirkung können sie nur kommen, wenn sie in sehr einfacher Form aufzunehmen sind und sich in ihrem Geist (der Bevölkerung) in bildhafter Erscheinung, widerspiegeln“, Dietmar Kamlah, Seite 13. In Bezug auf Lazarillo können die folgenden Gebotsverstoße als Anklagepunkte verwendet werden (auf den Protagonisten und sein soziales Umfeld): 2.: „Du sollst den Namen des Herrn nicht
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dem legitimierten Massakrieren Ungläubiger und dem Auftrag der unkonditionellen Nächstenliebe könnte nicht größer sein. Die Verfolgung der „Anderen“ wurde mithilfe der Inquisition zur Staatsräson erhoben. Es ist ein Irrtum, die Inquisition als sauren Beigeschmack der Lehre Jesus Christus zu benennen, denn machthungrige Menschen aus den Reigen der machthabenden Klasse haben der ungebildeten Masse ein komplett verzerrtes Gleichnis präsentiert. Lazarillo de Tormes sowie seine Fortsetzung wurden 1555 aus gutem (inquisitorischen) Grunde verboten, denn sie beschreiben den hohen Grad an Korruption innerhalb einer Gesellschaft, die von sich behauptete, christlich zu sein, es aber bei weitem nicht im Sinne des Erfinders gewesen ist – wenn man sie im direkten Vergleich zu den Lehren des Jesus setzt 10. Um von der Inquisition beschuldigt zu werden, ein Verbrechen begangen zu haben, war die willkürliche Annahme eine Legitimation zum „Verhör“, welches u.a. durch Foltermethoden für das (gewollte) Geständnis sorgte. Man habe klar vor Augen, dass diese Vorgehensweise – von einer bloßen Beschuldigung ausgehend der Angeklagte längst verurteilt ist – sich in der Aktualität wieder hin zum Usus entwickelt11. „Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: „Ich bin Christus“ und werden viele verführen.“ (Matthäus 24:5) und es bewahrheitet sich – bis heute. Wenn man die Inquisition nichts weiter als einen düsteren Teil der Geschichte kategorisiert, so hält man die Augen vor der aktuell verbliebenen Polemik verschlossen, dass solange sich Machteliten um Einfluss, Kontrolle und Reichtum streiten, diese in abgeänderter Form weiterhin existiert. In der Neueren Geschichte trifft man auf sie wieder; die moderne Inquisition nach dem Zweiten Weltkrieg war der Kampf gegen den Kommunismus und der Kampf gegen den Kapitalismus, welchen keiner der beiden Großmächte gewinnen konnte. Der Kommunismus ist am (erzwungenen) Kollektiv zu Grunde gegangen und genauso wird
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mißbrauchen!“ (der Bullenverkäufer), 5.: „Du sollst nicht töten!“ (das legitimierte Ermorden „Ungläubiger“), 7.: „Du sollst nicht stehlen!“ (Kriegerische Raubzüge der Obrigkeit, sowie die persönlichen Vergehen des Lazarillos des Überlebens-willen), 8.: „Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen!“ (der Blinde, der Bullenverkäufer, der Erzbischof, der Lazarillo), 9.: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!“ (der Erzbischof) und 10.: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut!“ (Die Idee des sich stetigen materiellen Bereicherns ist wie eine Art geistiger Virus, von dem der Großteil des sozialen Umfeldes befallen war/ist und zwar Schichtunabhängig.) U.a. dass die Menschen einander lieben (keine gefühlige Angelegenheit, sondern aktive Zuwendung). Lieben bedeutet: einander Schuld vergeben, einander unterstützen, das Leben zu ermöglichen und die Absage an jegliche Gewalt sogar gegenüber seiner Feinde (Bruch der alten Tradition, Matthäus 5:23: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage Euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen […]“ Die bloße Existenz quasi rechtsfreier Räume – Geheimgefängnisse – in denen Inhaftierte u.a. aufgrund von Vermutungen hin über Jahre hinweg eingesperrt und gefoltert werden, gilt nicht nur als Symbol von staatlich legitimierter Menschenrechtsverletzung, sondern auch als Zeichen an die Welt, welche Folgen es haben kann, wenn man sich u.a. gegen Ungerechtigkeiten des jeweiligen Status Quo erhebt (sei es in Kuba, China, Saudi Arabien, Russland oder den USA).
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es eines Tages dem egomanen Kapitalismus ergehen und wenn aus den Trümmern des Alten sich erneut Machteliten einer neuen Gesellschaft herauskristallisieren sollten, läuft man Gefahr, das Spiel erneut von vorne zu beginnen, wenn man sich der altbewährten Taktik eines äußeren Feindes bedient, um die Legitimität seiner Macht der Masse zu vermitteln. Solange man die Menschen unter ständige Bedrohung setzt, werden sie sich gefügig verhalten und sich nicht gegen ihre „Beschützer“ auflehnen. Das alteingesessene Mittel des Teilens und Herrschens kommentiert Pérez Villanueva folgendermaßen: „[…] es evidente el interés que mueve a buscar las razones hondas de nuestro pasado, después del traumatismo que pudo provocar en nuestra conciencia colectiva, el tremendo enfrentamiento. Aquí y fuera, la conciencia también de que la intolerancia, que acababa de producir, y sigue produciendo, tremendos excesos, no había desaparecido del contexto mundial, en el que subsisten unos sistemas de monopolio político e ideológico, que como en los tiempos de la Inquisición, el Estado define e impone.“12 Die modernste Variante der Inquisition ist der Kampf gegen den Terror. Der erneute ewige Kampf gegen einen (mitunter selbstgezüchteten) Feind, dessen sekundäre Aufgabe es ist, die Massen in Angst zu versetzen und dadurch gefügig zu machen, steht in der Tradition der Strategie seines historischen Vorläufers. Auf den bloßen Verdacht hin, dass man ein „Terrorist“ sein könnte, kann man verhaftet, in einen Kerker gesteckt und gefoltert werden – wie einst zu Zeiten des Tomás de Torquemada 13 aufgrund des Verdachtes der Götzendienerei u.ä. Die Menschen, die man seinerzeit vor den Augen aller verbrannte oder auf eine andere Art öffentlich hinrichtete, kommen heutzutage klammheimlich ums Leben, da man davon ausgehen kann, dass die große Mehrheit der heutigen weitaus aufgeklärteren Bevölkerung ein solches Vorgehen verachten würde. Die damalige Inquisition hatte strikte Anweisungen, wie ein Verdächtiger zum Sprechen (zum „Gestehen“) gebracht werden sollte und so passiert es heute nicht nur in den traurigen Paradebeispielen Guantanamo oder Abu-Ghuraib14. So wie aus heutiger Sicht 12 13
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Historia de la Inquisición Española y América, Seite 28-29. (Valladolid, 1420 - Ávila, 16.September 1498) Großinquisitor von Kastilien und Leon, zum Christentum konvertierter Sefarde, der zum erbitterten Verfechter der Inquisition wurde. Torquemada zentralisierte das Santo Oficio im sogenannten „Consejo supremo de la Inquisición“ unter welchem er die dann allgemein gültigen „Ordenanzas“ verfasste (Inquisitorische Richtlinien). Torquemada u.a. geistiger Vater des „Edicto de Granada“ vom 31. März 1492, das die Vertreibung aller spanischen Juden vorsah. Mit der Neusprechbezeichnung „Enhanced Interrogation Techniques“ ist Waterboarding,
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die historische Inquisition des Mittelalters verurteilt wird, so wird man den Stab über die jetzige Gegenwart in der Zukunft brechen. Solange die menschliche Gesellschaft es nicht schafft, sich von ihren geschichtlichen Ketten der elitären Indoktrinierung und Manipulation zu befreien, wird die Inquisition unter anderer Bezeichnung weiterhin als Notwendigkeit zur „Normalität“ gehören – wie einst zu Zeiten des Lazarillo de Tormes. Joaquin Pérez Villanueva15 beschreibt es wie folgt: „En nuestros días […] viva la convicción, que el hombre abriga, de que la tensión intrasigencia-libertad, lejos de haberse superado, se mantiene viva, con nombres distintos, en sistemas y países, bien conocidos, que practican una cruda eliminación de toda disidencia, y apoyan su acción en una verdad oficial que el Poder, y sólo él, define e impone frente a toda discrepancia ideológica y política, que se califica y se castiga con marginación, como herejía.16 „Herejía“ muss im erweiterten Kontext auch als einfache nicht-Übereinstimmung des Status Quo gedeutet werden, denn Kritik am Adel wurde auf dieselbe Stufe mit Blasphemie gesetzt. Aus einer Person, die sich gegen die allgemeine Version der Machtelite stellte, konnte man problemlos eine anti-christlichen „Ketzer“ machen, der dann laut der gesetzlichen Auslegung des Rechtes verurteilt werden musste. Das Beseitigen von Dissidenten wurde gesetzlich vereinfacht. Nach wie vor funktioniert die Methode, durch das Vermitteln von Angst Gehorsam zu erlangen, bzw. durch Maßnahmen sich ungemütlicher Opposition zu entledigen. Legalität und Illegalität sind nach wie vor abhängig von der jeweiligen Auslegung der gesetzlichen Lage eines Systems und ihr Anspruch zur Bestimmung was „richtig“ und „falsch“ ist, hat im Laufe der Geschichte sich als (un)menschliche Katastrophe gezeigt; das Vorgehen (u.a. das Töten) von Ungläubigen war „legal“, die Sklaverei war „legal“, der Kolonialismus war „legal“, die Apartheid war „legal“ - doch besteht kein Zweifel daran, dass all diese grausamen Begebenheiten ethisch falsch waren. Dissidenten wurden und werden mitunter kreiert, um eine externe Bedrohung der allgemeinen Ordnung zu erschaffen, welche man als Basis für die Legitimitätsansprüche der eigenen Vormachtstellung nutzt. Glaubensansätze und Ideologien werden zwecks Machterhalts instrumentalisiert17.
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Schlafentzug, Aussetzung der Gefangenen extremer Kälte und die sonstigen „erweiterten Verhörmethoden“, die allesamt international geächtet und als massive Missachtung des Menschenrechtes gelten, wurde die Folter abermals von oberster Stelle legitimiert. Joaquin Pérez Villanueva,*El Barco de Ávila, 1910, † Madrid 1994, Historiker, Professor und Politiker. Historia de la Inquisición en España y America, Seite 3. „Ich habe den Krieg in der Vendée beendigt, indem ich katholisch wurde," sagte Napoleon im
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Abermals verdeutlicht; das Vorgehen von Machthabern gegen gewisse „Feinde“, wird im historischen Kontext vereinfacht mit der mittelalterlichen Inquisition der römischkatholischen Kirche in Verbindung gebracht und mehr als grausames Phänomen dieser Zeit verstanden, doch das Anliegen und die Methodik sind nach wie vor Bestandteil der aktuellen Weltpolitik geblieben. Es mögen ebenso viele Jahrhunderte vergehen müssen, bis Historiker über unsere Tage mit Vernunft und Erkenntnis urteilen können, wie wir es heute bezüglich der Inquisition des Mittelalters tun. Villanueva: „El historiador de hoy tiene razones para poseer un ángulo de visión más amplio y experimentado, más moderado y crítico, menos unilateral y más tolerante. Por ello, la historia inquisitorial que hoy se practica, se beneficia de esa nueva actitud, que desdena la polémica superficial e inútil y se apoya en una más objetiva […] más rica en su manera de hacer, en las preocupaciones que la mueven y en los objetivos, más variados, que se persiguen. […] No es aventurado afirmar que la historia de la Inquisición española saldrá renovada de esta etapa que vivimos. El futuro juzgará de lo que han sido hoy nuestras preocupaciones y nuestras crisis, y de lo que los historiadores de nuestros días han compartido en sus intentos de revisar el pasado, de interpretarlo, partiendo de las inquietudes y problemas de nuestro tiempo, de unos puntos de vista, de unos enfoques metodológicos nuevos, y de unas zonas de interés renovadoras.“18 Die Betrachtung, Interpretation und Verständnis von Geschichte wird durch neue Herangehensweisen in ein neues Licht gerückt. Was zuvor aufgrund von bestehenden Zensuren einer äußerst einfachen Erklärung bedurfte, wird unter neuem Blickwinkel mitunter zu einer Farce, da man deutlich die geschichtlich verfälschte Version erkennen kann19. Unter sozial-psychologischer Betrachtung erlangt man Kenntnisse, welche dabei helfen, die Popularität und die Expansion der Inquisition zu erklären;
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Staatsrat, "in Ägypten habe ich dadurch Fuß gefasst, dass ich mich zum Mohammedaner machte, und die italienischen Priester gewann ich, indem ich ultramontan wurde. Wenn ich über ein jüdisches Volk herrschte, würde ich den Salomonischen Tempel wieder aufbauen lassen." Dietmar Kamlah, Seite16. Historia de la Inquisición en España y América, Seite 3-4. Amn. d. Verf.: „Gelehrte“ vermittelten die Notwendigkeit der Inquisition dem größtenteils analphabetischem Volk, welches keine weiteren nennenswerten Informationsquellen besaß und aufgrund des fragmentierten Wissens dementsprechend agierte.
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„Importa hoy […] la psicología-social. La nueva preocupación por analizar los mitos, las creencias los símbolos, sus cambios de una época a la otra y los varios modos de reacción humana ante situaciones diversas. Nos sentimos atraídos hoy, de manera preferente, por el estudio de las ideologías. Lo ideológico, lo mental, la creencia profunda. El sentido que el hombre tiene de la vida en cada momento, y dadas las circunstancias. Su ciencia y su creencia.“20 In den Jahren 1490-1580 expandierte das Kastillische Königshaus zu einer Größe, die einen berühmten Vorläufer – das Römische Reich – übertraf. Die psychologische Auswirkung
dieses
„Erfolges“
kulminierte
nahezu
im
Eigenverständnis
des
„Auserwähltseins zu herrschen“ und verstärkte sich durch die größere Idee einer ideologischen Ausbreitung: „Parece que cada imperio necesita su ideología, que los constructores de imperios necesitan justificarse a sí mismos el gobierno que ejercen sobre pueblos dependientes mediante la idea de una misión superior.“21 Die Geschichte tendiert dazu, sich zu wiederholen und was dem Historiker und jedem anderen aufmerksamen Beobachter bleibt, ist davon Notiz zu nehmen und in seiner Gegenwart daraufhin zu weisen, dass sich abermals etwas schon dagewesenes anbahnt, sowie diese geschichtlich belegbare Warnung schriftlich festzuhalten und sich darauf verlassen kann, dass man in der Zukunft über ihn sagen wird, er habe in seiner Analyse Recht behalten und leider nicht mehr dagegen tun können, als ein Vermächtnis der Erkenntnis zu hinterlassen. Die Gegenwart kann in ihrem dynamischen Moment nicht als Geschichte betrachtet werden, doch ist es unabdingbar und von großer Importanz, die Parallelen wahrzunehmen, die man der Geschichte entnehmen kann und unter denen man in vergangenen Zeiten zu leiden hatte. Die Ohnmächtigkeit, Zeuge sein zu müssen, ohne dass dabei seiner Aussage Glauben geschenkt wird, ist gerade im Zeitalter der Information ein bitterer Tropfen. Die spanische Inquisition nutzte den christlichen Glauben für ihre Zwecke und lässt sich aus den Lehren Jesus Christus weder ableiten und noch weniger rechtfertigen. Sie repräsentierte die christlichen Werte ebenso wenig, wie der IS die des Islam. Die Geschichtsforschung besitzt diesbezüglich eine elementare 20 Historia de la Inquisición en España y América, Seite 5. 21 España y su Mundo 1500-1700, Seite 29.
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Funktion, da sie u.a. den Menschen eine Erinnerung an das bewahrt und das vor Augen hält, was in der Gegenwart und in der Zukunft vermieden werden sollte. Die Gestalter des Status Quo behalten sich nach wie vor das Vorrecht, Terminologien der Legalität und der Illegalität ihren Stempel aufzusetzen. In anderen Worten: Die jeweilige Auslegung, was „gut“ und was „schlecht“ ist, dient der Festigung der eigenen Position und auf dieser Vorgehensweise ruht bis zum heutigen Tage die Hegemonie des Machtgefüges in der Welt22. Man bedenke, dass „alles was Hitler (seinerzeit) in Deutschland tat, legal war.“ - Martin Luther King, Jr.
III DIE INQUISITION AUF DER IBERISCHEN HALBINSEL IM 16. JAHRHUNDERT Um die gesetzliche Rechtfertigung eines Verbotes des Lazarillo de Tormes zu verstehen, muss man die ihm seitens der Inquisition nachgewiesenen Gesetzesbrüche kennen. Mit großer Sorgfalt führte man Buch über die möglichen Anklagepunkte seitens der Inquisition. Der „Apéndice 31“ hält 1488 Fälle fest, u.a. der Vorwurf der Blasphemie, der „Wilden Ehe“, der Bigamie, Ketzerei, des heimliche Praktizieren des jüdischen Glaubens, Götzendienst, Magie und Zauberei, häretische Verführungsversuche, Abergläubigkeit, der üblen Nachrede des Glaubens, sowie unfeine und sonstige Schimpfwörter23. Die „Hacienda Inquisicional“ wurde immer mit der „Hacienda Real“ gleichgesetzt, dennoch kann man die Inquisition in zwei Phasen unterteilen: Die erste markiert den Zeitraum zwischen 1478 und 1550, wo es zu soeben genannter Fusion beider Institutionen kam. Gehälter und sonstige von der Inquisition benötigte Ausgaben wurden von der „Hacienda de su Magestad“ übernommen und getragen und diese wiederum erhielt die von der Inquisition verordneten Güter- und Geldenteignungen (Bußgelder und Ablässe)24. Die zweite Phase der Inquisition unter Fernando de Valdés bemühte sich ihrerzeit um eine (erweiterte finanzielle) Unabhängigkeit vom Adel und sich zu einer nahezu gleichwertigen Dependance zur staatlichen Machtelite entwickelte. In Spanien regierte darauf die Obrigkeit gemeinsam mit dem Klerus. Hauptaufgabe des „Santo Oficio“ lag in der Zensur und der ideologischen Kontrolle. Die Inquisition ging Verstößen in den folgenden Kategorien nach: 22
„Die christlichen Ideen des Mittelalters, die demokratischen Ideen des 18. Jahrhunderts, die
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sozialistischen Ideen der Gegenwart stehen gewiss nicht besonders hoch, man kann sie in philosophischer Beziehung als ziemlich armselige Irrtümer betrachten, aber ihre Bedeutung war und ist ungeheuer, und noch lange werden sie die wesentlichsten Mittel zur Führung der Staaten bleiben.“, Dietmar Kamlah, Seite 14. Historia de la Inquisición en España y América, Seite 132-133. Ibid., Seite 155.
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Einhaltung des ideologischen Monopols der Auslegung des christlichen Glaubens der römisch-katholischen Kirche; Lutheraner, Anhänger der erasmischen Lehre und sogenannte „Illuminati“ und Freidenker gerieten aufgrund ihrer kritischen Einstellung bzw. Ablehnung bestimmter katholischer Doktrinen in das Fadenkreuz der Inquisitoren. Als mögliche Konkurrenz wurden alle christlichen Glaubensströmungen kurzum als „Ketzereien“ und für strafbar erklärt. Sexualität: Homosexualität, sowie der Nachweis für „anormale Praktiken“ wurde mit dem Tode bestraft. Antragssteller für die Genehmigung, körperliche Sünde zu begehen oder Selbstanzeige, selbiges begangen zu haben und wie der Umgang damit und wie die Bestrafung auszusehen hatte. Der außereheliche Geschlechtsverkehr („Fornicación“) war verboten und Frauen war die „unzüchtige Art von Bekleidung durch welche sie Männer verführen konnten“ untersagt25. Hexerei und Magie: einerseits aufgrund ihrer teuflischen Art, anderseits da diese als Hauptgrund für psychische Krankheiten galten und man diese heilen wollte. Judeoconversos: Die zunächst freiwillige und schließlich obligatorische Bekehrung zum Christentum („¡Conversos o muertos!“), markiert gerade im 16.Jahrhundert eines der Hauptanliegen der Inquisition, welches schließlich in der Vertreibung der spanischen Juden endet. Moriscos26: Wie auch im Falle der spanischen Juden, stellte man schließlich auch die Menschen islamischen Glaubens vor die Wahl der Konvertierung oder des Todes27. In Lazarillo de Tormes werden diese Punkte aufgegriffen: Er, der womöglich Halbmaure, der aufgrund seiner Abstammung von Geburt an geächtet ist, der blinde Bettler, der privat seinen Diener schlecht behandelte, der Welt aber den weisen, tugendhaften Mann präsentierte (Erstes Kapitel, Seite 22-23), der Bullenverkäufer, der im Namen Gottes die Menschen betrügt, damit sie seine Ablässe 25 26 27
Lazarillos Mutter und der Erzbischof machen sich diesbezüglich schuldig und dadurch wird deutlich, dass das „Sünden“ keineswegs standesabhängig ist. Ein Affront gegen die gesellschaftliche Kategorisierung. „[…] se designaban con este nombre los moros bautizados y sus descendientes“, Historia de la Inquisición en España y América, Seite 204. Ibid., Seite 158-163.
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kaufen, sowie bis hin zu seinem letzten Herren – der lüsterne Erzbischof – der eine Liaison mit einer verheirateten Frau hat. Lazarillo, dessen Blut nicht der „linaje“ entsprach28, der aus niedrigem Stande kam und es trotz dieser von der Inquisition als notwendige Ausgangspunkte für eine „noble“ Person erklärte Voraussetzungen nicht erfüllte, war einem Frevel an der „Unfehlbarkeit“ der Kirche gleichzusetzen. Man bedenke in diesem Zusammenhang, dass die soziale Herkunft nicht vor Sünde und Bestrafung schützte, doch gemessen an ihrer Härte stark vom gesellschaftlichen Rang einer Person abhing. Am Beispiel der verordneten Maßnahmen bei Blasphemie (welche in mehrere Härtegrade unterteilt war) wird es deutlich, dass der soziale Stand bei der Bestrafung einen erheblichen Unterschied aufweist: „[…] si la blasfemia es horrible y el blasfemo plebeyo, se le lleva a la vista de todo el mundo sin manto, tocando su infame coroza y con una mordaza en la lengua, en público espectáculo. Se le azota luego y se le destierra.“29 „Si […] se trata de un personaje noble y honrado, se le saca sin coroza, se le encierra en un monasterio por algún tiempo, paga una multa pecuniaria y, a veces, se le obliga a abjurar por la sospecha de herejía.“ (Ibid., 188) Als Armer bezahlte man für seine (u.a. angeblichen!) Vergehen mit dem Leben, als Reicher erkaufte man sich selbiges. Erwähnenswert erscheint auch der Folterkeller, der ausschließlich den „Unehrenhaften“, alias den „Armen“ bestimmt war: „Calabozo del tormento es cárcel de la naturaleza indicada, pero aún más subterránea y central, para que si el reo grita mucho con los dolores de la tortura, no pueda ser oído por nadie, ni aun por los que habitan en la casa.“ (Ibid., Seite 189) „Cárcel secreta es la que no permite comunicación con nadie.“ (Ibid., Seite 191) Das Foltern von überwiegend „Armen“ ist bis heute eine schandhafte Realität geblieben. Das Echo der Inquisition hallt bis in die Gegenwart, wenn in geheim gehaltenen Gefängnissen Menschen aufgrund von Verdächtigungen gefangen gehalten 28 „Limpieza de sangre“, ibid. Seite 164. 29 Ibid., Seite 188.
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und gefoltert werden. Der Sinn und Zweck der Folter ist bis zum heutigen Tage derselbe wie jeher geblieben: Die Angst vor ihr unter den Menschen zu schüren. Im Weiteren dien(t)en die unter Folter erzwungenen Geständnisse als eine Bestätigung dieser Vorgehensweise. Die Inquisition benötigte Beweise für ihr Vorgehen, welches sie der Welt in Form von eben diesen Geständnissen präsentieren konnte 30 und genauso funktioniert es noch heute. Die Folter ist seit jeher ein effektives Instrument einer jeden Machtelite31. Bis zum heutigen Tage ist die Frage der Herkunft, bzw. des gesellschaftlichen Standes – d.h. welche Auswirkung diese bezüglich des Strafmaßes einer Person hat, die sich im Konflikt mit der jeweiligen Justiz befindet – ausschlaggebend32. Bezugnehmend auf diese „Heilige Willkür“ der Inquisition (und ihrer Nachfolger) und den Lazarillo de Tormes, stelle man sich die geistige Lebensqualität vor, wenn man allein durch das nachgewiesene Lesen eines indizierten Buches exkommuniziert und ggf. verhaftet wurde33. Die daraus resultierenden Probleme als „Ungläubiger“ sein Leben fortführen zu müssen, liegen auf der Hand. Immer besteht die Gefahr, dass sich die Norm einer Gesellschaft zu einer Abnorm entwickeln kann und dieser Prozess mitunter von der Masse nicht wahrgenommen wird. Aus heutiger Retrospektive ist festzustellen, dass die größten Verbrechen an der Menschheit von Leuten begangen wurden und begangen werden, die bestens an ihr gesellschaftliches Umfeld und dessen „Normen“ angepasst sind. Nach wie vor ist es „kein Zeichen von Gesundheit, an eine zutiefst kranke Gesellschaft angepasst zu sein!“, Jiddhu Krishnamurti.
IV DIE GEBURT DES SCHELMENROMANS Der von unbekannter Hand verfasste und 1554 in drei Städten gleichzeitig veröffentlichte Lazarillo de Tormes34, sowie das Werk Guzmán de Alfarache 159935 30 31 32 33 34
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„[…] no se llega a la tortura, sino por falta de otras pruebas.“ Historia de la Inquisición en España y América, Seite 214. Dass ärztliches Personal bei Folterungen beiwohnt, verstößt gegen den 1975 verabschiedeten Tokyo-Vertrag der World Medical Association, wird aber u.a. selbst von demokratischen Staaten nicht eingehalten. Nach wie vor steht die Höhe der „rechtlichen“ Strafe im direkten Zusammenhang mit den finanziellen Möglichkeiten des Angeklagten. „[…] sobre los lectores de libros prohibidos pesaba la pena de la excomunión.“, Historia de la Inquisición en España y América, Seite 653. 1554 wurden vier Ausgaben in Alcalá (Salcedo), Burgos ( Juan de Junta ), Amberes (Martín Nucio) y Medina del Campo (Mateo y Francisco de Campo) veröffentlicht. (Vgl. Vida de Lazarillo de Tormes castigado, Seite 9.) 1555 wurde in Amberes abermals die Version des Werkes mit der Hinzufügung der „La Segunda Parte“ publiziert und diese in mehrere Sprachen übersetzt (1560 ins Französische, 1579 in Flämische und 1586 ins Englische). Ibid., Seite 10. Mateo Alemán (1547-1613) ist der erste offizielle Verfasser eines pikaresken Romans, der im Stile des Lazarillos verfasst ist (1599 „Primera Parte de Guzmán de Alfarache und 1604 „La Segunda Parte de la Vida de Guzmán Alfarache, Atalaya de la Vida Humana“). Sein Werk stieß
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markieren die Geburtsstunde des Genres der „Novela Picaresca“ in Spanien, selbst wenn ersterer 1559 aufgrund seiner – aus heutiger Sicht – starken Gesellschaftskritik von der spanischen Inquisition verboten wurde36 und erst wieder im 19. Jahrhundert in unzensierter Form in Spanien vertrieben werden durfte. Die 1555 anonym verfasste Fortsetzung des Lazarillo de Tormes – La Segunda Parte von Amberes 37 enthält klare schelmische Züge, doch kann aufgrund ihrer phantastischen Elemente nicht zur literarischen Gattung der Novela Picaresca gezählt werden. Der Schelmenroman zeichnet sich u.a. durch die direkte Verbindung zwischen Fiktion und (sozialkontemporärer) Realität aus und verzichtet dabei auf fabelartige Szenen, wie sie in der Fortsetzung des „Original-Lazarillo“ vorkommen. Zu nationaler Bedeutung sowie grenzüberschreitender Rezeption des Lazarillo de Tormes kam es durch die „Imprenta Real“38. Dank verbesserter Buchdrucktechnik und der Vernetzung der Druckereien im In- und Ausland, sorgte Luis Sánchez39 im Mai 1599 für die Verbreitung dessen, was man aus heutiger Sicht als Schelmenroman bezeichnet. Aufgrund der zuvor zensierten Version des Original-Lazarillos durch López de Velasco, wurde der „Lazarillo Castigado“ zur eigentlichen Grundlage des Schelmenromanes, da die unzensierte Version der Welt nahezu 300 Jahre lang verborgen blieb. Die zensierte Version behielt aber die Züge, die eine Novela Picaresca ausmachen, bei. Diese neue Art der Erzählung stieß auf großen Anklang und nahm Einfluss auf die Europäische Literatur. Beide Werke ähneln sich in ihrer Struktur und Aufbau, bedienen sich der Ich-Form in ihrer Erzählweise. Cervantes stand dieser neuen Art des Schreibens sehr skeptisch gegenüber und kritisiert ihren pseudobiografischen Charakter40. Cervantes kritisiert im Weiteren den ungeordneten Charakter der Geschichte des Lazarillo und dessen pikareske Monotonie, die moralapostolischen Botschaften und die harsche Verurteilung der
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in ganz Europa auf große Resonanz und wurde in mehrere Sprachen übersetzt (ins Französische, Italienische, Deutsche und Englische). Index Librorum Prohibitorum – Auflistung aller von der Inquisition bewerteter verbotener Schriften (1559 von Pabst Paul IV erlassen) Anonyme Fortsetzung des Lazarillo de Tormes, vertrieben von Amberes. Dieses Werk ist dem Lukianischen Genres zuzuordnen (abgeleitet von Lukian von Samosata, Satiriker der Antike); Literaturgattung, die ihre Wurzeln im antiken Griechenland hat und welche sich satirischhumoristischer und phantastisch-fabelartiger Ansätze bedient. In der Renaissance wurde diese Gattung wieder aufgegriffen. Im Schutze des Irrealen beschreibt man die Realität um dieses Tabu zu brechen. Die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert ermöglichte eine europaweite Verbreitung von Schriften. Im Spanien des 16. Jahrhunderts wurden die Druckereien Teil des (Groß)Stadtbildes. Die Druckereien mussten im Laufe der Entwicklung der Inquisition in Spanien gemäß ihrer Gesetzgebung kollaborieren, bzw. wurden direkt von ihr übernommen (La Imprenta y el Comercio de Libros en Madrid, Seite 34 ff), andere wiederum unterstanden direkt dem Königshaus. (Ibid., Seite 36-37.) „[…] sólo la conciencia de una segunda o tercera persona puede dar a la novela el rango de „Poesia“ y no de „Historia“[…]”, La Novela Española en el Siglo XVI, Seite 220.
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(spanischen) Welt (vgl. La Novela Española en el Siglo XVI, Seite 223). Aus heutiger Betrachtung ist sicher, dass Lazarillo de Tormes den Samen einer neuen Literaturgattung in sich trug, auch wenn er erst wieder als undefinierbares literarisches Werk im Jahr 1599 in Erscheinung trat; die erfolgreiche Verlegung des Guzmán de Alfarache zusammen mit dem (zunächst zensierten) Vater aller Schelmenromane markiert die Entstehung dieser neuen Gattung.
V DAS CHARAKTERISTIKUM DES SCHELMENROMANS Der Protagonist in ein Schelm41 niedrigen Standes, den er seinen Eltern (seiner Abstammung) zu verdanken hat, die als stigmatisierte Arme nur einen weiteren ihrer Art in die Welt setzten konnten. Der „Pícaro“ ist das Gegengewicht zum herkömmlichen (literarischen) Helden, der stets durch seine Imperfektion auffällt. Er möchte seine Lebenssituation verbessern (innerhalb der Gesellschaft sozial aufsteigen, welches Hand in Hand mit materiellem Reichtum geht), doch kann sich nur auf seine Spitzbübigkeit, Gerissenheit und List verlassen, die auch unehrenhaften Betrug und Schwindel als legitimes Mittel zum Zweck beinhalten können. Der Schelm setzt sich über das hinweg, was vor allem aus der Sicht der gehobenen Gesellschaft als rechtens und gut gilt und ist daher in gewisser Weise freier als all seine Mitmenschen. Die sujethafte Aufhebung der gesellschaftlichen Ordnung – Lazarillos naiv-verschleierte Infragestellung, bzw. Brechen der Regeln – ist ein Affront gegen den Status Quo seiner Zeit. Der seine Taten reflektierende Schelm – der reuige Sünder – kann dem Leser seiner Zeit eine vertraute Person sein, mit der man sich identifizieren könnte, wäre sie nicht niedrigen Standes. Man könnte dieser unterbrochenen Empathie Ansätze des Verfremdungseffektes unterstellen, da die Leserschaft des 16. Jahrhunderts in ihrer großen Mehrheit einen „Lazarillo“ wohl kaum näher hatte kennen können und durch die autodiegetische Erzählweise mit fester interner Fokalisierung möge sich manch ein Leser dem Leiden des Lazarillos mitfühlend gegenübergestellt haben, welches wiederum gegen die Norm verstoßen hätte, als „Feiner“ mit solch einem Strolch zu sympathisieren. Die Novela Picaresca bedient sich einer erfundenen Biografie, die bei Lazarillo de Tormes aufgrund der realen Bezüge innerhalb der Geschichte einen starken Wahrheitsanspruch besitzt. Die Vergangenheit eines Menschen (des Protagonisten) dient dem Verständnis seiner aktuellen Existenz und gibt Aufschluss über sein Handeln (ein Schelm wird nicht geboren, sondern entsteht durch die äußeren Umstände, u.a. durch das Leid, das er 41
Definition laut Duden: „Jemand, der gern anderen Streiche spielt, Spßvogel; schelmischer Mensch, Schalk.“
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erfährt). Die prekären sozialen Umstände sind ein entscheidender Faktor in der persönlichen Entwicklung eines Menschen. Die damalige Intention des Werkes sollte möglicherweise die Tatsache vermitteln, dass man nicht aufgrund seiner Abstammung zu einem „Pícaro“ wird, sondern aufgrund der gesellschaftlichen Marginalisierung. Wäre Lazarillo in einem noblen Hause geboren worden, hätte aus ihm (zwangsweise) kein Schelm werden können, da seine Kindheit höchstwahrscheinlich sorgen- und hungerfreier verlaufen wäre (gemäß des mentalen Kalküls des 16. Jahrhundert). Der physische sowie der psychologische Hunger nach Essen und sozialem Aufstieg ist ein iteratives Motiv im Leben des Protagonisten. Lazarillo mangelt es aber vor allem an liebevoller Behandlung und diese ist als eigentlicher Faktor zu benennen, der ihn zu einem „Schelm“ hat werden lassen. Eine Anspielung, die sich anhand seiner Herren durch alle Gesellschaftsschichten zieht und die die Wichtigkeit der Phase der Kindheit eines Menschen verdeutlichen möchte und deren Folgen, wenn man dem Nachwuchs keine liebevolle Obhut bietet. Die weitverbreitete zeitgenössische Präambel, dass man es als Armer zu nichts bringen kann, wird mit der Geschichte des Lazarillo de Tormes widerlegt – selbst wenn sein Triumph ein fragwürdiger ist. „Die Moral kommt nach dem Hunger!“, beschreibt den Werdegang des Lazarillos und im Umkehrschluss dieser Weisheit lässt sie kein gutes Haar an denjenigen, die niemals Hunger leiden mussten. Doch die Botschaft, dass der Arme gut und der Reiche böse sei, ist nicht beabsichtigt. Vielmehr sieht der Pícaro ja selbst zu den „feinen Leuten“ auf und möchte einer von ihnen werden. Auch die Beschreibungen seiner Herren und der Welt um ihn herum, lässt von dieser naiven Interpretation in „Gut“ und „Böse“ ab. Eher vermittelt die Erzählung eine Beschreibung der harten korrupten Welt durch alle Stände der Gesellschaft, doch zielt natürlich vermehrt auf diejenigen ab, die als Machthaber und Vertreter des christlichen Glaubens als gutes Beispiel vorangehen sollten und dabei versagen. Dem Werk ist eine konative Funktion nicht abstreitbar, denn es beabsichtigt der Leserschaft das unangenehme Schicksal eines Menschen vor Augen zu halten, der ein Teil ihrer Gesellschaft ist und aufgrund der Auslegung der Norm unter einer pränatalen Benachteiligung zu leiden hat. „Diejenigen, die über dich herrschen sind diejenigen, die du nicht kritisieren darfst!“, stellte Voltaire treffend viele Jahre nach der Entstehung des Lazarillos fest und diese Tatsache hat bis heute Bestand. Der Protagonist blickt von der Gegenwart aus – in media res – zurück in die Vergangenheit und erzählt dabei von Begebenheiten, dessen Ausgänge ihm bekannt sind. Die Vorbestimmung – das Schicksal? - ist Teil der Erzählung; der Protagonist 19
bemüht sich stets um eine Verbesserung seiner Umstände und es gelingt ihm zwar unter den größten Bemühungen und Entbehrungen, doch verbleibt er ein Schelm, der seine List und Tücke im Laufe der Jahre perfektioniert. Er gibt sich niemals geschlagen und sorgt damit stets für ein offenes Ende, welches geradezu zu einer Fortsetzung einlädt. Dass sein Bestreben eines Tages tatsächlich zu einem Finale führe, ist nicht im Sinne des Erfinders, denn es würde das Ende einer fiktiven Geschichte markieren und dadurch ginge der Status des Schelmenromanes verloren. Der Schelmenroman des Lazarillo de Tormes ist stark von sakraler Rhetorik des Mittelalters beeinflusst und weist viele biblische Referenzen auf, welche u.a. dafür verantwortlich sind, dass die Inquisition hellhörig wurde (sogleich im Tractado primero auf Seite 12 kommt es zu Anspielungen auf das Johannes- und Matthäusevangelium: „Selig sind die, die da Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen“, Mt. 5,10. ). Im Lazarillo de Tormes spielt die Gesellschaft – die Frage des Standes – von Beginn an eine wichtige Rolle, denn ohne diese als Ausgangspunkt struktureller Diskriminierung, gäbe es keine geradezu geebnete Grundlegung für den (sehr wahrscheinlichen) Werdegang eines Pícaro. Aus heutiger Sicht kann man dem Schelmenroman gesellschaftskritische Ansätze entnehmen, die natürlich im historischen Kontext erst im 19. Jahrhundert als solche definiert worden waren. Die Gesellschaftskritik hat ihre Anfänge in der Religionskritik, u.a. in Zeiten der Reformation die Machenschaften des Klerus zu hinterfragen. Den Status Quo in Frage zu stellen war zuzeiten des Lazarillo ein strafrechtlich verfolgtes Vergehen und ist bis zum heutigen Tage ein heikles Unterfangen geblieben. Die Kritik an der Ungerechtigkeit und der Norm ist (leider) nach wie vor nötig und unter Umständen sogar tödlich42 (siehe PEN-Report).
VI DIE ROLLE DES UNBEKANNTEN VERFASSERS Über die Identität des Verfassers der anonymen Veröffentlichung des Lazarillo de Tormes hat sich niemals der Schleier lüften können. Die plausibelsten Spekulationen bezüglich dieser Frage, belaufen sich auf die Argumentation dreier möglicher Verfasser. Der Theologe und Historikers Fr. José de Sigüenza43 ging davon aus, dass es sich beim 42 43
Bezugnehmend auf eine vierundvierzigseitige Auflistung aller weltweit bedrohten, verschwundenen und ermordeten Schriftsteller und Journalisten (2009). José Martínez de Espinoza, später Bruder José de Sigüenza (*Sigüenza, 1544 – El Escorial, 22.Mai 1606), war ein spanischer Theologe, Dichter und Historiker. Er übersetzte das Evangelium ins Spanische, was aber seinerzeit nicht veröffentlicht durfte aufgrund der inquisitorischen Regel, das Lateinische als Liturgiesprache beizubehalten.
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Autor des Lazarillos um einen Ordensbruder namens Fr. Juan de Ortega handele, seines Zeichens General der Hieronymiten. Diese Vermutung basiert auf ein handschriftliches Dokument, welches in Sigüenzas Räumlichkeit in der Universität Salamanca gefunden wurde, aus der Epoche des Lazarillo stammt und aus der Feder Ortegas stammen soll. Wenn dies der Wahrheit entspräche, würde dies das Werk in ein anderes Licht rücken, da der Verfasser selbst zu der Kaste gehörte, von der aus die Inquisition initiiert wurde. Gleichsam könnte Ortega tatsächlich nur im Besitz des Originaltextes und mitverantwortlich für die Zensur und das Verbot des Werkes gewesen sein. Oder war Ortega etwa doch ein Kritiker der eigenen Reihen und musste deshalb seinen Namen als Autor geheim halten? Wie das handschriftliche Manuskript in dessen Räumlichkeit kam, kann nicht bewiesen werden. Was aber historisch nachgewiesen werden kann, ist die kritische Position Ortegas bezüglich des Umganges mit Konvertierten und den von ihm und seinen Mitstreitern geforderten Reformen innerhalb der Kirche 44. Als weiterer möglicher Verfasser kommt Diego Hurtado de Mendoza45 in Frage. Gleich zweimal ist schriftlich festgehalten worden, dass er der Verfasser des Lazarillo sei; „DIEGO HURTADUS à MENDOZA, vir nobilis […] poemata etiam vernaculè pangebat & Lepidum libellum Lazarilli de Tormes.“, Catalogus Clarorum Hispaniae scriptorum, Valerio de Andrés Taxandro, 1607, Seite 44. „Eius etiam effe [Mendoza] esse putatur satyricum illud ac ludicrum Lazarillo de Tormes, cum forte Salamanticae ciuili iuri operam daret.“, Hispaniae Bibliotheca de Andreas Schott, 1608, Seite 541. Letzterer muss eine enorme Vorstellungskraft gehabt haben, denn das Leben des Lazarillo in all seinen Facetten beschrieben zu haben, wäre wohl jenseits seiner persönlichen Erfahrung von statten gegangen, gehörte Hurtado de Mendoza doch zur „Alta Nobleza“, zum gehobenen Adel. Dieser Argumentation kann man der Möglichkeit entgegen setzen, dass Mendoza mit einem „wirklichen“ Lazarillo gesprochen haben mag und sich kurzerhand seiner Lebensgeschichte bediente. Juan de Valdés käme ebenfalls als potentieller Autor des Lazarillos in Frage, allerdings basiert diese Annahme mehr aufgrund des Schreibstiles und der geistlichen Gesinnung Valdés;
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Vgl. La Novela Española en el Siglo XVI, Seite 226. (*Grenada 1504 – Madrid, 14.August 1575) Dichter und Diplomat, als Botschafter Spaniens in Italien.
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„El arte de Juan de Valdés en contar e historias era notorio“ y que su sentido de humor conincide con el del autor del Lazarillo46. Die Liste der möglichen Verfasser des Lazarillo de Tormes könnte noch erweitert werden, doch ein eindeutiger Beweis, der auf die Legitimität einer bestimmten Person hindeutet, kann wahrscheinlich nie gefunden werden. Interessant sind in diesem Zusammenhang aber die drei erwähnt Möglichen: ein Kirchenmann, der gegen die Korruption in selbiger ankämpfte, ein Adliger, der entweder ein genialer Schreiber war oder die Geschichte eines wirklichen „Lazarillos“ niederschrieb oder Valdés, dessen vorangegangene literarische Werke einen derartigen Rückschluss zulassen. Was all diese potentiellen Verfasser gemeinsam haben, ist ihre Literarität, ergo der gehobenen Schicht angehörten. Die Beweggründe aller sind durchaus nachvollziehbar, sowie die Tatsache, dass sie unerkannt bleiben wollten. „¡El pez se muere por la boca!“, ist gerade in Zeiten der Inquisition eine hochaktuelle Redewendung, da diese in ihrer Ungerechtigkeit auch in den eigenen Reihen dafür sorgte, dass sich niemand erdreistete, dem von ihr kreierten Zeitgeist entgegen zu wirken. Auch Personen gehobenen Standes fielen ihr zum Opfer, aber mehr aus „kosmetischen“ Gründen um dem Volk zu zeigen, die Verfolgung und Bestrafung von Vergehen beträfe alle Individuen der gesamten Gesellschaft. Dass man die Gesetzlage ausnutzte, um interne Machtspiele auszufechten, liegt auf der Hand47. Der anonyme Verfasser des Lazarillo de Tormes muss eine tiefe Empfindung für die gesellschaftlich Ausgegrenzten gehabt haben. Man könnte argumentieren, dass es dem Verfasser primär darum ging, vor allem der Kirche und dem Staat aus Gründen, deren wahre Intentionen nicht feststellbar sind, zu schaden und dass „Lazarillo“ nur als ein zufälliger Held dieser Rahmenhandlung diente. Wäre es dem unbekannten Verfasser um persönliche Bereicherung gegangen, hätte er sein Manuskript unter richtigem Namen außerhalb Spaniens in einem der Länder mit protestantischer Mehrheit drucken lassen können, doch wird es ihm kaum um den finanziellen Aspekt seines Werkes gegangen sein, sondern vielmehr um seine Botschaft an die Welt. Wenn man den hohen Grad an Analphabetismus innerhalb der spanischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts in Betracht zieht, war das Werk keinesfalls für die große Mehrheit der Lazarillos Spaniens (und der Welt) gedacht, sondern vielmehr für die Obrigkeit im In- und Ausland, die in der Lage 46 47
La Novela Española en el Siglo XVI, Seite 227. Als eines der berühmtesten Opfer der Inquisition ist Galileo Galilei (1546-1642) zu benennen, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Fänge der inquisitorischen Justiz gefallen war.
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gewesen wäre, durch eine gesetzliche Bildungspolitik das Literaritätsniveau ihrer Bevölkerung zu verbessern, welches aber nicht im Sinne der eigenen Machtfestigung der herrschenden Klasse lag. Nach wie vor ist der Zugang zu höherer Bildung ein Privileg, welches immer noch in Zusammenhang mit der Höhe an finanziellen Mitteln steht. Ein durchschnittlicher Lazarillo seiner Zeit hatte kaum die Möglichkeit, sich seine eigene Geschichte durchlesen zu können und man kann davon ausgehen, dass das Anliegen des unbekannten Verfassers mehr auf eine gesellschaftliche Veränderung zielte, die mithilfe der Obrigkeit geschehen sollte, als die Institutionen aufgrund persönlicher Differenzen anzugreifen. Durch sein Werk wurde dem Armen ein Name gegeben und man konnte als Leser an dessen Leben teilhaben. Der Arme war nicht länger der namenlose Untertan, sondern ein Mensch, der Hunger litt, der Leid und Ungerechtigkeit erfuhr. Der Arme hat durch Lazarillo seine Unsichtbarkeit überwunden. Gleichsam ist die Interpretation des Lazarillos der Gesellschaft und seines Lebenszieles vor allem aus moderner Sicht eine fragwürdige, aus dem Kapitalismus und der (daraus ergebenen) sozialen Ungerechtigkeit resultierende Einstellung. Sein Traum des „guten Lebens“, das mit einer an die Normen der Gesellschaft angepasster Lebensweise übereinstimmen muss, ist seine Wandlung in einen derer, der repräsentativ Verantwortung für die prekäre Ausgangsposition seines eigenen Lebens trägt. Hätte die Gesellschaft keine strukturelle oppressorischen Normen hervorgebracht und für eine diskriminierungsfreie Grundlage seiner Bevölkerung gesorgt, hätte Lazarillo von vorneherein nicht unter diesen Umständen leben müssen, die ihn zu einem Schelm haben werden lassen. Aus moderner Sicht ist der Lazarillo ein Prototyp eines aus der Armut entkommenen Kapitalisten, der als Lebenszweck den gesellschaftlichen Aufstieg und den damit verbundenen Reichtum sieht48. Die von Menschenhand geschaffene soziale Ungerechtigkeit hat den Lazarillo zu einem Verfechter eben des Systems gemacht, aufgrund welches er überhaupt „arm“ und „mittellos“ auf die Welt gekommen war. Auf diese unschöne Tatsache trifft man noch heute, dass die Gesellschaften nach wie vor mit den Gespenstern ihrer feudalistischen Vergangenheit zu kämpfen haben. „Lazarillos“ und „Lazarillas“ werden nach wie vor geboren und durch prekäre soziale Umstände wird so mancher von ihnen sich dem mentalen Konstrukt kapitalistischmaterialistischer Denkweise ergeben. Was einem verwehrt bleibt, tendiert dazu, in einer Verklärtheit gesehen zu werden, d.h. im Falle des Lazarillo de Tormes – der unter der Armut zu leiden hatte – der materielle Reichtum für ihn (vor allem gutes Essen!) von 48
„Get rich or die trying“ (2005); Kinoproduktion, die den Werdegang eines in Armut geborenen Afro-Amerikaners hin zum Millionär behandelt. Eindeutige Parallele bezgl. der Geschichte des Lazarillos.
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größter Bedeutung wurde49. Es ist nachvollziehbar, wie es zu so solch einer (tragischen) Entwicklung kommen kann und solange Menschen gleicher als andere geeicht werden, wird sich an diesem Teufelskreis nichts ändern. Das Werk des Lazarillo de Tormes sollte ein Umdenken bewirken und dem Verfasser ging es primär darum, die Missstände aufzuzeigen und gleichsam gab er dem Stimmlosen eine Stimme, und selbst wenn diese seinerzeit von den wenigsten vernommen wurde, hat sein Werk doch die Welt verändert.
VII
DIE
DEFINITION
DES
ZEITLICHEN
RAHMENS
IM
LAZARILLO DE TORMES Es wird davon ausgegangen, dass sich die Geschichte des Lazarillos zwischen den Jahren 1525 und 1553 bewegt. Lazarillo wird „im Moment seines größten Glückes“ jünger als 25 Jahre alt gewesen sein50. Für die Deutung des Zeitrahmens sind hierbei zwei Anspielungen am Signifikantesten: Bei Verhaftung seines Vaters und seinem darauf folgenden Auszug in die Schlacht von Gelves 1510 51, in welcher dieser den Tod fand, war Lazarillo acht Jahre alt; „Este fue el mesmo año que nuestro victorioso Emperador en esta insigne ciudad de Toledo entró, y tuvo en ella Cortes, y se hicieron grandes regocijos […]“ (Tratado séptimo, Seite 160. / Anspielung auf die Standesversammlung unter Karl V. im April 1525 in Toledo.) Eine weitere sozial-zeitliche Anspielung sind die polizeilichen Maßnahmen des Stadtrates von Toledo gegen Bettler und Vagabunden von 1525, welche im Dritten Kapitel erwähnt werden und die auch im Guzmán de Alfarache thematisiert werden (vgl. La estigmatización de los mendigos en el Siglo de Oro. Análisis de Guzmán de Alfarache (1599), Seite 2) „Y fue, como el año en esta tierra fuese estéril de pan, acordaron el Ayuntamiento que todos los pobres estranjeros se fuesen de la ciudad, con pregón se dio, vi llevar una procesión de pobres azotando por las Cuatro Calles.“ (Tratado tercero, Seite 108) 49
50 51
Thematik des (Menschen)Rechtes auf (gesunde) Ernährung wurde von Domingo de Soto aufgegriffen; „Pues no basta que haya entre los ricos y los pobres esta diferencia. ( la sana y buena alimentación)“, Seite 41. Tatsächlich übte sich der Klassenunterschied auch in Bezug auf die Ernährung aus. „Gutes“ Essen war den Armen (wie auch heute) größtenteils verwehrt. La Novela Española en el Siglo XVI, Seite 229. Anm. d. Verf.: Anhand der geschichtlichen Hinweise im Text ergeben sich die (möglichen) Lebensjahre des Lazarillos. Auch als das „Desaster von Gelves“ bekannt (Juli-Oktober 1510): Militärkampagne des Königs Ferdinand II, sein Reich auf das nördliche Afrika auszudehnen (die Insel Djerba des heutigen Tunesien). Instituto de Historia y Cultural Naval, Kapitel VII, Seite 83-89.
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Die prekäre wirtschaftliche Lage Spaniens in den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts hing mit der massiven Anhäufung von Edelmetallen aus Amerika zusammen. Diese kamen auf Schiffen nach Spanien und sorgte für einen noch größeren Reichtum des Adels, der wiederum eine enorme Verteuerung der Güter zufolge hatte. Während sich die Obrigkeit nach wie vor alles leisten konnte, war das Volk nahezu nicht mehr in der Lage, mit den Preisanstiegen Schritt zu halten und verarmte bemerklich 52. Auch wenn sich die staatliche Räson mitunter auf die Worte Jesu berufen konnte – Matthäus 26,6-13; 26,11 „Denn die Armen habt Ihr immer bei Euch, mich aber habt Ihr nicht immer.“ – waren sie abermals nicht in der Lage, über das Predigen von Wasser und dabei selbst Wein trinkend hinauszukommen. Die christliche Grundidee, gerade den Ärmsten und den Außenseitern Hilfe zu leisten, passte nicht in das zu ihren Gunsten verschrobene Weltbild der Aristokratie und so erlies man Gesetze bezüglich dieser unschönen Realität der Armut vor den eigenen Toren. „Arm sein“ wurde kriminalisiert 53. Gleichsam findet man in dieser prekären Situation den Nährboden des Pikaresken. Aus dem Jahre 1545 stammen die Werke des Juan de Robles Deliberación de los Pobres und das darauf bezugnehmende Deliberación a la causa de los Pobres von Domingo de Soto, welche als theologische Sachbücher die Botschaft Christi in Bezug auf das Problem gesellschaftlichen (materiellen) Armut aufgreift: Das Evangelium könne man nicht in direktem Zusammenhang mit weltlichen Gütern stellen und weist daraufhin, dass es immer bestimmte Arme geben wird (Hilfsbedürftige, Kranke, Alte, Verwitwete usw.) und dass es eine christliche Pflicht darstellt, diesen zu helfen. Der Sinn der menschlichen Existenz basiert nicht auf der Akkumulation irdischer Reichtümer; „[…] es ilícito por tanto que el Príncipe combata la pobreza económica y que se esfuerce en que todos sean ricos“ (La Novela Española en el Siglo XVI, Seite 231). Domingo de Soto klagt die strukturelle Ungerechtigkeit an, doch auf eine nachhaltige Resonanz innerhalb der Gesellschaft trafen seine Gedanken leider nicht54. 52
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Mit den Unmengen an Edelmetallen und anderen Wertstoffen aus den spanischen Kolonien, kam es zu einem enormen Anstieg der allgemeinen Lebenskosten. Dasselbe Phänomen ist bis heute selbst auf urbaner Ebene zu beobachten (beispielsweise sind im Jahr 2015 78 Milliardäre in New York City registriert). Schon im Jahr 1526 beschäftigte sich mit dieser Thematik Juan Luis Vives (1492-1540) in seinem Werk „De subventione pauperum“. Er gilt als maßgeblicher Vater der Idee staatlich organisierter Maßnahmen gegen die Armut. Sein Verständnis, dass soziale Probleme im Staat nicht per Verbot und Bestrafung gelöst werden können, sondern vielmehr durch strukturelle Hilfe noch dazu eine Rebellion innerhalb des Volkes verhindern, wäre im Sinne der gesamten europäischen Obrigkeit seiner Zeit gewesen, doch besann man sich erst viele Jahrhunderte später auf seine Theorien. „Deliberación a causa de los pobres“ (1545); „Desvergonzado que cosa puedes llamar en el mundo propia tuya; que es lo que metiste en este mundo, cuando en el desnudo naciste. Ninguno llame propios los bienes que son comunes“, Seite 54. „Empero también (que) hay muchos a
25
„Una vez más tropezamos aquí con el fenómeno de la movilidad social en el cual se inspirarán tantos testimonios de repulsa del estado de la pobreza, por parte de los que la sufren, y […] de condenación de esa repulsa por parte de los ricos que se ven amenazados en el disfrute indisputado de sus patrimonios. Es el panorama en el que se divisa la aparición de la picaresca.“, J.A. Maravall, 1986: 28-29, La Novela Española en el Siglo XVI, Seite 231. Als inevitable Nebenerscheinung der Armut ist die Entstehung des Pikareskenromans zu deuten. Ohne das harte Los, benachteiligt auf die Welt zu kommen, wäre es nicht zu derartigem gekommen. Zweifellos wäre es schön, wenn die Welt ohne dieses Genre auskommen könnte, doch ist es vielmehr ein Teil des Prozesses menschlich-sozialer Evolution im Transkurs zu einer profund- zivilisierten Welt, in welcher das Wohl des Menschen an sich eines Tages an der Spitze der allgemeinen Besorgnis steht und nicht dessen wirtschaftliche Funktion und ökonomischer Wert55. Aus der historischen Referenz der Schlacht von Gelves, der Ständeversammlung und den polizeilichen Maßnahmen gegen die Armut resultiert die Annahme des zeitlichen Rahmens der Geschichte des Lazarillo de Tormes.
VIII DIE FUNKTION DES VERWEBENS VON REALISMUS UND FIKTION Die Welt, die Lazarillo beschreibt, ist ein Spiegelbild der Spanischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts – aus Sicht eines Mittellosen, der ärmsten Schicht zugehörig. Man bedenke: Der Ausdruck „Alphabetisierung“ wird erst im Jahre 1970 (!) in das Wörterbuch der Real Academia Española aufgenommen und wie folgt definiert: „Acción o efecto de alfabetizar“56. Die erste schriftlich von offizieller Seite festgehaltene Statistik bzgl. der Alphabetisierungsrate in Spanien wird im Jahre 1841 erhoben und beläuft sich auf 24,2% (39,2% männlich, 9,2 weiblich) (ibid., Seite 7). Zuzeiten des Lazarillos wird diese Anzahl sicherlich erheblich niedriger gewesen sein. Im
55 56
16.
Jahrhundert
kam
es
in
vielen
Ländern
Europas
zu
einer
Art
quien los ricos hicieron pobres.“, Seite 65. Anm. d. Verf.: Überall ist ein Armer (Flüchtling) weniger willkommen als ein Reicher (Immigrant). La Alfabetación en España: Un proceso cambiante de un mundo multiforme, Seite 6.
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„Bildungsrevolution“, basierend aufgrund ökonomischer Veränderungen57. Auch der starke zwischenmenschliche Einfluss des „Corte“ als gesellschaftlicher Maßstab aller Dinge, spiegelt sich im alltäglichen Leben des Lazarillo wieder; „La Corte, a pesar de su aparente lejanía, influía en la vida de las sociedades modernas en tantos puntos […]“, kommentiert John H. Elliott diesbezüglich58. Ein weiterer wichtiger Impuls in diesem Bezug stellt die Reformation dar und die darauffolgende Gegenreformation der katholischen Kirche59. Der ideologische Kampf der Inquisition wurde im Lehrbereich auf theoretischer Ebene geführt. Aufgrund der Inquisition kommt es Ende des 16. und vor allem im darauffolgenden Jahrhundert in Spanien sogar zu einem Rückgang der Alphabetisierung und erst um 1800 erstarkt wieder das Bestreben einer allgemeinen schulischen Ausbildung im Lande. Der edukative Stillstand ist mit einer gesellschaftlichen Begebenheit zu erklären, welche in Zusammenhang mit dem spanischen Klassensystem steht; wozu sollte ein „Lazarillo“ schreiben und lesen lernen, wenn er doch seinen Platz innerhalb der Gesellschaft wohl kaum verlassen werde? Die Alphabetisierung hatte keinen imminenten wirtschaftlichen Nutzen für die Menschen der Schicht der Mittellosen, in welcher es normal war, dass ihre Kinder die Familien durch größtenteils physische Arbeit unterstützten und es ihnen somit verwehrt blieb, eine ausreichende Schulausbildung genießen zu können. Kinderarbeit ist bis heute einer der Faktoren, der Analphabetismus zufolge hat. Die Alphabetisierungmaßnahmen im 16. und 17. Jahrhundert seitens der katholischen Kirche hatten keinerlei Nebenbuhler, welche diese im Sinne einer gesunden Konkurrenz hätte vorantreiben können. Vielmehr war eine massive Förderung der Allgemeinbildung der breiten Masse nicht vorgesehen, da dies eine gesellschaftliche Verschiebung der alteingesessenen Norm in Gefahr zufolge gehabt hätte. Abermals muss man drei Beweggründe bezüglich des Verfassens einer solchen noch nie zuvor dagewesenen Schilderung berücksichtigen: Ist es ein Aufruf zum Umdenken (seitens des Inquisitionskritikers Ortega? Ist es nur einer Laune oder Idee Mendozas zu verdanken, eine neuartige Komödie zu verfassen indem er die Geschichte eines „Pícaro“ niederschrieb? Oder basiert es auf dem schreiberischen 57
58 59
Mehr Universitäten entstanden und mit ihnen mehr Schulen, in welchen man zukünftige Studenten erschaffen musste, ergo war mehr Lehrpersonal gefordert. Der aufblühende Handel, sowie das Erstarken der staatlichen Bürokratie verlangten ebenfalls besonders ausgebildete Kräfte. Mit der Modernisierung wurden neue Arbeitsfelder eröffnet, die allesamt auf theoretischer Ebene Wissen verlangten, das in edukativen Institutionen vermittelt werden musste. Unter Felipe II rechnete man mit einer jährlichen Anzahl von bis zu 25.000 Studenten (5,43% der männlichen Bevölkerung unter 18 Jahren), die im Anschluss nahezu allesamt für die Monarchie arbeiteten (España y su Mundo 1500-1700, Seite 37). Ibid., Seite 181. Um den in Europa aufkommenden Protestantismus entgegenzuwirken, kam es zur 1545 mit dem Konzil von Trient (1545-63) zur „Gegenreformation“, d.h. u.a. die Rekatholisierung protestantischer Territorien gemäß inquisitorischer Richtlinien.
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Talent des Valdés, der nur sein Können unter Beweis stellen wollte? Das Werk selbst wird kaum von einem „wirklichen“ Lazarillo verfasst worden sein, wenn auch die Möglichkeit besteht, dass ein Schreiber tatsächlich die Worte eines Lazarillos protokollierte und daraus einen Roman erstellte. In der Lektüre wird nicht erwähnt, wie und ob Lazarillo überhaupt zu lesen und schreiben gelernt hatte. Wobei gerade dies doch einen so wichtigen Teil des sozialen Aufstieges bezeichnet hätte. Die Welt, in der sich der fiktive oder reale Protagonist bewegt, ist keinesfalls dystopisch, sondern vielmehr so nah an der Realität, dass diese den Mächtigen im Lande zu wahr erschien und sie für dessen Verbot und spätere Zensur sorgten. Die Repräsentanten des Status Quo eines jeden Landes haben nicht ohne Grund große Angst vor dem geschriebenen Wort; sie selbst benutzen es um ihre eigene Agenda durchzusetzen, ergo konnte man die Beobachtungen des Lazarillos nicht tolerieren. Ihr Versuch, die sozialen Missstände durch gesetzliche Maßnahmen zu lindern, resultierte in der Kriminalisierung der Armen. Lazarillo repräsentiert, was die Kirche ihrerzeit aus dem biblischen Kanon gestrichen zu haben schien; den armen reuigen Sünder, der auf sich allein gestellt ist und von niemandem die Nächstenliebe erfährt, die Jesus Christus seinen Jüngern als eines der obersten Gebote mit auf den Weg gegeben hatte. Wenn man davon ausgeht, dass Lazarillos leiblicher Vater ein Maure gewesen ist (Erstes Kapitel: „En este tiempo se hizo cierta armada contra moros, entre los cuales fue mi padre […]“, Seite 12), befindet er sich auf noch niedrigerer gesellschaftlicher Stufe als seine Mutter, die gebürtige spanische Katholikin ist, aber nach dem Tod des Vaters eine Liaison mit einem Schwarzafrikaner eingeht und dafür büßen muss. Lazarillos Halbbruder ist das Ergebnis dieser von der damaligen Gesellschaft verachteten Beziehung und es ist absehbar, auf welche gesellschaftlichen Mauern Lazarillos kleiner Bruder stoßen wird. Die Hauptkritik liegt hierbei auf dem gesellschaftlichen Prinzip, dass Menschen von Geburt an „gut“ oder „schlecht“ seien. Die Kirchenvertreter haben verdrängt und verschwiegen, dass der Mann, dem sie offiziell huldigten, eben weg von dieser Farce wollte und u.a. aufgrund dieses Umdenkens gekreuzigt wurde. Es ist aus zeitlich entfernter Sicht immer leicht, über die Vergangenheit zu urteilen und man sollte seine Kritikpunkte weise ansetzen,
denn
letztendlich
sind
diese
gesellschaftlichen
Begebenheiten
unkontrollierbare Selbstläufer; die Menschen des 16. Jahrhunderts empfanden ihre Art zu leben als ebenso normal wie man es kontemporär tut. Als Produkt der äußeren Umstände laufen die Menschen stets Gefahr, Opfer des eigenen Wertesystems zu werden, unter welchem sie zu leben haben. Der Anspruch der Machtelite, „Legalität“ und „Illegalität“ zu bestimmen, kann hierbei durchaus und zu Recht verurteilt werden, 28
denn was zuzeiten Jesus „falsch“ war (das ein Mensch aufgrund seiner Abstammung „besser“ als andere sei), ist auch heute noch falsch. Das Ermorden von Ungläubigen wurde genehmigt, wurde legalisiert, aber war es rechtens? Nein. Ebenso wenig wie modernere Beispiele des elitären Machtmissbrauches, welcher die Sklaverei, Genozide darunter den historisch meist aufgearbeiteten Holocaust - die Apartheid und den Kolonialismus zu verantworten haben, da diese als legitim zur Norm – als legal! – erklärt wurden. Legalität ist ein Konstrukt der Machthaber – nicht einer universellen Gerechtigkeit60. Der Realismus im Lazarillo de Tormes ist das bloße Festhalten der strukturierten Ungerechtigkeit und der staatlichen Diskriminierung seiner Zeit. Kein Kaiser, kein König und kein Präsident möchte viel mit den eigenen Armen in seinem Reich zu tun haben und in totalitären Staaten würde ein aktueller Lazarillo genauso zensiert oder verboten werden, wie zuzeiten der Inquisition61. Auch wenn sich Europa von diesen Fesseln in gewisser Weise befreien konnte, sind ihm Lazarillos ebenso wenig willkommen.
Die Zensur würde einen
erneuten
Lazarillo, der die
Zwangsenteignungen in Spanien kritisiert, oder das HartzIV-Leben in Deutschland, die Banlieues in Frankreichs Großstädten, die Situation Griechenlands oder die unzähligen Ertrunkenen im Mittelmeer, die u.a. aufgrund der europäisch-amerikanischen Außenpolitik62 zu Flüchtlingen werden, nicht verbieten können, doch er wäre den Machtinhabern nach wie vor ein Dorn im Auge. Auf diese Art wird der Roman von der Inquisition aufgefasst worden sein; als eben dieser Dorn im Auge, der den Menschen dazu zwingt, hinzuschauen und sich (eventuell) dem Unrecht entgegenzustellen. Das bloße Beschreiben der Realität birgt in sich allein eine Gefahr, wenn dieses nicht aus der gewünschten Perspektive geschieht. Ohne auf den Realismus des Lazarillo zurückgreifen zu können, wäre das harte Los eines in Armut Geborenen vielleicht niemals wahrgenommen geworden. Die gehobene spanische Gesellschaft hatte – wie alle Machteliten vor und nach ihr – ihre eigene Realität erschaffen, in welcher nicht viel Platz für die Bedürftigen war. Ob das Werk den Ansatz hatte, ein Umdenken innerhalb der Obrigkeit zu bewirken, ist eine nicht zu beweisende These. Fest steht, dass es Zeugnis ablegt über eine Gesellschaft, die sich mithilfe der Kreation der eigenen selbstgerechten Werte nicht nur über ihren korrumpierten christlichen Glauben gestellt 6 6 6
0 Aufgrund der sehr großen Anzahl an Gerechtigkeitstheorien (von Aristoteles bis Reinhold Zippelius) ist ein allgemein gültiger Konsens nicht zu bestimmen. 1 PEN International, 1921 in London gegründet, ist ein internationaler Autorenverband, der sich für (staatlich) verfolgte Schriftsteller einsetzt. Die Liste mit international bedrohten, verfolgten und ermordeten Schriftstellern und Journalisten aus dem Jahre 2012 zählt 44 Seiten. 2 „Wer Waffen säht, wird Flüchtlinge ernten!“, in Bezug auf den sehr fragwürdigen Wirtschaftszweig des Waffenhandels in den Industrieländern und auf deren völkerrechtswidrigen Kriegen.
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hatte, sondern diesen vielmehr instrumentalisierte und ihn ihren Werten anpasste. Der fiktive Lazarillo ist ein Spiegelbild eines realen Lazarillo. Der Anspruch auf Realismus ist – selbst wenn die „Autobiographie“ des Protagonisten nicht der Wahrheit entspräche – dem Werk nicht abzusprechen. Die naive Milchmädchenrechnung, dass der Noble schlecht und der Arme gut sei, ergibt sich nicht aus der Erzählung und soll auch nicht die Botschaft des Lazarillo sein, da eben dieser selbst nicht die besten Tugenden eines Menschen an den Tag legt, bzw. legen muss, um zu überleben. Es werden Menschen aller Schichten gezeigt, die charakterlichen Schwächen aufweisen, die ständeunabhängig sind (der verarmte Blinde ist ebenso ein Halunke wie der reiche Erzbischof). Die simple Parabel des Guten gegen das Böse wird von der Geschichte des Lazarillos nicht bedient. Vielmehr reagiert Lazarillo (der Heranwachsende) auf seine äußeren Umstände. Wären diese ihm gegenüber liebevoller und fürsorglicher gewesen, wäre aus dem Kind womöglich nicht der Pícaro geworden, für den er sich immerzu rechtfertigt und sogar in der Retroperspektive schämt. Der Aspekt der Vergebung kann im Geiste der Leserschaft eine wichtige Rolle spielen. Was muss man tun, um Verzeihung zu erfahren? Man muss sich für seine Taten entschuldigen und diese eingestehen. Den damaligen Zeitgeist in Betracht gezogen – welcher sich auf dem naiven Niveau einer Einteilung in Gut und Böse befand – sympathisierte man mit Lazarillo nicht in einem derartigen Ausmaße wie man es heutzutage tun würde. Die Interpretation der Botschaft der Geschichte ist stark von der Empathiefähigkeit der Leserschaft abhängig; im 16. Jahrhundert wurde diese allerdings von der Inquisition als gesellschaftsbedrohlich interpretiert. Nicht, weil der Konsens darin bestand, die Unterprivilegierten im Vorfeld als schlechter abzustempeln (arm geboren, titellos, womöglich nicht „rein“ katholisch etc.) und durch den Lazarillo ein diesbezügliches Umdenken in Gang gekommen wäre, sondern vielmehr weil er naiv-schonungslos die Missstände des Systems beschreibt. Lazarillo hebt immer wieder hervor, dass er bibelkundig sei, stellt Bezüge auf das Neue Testament im Stile des Domingo de Soto auf und provoziert damit diejenigen, die sich berufen fühlen, und doch nicht auserwählt sind, da sie die Religion für ihre Zwecke missbrauchten 63. Die 6
3 Diese Argumentationsweise hätte durchaus ausbaufähiger gestaltet werden können, um die Inquisition mithilfe weiterer ausschlagkräftiger Bibelzitaten, die sich deutlich gegen die Methodik und der Auslegung der Botschaft Christi seitens der Inquisition stemmen, zu kritisieren. Domingo de Soto, Seite 69: „[…] cómo dice San Pablo por el mismo juicio que juzgueréis hayáis de ser juzgados.“ Hätte sich der unbekannte Autor mehr auf diese Art von Argumentation eingelassen, hätte er den Lazarillo wahrlich übertrieben gutherzig gestaltet, wäre es vielleicht nicht zu einem Verbot und der darauffolgenden Zensur gekommen. Da sein Anliegen jedoch dem Realismus als roten Faden seines Werkes galt, verzichtete er auf die simple Darstellung zwischen Gut und Böse.
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vom unbekannten Autor aufgefassten Kritikpunkte reichten aber genügend aus, um das Werk zensieren zu lassen. „Satire darf alles!“, war aktuell in vieler Munde und dem ist entgegenzuhalten, denn es existieren sehr wohl Tabuthemen, die – wenn von ihr berührt – strafrechtliche Konsequenzen mit sich führen. Ein Großteil der Satire wird schlechtweg als MarketingStrategie oder als Mittel bestimmter politischer Agenda missbraucht. Satire im Stile eines Lazarillos kann Veränderung bringen, kann die Menschen wachrütteln. Satire, die auf obszönen Beleidigungen basiert, wird keine tiefgründige Reflektion bewirken, noch hat sie länger das Recht, sich „Satire“ zu nennen – es ist vielmehr eine diffamierende Propaganda, die eine Aversion gegen etwas Bestimmtes erzeugen will 64. Lazarillo de Tormes beschreibt real existierende Probleme der spanischen Gesellschaft, in welche er hineingeboren wurde und das Paradoxe oder das Unabweichliche daran ist, dass er ein wichtiger Teil dieser sein möchte, weil er ein Gefangener ihres Zeitgeistes ist. Er will gesellschaftlich aufsteigen und sehnt sich nach Ruhm, Titel und Reichtum. Und die Ironie der von Menschenhand erschaffenen Rangordnung verbietet ihm, jemals ein ebenbürtiger Teil der Obrigkeit zu werden, denn durch seine Venen fließt kein blaues Blut, welches unabdingbar war, um ganz dazu zugehören. Durch die Heirat mit der Geliebten des Erzbischofs, hatte er tatsächlich (zunächst) sein Ziel erreicht; „Pues en este tiempo estaba en mi prosperidad y en la cumbre de toda buena fortuna.“ (Tractado séptimo, Seite 160). Diese Verbindung hatte ihm die Gunst eines hochrangigen Mannes eingebracht, der ihn eines Tages vielleicht sogar eine noch höhere Position in der Gesellschaft vermitteln könnte. Das Kalkül des ständig nach oben Strebens hat wahrlich kapitalistische Züge, selbst wenn dieser Begriff noch nicht existierte; das ewige Streben nach mehr weltlichen Attributen – nach mehr Ansehen, nach mehr Reichtum, nach mehr Einfluss. Ob aus dem Lazarillo ein „besserer“ Adliger geworden wäre und er sich für gesellschaftliche Reformen eingesetzt hätte, ist sehr unwahrscheinlich, da er zwar die Realität darstellt und kritisiert, aber keine konkreten Veränderungsansprüche stellt. Es ist ein Spiegel der Realität, kreiert anhand gesellschaftlicher Normen, wenn ein Mensch wie Lazarillo sich seiner Eltern schämt, da diese mittel- und titellos gewesen waren und denen er quasi seine schwierige Lebenssituation zu verdanken hatte. Er erkennt zwar die Gesamtsituation und „weiß“ (erklärt sich die Situation mithilfe der offiziellen Version der Gesellschaft), wieso sie und er von vorneherein benachteiligt sind, doch wagt er 64
Definition laut Duden, Satire: 1. Kunstgattung (Literatur, Karikatur, Film), die durch Übertreibung, Ironie und (beißenden) Spott an Personen, Ereignissen übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert, mit scharfem Witz gegeißelt. Propaganda: 1. systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o.ä. Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein zu beeinflussen. 2. (besonders Wirtschaft) Werbung, Reklame.
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nicht den Gedankenfaden zu spinnen, der die große Mitschuld bei denen fände, die die gesellschaftlichen Regeln aufgestellt haben – die Obrigkeit. Lazarillo entwickelt sich leider hin – wie der Großteil seiner Mitmenschen, die letzten Endes ebenfalls nur als Opfer ihres Wertesystems sind – zu einem gehirngewaschenen Produkt einer strukturell diskriminierenden Gesellschaftsform, die bis heute noch in der Welt zu finden ist. Abermals beweist sich die Realität einer bestimmten Norm als ein wichtiger Former menschlicher Denkweise. Auch auf dieser Ebene ist dem Werk der Anspruch auf Realismus gewiss. Die äußeren Umstände spielen in der Entwicklung eines Menschen eine entscheidende Rolle, doch sind nicht ausschließlich Grund für eine bestimmte charakterliche Entwicklung. In diesem Falle würde die simple Auslegung einer mittelalterlichen Gesellschaft in ihrer Unterteilung in „Gut“ und „Böse“ aufgehen, was aber reell keineswegs der Fall ist. Lazarillo hätte sich auch nicht zu einem „Pícaro“ entwickeln können, sondern zu einem barmherzigen Samariter und es wäre im Nachhinein nicht zu der Definition einer neuen literarischen Gattung gekommen. Hier könnte man dem Werk eine irreale Auslegung ankreiden, denn einen Menschen lebenslang auf eine gewisse Art zu eichen, fällt in die irrtümliche Auffassung der Idee, dass es eine strikte Schwarz-Weiß-Unterteilung gäbe. Dem Schelm wird die Möglichkeit abgesprochen, sich grundlegend charakterlich zu verändern. Der Realismus des Werkes ist der (sehr wahrscheinliche) Werdegang eines Kindes, dessen Entwicklung von „schlechten Herren“ geprägt ist. Auch diese Kritik ist realitätsbezogen und zielt auf den Umgang mit Kindern ab. Dass aus diesem Kind – dem Lazarillo – ein „vernünftiger“ Erwachsener wird, wenn es nur die Überlebensmethoden seiner Herren als Vorbilder und Vorlage zur Imitation hat, ist sehr fraglich. Auch wenn der damaligen Gesellschaft die Tragweite einer „guten“ Erziehung bewusst war, so litten vor allem die Kinder aus armen Verhältnissen unter der Willkür der Erwachsenen aller Schichten. In der kurzen Kindheit des Halbwaisen, der von seiner Mutter als Achtjähriger an einen Herren gegeben wird 65 – was an sich schon ein einschneidendes Erlebnis markiert – erfährt er zu wenig elterliche Zuneigung, die für eine „gute“ Entwicklung von Nöten ist. Auch hier ist ein Kritikpunkt aufgegriffen worden, der klassenlos auf die Welt der Erwachsenen mit und ohne Titel zielt. Die damalige bibelfeste Leserschaft wird sich anhand der schlechten Behandlung des Lazarillo von seinen Herren eventuell daran erinnert haben, dass Jesus 65
Die Gründe dieser Entscheidung seitens der Mutter mögen an ihrer prekären sozialen und finanziellen Situation gelegen haben. Womöglich spielte sie mit dem Gedanken, ihrem Sohn dadurch eine bessere Zukunft bieten zu können, als wenn er an ihrer Seite verblieben wäre. Die Resignation, die sie gegenüber ihrer (aufgezwungenen) Armut zu diesem Schritt verleitet, wird deutlich und lässt sich bis heute in den Armen der Welt beobachten.
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Christus eben diesen Kontext bereits aufgegriffen und beurteilt hatte: „Wer einen von diesen Kleinen […] zum Bösen verführt, für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er ins Meer geworfen würde.“ (Mk 9,42 parr.) Die Rolle des Kindes im Christentum – aus Sicht des Jesus Christus – steht in absolutem Gegensatz zu dem, was dem Lazarillo widerfährt. Leider hatten sich die Wegbereiter der Inquisition im Vorfeld mit ihrer Zensur von Texten nicht allein auf die weltliche Literatur beschränkt, sondern sich auch an Passagen der Bibel zu schaffen gemacht, bzw. zu ihren Gunsten ausgelegt und verändert. Der Realismus des Lazarillo de Tormes ist der Stein des Anstoßes, welche ihm die Zensur einbringt. „Kindermund tut Wahrheit kund!“ und die „Wahrheit“ ist der Willkür der Machthaber ausgeliefert. Sogar ein Bezug zu einer „mystischen Realität“ kann der Geschichte entzogen werden: Eine Art Urvision des „Amerikanischen Traumes“, der besagt, dass man aus eigener Kraft heraus königlichen Reichtum und Ansehen erlangen kann, obwohl man mit leeren Händen anfangen muss – wird im Werk erkenntlich. Am Ende des Romans ist aus dem in Armut geborenen Lazarillo ein gesellschaftlich anerkannter Lazaro geworden. In gewissem Sinne ist dies die Infragestellung der allgemeinen Einstellung gegenüber dem gemeinen Volk, das wohl kaum in der Lage war (ist), es zu etwas zu bringen, dass sich über seinem Stande befindet. Lazarillos Weg bis dorthin war ein sehr steiniger und ohne List und Tücke hätte er es nicht so weit gebracht. Auch wiederum eine Anspielung auf die Mittel, die man benötigt, um gesellschaftliches Ansehen, Reichtum und Einfluss zu erlangen – es sind nicht die gepriesenen christlichen Werte, sondern die eines „Pícaro“, mit denen man in der (spanischen) Welt „gesellschaftlich“ weiterkommt. Die Idee des „Amerikanischen Traumes“66 ist natürlich zuzeiten des Lazarillos nicht existent, selbst wenn dieser von vielen schon damals gelebt wurde. Doch konnte man als Mittelloser nicht ohne weiteres einfach in die Neue Welt ziehen um dort Ruhm und Reichtum zu erlangen (manch einer schaffte es durchaus, doch bei der Übersiedlung in die „Neue Welt“ spielte der ökonomische Faktor eine nicht zu unterschätzende Rolle). Aber wie wurde man von „Tellerwäscher“ zum „Millionär“? Mit christlichen Werten oder eher mit der Taktik eines Pícaro? Letzteres ist der Fall gewesen, denn weder die Reconquista noch die Eroberung Amerikas erfolgte durch die Kraft der Nächstenliebe und der Friedfertigkeit, sondern vielmehr durch die Kraft der Schwerter und Kanonen, der List und der Tücke. Lazarillo ist der Beweis dafür, dass auch ein Armer gesellschaftlich 66
„The traditional ideals of the American people, such as equality, democracy, and material prosperity.”, The Oxford Encyclopedia English Dictionary, Seite 42.
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aufsteigen kann, welches widerum der Machtelite ein Dorn im Auge gewesen sein muss. Auf Seite 20 umschreibt er es wiefolgt: „Huelgo de contar a Vuestra Merced estas ninerías, para mostrar cuánta virtud sea saber los hombres subir siendo bajos […]“ Nicht nur ist einer von unten fast zu einer der Ihrigen geworden, es bezeugt auch, welche Mittel oftmals verwenden werden müssen, um nach oben zu gelangen. Extremer Reichtum, so wie es ihn bis zum heutigen Tage in den Händen der Wenigen gibt, kann ohne „schelmische“ Maßnahmen nicht erwirtschaftet werden. Die Geschichte des Lazarillo de Tormes ist das Spiegelbild einer Welt, wie man sie auch heute noch kennt. Nach wie vor ist man darum bemüht, die soziale Ungerechtigkeit am Leben zu erhalten, denn auf ihr basiert der Reichtum der Wenigen. Brecht macht die immer noch existierende Ursache anhand des Folgenden deutlich: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: „Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“67 IX DAS VERBOT UND DIE ZENDUR DES LAZARILLO DE TORMES Aufgrund der unter Punkt III behandelten rechtlichen Auslegung der Inquisition wurde unter Fernando de Valdés Salas (Salas, Asturias, 1483 – Madrid, 9.Dezember 1568)68 die Originalversion des Lazarillo de Tormes und dessen Fortsetzung (La Segunda Parte) 1559 verboten. Valdés begann seine Karriere als Oberstes Ratsmitglied und wurde schließlich Präsident des Santo Oficio. Er ist der Verfasser der „Catálogos de Biblias e Indices de Libros prohibidos“69, welche unter anderem aus einem zuvor aufgestellten Muster seitens der Kirche, der Klöster und der Universitäten zur Identifizierung herätischer Schriften70 erstellt worden war. Jedes zu publizierende Werk wurde von der Inquisition bewertet und ggf. in eine der drei Kategorien des Kataloges hinzugefügt: „No conviniente“, „Vano o supersticioso“ und „Erróneo y herético“ (Historia de la Inquisición en España y América, Seite 659) Die Beweggründe des Verbotes bishin zur Umschreibung gewisser Passagen des Originalwerkes (Zensur) und wieso gerade der zweite Teil eine ideologische Bedrohung darstellte – waren seine Kritikpunkte doch 67 68 69
70
Gedicht „Alphabet“ von Bertold Brecht aus dem Jahr 1934, letzte Strophe. Fernando de Valdés wurde zum Großinquisitor am 20. Januar 1547 von Papst Paul III. ernannt. Historia de la Inquisición en España y América, Seite 538 ff. Ibid., Seite 655-658; 1551: Verbot von 61 Werken, 2 Bibelausgaben, eine des Neuen Testamentes, 8 Ausgaben des Diurnal Romano (christlicher Tagesablaufsplan) und ein Messbuch, und dazu noch alle Werke von 16 Autoren, 1554: 42 Bibelausgaben (33 davon auf lateinisch, eine griechische, 6 deutsche und zwei französische, dazu 26 Editionen des Neuen Testamentes, drei davon auf lateinisch, 20 auf Deutsch und 3 auf Französisch. 1559: 70 Bibelausgaben sowie 24 weitere Werke.) Anonymer Verfasser und Verlag, Ort des Druckes und Erscheinungsjahr bis hin von bereits bekannten herätischen Autoren und sonstigen den Status Quo in Fragen stellenden Schriften. Historia de la Inquisición en España y América, Seite 659.
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real-politischer Natur und keinesfalls religiöser – werden im Folgenden erläutert. Wie bereits in Punkt III erörtert, hatte die Obrigkeit Spaniens ein großes Interesse an der Inquisition nicht primär aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, sondern vielmehr in real-politischer Hinsicht. Beide Institutionen waren voneinander abhängig bezüglich der Aufrechterhaltung ihrer gesellschaftlichen Machtposition. Augenmerk muss man in diesem Zusammenhang einer wichtigen Persönlichkeit dieser Zeit schenken, der die Verwebung zwischen Kirche und Obrigkeit deutlich macht: Fernando de Valdés Salas, seines Ranges hoher Kirchenmann und gleichsam einflussreicher Politiker. Ihm waren Sitze in den höchsten staatlichen Gremien eigens: im Konzil der Inquisition (eklastisch) und der Wirtschaft (säkular), im Konzil von Kastilien, im Staatsrat und er war Mitglied des Königlichen Hofes. Es wird deutlich, dass seine weltlichen Funktion und Ambitionen die eklastische Mission eines Kirchenvertreters deutlich in den Schatten stellte. Valdés war mehr Politiker als ein religiöser Repräsentant des Christentums. Den Glauben nutzte er – laut Einschätzung der Historikerin Henar Pizarro 71 als Mittel zum Zweck seiner
politischen Verwirklichung,
bzw. zur Festigung der eigenen
Machtposition; „[…] utelizó la intransigencia religiosa como medio para no poder ser desplazado del poder, e instrumentalizó el peligro que suponía la existencia de elementos luteranos dentro de la península para afianzarse en el mantenimiento de sus cargos y funciones, persiguiendo, a través de la actividad desplegada, una finalidad sociopolítica.“72 Im Jahre 1559 veröffentlichte der Großinquisitor Valdés eine Verbotsliste mit rund 700 Titeln – unter ihnen der Lazarillo de Tormes und seine Fortsetzung. Reyes CollTellechea erklärt es anhand der engen Verbindung zwischen Valdés (Kirche) und der Obrigkeit (Adel); beide Texte griffen die Institutionen an, welcher Valdés seine Position zu verdanken hatte. Valdés' Interesse richtetet sich dahin, dass „toda idea escrita contra el Estado será tachada de herética y, viceversa, todo libro publicado contra la Inquisición será considerado prejudical por el Estado.“ 73 Das Argument des Realismus des ersten Lazarillo und die Persiflage des Segunda Parte auf die Obrigkeit sind als Hauptgründe des Verbotes zu benennen. Das eigentliche Ziel der Inquisition war laut 71 72 73
Spanische Historikerin der Universidad de Pontificia Comillas Madrid. Henar Pizarro Llorente: Las relaciones de patronazgo a través de los inquisidores de Valladolid en el siglo XVI., Instituciones, ed. Martínes Millán, Seite 226. José Martínez Millán: “El catálogo de libros prohibidos de 1559.“, Miscelanea Comillas, 1979, Seite 207.
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des Historiker Martínez Millán „die Kreation einer neuen Mentalität, eines simpel konstruierten Weltbildes, in welchem alles seinen festen Platz hat; das Gute wie das Schlechte.“ (vgl. Reyes Coll-Tellechea, Seite 84). Ein weiteres Indiz auf die Gefahr, welche durch den Ur-Lazarillo ausging, war seine anonyme Publikationsmöglichkeit. Aus unbekannter Hand verfasst, war es jedem Verlag möglich, beliebig viele Exemplare zu drucken und in Umlauf zu bringen. La Segunda Parte von 1555 wurde ad infinitum (in Ewigkeit) verbannt, während seinem Vorreiter gewissen Passagen entfernt, bzw. umgeschrieben wurden. Im Jahr 1573 gewährte die Inquisition eine erneute Veröffentlichung des Lazarillo de Tormes von 1554, nachdem dieser gemäß ihrer Vorstellung inhaltlich verändert worden war. Die Rolle des Lazarillo als Opfer der äußeren Umstände, aufgrund einer strukturellen Ungerechtigkeit, sollte nahezu in die Rolle eines Täters gewandelt werden. Gewisse Beobachtungen des Lazarillo bezüglich des korrupten Verhaltens seiner Herren entgingen der Zensur, doch sollte die Sachlage dahin verändert werden, dass die Schlechtigkeit anhand des Individuums festgemacht werden konnte und nicht mehr repräsentativ für ihre Zugehörigkeit an bestimmte Institutionen gebunden war. Der von der Inquisition beauftragte Umschreiber der Geschichte des Pícaro war Juan López de Velasco74 und veröffentlichte das von ihm überarbeitete Werk mit dem Titel „Lazarillo Castigado“ im Jahre 1573. In einer Anmerkung erläutert er, dass „in Übereinstimmung mit dem Konzil der Heiligen Inquisition und seiner Majestät, sind gewisse Dinge (im Roman) verändert worden und der zweite Teil komplett entfernt wurde, da dieser nicht vom Verfasser des ersten stammt und sehr insolent und erbärmlich war.“, The Spanish Inquisition and the Battle for Lazarillo, Seite 85. Der veränderte Lazarillo de Tormes wurde in Spanien für die nächsten 300 Jahre durch die Prohibition des Wahren zum „Originaltext“. Dieser „bestrafte“ Lazarillo erzählte wie gehabt seinen Werdegang, doch wurde versucht, ihn dahingehend zu verändern, dass man aus der Erzählung nicht mehr genau die Schlüsse ziehen konnte, die der Originalverfasser beabsichtigt hatte. Reyes Coll-Tellechea resumiert die für sie wichtigsten Änderung innerhalb der Erzählung75:
74 75
1530-1598, bedeutender spanischer Historiker, Kosmograph und Chronist des Königs Phillip II. The Spanish Inquisition and the Battle for Lazarillo, 80-90.
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„No nos maravillemos de un clérigo ni fraile, porque el uno hurta de los pobres y el otro de casa para sus devotas, y para ayudar de otro tanto, cuando a un pobre esclavo el amor le animaba a esto“, (Tractado Primero, Seite 16) Als direkte Kritik an am Klerus musste diese Passage entfernt werden. Weitere Einschnitte dieser Art wären die Streichung göttlicher Referenzen aus dem Munde des blinden Herren Lazarillos: „Lázaro, engañado me has. Juraré yo a Dios que tu has comido las uvas tres a tres.“ (Tractado primero, Seite 34) Stein des Anstoßes ist die Tatsache, dass ein „schlechter“ Mensch sich erdreistet, auf Gott zu schwören und so wurde dieser entfernt. Auf Seite 48 strich man die folgende Referenz bezüglich seines Herren (Kirchenmann): „No sé si de su cosecha era, o lo había anexado con el hábito de clerecía.“ (Tractado Segundo) Auf Seite 56 entnahm López de Velasco die Textstelle „alumbrado por el Espíritu Santo“ und ersetzte sie durch „alumbrado por no sé quién“ - abermals sah man die Referenz, dass der Heilige Geist einen „Pícaro“ erleuchten kann, als blasphemisch, konnte doch aus dem schlitzohrigen Lazarillo kein Heiliger werden (selbst wenn die Apostelgeschichte des Lukas 9,1-43 von der Wandlung des Saulus zu Paulus berichtet). Eine direkte Kritik am Adel musste sich der Zensur beugen; Lazarillos Herr aus verarmtem Adel träumt von einer (erneuten) Karriere am Hofe des Königs und wisse, wie man sich dort zu verhalten hat um dort Fuß fassen zu können. Im Tractado tercero wurde das Folgende auf Seite 122 gestrichen: „[…] hoy día se usan en palacio y a los señores dél parecen bien. Y no quieren ver en sus casas hombres virtuosos, antes los aborecen y tienen en poco, y llaman necios, y que no son personas de negocios, ni con quien el señor se pueda descuidar. Y con estos astutos usan, como digo, el día de hoy, de lo que yo usaría.“ 37
Mit der Streichung dieses Vorwurfes an die Obrigkeit, steht der verarmte Adlige plötzlich als Einzeltäter dar, dessen charakterliche Schwächen ihm allein zugeschrieben werden und nicht mehr als (notwendiger?) Teil der gehobenen Gesellschaft des Hofes angekreidet werden kann. Mit derartigen kleinen Alterationen innerhalb der Geschichte hatte es López de Velasco geschafft, die eigentliche Absicht des Romans im Sinne des Zweckes der Inquisition zu dämpfen. Zwei der „Tratados“ wurden gänzlich aus dem Kanon der Erzählung genommen: Das vierte Kapitel (Der Barmherzige Bruder, der sich möglicherweise an seinen Schützlingen vergriff) und das fünfte Kapitel (Der Ablassverkäufer, der gemeinsam mit einem Komplizen (Gemeindediener) dafür sorgt, dass die Menschen seine Ablässe kaufen) – die Paradebeispiele korrupter Kirchenvertreter, die es in ihrer Unart so detailliert beschrieben nicht hatte geben dürfen. Die Unfehlbarkeit des Einzelnen sollte und konnte Teil der Realität sein, die Lazarillo beschrieb, doch solch charakterlich verdorbene Individuen als Teil des Klerus zu präsentieren, konnte nicht toleriert, bzw. durfte nicht publik werden. Und gerade diese beiden sind in der Entwicklung des Lazarillo maßgebend, denn durch sie lernte er das geschickte Lügen und die verbale Manipulation kennen. Im letzten Tratado - als er schließlich einer offiziellen Beschäftigung nachgeht – wurde die Feststellung Lazarillos gestrichen, dass „viendo que no hay nadie que medre sino los que le tienen“ (Seite 154) - nur wenn man eine (An)Stellung in den Reihen des Adels oder der Kirche erlangte, konnte man gut leben. Abermals eine Wahrheit, die von vielen Lesern
eindeutig
bejaht
werden
konnte
und
somit
zensiert
wurde.
Der
„Originalpassage“ wurde der oben genannte Gedanke Lazarillos entfernt: „Que fue un oficio real, viendo que no hay nadie que medre, sino los que le tienen, el cual el día de hoy vino y resido a servicio de Dios y de vuestra merced.“ Die Rolle Lazarillos aus dem Jahre 1554 sollte sich durch die Eingriffe des López de Velasco von einem Opfer äußerer Umstände hin zu einer Person wandeln, die für ihr hartes Los selbst die Schuld zu tragen hatte, wenn die Kalkül besagt, dass man „erntet, was man säht“ und Lazarillo sich wahrlich im Überlebenskampf über gewisse Regeln hinwegsetzte, die wiederum von denen, die ihm als Vorbilder dienen sollten, ebenso wenig respektiert wurden. Gleichsam ist der Psalm Hosea 8,7 als eine Kritik an 38
denjenigen zu verstehen, die für die Formation ihres Schützlings maßgeblich die Verantwortung tragen und sie bei der Entstehung des „Pícaro“ einen großen Teil beitrugen. Die Sichtweise, dass „jeder selbst seines eigen Glückes Schmied“ sei, hat natürlich ihre Berechtigung, doch hat es ein „Lazarillo“ wesentlich schwieriger, wenn ihm von Geburt an Chancen verwehrt bleiben und er aufgrund der Absenz dieser gewisse Dinge glorifiziert, die ihm eigentlich von Geburt an zu Teil werden sollten. Die Veränderung des Lazarillo hin zum allein Verantwortlichen seines Schicksals ist konform mit dem Zeitgeist der damaligen Epoche. Leider hält sich dieser Trugschluss bis heute in den Köpfen vieler Menschen, dass die Armen sich ihre prekäre Situation selbst zuzuschreiben hätten. Dem Text sollte durch die Zensur aber nicht nur seine kontextuelle Wirkung entzogen werden, sondern wurde gleichsam gemäß der inquisitorischen sprachlichen Korrektheit „verbessert“; in der Einleitung des kommentierten Vida del Lazarillo de Tormes castigado aus dem Jahr 2000 sind die weiteren Streichungen und Ersetzungen von bestimmten geistlichen Referenzen aufgeführt (Tractado segundo, Streichung von „[…] que el ángel había llevado.“ zu „[…] que el otro había llevado. / Tractado séptimo: „Que yo juraré sobre la hostia sangrada que […]“ zu „Que yo juraré que […].) Dank des Verbotes des Lazarillo ein Jahr nach seiner Erscheinung, wurde die allgemeine Neugier auf das Werk geweckt. Die Inquisition verhalf ihm in gewisser Weise zu grenzüberschreitender Bekanntheit und hätte aus der biblischen Überlieferung den Schluss ziehen sollen, dass die Menschen selbst mit der Einhaltung auch nur eines einzigen Verbotes zu hadern haben – bzgl. Adam und Eva und der verbotenen Frucht – und ein mit harscher Hand erzwungener Lebenswandel unter den Menschen nicht einmal nach der Vertreibung aus dem Paradies in Erwägung gezogen wurde. Der Mensch erhielt die Freiheit als fragwürdigen Preis (Strafe?) für den Bruch mit seinem Leben im Paradies und ist seitdem auf der Suche nach eben diesem und seit jeher ist der Mensch in Konflikte verwickelt, die unter dem Deckmantel zur Errichtung einer besseren Welt geführt werden. Der Selbstläufer der autogekrönten Elite (die Initiatoren der Inquisition) wurde quasi zum treibenden Motor bei der Verbreitung der Existenz einer neuen Gattung – der Schelmenroman. Die Zensur des Lazarillos hatte den Zweck der Schadensbegrenzung, da man europaweit über das Schicksal eines Mittellosen in einem der reichsten Länder seiner Zeit informiert wurde. Das Überleben der Geschichte des Lazarillo de Tormes ist auf die Anonymität seines Verfassers und auf seinen „Bestrafer“ Juan López de Velasco zurückzuführen. Unzählige Werke fielen den Flammen der Inquisition zum Opfer, doch aufgrund seiner nicht mehr zu 39
unterdrückenden Popularität in Europa, hat es diese Zeiten überstanden. Mit der Verzerrung des Werkes entging es den Maßnahmen der strukturierten Vergessenheit und gibt Zeugnis darüber ab, dass sich bis heute nichts an seiner gesellschaftlichen Thematik und Dynamik geändert hat. X CONCLUSIÓN Tal como el surrealismo surgió del invento de la fotografía, la primera novela picaresca surgió de las precarias circunstancias sociales de su tiempo. El padre de este género literario es el flagelo de la estructurada discriminación social de la cual en su momento dinámico la masa suele ser no conciente, pero siempre hay quienes los qué sí se dan cuenta – como el padre desconocido del Lazarillo de Tormes. La medida de prohibirlo y censurarlo por parte de la Inquisición ayudó con hacerle popular a la obra, pues el interés en lo prohibido desde hace siempre forma parte de la naturaleza humana la que la Inquisición trataba de moldear según su agenda ideológica con controlar y limitar el sector interlectual. La voz pícara que describía nomás la dura realidad de un pobre en un país tan rico como era España durante su (literalmente) “Siglo de Oro“ había ya danando incluso la fama internacional, por ende los inquisitores optaron de cambiarle su mensaje contextual que era una profunda crítica a la sociedad española. Sin embargo, el autor logró que el lector reviviera la vida de un pobre imperfecto – un anti-heroe – lo cual nunca antes había aparecido en la literatura. Los débiles aspectos del carácter humano que comparte la gente de todas las clases sociales son usados, así rompiendo con el arcaico concepto del mundo de la errónea convicción que el valor de una persona sería atada a sus origines. La identificación con el protagonista se realiza al leer su historia: Por primera vez el lector era capaz de experimentar la vida de un pobre. La obra le quitó la invisibilidad a la pobreza que formaba parte de la vida cotidiana en España. Muy probablemente inspirado por los escritos teóricos de los humanistas de tal época, surgió un nuevo estilo literario que aparte de entretener y divertir al lector, a la vez trataba de hacerle reflexionar sobre su entorno social y la realidad que le rodeaba. Superó el concepto arraigado de la comedia clásica en la cual se burlaba del pobre exclusivamente. Lazarillo sigue siendo el mediador de lo cómico, pero le deja ver lo cómico, mejor dicho, lo corrupto que son los demás personajes de los cuales se solía haber tenido una mejor impresión debido al incrustado concepto del linaje. Los típicos héroes no existen en el mundo del Lazarillo, así rompiendo con la ilusión tradicional y con las reglas antiguas de la literatura. Rompe con el concepto de la simple división entre el “bien“ y el “mal“ - con una 40
tendencia al pesimismo. Sus amos pertenecen a todas las clases sociales y ninguno de ellos se puede tildar de “bueno“ porque todos lo opuesto. Es imprescindible ver la obra en el contexto de la época en la cual fue escrito. Tomando en cuento al zeitgeist humanista que ha surgido como un nuevo modo de pensar que – remitiéndose a Jesús – proponía ayudarles a los indigentes en vez de criminalizarles, se abrió el camino no solamente para un anti-heroe, más bien para uno de los innumerables fulanos de tal de su época – el víctima de la clasificación social. El reconocer que la pobreza no es algo natural entre los hombres, sino el resultado de un sistema injusto, posibilitó el nacimiento de un nuevo género literario. El mezclar hechos y referencias reales dentro de la historia sirve para proporcionarle autenticidad. Así reforzando la ilusión de que este cuento sí es verdadero y que es posible hasta visitar los sitios donde le acontecieron las fortunas y adversidades al Lazarillo. El factor temporal actual forma parte del género de la novela picaresca, o sea cuándo el protagonista nos cuenta de su vida en este momento. El protagonista forma parte de nuestro tiempo y pues Lazarillo en sus días mostró una realidad incómoda lo cual tenía por consecuencia su prohibición y su censura posterior. El autor desconocido debe haber sentido una profunda empatía para los pobres de su época. Concluyó que era injusta a propósito el mundo en el que vivía. Gracias a él la historia del Lazarillo se difundió en toda Europa debido al hecho de que si no hay autor, cada imprenta podía reproducir la obra. Su intención no era el dinero ni la fama de los que hubiera podido haber gozado fuera del país si hubiese querido, sino quería ayudar a cambiar a la opinión social en España, tratando de crear una conciencia de piedad en la gente de la clase alta, en los cuales que fueron capaces de leer. El analfabetismo del siglo XVI inhabilitó casi tres cuartos de la población y les privaba de poder leer la historia de uno de ellos. Por ende es de concluir que la obra se dirigía a las personas que además formaban parte de los que pusieron las reglas sociales y que eran capaces de cambiarlas – los mandamases de la clase alta. Sigue siendo un hecho que “la pobreza no es natural, es creada por el hombre y puede superarse y erradicarse mediante acciones de los seres humanos.“ (Nelson Mandela) Desde el punto de vista actual, la novela picaresca nació en el 1554 con el Lazarillo de Tormes con sus rupturas de las normas y su intención progresiva. Su prohibición y su posterior versión castigada impidió que la obra se convertía en un éxito de ventas como 41
lo hizo la obra de Mateo Alemán del 1599 (Guzmán de Alfarache) que era un éxito total en toda Europa y cuyo contenido no llamó la atención de la Inquisición. Basta decir que su estilo se basa en el del verdadero padre de la novela picaresca – Lazarillo de Tormes. Alemán recogió la idea del anti-heroe en su momento de repasar su vida, llena de episodios y momentos pícaros. Desde hace este entonces, una miríada de escritores hicieron uso de este estilo (nombrando unas obras bien conocidas como la de Thomas Mann “Bekenntnisse des Hochstablers Felix Krull”, 1954 o la de Winston Groom ”Forrest Gump” del 1986). Con sus medidas represalias en contra de una expresión más libre, tratando de moldear el pensar de la gente para obtener el dominio mental dentro de la sociedad, la Inquisición en la península ibérica ayudó a volverse famoso al Lazarillo de Tormes. Queda por decir que hasta hoy en día existen formas inquisitorias en el mundo. Las clases altas son las que desde hace siempre influyen, mejor dicho, que ponen las reglas sociales en las sociedades. Después de que los diferentes reinos en la pensinsula ibérica del Siglo XVI llegaron a unirse en el país que entonces llamaban España, empezó el proceso del descubrimiento de sí mismo. La fé de los Reyes Católicos sirvió de un punto clave que compartían todos. Para unir la masa se precisa de un denominador común que en este caso era el cristianismo. Queda sin duda que la creencia hubiera podido ser cualquiera, o sea que las atrocidades perpetradas por parte de la Inquisición no pueden ser justificadas en el nombre del cristianismo. Hasta el día de hoy, las religiones están usadas por las clases altas como herramientas para mantenerse en su posición de poder. Una cierta forma de la Inquisición siempre ha existido y siempre existirá mientras que haya la falsa creencia de una exclusividad innata. Mientras que el mundo no logre superarlo y no deja atrás esa farsa, seguirá la estructurada discriminación social que mantiene estable la pobreza, pues en ella se basa la riqueza de los pocos priviligiados. La responsabilidad de mantener un sistema estatal de desigualdad estructurada (injusticia social) solía yacer en las manos de los poderosos y todavía allí es donde yace. Mientras que haya injusticia social en el mundo, se producirá más Lazarillos por el simple hecho de haber nacido discriminado (“castigado“). Hay que tener en cuenta la situación económica del Siglo XVI y el grave problema del empobrecimiento de una gran parte de la población española – que la pobreza es de donde sale Lazarillo, el pobre producto de un lavado de cerebro latente, que incluso glorifica a los responsables de su miseria. Con los barcos de las Américas y su carga de 42
riquezas en oro y plata, el costo de la vida subió masivamente78. Dominar a los Lazarillos hambrientos de España resultaba más fácil que a los Lazarillos hambrientos y armados sin oficio después de que los ejércitos habían vencido a los árabes y quedaban desempleados. Gracias a los territorios españoles en el Nuevo Mundo, se dio la opción de dirigirse para las Américas a probar fortuna. Los que no tenían las medidas para seguir en este plan, tenían que quedarse en un mundo en el que cada día resultaba más dificil vivir, soñando con el Sueño Americano en el mundo viejo, donde el chance de que éste se cumpliera era mucho menor que en las Américas. El mito que un Don nadie se va para las Américas y después vuelve siendo un Don alguien, ya se había manifestado en la recepción colectiva de la epoca. ¿Pero quién se podia permitirse el lujo de probar fortuna en tierras ajenas? ¿Los más pobres de España o los que ya obtenían ciertos fondos financieros para el pasaje? De nuevo estamos enfrente de la triste realidad que con el “Sueño Americano“ solamente ciertos priviligiados podían sonar y competir. La carrera del Lazarillo tiene razgos de tal ilusión fabricada en el transcurso del proceso del encuentro con si mismo de los Estados Unidos durante el siglo XIX. No hay duda que un verdadero “Lazarillo“ habrá hecho una fortuna en las Américas tal como en la Segunda Parte siendo él un atún noble, pero tal carrera era más la excepción que la regla. Teniendo en cuenta quién se dirigía a probar fortuna en las Américas, marcada por el pensar clasista español (la categorización convencional de la gente) dar de pensar. Un sistema social precaria fue exportado. Para la Inquisición la Cristianización de las Américas era otra misión clave en su aspiracion de formar a la sociedad de su imperio, y pues fatal que con los verdaderos valores que predicó Jesus no tenía que ver. Charles Gibson resume su función: “El imperialismo español trató de justificar sus actos a través de su mission cristiana. La conquista era una empresa cristiana porque destruía una civilización pagana y la encomienda y el corregimiento eran instituciones cristianas porque aseguraban una sociedad cristiana. Con la consignación papal del Nuevo Mundo a España, todos los aspectos de la colonización hispánica
se
convirtieron en tema de interpretación cristiana y subordinados a una función cristiana.“79 78 79
Compara los apéndices a y b, p. 458, Una sociedad conflictiva: España, 1469-1714. Los aztecas bajo el dominio español (1519-1810), capítulo 5, p. 101.
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El Nuevo Mundo fue moldeado por los valores del viejo mundo los cuales dentro de sí llevaban la injusticia y el prejuicio. Si Lazarillo hubiera nacido en las Américas, siendo medio indígena o medio africano y si no hubiera podido comprobar que una parte de él era de descencia noble, no le habrían dado ningún chance de ascender socialmente. La visión herarquica de la sociedad española fue exportada al Nuevo Mundo donde hasta hoy en día repercupe en las sociedades hispanohablantes. Pero no hay que ver hasta el otro orillo de la vieja España; en todo el mundo existen Lazarillos. “Lazarillo“ es es seudónimo de cualquier persona que nace perjudicado debido a sus origenes y debido a su rango social. Es cualquier persona que se convierte a víctima de las circunstancias externas. Sufre por su simple existencia debido a un cierto contexto social. ¿Quién es el Lazarillo de hoy? El subcomandante Marcos 80 podría exponerlo de tal forma, describiéndose a si mismo ante el mundo: “Marcos es gay en San Francisco, negro en Sudáfrica, asiático en Europa, chicano en San Ysidro, anarquista en España, palestino en Israel, indígena en las calles de San Cristóbal, chavo banda en Neza, rockero en CU, judío en Alemania nazi, un gitano en Polonia, un Kurdo en Turquía, un Mohawk en Quebec, ombudsman en la Sedena, feminista en los partidos políticos, comunista en la posguerra fría, preso en Cintalapa, pacifista en Bosnia, mapuche en los Andes, maestro de la CNTE, artista sin galería ni portafolios, ama de casa un sábado por la noche en cualquier colonia de cualquier ciudad de cualquier México, guerrillero en el México de fin del siglo XX, huelguista en la CTM, reportero de nota de relleno en interiores, machista en el movimiento feminista, mujer sola en el metro a las 10 p.m., jubilado en plantón en el Zócalo, campesino sin tierra, editor marginal, obrero desempleado, médico sin plaza, estudiante inconforme, disidente en el neoliberalismo, escritor sin libros ni lectores […]“81 Lazarillo – sin ambiciones personales de cambiar la sociedad en la que vive – es cualquier persona que por nacimiento las normas sociales le hacen carecer de valor humano debido a las circunstancias establecidas por una clase alta que se cree superior a 80
81
Figura política simbólica de la rebelión zapatista de Chiapas/México del 1994. Civil: Rafael Sebastián Guillén Vicente (* 19 de junio del 1957 en Tampico, México). Con el “Subcomandante Marcos“ fue creada un símbolo cuya cara solía estar tapada con una pasamontanas. Sus raíces tiene el moviento en la estructurada descriminación de la población indígena en Chiapas y en México. “¡Tuvimos que tapar nuestras caras para que nos vieran!“, describe el problema del racismo en México y en el mundo. Subcomandante Marcos, 28. Mai 1994.
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los demás. Él es una víctima de la arbitrariedad de los mandamases de la sociedad. Por haber nacido en España, él lleva puesto un nombre español cuyos raíces tiene en el hebreo; “Eleazar“ - que se traduce a “Aquel a que Dios ayuda“ o “Aquel a Dios socorre“. La referencia bíblica se brinda a incriminarle al autor anónimo de blasfemia, haber sido “Lázaro“ el mejor amigo de Jesús quien fue resucitado por él 82. Según la tradición éste Lázaro predicaba la palabra de Dios y llegó a ser obispo de Marsella. Siendo simplemente un tocayo del San Lázaro y sin compartir su santidad más bien con una tendencia hacia lo opuesto, el nombre “Lazarillo“ hubiera podido ser censurado por la inquisición para evitar esta alusión, pero no fue el caso. ¿Por qué no optaron a cambiarle el nombre, teniendo en cuenta las raíces del protagonista? Pues, porque ya no vivían más “Mustafa“ ni “Shlomo“ en Espana y los que se habían quedado llevaban ya nombres cristianos83. La plena crítica de individuos que permanecían a los “intocables“ (cléricos y nobles) ya era suficiente para tildar de “hereje“ al libro; “[…] el conflicto religioso era, ni más ni menos, un conflicto político, y por ello el hereje era un agente de subversión social.“84 No todos los marginalizados son pícaros como el Lazarillo del siglo XVI, pero sí hay pobres que son forzados a usar prácticas pícaras para seguir adelante y salir de su situación precaria. Lo “pícaro“ es esencial con referencia a enriquecerse de forma híper-proporcional. Trabajando como pregonero nunca volverá rico a Lazarillo y él lo sabe bien, pero casarse con una persona de alto copete que entonces mantiene palancas con personas más influentes, es una de las maneras para llegar más arriba socialmente. Por causa de la descendencia, Lazarillo nunca será uno de ellos (de los nobles), ni por casamiento (que le está prohibido). Sin embargo, defiende al mundo que desde un principio le discriminaba. Es una paradoja con la que nos resignamos hasta hoy en día todavía – que la gente que sufre debido a un sistema injusto no es capaz de reconocerlo e incluso lo defiende. Han pasado más de quinientos anos y todavía existen reyes y todavía existen Lazarillos. ¿Por qué? Porque malas constumbres son difíciles de dejar – el mundo sigue de manera demudada con las clasificaciones de antes. Él que controla las riquezas, pone las reglas y las normas. Y hasta hoy en día se mantiene vivas ciertas caracteristicas y procedimientos de la inquisición medieval.
82 83
84
Juan 11,1-44. En el 1492, los reyes católicos aprobaron un decreto de expulción de todos los judios de su territorio. Una sociedad conflictiva: Espana, 1469 – 1714, página 23. A lo largo del tiempo seguían más leyes y decretos de tal índole que tenían por consecuencia el desaparecer de las culturas judía y árabe en la península iberica. J.Contreras. El Apogeo del Santo Oficio (1564-1621). Historia de la Inquisición en España y América. Seite 701.
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La inquisición – en acto solidario con la nobleza – se ocupó de que la simple crítica al estado fuera considerado blasfemia. Concretizándolo: “El hereje es un peligro social porque la ley civil es subsidiaria de la ley espiritual, de la ley de la fe que es, en sí misma, la ley verdadera, porque traduce a la ley divina que excluye el error, porque considera a Dios como el Supremo Legislador.“ (Ibid., Seite 702) Lazarillo, por su simple describción de la realidad, se convierte en disidente (lo cual ha sido igualado con ser hereje), así procurando la ilegalidad hasta del simple indagar, conviertiéndolo en un delito grave. La iglesia junto con la nobleza se autocoronaron irrefutables y castigaban a los que les parecía un peligro para su dominio. La idea de que algunas vidas valieran más que otras, seguía manifestándose en estos anos y por desgracia esa idea se ha conservado hasta hoy en día. Para tratar de explicarlo, se pone a la funcion de la inquisición al lado del poder en general que según Weber “[…] significa la probabilidad de imponer la propia voluntad, dentro de una relación social, aun contra toda resistencia y cualquiera sea el fundamento de esa probabilidad.“85 La inquisición era una herramienta política que usaba e interpretaba la Biblia a su gusto - lo cual era el gusto del Estatus Quo que así ocupandose de consolidar su posición en la sociedad y pues dominar al pueblo. Weber: “La dominación debe entenderse la probabilidad de encontrar obediencia a un mandato de determinado contenido entre personas dadas.“ (ibid., p. 23)86 El manejo de las normas sociales siempre corre peligro de descontrolarse y el circulo vicioso de una jerarquía que se está endureciendo continuadamente, suele estar acompanado con una organizada descriminación estatal, persecusión y atrocidades. La razon de la prohibición del Lazarillo de Tormes es atribuida al marco jurídico vigente de aquel entonces, pero la razón verdadera es la erronea e injusta autoconciencia social a lo largo de la historia humana. Concluyendo, queda para constar que el cambio mental debido a las ideas humanistas del siglo XVI junto con las precarias circunstancias 8 8
5 Weber, Max: Sociología del poder: Los tipos de dominación, p. 43. 6 Weber subdivide la dominacion en tres categorias: una dominación racional “que descansa en la creencia en la legalidad de las ordenaciones estatuidas y de los derechos de mando de los llamados por esas ordenaciones a ejercer la autoridad.“; una dominación tradicional, descanzando “en la creencia cotidiana en la santidad de los tradiciones que rigieron desde lejanos tiempos y en la legitimidad de los senalados por esa tradición para ejercer la autoridad.“; una dominación carismática, basando “en la entrega extraordinaria a la santidad, heroísmo o ejemplaridad de una persona y a las ordenaciones por ella creadas o relevadas.“
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sociales agravadas y la criminalización de los pobres, le allanaron el camino para la primera pieza literaria de crítica social que hasta hoy en día sirve como medio de transmitir una observación crítica de la realidad actual. La historia del Lazarillo de Tormes se ha conservado gracias a la censura y su republicación por parte de la Inquisición y por Juan López Velasco. No es de saber cuántos anti-heroes fueron víctimas de las llamas con las que los inquisitores les habian privado de la posibilidad de estar escuchados.
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XII Plagiatserklärung: Hiermit erkläre ich, dass die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt, sowie die Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, durch Angabe und Quellen kenntlich gemacht wurden.
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