Köln - Ehrenfeld Rezenter Wandel und Wahrnehmung durch die Bevölkerung

July 24, 2017 | Author: Stefan Padberg | Category: Gentrification, Urban Studies, Urban Sociology, Gentrifizierung, Geografia Urbana, Köln, Stadtgeographie, Köln, Stadtgeographie
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1

Köln - Ehrenfeld Rezenter Wandel und Wahrnehmung durch die Bevölkerung

Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II

dem Staatlichen Prüfungsamt Köln

vorgelegt von Stefan Padberg

Berichterstatter: Prof Dr Eckart Ehlers

Bonn 1995

2

Gewidmet den Nachbarschaftsorganisationen "Asociaciones de Vecinos y Vecinas" des Madrider Stadtbezirks Vallecas.

I

INHALTSÜBERSICHT I

Einleitung A B C

II

1

Vorwort Fragestellungen Aufbau

Theoretische Grundlegung A B C

in

3 4 6

Einleitung 6 Wissenschaftsverständnis 8 Bedingungen, Ursachen und Folgen rezenten Wandels 21 der Stadt

III Köln - Ehrenfeld A B C

1

52

Beschreibung des Stadtteils Erheben und Verarbeiten qualitativer Daten Ergebnisse

55 60 71

IV

Fazit und Ausblick

106

V

Literatur

111

VI

Anhang

115

II

INHALTSVERZEICHNIS I

II

Einleitung

1

A B C

Vorwort Fragestellungen Aufbau

1

Theoretische Grundlegung

6

A B

6

C

3 4

Einleitung Wissenschaftsverständnis

8

1

Qualitatives Paradigma und Sozialgeographie

9

2

Postmoderne und Sozialgeographie

14

3

Zusammenfassung

20

Bedingungen, Ursachen und Folgen rezenten Wandels in der Stadt

21

1

Zum Verständnis gesellschaftlichen Wandels - Die Regulationsschule

23

2

Wirtschaftliche Veränderungen

26

2. 1

Fordismus

26

2. 2

Die BRD in der Phase des Fordismus

27

2. 3

Die Krise des Fordismus

28

2. 4

Der Postfordismus und seine Auswirkungen

30

3

4

5

Demographische, soziale und gesellschaftliche Veränderungen

33

3. 1

Individualisierung und Eingebundenheit

33

3. 2

Vielfalt der Lebensstile

34

3. 3

Zuwanderung

36

Prozesse und Strukturen der Stadt 1965 – 1995

37

4. 1

Suburbanisierung

37

4. 2

Gentrification

39

4. 3

"Global City" und "Headquarter Economy"

41

4. 4

Geteilte Stadt

43

4. 5

Veränderung des kommunalen politischen Paradigmas

46

Zusammenfassung

49

III

III A

B

C

IV

Köln - Ehrenfeld

52

Beschreibung des Stadtteils

55

1

Lage und Physiognomie

55

2

Entstehung und Entwicklung bis 1965

56

3

Einführung in die Entwicklung nach 1965

57

Erheben und Verarbeiten qualitativer Daten

60

1

Annäherung an den Forschungsraum

60

2

Auflistung der Datenquellen zu Wandel und Wahrnehmung

60

3

Methode der Interviews und Fixierung der Ergebnisse

62

4

Auswertung der Interviews

65

5

Anspruch und Wirklichkeit des qualitativen Arbeitens

68

6

Zusammenfassender Überblick

70

Ergebnisse

71

1

Rezenter Wandel: Strukturen und Prozesse in Ehrenfeld

71

1.1

Wirtschaftlicher Umbruch

71

1.2

Bevölkerungsstruktur

78

1.3

Kunst- und Kulturszene

87

2

Zusammenfassung und Einbettung in globale Prozesse

90

3

Wahrnehmung Ehrenfelds durch seine Bevölkerung

94

3.1

Vorgehensweise

94

3.2

Ergebnisse

96

4

Gegenüberstellung von Wandel und Wahrnehmung in Ehrenfeld

101

Fazit und Ausblick

106

A B C

106

Fazit Ausblick Schlußwort

108 110

V

Literatur

111

VI

Anhang

115

A B C D

115

Vier Beispielinterviews Werkstattbericht: Ein Tag qualitativer Forschung in Ehrenfeld Abbildungs-, Tabellen- und Kartenverzeichnis Spanischsprachige Orginale der übersetzten Zitate

121 125 126

IV

0.A

Formales 0.A.1

Zitierweise

Zitate werden in "..." gesetzt. Wenn innerhalb von Zitaten wiederum Zitate vorkommen, werden diese generell, unabhängig von der Orginalschrift, in »...« gesetzt. Zusätze, Erläuterungen und Ergänzungen meinerseits innerhalb von Zitaten werden in [Wort] gesetzt, Auslassungen in [...]. Sobald Zitate die Länge einer Zeile überschreiten, stehen sie im in diesem Satz verwendeten Druckformat.

0.A.2

Literaturangaben

Titel, die ich lediglich nach anderen, von mir gelesenen Autorinnen oder Autoren zitiere oder als Beispiel angebe, nehme ich nicht ins Literaturverzeichnis auf, sondern liefere die vollständige Literaturangabe in der jeweiligen Fußnote. Auf Literatur, die im Text wörtlich zitiert wird und die ins Literturverzeichnis aufgenommen wird, verweise ich im Text wie folgt: (AUTOR XXXX:YY). An Stelle von X steht die Jahreszahl, an Stelle von Y die Seitenzahl. Den Vornamen des Autors oder der Autorin schreibe ich, sofern ermittelbar, aus. 0.A.3

Männliche und Weibliche Sprachformen

Für Gruppen, die sowohl männliche, als auch weibliche Mitglieder haben (können) verwende ich die Schreibweise 'Bewohnerinnen und Bewohner'. Dies geschieht, weil ich die tradierte Benutzung des männlichen Plurals als 'Gattungsbegriff' - 'Bewohner' - als schwierig empfinde. Durch diese Art des Sprachgebrauchs wird immer wieder eine Sprache reproduziert, die nur in männlichen Formen redet. Nach meiner Wahrnehmung bestehen zwischen Realität und Sprache enge Bande, d.h. Sprache formt und spiegelt Realität. Da ich sowohl von Männern als auch von Frauen schreibe, will ich beide benennen. Insgesamt erscheint meine 'Lösung' dieses historisch gewachsenen Problems umständlich. Ich betrachte sie daher auch lediglich als die derzeitig beste Lösung.

1

I.Einleitung "Der Geograph kann als Wissenschaftler ebensowenig seine Lebensgeschichte löschen, bevor er zu handeln beginnt, wie ein Architekt, bevor er über seine Häuser nachdenkt. Es ist die Geschichte der individuellen Begegnungen und die der verhinderten Begegnungen, es ist die Geschichte der erlebten und erfahrenen Selbst- und Fremdgestaltung, die diese grundsätzliche Gefangenheit des eigenen Standpunktes begründet. Was als Wirklichkeit gilt, resultiert nicht aus Wirklichkeit, sondern aus dem Verlauf des Kampfes um deren Definition." HASSE 1989:20

I.A Vorwort Mitten in der Examensarbeit zog ich um. Als ich von meiner alten Wohnung in der Bonner Nordstadt in mein neues Zuhause in der Innenstadt ging, sinnierte ich über verschiedene Stadtteile und ihre Entwicklung, über Migrationsmodelle u.ä. Ich blickte auf das nächtlich beleuchtete Bonner Stadthaus - die architektonische Verkörperung der Moderne... Davor noch eine Seite der Franzstraße mit ihren gründerzeitlichen Dreifensterhäusern. Menschen standen vor den Kneipen, die hier wie auch in anderen gründerzeitlichen Stadtteilen entstanden sind."Geographie ist Landschaften lesen und beschreiben können" - ich erinnerte mich an den Satz, mit dem Josefina GÓMEZ MENDOZA das Seminar zu Methodologie in Madrid1 abschloß. Das geographische Alphabet wird unterschiedlich gelernt und gelehrt, - auch das wurde mir in Madrid klar. Einige machen eine Mathematik daraus, andere vergleichen es mit dem Lesen von Büchern. Die einen sagen, welches Alphabet sie benutzen und warum sie das tun, andere sagen, ihres sei das Einzige überhaupt - oder das einzig Wahre. Nachdem ich schon geraume Zeit mit der Anfertigung der vorliegenden Arbeit beschäftigt war, konnte ich plötzlich neu benennen, was ich tat, und es im Zusammenhang meines Studiums erkennen. Die erlernten Theorien zu Forschungsmethoden und Stadtentwicklung erkannte ich als das Alphabet und die Untersuchung Ehrenfelds als das Lesen der Landschaft. Plötzlich war mir auch klar, warum mich der Satz damals so begeisterte, und warum er mich in meinem weiteren Geographiestudium begleitet hat: Er bringt das auf den Punkt, was ich unter Geographie verstehe. Als ich in Madrid zur Universität ging, wohnte ich im Stadtbezirk Vallecas. Dort hatte ich über meinen spanischen Mitbewohner2 intensiven Kontakt zu den Nachbarschaftsorganisationen, den "Asociaciones de Vecinos y Vecinas". Mein Interesse an der nächsten städtischen Umwelt erwachte. Global denken und lokal handeln - der Leitsatz bekam eine neue Dimension, wenn die 70jährige Maria von den Aktionen gegen die Willkür der Polizei Francos erzählte, oder wenn sie zusammen mit anderen in die Schule, die "escuela popular" ging, um

1Im akademischen Jahr 1992/93 studierte ich im Rahmen des Erasmus-Programms an der Universidad Autónoma de Madrid.

2Danke Javi.

2

auf ihre alten Tage noch Lesen und Schreiben zu lernen. Auch die "Fiestas de barrio", die Stadtteilfeste, waren für mich neu. Sozialgeographisch betrachtet: Ein derartiger Zusammenhalt war mir im urbanen Milieu bis dato gänzlich unbekannt. Der Wunsch entstand, in meiner Examensarbeit mit dem großen Maßstab der Stadtteiluntersuchung (lokal handeln!) zu arbeiten. Im "Dritte Welt Laden" in Mönchengladbach begann 1988 mein Engagement für Lateinamerika. In Bonn setzte ich diese Arbeit bei der "Informationsstelle Lateinamerika" fort. Besonders begeisterten mich die pädagogischen Ansätze Paolo FREIREs, der mit seiner "Pädagogik der Unterdrückten" in Brasilien und später in Chile 'von unten' versuchte, gegen die Militärdiktaturen zu arbeiten. In Nicaragua nahm ich an einem Projekt der Entwicklungszusammenarbeit zwischen zwei NGOs teils. Es ging um Alphabetisierung in einem entlegenen ländlichen Gebiet. Diese Form der gemeinschaftlichen Selbstförderung beinhaltet eine Art Zensus, in dem die Menschen vor Ort nach ihren Wünschen und Fähigkeiten befragt werden. Auf der anderen Seite steht in den meist landwirtschaftlich strukturierten Gebieten eine Art Raumanalyse, in der herausgefunden werden soll, welche Wirtschaftsformen vor Ort geeignet sind. Meine Examensarbeit über Ehrenfeld steht sicher unter dem Einfluß dieser Erlebnisse. Nach meiner Selbsteinschätzung reproduziere ich in der Raumanalyse (Rezenter Wandel) und der Behandlung der Frage, wie die Menschen vor Ort ihren eigenen Raum erleben und bewerten (Wahrnehmung), die Vorgehensweise beim Zensus im oben geschilderten Rahmen der Alphabetisierungskampagne. Köln war in meiner Jugend die große Stadt. Während viele aus Mönchengladbach, wo ich aufwuchs, sich nach Düsseldorf orientierten, faszinierte mich die Domstadt. Einen wesentlichen Anteil daran haben die Texte von Wolfgang NIEDECKEN, dem Sänger und Texter der Rockgruppe BAP. Erst heute, Jahre später, wird mir klar, daß Lieder wie "Stollwerck-Leed" und "Südstadt verzäll nix" intensiv von Prozessen erzählen, die ich jetzt unter anderem in meiner Examensarbeit aufgreife: Wirtschaftlicher Wandel, Suburbanisierung und Gentrification. Ehrenfeld schließlich war der Teil Kölns, der Teil der großen Stadt, der am nächsten an Mönchengladbach lag. Auf der Fahrt nach Köln war Ehrenfeld immer das erste von Köln. Ich habe in Köln bislang nie gewohnt und auch lieber in Bonn studiert - aber die Examensarbeit, die befaßt sich mit Köln! Soweit zu den für mich von heute aus sichtbaren Schritten zu meiner Examensarbeit.

3

I.B

Fragestellungen

Aus meinem Vorwissen und der Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen ergeben sich drei Fragen, die im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen : 1 Was sind die wesentlichen Strukturen und Prozesse im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, wie er sich dem Beobachter 1995 darbietet? 2 Was ist in Ehrenfeld zu erkennen von den global zu konstatierenden wirtschaftlichen Umstrukturierungen und sozialen / demographischen Veränderungen? 3 Was erkennt die Bevölkerung an Strukturen und Prozessen in ihrem Stadtteil und wie bewertet sie diese? Aus meinem Vorverständnis ergeben sich weiterhin die beiden folgenden Thesen: 1 Die globalen wirtschaftlichen Umstrukturierungen und sozialen / demographischen Veränderungen finden in Ehrenfeld ihren spezifischen Niederschlag. Aufgrund der Geschichte des Stadtteils als Industrievorort sind starke Auswirkungen bedingt durch Arbeitsplatzabbau im sekundären Sektor mit den entsprechenden Folgeerscheinungen zu erwarten. 2 Die Bevölkerung wird im Regelfall die Veränderung nicht in weitere Zusammenhänge oder / und in einen theoretischen Rahmen stellen.

4

I.C

Aufbau II.B:

II.C:

THEORETISCHE

Wissenschafts-

Bedingungen,

GRUNDLEGUNG

verständnis und

Ursachen und Folgen

Entwicklung

rezenten Wandels

in den Sozialwissenschaften

Ú

Ú

III.B:

III.C.1:

UNTERSUCHUNG

Vorgehensweise bei

Rezenter Wandel

UND

der Untersuchung

in Ehrenfeld

ERGEBNISSE

III.C.3:

III.C.2:

Wahrnehmung der

Einbettung in globale

Bevölkerung

Prozesse

ÛÞ

ÝÜ III.C.4: Vergleich zwischen Wandel und Wahrnehmung

Die zentralen Kapitel der vorliegenden Arbeit (II. und III.) sind mehrfach miteinander verflochten. Kapitel II.B schildert das Wissenschaftsverständnis und begründet die im wesentlichen qualitative Vorgehensweise. Kapitel II.C liefert die Theorie zum Verständnis des derzeitigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels. Die hier zusammengefaßten Beobachtungen dienen der Einbettung der Ergebnisse der eigenen Untersuchungen aus Ehrenfeld. Kapitel III befaßt sich explizit mit dem Untersuchungsraum Köln-Ehrenfeld. Eine allgemeine Beschreibung des Stadtteils leitet in das Kapitel ein. Diese befaßt sich mit der Entwicklung Ehrenfelds bis zum Beginn des Zeitraums der Betrachtung wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels, der auf 1965 datiert wird. Darauf folgt die detaillierte Schilderung des Vorgehens bei der Untersuchung in Ehrenfeld. Diese Schilderung fußt auf der theoretischen Grundlage, die in Kapitel II.B hinsichtlich Wissenschaftsverständnis und qualitativen Vorgehens in den Sozialwissenschaften erarbeitet wurde. Kapitel III.C stellt die Ergebnisse der Untersuchung und deren Interpretation dar. In III.C.1 werden die wesentlichen Strukturen und Prozesse des Sozialraums Ehrenfeld, also der

5

Rezente Wandel, dargelegt. Dieser Abschnitt, sowie die in III.C.2 folgende Einbettung dieser Strukturen und Prozesse in globale Prozesse, fussen direkt auf der in Kapitel II.C gelegten Grundlage bezüglich Bedingungen, Ursachen und Folgen rezenten Wandels in der Stadt. Kapitel III.C.3 wertet die Interviews und sonstigen Quellen hinsichtlich Wahrnehmung des eigenen Stadtteils durch die Bewohnerinnen und Bewohner aus. Dies geschieht auf der theoretischen Grundlage, die in II.B und III.B dargestellt wurde. Abschließend und zusammenfassend zu Kapitel III werden in III.C.4 die Ergebnisse der Untersuchung zum Rezenten Wandel einerseits, und zur Wahrnehmung andererseits gegenübergestellt und diskutiert.

6

II.

Theoretische Grundlegung

Implizit liegt jeder wissenschaftlichen Arbeit ein spezifisches Wissenschaftsverständnis zu Grunde. In den Kapiteln II.A und II.B versuche ich, das Wissenschaftsverständnis der vorliegenden Arbeit darzustellen.

II.A

Einleitung

Welche Schritte im Arbeits- und Forschungsprozeß dieser Arbeit müssen wie hinterfragt werden? Hilfreich zur Beantwortung dieser Frage ist es, den hermeneutischen Zirkel (Kapitel II.B.2) konkret auf mein Vorgehen zu beziehen. So verschaffe ich mir selber zum einen Klarheit darüber, warum ich meine Vorgehensweise theoretisch hinterfragen und diskutieren möchte und zum anderen darüber, wie ich die vorhandenen Fragen im Laufe meines Forschungsprozesses operationalisiere. Warum diese Reflexion auf der Metaebene? Warum gehe ich nicht einfach in den Untersuchungsraum und untersuchte das, was ich für wichtig halte auf die Weise, die ich für richtig halte? Ich sehe die vorliegende Arbeit in der Tradition der Geographie und möchte sie im Rahmen der Möglichkeiten in Bezug zur Theorieentwicklung in der Disziplin setzen. Hier sind sicher auch meine Zweifel hinsichtlich der 'politischen Korrektheit' meines Vorgehens verortet. Schließlich entsteht die Arbeit "im Namen einer Wissenschaft mit einer Tradition von Offenheit für Entdeckungen für Bildung im Sinn von Sensibilisierung für die Vielfalt der Umwelten; doch ebenso auch einer Wissenschaft mit ihrer Geschichte mehr und weniger glorioser Entdeckungen und folgender Besitznahmen mit immer feineren technologischen und anderen [.] Instrumenten der Verteidigung." MEIER 1989:153

Es geht mir um ein systematisch reflektiertes Verstehen gesellschaftlicher Strukturen und deren Wahrnehmung durch die Menschen. In diesem Sinne kann auch mein Wissenschaftsverständnis auf den Punkt gebracht werden: Systematisch reflektiertes Untersuchen von Zusammenhängen - das ist für mich Wissenschaft. Ich versuche dabei zu beachten, daß einerseits die Summe des Handelns und Verhaltens der Menschen erst die gesellschaftliche Struktur formt und andererseits dieselben Menschen in diesen gesellschaftlichen Strukturen leben und sie als Rahmenbedingungen erfahren. Dabei führt das Beobachten meines Beobachtens3 idealtypisch zur Auswahl solcher Methoden, die am besten geeignet sind, Antworten auf die in Kapitel I.B formulierten Fragen zu liefern. Darüber hinaus verschafft es mir eine Bewußtheit über Möglichkeiten und Grenzen meiner Arbeitsmethoden sowie Selbsterkenntnis über meine Interessen, was mich zu mehr Selbstkritik befähigt.

3´Vgl.: LUHMANN, Niklas (1992): Beobachtungen der Moderne. Opladen, s.22.

7

Wie ging ich konkret mit meinen Fragen an die (Ehrenfelder)Welt heran? Ein erstes Beobachten des Untersuchungsraums warf bereits Fragen auf. Diese führten zum einen zum Versuch der Klärung meines Vorverständisses (warum wirft das von mir Wahrgenommene für mich genau diese Fragen auf?). Zum anderen förderten die Fragen das Studium theoretischer Ansätze und damit die weitere Ausbildung des Theoriegerüstes (Kapitel II.B und C). In einer Rekonstruktion des hermeneutischen Zirkels, dem die Anfertigung dieser Arbeit folgte, lassen sich folgende Schritte feststellen. Für ein erstes theoretisches Vorverständnis (1) war "La explosión del Desorden" von Ramón FERNÁNDEZ DURÁN sehr wichtig. Solchermaßen mit Theorie zu Rezentem Wandel in der Stadt ausgerüstet, suchte ich nach einem Stadtteil, der für eine Untersuchung interessant sein könnte. Recht bald war klar, daß es ein Stadtteil von Köln sein sollte (vgl. auch hier Kapitel I.A). Meine bis dahin abstrakt gewonnenen Erkenntnisse über Strukturen und Prozesse in den Städten bezog ich nun konkret auf die Millionenstadt 30 Km vor meiner Haustür. Mit diesem (2) Vorverständnis begab ich mich erneut auf Literatursuche. Die Frage war, welcher Stadtteil Kölns sich für eine derartige Untersuchung eignen würde. Die Literatur und das Vorwissen bis dato rückten Kalk und Ehrenfeld ins Rampenlicht (3). Nach ersten systematisch aufgezeichneten und reflektierten Beobachtungen der beiden Stadtteile entschied ich mich für Ehrenfeld. Nun ging ich erneut und gezielter auf die Suche nach Literatur und Daten zu diesem Stadtteil. Mit wiederum erweitertem Vorwissen (4) entstanden die ersten Interviews mit Expertinnen und Experten sowie Bewohnerinnen und Bewohnern. Das so erworbene Wissen wollte wieder an die Theorie angebunden werden und ich verbrachte erneut Zeit hinter dem Schreibtisch und in Bibliotheken. In den folgenden Interviews und Beobachtungen drückte sich dieser Schritt in anderen, weitergehenden und detaillierteren Fragen und Erkenntnissen aus (5). Es folgte der Abschluß der Erhebungsphase und die Auswertung der Ergebnisse. Dabei konnte ich mich auf ausführliches und wiederholtes Theoriestudium stützen. Die vorliegenden Ergebnisse wiederum wurden mit der zuvor studierten Theorie und auch untereinander ('Rezenter Wandel' und 'Wahrnehmung') verglichen (6). Abschließend sei angemerkt, daß in meiner praktischen Arbeit eine klare Abgrenzung der dargestellten Schritte schwer auszumachen war. Die Windungen des hermeneutischen Zirkels erscheinen mehrdimensional. Immer wieder wurde durch Gespräche angeregt, neue Literatur zu lesen oder auf alte zurückgreifen, um so, ganz im Sinne des hermeneutischen Zirkels, das Vorverständnis mehrdimensional neu zu hinterfragen und zu formulieren. Empirie und Theorie verzahnten und befruchteten sich gegenseitig.

8

II.B

Wissenschaftsverständnis "Die »Wirklichkeit«, der wir uns zuwenden, ist voller Widersprüche: widersprüchliche Interessen, Meinungen, Wünsche, die in sozialer Kommunikation weitergetragen werden; und Paradoxa grundsätzlicher Art, die dem Projekt Sozialwissenschaften innewohnen." MEIER 1989:149

Die folgenden Überlegungen dienen der Darstellung meines Wissenschaftsverständnisses. Die Frage, was Wissenschaft sei, sehe ich in Verbindung mit der Frage nach meiner spezifischen Weltsicht. Wissenschaftsverständnis und Weltsicht haben die Auswahl und die Art der Untersuchung bestimmt. Die Sozialgeographie orientiert sich seit den 60er Jahren an den anderen Sozialwissenschaften. Diese wiederum haben sich seit der industriellen Revolution zusehends an naturwissenschaftlichen Theorien orientiert. Das dort zu Beginn unseres Jahrhunderts entstandene, vorherrschende Paradigma wird als Positivismus bezeichnet. In den 20er und 30er Jahren entsteht die Richtung des Neopositivismus, insbesondere beeinflußt durch den kritischen Rationalismus von Karl POPPER. SEDLACEK beschreibt den kritischen Rationalismus wie folgt: "Diese Wissenschaftstheorie, wie sie vor allem in der POPPERschen Version des »Kritischen Rationalismus« in der deutschen Geographie Fuß faßte, sieht ihre Aufgabe darin, »Realität« durch Hypothesen, dann Gesetze, nomologische Aussagen bzw. Theorien in Erklärung, Prognose und Manipulation (Technik) auf konkrete Fälle der Realität anzuwenden." SEDLACEK 1989:9

Bis in die 60er Jahre erscheint allgemein auf technischem Wege fast alles machbar - auch in den Wissenschaften. Durch die Nachkriegsprosperität4 erhöhte sich als materieller Ausdruck der Machbarkeit der Wohlstand für die meisten Menschen der westlichen Welt. Wie später noch zu zeigen ist, gerät Ende der 60er Jahre diese wirtschaftliche Prosperität in eine strukturelle Krise. Gleichzeitig wird damit begonnen, die gängigen quantitativen Wissenschaftsparadigmen in Frage zu stellen.5 In der "Dialektik der Aufklärung"6 manifestiert sich der Konflikt zwischen politischer Emanzipation einerseits und technisch-instrumenteller Herrschaft über Mensch und Natur andererseits. Der "Positivismusstreit" wird geführt. Kritikerinnen und Kritiker werfen dem Positivismus vor, die Eingebundenheit in eine konkrete gesellschaftliche und historische Situation nicht ausreichend zu beachten. Weiterhin seien bei der Erforschung der Wirklichkeit nur Aussagen über die untersuchten Sachverhalte möglich und (enge) Grenzen der Erkenntnis somit schon im Forschungsprozeß angelegt. Schließlich sei schon bei der Fragestellung und der Datenerhebung bewußt oder unbewußt ausgewählt worden.

4Vgl. Kapitel II.C.2. 5Vgl. SEDLACEK 1989:10. 6HORKHEIMER, Max und Theodor Wiesengrund ADORNO (1971): Die Dialektik der Aufklärung. Frnakfurt / M., s.77.

9

Die erzielten Erkenntnisse näherten sich aber eben nicht der 'einen Wahrheit'. Diese existiere nicht als 'objektiver Tatbestand'. II.B.1

Qualitatives Paradigma und Sozialgeographie

Die Schilderung des positivistischen Paradigmas bleibt hier kursorisch. Dennoch erscheint sie mir in ihrer eigentlich verzerrenden Kürze erforderlich, weil die von mir zitierten Autorinnen und Autoren7 des qualitativen Paradigmas ihre Arbeitsweisen fast alle auch über die Abgrenzung zum positivistischen Paradigma definieren. Aus der Kritik folgt ein (wieder)aufblühendes Interesse an hermeneutischen Ansätzen.8 Die Entwicklung geht weg vom positivistischen hin zum interpretativen Paradigma. Die Hermeneutik9 entstammt aus der philosophisch-theologischen Textexegese. Ihr geht es darum, den durch die jeweiligen Individuen selbst gegebenen Sinn in menschlichen Handlungen und Produkten zu verstehen und zu erklären. Hierbei spielen auch nichtrationale Erklärungsansätze eine wichtige Rolle.10 Mithin geht es dieser Art von Wissenschaft nicht um das Auffinden 'der einen Wahrheit'. Selbst wenn es eine solche gäbe: Wem würde sie helfen, wenn jedes Individuum diese 'eine Wahrheit' nur durch den Filter seiner oder ihrer Wahrnehmung zur Kenntnis nehmen kann? Folgerichtig entstehen im Laufe eines hermeneutischen Forschungsprozesses immer neue vorläufige 'Wahrheiten'. Der Forschungsprozeß ist also nie endgültig abgeschlossen und führt jeweils von einem Vorverständnis zum nächsten, erweiterten Vorverständnis: Der Hermeneutik innewohnend ist die Gefahr des Relativismus.11 Eine Vertreterin der hermeneutischen Vorgehensweise merkt denn auch selbstkritisch an: "Wieviel geordnete Interpretation und wieviel Zufall wird sich in unsere neuen Texte einflechten?" MEIER 1989:149

Wenn ich alles aus sich selbst heraus verstehe, wo bleibt mir dann noch das Recht zur Kritik am Gegebenen? Den untersuchten Wahrnehmungen der Menschen im Stadtteil Ehrenfeld stelle ich deswegen eine Strukturanalyse der rezenten Entwicklungen im Stadtteil an die Seite. Ich nehme die Wahrnehmung der befragten Menschen auf und bilde vor-, gleich- und nachzeitig ein auf meiner Wahrnehmung basierendes Urteil über die Entwicklungen in Ehrenfeld. Dabei stütze ich meine Beobachtungen und Untersuchungen durch ein Zusammenbringen mit der Theorie12 ab.

7Vgl. SEDLACEK 1989; MEIER 1989; KRÜGER 1988. 8Vgl. SEDLACEK 1989:10. 9Hermes war im antiken Griechenland der Mittler zwischen Göttern und Menschen. 10Vgl. WERLEN 1987:22. 11Vgl. hierzu auch die Diskussion der Postmoderne. in Kapitel II.B.3. 12Genau genommen handelt es sich hier natürlich lediglich um meine Wahrnehmung der Theorie.

10

Abb. 1: Der hermeneutische Zirkel. Quelle: DANNER, Helmut (1979): Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik. München, Basel. Zit.n. LAMNEK, Siegfried (1993) Qualitative Sozialforschung. Bd.1: Methodologie. Weinheim.2, s.75.

Zu Analysezwecken teile ich die Welt also auf: Auf der einen Seite steht der historischgesellschaftliche Kontext, die 'Systemebene'13 und auf der anderen Seite der individuelle Erfahrungsraum, die 'Lebenswelt' der Menschen. Bei dieser Art des Vorgehens steht am Ende im Sinne SEDLACEKs14 ein Vorschlag, der notwendig auf der Stufe eines Zwischenergebnisses stehenbleibt. Diese Vorgehensweise verlangt eine offene Sicht des Forschungsprozesses. Den beforschten handelnden Individuen wird - zumindest idealtypisch - die Gelegenheit gegeben, strukturierend in diesen Prozeß einzugreifen. Im Rahmen dieser Arbeit brauche ich genau dieses Element, weil es um Wahrnehmung durch die vor Ort lebenden Menschen geht. Würden ihnen Fragebögen mit geschlossenen Fragen vorliegen, hätten sie methodisch bedingt keine Gelegenheit, möglichst frei mitzuteilen, was für sie wichtig ist. Sie könnten nur in den Kategorien antworten, die schon im voraus als wichtig erachtet worden sind. Die Wahl würde sich auf das Beantworten der Fragen innerhalb des von mir gesteckten engen Rahmen einerseits oder auf das Nichtantworten andererseits beschränken. In qualitativen Arbeiten wird versucht, möglichst wenige Kategorien vorzugeben und die Befragten mit ihren eigenen Kategorisierungen und Bewertungen möglichst umfassend zu Wort kommen zu lassen. 13Es existiert, wie oben angesprochen, im hermeneutischen Wissenschaftsverständnis kein 'objektiver' Standpunkt außerhalb der Lebenswelt (vgl. auch das Zitat von FOUCAULT in Kapitel III.B). Auch ich als Forschender habe eine Lebensgeschichte, die mich auf diese Forschungsfährte gebracht hat und eine Lebenswelt, die Veränderungen unterliegt. Ein Beispiel für die deswegen erforderliche Selbstreflexion liefert Rainer KRÜGER (1988:Vorwort). In Kapitel lI.A. versuche ich ähnliches. Meine wissenschaftlichen Erkenntnisse konstruiere ich also auf dem Hintergrund meiner Geschichte und gesellschaftlichen Einbindung - meiner Wahrnehmung. Die Grenze zwischen dem, was ich als 'Rezenten Wandel' auffasse, und die 'Wahrnehmung' desselben sind also nicht messerscharf zu ziehen, sondern von mir definiert. Das, was hier als Systemebene bezeichnet wird, ist lediglich das systematisch-reflektierte Verstehen, das ich intensiver betreibe als der durchschnittliche Bewohner oder die durchschnittliche Bewohnerin Ehrenfelds. 14 Vgl. SEDLACEK 1989:15.

11

Ein Problem stellt die Tatsache dar, daß die Interviewten nicht immer volles Verständnis für die Bedeutung und Vorgehensweise einer Examensarbeit haben. Wie sollen sie strukturierend in einen ihnen fremden Prozeß eingreifen? Bei der Verwendung von qualitativen Ansätzen richtet sich der Blick eher auf das Individuelle der Alltagswelt (die selbstverständlich auch nicht unabhängig vom gesellschaftlich Bedingten zu denken ist). Es wird von der Annahme ausgegangen, daß bedeutende Aspekte gesellschaftlicher Wirklichkeit nur durch die alltagsweltliche Perspektive und nur im jeweiligen Bezugsrahmen zu verstehen sind. Erforderlicherweise müssen die Methoden an eine alltagsweltliche Kommunikationssituation15 angepaßt werden. Das Hauptinteresse der Wissenschaftlerin oder des Wissenschaftlers liegt in der Forschungssituation im Erkenntnisgewinn. Sie müssen sich in der "Begegnung zweier Lebenswelten, die erforschte mit jener der Wissenschaft" (SEDLACEK 1989:12) der Sprache des Alltags anpassen. Das Selbstverständnis wird zu dem eines Forschers als "Lernende[m] [...]"(Ebd.) Fallstudien gewinnen an Gewicht gegenüber den 'repräsentativen' Stichproben. Zum einen wird dem Kriterium der Gültigkeit durch ständige systematische Reflexion des eigenen Handelns und durch Offenlegung der eigenen Grenzen genüge getan.16 Zum anderen fordert das qualitative Paradigma keine Gültigkeit von Foschungsaussagen im Sinne einer 'Wahrheit', etwa für die Gesamtgesellschaft. Gültig heißt hier: Was im markierten Rahmen mit den markierten Methoden herausgefunden wurde, erklärt aus der Sicht des/der Forschenden die untersuchten Handlungen genau in diesem Rahmen. SEDLACEK faßt zusammen: "Geltung erlangen die Ergebnisse nicht durch ihre »Objektivität« und »Wahrheit«, nicht durch die »Gültigkeit« einer Theorie, sondern durch die Praxis in der Lebenswelt, d.h. durch die Akzeptanz und praktische Umsetzung der Ergebnisse im Alltagshandeln." SEDLACEK 1989:15

Die folgende Zusammenstellung17 liefert eine knappe Übersicht zu den Unterschieden der positivistischen und der hermeneutischen Sicht:

15Vgl. u.a. KRÜGER 1988:83. 16Vgl. meine Schilderung: "Wie gehe ich mit meinen Fragen an die (Ehrenfelder) Welt heran?" in Kapitel II.A und MEIER 1989:15. 17Inspiriert durch: BERNS´AU 1993:7.

12

POSITIVISTISCHE SICHT

HERMENEUTISCHE SICHT

- Es gibt eine objektive Wahrheit.

- Es gibt so viele Wahrheiten wie Menschen.

- Diese Wahrheit soll möglichst abstrahiert und abgebildet werden.

- Es können nur Vorverständnisse und Zwischenergebnisse erreicht werden.

- Die Untersuchung von Einzelaspekten und deren Zusammenführung führt zur Erkenntniszunahme. Die Erkenntnis nähert sich dadurch immer mehr der '100%-Erkenntnis' an.

- Zusammenhänge werden einzeln betrachtet und zu verstehen versucht. Andere Zusammenhänge implizieren andere Erkenntnisse. Es gibt keine '100%-Erkenntnis'.

- Sinnfragen bleiben Philosophie und Kunst vorbehalten, der rationale Positivismus stellt sie nicht.

- Soziale Gebilde konstituieren sich über sinnzuweisende Handlungen ihrer Individuen. Zum Verständnis der Gebilde müssen diese möglichst rekonstruiert werden.

- Erklären

- Verstehen

Positivistische und hermeneutische Auffassungen als streng unvereinbar anzusehen, scheint nicht sinnvoll. Der quantitativ-empirisch arbeitende Forschende hat sich vor der Operationalisierung durch Nachdenken und Auswählen eine Fragestellung zurechtgelegt. Dieser Arbeitsschritt trägt deutlich Züge des hermeneutischen Vorgehens. Umgekehrt fällt es bei qualitativer Arbeit schwer, sich unablässig davon zu distanzieren, daß es die 'eine Wahrheit' gibt. Die Vorstellung ist zu verlockend, am Ende des Forschungsprozesses alles ein für allemal erklären zu können. Die Allmachtsphantasien des Forschenden stehen einer pausenlosen Offenheit im Weg. Neben diesen Überschneidungen in der Praxis bleibt jedoch festzuhalten, daß den Forschungsansätzen letztendlich zwei wesentlich andere Weltanschauungen zugrunde liegen. Die Relevanz der dargestellten Forschungsansätze für die vorliegende Arbeit liegt darin, daß sie sich auch auf die Beschäftigung mit dem Phänomen Stadt auswirken: "Parallel zur fordistischen Entwicklungsphase des Kapitalismus [...], in der das tayloristische Arbeitsprinzip auch Anlaß der Separierung des menschlichen Lebens in einzelne Aktivitätsbereiche war, hat sich im Städtebau die Idee der Stadtgestaltung als die eines Organismus mit klarer interner räumlich-funktionaler Gliederung durchgesetzt. In diesem Organismus »funktionieren« Menschen, indem sie städtischen Lebensraum nach separierten Aktionsbereichen nutzen, in einem Organisationszusammenhang von Arbeiten, Wohnen, Verkehr, Erholung usw." KRÜGER 1988: 72

13

Die "Münchner Schule" entwickelt in diesem Zusammenhang die "Daseinsgrundfunktionen". Der oben dargestellte Perspektivenwechsel vollzieht sich im Bereich der Stadtgeographie weg von der funktional-räumlichen Sichtweise der Stadt hin zur "Wahrnehmung der Stadt als subjektive[m][...] Erlebnisraum"18 (KRÜGER 1988:72, 82). Oder allgemeiner ausgedrückt: Während im positivistischen Paradigma die Interpretation sich in Richtung der totalen Vergesellschaftung des Individuums bewegt und den Blick so eher auf die Systemebene lenkt, geht die Interpretation nach dem Wechsel des Paradigmas eher davon aus, daß der gesellschaftliche Zusammenhang "tendenziell undurchschaubar" (KRÜGER 1988:72) ist und der Blick der Forschenden richtet sich eher auf die Sichtweisen des Individuums. Deutschsprachige qualitative Sozialgeographie erlangt erst zu Beginn der 80er Jahre Kontur und Gewicht. Dieser Prozeß wird vor allem durch Veränderungen in den Sozial- und Geisteswissenschaften angestoßen. Schlicht als die "nichtszientistischen Ansätze" umschreibt SEDLACEK 1989 die qualitative Sozialgeographie. Gemeinsam ist also zunächst die Abgrenzung. Darüber hinaus ist eine Offenheit in der Vorgehensweise zu beobachten. Das Vorverständnis wird, wie oben im hermeneutischen Zirkel angedeutet, während des Forschungsprozesses ständig hinterfragt und angepaßt. So soll im Kontakt mit den Beforschten und mittels der ständigen Annäherung des Vorverständisses - idealtypisch - eine "insider"19-Rolle erreicht werden. KRÜGER formuliert: "Das Erkenntnisinteresse sozialgeographischer Forschung kann nicht umhin, bei der Analyse der Beziehungen zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und Raumentwicklung die Wechselwirkung von Alltagshandeln und gesellschaftlichen Systembedingungen zu thematisieren, d.h. theoretische und empirische Aspekte der Gesellschaftsstruktur mit Rekonstruktionen subjektiver Perspektiven in alltagsnahen Kommunikationssituationen zu verknüpfen." KRÜGER 1988:91

WERLEN stellt in diesem Zusammenhang die für mich forschungsleitende Frage: "Wie ist die Lebenswelt der im Alltag Handelnden erdräumlich strukturiert, und welche Konsequenzen hat dies für die subjektiven Konstitutionsprozesse der sozialen Wirklichkeit?" WERLEN 1987:209

Auf die Arbeit angewendet ergeben sich die in Kapitel I.B genannten Fragestellungen, die hier im Kontext der Theorie noch einmal ausführlicher formuliert werden:

18Ein sehr früher Gedanke in diese Richtung war das in der Geographie vielzitierte Konzept der "mental maps", der kognitiven Karten, bei: LYNCH, Kevin (1960): The image of the city. Boston. 19Vgl. allgemein BUNGE 1971 und BUTTIMER, Anne (1984): Ideal und Wirklichkeit in der angewandten Geographie. Münchener Geographische Hefte 51 sowie speziell: KRÜGER 1988:83; SEDLACEK 1989:12 .

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1

2

Wie sehen für mich die derzeitigen (sozial)räumlichen Veränderungen in Ehrenfeld aus, und weitergehend: Wie strukturiert sich die erdräumliche Lebenswelt um? Was sind die Bedingungen des Systems ? Wie nehmen die Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils diese Prozesse wahr? Was haben diese Prozesse für einen Einfluß auf die subjektiven sozialen Wirklichkeiten der Bewohnerinnen und Bewohner? Wie schätzen die Bewohnerinnen und Bewohner ihre 'Lebenswelt' ein?20

Nochmals betone ich: Punkt 2. kann nur qualitativ befriedigend angegangen werden. Ich muß die Beforschten auch deswegen in den Forschungsprozeß eingreifen lassen, weil mir die Alltagswelt Ehrenfelds weitgehend fremd ist. Nur durch eine offene Befragung habe ich Chancen, möglichst umfassende Ergebnisse zu erhalten und die zeitlich und persönlich begrenzten Mittel, die für die Anfertigung der vorliegenden Untersuchung zur Verfügung stehen, so effektiv wie möglich einzusetzen.21 Nach WERLEN 1987:22 geht es der handlungstheoretischen Sozialgeographie darum, die Problemsituationen von den Handlungen der Gesellschaftsmitglieder her zu verstehen. Nur so können die problematischen Handlungen aufgedeckt und Vorschläge22 mit Blick auf Veränderung gemacht werden. Ihm geht es darum, in Abgrenzung von szientistischen Erklärungsmustern auch nichtrationale Erklärungsmuster zu erfassen. II.B.2

Postmoderne und Sozialgeographie

Nachdem ich mit dem qualitativen Paradigma die Forschungsmethode beschrieben habe, geht es in diesem Kapitel eher um eine Gesellschaftstheorie. An geeigneten Stellen weise ich auf die Zusammenhänge zwischen beidem hin. Das qualitative Paradigma liefret die Grundlage meines Vorgehens und Ansätze der Postmoderne ein Hintergrundverständnis sowohl des Paradigmas selbst als auch der gesellschaftlichen Situation. Unter der ideologischen Linken haben die Ideen der Postmoderne wenig Freunde gefunden, da ihre pluralistischen Ansätze unter dem Verdacht stehen, alles Gegebene zu rechtfertigen. Die politische Rechte gewinnt ihr indes noch weniger ab, weil die Postmoderne auch mit dem tradierten Wertegerüst der westlichen Kultur bricht. Trotz dieser zweiseitigen Antipathie gab und gibt es einen Boom postmoderner Ansätze. DEAR begründet diesen Boom aus der Tatsache, daß die Postmoderne das Scheitern von Aufklärung und Rationalismus ans Licht bringt. "Postmodern thought holds that rationalism has failded both as an ideal and as a practical guide for social action, and that henceforward, we must manage without such Enlightment desiderata as decisive theoretical argument or self-evident truth." DEAR 1994:2 20Vgl. Kapitel I.B. 21Vgl. SEDLACEK 1989:10,11. 22Vgl. auch hier: SEDLACEK 1989:15.

15

DEAR stellt drei Hauptkonstrukte der Postmoderne heraus: Stil, Epoche und Methode, wobei letztere mich in diesem Zusammenhang am meisten interessiert. Zum Stil zitiert er vor allem die Wandlungen in der Architektur. Zur Epoche merkt er an, daß der Begriff Postmoderne von all denen benutzt wird, die damit eine Epoche nach der Moderne kennzeichnen wollen. Hier taucht die generelle Schwierigkeit auf, die zeitgenössische Epoche zu theoretisieren. Ein Beispiel für diese Schwierigkeit ist der Versuch, einen Sinn hinter den beobachtbaren rezenten sozialen Wirklichkeiten zu erkennen. Die Postmoderne als Methode bezeichnet DEAR als "a revolt against the rationality of modernism" (DEAR 1994:3). Ein Effekt davon ist das Verleugnen der Höherrangigkeit einer Methode über die andere, was etwa den Streit um 'weiche' oder 'harte' Wissenschaften absurd macht. So trifft sich die Diskussion um die Postmoderne mit dem Qualitativen Paradigma, indem postmoderne Ansätze ebenfalls davon ausgehen, daß es keine 'eine Wahrheit' gibt. Die Theorie wird selbst ein Teil der Diskussion. Sie steht weniger als früher über den Dingen. Der große interne Widerspruch der Postmoderne scheint zu sein, daß sie die These vertritt, es gebe keine großen Metaerzählungen mehr, letztendlich wohl aber selbst als eine solche zu betrachten ist. In einer "Arbeitsdefinition" versucht HASSE 1989:21 die Theorie der Postmoderne grob in zwei Strömungen, die "Philosophische Postmoderne" und die "Kritische Postmoderne", zu fassen. DEAR unterteilt die Postmoderne in die Kategorien "positive/affirmative" und "negative/sceptical" (HASSE 1994:4). Ich verwende die Unterteilung DEARs, da mir die Begriffseinteilung HASSEs aufgrund der Mißverständlichkeit des Begriffs "Philosophische Postmoderne" unscharf ist. Alle Überlegungen zur Postmoderne erscheinen philosophisch, daher ist dieses Adjektiv für die Bezeichnung einer Strömung innerhalb der Postmoderne mißverständlich. Die Positiv / Affirmative Sicht der Postmoderne betont, daß die Totalisierung des Fortschritts die Aufklärung ad absurdum geführt habe. Daraus folgt, daß die Aufklärung als universalistische Norm aufgegeben werden muß. Eine logische Folge liegt in der Toleranz von Dissenz und Differenz. Die großen Metaerzählungen haben ausgedient. Ein deutliches Beispiel liefert der Marxismus. Seine Lehre des 'Historischen Materialismus' verliert an Anhängerinnen und Anhängern und auch vergleichbaren Metaerzählungen schlägt starke Skepsis entgegen. Mehrfachcodierung ist das neue Zauberwort und taucht in Architektur über die Innenstadtgestaltung bis hin zur Diskussion um die Lebensstile auf.

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Die Negativ / Skeptische Sicht der Postmoderne hingegen "sieht in den kulturellen und architektonischen Artikulationsformen des Postmodernismus ein politisch affirmatives Konzept, das das fraktale Subjekt hinnimmt und sich mit der Gegebenheit des Kapitalismus ebenso arrangiert wie mit dessen Strategien der Verführung. Die individuelle Entfaltung des Menschen werde zwar als Ziel gesetzt, die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht, da die Ökonomie eben diese freie Entfaltung nicht zulasse." HASSE 1989:22

Mithin führen postmoderne Weltsichten lediglich zum Erleben der Gegenwart als einer "rauschhaften Veranstaltung" (HASSE 1989:22) oder als ein "Spektakel" (FERNÁNDEZ 1993:379)23 ohne Gedanken an die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen der Gegenwart. Diese Kritik an postmodernen Theorien (häufig von marxistischer Seite) dient auch dazu, die eigenen Forschungsmethoden und -projekte zu 'sichern'. Darüber hinaus bietet die Kritik jedoch durchaus ernstzunehmende Argumente. So wird angeführt, daß die Postmoderne von jedweder Politik zu ihrer Begründung herangezogen werden könne und daß sie als Leitfaden zur politischen Handlung unbrauchbar sei. Dem ist entgegenzusetzen, daß auch in postmodernen Zeiten weder eine Freiheit von politischen und moralischen Urteilen herrschen darf noch muß. Es wird von seiten der hier zizierten Kritikerinnen und Kritiker jedoch zumindest implizit behauptet, daß die Erkenntnis, es gebe keine 'großen Wahrheiten' mehr, davon befreit, um die 'beste' aktuelle 'Wahrheit' zu ringen.24 Meine normative Setzung, das keine Freiheit von moralischen Urteilen herrschen soll, unterstreicht allerdings die Kritik von marxistischer Seite insofern, als es sich um eine Setzung handelt, die nicht erforderlicherweise aus der Leugnung der tradierten Metaerzählungen folgt. Manche Autorinnen und Autoren lehnen den Begriff Postmoderne ab, weil sie kein Ende, sondern vielmehr eine Verlängerung der Moderne oder eine "Modernisierung der Moderne" beobachten. PRED25 bezeichnet die affirmative Sichtweise der Postmoderne als politisch gefährlich und sieht eher eine Hyper - moderne denn eine Post - moderne. Positiv entgegenzusetzen wäre, daß postmoderne Ideen zu einer Akzeptanz der Differenz auch für Menschen (etwa Homosexuelle) geführt hat, die wegen ihrer vermeintlichen Differenz ausgegrenzt und diskriminiert werden. Kritik kam auch von Gruppen, die zunächst durch die Postmoderne begünstigt wurden, so z.B. feministische Gruppen. Nach deren Etablierung beschweren sich nun Autorinnen, daß die Vieldeutigkeit der Postmoderne nicht politisch zeitgemäß sei.26

23Vgl. auch KRÜGER 1988:81. 24Dieses 'Ringen' um die 'beste' aktuelle Wahrheit als ein Prozeß diskursiver Einigung über Gegenwartsfragen im herrschaftsfreien Diskurs könnte als die Metaerzählung der Postmoderne definiert werde. 25PRED, A. (1992): Commentary: On 'Postmodernism, Language and the Strains of Postmodernism' by CURRY. In: Annals of the Association of American Geographers . 82,.2. Zit. n. DEAR 1994:8. 26Vgl. DEAR 1994:8.

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Geographische Untersuchungen widmeten sich postmodernen baulichen Landschaften, postmoderner Kultur, der wirtschaftlichen Umstrukturierung, und auch dem Paradigmenwechsel selbst.27 Die Untersuchungen zur wirtschaftlichen Umstrukturierung befassen sich besonders mit den Phänomenen der flexiblen Akkumulation (vgl. Kapitel II.C.2.4) und der räumlichen Organisation des Postfordismus (vgl.Ebd.). DEAR beurteilt die Postmoderne als lebendige Entwicklung, die der Geographie in den letzten 10 Jahren zu einem Image- und Bedeutungsgewinn verholfen hat. Jürgen HASSE plädiert "Für eine ganzheitliche Sicht jenseits wissenschaftstheoretischer Fixierung" und datiert die "Sozialgeographie [1989] an der Schwelle zur Postmoderne" (HASSE 1989:20). Der Autor nimmt Bezug auf die alte Fragestellung der Geographie nach den Mensch-Umwelt-Beziehungen. Die (Um-)Welt sei keine 'Sache an sich'. So wie sie sich dem Wissenschaftler oder der Wissenschaftlerin darbietet, ist sie Resultat seiner bzw. ihrer Wahrnehmung. Hier deckt sich erneut der auf postmoderne Gedankengang mit dem, was das qualitative Paradigma nahelegt. Drei Gründe sprechen nach HASSE angesichts der Veränderungen der Postmoderne für die Notwendigkeit erneuerter Selbstreflexion seitens der Sozialgeographie: 1 Das "Subjekt der Gesellschaft" (HASSE 1989:21) hat sich seit Ende der 70er Jahre in mehrfacher Hinsicht verändert. 2 Es finden wirtschaftliche, technische, politische, soziale und kulturelle Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur statt. 3 "Räumliche Konstrukte und Abstraktionen" (HASSE 1989:22) artikulieren die Postmoderne. zu 1) Die hier von HASSE genannten Beispiele lassen sich unter den Überschriften Individualisierung und Ausdifferernzierung der Lebensstile (vgl. Kapitel II.C.3.1 und 2) subsumieren. zu 2) Hier nennt der Autor die Erscheinungen des Postfordismus (vgl. Kapitel II.C.2.1), die Dualisierung der Gesellschaft in arm und reich (II.C.4.1), sowie die Postmoderne selbst. Der Postmoderne kommt eine wichtige Rolle in diesen Rahmenbedingungen zu. Als kulturelle Komponente mit Betonung auf Toleranz gegenüber der Dissenz tragen affirmative Sichtweisen in der Postmoderne zur Akzeptanz des für viele unangenehmen Status Quo bei, wie auch HASSE bemerkt: "Der Postmodernismus wird zum Entwicklungsgehilfen des Postfordismus. Kultur und Ökonomie durchdringen sich also wechselseitig. " HASSE 1989:21

27Vgl. DEAR 1994:7.

18

Meiner Ansicht nach ist der Postmoderne dieser Vorwurf aber nur bedingt zu machen. Die Leugnung der Existenz der 'einen Wahrheit' muß nicht vom Streit um den kleinsten gemeinsamen Nenner befreien. Vielmehr verhält es sich so, daß dieser Streit umso notwendiger wird, da die Orientierungslosigkeit in der Postmoderne den 'Normalzustand' darstellt. In der Literatur werden häufig die 'Neuen sozialen Bewegungen' als Gegenpol zu den bezüglich des Status quo affirmativen Auswirkung der Postmoderne genannt.28 zu 3) HASSE gibt drei raumbezogene Beispiele29 für die Konstrukte der Postmoderne: 1 2

die Gentrifizierung der Innenstädte Hyperräume (Beispiel der "Edmonton Mall", in welcher bei Außentemperaturen von minus 40ºC innen tropische Atmosphäre erzeugt wird) und 3 Regionalismus. Diese Beispiele postmoderner räumlicher Konstrukte stellt HASSE unter die Überschrift: "Zwischen Simulation, Verführung und handelnder Aneignung" (Ebd. 1989:21). Die Postmoderne führt die Geographie wieder in Richtung einer humanistischen Geographie, in der im Mittelpunkt der Erkenntnis eher das Subjekt als die 'Dinge an sich' steht.30 An diese humanistische Geographie wurden und werden die im Zusammenhang des qualitativen Paradigmas schon erwähnten Relativismusvorwürfe gemacht.31 Hier wird es unerläßlich, den Gefahren dieses Relativismus durch konsequente Einbeziehung der Bedingungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems zu begegnen. Als Konsequenzen der Postmoderne-Diskussion für eine geographische Erkenntnisgewinnung zählt HASSE auf: 1 2

3

"Der Raum ist als handlungs-und verhaltenssteuerndes Symbol der ideologie-, kultur- und zivilisationskritischen Analyse zu unterziehen. [...] Als Agierender im Raum hat nicht das konkrete Subjekt im Vordergrund zu stehen32; es hätte vielmehr um das dem subjektiven Sinn zugrundeliegende Allgemeine zu gehen. [...] Das agierende Subjekt ist nicht auf ein rationalistisches Menschenbild zu verkürzen."33 (HASSE 1989:26)

28Vgl. z.B.HASSE 1989, FERNÁNDEZ 1993. 29Vgl. HASSE 1989:21. 30Vgl. die Erläuterungen zur Hermeneutik oben. 31Vgl. DEAR 1994:5. 32 Vgl. die Kritik an der humanistischen Geographie. 33Eine Erkenntnis. die auch durch die humanistische Psychologie abgestützt wird: Etwa im Ansatz der Themenzentrierten Interaktion (tzi), die als Axiom setzt: "der Mensch ist eine psychobiologische Einheit".

19

BECKER 1990:20

Auch KRÜGER hebt hervor, daß es sowohl um die Behandlung der gesamtgesllschaftlichen, also der System-Perspektive, als auch um die Behandlung der Lebensweltperspektive geht. Quantifizierende Verfahren der Raumanalyse und ein qualitatives Vorgehen in der Lebensweltdeutung sollen hier zusammengehen.34 BECKER übt Kritik an den Entwürfen von HASSE und KRÜGER. Er bemerkt, daß HASSE und KRÜGER die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels hin zu einem "»konstruktiv-kritischen Postmodernismus« nicht aus der Kritik an einem unzulänglichen alten Paradigma ab[leiten] [...]sondern direkt aus der sich verändernden Realität." BECKER 1990:16

Das in der Postmoderne entstehende pluralistische Paradigma besagt, daß es notwendig sei, die Gesellschaft in ihrer vielfältigen Pluralität anzuerkennen.35 BECKER hinterfragt diese Aussage, ganz im Sinne der oben geschilderten Kritik an der Postmoderne.36 Weiterhin wirft er KRÜGER und HASSE einen Verlust an emanzipatorischer Perspektive auf gesellschaftlicher Ebene und kritiklose Akzeptanz des Gegebenen37 vor: "Die von FOUCAULT38 kritisierte Fassung des humanistischen Subjekts als Souverän und Untertan kommt der postmodernen Auffassung des Subjekts sehr nahe. In der Affirmation gesellschaftlicher Pluralität besteht doch gerade in dieser die Emanzipation des Individuums. Sie drückt sich im Postmodernismus darin aus, daß das Individuum die gesellschaftlichen Widersprüche anerkennt, in ihnen einen Sinn sieht und sie versteht. So mit dem 'System' und seinen Ansprüchen versöhnt, ist der Mensch frei: alles, was er wollen darf, will er. Ganz im Gegensatz zu der von KRÜGER geforderten Anerkennung der gesellschaftlichen Pluralität sieht FOUCAULT nur zwei Wege der individuellen Emanzipation: den des »politischen Kampfes als Klassenkampf"«, oder den der »'kulturellen' Attacke39«." BECKER 1990:20

Nach BECKER versuchen KRÜGER und HASSE die Quadratur des Kreises, indem sie dazu auffordern, verschiedene Ansätze füreinander fruchtbar zu machen. Darüberhinaus praktizieren sie seiner Meinung nach auf solche Art ein sinnloses und zusätzlich noch verschleierndes Verfahren: "HASSES Aufforderung an die Vertreter der 'radical /welfare' und der 'humanistic geography' über die Anerkennung des Dissenz oder dessen Überwindung zum Konsens zu gelangen, ignoriert allerdings, daß die sich hinter diesen Paradigmen verbergenden Weltsichten unterschiedliche Interessen gegenüber ihrem zu erklärenden Gegenstand beinhalten." BECKER 1990:21

34Vgl. KRÜGER 1988:92[???] 35Vgl. Ebd. 1988:39. 36Vgl. BECKER 1990:17. 37Vgl. auch hier wieder die Kritik am qualitativen Paradigma. 38Das Zitat von FOUCALT ist in BECKERS Text zu finden. Leider liefert BECKER keine genauere Literaturangabe als: 1982, 114 - 115. 39FOUCAULT beschreibt die kulturelle Attacke: "Aufhebung der sexuellen Tabus; Einschränkung des Drogenverbots; Aufbrechung aller Verbote und Einschließungen, durch die sich die normative Individualität konstituiert und sichert". Zit.n. BECKER 1990:20.

20

Meine Meinung dazu ist: Realitäten als gegeben zu bezeichnen bedeutet noch nicht notwendigerweise, sie anzuerkennen oder nicht verändern zu wollen, erleichtert es aber, sie zu untersuchen. Ihre genaue Untersuchung wiederum sollte einer gewollten Veränderung / Verbesserung hilfreich sein. Die Postmoderne erscheint in diesem Lichte als ein willkommener Anlaß, die Schärfe der bisherigen Untersuchungsinstrumente (Theorien) zum Verständnis gesellschaftlicher Strukturen zu überprüfen und Neues auszuprobieren.

21

II.B.3

Zusammenfassung "Postmodernism is simply something we must get used to." DEAR 1994:2

In den 60er Jahren kam es in den Sozialwissenschaften zur Entwicklung des Qualitativen Paradigmas. Zeitgleich stieß in der Krise des Fordismus der technische Fortschritt und damit der Glaube an ihn an Grenzen. Das qualitative Paradigma zog in der Sozialforschung ein neuerliches Interesse an hermeneutischen Ansätzen mit sich, in denen es eher um eine Verstehen der Welten denn um ein Erklären der Welt geht. Die 'eine Wahrheit' wird in ihrer Existenz bestritten. In diesem Zusammenhang werden Untersuchungen der Lebensweltwahrnehmung durch die Individuen wichtig. In den Fokus geographischer Untersuchungen gerät das Verhältnis zwischen den Systembedingungen gesellschaftlichen Zusammenlebens einerseits und den individuellen Rekonstruktionsprozessen der Wirklichkeit(en) durch die Menschen andererseits. Gerade zur Erfassung des zweiten Aspektes wird es wichtig, auch nichtrationale Elemente in die Untersuchungen einfließen zu lassen. Die Gesellschaftstheorie der Postmoderne unterstützt das qualitative Paradigma. Auch sie geht vom Scheitern des Rationalismus aus und fordert eine Anerkennung der vielfältigen Pluralität der Welt. Die Kritik wirft der Postmoderne vor, mit dieser Sicht könne alles gerechtfertigt werden - eine solche Haltung sei als Leitfaden unbrauchbar. Geographische Untersuchungen, die sich mit der Postmoderne auseinandersetzen, befassen sich mit postmodernen baulichen Landschaften, postmoderner Kultur, der wirtschaftlichen Umstrukturierung des Postfordismus oder mit dem Paradigmenwechsel selbst. Auch innerhalb der Geographie gibt es einen Streit, ob derartige Auffassungen der Wirklichkeit nicht letztendlich zu unkritisch den Status Quo stabilisieren. Ich selbst vertrete die Auffassung, daß Postmoderne und qualitatives Paradigma für Untersuchungen der Zeit, in der wir leben, unerläßlich sind. Die Kritik, so würde schnell alles beliebig, halte ich für beachtens- und bedenkenswert. Dennoch erübrigt sich die Frage nach Wertmaßstäben keineswegs durch tiefere und weitergehende Erkenntnis.

22

II.C

Bedingungen, Ursachen und Folgen rezenten Wandels in der Stadt "Städte sind gebautes Denken."40 "Drei Viertel der Stadtentwicklung sind exogen bestimmt." KOSSAK 199541

In diesem Kapitel geht es um die jüngeren Prozesse der Stadtentwicklung. Als 'jünger' wird der Zeitraum der letzten 30 Jahre (196542 - 1995) definiert. Wenn von 'der Stadt' oder 'den Städten' ohne Zusatz die Rede ist, meine ich Städte in Industrieländern der westlichen Welt. Dieses Kapitel hat für die Arbeit mehrere Funktionen: • Es zeigt, woher mein Vorverständnis von Stadtentwicklung stammt. Hiermit versuche ich, dem Anspruch gerecht zu werden, dem Leser dieser Arbeit, ganz im Sinne der Hermeneutik, mein Verständnis von Rezentem Wandel offenzulegen; • es liefert meine Deutung einer globalen Situation vor der auch Ehrenfeld sich entwickelt; • es begründet meine Herangehensweise an den Rezenten Wandel, also an wesentliche Veränderungen von Strukturen und Prozessen. Damit liefert das vorliegende Kapitel einen Großteil der Fragestellungen, die ich an den Stadtteil Ehrenfeld stelle. Das Kapitel befaßt sich allgemein mit weltweiten Umstrukturierungsprozessen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art und zeigt, welchen Einfluß diese Prozesse auf das Gesicht der Städte und dessen Wandel haben. Verschiedene Autorinnen und Autoren weisen auf diese Zusammenhänge hin. FERNÁNDEZ nennt sein Buch im Untertitel: "Die Metropole als Raum der globalen Krise" und bezeichnet die "Metropolitane Region" als "wichtigste Form der räumlichen Organisation des Postfordismus" (FERNÁNDEZ. 1993: 65, eig. Übers.). KRÄMER-BADONI schreibt: "Wer über die Stadt reden will, darf über die Gesellschaft nicht schweigen." (1995:1) und weiter: "Städte sind die zu Stein gewordenen Ergebnisse sozialer Auseinandersetzungen, gesellschaftlicher Diskurse und von Macht." KRÄMER-BADONI 1995:2

KRÄTKE faßt zusammen: "So wird die kapitalistische Stadt zum geographischen Knotenpunkt globaler gesellschaftlicher Restrukturierungsprozesse." KRÄTKE 1990:36

40Der Satz leitet das Einladungsprospekt zum "5.Internationalen Kongreß für Altstadt und Baukultur" ein. Der Kongreß fand vom 20. - 23. 9. 1995 in Essen statt und wurde vom Ministerium für Stadtentwicklung NRW mitveranstaltet. 41Egbert KOSSAK ist Oberbaudirektor der Freien und Hansestadt Hamburg. Das Zitat stammt aus seinem mündlichen Beitrag zum Symposium "Stadt der Männer Stadt der Frauen" Bonn, 20. und 21. 3. 1995 42Ungefähr Mitte der 60er Jahre wird in der Literatur der Beginn der Krise der fordistischen Produktionsstruktur gesehen. Vgl. Kapitel II.C.2.2.

23

Exkurs: Zur Geschichte der Stadt Dieser kurze Exkurs am Anfang des Kapitels soll einige wenige Gedanken zur Bedeutung der Städte in ihrer Geschichte liefern. Rezente Stadtentwicklungen sollten auch im Spiegel dieser städtischen Traditionen gesehen werden. Die Stadt ist stets ein Synonym für Freiheit gewesen. Auch wenn Mächtige immer wieder versucht haben, den urbanen Raum zu kontrollieren, hat dieser durch seinen multifunktionalen Charakter, seine labyrinthische Morphologie, seine Kontaktdichte und durch das Leben, das sich aus alledem bedingt, solchen Versuchen standgehalten. FERNÁNDEZ beschreibt diese Persistenzerscheinung: "Die Stadt hat im Laufe der Geschichte als Schmelztiegel des kollektiven Lebens agiert, und ihre Straßen und öffentlichen Räume haben eine mächtige erzieherische, sozialisierende und humanisierende Funktion ausgeübt." FERNÁNDEZ 1993:136, eig. Übers. In den letzten Jahrzehnten haben die von FERNÁNDEZ beschriebenen Funktionen der Stadt einen Wandel erfahren. Die Stadt hat von ihrer Funktion als dem Raum kollektiven Lebens eingebüßt. Vor allem die motorisierte Mobilität und das Konzept der Funktionstrennung (s.u.) hat dazu beigetragen. Gleichzeitig nimmt die räumliche Trennung der verschiedenen Gesellschaftsschichten wieder zu. Öffentliche Räume sind

mehr und mehr zu Verkehrsflächen geworden und verlieren so ihren

urbanen Charakter der Begegnung43. Gleichzeitig werden große Teile ehemals öffentlicher städtischer Räume privatisiert, und zwar genau die, die wirtschaftlich oder sozial als am wertvollsten eingeschätzt werden. Am stärksten betroffen sind die Innenstädte, die heute meist das Herzstück der 'Global Cities' (vgl. Kapitel II.C.4.3) bilden und alles andere als Büros, Verwaltung und nachgeordnete Dienstleistungen mit der Zeit aus ihr verdrängen. So wird die Stadt immer weniger ein Raum der menschlichen Beziehungen und des Zusammenlebens und immer mehr ein Wettbewerbsort44, in dem die Stadtregierung eher wie eine Unternehmensleitung agiert (vgl. Kapitel II.C.4.5) und nicht mehr den sozialen Ausgleich als direktes Ziel ansteuert. HÄUSSERMANN und SIEBEL betonen als entscheidendes Element von Urbanität die emanzipatorische Perspektive urbanen Lebens (Ebd.1992:4). Die Autoren sehen die Stadt als bürgerlichen Freiheitsraum. 'Stadtluft macht frei' hieß es einst. Gemeint war damit frei von Leibeigenschaft und frei zur Überwindung des eigenen sozialen Elends. Städte waren immer auch Zufluchtsorte der Menschen zum Schutz vor Natur und Zerstörung. Sie boten durch ihre Infrastruktur und durch Kommunikationsdichte, Anteilnahme und Solidarität, Schutz vor Kälte, Hitze, Trockenheit, Krieg, Überfällen usw. Die genannten Autoren konstatieren, daß Europa zwei Formen städtischer Kultur hervorgebracht hat, die bürgerliche und die proletarische. Beide Formen haben ihre sozialen Träger verloren. Der Wohlfahrtsstaat schützte den Kapitalismus vor sich selbst und das Ende des real existierenden Sozialismus setzte dem Selbstbewußtsein des Proletariates, die historischen Erben des Bürgertums zu sein, einen endgültigen Schlußpunkt. Die Urbanität verlor in diesem Zusammenhang ihre emanzipatorische Perspektive. "Heute - so scheint es - verweist die Existenz des Städters als Städter nicht mehr per se auf eine andere, bessere Gesellschaft." (HÄUSSERMANN / SIEBEL 1992:30). In ihrer Stellungnahme, die einen Teil der Diskussion um "Neue Urbanität" bildet, fordern die Autoren die Wiederherstellung dieser emanzipatorischen Perspektive der Städte. "Eine urbane Stadt ohne die Perspektive auf Überwindung sozialer Ungleichheit gibt es nicht." (Ebd. 1992:33). Ähnlich sieht dies ROBSON, der schlicht feststellt: "No city, no civilization" (ROBSON 1994:131).

43Diese Entwicklung scheint, zumindest für die BRD vorerst gestoppt und teilweise sogar wieder rückgängig gemacht. 44Vgl.: "Das 'Unternehmen Stadt'" in der Rede von von Donahny über Hamburg 1983 in ALISCH / DANGSCHAT 1993.

24

II.C.1

Zum Verständnis gesellschaftlichen Wandels Die Regulationsschule

Im Kapitel II.C.1 versuche ich, einen Ansatz zu liefern, der wie eine Klammer um möglichst viele der zu schildernden Entwicklungen gelegt werden kann, um so Zusammenhänge zwischen ihnen herzustellen und aufzudecken. Wie erforderlich ein solches Unterfangen ist, bestätigt BATHELT: "Ohne eine theoretische Fundierung ist es nur schwer möglich, die gegenwärtigen wirtschaftlichen, politischen und räumlichen Krisensymptome und Veränderungsprozesse in ihrem komplexen Zusammenwirken adäquat zu verstehen." BATHELT 1994:87

Da die Veränderungen in der Stadt räumlicher Ausdruck der ungleichen und ungleichzeitigen Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften sind, brauchen sie zu ihrer Erklärung eine Theorie, die der Diskontinuität kapitalistischer Entwicklung und den aktuellen Umstrukturierungen Rechnung trägt. Die ursprünglich französische Regulationsschule versucht eine solche Theorie. Sie erlaubt es, "unterschiedliche Perioden in der Entwicklung des Kapitalismus und die Bedingungen ihres Entstehens, ihrer langfristigen Kohäsion und ihrer Transformation zu identifizieren." AGLIETTA 1979:1645

Die Regulationsschule wähle ich als Bezugsrahmen des Kapitels II.C "Bedingungen, Ursachen und Folgen Rezenten Wandels in der Stadt", weil sie die auf den ersten Blick sehr heterogenen Elemente wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung, die in diesem Theoriekapitel dargestellt werden, in einen Zusammenhang einzubinden versucht. Als wesentliche Begriffe der Regulationsschule werden Akkumulationsregime und Regulationsweise skizzenhaft erklärt. LIPIETZ erklärt den Begriff Akkumulationsregime wie folgt: "Das Akkumulationsregime ist ein Modus systematischer Verteilung und Reallokation des gesellschaftlichen Produkts, der über eine längere Periode hinweg ein bestimmtes Entsprechungsverhältnis zwischen den Veränderungen der Produktionsbedingungen (dem Volumen des eingesetzten Kapitals, der Distribution zwischen den Branchen und den Produktionsnormen) und den Veränderungen in den Bedingungen des Endverbrauchs (Konsumnormen der Lohnabhängigen und anderer sozialer Klassen, Kollektivausgaben usw. ...) herstellt." LIPIETZ 1985:12046

Wichtigste Kriterien zur Unterscheidung verschiedener Akkumulationsregime sind nach AGLIETTA47 die Nutzungsweise der Arbeitskraft sowie ihre Reproduktionsform; mit anderen Worten: die Lebensbedingungen. Die wirtschaftlich-gesellschaftliche Struktur einer Volkswirtschaft wird in der Regulationsschule zu jedem Zeitpunkt in ein Akkumulationsregime (Wachstumsstruktur) und eine Regulationsweise (Koordinationsmechanismus) unterteilt. Beide Komponenten beeinflussen sich gegenseitig und haben gleichzeitig eine Eigen-

45AGLIETTA , Michel (1979): A Theory of Capitalist Regulation. The US - Experience. London. Zit.n. FELLNER / GESTRING 1990:9. 46LIPIETZ, Alain (1985): Akkumulation, Krisen und Auswege aus der Krise: Einige methodische Überlegungen zum Begriff "Regulation". In: Prokla, 15.Jg., 58, s. 109 - 137. Zit.n. FELLNER / GESTRING 1990:13. 47Vgl. AGLIETTA 1979:20 (genaue Literaturangabe oben) Zit.n. FELLNER / GESTRING 1990:13.

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dynamik.48 Stehen beide Komponenten im Einklang, haben wir es mit einer Formation, einem Entwicklungszusammenhang, zu tun. Die Gesamtheit der sozialen und politischen Muster, die die Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse sichern, macht die Regulationsweise aus. Die Regulationsweise ist auch Ausdruck von Machtverhältnissen. Ob sie für das jeweilige Akkumulationsregime die passende ist, indem sie seine Erhaltung und Reproduktion sichert, läßt sich immer erst im zeitlichen Rückblick sagen. Nach der Regulationsschule hat eine Regulationsweise solange Bestand, wie sie in der Lage ist, über Anpassungsleistungen in konjunkturellen Krisen das Akkumulationsregime zu erhalten.49 In strukturellen Krisen versagt dieser Erhaltungsmechanismus. Ein Wandel von Akkumulation und Regulation beginnt. Es kommt zu neuen Produktions- und Reproduktionsbedingungen sowie zu einer Veränderung der Machtverhältnisse. Neoklassische Entwicklungsmodelle beschreiben die Entwicklung der Wirtschaft zum Gleichgewichtszustand. Der Marxismus mißt die Entwicklung am Eigentum an Produktionsmitteln und sagt ein Endstadium in der klassenlosen Gesellschaft voraus. SCHUMPETERs Theorie der Langen Wellen stützt sich auf die soAbbildung Nr.2: Regulationstheoretische Grundstruktur der wirtschaftlichgesellschaftlichen Beziehungen in einer Volkswirtschaft. genannten Basisinnovationen Aus: BATHELT 1994:66. ("radikale Produktionsinnovationen"50) im Produktionsprozeß. Die Regulationsschule besagt, daß die Entwicklung der Wirtschaft "durch einen konsistenten wirtschaftlich-gesellschaftlichen Entwicklungszusammenhang gekennzeichnet [ist], der über einen größeren Zeitraum hinweg die vorherrschenden Technologien, Produktionsstrukturen, Konsummuster und Koordinationsmechanismen miteinander verbindet." BATHELT 1994:64

48Vgl. BATHELT 1994:65. 49Vgl. FELLNER / GESTRING 1990:15. 50Zit.n. BATHELT 1994:86.

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Die Neuerungen der geschilderten Interpretationsschule bestehen zum einen darin, daß sie keine feste Entwicklungsrichtung annimmt.51 Als zweite, für die vorliegende Arbeit wesentliche Neuerung ist der stärkere Einbezug gesellschaftlicher Komponenten zu nennen. Vor allem der zweite Aspekt macht die Regulationsschule trotz vorhandener Defizite für die geographische Forschung interessant.52 Die Wirtschaftsstruktur bestimmt nicht mehr allein die Entwicklung. 53 Die Regulationsschule ist nach FELLNER / GESTRING allerdings weder als einheitlicher Ansatz noch als schon abgeschlossenes Theoriegebäude zu betrachten.54 Kritik wird an der Regulationsschule aus verschiedenen Gründen geübt. Zunächst kommt es zu einem Mißverständnis bezüglich des Begriffs Regulation. Er beschreibt den Koordinationsmechanismus (franz.: régulation), der in einer Volkswirtschaft Produktion und Reproduktion ins Gleichgewicht zu bringen versucht. Oft wird jedoch in dem Begriff der Wunsch nach verstärkten staatlichen Eingriffen ins Wirtschaftsgeschehen gelesen, was zu Ablehnung führt. Ein anderer Kritikpunkt ist der marxistische Hintergrund der Theorie, der sich darin ausdrückt, daß die Pionierarbeiten stark in dieser Richtung beeinflußt sind. Mittlerweile wird der Ansatz aber von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlichster Couleur verfolgt.55 Weiterhin bleibt zu bemerken, daß mir die Abgrenzung der Begriffe Akkumulationsregime und Regulationsweise schwer fällt. Diese Unschärfe kann als Schwäche der Schule vermerkt werden. Gleichzeitig spiegelt sie allerdings die Verhältnisse wieder. Die bemängelte Unschärfe ist sozusagen "real existierend". Wie bereits angedeutet stellt die Regulationsschule für mich einen geeigneten Ansatz dar, verschiedenartige Entwicklungen aus Wirtschaft und Gesellschaft "unter einen Hut zu bringen".

51Wie es etwa der Marxismus durch die anzustrebende klassenlose Gesellschaft vorgibt oder in neoklassischen Modellen auf ganz andere Weise durch das sich einstellende Gleichgewicht zu erkennen ist. 52Vgl. BATHELT 1994:87. 53Vgl. FELLNER / GESTRING 1990:15. 54Vgl. Ebd. 1990:13. 55Vgl. BATHELT 1994:64, 74.

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II.C.2

Wirtschaftliche Veränderungen

Die Kapitel unter II.C schildern in der zeitlichen Reihenfolge Entwicklungen, die das Gesicht der Städte in den letzten 30 Jahren geprägt haben und es weiter prägen. Daß zuerst wirtschaftliche Entwicklungen dargestellt werden, soll nicht ausdrücken, daß die ökonomische Sphäre alles bestimmt. Im Sinne der Regulationsschule sehe ich eine Wechselwirkung zwischen primär ökonomischen und primär gesellschaftlichen Faktoren. BATHELT weist auf die Tiefe der rezenten wirtschaftlichen Veränderungen hin: "Die Bundesrepublik Deutschland und andere westliche Industriestaaten befinden sich derzeit in einer wirtschaftlichen Strukturkrise, deren negative Auswirkungen in der Nachkriegszeit einmalig sind. Stagnierendes Wirtschaftswachstum, sinkende Reallöhne, Kürzungen der staatlichen Sozialleistungen, Massenarbeitslosigkeit und Deindustrialisierung sind die äußeren Zeichen der Krise." BATHELT 1994:63

II.C.2.1 Fordismus

Der Ausgangspunkt der Formation des Fordismus ist die Massenproduktion gleicher Güter. Diese wird erst durch die zunehmende Spezialisierung und Standardisierung der Produktionsabläufe ermöglicht. Ein Auto beispielsweise wird nicht mehr als Unikat einzeln angefertigt. Diese individuelle Art der Fertigung ist arbeitsintensiv und erfordert hohe Ausbildungsgrade der Arbeiterinnen und Arbeiter, die viele verschiedene Arbeitsgänge beherrschen müssen. FORD spaltet den Produktionsprozeß in so kleine Einheiten auf, daß diese auch von ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern ausgeführt werden können. So entstehen jene monotonen und gleichförmigen Arbeitsprozesse, in denen eine Arbeiterin täglich nichts anderes tut als z.B. kleinste Handgriffe hundertfach zu wiederholen. Die Arbeitskosten werden gesenkt und die Massenproduktion gleicher Güter ermöglicht. Die Produkte verlassen das Werk im Einheitslook. Diese Form der Massenproduktion kann jedoch nur wirtschaftlich sein, wenn sie gleichzeitig auf ihr unabdingliches Pendant trifft: den Massenkonsum. Massenkonsum ist nur denkbar, wenn weite Kreise der Bevölkerung (die 'Massen') in einem gewissen Wohlstand leben. Das Erreichen eines solchen Wohlstands verlangt relativ hohe Löhne und Gehälter. In der Zeit des Fordismus werden diese unter starkem Einsatz der Gewerkschaften erreicht. Die Gewerkschaften haben in dieser Zeit einen hohen Organisationsgrad. Ihre Arbeit ist im Vergleich zu den Bedingungen des Postfordismus (s.u.) einfach. Das Akkumulationsregime des Fordismus führt zu großen Produktionseinheiten. Oft sind hunderte oder Tausende Beschäftigte in einem Betrieb tätig. Die spezialisierte, standardisierte Fertigung bringt monotone Arbeitsbedingungen mit sich (s.o.). Arbeitssicherheit findet in den Unternehmen wenig Beachtung, so daß oft unter gesundheitsgefährdenden oder -schädlichen Bedingungen gearbeitet wird. Was liegt also für die Beschäftigten näher, als ihrem Interessen Gehör und Kraft zu verschaffen und sich in der Gewerkschaft zu organisieren?

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Der Massenkonsum ist auch von Interesse für das Allgemeinwohl. Er sichert die Massenproduktion und damit eine hohe Beschäftigungsrate, hohe Steuereinnahmen, wirtschaftliches Wachstum usw. Der Wohlstand der 'Massen' wird von staatlicher Seite unterstützt. Dies geschieht vor allem durch eine keynesianische Wirtschaftspolitik, die versucht, durch antikonjunkturzyklische Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen das durch die Konjukturwellen des Kapitalismus bedingte Absinken der Gesamtnachfrage auszugleichen. In Zeiten ungenügender privater Nachfrage soll in diesem Ansatz der Staat verstärkt als Nachfrager auftreten (z.B. für die Bauindustrie), ggf. sogar, indem er dafür Schulden macht. II.C.2.2 Die BRD in der Phase des Fordismus

Die BRD tritt mit ihrem Aufbau in den 50er Jahren verstärkt in die Phase des Fordismus ein.56 Wichtig ist die Einbindung in den in jener Zeit eindeutig von den USA dominierten Weltmarkt. Die Industrie ist im zweiten Weltkrieg im Gegensatz zu den Städten weitgehend intakt gelassen worden. Arbeitskräfte sind ausreichend vorhanden und es gibt wenig Widerstände gegen den kapitalistischen Neuaufbau der Produktionsstrukturen. Durch die Migration von der DDR in die BRD wird zunächst der steigende Bedarf der Industrie nach Arbeitskräften problemlos gedeckt. Als dieser Zuzug in den 60er Jahren durch den Eisernen Vorhang abgebrochen wird, werden in Südeuropa Arbeitskräfte angeworben. Entsprechende Lohnzuwachsraten sichern die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten am neuen Wohlstand. Das Zusammenspiel von "Sozialer Marktwirtschaft" als Regulationsweise und "Wirtschaftswunder" als Akkumulationsregime funktioniert rasch, wie FELLNER / GESTRING feststellen: "Die Binnendynamik der Nachkriegsprosperität resultierte aus der Ausweitung des Massenkonsums auf die gesamte Arbeiterklasse und der sozialstaatlichen Regulation, so daß sich die gesellschaftliche Entwicklung der BRD als ein schnelles Hineinwachsen in das fordistische Zivilisationsmodell beschreiben läßt." FELLNER / GESTRING 1990:24

Die Durchkapitalisierung des Landwirtschafts-, Handwerks- und Dienstleistungssektors sowie das Ersetzen der noch in den ersten Nachkriegsjahren hohen Subsistenzgüterproduktion der Haushalte durch den Vorrang industriell verarbeitete und kommerziell vermarkteter Produkte geben weitere wesentliche Wachstumsimpulse. Die Märkte für Produktionsgüter erweitern sich auf diese Weise ebenfalls. Damit wächst die Produktivität. Die Löhne steigen zwischen 1950 und 1970 um jährlich 5% an, wodurch die Voraussetzung für den Massenkonsum gegeben ist. Die durch Arbeitszeitverkürzungen vermehrte Freizeit wird ebenfalls kommerzialisiert (Radios, Fernsehen usw.). "[S]tändig wachsende[.] Warenfülle"57 für die

56Auch vor dem II. Weltkrieg kann schon bedingt von fordistischer Produktionsstruktur gesprochen werden. 57Vgl. FELLNER / GESTRING 1990:25.

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Die Nachfragesteigerung nach Gütern der Montanindustrie, die der Koreakrieg 1950 bringt, verschafft der BRD den Sprung auf den Weltmarkt.58 Die Bedeutung des Exports für die Wirtschaft der BRD nimmt weiter zu.59 meisten Haushalte geht mit dem Verzicht auf Widerstand gegen das herrschende Akkumulationsmodell und seine Regulationsweise einher.60 Zunächst hält sich die politische Exekutive von allen direkten Eingriffen in die Wirtschaft fern. Mit der ersten SPD/FDP Regierung, die nach einer konjunkturellen Rezession an die Macht kommt, etabliert sich die "konzertierte Aktion", die das sozialdemokratische Konzept der keynesianischen Globalsteuerung als Regulationsweise zum Ausdruck bringt. Die Gewerkschaften akzeptieren niedrigere Lohnabschlüsse, die Kapitalrente erhöht sich wieder. So wird die Krise 1966/1967 noch mit der bestehenden Regulationsweise überwunden und bis 1974 kann erneut Wachstum und Vollbeschäftigung erreicht werden.61 II.C.2.3 Die Krise des Fordismus

Ende der 60er Jahre können die ersten Krisenelemente des Fordismus beobachtet werden, die sich allmählich ausweiten. Warum funktioniert nicht mehr, was zuvor viele Jahre Wachstum und relativen Wohlstand zu garantieren schien? Mit Hilfe der Regulationsschule betrachtet kommt es "[...] durch eine grundlegende Veränderung der Wachsttumsstruktur und / oder des Koordinationsmechanismus zu einer strukturellen Inkompatibilität zwischen den verschiedenen Teilkomponenten." BATHELT 1994:70

Der Zusammenhang zwischen Akkumulation und Regulation ist durch folgende Entwicklungen gefährdet: Das Zusammenspiel von Akkumulationsmodell und Regulationsweise stößt an immanente Grenzen: Die Kapitalproduktivität stagniert, da die Produktivitätsreserven des Fordismus erschöpft sind; gleichzeitig fallen die Lohnzuwachsraten nicht, da die Stärke der Gewerkschaften und des Sozialstaates ein Sinken der Löhne nicht zuläßt. Aus der Gleichzeitigkeit dieser beiden Entwicklungen ergibt sich eine sinkende Produktivität und folglich eine fallende Profitrate.62 Zusätzlich zu diesen endogenen Grenzen der fordistischen Formation verstärken exogene Entwicklungen im gleichen Zeitraum die Strukturkrise: Das sprunghafte Ansteigen der Rohölpreise in der sogenannten Ölkrise63 1973; das Auftreten neuer billiger Anbieter (Japan,

58 FELLNER / GESTRING 1990:23. 591977 werden fast 50% der Produktion exportiert. 60Vgl. Ebd. 1990:24 . 61Vgl. Ebd. 1990:27. 62Vgl. Ebd. 1990:28. 63Ich halte die Bezeichnung 'Ölkrise' für irreführend. Es war nicht das Öl, welches in der Krise war, sondern die Wirtschaften und Gesellschaften, die sich von der Verfügbarkeit und vom niedrigen Preis dieses Rohstoffs in hohem Maße abhängig gemacht hatten.

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die Schwellenländer) im Bereich der Massenproduktion; die Änderung der Konsummuster und die Sättigung des Marktes für die Güter der Massenproduktion sowie verstärkte Rationalisierungsmaßnahmen64 der Unternehmen. Die Krisenelemente verstärken sich selbst und setzen verschiedene "Teufelskreise" in Gang. Durch das Ansteigen der Rohölpreise wird die Produktion teurer. Produktion oder Teilproduktion wird zwecks Kostenersparnis selektiv ins Ausland verlagert.65 Für Westeuropa bedeutet das massive Arbeitsplatzverluste vor allem im sekundärem Sektor.66 Die ansteigende Arbeitslosigkeit verringert die Gesamtnachfrage. Eine gesunkene Nachfrage führt wiederum zu verringerter Produktion, die wiederum eine erhöhte Arbeitslosigkeit bedingt usw. Das massive Auftreten von Billigprodukten neuer Anbieter verringert zwar nicht den Massenkonsum, wohl aber die Nachfrage für Produkte einheimischer Unternehmen. Die Sättigung der Märkte für die Güter der MasSinkende Zunahme des PKW Bestandes in der BRD senproduktion ist absehbar. Sobald jede Familie z.B. ein Auto67 besitzt (vgl. Grafik), besteht nur 18% noch Ersatzbedarf und die Nachfrage auf diesem 16% Gebiet sinkt sprunghaft. 14% 12% Die Rationalisierungsmaßnahmen der Unterneh10% men führen zu Arbeitsplatzverlusten, dies wiede8% 6% rum mittelbar zu einer Minderung der Nachfrage 4% usw. 2% 0% Das Investitionsverhalten der Unternehmen stellt 1955 1965 1975 eine weitere entscheidende Veränderung dar. Der - 65 - 75 - 85 Jahre Anteil der produktiven Investitionen (gemessen an der Profitraten) sinkt von 1960 - 1976: 69% auf 1976 - 1982: 42%. 1983 beträgt er 30%.68 Es wird Abb. Nr.:3: Sinkende Zunahme des PKW-Bestandes in mehr in Wertpapiere als in Produktionsanlagen inder BRD. vestiert, weil hier die Zinsgewinne seit Anfang der Datenquelle: FELLNER / GESTRING 1990:25. 70er Jahre höher liegen. Daneben stößt die fordistische Produktionsweie auf soziale Grenzen. Abstinenz, kleine Sabotageakte und wilde Streiks äußern den Unmut und Widerstand gegen die Arbeitsverhältnisse. Wenngleich nicht von hoher Zahl, stellen diese Reaktionen doch einen wichtigen Faktor dar: "Auch wenn die Bedeutung dieser Kampfformen für den Produktivitätsrückgang wohl nur in Einzelfällen nachweisbar ist, zeigt sich ihre Wirkung sehr deutlich an den Reaktionen der

64Die Rationalisierungsmaßnahmen der Unternehmen könnten - je nach Sichtweise - auch als endogene Entwicklung betrachtet werden. 65Vgl. Die Neue Internationale Arbeitsteilung. Kapitel II.C.2.4. 66In 10 Jahren hat die Stadt Hamburg z.B. 30% ihrer gewerblichen Arbeitsplätze verloren, weit über 40% der Arbeitsplätze im Hafen. Angaben nach KOSSAK 1995:3. 67Das Beispiel Auto habe ich ausgewählt, weil es als ein Symbol des FORDismus anzusehen ist. Es hat großen Anteil an den sich in dieser Epoche herausbildenden Raumstrukturen, da es die erforderliche Mobilität ermöglicht. 68Zahlen nach FELLNER / GESTRING 1990:30.

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Unternehmen, die durch partielle Abkehr von der fordistischen Arbeitsorganisation die Kontrolle über den Produktionsprozeß wiedergewinnen und so die Macht der MassenarbeiterInnen brechen. In der BRD [...] manifestiert sich die relativ starke Position der Lohnabhängigen in den Steigerungsraten der Reallöhne, die nach den wilden Streiks im September 1969 von den Gewerkschaften durchgesetzt wurden." FELLNER / GESTRING 1990:29

II.C.2.4 Der Postfordismus und seine Auswirkungen

Die wirtschaftlichen Anpassungserscheinungen an die Krisensymptome des Fordismus führen zu wesentlichen Veränderungen im Akkumulationsregime und in der Regulationsweise. Im folgenden werden diese Veränderungen in den wesentlichen Punkten skizziert. Im einzelnen geht es um: "Flexible Akkumulation", "just-in-time" und "lean production", "Neue internationale Arbeitsteilung", "Postindustrialismus" und Tertiärisierung sowie Arbeitsplatzverluste und Strukturveränderung der Arbeitsplätze. Die "intensive Akkumulation"69, die den Fordismus kennzeichnet, ist geprägt durch große Unternehmen und Betriebe sowie einen hohen Grad an vertikaler Integration der Unternehmen. Der Postfordismus bringt ein "flexibles Akkumulationsregime" mit sich. Leitbild ist nicht mehr die Massenproduktion gleicher Güter, sondern die flexible Produktion mittels High-Tech-Industrie. Eine Spezialisierung des Konsums hat dazu geführt, daß die fordistische Produktionsstandardisierung oft nicht mehr angemessen ist. Eine Arbeitsorganisation in Gruppenarbeit gewinnt wieder zunehmend an Bedeutung, da auf diese Weise schneller und flexibler auf differenzierte Konsumwünsche eingegangen werden kann. Die Unternehmen verfolgen eine strikte Politik der Kostenminimierung. Der weitestgehende Abbau von Lagerhaltung ist ein Teil davon. Es wird "just-in-time" möglichst genau soviel produziert und geliefert, wie es der momentanen Nachfrage entspricht. Daneben verlagern viele Unternehmen ganze Teilproduktionen oder bestimmte Dienstleistungen (z.B. Rechts-, Finanz,- und Immobilienabteilung) nach außen (vertikale Desintegration70) und konzentrieren sich auf den Kern ihrer Produktion. Nach dem Leitbild der "lean-production"71 behalten sie sich die sogenannten 'Kommandofunktionen' vor. Beide Prozesse führen zum Wegfall gesicherter Arbeitsplätze in den großen Unternehmen und zur Entstehung neuer Branchen vor allem im Dienstleistungssektor. Diese neuen Unternehmen sind stark von der Nachfrage der großen Unternehmen abhängig.

69Vgl.FELLNER / GESTRING 1990:17. 70Vgl. KRÄTKE 1990:12. 71Deutsch: "schlanke Produktion". In der Folge entsteht der "schlanke Staat", der ebenfalls Bereiche aus dem eigenen Unternehmen auslagert, sprich: privatisiert. Zur lean production vgl. auch KRÄTKE 1990:10.

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Der Sektor der produktions- und finanzbezogenen Dienstleistungen erlangt eine vorher ungekannte Wichtigkeit.72 Die gewerkschaftliche Organisation der Angestellten ist hier sehr schwierig und die Arbeitsverhältnisse sind oft ungesichert. Schließlich bedingt "just-in-time" und "lean-production" noch eine gesteigerte Wichtigkeit von Telekommunikation und Transport und damit auch erhöhtem Energiebedarf.73 Während seit Mitte der 70er Jahre die produktiven Investitionen deutscher Unternehmen im Inland sinken, steigen sie im Ausland gleichzeitig sehr stark an. Auf der Basis der relativen Belanglosigkeit von Transportkosten74 und dank der Verfügbarkeit der neuen Telekommunikationstechniken suchen sich Großunternehmen Betriebsstandorte auf weltweitem Niveau jeweils an dem Ort, wo sich die Produktionskosten der betreffenden (Teil)Produktion auf das niedrigste Niveau drücken lassen. Diese Neue internationale Arbeitsteilung75 und Globalisierung der Produktion geschieht häufig unter Ausnutzung der geringen Sozial- und Umweltschutzauflagen vor Ort. Einige Branchen lagern ihre Produktion fast völlig aus der BRD aus. So geschieht es z.B. in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Die Auswirkung der Emigration der betreffenden Arbeitsplätze für die Ausgangsgebiete beschreibt die vorliegende Arbeit am Beispiel Köln-Ehrenfelds. Auf die Auswirkungen für die Zielgebiete der Auswanderung der Arbeitsplätze weisen FELLNER / GESTRING hin: "Die Produktion in Billiglohnländern, vorzugsweise in freien Produktionszonen, und der Reexport der Produkte in die kapitalistischen Zentren ist profitabler als die Inlandsproduktion, solange die Unternehmen nicht auf Marktnähe angewiesen sind und/oder zur weitgehenden Automation der Produktion in der Lage sind [...]. Durch diese Auslagerungen entsteht in den betroffenen Regionen der »bloody taylorism«,76 für den der Enklavencharakter der P roduktionsstätten und die Rechtlosigkeit und Überausbeutung der größtenteils weiblichen Beschäftigten charakteristisch sind." FELLNER / GESTRING 1990:31

In der Fordistischen Phase bildet der Produktionssektor die wirtschaftliche Basis der Städte. Mit der wirtschaftlichen Umstrukturierung des Postfordismus verschiebt sich der Schwerpunkt zum Dienstleistungssektor. Der Zuwachs an Arbeitsplätzen im Zuge der Tertiärisierung ist in zwei Bereiche aufzuteilen: Zum einen entstehen die schon erwähnten unternehmensbezogenen Dienstleistungen und darüber hinaus die haushaltsbezogenen Dienstleistungen. Erstere hängen unmittelbar mit der Umstrukturierung der Unternehmen zusammen. Die neuen Unternehmen im Tertiären Sektor übernehmen häufig Dienstleistungen, die vormals durch die Unternehmen, die heute Auftraggeber der neuen Unternehmen sind, selber getätigt wurden. Die Zunahme der haushaltsbezogenen Dienstleistungen bedingt sich durch die Zu-

72KRÄTKE 1990:30 weist darauf hin, daß in "höhere" und "niedere" produktionsorientierte Dienstleistungen unterschieden werden muß. Höhere produktionsorientierte Dienstleistungen werden häufiger erwähnt. An niederen produktionsorientierten Dienstleistungen sind z.B. Büroreinigung oder Botendienste zu nennen. 73FERNÁNDEZ 1993 bespricht die ökologischen Auswirkungen der Veränderungen des Postfordismus im Einzelnen. 74Auch nach den "Ölkrisen" bleibt Rohöl hinreichend billig. 75Vgl. KRÄTKE 1990:9, 34 und FERNÁNDEZ 1993:42. 76Vgl. LIPIETZ, Alain (1986): New Tendencies in the International Division of Labour: Regimes of Accumulation and Modes of Regulation. In: SCOTT, Allen und Michael STORPER (Hg.): Production Work Territory. Boston, London, Sydney.

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nahme der Erwerbsquote bei gleichzeitig hoher Kaufkraft und Konsumfreudigkeit der betroffenen Haushalte.77 In der postindustriellen Wirtschaftsstruktur sind heute z.B. in Hamburg fast 80% der Arbeitsplätze im tertiären Sektor zu finden, in Köln sind es 1994 über 71%.78 In der Produktion fällt durch die wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozesse die größte Zahl an Arbeitsplätzen weg.79 Auf der einen Seite entstehen sehr wenige, sehr gut bezahlte, hochqualifizierte Arbeitsplätze (Mikroelektronik, Programmierung, Finanz-, Immobilien-, Rechtsdienstleistungen u.a.) und auf der anderen Seite viele neue, schlecht bezahlte Arbeitsplätze niedrigen Ausbildungsgrades (Gastronomie, Freizeitsektor, Dateneingabe u.a.). Letztere werden vielfach von Frauen und Angehörigen ethnischer Minderheiten ausgeübt. Die Anstellungsverhältnisse sind oft aufgrund von Teilzeitverträgen, mangelnder gewerkschaftlicher Organisierung, schlechter sozialer Absicherung usw. als prekär einzustufen.80 Das Angebot an schlecht bezahlten Arbeitsplätzen, den sogenannten 'niedrigen Dienstleistungen', steigt schneller als das der qualifizierten, produktionsorientierten Dienstleistungen. Die Arbeitslosigkeit hält sich auf einem hohen Stand.

77Vgl. ALISCH / DANGSCHAT 1991:41. 78Quellen: KOSSAK 1995 für Hamburg und AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN für Köln. Vgl. auch Kapitel III.C.1 und III.C.2. 79Zahlen für Köln in Kapitel III.C.1. 80Vgl. KRÄTKE 1990:13 - 14.

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II.C.3

Demographische, soziale und gesellschaftliche Veränderungen

Als Individuum habe ich heute mehr verschiedenartige Möglichkeiten, mich in die Gesellschaft einzubinden, als vor 30 Jahren. Eine Vielfalt an neuen Lebensstilen ist in den Städten zu beobachten. Einerseits entsteht diese Vielfalt durch den Bedeutungsverlust bestimmter Traditionen, andererseits auch durch die stärkeren Einflüsse von außen, die durch die Zuwanderung gegeben sind. Gleichzeitig verfügt der größte Teil der Gesellschaft über höhere materielle Ressourcen, die ein wichtiges Kriterium bei der Wahl eines Lebensstils darstellen. Es ist Ziel des vorliegenden Kapitels, diesen Entwicklungen genauer nachzugehen. II.C.3.1 Individualisierung und Eingebundenheit

Insgesamt ist von 1970 - 1987 die Zahl der Haushalte in der BRD um ca. 19% von 22 Mio. auf über 26 Mio. Haushalte gestiegen. Die Bevölkerungszahl nahm von 1961 - 1990 nur um ca. 13% zu. Die Zunahme der Haushalte Altersaufteilung der Haushaltsvorstände der resultierte zum großen Teil aus der StrukturEin- und Zweipersonenhaushalte in Köln 1993 veränderung der Haushalte und hier vor allem aus der Zunahme des Anteils der Ein- und Zweipersonenhaushalte in den Städten. München > 60 und Hamburg haben jeweils mehr als 50% Einpersonenhaushalte sowie einen hohen Anteil an Zwei< 40 personenhaushalten (25% in Hamburg). In Hannover, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Heidelberg, Freiburg und Berlin ist die Situation ähnlich.81 40 - 59 KRÄMER-BADONI weist auf die quantitative Bedeutung dieser Entwicklung hin. 1987 werden in der gesamten BRD 26,2 Mio. Haushalte gezählt. Abb. Nr.4: Altersaufteilung der Drei Fünftel davon, oder 16,3 Mio. sind Ein- und Haushaltsvorstände der Ein- und Zweipersonenhaushalte. Diese unterteilen sich in Zweipersonenhaushalte in Köln 1993. Datenquelle: STADT KÖLN 1994:33 8,8 Mio. Ein- und 7,5 Mio Zweipersonenhaushalte.82 KRÄMER-BADONI sieht in der Individualisierung neben dem emanzipatorischen auch ein Element der Desintegration (Ebd.1995:3). Viele Menschen geben ihre traditionellen Einbindungsformen in Familie, Schicht und / oder Klasse auf. Sowohl Einbindung als auch Individualisierung sind in heutigen städtischen Gesellschaften zum Teil selbst gewählt. Dies betrifft vor allem die Familienstruktur und den Lebensstil. Soziale Eingebundenheit kann in vielen Fällen aber auch als tradierter Prozeß betrachtet werden. Es ist sicherlich schwerer, sich aus den letztgenannten Formen der Eingebundenheit zu lösen. Als Beispiel für eine bewußte Bejahung von Eingebundenheit sind ethnische Identität, aber auch die Wahl von Familienform und Lebensstil zu nennen. 81Angaben nach KRÄMER-BADONI 1995. 82KRÄMER-BADONI 1995:4

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Ein Beispiel zur Vielfalt der möglichen Lebensentwürfe bezüglich zeitgenössischer weiblicher Biographien liefert ein Gutachten der Enquête-Kommission "Demographischer Wandel" des Deutschen Bundestages.83 Das Gutachten stellt fest: Der Anteil der zeitlebens kinderlosen Frauen steigt. Im Jahrgang 1940 sind es 10,6%; 1960 26% und 1970 33%. Die Entwicklung tendiert seitdem eindeutig dahin, daß etwa ein Drittel aller Frauen kinderlos bleiben, ein zweites Drittel zwei Kinder haben und vom letzten Drittel die größere Hälfte (56%) drei und mehr, die kleinere Hälfte (44%) nur ein Kind haben wird. Neben der und quer zur Entscheidung über die Kinderzahl steht die Entscheidung über die Ausübung oder Nicht-Ausübung eines Berufs. Die individualisierenden Prozesse haben quantitative und qualitative Auswirkungen auf den Bedarf an Wohnungen: Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person beträgt z.Z. beispielsweise in Hamburg 45m2. In Köln sind es im Jahre 1993 über 33m2 mit steigender Tendenz.84 II.C.3.2 Vielfalt der Lebensstile

Einteilungen in Begriffe wie Schicht und Klasse scheinen nicht mehr auszureichen, die soziale Wirklichkeit zu beschreiben. Diese Wirklichkeit ist u.a. durch eine Auflösung der traditionellen Klassengesellschaft und der tradierten Lebenslaufmuster gekennzeichnet. Mit dem Begriff Lebensstile wird versucht, neue soziale Phänomene theoretisch zu fassen. Gemeint sind Entwicklungen wie z.B.: höhere Wahlfreiheit in der Gestaltung des Alltags, Abnahme der Verbindlichkeit von Traditionen, gestiegene materielle und immaterielle Ressourcen bei Teilbevölkerungen, u.a. Im folgenden richte ich mich in der Verwendung des Begriffs nach der Definition von ZAPF: "Wir begreifen Lebensstil als relativ stabiles Muster des Alltags im Rahmen gegebener Lebenslagen, verfügbarer Ressourcen und getroffener Lebensplanung [...]. Lebensstile sind individuelle Gestaltungsleistungen (Mikroebene), im Rahmen milieuspezifischer Wahlmöglichkeiten und Zwänge (mittlere Ebene), sowie gesamtgesellschaftlicher Niveaus und Erfahrungen (Makroebene)." ZAPF 1987:35

Den Versuch einer Systematisierung liefert VESTER. Die Abbildung auf der nächsten Seite verdeutlicht, daß den klassischen vertikalen Mustern der gesellschaftlichen Einteilung weitere horizontale hinzuzufügen sind.

83Vgl. SPIEGEL 1995:2. 84Vgl. KOSSAK 1995:6 und AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN 1994.

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Bei allen Versuchen der Einteilung gesellschaftlicher Schichten tritt derzeit ein Problem auf: Viele neue Kriterien müssen bei Gliederungsversuchen der Gesellschaft berücksichtigt werden. Bildungsstatus und ethnische Abbildung Nr.5: "Die lebensweltlichen Sozialmilieus der pluralisierten Klassengesellschaft". Zugehörigkeit sind Nach: VESTER u.a. 1993:16 nur zwei der neuen Dimensionen, die in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen haben. Verlängerung der Postadoleszenz, Verkürzung oder Ausbleiben der Phase der Kindererziehung, Verlängerung der Lebenserwartung und neue Möglichkeiten des Vorruhestands kennzeichnen neue Wege und Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung. Der Begriff der Lebensstile wird weiterhin verwendet, um soziale Milieus, typische Bedürfniskonstellationen und Werthaltungen, Haushaltkonstellationen, Freizeitverhalten und Geschmäcker zu kennzeichnen. Es liegt auf der Hand, daß sich neue Lebensstile vor allem in der Stadt entwickeln können. Hier ist die Kommunikationsdichte am größten, hier sind die Möglichkeiten, anderes auszuprobieren sowie die Anregungen dazu vielfältig. Gleichzeitig ist es möglich geworden, weitgehend ohne feste Einbindungen finanziell unabhängig zu leben. Ausdruck von alledem sind z.B. die schon zitierten neuen Haushaltstypen: Wohngemeinschaften, Nicht-eheliche Gemeinschaften (mit und ohne Kind), verheiratete Paare ohne Kinder, Alleinlebende, Alleinerziehende usw. Aus der Ausdifferenzierung der Lebensstile folgt für die Stadt eine Pluralisierung, die auch Ansätze von Polarisierung, etwa in Verdrängungsprozessen durch Gentrification, aufweist. Darüber hinaus verlieren klassische Modelle wie z.B. der Lebenszyklus rapide an Erklärungskraft. Durch bestimmte Lebensstile haben die Städte in ihrer Entwicklung seit den 70er Jahren neue Impulse erfahren. Hausbesetzer setzen sich für den Erhalt alter Bausubstanz ein und Bürgerinitiativen kämpfen für Partizipation bei der Planung und für mehr städtische Öffentlichkeit. Neue kulturelle Einrichtungen entstehen privat und auch von städtischer Seite. Neue Konfliktlinien zwischen (neuen) Bevölkerungsgruppen haben sich entwickelt. Von Gentrifi-

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cation85 betroffene innenstadtnahe Wohngebiete liefern hierfür an vielen Orten Beispiele. Zu traditionellen Arbeitermilieus gesellt sich ein "alternatives" Milieu. Anschließend folgt die Einwanderung der 'Yuppies' und 'Dinkies'86, die mit ihren Konsum- und Lebensgewohnheiten einen krassen Gegenpol zur ursprünglichen Bevölkerung dieser Gebiete darstellen. II.C.3.3 Zuwanderung

In der Bundesrepublik Deutschland leben am 6.6.1961 56,175 Mio. Menschen.87 Am 31.12.1990 sind es auf dem gleichen Gebiet 63,254 Mio. Der Anteil und die absolute Zahl der deutschen Bevölkerung (hier verstandenen nach dem geltenden "ius sanguis") ist zurückgegangen, der Anteil Eingewanderter dementsprechend gestiegen. Grund für den Rückgang der deutschen Bevölkerung ist der Mitte der 60er Jahre einsetzende Geburtenrückgang, der sogenannte "Pillenknick". Die Zahl der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer steigt zwischen 1961 und 1990 von 686 200 (1,2%) auf 5,342 Mio. (8,4%). Das Bevölkerungswachstum in der BRD ist also zum großen Teil auf internationale Migrationsbewegungen zurückzuführen.88 Nach Staatsangehörigkeit unterschieden fällt auf, daß Menschen italienischer und türkischer Staatsangehörigkeit die größten Zuwanderungszahlen ausmachen. Der Anteil der Italienerinnen und Italiener an den nach Deutschland eingewanderten Menschen nahm prozentual stark ab (von 28,7% 1961 auf 10,3% 1990), die absolute Zahl stieg (1961: 196 700; 1990: 552 400). Der Anteil von Menschen türkischer Staatsangehörigkeit an der nichtdeutschen Bevölkerung in der BRD stieg prozentual und absolut (von 6 700 = 1% 1961 auf 1,694 Mio. = 31,7% 1990). Die beschriebene Einwanderung ist auf den Prozeß der Arbeitsmigration zurückzuführen. Seit den 80er Jahren und verstärkt seit 1989 ist die Zuwanderung durch die Öffnung des "Eisernen Vorhangs" durch Übersiedlung von Ost- nach Westdeutschland und durch Zuwanderung Deutschstämmiger erweitert. Daneben spielen Flüchtlinge vor allem aus Staaten der "Dritten Welt" als Asylbewerber eine Rolle, die allerdings meiner Meinung nach in der öffentlichen Diskussion stark überbewertet wird. Durch die De-facto-Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl sind die Zahlen zudem seit 1993 extrem gesunken. Zahlenmäßig hauptsächlich verantwortlich für die gewachsene Multikulturalität und Multiethnizität in der BRD ist nach wie vor die Arbeitsmigration. Die wesentlichen Wanderungsbewegungen der deutschen Bevölkerung in der Zeit seit dem zweiten Weltkrieg sind die Suburbanisierung und die Wiederbelebung der Kernstädte. Sie werden in II.C.4.1 und II.C.4.2 besprochen.

85Vgl. II.C.4.1. und III.C.1. 86Yuppies: Young Urban Professional People; Dinkies: Double Income, No Kids. 87Alle Zahlen nach: STATISTISCHES BUNDESAMT 1994:72. 88Hierbei ist allerdings zu beachten, daß statistisch auch in der BRD geborene Kinder ausländischer Eltern als am Tage ihrer Geburt eingereist gelten. Durch diese Praxis wird z.B. nicht offensichtlich, daß über 70% der in Köln lebenden Türkinnen und Türken unter 25 Jahren auch in Köln geboren sind.

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II.C.4

Prozesse und Strukturen der Stadt 1965 - 1995

Der räumliche Reflex des Fordismus war die nach Funktionen aufgeteilte Stadt. Sie gleicht sich in einem typisierten Idealbild der zentralen Form der Arbeitsorganisation im Fordismus an: dem Prinzip des Fließbands89. Diese Art des Städtebaus wurde in den 40er Jahren in der 'Charta von Athen' festgeschrieben und erhielt weltweiten normativen Charakter. Die Stadt wurde in Räume des Wohnens, der Versorgung, der Bildung, des Verkehrs, der Kommunikation, der Arbeit und der Erholung getrennt gedacht und gebaut. "Form follows Function" galt auch für den Städtebau. Im Folgenden werden die Entwicklungen der räumlichen Strukturen und Prozesse seit den 60er Jahren skizziert. II.C.4.1 Suburbanisierung

Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs beginnt eine Stadtrandmigration. Trabantensiedlung90 oder Einfamilienhaus sind die Zielräume dieser Bewegung. Schon seit den 50er Jahren sind innenstadtnahe Wohngebiete in der BRD durch Abwanderung der deutschen Bewohnerinnen und Bewohner gekennzeichnet.91 Von 1971 bis 1985 verlor die Stadt Hamburg beispielsweise 203.000 Einwohner.92 Aus dieser Entwicklung ergeben sich neue regionalökonomische Ungleichheiten. Die Städte haben einen Verlust von Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Arbeitsplätzen zu beklagen. Gründe hierfür sind die Verdrängung von Wohnen und Warenproduktion durch den tertiären Sektor und die freiwillige Suburbanisierung. FELLNER / GESTRING resümieren: "Die Verallgemeinerung des fordistischen Konsummodells93 - Einfamilienhaus und Auto wirkte sich zu Lasten der Großstädte aus und führte zu Bevölkerungsverlusten, als die Randwanderung die Stadtgrenze überschritt und nicht mehr durch Flüchtlinge und Arbeitsemigranten, die die Kernstädte der Wohnorte bevorzugen, kompensiert wurde." FELLNER / GESTRING 1990:34

Noch bis Anfang der 70er Jahre haben die Kernstädte positive Migrationssalden aufzuweisen. Von 1978 - 1983 schrumpft die Bevölkerung in der BRD insgesamt um 0,5%, in den Kernstädten hingegen um 4,2%. In den Umlandgemeinden wächst sie um 1,5%.94 Von 1976 1983 wächst auch die Beschäftigtenzahl in den Umlandgemeinden um 4,7%, während sie in den Kernstädten um 3,6% zurückgeht. Im Bereich der Industrie verlieren die Kernstädte zwischen 1971 und 1981 gar 33% der Arbeitsplätze. Die Suburbanisierung hat für die Städte also finanzielle, soziale und wirtschaftliche Folgen95, die zur Umstrukturierungskrise dazukommen.96 Auf diese Doppelbelastung weist ROBSON hin:

89vgl. HITZ 1992:77. 90Gemeint sind die Großsiedlungen, wie im Kölner Fall z.B.: Kölnberg, Chorweiler, Ostheim oder Bocklemünd-Mengenich im Stadtbezirk Ehrenfeld. 91Vgl. KIP 1993:5. 92Vgl. KOSSAK 1995:4 93Vgl. Kapitel II.C.2. 94Zahlen nach FELLNER / GESTRING 1990:34. 95Vgl. KRÄMER-BADONI 1995. 96Vgl. Kapitel II.C.2.

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"During the 1970s, virtually all of the bigger cities in Germany, Belgium, the Netherlands and even France showed increasing population loss. [...] In most cases in Atlantic Europe population loss was accompanied by economic contraction and growing evidence of social and economic problems." ROBSON 1994:136

Eine wichtige soziale und gesellschaftliche Folge der Suburbanisierung ist die teilweise "Rücknahme der Emanzipation der Frau", wie es KRÄMER-BADONI formuliert. Die Suburbanisierung geht einher mit dem Berufs- und Mobilitätsverzicht, zumindest der Selbstbeschränkung von Frauen.97 Die "innere Stadt - Stadtrand - Migration" ist, was die Einfamilienhaussiedlungen angeht, hochgradig selektiv bezüglich der Einkommen. Es entstehen schärfere Segregationen98 sowohl am Stadtrand als auch in den Städten. "It is you and I who leave; it is not the poor lone parents, the ill-housed elderly, the unemployed ethnic minority households." ROBSON 1994:1399

In der deutschsprachigen Diskussion werden die in den Städten Verbleibenden mit den "fünf A´s" gekennzeichnet: Alte, Arme, Arbeitslose, Ausländer, Asylbewerber. Wenn auch der Einwohnerrückgang der Kernstädte Mitte der 80er Jahre aufhört, so ist die Suburbanisierung ein noch anhaltender Prozeß, der auch durch die Zunahme des gewünschten m2-Anteils an Wohnfläche100 pro Person beschleunigt wird. Hier geht Suburbanisierung mit Individualisierung Hand in Hand.101 KRÄMER-BADONI sieht durch beide Prozesse den "Status des Städters" verändert: Er entwickelt sich vom "Stadtbürger zum Stadtnutzer" (KRÄMER-BADONI 1995:5). Der ebenfalls auftretende und in gewisser Hinsicht gegenläufige Prozeß, nämlich die Wiederbelebung der Innenstädte und innenstadtnahen Gebiete, wird im folgenden behandelt. Es soll jedoch nicht aus dem Auge verloren werden, daß es sich, zahlenmäßig gesehen, nicht um eine ernsthafte Gegenbewegung handelt. Quantitativ ist z.B. die Wanderung ausländischer Bevölkerung in die Städte wichtiger. Für das Gesicht der Städte ist die Bedeutung der Gentrification kaum zu unterschätzen. Dies gilt jedoch für einige Stadtteile in weit stärkerem Maße als für andere.

97Es hätten genausogut die Männer sein können. 98Deutliche Kritik an der Suburbanisierung übte Alexander MITSCHERLICH. Sein 1965 erschienener Titel "Die Unwirtlichkeit unserer Städte" drückt aus, daß die Entwicklungen seiner Meinung nach zu einem Verlust an Urbanität führen. 99Vgl. auch KIP 1993:5. 100Vgl. Kapitel II.C.3.1. 101Vgl. KRÄMER-BADONI 1995:5.

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II.C.4.2 Gentrification

Der Begriff Gentrification102 bezeichnet die Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete im Zusammenhang mit einem qualitativen Bevölkerungsaustausch. Zwischenzeitlich verfällt die Bausubstanz der innenstadtnahen Wohngebiete in vielen Städten. Bedingt durch die Attraktivität des Stadtrandes als Wohnstandort sinken die Renditen für die innerstädtischen Wohnungen und damit die Investitionsbereitschaft der Eigentümer. Dadurch sinken die Mietpreise oder blieben mindestens auf einem vergleichsweise geringen Niveau. Entsprechend ziehen einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, z.B. eingewanderte Bevölkerung, hierhin (oder vollziehen die Suburbanisierung nicht mit). In den 70ern und 80ern ist ein Trendbruch zu beobachten. Innenstädte und innenstadtnahe Gebiete gewinnen im Zuge der demographischen103 und gesellschaftlichen Veränderungen sowie der Ausdifferenzierung der Lebensstile an Attraktivität.104 Idealtypisch werden Prozesse des Zuzugs in innenstadtnahe Wohngebiete durch die alternative Szene begonnen. Künstlerinnen und Künstler, Musikerinnen und Musiker sowie Studierende beziehen alte Fabrikgebäude und verfallene Häuser. Diese Stufe des als Gentrification beschriebenen Prozesses wird als Pionierstadium bezeichnet und die einziehenden Personen demzufolge als Pioniere.105 Die betreffende Bevölkerung ist durch niedriges finanzielles, aber hohes kulturelles und soziales Kapital106 gekennzeichnet. Abb. Nr.6: Präsentation eines 1969 für das Einige Stadtviertel wären vermutlich ohne die Bewegung Gelände des heutigen Leo-Amman-Parks der Hausbesetzer heute ein Opfer einer Sanierungspolitik, (vormals VDM und andere Industrieunternehmen) geplanten "Wohnturm". die an die Stelle erhaltenswerter Wohnbausubstanz ParkAus: Kölner Stadtanzeiger vom 22. Juni 1995 häuser und Bürokomplexe geplant hatte. Auch Ehrenfeld ist in den 70er Jahren, wie auf der Abbildung zu erkennen, zwischenzeitlich als zukünftige Hochhausstadtteil gedacht. Der Pionierbevölkerung ist die entsprechende Infrastruktur hinsichtlich Gastronomie, Einzelhandel und kulturellen Einrichtungen gefolgt, und nach und nach wird es auch für einkommensstarke Haushalt wieder attraktiv, in innenstadtnahen Wohngebieten zu wohnen. Ab Mitte bis Ende der 70er Jahre ist in der BRD der Prozeß der Gentrification zu beobachten. Er kann als zentripetale Gegenentwicklung zur Suburbanisierung betrachtet werden.

102KIP erläutert: "[...](im ursprünglichen Sinn war [unter Gentrification] »Rückwanderung des bodenbesitzenden Adels in innenstadtnahe Viertel« zu verstehen)[...]" KIP 1993:6 - 7. 103Die geburtenstarken Jahrgänge kommen auf dem Wohnungsmarkt zur Geltung. 104Vgl. KIP 1993:7. 105Vgl. DANGSCHAT, Jens (1988): Gentrification. Der Wandel innenstadtnaher Wohnviertel. In: FRIEDRICHS, Jürgen (Hg.): Soziologische Stadtforschung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen . s. 272 - 292, und KIP 1993:1. 106Begriffe nach BOURDIEU 1991.

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Im Prozeß der Sanierung und Erneuerung werden die erwähnten Stadtgebiete den Bedürfnissen der Gentrifier angepaßt. Die Gentrifier unterscheiden sich von der Pionierbevölkerung durch ihr höheres Einkommen, von der alteingesessenen Bevölkerung durch ihr höheres Einkommen und ihren höheren Bildungsgrad. Die angesprochene Anpassung geschieht nach KIP in "heruntergekommenen ehemaligen Arbeitergebieten" (KIP 1993:1), zu denen der Stadtteil Ehrenfeld zu zählen ist, mittels einer Aufwertung des Wohngebietes, die durch kommunale Maßnahmen eingeleitet wird. In der Folge sind es idealtypisch Yuppies und Dinkies als neue Bewohnergruppe sowie Büros als neue Arbeitsplätze. Die neue Bevölkerungsgruppe kann sich wegen ihrer Finanzkraft gegen die alteingesessene Bevölkerung (und teilweise auch gegen die Pionierbevölkerung) durchsetzen und diese verdrängen. Teilweise wirken Spekulation und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnung an diesem Prozeß mit. Nach BLASIUS / DANGSCHAT (1990:20-28) sind es fünf Faktoren, die die Rahmenbedingungen sowohl für die Suburbanisierung als auch für die Gentrification107 darstellen:108 1 Wirtschaftliche Entwicklung (vgl. Kapitel II.C.2); 2 Bevölkerungszahl und -zusammensetzung (vgl. Kapitel II.C.3); 3 Reaktion der Bevölkerung auf die Ökonomie, Demographie und auf den sozialen Wandel (Lebensstile, vgl. Kapitel II.C.3.2); 4 Die veränderte Nachfrage und das veränderte Angebot auf dem Wohnungsmarkt; 5 Die Beeinflussung der Faktoren durch städtische Politik und Planung. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Gentrification einen die Städte prägengenden Prozeß Rezenten Wandels darstellt.109 Dabei kommt es über Verbesserung der Bausubstanz und Infrastruktur zur Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel. Negative Folge ist die Verdrängung finanzschwacher Bevölkerung und ihrer sozialen Infrastruktur. Diese finanzschwachen Bevölkerungsgruppen sind grob in zwei Untergruppen aufzuteilen: die traditionelle Bevölkerung des Viertels und die zugezogezogene "alternative" Bevölkerung, die im Prozeß der Gentrification als Pioniere begriffen werden. Die alteingesessene Bevölkerung hat die Tradition solcher Viertel wesentlich geprägt und die "alternative" Bevölkerung eine wichtige Rolle bei Erhalt und Wiederbelebung der Viertel gespielt.

107Zur Gentrification vgl. auch: KRÄTKE 1990:31. 108 BLASIUS / DANGSCHAT 1990:20-28. 109Die Aktualität des Themas für den Wandel des Gesichts der Städte betonen auch KOSSAK 1995:4 und KIP 1993:6.

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II.C.4.3 "Global City"110 und "Headquarter Economy"

Zeitgleich mit dem Auszug der großen fordistischen Fabriken aus den Städten ist zu beobachten, daß die "Kommandofunktionen"111 für die neuen Produktionsorte und Modelle in den Städten verbleiben und sich dort konzentrieren. Diese Kommandofunktionen der Unternehmen gewinnen besonders angesichts der starken Konzentrationsprozesse der sich umstrukturierenden Wirtschaft an Bedeutung. Es gibt nur zwanzig Staaten, deren Bruttoinlandsprodukt den Umsatz von General Motors übersteigt. In der größten Finanzhilfeaktion der Geschichte brachten die G7 Staaten im Dezember 1994 gemeinsam 50 Milliarden US-$ zur Rettung der angeschlagenen mexikanischen Wirtschaft auf. Die drei größten US-amerikanischen Rentenfonds kontrollieren gleichzeitig alleine schon 500 Milliarden US-$.112 GAUTHIER stellt hinsichtlich der globalen Unternehmenskonzentration fest: "Die 500 hinsichtlich ihres Handelsvolumens weltweit größten Unternehmen vereinen auf sich mehr als ein Drittel der Produktion. Und die 200 größten unter ihnen verfügen über ein Viertel des Weltbruttosozialprodukts." GAUTHIER 1989113

Auch in den Städten ist diese Machtverteilung zu erkennen. Die Finanzknappheit der Kommunen, die zunehmenden Privatisierungen und Aussagen, wie die KOSSAKs, drei Viertel der Stadtentwicklung seien exogenen Ursprungs, sprechen eine deutliche Sprache, in der sich Globales und Lokales verbindet. Die derart gewachsenen Unternehmen haben in der Regel Produktion und Management an getrennten Orten.114 Für die Produktion wird unabhängig vom Standort des Managements der kostengünstigste Standort gewählt, an dem meist wenig bis keine Sozial- und Umweltabgaben zu entrichten sind. Das Management verbleibt in der Hauptverwaltung in den Städten (Kommandofunktionen: Finanz- und Rechtsabteilung, Marketingabteilung, Forschung und Entwicklung usw.). Mit dem Wirtschaftsaufschwung der 80er Jahre etablieren sich einige Städte als "Global Cities' und üben weltweite Koordinationsfunktionen der Wirtschaft aus. Große internationale Banken und multinationale Unternehmen, die für 70 - 80% des Welthandels verantwortlich sind, konzentrieren ihre Standorte auf diese Städte. So entsteht eine verstärkte Nachfrage nach zentralen Orten und die "Global City" wird unerläßlich, um diese Funktionen auszuüben. Das wiederum führt zu einer tiefen Umstrukturierung der betreffenden Städte, in welcher sich auf diese Weise globale Größen über lokale Determinanten etablieren. Gleichzeitig tritt das Lokale als Bühne des globalen Kapitalismus auf.

110Im europäischen Fall wird manchnal auch von der "Eurocity" gesprochen. 111Vgl. Kapitel II.C.2.4 112Alle Zahlen nach: RAMONET, Ignacio (1995): Formen der Macht am Ende des 20.Jahrhunderts. In: Le Monde Diplomatique, Deutsche Ausgabe, 12. Mai 1995, S.19. 113GAUTHIER, Yves (1989): La Crise Mondiale de 1973 à nos Jours. Paris. zit.n. FERNÁNDEZ 1993:45, eig.Übers. 114Vgl. Kapitel II.C.4.

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Die Docklands in London, La Défense in Paris und die City West in Frankfurt stellen allesamt Beispiele urbanistischer Operationen dar, die dazu dienen, genau diese "Global- CityFunktionen" zu beherbergen. KRÄTKE faßt die geschilderte Entwicklung zusammen und bezieht sie auf andere, oben schon besprochene Prozesse rezenten Wandels: "Der in den »High-Tech-Metropolen« und »Global Cities« kulminierende Ausbau der Stadt zu einem international konkurrenzfähigen Finanz-Zentrum und Unternehmens-Hauptquartier, sowie zum Konsum- und Kulturzentrum für die führenden Schichten der modernen kapitalistischen Gesellschaft bringt erstens eine ausgeprägte Polarisierung des Arbeitsmarktes auch innerhalb der städtischen Büro- und Geschäftszentren, die Zunahme hochbezahlter Fach- und Führungskräfte bei gleichzeitiger Ausweitung niedrigst entlohnter flexibler Lohnarbeitsverhältnisse. Zweitens kommt es zu einer »Polarisierung« bzw. Heterogenisierung des sozial-räumlichen Gefüges der kapitalistischen Stadt durch intensive Gentrifizierungsprozesse in innerstädtischen Wohnquartieren und zunehmend kleinräumige differenzierte Segregationsprozesse." KRÄTKE 1990:35

Verschiedene Autoren grenzen die Zahl der "Global Cities" unterschiedlich ab. An erster Stelle sind New York, London und Tokio115 zu nennen. Sie spielen die wichtigste Rolle auf den globalen Finanzmärkten. Die Sichtweise von bestimmten Städten als "Global Cities" schmälert die traditionell hochbewertete Bedeutung der in ihnen lokalisierten Produktionsfunktionen und erweitert so die Erkenntnismöglichkeiten für rezente städtische Entwicklung.116 Gleichzeitig öffnet das Konzept die Augen für die "Entregionalisierung"117 von Städten, d.h. die zunehmende Orientierung der Städte an internationalen Geschehen und internationalen Märkten.

115Vgl. SASSEN, Saskia (1991): The Global City: New York, London, Tokio. Princeton; sowie FERNÁNDEZ 1993:66. 116Vgl. KRÄTKE 1990:18. 117Ebd. 1990:22.

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II.C.4.4 Geteilte Stadt

Die hier betrachteten Entwicklungen führen zu einer "Polarisierung der Reproduktionsbedingungen von Haushalten / Familien" (KRÄTKE 1993:10). HÄUSSERMANN / SIEBEL118 sehen den städtischen Raum hinsichtlich seiner Segregation als Spiegel der Gesellschaft. Drei eng verflochtene Dimensionen teilen nach ihrer Auffassung die Gesellschaft: Die ökonomische Spaltung (Eigentum, Einkommen, Position auf dem Arbeitsmarkt); die soziale Spaltung (Bildung, soziale Integration, Position auf dem Wohnungsmarkt) und die kulturelle Spaltung (ethnische Zugehörigkeit, Religion, normative Orientierungen). Hiervon ausgehend ergeben sich folgende soziale Gruppen: 1 2 3

Ein relativ kleines Segment höchstbezahlter Spitzenkräfte, deren Gehälter, Karrieremuster und Lebensstile sich an internationalen Märkten orientieren, ein breites, eher rückläufiges Segment aus Angehörigen der überwiegend deutschen Mittelschicht mit gesichertem Einkommen und ein schnell wachsendes Segment von am Rand der Gesellschaft lebenden, unqualifizierten Beschäftigten in der Grauzone des Arbeitsmarktes bzw. dauerhaft Arbeitslosen.

Diese Dreiteilung manifestiert sich räumlich in der Entstehung von: 1 2 3

einer internationalen Teilstadt, einer Wohn-, Arbeits- und Versorgungsstadt der deutschen Mittelschicht, einer Stadt der sozialen Randgruppen.119

Die internationale Teilstadt setzt sich zusammen aus den "Glanz- und Höhepunkten" einer Stadt, also: hochwertigen Dienstleistungen, Niederlassungen internationaler Konzerne, bedeutenden Messen und Kongressen, 'Inseln luxuriösen Wohnens' und allem, was Touristen in eine Stadt bringt, nämlich: kulturellen Attraktionen, spektakulären Freizeiteinrichtungen sowie Angeboten des Luxuskonsums.120 Die internationale Teilstadt, meist die Innenstadt und / oder innenstadtnahe Gebiete, ist sichtbarer Ausdruck des neuen Konsummodells. Standardisierte Massenkonsumgüter verschwinden nach und nach aus den Regalen der Kaufhäuser. Stattdessen sind Luxuskonsumgüter, oder Güter, die vorgeben, solche zu sein, zu finden. Trendsetter für diese Art des Luxuskonsums sind die 'Yuppies', deren Bedeutung für die Entwicklung in den Städten allgemein hoch bewertet wird:

118Zit. n. ALISCH / DANGSCHAT 1993:61. 119Vgl. DANGSCHAT, Jens und Thomas KRÜGER (1986): Hamburg im Süd-Nord-Gefälle. In: FRIEDRICHS, Jürgen; HÄUSSERMANN; Hartmut und Walter SIEBEL (Hg): Süd-Nord-Gefälle in der Bundesrepublik? Opladen. Zit.n. FELLNER / GESTRING 1990:43. 120Aufzählung nach HÄUSSERMANN, Hartmut und Walter SIEBEL (1987): Neue Urbanität. Frankfurt /M, s.139 Zit. n. FELLNER / GESTRING 1990:43.

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"Mag die Fraktion der Yuppies auch relativ klein sein, so liegt ihre Bedeutung für das Entstehen eines neuen Konsummodells darin, daß der aufwendige Lebens- und Konsumstil dieser zahlungskräftigen Gruppe den Trend angibt und von beruflich weniger erfolgreichen »wahrscheinlich (...) imitiert wird, um sich eine symbolische Teilhabe an dem 'Erfolg' zu sichern«." HIRSCH 1986:44121

Kommunale Politik, die sich aus Prestigegründen und wirtschaftlichen Interessen zuerst nach den sozialen und ökonomischen Bedürfnissen ihrer 'internationalen Teilstadt' richtet, wird die 'übrige Stadt' vernachlässigen, wie HÄUSSERMANN und SIEBEL klarstellen: " [...] Eine Stadt, die sich für die gutverdienenden, hochqualifizierten, kinderlosen Erwachsenen herrichtet, wird unzugänglich für Alte, Arme, für Kinder und (Haus-)Frauen." HÄUSSERMANN / SIEBEL 1992:31

Auch das Konzept der 'Dualen Stadt'122 sieht die Städte unter Einwirkung der oben erwähnten Umstrukturierungen zunehmend geteilt. Zu dieser Teilung tragen vor allem die Veränderungen in der Beschäftigungsstruktur123 bei. Beim massiven Wegfall von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Sektor werden auch sehr viele Arbeitsplätze mit mittlerem Ausbildungsgrad und mittleren Einkommen abgebaut. Die Mittelschicht wird insgesamt kleiner, die Oberschicht und obere Mittelschicht nehmen langsam zu, die Unterschicht wächst rapide. Das Schrumpfen der Mittelschicht ist für das Konzept der dualen Stadt von hoher Wichtigkeit. Durch die Polarisierung 'Arm' - 'Reich' ohne vermittelnde Mittelschicht wird die soziale Mobilität erheblich eingeschränkt, die Strukturen verfestigen sich. Luxus und Elend sind zunehmend in enger räumlicher Nachbarschaft in den Städten zu beobachten. Die Regulationsweise des Staates besteht nach der Krise des Fordismus nicht mehr in Wohlfahrtsprogrammen. Vielmehr wird in die Firmen der Wachstumsbranchen investiert. Hinter dieser Politik steckt die Idee des "Trickle - down". Wenn nur die derzeitigen Wachstumsbranchen boomen, wird auch für momentan von den Entwicklungen Benachteiligte insgesamt etwas abfallen. Vielfach wird kritisiert, daß dieses Konzept in der Praxis nicht aufgeht: "Diese Maßnahmen wurden mit dem offiziellen Ziel durchgeführt, mehr Reichtum zu schaffen, der dann der ganzen Gesellschaft zugute käme. Tatsächlich werden die Reichen reicher und weniger und die Armen ärmer und zahlreicher." FERNÁNDEZ 1993:139 eig. Übers.

Durch die Zunahme von Single- und Alleinerziehendenhaushalten verbunden mit dem Funktionsverlust der Familiengemeinschaft kommt es zu einer Feminisierung der Armut. Es sind meist Frauen, die die Kinder erziehen. Wenn die Familie sie dabei weniger unterstützt, unterliegen Frauen dadurch einem höheren Verarmungsrisiko.124 Ein weiter Teil der neuen Armut besteht aus alten Menschen, besonders betroffen sind alte Frauen.125

121HIRSCH, Joachim und Roland ROTH (1986): Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus. Hamburg Zit.n. FELLNER / GESTRING 1990:44. 122KRÄTKE 1990:30 hält das Konzept einer vielfach geteilten Stadt für aussagekräftiger als das der "dualen", also nur einmal geteilten Stadt. 123Vgl. Kapitel II.C.2.4 12456,4 % der Sozialhilfe wird in Köln im März 1994 an Frauen ausgezahlt, insgesamt erhalten über 8% der Kölner Bevölkerung Sozialhilfe. Die Hauptgründe für den Bezug von Sozialhilfe sind Arbeitslosigkeit, Alleinerziehung und niedrige Rente. 125Vgl. FERNÁNDEZ 1993:140 und BLANKENFELD 1995:1.

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In New York, der Stadt, die allgemein als Vorreiterstadt dieser Entwicklungen betrachtet wird, gibt es Ende der 80er Jahre 100.000 - 200.000 Obdachlose, und 25% der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. In einigen Teilen der Stadt ist die Kindersterblichkeit höher als in der "Dritten Welt".126

Exkurs: Die andere Seite der Medaille - Die "Megastädte der "Dritten Welt" Zeitgleich mit der Entstehung der Global Cities in der westlichen Welt explodieren die Städte der 'Dritten Welt'. Auch diese Entwicklung hat mehrere Gründe, hauptsächlich: Das Anhalten hoher Geburtenraten, die Ansiedlung industrieller Produktion oder von Produktionsphasen in einigen ausgewählten Staaten, die Intensivierung der Land-Stadt-Wanderungen angesichts der Veränderungen in der Landwirtschaft und der einhergehenden Zerstörung lokaler Ökonomien. In den 80er Jahren erreicht die Hyperurbanisierung der 'Dritten Welt' ihren vorläufigen Höhepunkt. Erstmals nehmen Städte aus der 'Dritten Welt' die ersten Plätze im weltweiten Metropolen-Ranking nach Bevölkerungszahl ein. Diese Urbanisierung hat für die Staaten perverse Folgen. Der Rohstoffund Energieverbrauch von Städten schlägt in prekären Nationalökonomien ganz anders zu Buche als in der 'Ersten Welt'. 127 Die 'Erste Welt' bereichert sich auf Kosten der 'Dritten Welt' (Nettokapitalfluß Süd-Nord). Die Bewohnerinnen und Bewohner der Global Cities profitieren davon (wenn auch in unterschiedlichem Maße). Die Bewohnerinnen und Bewohner der Megastädte hingegen leiden darunter. Ihre Infrastrukturen und Unterstützungen von Staatsseite werden immer mangelhafter und sind zudem sehr ungleich verteilt. Die Finanzmittel der Staaten verpuffen in den Megastädten und können nicht mehr für eine ländliche Entwicklung eingesetzt werden, die notwendig wäre, um den Druck von den Städten zu nehmen. Die öffentlichen Mittel, die in die Megastädte fließen, werden zum großen Teil nicht für Infrastruktur oder Wohnungen ausgegeben, sondern für Subventionen von Brot, Getreide und Energie, um so soziale Unruhen zu verhindern. Zudem müssen diese Städte ihre Produktion auf den Export ausrichten, um ihre Schulden bezahlen zu können, haben also eingeschränkte Möglichkeiten, für sich selbst zu produzieren.128

126Vgl. FERNÁNDEZ 1993:142. 127Vgl. Ebd. 1993:70. 128Vgl. Ebd. 1993:71.

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II.C.4.5 Veränderung des kommunalen politischen Paradigmas "Ahl Diva egozentrisch, eitel, komplimentesüchtig, selvsverlieb, graad su, als ob du ´t wirklich nüüdisch hätts. Met dingem Dom von Kaisers Gnaden, dinger Altstadt, die du »tüchtig« ussverkauf häss, treudoof läufste jedem Stenz en ´t offne Mäzz. Dat fingste och noch clever! Du denks, dat möht mer jetz. Hühr zo: Dat jeht doneve, su wie du dich affhetz. [...] Et ess schon hatt, met ahnzesinn, wie do öm Weltstadtflair bemöht bess. Häss do dich opjejoove... dat, wat ding Seel ussmäht? NIEDECKEN 1988129

In diesem Kapitel werden die Reaktionen der Kommunen auf die sich hinsichtlich Wirtschaft und Gesellschaft verändernde Situation beschrieben, die ich in II.C.2,3 und 4 dargestellt habe. Die Krisenlasten der wirtschaftlichen Umstrukturierung werden nach und nach auf die Kommunen übertragen. Sichtbar wird das etwa an der Abfolge der Zuständigkeiten bei staatlichen Pflichtausgaben: Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe zahlt der Bund, Sozialhilfe die Kommune. Wie zu zeigen ist130, steigt der Anteil von Sozialhilfebezieherinnen und -beziehern erheblich. Die soziale Schere öffnet sich: die kommunalen Einnahmen (hauptsächlich die Gewerbesteuer) sinken, die kommunalen Pflichtausgaben, vor allem die Sozialhilfeausgaben, steigen. Im Wettbewerb um die knapper werdenden Ressourcen, die für die Städte zur Verfügung stehen,131 entsteht zwischen den Städten eine Konkurrenzsituation. Konkurriert wird um die Standorte (vor allem um die Kommandofunktionen) der wachstumsträchtigen neuen Gewerbe (High-Tech, produktionsorientierte Dienstleistungen usw.) sowie um die einkommensstarken Bevölkerungsschichten, die das Arbeitskräftepotential dieser Gewerbe ausmachen;132 letztendlich umwerben die Städte (internationale) Kapitalanleger vergleichbar mit Unternehmen, die sich um Aufträge bemühen. Die Städte konkurrieren untereinander auch um das Kulturangebot. Diese "Kulturoffensiven" werden wirtschaftlich begründet, denn die Einkommensund Arbeitsplatzeffekte der Kulturindustrie werden höher eingeschätzt als die der sogenannten Hich-Tech-Branchen.133 Das " Unternehmen Stadt"134 wirbt für sich auf verschiedene Weise. Einmal ist es die Bereitstellung oder Subventionierung von Infrastruktur, dann die Sanierung eines attraktiven Stadtteils oder aber auch schlicht die günstige Lage in einer schönen Landschaft oder das angenehme Klima. Auch KRÜGER beobachtet diese Selbstvermarktung der Städte:

129Das Zitat ist ein Ausschnitt aus dem Lied "Stadt em Niemandland", daß auf der CD/LP "Da Capo" der Kölner Rockgruppe BAP erschien. NIEDECKEN besingt seine Heimatstadt Köln, zu deren Entwicklung er in seinen Texten häufiger kritisch Stellung nimmt. Einige "Vokabeln": nüüdisch - nötig; ussverkauf ausverkauft; Stenz - Zuhälter; Mäzz - Messer; ahnzesinn - anzusehen; opjejoove -aufeggeben. 130Vgl. die Darstellung in Kapitel III.C.1. 131Der private Reichtum insgesamt ist sicherlich nicht weniger geworden. 132Vgl. KRÜGER 1988:65 und KRÄTKE 1990:32 - 33. 133Vgl. HÄUSSERMANN / SIEBEL 1992:31. Ein aktuelles Beispiel für den Einsatz von Kultur als Entwicklungsfaktor in Köln ist die Auseinandersetzung um die geplante "Köln-Arena" im Stadtteil Deutz. 134Vgl. den Exkurs zur Geschichte der Stadt am Anfang von Kapitel II.C.

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"Einerseits bemüht man sich um Förderung von Technologie- und Gründerzentren, um eine liberalere, mit Subventionen lockende Gewerbepolitik und um die gezielte Erweiterung gehobener zentraler Dienstleistungen. Da aber viele Kommunen von sinkender Finanzkraft geplagt werden, somit auf einen weiteren Ausbau ihrer Infratruktur verzichten müssen und im Konkurrenzdruck zu anderen Städten immer weiter zurückfallen, scheint andererseits die Entdeckung der »weichen Standortfaktoren« gleichsam das Zaubermittel zu sein, auch mit wenig oder ohne Geld die eigene Stadt in einem glänzenden Licht erscheinen zu lassen." KRÜGER 1988:65

Solche 'weichen Standortfaktoren' werden als Stadtimage beschrieben. Erzeugen lassen sich diese Faktoren nur in beschränktem Maße. Möglich ist "die Ästhetisierung des Stadtbildes" und die "Inszenierung von »Kultur«" (HÄUSSERMANN / SIEBEL 1987:124135), die auch als Festivalisierung136 der Stadtpolitik diskutiert wird. Die Städte bemühen sich um die Ausrichtung von Festivals aller Art, sommerlichen Kulturreihenveranstaltungen (z.B.:"Der Kölner Sommer") usw. Auf diese Weise wird der Stadt ein Image verschafft, das zwar Werbezwecken dienlich ist, aber nicht notwendigerweise etwas mit den wesentlichen Elementen des Gesichtes der jeweiligen Stadt zu tun haben muß.137 Herausgestellt werden schließlich exklusiv die 'verkausfördernden' Seiten der Städte. Kritik an der Produktion von Stadtimages wird in großem Umfang vorgebracht. So argumentieren HÄUSSERMANN / SIEBEL, daß die Definition von "Urbanität als Dichte und Qualität von Kultureinrichtungen" den Begriff der Urbanität verkürzt. Die Kultur tritt in engeren Kontakt mit der Wirtschaft.138 Stadtkultur im Stadtmarketing wird eine Kategorie der Warengesellschaft. Urbanität wird an bestimmte Bevölkerungsschichten verkauft, was die Verdrängung anderer Bevölkerungsgruppen mit sich bringt. Die Kultur bekommt eine entsprechende inhaltliche Ausrichtung.139 Sie zieht in die Zentren der Städte140, wird als Hochkultur möglichst medienwirksam aufbereitet und zielt auf die obere Mittelschicht und die Oberschicht. Die Städte plustern sich gewissermaßen vor den Reichen auf, wie es NIEDECKEN im Einganszitat dieses Kapitels andeutet. Nach KRÜGER sind die Stadtimages über ihre Funktion als Werbemittel hinaus auch dazu geeignet, "symbolische Teilhabe"141 am Erfolg für diejenigen zu liefern, die in den Umstrukturierungsprozessen auf der Verliererseite stehen. Er bemerkt kritisch:

135HÄUSSERMANN, Hartmut und Walter SIEBEL (1987): Neue Urbanität. Frankfurt / M. zit.n. KRÜGER 1988:65. 136Beispiel ist der Versuch Berlins, die Olympischen Spiele auszurichten oder: die Weltaustellung in Sevilla 1992, die einer ganzen Region Entwicklung im hier beschriebenen Sinne (High-Tech, produktionsorientierte Dienstleistungen) bringen sollte und nicht brachte. 137Vgl. die "Hyperräume" im Kapitel: II.C.3.1. 138Ein Kölner Beispiel: Die Zigarettenfirma "West" sponsort das Kölner Schauspiel. 139Die Firma Ford wird beispielsweise wahrscheinlich keinen Film über Obdachlosigkeit sponsoren - es sei denn, selbst das könnte eines Tages zu Werbezwecken gebraucht werden.. 140In Ehrenfeld versuchen zwei Kunstvereine dieser Ausrichtung der Kunst und Kultur auf die Innenstadt einen Gegenpol im Stadtteil zu bieten. Vgl. Kapitel III.C.1.3. 141Der Begriff bezieht sich auf Pierre BOURDIEUs "Symbolisches Kapital". Nach BOURDIEU, Pierre (1976): Entwurf einer Theorie der Praxis. Frankfurt / M. Zit.n.: KRÜGER 1988:69.

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"Die widersprüchlichen und für die unteren Sozialschichten zur Existenzfrage sich zuspitzenden Lebensbedingungen v.a. in den Großstädten - man denke an die Wiederentstehung der »Neuen Armut« - werden durch den schönen Schein der attraktiven Stadtgestaltung überblendet. »Symbolisches Kapital« ist also einerseits Ausdruck der Verschleierung von Geldakkumulation über kulturelles Ornament. Andererseits wird aber anspruchsvolle kulturelle Infrastruktur zum Standortmagnet für die Ansiedlung sogenannter Zukunftsbranchen entwickelt." KRÜGER 1988:69

Mit einer neuen Machtaufteilung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft erfährt der städtische Raum eine Reorganisation nach den Bedürfnissen bestimmter Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner142. Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen für das Gemeinwesen Stadt, wie FELLNER / GESTRING darstellen: "Eine Stadtpolitik, die sich aus Prestige- und wirtschaftlichen Gründen an den sozialen und ökonomischen Funktionen der internationalen Teilstadt orientiert, muß dies zu Lasten des zweiten und dritten Segments durchsetzen. Zum einen müssen die materiellen Bedingungen für die Revitalisierung und Reurbanisierung geschaffen werden - Erhalt und Modernisierung der Altbausubstanz, Ästhetisierung der Innenstadt, Subventionierung kultureller Spektakel etc. zum anderen muß ein Übergreifen sozialer Konflikte aus der Stadt der sozialen Randgruppen auf die internationale Teilstadt verhindert werden. " FELLNER / GESTRING 1990:44

Die Kölner Stadtpolitik macht hier keine Ausnahme. Zu erwähnen ist z.B. die Vertreibung von Drogenabhängigen am Neumarkt sowie die der Obdachlosen von der Domplatte143, beides 'Eingänge' zur Kölner "internationalen Teilstadt" (s.o.). Private Sicherheitsdienste erleben in diesem Zusammenhang einen Boom und erhalten eine doppelte Funktion: Zum einen schaffen sie neue Jobs in der Sparte "niedrige Dienstleistungen", zum anderen erfüllen sie die Funktion des 'Aufräumens' der Städte. Für wen diese Teilstadt ihre teilweise privaten Strassen und Passagen ausrichtet, kann jeder und jede sehen, der sie durchwandert. Die "Shopping Malls" können in der BRD auf die Tradition der vor allem in den 70er Jahren eingerichteten Fußgängerzonen zurückgreifen. Es ist kein Zufall, daß sich solche Prozesse von Ästhetisierung und Verdrängung aus der Kölner Innenstadt innerhalb oder in der Nähe der Fußgängerzone abspielen. So wie der Staat im Zeichen leerer Kassen144 und neoliberaler Politiken seine Unternehmen privatisiert145, handelt der 'lokale Staat', die Stadtpolitik, auf gleiche Weise. Privatisierungen146 betreffen sowohl den öffentlichen Raum als auch öffentliche Dienstleistungen.

142Vgl. ALISCH / DANGSCHAT 1993:45. 143Zum sozialräumlichen Arrangement mit den Armen vgl. auch GEIGER 1995:3 sowie TERKESSIDIS 1995. Auf die USA bezogen schreibt FERNÁNDEZ: "Die Leute wollen das Elend nicht sehen, denn dieses konfrontiert sie mit der harten Realität, die den Schein des american dream oder american way of life zerbricht, der durch die Kommunikationsmedien aufrechterhalten wird." FERNÁNDEZ1993:142 eig. Übers. 144Vgl. ALISCH / DANGSCHAT 1993:13 und 17. 145Telekom, Post, Bahn usw. 146Das Herkunftswörterbuch gibt als Ursprung des Wortes "privat" im Deutschen das lateinische "privare - rauben, befreien, sondern" an. Aus der Herkunft des Wortes erschließt sich die Bedeutung auch in diesem Fall. Teilräume und Dienstleistungen werden von der Allgemeinheit abgesondert oder - aus der Sicht derjenigen, die nach der Privatisierung Zugang haben - von der Allgemeinheit befreit.

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Martin STANKOWSKI stellt auf einer Veranstaltung der Kölner VHS147 im März 1995 seine Prognosen einer möglichen Stadtentwicklung Kölns bis 1998 vor. Er ist ein in Köln stadtbekannter Journalist und Stadtführer und schöpft seine Prognosen nach eigenen Angaben größtenteils aus kommunalpolitischen Plänen und Studien. Ganz im Sinne der aufgeführten Entwicklungen prognostiziert er: • Der Bahnhof könnte kein öffentlicher Ort mehr sein. Es wird wieder eine Bahnsteigkarte eingeführt, die jetzt eine Mark kostet. Auf diese Art hält die Bahn AG den Bahnhof von Fixern und Obdachlosen "sauber". • Am Rheinauhafen könnten neue Museen entstanden sein. Ford und die KVB (Kölner Verkehrs Betriebe) könnten zusammen ein Verkehrsmuseum eröffnet haben.148 Dies sind nur zwei Beispiele, wie sich die Entwicklungen und Prozesse in Köln widerspiegeln könnten. Die Reaktion der Stadtpolitik auf die ökonomische Umstrukturierung läßt sich in zwei Punkten zusammenfassen : 1 nach außen interkommunale Konkurrenz und 2 nach innen Reorganisation nach bestimmten Bedürfnissen. II.C.5

Zusammenfassung

Die Kapitel unter II.C versuchen, die Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft zu beleuchten, die das Gesicht der Städte heute prägen. Zu Beginn des Kapitel (II.C.1.1) wird auf eine mögliche Zusammensicht der Prozesse anhand von Ansätzen aus der Regulationsschule hingewiesen. Die wirtschaftlich-gesellschaftliche Struktur einer Volkswirtschaft wird hiernach zu jedem Zeitpunkt in ein Akkumulationsregime (Wachstumsstruktur) und in eine Regulationsweise (Koordinationsmechanismus) unterteilt. Beide Komponenten beeinflussen sich gegenseitig und haben auch jeweils eine Eigendynamik.149 Stehen beide Faktoren im Einklang, haben wir es mit einer Formation (Entwicklungszusammenhang) zu tun. In einer strukturellen Krise, in welcher sich die Wirtschaften der Industriestaaten z.Z. befinden, versagt der Erhaltungsmechanismus, in dem sich Regulationsweise und Akkumulationsregime gegenseitig stützen. Die Formation des Fordismus ist geprägt durch starke Spezialisierung und Standardisierung von Produktion und Konsum. Die Güter der Massenproduktion werden in großen Produktionseinheiten hergestellt. In der BRD ist Ende der 50er Jahre das Stadium des Massenkonsums erreicht. Immanente Grenzen (Marktsättigung) und exogene Entwicklungen (Ölpreiskri-

147Angaben nach eigenen Notitzen von der Veranstaltung. 148Wie die Zusammenarbeit von "West" und dem Kölner Schauspiel ein Fall von "public-privat-partnerschip", die auch eine mittelbarer Folge der leeren kommunalen Kassen ist. 149Vgl. BATHELT 1994:65.

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se, neue Anbieter aus den "Schwellenländern" usw.) bedingen die Krise des Fordismus, die Ende der 60er Jahre ihren Anfang nimmt. In Reaktion auf die Krise sind folgende Entwicklungen zu beobachten: a) Flexible Akkumulation; b) "just-in-time-" und "lean-production"; c) Neue internationale Arbeitsteilung (NIA) und Globalisierung der Produktion; d) Postindustrialismus und Tertiärisierung; e) Arbeitsplatzverluste und Veränderung der Struktur der Arbeitsplätze. Die neu entstehende Formation wird als Postfordismus bezeichnet, wobei ein Einklang zwischen Akkumulationsregime und Regulationsweise allerdings (noch?) nicht beobachtbar ist. An demographischen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen sind Individualisierung, Ausdifferenzierung der Lebensstile und Zuwanderung zu nennen. Die Zahl der Haushalte in der BRD ist stark angestiegen, was sich in einem hohen Anteil an Einpersonenhaushalten ausdrückt. Eine höhere Wahlfreiheit in der Gestaltung des Alltags, die Abnahme der Verbindlichkeit von Traditionen sowie die gestiegenen materiellen und immateriellen Ressourcen bei Teilbevölkerungen führten zu einer Auffächerung der Lebensstile. Alte Klassen- oder Schichtmodelle zur Einteilung der Gesellschaft scheinen nicht mehr auszureichen. Verlängerung der Postadoleszenz, Verkürzung oder Ausbleiben der Phase der Kindererziehung, Verlängerung der Lebenserwartung und neue Möglichkeiten des Vorruhestands kennzeichnen neue Wege und Möglichkeiten der individuellen Lebensgestaltung. Der Begriff der Lebensstile kennzeichnet soziale Milieus, typische Bedürfniskonstellationen und Werthaltungen, Haushaltskonstellationen, Freizeitverhalten und Geschmäcker. Arbeitsmigration und Pillenknick führen zu zahlenmäßig bedeutenden Verschiebungen in der Bevölkerungsstruktur der BRD. Nach Fall des Eisernen Vorhangs erlangen auch die Prozesse der Zuwanderung 'Deutschstämmiger' und der Übersiedlung aus der ehemaligen DDR an Bedeutung. Daneben spielt sich das Elend der Flüchtlinge ab, deren Zahl ebenfalls bis zur de facto Abschaffung des individuellen Asylrechts 1993 stieg. Eine Reihe von sozialräumlichen Veränderungen sind in den letzten 30 Jahren in den Städten im Zusammenhang mit den geschilderten Entwicklungen sichtbar geworden: Die Suburbanisierung von Wohn- und Arbeitsfunktion hatte für die Kernstädte finanziell, sozial und wirtschaftlich negative Folgen. Zahlenmäßig zu vernachlässigen, qualitativ allerdings von hoher Wichtigkeit ist die Wanderungsbewegung zurück in die Innenstädte. Im Modell der Gentrification wird beschrieben, wie innenstadtnahe Wohngebiete erst durch eine Pionierbevölkerung aufgesucht und bewohnt, dann mit der entsprechenden Infrastruktur vor allem an Geschäften und Restaurants versehen werden. Schließlich ist es wieder chic, in solchen Gebieten zu wohnen und finanzkräftige Kreise suchen sie als Wohnstandort, was neben der Verdrängung wirtschaftlich Schwächerer zu einer Aufwertung von Bausubstanz und Infrastruktur führt.

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Global Cities werden die Städte genannt, in denen sich im Laufe der wirtschaftlichen Umstrukturierungen die 'Kommandofunktionen' der zunehmend weltweit operierenden Unternehmen konzentrieren. Während für die Produktion unabhängig vom Management der kostengünstigste Standort gesucht wird, verbleiben die Verwaltungen und somit die Kontrolle in einem Konzentrationsprozeß in den Ländern der westlichen Welt und hier in einigen großen Städten. Eine verstärkte Nachfrage nach zentralen Büroflächen ist in diesen Städten die Folge. Der städtische Raum wird Spiegel einer Gesellschaft, in der 'die Schere weiter auseinandergeht'. Die ökonomische, soziale und kulturelle Spaltung schreitet voran. Ein Segment höchstbezahlter Spitzenkräfte bleibt zahlenmäßig klein, ein Segment aus den Angehörigen der Mittelschicht wird kleiner und ein Segment unqualifiziert Beschäftigter wird schnell größer. Diese Dreiteilung manifestiert sich räumlich in entsprechenden Teilstädten. Im Wettbewerb um die knapper werdenden öffentlichen Ressourcen entsteht zwischen den Städten eine Konkurrenzsituation, in welcher die Regierungen der Städte den eigenen städtischen Raum vermarkten. Es kann als Veränderung der Regulationsweise bewertet werden, daß Verwaltungen zunehmend nicht mehr zuerst die Funktion eines sozialen Ausgleichs ausüben, sondern vielmehr die eines Promoters städtischen Raumes für private Firmen. Dies bringt verstärkte Marginalisierungsprozesse auf der einen Seite und auf der anderen Seite verstärkte Versuche der Aufwertung bestimmter Stadtteile und des Stadtimages allgemein mit sich.

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III. Köln - Ehrenfeld

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Karte 1: Lage des Stadtteils Ehrenfeld in der Stadt Köln

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III.A. Beschreibung des Stadtteils III.A.1 Lage und Physiognomie Nordwestlich der Kölner Innenstadt gelegen, gehört der Stadtteil 401 Ehrenfeld zum inneren Ring der linksrheinischen ehemaligen Kölner Vororte. Nach Osten wird Ehrenfeld durch die Innere Kanalstraße und den dahinter liegenden inneren Grüngürtel zum Stadtbezirk Innenstadt abgegrenzt. Nach Norden stellt auf einem großen Teil ihres Verlaufs die Subbelrather Straße die Grenze zum Stadtteil Neuehrenfeld dar. Gen Westen macht die Nordgrenze Ehrenfelds einen Schlenker vom Straßenverlauf abweichend quer durch einen Park, um dann an die Westgrenze des Stadtteils, die Äußere Kanalstraße, zu stossen. Die Westgrenze verläuft nach Süden weiter über den Maarweg und folgt dann ein Stück der Bahnlinie, um schließlich das Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld zu durchschneiden. Die südliche Grenze beschreibt einen gezackten Verlauf und liegt südlich der Widdersdorfer Straße. Die Venloer Straße ist als Zentrum des Stadtteils zu betrachten. Sie ist die größte Einkaufsstraße in ganz Köln. Auf ihrer Länge von ca. 2. Km150 liegen 165 Einzelhandelsgeschäfte (zum Vergleich: An der weitaus bekannteren Schildergasse in der Fußgängerzone der Kölner Innenstadt befinden sich 77 Einzelhandelsgeschäfte151). Insgesamt arbeiten in Handel und Gewerbe entlang der Venloer Straße im Stadtteil Ehrenfeld ca. 6000 Menschen. Weiterhin kann das Gebiet in den stärker industriell / gewerblich geprägten Teil südlich der Vogelsanger Straße und den eher durch Wohnfunktion geprägten Teil nördlich dieser OstWest-Achse unterteilt werden. Der Stadtteil Ehrenfeld ist generell ein Wohngebiet mit integrierten Gewerbegebieten. Die Bausubstanz ist zum großen Teil überaltert und sanierungsbedürftig. Teilgebiete Ehrenfelds waren oder sind seit Mitte der 80er Jahre Sanierungsgebiete. Typisch für die Wohnbebauung des Arbeiterstadtteils ist das Dreifensterhaus, normalerweise mit drei Geschossen in geschlossen er Bauweise mit einer Frontbreite vom ca. 6 m.152 Der größte Teil der Wohnungen befindet sich in privaten Mietverhältnissen (1992 sind es 70 %). 49,4% der Gebäude in Ehrenfeld sind vor 1949 gebaut worden, 38,9% von 1949 - 68 und 11,7% zwischen 1969 und 87 (Zahlen von 1987). "Insgesamt kann der nordwestliche Vorortsektor als Industrievorortbereich gekennzeichnet werden. Die industrielle Prägung beeinflußte auch die bauliche Struktur der Wohnbebauung. Einfache Arbeiterhäuser, Werkswohnungen und genossenschaftliches Bauen." MEYNEN 1978:37

Der Stadtteil besitzt keine nennenswerten Grünflächen.

150Die 2 Km markieren die Länge der Venloer Straße im Stadtteil Ehrenfeld. Die Venloer Straße ist insgesamt sehr viel länger. 151Information von Dieter WOLF, stellvertretender Bezirksbürgermeister in Ehrenfeld. 152Vgl. KIP 1993:16.

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III.A.2 Entstehung und Entwicklung bis 1965 In diesem Kapitel wird Entstehung und Entwicklung Ehrenfelds vor Einsetzen der Prozesse, die Gegenstand der Betrachtung des Rezenten Wandels sind, skizziert. Das Datum 1965 wird, wie oben in Kapitel II.C erläutert, als Beginn rezenter wirtschaftlicher Umstrukturierungen und gesellschaftlicher Veränderungen gesetzt. In Köln stößt die Industrialisierung durch die Ummauerung der Innenstadt schnell auf räumliche Grenzen der Entwicklung. Eine für Europa typische Folgeerscheinung ist auch hier das Wachstum der Städte nach außen, wie MEYNEN feststellt: "Die neuzeitlichen Vorortbereiche in Mitteleuropa sind in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, zur Zeit als die Industrialisierung einsetzte, die historisch gewordene Altstadt für die aufkommende Industrie keine Freifläche mehr bot, als die Enge der ummauerten Städte den Transport der gefertigten Produkte für die Maschinenindustrie behinderte, und als die chemischen Fabriken wegen der Feuergefahr auf Gelände außerhalb der Stadt auswichen. [..] Das Wachstum der zahlreichen neuen Vorstädte ist eng mit der Zunahme der Arbeiterbevölkerung verbunden, die die gegenüber der Altstadt niedrigen Grundstückspreise bzw. Mieten suchten, wobei allerdings zuerst noch keine Segregation der Wohnbevölkerung stattfand." MEYNEN 1978:265

Ehrenfeld ist der älteste linksrheinische Vorstadtkern Kölns. Die Entstehung Ehrenfelds in der industriellen Gründerzeit führt zu seiner charakteristischen Bebauung und zu seiner starken funktionalen Mischung zwischen Wohnen und Arbeiten, zwischen: "industriellen Unternehmen, Lohnarbeitern, Kaufleuten und Bauunternehmern, aufwärtsstrebenden Handwerkern und schließlich auch einigen Beamten und Angestellten." MEYNEN 1978:258

Der Stadtteil hat keinen alten Dorfkern als Zentrum wie andere Kölner Vororte (z.B. Müngersdorf).153 Mitte des 19. Jahrhunderts wird Ehrenfeld planmäßig für Gewerbe- und Wohnbebauung erschlossen.154 Auf der betroffenen Fläche gibt es vorher lediglich ein paar Gehöfte und Ackerland. Insgesamt leben hier zu der Zeit ca. 40 Menschen. Das Ackerland wird von Spekulanten155 aufgekauft und an kleinere Spekulanten, Fabrikanten und Handwerker156 weiterverkauft. Der Gewerbeflächenmangel in der Innenstadt und die frühzeitige Erschließung der Vororte per Eisenbahn beschleunigen die Entwicklung. Das erste Unternehmen ist 1845 die Tapetenfabrik Philipp Hoffmann auf der Ecke Venloer Straße / Philippstraße. Unternehmen verschiedener Produktionszweige157 wie die Rheinische Glashütte, die Helios Elektrizität AG u.a. folgen. Die Bevölkerungszahl und der Unternehmensbesatz steigt in den nächsten Jahren sprunghaft an. 1848 leben hier 200, 1875 schon 8 500 Menschen. 1868 existieren 20, 1874 bereits 40 Fabriken in Ehrenfeld.

153Vgl. GLÄSSER / VOPPEL 1993:6. 154Vgl. auch KIP 1993:15. 155 Nach einem dieser Spekulanten, Herrn Wahlen, wurde die Wahlenstraße benannt. Generell erzählen die Straßennamen im Stadtteil Ehrenfeld viel über seine Geschichte. 156Ich verwende hier die männliche Form als Gattungsbegriff, da davon auszugehen ist, daß es sich ausschließlich um Männer handelte. 157Vgl. GLÄSSER / VOPPEL 1993:7.

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Die Mischung von Wohn- und Gewerbefunktion ist zu dieser Zeit der Normalfall. Alle bekannten Übel der frühen Industrialisierung wie z.B. Überbelegung der Wohnungen, häufige Krankheiten und Epidemien wegen der katastrophalen hygienischen Verhältnisse usw. sind auch hier anzutreffen. 1878 erhält Ehrenfeld die Stadtrechte. Das Stadtwappen Ehrenfelds beinhaltet zwei Zahnräder, die für die Industriestadt stehen. 1888 wird Ehrenfeld zu Köln eingemeindet. Es hat zu dem Zeitpunkt ca. 20 000 Einwohnerinnen und Einwohner. Als die rechtsrheinischen Stadtteile Kalk (1910) und Mülheim (1914) ebenfalls zu Köln eingemeindet werden, verliert Ehrenfeld zunächst als Industriestandort an Attraktivität. Im Gegensatz zu den neuen Industrievororten hat es nicht die Standortgunst der Lage am Rhein. Die Bevölkerungszahl wächst zwar weiterhin, doch die Industrie verzeichnet einen ersten Niedergang.158 Im Laufe des 20. Jahrhunderts werden die Industrieanlagen Ehrenfelds im Zuge der Erweiterung städtischen Siedlungsgebiets weitgehend von Wohngebieten umschlossen. Der zweite Weltkrieg hinterläßt in Ehrenfeld ca. 60% zerstörte und unbewohnbare Häuser. In der Folge wird Ehrenfeld zunächst kein Gebiet der Investitionen und Spekulationen.159 Der Wiederaufbau läßt die Bevölkerungszahl 1956 auf 43 338 steigen. Doch dann vollzieht sich die Entwicklung anfangs in den auswärtigeren Teilen des Stadtbezirks und die Aufwertung des Stadtteils erfolgt zunächst nicht. III.A.3. Einführung in die Entwicklung nach1965

158Vgl. KIP 1993:16. 159Vgl. RAAP 1983:ohne Seitenzahl.

Entwicklung der Bevölkerungszahl Ehrenfelds 40 35

Bevölkerung in tsd.

30 25 20 15 10 5

Abb.Nr: 7: Entwicklung der Bevölkerungszahl Ehrenfelds. Daten nach: AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN. Statistische Jahrbücher.

1994

1990

1985

1980

1975

1970

0 1965

An dieser Stelle wird die Entwicklung nur grob skizziert. Rahmendaten und Entwicklungstendenzen sollen hier lediglich benannt werden. Kapitel III.C.1. liefert die ausführliche Darstellung von Strukturen und Prozessen, die die Untersuchung des Stadtteils 1995 offenlegt. Neben Kalk und Mülheim gilt Ehrenfeld immer noch als ein "Arbeiterstadtteil".

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Der Stadtteil Ehrenfeld ist seit der Gebietsreform von 1975 auch Namensgeber für den Stadtbezirk, der weiterhin die Stadtteile Neu-Ehrenfeld, Bickendorf, Ossendorf, Vogelsang und Bocklemünd miteinschließt. Im Stadtteil leben 1994 34 544 Einwohnerinnen und Einwohner, im Stadtbezirk 96 290 und in der Stadt Köln 1 006 874.160 Prägend für Ehrenfeld war und ist ein hoher Anteil zugewanderter Bevölkerung. 23 663 Bewohnerinnen und Bewohner Ehrenfelds haben 1995 einen deutschen Paß, 10 881 einen anderen. Der Anteil nichtdeutscher Schülerinnen und Schüler an Ehrenfelder Schulen betrug 1992 51,4%. Die Bevölkerung setzt sich traditionell zum größten Teil aus Arbeiterinnen und Arbeitern sowie mittleren Angestellten zusammen (im Gegensatz zum angrenzenden Neuehrenfeld, das eher von Beamtinnen und Beamten bewohnt wird; woher der Name "Tintenviertel" rührt).

Aufteilung der Staatsangehörigkeit der nichtdeutschen Wohnbevölkerung Ehrenfelds und Kölns in % der nichtdeutschen Bevölkerung 1995 50,00% 45,00%

Ehrenfeld

40,00%

Stadt Köln

35,00% 30,00% 25,00% 20,00% 15,00% 10,00% 5,00%

Insgesamt

Sonstiges

Griechenland

Rest EG

Türkei

Italien

0,00%

Abb. Nr.:8. Aufteilung der Staatsangehörigkeit der nichtdeutschen Wohnbevölkerung Ehrenfelds und Kölns in % der nichtdeutschen Bevölkerung 1995. Die beiden Säulen "Insgesamt" zeigen des Anteil "ausländischer" Wohnbevölkerung an der Gesamtbevölkerung. Angaben nach: AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN.

MEYNEN schreibt Ende der 70er Jahre über die Bevölkerungsstruktur Ehrenfelds: 160Angaben laut AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN.

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"Die weitgehend industriegewerbliche Wirtschaftsstruktur des Kölner Nordwestens bewirkt, daß (...) die Mehrzahl aller erwerbstätigen Bewohner der Arbeiterschaft angehört. Im inneren Vorortring des Nordwestsektors erhielt zudem die arbeitsstättenorientierte Bewohnerschaft dadurch eine Verstärkung, daß alt-Ehrenfeld Wohngebiet für Arbeitskräfte von Industrieunternehmen anderer Stadtteile wurde. So ist der stadtnahe, zentrale Teil des Nordwestsektors vornehmlich von Angehörigen der Unterschicht bewohnt." MEYNEN 1978:247

Wie in Kapitel III.C.1 zu zeigen sein wird, unterliegt Ehrenfeld vor allem in den 70er und 80er Jahren stark dem Einfluß wirtschaftlicher Umstrukturierungen und demographischer Veränderungen. Arbeitsmigration, Suburbanisierung, Deindustrialisierung, Tertiärisierung, Veränderung des kommunalen politischen Paradigmas und Gentrification sind die Prozesse, die das Gesicht Ehrenfelds verändern. Ende der 80er Jahre beschreibt der stellvertretende Bezirksbürgermeister Dieter WOLF die Situation Ehrenfelds wie folgt: "Ehrenfeld, eine Stadt in der Stadt, ist zum Opfer geworden. Zerrissen zwischen der City, der in der Nachkriegszeit alle Aufmerksamkeit des Wiederaufbaus galt, und den Ballungsgebieten am Stadtrand wie Bergheim, wo viele Stadtbewohner in ihre Einzelheime zogen. [...] Durch Betriebsauslagerung in Gewerbereservate am Stadtrand und Entkernung der Innenhöfe, um »störendes Gewerbe« aus den Wohngebieten zu verbannen, wurde die räumliche Nähe von Wohnen und Arbeiten zerstört, die für die Bewohner identitätsbildend war." WOLF 1988:22

In einer Untersuchung über Ehrenfeld-Ost161, wo 1987 ungefähr die Hälfte der Bevölkerung des Stadtteils leben, wird ein niedrigeres Schulbildungsniveau und ein niedrigeres Haushaltseinkommen als im Durchschnitt der Stadt Köln festgestellt. Die Wohnkosten lagen gleichzeitig im städtischen Durchschnitt.

161STADT KÖLN 1988:8.

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III.B

Erheben und Verarbeiten qualitativer Daten

Meine Haupterkenntnisquelle für Kapitel III.C, Wahrnehmung durch die Bevölkerung, sind die Interviews, die ich mit Expertinnen und Experten sowie mit Bewohnerinnen und Bewohnern in Ehrenfeld führte. Auch für Kapitel III.C.1, Rezenter Wandel, stellen sie, wenn auch in geringerem Maße, eine Erkenntnisquelle dar. Nach einigen einführenden Bemerkungen zur Annäherung an den Forschungsraum sowie einer Auflistung der qualitativen Datenquellen zu Ehrenfeld wird im folgenden auf die Vorgehensweise bei den Interviews und auf die Auswertung der so gewonnenen Daten eingegangen. III.B.1 Annäherung an den Forschungsraum Die erkenntnisleitende Zielsetzung der Untersuchungen ist die Erforschung städtischen Wandels und seiner Wahrnehmung auf Stadtteilebene. Mein Vorwissen über Ehrenfeld speiste sich aus meiner Beziehung zu Köln (Kapitel I.A) sowie aus dem Wissen über andere, ähnlich strukturierte Stadtteile in der Bundesrepublik. Hier ist vor allem die Bonner Nordstadt zu nennen, die ich durch das gemeinsame Veranstalten einer Exkursion mit zwei Mitstudierenden intensiv theoretisch beleuchtete. Zudem war ich einige Jahre Bewohner dieses gründerzeitlichen Ausbauviertels. Auf Exkursionen und Reisen verglich ich darüber hinaus die Entwicklungen in anderen, vergleichbaren Stadtteilen in der BRD. Eine erste Annäherung an den Stadtteil Ehrenfeld im Rahmen dieser Arbeit erfolgte per Fahrrad. Einige Stunden durchquerte ich den Stadtteil und notierte meine Beobachtungen. Institutionen wie das "Bürgerzentrum Ehrenfeld", der "Kölner Appell", das "Kölner Arbeitslosenzentrum", die lokale VHS, und die Bezirksvertretung dienten mir als erste Ansprechpartnerinnen für Interviews über den Stadtteil. Über diese gelangte ich an neue Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. III.B.2 Auflistung der Datenquellen zu Wandel und Wahrnehmung Neben den Interviews dient folgendes Material als Datenquelle für die Beurteilung von Wandel und Wahrnehmung im Stadtteil Ehrenfeld: Zahlreiche Gänge durch den Stadtteil, Besuche von Veranstaltungen, Stadtteilfesten, Cafés, Kneipen usw. • Beobachtungen • Hinweise, Ankündigungen • Teilnahme an einer Stadtführung durch den Stadtteil von Stattreisen Köln e.V.

• •

Teilnahme am Stadtteilfest "Bunte Welt in Ehrenfeld" Teilnahme am Straßenfest auf der Körnerstraße, veranstaltet durch den Karnevalsverein "Ihrefelder Sackjeseechter"

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Veranstaltungsbesuch im "Bel Air" und im "Tor 5"

Schriftliche Befragung aller Ehrenfelder Karnevalsvereine • Antwort der "Löstige Kölsche Afrikaner von 1983 e.V." Schriftliche Befragung verschiedene Ämter und Institutionen • Amt für Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung • VHS Köln, Zweigstelle Ehrenfeld • Historisches Archiv der Stadt Köln • Bezirksamt Ehrenfeld • Deutscher Gewerkschaftsbund Kreis Region Köln, Leverkusen, Erft • Industrie- und Handelskammer zu Köln Daten des Amtes für Statistik und Einwohnerwesen • Bevölkerungsstruktur und -veränderung •

Wirtschaftsstruktur und -veränderung

Broschüren und Flugblätter: • Volkshochschulprogramm der Zweigstelle Ehrenfeld • Programm des Bürgerzentrums Ehrenfeld • Selbstdarstellung des Instituts für kulturelle Weiterbildung • Kulturkalender, Informationsblatt und Pressespiegel des Vereins Kultur Köln 30 e.V. • Regionale Arbeitsstelle zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher (RAA): "Zwischen Paradies und Alptraum oder gehört Heimat der Vergangenheit an?", Dokumentation einer Unterrichtsreihe an einer Ehrenfelder Berufsschule • Selbstdarstellung des Ehrenfelder Vereins für Arbeitsbeschaffung (eva) • Ehrenfelder runder Tisch gegen Gewalt und Rassismus: "Ehrenfeld International. Einladung zum 2. multikulturellen Talentschuppen 1995" • Programm und Selbstdarstellung des Allerweltshaus e.V. • Selbstdarstellung des Kölner Appell gegen Rassismus e.V. • Bürgerzentrum Ehrenfeld: "Konzeption des Bürgerzentrums Ehrenfeld" • Bürgerzentrum Ehrenfeld: "Aus der Arbeit des Jahres 1994" • SPD Ehrenfeld: "Kommunalpolitisches Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Stadtbezirk Ehrenfeld" • Hans-Jürgen Esch: "Anders Leben in Ehrenfeld. Lebensraum für eine schwul/lesbisch geprägte Gemeinschaft in Köln-Ehrenfeld" •

CDU Ehrenfeld: "Kommunalpolitische Zielvorstellungen für den Stadtbezirk Ehrenfeld zur Kommunalwahl 1994"

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Arbeitskreis Gemeinwesen Ehrenfeld: "Soziale Einrichtungen in Köln Ehrenfeld, Stadtbezirk 4"

Zeitungen: • Kölner Stadtanzeiger (Tageszeitung): März 95 bis August 95 • Kölner Stadtrevue (Monatszeitung) : März 95 bis August 95 • Ehrenfelder Wochenspiegel (Wochenzeitung): März 95 bis Juli 95 Literatur: siehe Literaturverzeichnis III.B.3 Methode der Interviews und Fixierung der Ergebnisse Die Interviews teilen sich auf in sieben Interviews mit Expertinnen und Experten sowie 25 Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern.

Sieben Interviews mit Expertinnen und Experten in Ehrenfeld:

• • • • • • •

Mitarbeiterin des Kölner Appell e.V., zuständig für Stadtteilarbeit mit Kindern und Jugendlichen Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt Ehrenfeld Leiterin des Bürgerzentrums Ehrenfeld Stellvertretender Bezirksbürgermeister (Die Grünen) Geschäftsführer des Kölner Arbeitslosenzentrums (KALZ) Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bezirksvertretung Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bezirksvertretung

Dauer der Interviews: 45 - 75 Minuten

Die Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern werden hauptsächlich in Kapitel II.C.3 ausgewertet. Dort befindet sich eine Übersicht über Alter, Geschlecht und Mileuzugehörigkeit der Interviewten. Die Situation der Interviews mit Expertinnen und Experten war anders als die der Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern. Während die Interviews mit den Bewohnerinnen und Bewohnern meist an öffentlichen Orten (auf der Straße, in Ladenlokalen oder Restaurants, auf dem Markt usw.) und ohne vorherige Verabredung stattfanden, hatte ich mich mit den Expertinnen und Experten vorher telefonisch verabredet. Die verabredeten Interviews dauerten 45 - 75 Minuten, die Interviews auf der Straße ca. 5 - 20 Minuten. Die Auswahl der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner erfolgte im Verlauf der Untersuchung zunehmend systematischer. Zu Beginn sprach ich mit den Expertinnen und Experten,

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die sich nach einer ersten Annäherung an den Stadtteil anboten. Von diesen ließ ich mich teilweise weiterverweisen. Gegen Ende der Untersuchung versuchte ich, entstandene Einseitigkeiten auszubalancieren (wenn ich z.B. mit Vertretern der SPD gesprochen hatte, sprach ich nun mit Vertretern der CDU). Ähnlich verliefen die Interviews mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Nach einer ersten Reihe von Interviews notierte ich, wen ich interviewt hatte und ordnete die Interviews nach den Kriterien, die sich bis dato in meiner Stadtteilanalyse ergeben hatten. Die folgenden Interviews führte ich gezielter, mit bisher wenig oder nicht repräsentierten Personengruppen hinsichtlich Geschlecht, Alter und Milieu. Wichtige Begriffe für die Interviews sind Alltagserfahrung und Alltagswirklichkeit. Diese werden zum Ausgangspunkt und Gegenstand der Interviews vor allen Dingen - aber nicht nur - mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Begriffe sind wichtig, weil nur über den subjektiven Filter der Wahrnehmung eine Bewertung des Raumes und darauffolgendes räumliches Handeln stattfindet. Orientierung für die Interviewmethode bot "Das qualitative, impulsgesteuerte Leitfadeninterview" als hermeneutisch orientiertes Erhebungsverfahren.162 Maßstab für die Interviews war größtmögliche Offenheit. Nach einer Einstiegsfloskel informierte ich die Befragten über mein Interesse, sprich über meine Examensarbeit. Meistens begann ich die Interviews mit: "Entschuldigung, kennen sie sich hier aus?" Dieser Gesprächsanfang hatte sich nach den ersten Interviews als günstig erwiesen. Eine positive Gesprächseinstellung des Interviewpartners oder der Interviewpartnerin schien sich auf diese Art relativ leicht zu ergeben. Auch im weiteren Verlauf der Interviews versuchte ich, als Erzählanreiz den Eindruck zu vermitteln, wenig über Ehrenfeld zu wissen. Weitestgehende Nichtbeeinflußung galt bei den Interviews als Regel. Eingriffe erfolgten nur bei stagnierenden Gesprächsphasen un dann möglichst als Impuls. Diese Impulse waren in den Interviews in Ehrenfeld entweder mein Reagieren auf für mich interessante Themen: "Ah ja, ihr Mann arbeitet also hier auf dem Bau?" oder das Einbringen von Unterpunkten aus dem Leitfaden: "Kriegen Sie irgendwas von der Industrie hier im Stadtteil mit?". Die Offenheit der Interviewverläufe ist nicht als Beliebigkeit mißzuverstehen. Sie dient dazu, daß die Befragten möglichst ihre Sinnstrukturen und Deutungsmuster kundtun. Die Interviews wurden von mir mit Hilfe eines Leitfadens geführt und aufgezeichnet. Die Themenbereiche des Leitfadens erschlossen sich aus der theoretischen Reflexion (Kapitel II.C). Der Rückgriff auf den Leitfaden bedeutete nicht, daß ich in den Interviews die Themen der Reihe nach auf den Tisch brachte. Die fünf Überschriften sind bewußt nicht numeriert, sondern lediglich mit Aufzählungszeichen versehen. Der Leitfaden ist kein roter Faden163 für die Interviews. Die Wahrnehmung der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner wäre so viel zu stark nach meinen Denkmustern gesteuert worden.164

162Hier dargestellt nach REUBER 1993:25 - 31. 163Vgl. REUBER 1993:25. 164Vgl. Ebd. 1993:27.

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Gesprächsleitfaden für die Interviews in Ehrenfeld



Allgemeine Charakteristika des Stadtteils (Vorstellungsbilder . . .)



Gebaute Umwelt (Wohnungen, Wohnungsmarkt, Neubauten, Renovierungen, Straßenumgestaltungen, Geschäftsfassadenrenovierung, Parks . . .)



Bevölkerung (Zusammensetzung, Gentrification, Yuppies, Studierende, Arbeiter, Angestellte, Reichtum, Armut, Deutsche, Ausländer . . .)



Arbeitswelt (Schließungen oder Neuansiedlungen von: Industrie, Dienstleistungen, Einzelhandelsgeschäfte, Kaufhäuser, neue Firmen, Arbeitsverhältnisse, Arbeitsverträge, soziale Absicherung, Arbeitslosigkeit, Schwarzarbeit, Schattenwirtschaft . . .)



Städtische Dienstleistungen (Privatisierungen, Streichungen . . .)

Der Leitfaden diente vielmehr als Orientierung für mich, vor allen Dingen während der Fixierungs- und Auswertungsphase. Kam das Gespräch auf einen der Punkte, hakte ich ein und versuchte durch Impulse (Nachfragen, affirmative Bemerkungen), das Gespräch in die von Gesprächspartner selbst angesprochene Richtung laufen zu lassen. Diese Steuerung besteht nach Möglichkeit in Erzählanreizen. Roter Faden soll die Geschichte des Wohnens und / oder Arbeitens, kurz die Lebensgeschichte im Stadtteil Ehrenfeld sein.165 Ist ein Gespräch ohne Erwähnung bestimmter Punkte meines Leitfadens abgelaufen, so waren das auch Informationen über die (Nicht-)Wahrnehmung. Ich sprach die Punkte des Leitfadens manchmal noch an. Allerdings geschah dies in dem Bewußtsein, daß nun nicht mehr die im abrufbaren Vordergrund der Wahrnehmung des Gesprächspartners stehenden Dinge behandelt werden. Vielmehr bat ich nun um Darstellung der Wahrnehmung zu von mir ins Gespräch gebrachten Sachverhalten. Die dargestellte Interviewmethode soll eine möglichst weitgehende flexible Anpassung an die Alltagswelt der Interviewten gewährleisten. 165Vgl. REUBER 1993:27.

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Direkt nach den Interviews fertigte ich zur Fixierung der Ergebnisse ein Gedächtnisprotokoll an. War die Erinnerung zu Ende gekommen, diente die systematische Betrachtung der einzelnen Punkte des Leitfadens als Erinnerungshilfe und gewissermaßen als zweiter Durchgang der Erinnerung. Nun versuchte ich bewußt, alle nicht-textuellen Elemente zu erfassen und somit ein Postskriptum166 in Ergänzung zur Rekonstruktion des Interviewtextes zu erstellen. Es ging darum, möglichst viel der Interpretation zugänglich zu machen. Auch situative Elemente, z.B. die Art des Sprechens, die Artikulationen und Gesten kamen in Frage, stellten für sich eine weitere Information dar oder gewichteten die getroffene Aussage. Manche Interviews rekonstruierte ich in ihrem Verlauf (jeweils meine Fragen / Aussagen und jeweils die des / der Interviewten), andere faßte ich zusammen. Die letztgenannte Vorgehensweise verwendete ich insbesondere bei den längeren Interviews. Im Anhang sind Beispiele für beide Fixierungungsmethoden der Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern gegeben. Die Interviews mit Expertinnen und Experten sind zusätzlich auf Kassette fixiert worden. So gingen sich erst später als wichtig herausstellende Daten und Informationen nicht verloren. Die gründlichere Methode der textgetreuen Transpkription aller Interviews verwarf ich nach längerer Überlegung, weil sie den zeitlichen Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätten.167 III.B.4 Auswertung der Interviews "Wieviel geordnete Interpretation und wieviel Zufall wird sich in unsere neuen Texte einflechten?" Verena MEIER zum Thema: Feldarbeiten einer "anderen" Geographie

Ein Problem qualitativen Arbeitens ist die thematische Vielschichtigkeit des Forschungsgegenstands. Da ich vor den Interviews meine Wahrnehmung bewußt nicht durch ein Kategoriensystem einschränkte, zeigte sich mir in den offenen Interviews ein weites Feld an Aussagen, die nachträglich geordnet und bewertet werden mußten. Auf die Notwendigkeit dieser Interpretationsleistung weist Michel FOUCAULT hin: "Wir müssen uns nicht einbilden, daß uns die Welt ein lesbares Gesicht zuwendet, welches wir nur zu entziffern haben. Die Welt ist kein Komplize unserer Erkenntnis. Es gibt keine prädiskursive Vorsehung, welche uns die Welt geneigt macht." FOUCAULT 1991:34168

Quantitative Forschung birgt die von MEIER angesprochene Gefahr viel früher im Forschungsprozeß als qualitative Arbeiten. Die Auswahl der Kategorien beschränkt die Betrachtung sozialer Wirklichkeiten auf eben diese Kategorien. Dadurch, daß im Ergebnisteil quantitativer Arbeiten die Aussagen zu den weit vorher festgelegten Kategorien mit 'harten Zahlen' und Prozentangaben 'bewiesen' werden, tritt die anfängliche Einschränkung durch Kategorienauswahl in den Hintergrund. In den Aussagen qualitativer Arbeiten stehen dagegen 166Vgl. Ebd. 1993:28. 167Eine Probe zeigte, das für ein einstündiges Interview ca.10 Stunden Zeitaufwand nur für die Transkription gebraucht werden. Bei sieben Interviews mit Expertinnen und Experten insgesamt hätte das eine Zeit von ca.70 Stunden ergeben, ohne daß bis dahin eine Auswertung erfolgt wäre. 168FOUCAULT, Michel (1991): Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt / M.

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genau diese Interpretationsleistungen im Vordergrund, wie REUBER zusammenfassend unterstreicht: "Die Interpretationsleistung ist [...] [bei quantitativen Arbeiten] gut intersubjektiv überprüfbar, weil sie direkt aus dem als Dokumentation vorhandenen Quellenmaterial induktiv abgeleitet werden kann. Das Darstellungsverfahren hermeneutischer Ergebnisse mit Hilfe exemplarischer Orginaltext-Passagen ist dagegen deduktiv. Die Ergebnisse werden also hier keinesfalls nur von den zitierten Quellen abgeleitet (dann wäre der »n = 1« - Vorwurf in der Tat gerechtfertigt). Die Beispiele fungieren vielmehr im Gegensatz zur positivistischen Argumentationskette als a-posteriori-Illustration eines Forschungsergebnisses, das auf der wesentlich breiteren Daten- und Erfahrungsbasis einer mit hermeneutischen Methoden durchgeführten Interpretation beruht." REUBER 1993:30

Die Technik und Auswertung unterscheidet sich bei beiden Arten von Interviews (Expertinnen und Experten / Bewohnerinnen und Bewohner) prinzipiell nicht. In beiden Fällen interpretiere ich Interpretationen.169 Nach MEIER geht es einer Geographie, die (im Sinne des Qualitativen Paradigmas) um Verstehen bemüht ist, darum, "die Voraussetzungen möglichen Verstehens zu klären" (MEIER:1989:151). Dieser Klärung dienten die Darstellung meiner Vorkenntnisse und der Versuch die Frage zu beantworten, warum ich gerade dieses Thema gewählt habe (meine Voraussetzungen des Verstehens). Auch in den Interviews versuchte ich der Klärung der Frage nach den Voraussetzungen des Verstehens der Interviewten möglichst nahe zu kommen, indem ich Fragen nach dem Leben im Stadtteil stellte (z.B.: "Ihre Kinder gehen auch hier zur Schule?"; "Ihr Mann arbeitet also hier in Ehrenfeld auf dem Bau?"). Das Wissen über den Stadtteil, das ich aus den Interviews mit den Expertinnen und Experten gewonnen hatte, floß stärker in die Bewertung des Rezenten Wandels ein als die Stellungnahmen der Bewohnerinnen und Bewohner. Dies beruht auf der - nicht notwendigerweise richtigen - Annahme, die Expertinnen und Experten hätten einen Reflexions- und Verständnisvorsprung hinsichtlich der Strukturen und Prozesse in Ehrenfeld. Ihre Aussagen stellen letztlich auch nichts anders dar als ihre Wahrnehmung. Die Aussagen der Bewohnerinnen und Bewohner bewerte ich in der Regel als weniger reflektierte Alltagswahrnehmung. Die Auswertung der erhobenen Daten aus den Interviews erfolgte als nachvollziehende Sinndeutung der Interviews.170 Zunächst wurden die Einzelinterviews ausgewertet. In diese Auswertung floß ein:

169Ein 'notwendiges Übel', da es die 'eine Wahrheit', die ich interpretieren könnte nach dem Paradigma der qualitativen Sozialforschung (vgl. Kapitel II.B) nicht gibt. 170Vgl. WOOD 1989:73 - 75.

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1 2

Das Textmaterial des Interviews (in Form des Gedächtnisprotokolls); Das Postskriptum (Erinnerung an Aussagen des Interviews im Bezug auf den Leitfaden und mit dessen Hilfe, Rekonstruktion der Interviewsituation); 3 Mein Wissen aus vorherigen Interviews; 4 Mein angesammeltes Wissen über den Forschungsgegenstand, den Wandel des Stadtteils Ehrenfeld und dessen Wahrnehmung durch die Bevölkerung, zum jeweiligen Zeitpunkt der Auswertung.171 Die Dokumentation der Ergebnisse anhand des im Forschungsprozeß gewonnenen Materials stellt bei qualitativen Arbeiten eine besondere Schwierigkeit dar. Mit Zitaten aus den Interviews kann 'alles und nichts' belegt werden, ohne Zitate wirkt die Arbeit zum Thema Wahrnehmung wie ein "Knochen ohne Fleisch" (REUBER 1993:29). REUBER (1993:30) schlägt nach Diskussion dieser Schwierigkeit drei Methoden der Aufarbeitung von qualitativen Interviews vor: 1 die komplette Darstellung eines Einzelfalls, 2 die aspektbezogene Darstellung eines Einzelfalls und 3 die themenzentrierte Darstellung mehrerer Interviews. Für die vorliegende Arbeit wurde die dritte Variante gewählt. Sowohl in Kapitel III.C.1, Rezenter Wandel als auch in III.C.3, Wahrnehmung, ging ich von einer sich aus den Themen ergebenden Gliederung aus (das Vorgehen stelle ich in Kapitel II.C.3.1 genauer dar). Diese formt das Gerüst des Kapitels, daß daraufhin mit exemplarischen Zitaten aus den Interviews erweitert wurde. Die in 1 und 2 angesprochenen Einzelfallbesprechungen erschienen mir aus zwei Gründen nicht hilfreich für die vorliegende Arbeit: Zum einem waren meine Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern mit 5 - 20 Minuten relativ kurz und zum anderen ergibt sich meiner Ansicht nach aus Methode 3 leichter eine Übersicht über Strukturen und Prozesse im Stadtteil, was ja ein wichtiges Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist. Für eine Arbeit, die stärker ihren Schwerpunkt in der Wahrnehmungsgeographie hat, wäre eine Einzellfallbehandlung sicher geeigneter gewesen. Die Dokumentation der Ergebnisse durch Textpassagen oder Teile der Postskripta der Interviews übernimmt die Funktion von Quellentexten. Diese Belege werden von mir nicht beliebig ausgesucht, sondern haben exemplarischen Charakter. Exemplarisch bedeutet in diesem Fall "das Wesentliche zu durchdringen"172 und als "Musterbeispiel für zahlreiche andere Fälle stellvertretend"173 zu stehen. Das hier verwendete interpretativ-verstehende Auswertungsverfahren ist, wie REUBER bemerkt: "verständlicherweise sehr komplex und deshalb für einen dritten nicht im einzelnen nachvollziehbar." REUBER 1993:29 171Aufzählung erstellt nach dem Vorbild von REUBER 1993:28. 172TÜBINGER BESCHLÜSSE (1951). In: Pädagogische Provinz, 1951, s.123. Zit.n. REUBER 1993:30. 173SIEDENTOPP, Werner (1972): Methodik und Didaktik des Biologieunterrichts. Heidelberg. Zit.n. REUBER 1993:30.

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Das für szientistische Forschung übliche Kriterium der intersubjektiven Nachprüfbarkeit ist somit nicht zu erfüllen, der Gang der Interpretation qualitativer Daten von außen nicht nachvollziehbar zu machen174. Es ist unmöglich, die "verschiedenen Teilschritte der Ergebnisfindung in schriftlicher Form verfügbar zu machen." REUBER 1993:29

Die Darstellung Rezenten Wandels in Ehrenfeld verzichtet auf die Dokumentation der einzelnen Verstehensschritte. Die Darstellung der wesentlichen Strukturen und Prozesse verläuft themenzentriert und wird, sofern sie sich auf qualitative Daten beruft, anhand von exemplarischen Aussagen oder Sachverhalten belegt.

REUBER schlägt als 'Ersatz' für die intersubjektive Nachprüfbarkeit das Kriterium der "Plausibilität" vor175. Trotzdem kommt der qualitativ Arbeitende nicht darum herum, der Kritik das gennante 'Manko' an dieser Arbeitsweise zuzugestehen. Es ist mit SEDLACEK zum Thema Geltungsbegründung selbstbewußt doch gleichzeitig bescheiden zu bemerken: "Wissenschaftliche Aussagen [...] sind daher immer »Vorschläge«, die zwar im Kontext einer wissenschaftlichen Untersuchung als »Abschlußergebnis« verstanden werden können, im Kontext der Lebenswelt jedoch nur »Zwischenergebnisse« darstellen. Oder anders gesagt: Jeder Abschlußbericht eines Forschungsprojekts stellt nur einen ersten Dialogschritt zwischen Wissenschaftlern ebenso wie zwischen dem Forscher und der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit dar." SEDLACEK 1989:15

III.B.5 Anspruch und Wirklichkeit des qualitativen Arbeitens Zum ersten Mal in größerem Umfang qualitativ sozialgeographisch zu arbeiten war gleichzeitig faszinierend und anstrengend. Faszinierend war es, in den Interviews in soziale Räume vorzudringen, die ich vorher höchstens vom Hörensagen kannte. Anstrengend war es, immer wieder fremde Menschen auf der Straße anzusprechen und so meine und ihre Grenzen zu überschreiten. Anstrengend war es auch, immer wieder die kritischen Stimmen in mir zu hören und mich an ihnen abzuarbeiten. Hatte ich auch genug Interviews geführt? Waren sie sorgfältig genug geführt und dokumentiert? Bestätigte ich mir nicht nur Bilder, die ich schon vorher hatte? Um nicht allzusehr in der Unsicherheit dieser Fragen davonzuschwimmen, nahm ich zweimal je einen Freund oder eine Freundin mit zu den Interviews nach Ehrenfeld. Diese Konstellation, also zwei Interviewer und ein Interviewter, verschaffte mir mehr Sicherheit, daß ich nicht nur das hörte, was ich hören wollte, sondern das, was die Leute sagen. An einem anderen Tag veranstaltete ich mit sieben Beteiligten eine Art privates Geländepraktikum. Einen Nachmittag zogen wir allein oder zu zweit los und führten Interviews, um sie am Abend zu vergleichen. Auch diese Interviews, teilweise von Geographen mit Erfahrung in qualitativer Sozialforschung geführt, benutze ich als Korrektiv und Vergleich für meine 174Vgl. REUBER 1993:29. 175Ebd. 1993:29.

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eigenen Ergebnisse. In Kapitel III.C.3 beziehe ich mich auf sie als "Korrektivinterviews" in Punkt (7) der Schilderung meiner Vorgehensweise. Für mich war es viel Arbeit, mich in die Theorie qualitativer Sozialgeographie einzuarbeiten. Die Breite, welche die theoretische Grundlegung im Rahmen der vorliegenden Arbeit einnimmt, zeugt davon. Nach Durchführung der Interviews und ihrer Auswertung hat es sich für mich gelohnt. Der hohe theoretische Aufwand scheint zumindest weitgehend durch die Ergebnisse gedeckt. Sicher sind mir während der Interviews und während ihrer Auswertung Fehler unterlaufen. Sicher könnte auch an vielen Stellen genauer geforscht werden. In einzelnen Milieus wäre ein genaueres Einarbeiten und Einfühlen zum Verständnis der spezifischen Wahrnehmung der Menschen dieses Milieus hilfreich. Auch meine eigene Position als Angehöriger eines studentisch - alternativen Milieus wäre noch genauer zu hinterfragen und zu verorten, um meine eigenen Erkenntnisstrukturen besser einordnen zu können. Doch angesichts der Begrenzung zeitlicher (die Arbeit muß in sechs Monaten geschrieben sein) und persönlicher Art (es ist meine erste Arbeit von diesem Umfang), sehe ich es als gelungen an, viele Blicke hinter die Alltagsfassade Ehrenfelds geworfen zu haben. Diese Blicke und deren systematische und theoriebezogene Darstellung ist der Anspruch dieser Arbeit.

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III.B.6 Zusammenfassender Überblick Die Annäherung an den Forschungsraum glich einem Antasten. Den ersten Beobachtungen folgten Interviewanfragen an Institutionen, die mir bei diesen Beobachtungen aufgefallen waren. Insgesamt kam es auf diese Art zu sieben Interviews mit Expertinnen und Experten. An öffentlichen Orten, meist auf der Straße, führte ich 25 Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern aus Ehrenfeld. Darüber hinaus flossen in die Bewertung schriftliche Anfragen an Ämter und Institutionen sowie Beobachtungen, Zeitungsartikel und sonstiges Informationsmaterial ein. Die Interviews wurden als qualitative, impulsgesteuerte Leitfadeninterviews geführt. Der Leitfaden umfaßte die Überschriften: "Allgemeine Charakteristika des Stadtteils", "Gebaute Umwelt", "Bevölkerung", "Arbeitswelt" und "Städtische Dienstleistungen". Er diente vor allem der Fixierung der Ergebnisse der offenen Interviews. Dies geschah mittels eines Gedächtnisprotokolls. In den Interviews kam es auf Offenheit und weitestgehende Nichtbeeinflussung an. Die Interviewten sollten ihre Sinnstrukturen, ihre persönliche Geographie176 Ehrenfelds erklären können. Ihr Leben in Ehrenfeld sollte roter Faden der Interviews sein. In der Auswertung unterschied ich die Interviews mit Expertinnen und Experten von denen mit Bewohnerinnen und Bewohnern. Ich nahm für die Expertinnen und Experten einen Verständnisvorsprung an. Ihre Aussagen flossen eher in das Kapitel "Rezenter Wandel", die der Bewohnerinnen und Bewohner größtenteils in das Kapitel "Wahrnehmung" ein. Die Auswertung im Kapitel "Rezenter Wandel" und auch die im Kapitel "Wahrnehmung" erfolgte als themenzentrierte Darstellung mehrerer Interviews. Die Dokumentation der Ergebnisse am Interviewmaterial leisten Textpassagen aus den Gedächtnisprotokollen oder Postskripta der Interviews, die die Funktion von Quellentexten einnehmen. Anspruch meiner qualitativen Forschungsarbeit ist, möglichst viele Blicke hinter die Alltagsfassade Ehrenfelds zu werfen.

176Vgl. WERLEN 1993.

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III.C Ergebnisse III.C.1 Rezenter Wandel: Strukturen und Prozesse in Ehrenfeld Für die soziale und räumliche Struktur des Stadtteils Ehrenfeld, wie er sich 1995 darstellt, erscheint vor allem zweierlei wesentlich: Erstens der wirtschaftliche Umbruch und zweitens die Bevölkerungsstruktur. Neben diesen zwei wichtigsten Erklärungsansätzen für das aktuelle Ehrenfeld wird im vorliegenden Kapitel die Kunst- und Kulturszene in Ehrenfeld exemplarisch für die Etablierung einer "neuen" Bevölkerungsgruppe untersucht. Statistische Größen zitiere ich, sofern nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, nach Angaben des Amtes für Statistik und Einwohnerwesen der Stadt Köln. Wenn von Ehrenfeld die Rede ist, so ist der Stadtteil 401, Ehrenfeld, gemeint. Liefere ich lediglich Angaben zum gleichnamigen Stadtbezirk 4, zur Stadt Köln (z.B. bei den Zahlen zur Arbeitslosigkeit) oder zum Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld, so geschieht dies, weil die entsprechenden Daten auf Stadtteilebene nicht vorliegen. Wenn nicht gesondert auf Quellen verwiesen wird, stammen die dargestellten Ergebnisse aus eigenen Beobachtungen, den Gesprächen mit den Expertinnen und Experten sowie den weiteren zu Rate gezogenene Quellen, die in Kapitel III.B aufgelistet sind. III.C.1.1 Wirtschaftlicher Umbruch

Die Rahmenbedingungen ökonomischer Restrukturierung wurden ausführlich in Kapitel II.C. behandelt. Hier werden zunächst die Veränderungen im Stadtteil Ehrenfeld betrachtet. Die Einbettung der lokalen Gegebenheiten in globale Prozesse erfolgt im nächsten Kapitel. Die heutige Struktur Ehrenfelds ist zu einem großen Teil der räumliche Ausdruck von Aufstieg und Niedergang des verarbeitenden Sektors. Noch 1970 sind 47,83% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Köln im sekundären Sektor tätig. Im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld, das den Teil südlich der Vogelsanger Straße und der Bahnlinie und damit einen Großteil der Ehrenfelder Gewerbeflächen

Wirtschaftlicher Strukturwandel in Köln und im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld 1970

1994

"Sekundärer Sektor" in Köln

47,83%

28,61%

"Sekundärer Sektor" in B. / E.

66,1%

50,9%

"Tertiärer Sektor" in Köln

52,05%

71,18%

"Verarbeitendes Gewerbe" in Köln

38,85%

22,15%

"Andere Dienstleistungen" in Köln

16,02%

29,20%

"Andere Dienstleistungen" in B. / E.

11,1%

31,6%

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in:

Tabelle Nr. 1. Wirtschaftlicher Strukturwandel in Köln und im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld 1970 - 1994. Daten für Köln nach: AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN, Daten für Braunsfeld / Ehrenfeld nach: GLÄSSER / VOPPEL 1993

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umfaßt, beträgt dieser Anteil sogar 66,1%177. Bis 1994 sinkt der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im sekundären Sektor in Köln kontinuierlich auf 28,61%, in Braunsfeld / Ehrenfeld auf 50,9%.178 Im gleichen Zeitraum steigt der Anteil der Beschäftigten im tertiären Sektor in Köln von 52,05% auf 71,18% an. Detaillierter betrachtet sind die größten Beschäftigungsverluste im verarbeitenden Gewerbe selbst (Abnahme um 79 046 Beschäftigte von 1970 - 1994) und die größten Beschäftigungsgewinne bei den "anderen Dienstleistungen" zu verzeichnen (Zunahme um 54 076 Beschäftigte von 1970 - 1994, prozentuale Zunahme des Beschäftigtenanteils im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld von 11,1% auf 31,6% von 1970 bis 1992 179). Im Stadtbezirk Ehrenfeld sind 1987 noch 15 176 Menschen im verarbeitenden Sektor beschäftigt. Das entspricht zu dieser Zeit einem Anteil aller Beschäftigten dieses Sektors in Köln von 13,4%. Gleichzeitig wohnen im Bezirk Ehrenfeld aber nur 9,6% der Kölner Bevölkerung. Dies unterstreicht trotz des anhaltenden Trends zur Abwanderung bzw. Schließung des produzierenden Gewerbes und weitergehender Tertiärisierung180 die starke industrielle Prägung Ehrenfelds. Hauptursachen der sukzessiven Deindustrialisierung Ehrenfelds sind zum einen die allgemeine Entwicklung der Wirtschaftsstruktur und zum anderen die Suburbanisierungsprozesse. Letztere wurden dadurch beschleunigt, daß die Flächen für industrielle Nutzung auch im Stadtteil Ehrenfeld knapp werden, und die Anbindung an die Eisenbahn als Standortfaktor zunehmend unwichtiger erscheint. So wird im Verlauf der vorliegenden Untersuchungen bekannt, daß die Firma Hopmann (Fahrstühle) nach Marsdorf umzieht, weil ihr dort mehr Flächen zur Verfügung stehen. Sie hatte ihren Produktionsstandort mehr als 100 Jahre in Ehrenfeld. Großbaustellen und Brachflächen sind sichtbare Spuren, die der Prozeß der Deindustrialisierung in Ehrenfeld hinterläßt. Massenentlassungen erfolgen bei einer Reihe von Firmen. Beispiele hierfür sind die Firmen: Kolb (Maschinenbau, wegen Rationalisierung und Hightecheinsatz mußten hier 600 Menschen entlassen werden, jetzt arbeiten in diesem Betrieb noch 130), ähnlich war es bei Novalux, der Rhenania-Brauerei (wegen Betriebsschließung), Dellbrouck (wegen Betriebsschließung), Daimon (wegen Betriebsverlagerung nach Belgien) und Bosch-Strunk (wegen Betriebsverlagerung nach Süddeutschland).181 Von 1970 bis 1988 hat sich die Anzahl der Betriebe in Ehrenfeld halbiert.182 Im gleichen Zeitraum steigt die Zahl der Arbeitslosen in Köln von 1 552 auf 59 590, am 31.8.1995 sind es 56 659 (13,6%).

177Angabe nach GLÄSSER / VOPPEL 1993:11. 178Vgl. Ebd. 179Vgl. Ebd. 180Vgl. Ebd. 1993:50 und 66 181Aufzählung nach WOLF 1988:22 und nach eigener Erhebung. 182Vgl. WOLF 1988:23.

74

Auch in Ehrenfeld entstehen als Reaktion auf die erhöhte Arbeitslosigkeit kommunal unterstützte Beschäftigungsgesellschaften: Die "Kölner Jugendhilfe e.V." (angesiedelt auf dem ehemaligen Gelände der Ehrenfelder Röhrenfabrik in der heutigen Herbrandstraße) und der 1985 gegründeten "Ehrenfelder Verein für Arbeitsbeschaffung e.v.a. e.V." (Christianstraße - auch auf einer ehemalig industriell genutzten Fläche angesiedelt, beschäftigt im Mai 1995 200 Menschen183). In beiden Vereinen wird die Arbeit über den zweiten Arbeitsmarkt organisiert, d.h. über Mittel des Arbeits- oder Sozialamtes (ABM oder HzA) finanziert. Es wird versucht, einerseits vor allem Arbeitslosigkei 60

t in Köln 1965 - 1993

40 30 20 10

1993

1985

1975

0 1965

bern herzustellen und die Betroffenen so möglichst in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Es geht

50

Arbeitslose in tsd.

Jugendliche überhaupt in Arbeit zu bringen und andererseits Kontakt mit potentiellen Arbeitge-

hierbei speziell um die Langzeitarbeitslosen, also diejenigen, Abb. Nr: 9. Arbeitslosigkeit in Köln. Daten nach: AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN: Statistische Jahrbücher und Statistisches Informationssystem. Auf die durch den strukgroßem Maßstab liegen keine Daten zum Arbeitsmarkt vor. turellen Wandel arbeitslos geworden Betriebsgründungen nach Wirtschaftsbereichen Anteile der Betriebe in Verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungen in % sind. Insbesondere in den letzten zehn Jahren ist in Ehrenfeld im Rahmen der Tertiärisierung eine steigende Bedeutung des Dienstleistungssektors zu beobachten. Die Grafik zeigt die Dynamik der Tertiärisierung speziell im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld. Für anhaltende und starke Tertiärisierung spricht auch die Abb. Nr.10:

Betriebsgründungen nach Wirtschaftszweigen. Anteil der Betriebe in

Verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungen in %. 183Information aus dem Ehrenfelder Wochenspiegel vom 31.Mai 1995. Quelle: GLÄSSER / VOPPEL 1993:12

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Entwicklung der Büroflächen. Im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld errechnen GLÄSSER / VOPPEL anhand der im Bau oder Planung befindlichen Büroflächen für die kommenden Jahre einen Zuwachs von 4 700 Arbeitsplätzen.184 Prozesse von Tertiärisierung drücken sich in Ehrenfeld räumlich z.B. durch Supermärkte, die in alte Industriegebäude ziehen aus, sowie durch Formen von Gewerbe, wie der Firma Balloni (Luftballons u.a.), die in das Gebäude der Firma Voss (Baukrane) am Ehrenfeldgürtel zieht oder in Musik- und Veranstaltungsorten wie dem "Underground" u.a..185 Die neuen Wachtsumsbranchen, insbesondere die vielzitierten produktionsorientierten Dienstleistungen186, sind auch im Stadtteil Ehrenfeld die wichtigsten Wachstumsbranchen. Im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld entwickelt sich die Beschäftigung von 1987 bis 1992 folgendermaßen: Beschäftigungsveränderung im Gewerbegebiet Köln Braunsfeld / Ehrenfeld 1987 - 1992

Versicherungen Gebäudereinigung, Abfallbeseitigung Großhandel, Handelsvertretung Unternehmensbezogene Dienstleistungen Ernährungsgewerbe Softwareindustrie / Rechenzentren Metallerzeugung /-bearbeitung Maschinenbau Nachrichtenübermittlung Chemische Industrie Spedition, Lagerei

-300

-200

-100

0

100

200

300

400

Personen

Abb.Nr.11. Beschäftigungsveränderung im Gewerbegebiet Köln Braunsfeld / Ehrenfeld 1987 - 1992. Angaben nach: GLÄSSER / VOPPEL 1993:55 56. Da die Daten von 1992 in einer Umfrage in den Betrieben ermittelt wurden, umfassen sie solche Betriebe nicht, die im untersuchten Zeitraum aus Ehrenfeld weggezogen sind oder stillgelegt wurden. Die Betriebe konnten nicht befragt werden und statistische Daten darüber sind nicht verfügbar.

Es bleibt zu bemerken, daß der Beschäftigungszuwachs bei der Metallerzeugung und -bearbeitung sowie der Beschäftigungsrückgang im Nachrichtensektor aus dem theoretisch zu erwartenden Rahmen187 fällt. Neue Gewerbe finden im Bezirk Ehrenfeld auch im Stadtteil Bocklemünd Produktionsflächen. Es handelt sich hauptsächlich um Medienbetriebe, daher das Wortspiel "Hollymünd" aus Hollywood und Bocklemünd. Diese können aber den Arbeitsplatzverlust 184Vgl.: GLÄSSER / VOPPEL 1993:68. 185Vgl. die Schilderung zur Kunst- und Kulturszene unten. 186Vgl. Kapitel II.C.2.4 und II.C.4. 187Vgl. Kapitel II.C.2.4.

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durch die Deindustrialisierung zahlenmäßig bei weitem nicht ausgleichen und erfordern außerdem ein höheres Qualifikationsniveau. Wer durch die Deindustrialisierung Ehrenfelds arbeitslos wird, findet später nur sehr unwahrscheinlich in Bocklemünd eine Stelle. Im benachbarten Braunsfeld wird 1986 ein Technologiepark in Betrieb genommen. Er liegt im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld. "Modernisierung der Wirtschaftsstruktur und Reaktivierung des angrenzenden Altgewerbegebietes." (ESSER 1993:4) werden als Hauptziele des im Rahmen einer Public-Privat-Partnership betriebenen Technologieparks genannt. Als Fazit der Auswirkungen des Technologieparks auf das umliegende Gewerbegebiet führt ESSER aus: "Die Reaktivierung des Gewerbegebietes Braunsfeld / Ehrenfeld entspricht einerseits dem Trend der Auslagerung von Dienstleistungen und deren größerer Bedeutung. [...] Andererseits führt die stärkere Nutzung durch Dienstleistungsunternehmen aber zur Verdrängung von produzierenden Unternehmen, die, wenn keine Gewerbeflächen in Köln vorhanden sind, die Region verlassen und damit Beschäftigungsfreisetzung bewirken können." ESSER 1993:20

In ihrer Bewertung stellt die Autorin in erster Linie "Klima"-Auswirkungen des Technologieparks auf die lokale Wirtschaftsstruktur fest. Handfeste Veränderungen oder die Schaffung einer nennenswerten Zahl an Arbeitsplätzen scheinen sich nicht zu ergeben. Diejenigen Betriebe der neuen Wachstumsbranchen, die sich im Stadtteil Ehrenfeld niedergelassen haben, wie etwa im "Maarwegcenter" an der Ecke Maarweg / Widdersdorfer Straße oder auf der Hospeltstraße, ziehen häufig in alte Industriegebäude oder zumindst auf ehemals industriell genutzte Fläche. Eine wirtschaftliche Nachfolge wird hier auch räumlich sichtbar. Mehrere ehemals industriell genutzte Großflächen liegen in Ehrenfeld immer noch brach, bei anderen ist eine (nichtindustrielle) Folgenutzung zu erkennen, auf wieder anderen wird z.Z. gebaut. Die hier sichtbaren räumlichen Entwicklungen werden beschrieben und aufgezählt, weil sie charakteristisch für Veränderungen der Struktur des Stadtteils sind: Auf dem ehemaligen Mollgelände188 steht heute das angemietete Bezirksrathaus sowie ein Supermarkt und ein Wohnkomplex. Das Heliosgelände liegt an der Kreuzung Ehrenfeldgürtel und Venloer Straße. Es stellt somit ein "Filetstück" für die Stadtentwicklungsplanung dar. Hier sind seit zehn Jahren der Bau von Sozialwohnungen sowie ein neues Bezirksrathaus geplant. Die Wohnbebauung konnte nicht durchgeführt werden, weil das Gelände durch die industrielle Vornutzung zu stark kontaminiert ist, und für das Bezirksrathaus ist wegen der knappen kommunalen Finanzen kein Geld mehr vorhanden. Darüber hinaus hat sich seit acht Jahren der mittlerweile über Köln hinaus bekannte Musikveranstaltungssort "Underground" auf dem Gelände etabliert. Weiterhin ist z.Z. ein Autohaus ansässig. Das Mausergelände zwischen Marien-, Lessing-, Leyendecker- und Venloer Straße ist bis heute noch ungenutzt. Bislang ist noch keine Einigung zwischen Besitzer und Bezirksverwaltung über die weitere Nutzung erreicht worden.

188Alle in diesem Kapitel erwähnten Gelände sind auf der Karte Ehrenfelds verzeichnet.

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In das ehemalige Gebäude der Firma Voss (Baukräne) am Ehrenfeldgürtel zieht, wie schon erwähnt die Firma Balooni, die Luftballons und andere Freizeitartikel verkauft. Auf dem am Melatenfriedhof gelegenen Hasenkampgelände hatte eine Transportfirma ihren Standort. Z.Z. entsteht dort ein Wohnpark mit teuren Wohnungen. Ähnliches geschieht an der Lukasstraße, kurz hinter der Grenze des Stadtteils Ehrenfelds in Neu-Ehrenfeld. Dort produzierte die Rüstungsfirma Bauer noch im zweiten Golfkrieg Fahrzeuge für den Kriegseinsatz. Die erste Folgenutzung nach deren Schließung ist die "Ruine". Der Name schildert plastisch den Zustand des Geländes. Der Veranstaltungsort mit Kneipe erwirtschaftet hohe Gewinne, die nach Schließung der "Ruine" in die Neueröffnung "Herbrand´s" an der Herbrandstraße, also wieder auf ehemaligem Industriegelände, investiert werden. Z.Z. entsteht an der Lukasstraße eine Wohnsiedlung des gehobenen Bedarfs. Das ehemalige Verwaltungsgebäude der VDM (Vereinigte Deutsche Maschinenwerke, davor Leyendecker [wie die gleichnamige Straße in Ehrenfeld]) an der Venloer Straße dient seit 1980 als Bürgerzentrum. Daneben befindet sich der Leo-Amann-Park, eine der raren Grünflächen des Stadtteils. Da das freigewordene Gelände der Firma 4711 einen Sonderfall darstellt, sei ihm hier etwas mehr Raum gewidmet. Bis in die 90er Jahre hinein wird zwischen Venloer und Vogelsanger Straße das weltberühmte Kölnisch Wasser produziert. Dann baut das Unternehmen im benachbarten Bickendorf und verläßt den Produktionsstandort Ehrenfeld. Das Unternehmen nennt sich heute "MUEHLENS. Cologne - Paris - New York", um so sein Image als Produzent von Parfüm für ältere Damen abzustreifen. Es wird zu 91% von der Firma Wella in Darmstadt gekauft. Die Verwaltungsgebäude in Ehrenfeld werden weiterhin als solche genutzt. Die alten Produktionsgebäude werden z.Z. zu Wohnungen umgebaut, die auf dem freien Wohnungsmarkt verkauft werden. Bedingt durch ihre Größe werden sehr teure Wohnungen entstehen, was vermutlich nicht ohne Einfluß auf die Wohnungspreissituation im Stadtteil bleiben wird. Derartige Prozesse finden interessanterweise dort statt, wo Ehrenfeld der Innenstadt am nächsten ist. In dem Neubau, der ebenfalls auf dem Gelände errichtet wird, soll nach Absprachen mit der Stadt ein Kino eröffnet werden, das es z.Z. in Ehrenfeld nicht gibt. Es gibt jedoch Schwierigkeiten zwischen dem Investor und dem möglichen Pächter des Kinos. Jetzt wird in dem betreffenden Gebäude ein Teppichmarkt eröffnet. Der Bau richtet sich nach keinem Bebauungsplan. Gebaut wird nach dem Baulückengesetz. Dies hat zur Folge, daß alles der Willkür des Investors unterliegt. Mit seinem Vorgehen hat sich der Investor Barth in Ehrenfeld eher Feinde als Freunde gemacht. Anfänglich veröffentlicht er, er wolle 250 Wohnungen und ca. 5 - 6 Ladenlokale errichten. Mittlerweile werden nur noch 80 Wohnungen189, dagegen jedoch 30 Ladenlokale sowie eine hohe Zahl an Büros gebaut190. Die Mehrheitsparteien der Bezirksvertretung (SPD und GRÜNE) erscheinen aus Protest nicht zur Grundsteinlegung des "Barthonia-Centers". Schon bei der Vorstellung des Modells haben sie

189Nach Angaben des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters. 190Vgl. die Angaben zur Entwicklung der Büroflächen oben.

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Bedenken wegen der Großzügigkeit der Anlage in der ansonsten durch kleinteilige Bebauung geprägten Umgebung Ehrenfelds geäußert. Städtische Beamte dürfen nicht mehr in der Öffentlichkeit über das Projekt reden191. Es handelt sich offenbar um einen Fall von nicht gerade feinfühliger Stadtentwicklung durch 'Kölschen Klüngel'. Es bleibt zu bemerken, daß auch in der aktuellen Umbruchphase die Entwicklung Ehrenfelds wieder, wie bei der Entstehung des Stadtteils vor mehr als hundert Jahren, von wenigen Spekulanten stark beeinflußt wird.192 Ein bedenkenswerter Fall von Persistenz historischer Strukturen vor Ort. Leben in Ehrenfeld hat immer auch leben mit der Bahn bedeutet. Das ergibt sich durch die Bahnanschlüsse der Industrien. Momentan steht der Bau der ICE-Strecke Köln - Aachen Paris auf der Tagesordnung. Dafür müssen am durch Ehrenfeld laufenden Gleiskörper Veränderungen vorgenommen werden. Die gemauerten Bögen der höhergelegten Bahntrasse, die heute noch Platz für gewerbliche und kulturelle Nutzung (Proberäume) bieten, müssen aus Stabilitätsgründen zugemauert werden; die Hinterhäuser der Glasstraße werden abgerissen. Die initiierte (wirtschaftliche) Aufwertung der Venloer Straße, vor allem durch den UBahnbau, ist kritisch zu betrachten.193 Der angestrebte Effekt eines wirtschaftlichen Aufschwungs und einer damit verbundenen erhöhten Attraktivität ist bislang ausgeblieben. Während des U-Bahnbaus mußten viele Einzelhandelsgeschäfte schließen. Auf der Venloer Straße existieren noch fast 30 Baulücken, eine Tatsache, die nicht für die Attraktivität der Straße spricht. Die Strukturen und Prozesse auf der Venloer Straße sind sehr wichtig für Ehrenfeld, da die Straße identitätsbildenden Charakter hat. Wie die Interviews belegen, gilt sie vielen als typisch für Ehrenfeld und als zeigenswerter Ort im eigenen Stadtteil. Wenn die Venloer Straße bei der Entstehung des Vorortes der Besiedlung Orientierung bot, so ist sie auch heute Kernstück des Stadtteils - sowohl wirtschaftlich als auch topographisch und schließlich auch in den Köpfen der Menschen. Und so spiegelt sich an der Venloer Straße in gewissem Sinne alles wieder, was für der Stadtteil charakteristisch ist.

191Nach Auskunft des stellvertredenden Bezirksbürgermeisters. 192Vgl. WOLF 1988:23. 193Vgl. auch KIP 1993:162.

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III.C.1.2 Bevölkerungsstruktur

Bis in die frühen 70er Jahre dieses Jahrhunderts ist der Stadtteil Ehrenfeld das Gebiet einer relativ homogenen Arbeiterbevölkerung. Vor allen Dingen durch den Prozeß der Arbeitsmigration, später auch durch Familienzusammenführung, entsteht eine Gruppe von Eingewanderten innerhalb der Wohnbevölkerung Ehrenfelds, die heute annähernd ein Drittel (1994: 31,5%, 1970: 10,7%) ausmacht. Die Hälfte ist türkischer Nationalität.194 Der Anteil "ausländischer" Jugendlicher an den Jugendlichen des Stadtteils ist noch höher als der Anteil der "Ausländerinnen und Ausländer" der Wohnbevölkerung allgemein. 1993 beträgt er in Ehrenfeld für die 6-10jährigen 50,2%, für die 10-15jährigen 59,5% und für die 15 18jährigen 66,0% der jeweiligen Altersklasse. Köln insgesamt hat 1994 einen Anteil von 17,9% (1970: 11,5%) ausländischer Wohnbevölkerung. Da mittlerweile schon rund 25% der zweiten und rund 70% der dritten Generation, z.B. der Kölnerinnen und Kölner türkischer Staatsangehörigkeit in Köln geboren sind, setze ich den Begriff "Ausländerinnen und Ausländer" in Anführungszeichen.195 In den Interviews erwies sich diese Teilbevölkerung Ehrenfelds durchaus als heimatverbunden mit dem Stadtteil, was ihre Bezeichnung als "ausländisch", also fremd, Deutsche und "Ausländer" in Ehrenfeld zusätzlich irreführend macht. 30 25

1994

1990

1985

1980

1978

Tsd. Einwohner

Die dritte wesentliche 20 Komponente der Bevöl15 kerung besteht aus MenDeutsche 10 schen, die ebenfalls ungefähr im Laufe der letz5 "Ausländer" ten 20 Jahre in den 0 Stadtteil gezogen sind. Diese Gruppe bezeichne ich im folgenden als den "alternativen" BevölkeAbb. Nr.12. Deutsche und "Ausländer" in Ehrenfeld. Daten nach: AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN: Statistische Jahrbücher. Die Daten sind leider erst ab 1978 verfügbar. Zum rungsteil. Hierunter falZeitpunkt der Volkszählung 1970 leben in Ehrenfeld 4078 "Ausländerinnen und Ausländer". Der len: Künstlerinnen und große Zuzug liegt also zwischen 1970 und 1978. Eine in den letzten Jahren aufgekommene Angst vor Überfremdung ist statistisch nicht begründet. Künstler, Hausbesetzerinnen und Hausbesetzer, Studierende und neuerdings auch Yuppies. Die Abgrenzung zwischen "Traditionellen" und

194Vgl. Grafik in Kapitel III.A.. 195Ich hatte überlegt, den Begriff "Eingewanderte" zu benutzen, entschied mich aber dagegen, weil er keine klare Abgrenzung zu den "Alternativen" darstellt, die auch eingewandert sind - wenn sie dabei auch keine Staatsgrenze überschritten.

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"Alternativen" innerhalb der deutschen Bevölkerungsgruppe ist schwerer operationalisierbar und weniger eindeutig als die zwischen deutscher und ausländischer Bevölkerungsgruppe. Die zahlenmäßige Stärke dieses Segments der Ehrenfelder Bevölkerung findet ihren Ausdruck z.B. am Wahlergebnis der Grünen im Stadtteil. Wahlanalysen zeigen, daß Die Grünen in den "alternativen" Bevölkerungsgruppen überproportionale Erfolge erzielen. Bei den letzten Kommunalwahlen erhielten sie im Stadtteil Ehrenfeld bei den Wahlen zur Bezirksvertretung 26,3%. Die Grünen können z.Z. ca. 8 000 Stimmen der Wählerinnen und Wähler im Stadtbezirk Ehrenfeld auf sich vereinigen. Die Partei nimmt ein Anhalten der verändernden Prozesse in der Bevölkerungsstruktur an, und hofft mittelfristig auf die Besetzung des in Zukunft hauptamtlichen Bezirksbürgermeisters.

% Stimmen

Jede der drei BevölkeEntwicklung des Stimmenanteils der Grünen bei den rungsgruppen weist eine Kommunalwahlen in Ehrenfeld und Köln mehr oder weniger starke innere Differenzierung auf. 30 25,40% Die Hausbesetzerinnen und 25 Stadt Köln Hausbesetzer der Lessing20 Ehrenfeld 16,20% straße / Marienstraße wür15 den höchstwahrscheinlich 10 scharf protestieren, ver4% 4,20% 5 mischte man sie mit Gutver0 dienenden, wie sie vermut1979 1984 1989 1994 lich in die ehemalige Produktionsstätte der Firma Abb. Nr.13: Entwicklung des Stimmenanteils der Grünen bei den Kommunalwahlen in Ehrenfeld und Köln. Daten nach: Amt für Statistik und Einwohnerwesen. Statistische Jahrbücher. Zahlen von 4711 an der Venloer Straße 1979 für "Kölner Alternative". ziehen werden. Neben einer Mischung von Hausbesetzern, Yuppies u.a. suchen in Ehrenfeld z.B. auch Schwule und Lesben Raum zur Lebensgestaltung. Auf dem ehemaligen Gelände der Maschinenfabrik Kolb an der Ecke Leyendeckerstraße / Helmholtzstraße entsteht z.Z. das Wohnprojekt "Anders leben in Ehrenfeld".196 Auch in der ausländischen Bevölkerungsgruppe ist eine pauschale Betrachtung der Gesamtgruppe vorläufig. Die Gruppe der Türkinnen und Türken etwa unterscheidet sich durch ihren islamischen Glauben und den damit verbundenen Regelungen des alltäglichen Lebens von den Eingewanderten christlichen Glaubens. Sogar diese Untergruppe der Türkinnen und Türken wäre noch in streng praktizierende und in laizistisch orientierte Menschen aufzuteilen.

196Die Namensähnlichkeit zum "Café Anders" in der Wahlenstraße ist absichtlich. Auch das "Anders" ist in schwuler Leitung. Das Café, das in das Wohnprojekt integriert werden soll, soll nach Willen des Architekten auch vom "Anders" betrieben werden.

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In dieser Arbeit bleibe ich jedoch bei der Einteilung der Ehrenfelder Bevölkerung in drei Gruppen, da eine weitere Ausdifferenzierung den Rahmen sprengen würde.197 Die drei Bevölkerungsgruppen haben ihre spezifischen Räume198 und prägen so das urbane Gesicht Ehrenfelds. Räume der traditionellen Bevölkerung sind z.B. die zahlreichen Kölschkneipen und Trinkhallen, die preiswerten Einkaufsorte (die Kaufhalle an der Venloer Straße) usw.; Räume des ausländischen Bevölkerungssegments sind die spezialisierten (Lebensmittel-)Geschäfte, die Moscheen199, die Kneipen verschiedener Nationalitäten, Teehäuser der türkischen Kulturvereine usw. Ohne hier Abb. Nr.14: Postkarte des Café Anders auf der Wahlenstraße. Das Photo zeigt Fernando Pessoa nähere Untersuchungen und Franz Kafka. Sicher nicht für alle Bewohnerinnen und Bewohner Ehrenfelds geläufige durchführen zu können, ist nach Lektüre. den Beobachtungen und Interviews davon auszugehen, daß die ausländische Bevölkerungsstruktur Ehrenfelds mit dem Begriff der Ethnischen Kolonie nach HECKMANN200 beschrieben werden kann. Es haben sich innerhalb der Nationalitätengruppen Strukturen entwickelt, die hauptsächlich auf die eigene Gruppe gerichtet sind. Es gibt zahlreiche Arbeiter, die in Fabriken (etwa Ford in Niehl) arbeiten, aber es gibt auch das "ethnische Kleinbürgertum", das den Lebensmittelladen, die Teestube oder auch den Kiosk an der Ecke betreibt. Einen Raum der Italienerinnen und Italiener bildet beispielsweise die Heliosstraße: In unmittelbarer Nachbar-

197Hier bietet sich der Stoff für weitere Examens-, Diplom- oder ähnliche Arbeiten. 198Das Wort "Raum" beziehe ich hier auf die Herkunft seiner Bedeutung. Das Herkunftswörterbuch des Duden erwähnt als ursprüngliche Bedeutung: "Platz schaffen, leer machen, frei machen" 199Vor allem die DITIB-Moschee an der Venloer Straße. Sie steht dem türkischen Amt für Religionsangelegenheiten nahe und ist eine zentrale Einrichtung internationalen Nivaues für die türkische Bevölkerungsgruppe. 200HECKMANN, Friedrich (1992): Ethnische Minderheiten, Volk und Nation: Soziologie interethnischer Beziehungen. Stuttgart Vgl auch die Darstellung bei BERNS´AU (1993).

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schaft befinden sich eine italienische Autogarage, ein Geschäft für italienische Küchengeräte und der "Supermercatore italiano". Für das Alternative Bevölkerungssegment können folgende Räume genannt werden: die Szene-Kneipen ("Café Anders", "Sehnsucht", "Herbrand´s" usw.), die Musikorte, die meist Konzerthalle, Kneipe, Diskothek und Biergarten vereinen ("Underground", "Live Music Hall" (Lichtstraße), "Bel Air" (Kohlenstraße), "Loft" (Wißmannstraße), die Theater ("Urania" und Stadttheater), die alternativen Läden ("der andere Buchladen") desweiteren diverse soziale und politische Initiativen, die oft einen (multi)kulturellem Schwerpunkt haben: "Allerweltshaus" (Platenstraße), "Kölner Appell" (Wahlenstraße), "Institut für kulturelle Weiterbildung" (Stammstraße) usw.). Die Initiativen stellen Orte dar, die teilweise explizit der Begegnung verschiedener Bevölkerungsgruppen dienen sollen. Als Begegnungsorte anzusprechen sind etwa das Allerweltshaus, der Kölner Appell, das Bürgerzentrum Ehrenfeld "BüZe" und auch Einrichtungen wie das Bezirksrathaus mit der Stadtteilbücherei u.a.. Ein klassischer Ort der Begegnung ist der Ehrenfelder Wochenmarkt, der dienstags- und freitagsvormittags auf dem Neptunplatz stattfindet. Trotz dieser Orte ist der Grad des Miteinander kritisch zu beurteilen. Kaum jemand sagt in Ehrenfeld offen, daß er oder sie mit einer der anderen Bevölkerungsgruppen Probleme hat, doch Begegnung im Sinne von gemeinsamem Erleben findet offenbar sehr selten statt. Das zufällige Treffen beim Einkauf in der Trinkhalle ist schon viel. Der multikulturelle Charakter, der dem Stadtteil oft bescheinigt wird, beschreibt nach meiner Einschätzung eher ein Nebeneinander denn ein Miteinander der verschiedenen Kulturen. Den Begriff "Kulturen" verwende ich hier für die generalisierte Lebensweise der drei angesprochenen Bevölkerungssegmente. Das Zusammenleben verschiedener Nationalitäten ist in Ehrenfeld Alltag, gleichzeitig bleibt es schwierig. Dies wird exemplarisch deutlich in der Dokumentation "Zwischen Paradies und Alptraum oder gehört Heimat der Vergangenheit an?". Die "Regionale Arbeitsstelle zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendlicher"201 der Stadt Köln hatte in Zusammenarbeit mit dem "Kölner Appell" aus Ehrenfeld eine Unterrichtsreihe in einer lokalen Berufsschule durchgeführt. Die Alltäglichkeit des kulturellen Nebeneinanders zeigte sich darin, daß eine Hälfte der Schülerinnen aus Deutschen, die andere aus Nichtdeutschen bestand. Die Schwierigkeiten stellten sich im Laufe der Arbeit heraus. Gleichzeitig wurde aber auch die Möglichkeit und der Erfolg interkulturellen Arbeitens vor Ort deutlich gemacht.

201Vgl. die Auflistung der zu Rate gezogenen qualitativen Datenquellen in Kapitel II.B.

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Der Wandel Ehrenfelds in den letzten ca. 20 Jahren könnte mit dem Titel: "Köln-Ehrenfeld - vom Räuberfeld zum Edelfeld" überschrieben werden. Menschen, die in den 70er oder frühen 80er Jahren in den Stadtteil Ehrenfeld zogen, erzählen häufiger, daß die Bekanntgabe ihrer Umzugsabsichten im Bekanntenkreis damals eher Unverständnis auslöste. Ob sie denn wirklich ins "Räuberfeld" ziehen wollten, wurden sie gefragt. Offensichtlich existiert Mitte der 70er Jahre das "[...]allgemeine Vorurteil, Ehrenfeld sei ein baulich wertloser Stadtteil, der nur einer Unterschichtbevölkerung als Wohnstandort genüge [...] " MEYNEN 1978:264

MEYNEN stellt für diese Zeit ein " [...] Abb.Nr.15: Räuberfeld 1995. Rückseite der Rothehausstraße vom Neptunplatz gesehen. kontinuierliche[s] Sinken des sozialen Status, welches noch die letzten angesehenen Familien zu vertreiben droht [, fest]." MEYNEN 1978:264.

In der Arbeit von MEYNEN, die sich mit Bebauung und Sozialstruktur des Stadtteils befaßt, scheint sich ein gewisser Wendepunkt in der Betrachtung Ehrenfelds zu manifestieren. Ein Jahr später, 1979, wird unter ihrer Mitarbeit das Denkmälerverzeichnis des Stadtbezirks veröffentlicht. Ein solcher Schritt weist auf eine Umbewertung der Bausubstanz der Stadtteils hin. Vor allem in den 80er Jahren kommt es zu den oben geschilderten Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur. Eine Entwicklung, die zu Beginn der 90er Jahre zum vom KIP beschriebenen Zustand führt: [...] Ehrenfeld- Ost befand sich aufgrund der seit den 80er Jahren einsetzenden Entwicklungen zu Anfang der 90er Jahre im Schwebezustand zwischen sozialverträglicher Erneuerung und einer Überaufwertung, welche einen durchgreifenden qualitativen Bewohneraustausch erwarten [ließe]." KIP 1993:20

Speziell der Zuzug und die Präsenz des alternativen Bevölkerungssegments weist auf den Prozeß der Gentrification in Ehrenfeld hin: Die "Alternativen" sind die "Pioniere" im idealtypischen Verlauf des Prozesses. Auch KIP stellt in seiner Diplomarbeit fest, daß in Ehrenfeld-Ost "Gentrification im Pionierstadium" vorliegt. Ehrenfeld-Ost, genauer das Gebiet zwischen Subbelrather Straße, Ehrenfeldgürtel, Vogelsanger Straße und Innerer Kanalstraße, ist sicherlich als erstes bei einer Beurteilung von Gentrification in Ehrenfeld zu untersuchen. Hier konzentrieren sich die Einrichtungen der Pionierinfrastruktur: Der "andere Buchladen" und das "Café Anders" zwischen

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Wahlen- und Klarastraße, gleich gegenüber das Alternativ-Reisebüro "Extratour" und das "Allerweltshaus", über dem Café das Büro des "Kölner Appells", das "Café Sehnsucht" in der Körnerstraße usw. Ein Indikator, der ebenfalls auf Gentrification deutet, ist die Zunahme der durchschnittlichen Wohnfläche pro Person. 1968 sind es in Köln 21,5m2 und 1993 33,7m2. 1987 beträgt die durchschnittliche Wohnfläche in Ehrenfeld 29,8 m2. Die Zahl und der Anteil der Einpersonenhaushalte in Köln steigt im beobachteten Zeitraum stark an. 1970 ist der Anteil 32,8%, 1995 beträgt er 45,8%. Gleichzeitig leben in Köln 27,6% der Einwohnerinnen und Einwohner in Zweipersonenhaushalten (1970: 23,5%). Im Stadtteil Ehrenfeld leben 1995 55% in Einpersonenhaushalten, ca. ein Drittel davon unter 40jährige, die für die Gentrification besonders zu beachten sind. Die durchschnittliche Haushaltsgröße beträgt in Köln 1995 1,99 Personen (Vergleich: 1980: 2,24) und im Stadtteil Ehrenfeld 1,83 Personen202 (wobei ausländische Haushalte durchschnittlich größer und deutsche Haushalte kleiner als dieser Mittelwert sind203). Im Sanierungsgebiet Ehrenfeld-Ost wird Mitte der 80er Jahre eine Aufwertung des Wohnungsbestandes durch kommunale Maßnahmen in Gang gesetzt. Es werden Sanierungsgebiete ausgewiesen und die U-Bahn gebaut. Dies steht im Zusammenhang mit einer Neugestaltung der Venloer Straße. Die Bahnhöfe der UBahn erhalten ein individuelles Design. Die marmornen Aufgänge passen heute an manchen Stellen wenig zur Abb. Nr.16: Edelfeld 1995. Aufgang der U-Bahnstation Körnerstraße. Das Photo ist ca. 200m Luftlinie von der Aufnahme zum "Räuberfeld" entstanden. teilweise noch immer heruntergekommenen Bausubstanz der umliegenden Wohnhäuser. In Bezug auf den Marmor der U-Bahnhöfe hörte ich in den Interviews den Begriff "Edelfeld". Zeitgleich mit den und in der Folge der Aufwertungsmaßnahmen ziehen verstärkt die im Modell der Gentrification als Pioniere204 bezeichneten Bevölkerungsgruppen nach Ehrenfeld. Dies führt insgesamt zu einer Verjüngung und Statuserhöhung (bessere Ausbildung, bessere finanzielle Ausstattung) der deutschen Bevölkerung Ehrenfeld-Osts seit

202Vgl. hierzu auch: STADT KÖLN 1988:7. 203Vgl. STADT KÖLN 1988:29; KIP 1993:57. 204Vgl, Kapitel II.C.4.2 und KIP1993:177.

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Mitte der 80er Jahre.205 Eine Beobachtung aus meinen qualitativen Interviews, die auch KIP anhand seiner quantitativen Arbeit bestätigt: "Bei der Untersuchung der länger ansässigen und im Laufe der 80er Jahre nach Ehrenfeld gezogenen Bewohner wird das Maß der Umschichtung in der Tätigkeitsstruktur der Bewohner des Untersuchungsgebiets deutlich. 84% der Arbeiter, Beamten, Pensionäre und Hausfrauen und 52% der Facharbeiter und Angestellten hatten schon vor 1980 in Ehrenfeld gewohnt. Auf der anderen Seite nur 38% der Selbstständigen und 15% der Studenten." KIP 1993:63

Ein Teil der finanziell schlechter gestellten Bevölkerung206, die im Prozeß der Gentrification als erste von ihrem Wohnstandort verdrängt werden, scheint den Stadtteil bereits verlassen zu haben.207 Ein vermehrter Zuzug von Gentrifiern, der im Modell in direkter zeitlicher Abfolge geschieht, ist allerdings z.Z. nicht zu beobachten. KIP bezeichnet ihn als denkbar, aber unwahrscheinlich. Der Autor führt als Begründung an, daß die rechtlichen Schutzmaßnahmen für die altansässige Bevölkerung geeignete Instrumente seien und der kleinteilige Wohnungsbestand Ehrenfeld-Osts diesen relativ wenig attraktiv für Luxussanierungen und Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen mache.208 Dagegen zu setzen sind die Beobachtungen des starken Wohnungs- und Büroneubaus (s.o.), der den Stadtteil für Gentrifier-Bevölkerungsschichten zunehmend als Arbeits- und Wohnstandort attraktiver machen. Eine Verdrängung der ausländischen Bevölkerung hat, wie ihr immer noch steigender Anteil zeigt, bisher nicht stattgefunden. Neben der Aufteilung der Ehrenfelder Bevölkerung nach (Sub)Kulturen läßt sich eine weitere Aufteilung nach ökonomischen Ressourcen vornehmen. WOLF weist auf die Brisanz dieses Problems hin: "Die rasant zunehmende Verarmung eines erheblichen Teils der Menschen hier ist kaum zu übersehen." WOLF 1988:22

Die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger ist im Stadtbezirk Ehrenfeld schon Mitte der 80er Jahre vergleichsweise hoch. 1993 hat sie jedoch ihren bisherigen Höhepunkt erreicht, wie aus den beiden nächsten Grafiken ersichtlich ist. In der ersten Hälfte des Jahre 1993 beziehen im Stadtteil Ehrenfeld 7 764 Personen Sozialhilfeleistungen. Mithin sind 8,15% der Bevölkerung durch ihre Armut auf Sicherung des Existenzminimuns durch öffentliche Leistungen angewiesen. Im Bezirk Ehrenfeld gibt es im

205Vgl. KIP 1993:177. 206In vielen Untersuchungen wird der Begriff "Sozial Schwache" gebraucht. Da ich ihn problematisch finde, habe ich ihn ersetzt. Nach BOURDIEU wäre allerdings wiederum anzufragen, inwieweit das Kriterium der Finanzstärke im Prozeß der Gentrification entscheidend ist, und inwieweit tatsächlich "soziales" und "kulturelles" Kapital mitentscheiden. 207Vgl. KIP 1993:68. 208Ebd. 1993:178.

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Verhältnis zur Bevölkerungszahl die meisten Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger in ganz Köln209.

209Angaben laut Bezirksverwaltungsstelle Ehrenfeld. Stand 1.1.1993. 210Vgl. KIP 1993:67 und 69.

1995

1990

1985

1980

1975

1970

1965

Bedarfsgemeinschaften in tsd.

35 Eine deutschen Haushalten 30 von 1 320 DM. Die 11% der 25 Bevölkerung, die KIP als 20 Gentrifier betrachtet, verfügen 15 Stadt Köln durchschnittlich über 1 700 10 DM Pro-Kopf-Einkommen.210 5 Bezirk Ehrenfeld 0 Zur Kehrseite der hier mittels der Sozialhilfedaten operationalisierten Armut, AbbNr. 17: Sozialhilfedaten (Hilfe zum Lebensunterhalt); Daten nach: AMT FÜR zum Reichtum, liegen STATISTIK UND EINWOHNERWESEN. Statistisches Informationssystem1 Die statistische Größe "Bedarfsgemeinschaften" entspricht ungefähr den Familien. Die allgemein nur wenige Daten Daten beziehen sich auf Hilfe zum Lebensunterhalt vor. Das Statistische Jahrbuch 1992/93 belegt lediglich, daß der Bevölkerungsanteil Kölns mit einem Nettoeinkommen unter 1 000 DM von 1991 9,9% auf 1993 12,2% wächst, während der Anteil von Beziehern eines Nettoeinkommens über 4 000 DM von 5,6% auf 7% ansteigt.

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Abb. Nr.18: Sozialhilfebedarfsgemeinschaften je 1000 Haushalte in den Stadtbezirken 1983 bis 1993. Aus: AMT FÜR STATISTIK UND EINWOHNERWESEN (1994): Statistisches Jahrbuch 1992/93.

Über Obdachlosigkeit211, die öffentliche Erscheinungsform von Armut in unseren Städten, ist für den Stadtteil Ehrenfeld wenig zu sagen. Offensichtliche Obdachlosigkeit ist wenig bis nicht zu beobachten und in den geführten Interviews war Obdachlosigkeit ebenfalls kein Thema. Die Diversifizierung und Segmentierung der Bevölkerungsstruktur Ehrenfelds hat Gründe und Folgen. Einer der Gründe ist in den geschilderten Veränderungen der Wirtschaftsstruktur zu suchen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die früher in den Fabriken Ehrenfelds gearbeitet haben, sind teilweise zu Pendlerinnen und Pendlern geworden. Viele sind auch wegen ihres Arbeitsplatzes aus Ehrenfeld weggezogen. Andere schaffen in den 60er und 70er Jahren den Aufstieg in die Mittelschicht und suburbanisieren ihren Wohnstandort, ziehen nach Bergheim, Pulheim oder ähnlichen Orten im Kölner Umfeld. Diese Wanderung erfolgt selektiv nach ökonomischen

211Die Obdachlosigkeit in Köln erklärt das Statistische Jahrbuch 1992/93 durch die Entwicklung der Mietpreise, die besonders untere Einkommensklassen trifft. Für diese nimmt der Anteil der Mietbelastung vom Nettoeinkommen am stärksten zu. Gleichzeitig steigt die Zahl der Bezieher niedriger Einkommen, während der Anteil an Sozialwohnungen in Köln abnimmt (Vgl. auch ALISCH / DANGSCHAT 1993) In Köln gibt es einen relativ gut funktionierenden Mechanismus, der Obdachlosigkeit verhindern soll: das Beschlagnahmen von Wohnungen und die Übernahme von Mietrückständen. Köln ist mit diesem Modell hierin mit Bremen und München Vorreiter für die BRD. Das führt aber zu einer Kumulation von Armut in bestimmen Quartieren, in denen die Stadt Köln das Belegungsrecht hat. Sozialwohnungsbestand wird so zum eindeutigen Indikator für Armutswohngebiete: Holweide, Vingst, Ostheim Kalk, Mülheim, Bickendorf, Bocklemünd. Die Armut wird ausgelagert: Wer sich nicht damit beschäftigt, sieht die Armut nicht.

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Ressourcen.212 Das soziologische Modell der Unterschichtung gewinnt in Ehrenfeld eine konkrete räumliche Komponente: In die durch den Wegzug der relativ reicher gewordenen deutschen Bevölkerung frei gewordenen Räume zieht zum Teil ausländische Bevölkerung, die räumlich und sozial die untersten Ränge der Gesellschaft einnimmt. Die Folgen der hinsichtlich Subkultur / Lebensstil und ökonomischen Ressourcen veränderten Bevölkerungsstruktur sind am deutlichsten aus den Berichten derer herauszuhören, die schon vor der Veränderung in Ehrenfeld ansässig waren. Die Einzelhändler im Stadtteil, vor allem die auf der Venloer Straße, beklagen sich über Umsatzeinbußen. Als Gründe sehen sie oft den Bau der U-Bahn an. Die Menschen würden nun gleich in "die Stadt" (gemeint ist die Innenstadt) fahren und nicht mehr an der Venloer Straße aussteigen. Gegen diese Klagen ist inhaltlich einiges einzuwenden.213 Wenn die angesprochenen Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur betrachtet werden, so ist nicht verwunderlich, daß solche Geschäfte, die ihr Angebot nur auf einen Teil der Bevölkerung ausrichten, Umsatzprobleme bekommen, wenn dieser Teil zahlenmäßig kleiner wird und sie ihr Angebot nicht an diese veränderte Bevölkerungsstruktur anpassen. Daneben ist wegen der größeren Arbeitslosenrate und Sozialhilfequote die Massenkaufkraft gesunken. Schließlich haben die städtischen Einzelhandelsgeschäfte noch eine Konkurrenz in den neuen großen Supermärkten auf der grünen Wiese bekommen. III.C.1.3 Kunst- und Kulturszene

Die Ausbildung und Etablierung einer Kunst- und Kulturszene im Stadtteil Ehrenfeld ist charakteristisch und aufschlußreich für die Raumnahme des alternativen Bevölkerungssegments. Daneben hängt sie eng mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen zusammen. Es fällt mir am leichtesten, die Etablierungsprozesse dieses Bevölkerungssegments nachzuvollziehen und zu schildern, weil sie mir am vertrautesten sind. Die Strukturen und Prozesse des ausländischen Bevölkerungssegments erschließen sich wesentlich schwerer. Sprachliche und kulturelle Hindernisse machen einen deutlich längeren Forschungs- und Auswertungsprozeß notwendig. Die folgenden Schilderungen stehen in gewisser Hinsicht auch exemplarisch für das ausländische Bevölkerungssegment und seine Etablierung. Die Etablierung des traditionellen Bevölkerungssegments liegt außerhalb des Zeitrahmens, für den im Rahmen dieser Arbeit Rezenter Wandel betrachtet wird. Sie wird als gegeben angenommen. Schon 1977 wurden in der Lessingstraße und Marienstraße die Häuser besetzt, die heute die längstbesetzten Häuser Kölns sind. Die Menschen leben heute teilweise mit fünfköpfigen Familien in den seit 18 Jahren besetzten Häusern. Ein Prozeß der Etablierung214, der sich noch 212Vgl. Kapitel II.C.4.1. 213Etwa die durch die U-Bahn gegebene schnellere Erreichbarkeit der Geschäfte und das Ergebnis einer Umfrage der Stadt Köln,die ergab, daß sehr viele Menschen zu Fuß auf der Venloer Straße einkaufen. 214Der Umgang mit Hausbesetzungen ist auch in Ehrenfeld nicht immer von Toleranz und Verständnis geprägt. 1988 berichtet WOLF von der "brutalen und hinterhältigen" Räumung des Hauses Körnerstraße 12. WOLF 1988:23.

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in Ehrenfeld an vielen Stellen äußert, wie in diesem Kapitel zu zeigen ist. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre stehen in Ehrenfeld aufgrund des Wegzugs vieler Gewerbebetrieber und eines Teils der angestammten Bevölkerung (s.o.) Räume leer. Dort ziehen neben der ausländischen Bevölkerung Künstlerinnen und Künstler sowie Wohngemeinschaften ein. Aufgrund mangelnder Betätigungsmöglichkeiten für die Künstlerinnen und Künstler entstehen in dieser Zeit die Ehrenfelder Skulpturentage. An diesen Tagen werden in ganz Ehrenfeld Skulpturen aufgestellt. Diese sind oft nur für einen Abend zu sehen, weil am nächsten Tag die Hälfte schon zerstört ist. Verständnis und Toleranz unter den Bevölkerungsgruppen sind offensichtlich nicht weit gediehen. Der "Verein für Ehrenfelder Stadtteilkultur" wird von einer Arbeitsgruppe gegründet. Er ist geprägt durch die Soziokultur der 70er Jahre und will mit der Bevölkerung arbeiten. Zwischen 83 und 86 werden viermal die "Ehrenfelder Kulturtage" veranstaltet. Es gibt noch kein "Underground", kein "Herbrand´s", keine "Ruine" und kein "Bel Air". Es existiert gerade erst das "Café Sehnsucht" in der Körnerstraße, und auch das "BüZe" ist erst im Anfang begriffen. Das "Pionierstadium", um wieder auf das Modell der Gentrification zurückzugreifen, ist noch in der Anfangsphase. Für Objekte und Performances der Skulpturentage werden Orte wie z.B. Foyers von Hotels oder schlicht die Straße aufgesucht. Nach drei bis vier Jahren kommt es zu einer Aufteilung innerhalb des Kulturbereiches. Amateure und Laienkünstler wollen nicht mehr zusammen mit Profis auftreten und umgekehrt. Profis wenden sich vom Konzept der stadtteilorientierten Soziokultur ab. Der Verein für Ehrenfelder Stadtteilkultur benennt sich um in "Ehrenfelder Kunstverein". Er hat bisher sechsmal das Kunstfestival "Tata West" veranstaltet. In diesem Jahr heißt das Projekt "Tata 95". Im Gegensatz zu den Anfängen (s.o.) wird die Kunst heute in Ateliers, Galerien, Musikhallen, im Bunker in der Körnerstraße und im Urania-Theater sowie in einigen Geschäften auf der Venloer Straße, die für die zehn Tage der Kulturschau Ausstellungsflächen in Ladenlokalen und Schaufenstern zur Verfügung stellen, ausgestellt. Die innere Differenzierung der "alternativen" Bevölkerungsgruppe und ihre gleichzeitige Etablierung werden deutlich. Die Künstlerinnen und Künstler wollen ihre Arbeit nicht mehr als provinzielle Stadtteilkultur sondern als Modell von dezentral organisierter Kunst verstanden wissen, die in Köln ein Gegengewicht zur aufwendig gestalteten und geförderten Innenstadtkunst darstellt. Ehrenfeld wird zu einem Dorado für alternative Kulturinstitutionen. Die Zweigstelle der VHS veranstaltet 1995 eine Führung durch die Ehrenfelder Galerien. Ehrenfeld hat als einer von zwei Kölner Bezirken einen fest angestellten Stadtbezirkskulturbeauftragen215. Beides kann als ein weiteres Zeichen für Etablierung gewertet werden. Mittlerweile gibt es einen zweiten Kulturverein, den "Förderkreis Kultur Köln 30". Er nimmt den bei Gründung des Ehrenfelder Kunstvereins abgerissenen Faden der Soziokultur wieder

215vgl. WOLF 1988:22 und SPD-Kommunalpolitisches Programm.

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auf. Sein Selbstverständnis bezieht sich, wie der Name ausdrückt216 auf den Stadtteil und den Stadtbezirk. In seiner Selbstdarstellung erklärt der Förderkreis: "[Wir sehen als unsere Aufgabe,] die besondere Berücksichtigung der kulturellen Aktivitäten und Bedürfnisse[.] von Kindern und Jugendlichen, der älteren Menschen sowie der unterschiedlichen kulturellen Traditionen der Einwohnerschaft Ehrenfelds."

Der Förderkreis veranstaltet 1995 zum dritten Mal die "Ehrenfelder Kulturwochen", die als Nachfolger der Kulturtage (s.o. - ein weiteres Zeichen EHRENFELD von Etablierung) zu sehen sind. Der BezirksbürgerDu häs keine Jlöckstän un all` die Engel lore fott meister Günter ROMBEY schreibt als Geleit in das ProDi Hätz is ne Schlaachhoff gramm der Kulturwochen: un dinge Buch is voll met Schrott "Die Ehrenfelder Kulturwochen spiegeln die vielfältigen kulturellen und künstlerischen Aktivitäten im Stadtteil wieder: von Geistlicher Chormusik bis Rock gegen Gewalt, von Kunst und Theater im Hochbunker bis hin zu Kulturaktionen auf öffentlichen Plätzen unter Beteiligung des Straßenpublikums. Orte und Publikum sind so unterschiedlich wie die Menschen, die hier leben."

Wie et Bermuda-Dreieck zwesche Milch, Fleisch un Sex he is mancher jebore un mancher verreck Refrain: Du bes zwesche Himmel un Höll´ wie ne Diamant unger all dem Jeröll Du bes för jeden da dä zo dir hält - Ihrefeld

Auch gibt es ein durch den Verein veranstaltetes FesFabrikruine un Bahndamm tival zum Thema "Wo singt man die Lieder der Heimat? Minsche ohne Job Jewöhl us hundert Sprache Ein Festival der Lieder zu beiden Seiten der Venloer un se bette zu Allah un Jott Straße ohne Lederhosen- und Dirndlzwang". Es treten Maach die Auge op et litt Jold op d´r Stroß 217 hauptsächlich Mitwirkende aus Ehrenfeld auf. Viele un wä de einmal häs dä löste nie widder loß von ihnen haben auch Lieder über Ehrenfeld in ihrem Repertoire. Das bekannteste ist wohl das der Rockband Refrain: "Brings" (vgl. Kasten). En dir ben ich jebore he is mih zo Hus Hier wird die Identifikation des Vereins und auch der he kritt mich keiner erus Szene mit ihrem Stadtteil deutlich. Dieser Grad der Refrain: Identifikation wiederum deutet erneut auf die Ming janze Welt litt en Ihrefeld Etablierung des alternativen Bevölkerungssegments in Text: Stephan Brings. Ehrenfeld hin. Erschienen auf der CD: "Hex´n Sex". Beide Vereine (Ehrenfelder Kunstverein und Förderkreis Kultur Köln 30) kritisieren die Fixierung der kommunalen Kunst- und Kulturförderung auf die Innenstadt. "Kultur gehöre dahin, wo Menschen leben - nicht nur in die Innenstadt." zitiert der Kölner Stadtanzeiger ein Vorstandsmitglied des Fördervereins Kultur Köln 30.218

216Köln 30 war die Postleitzahl des Bezirks Ehrenfeld vor der postalischen Neugliederung in Bereiche mit fünf Postleitzahlen. 217Z.B.: Klaus-Dieter Hoff, Ex-Schlagzeuger der Gruppe "Purple Schulz" , Rolli Brings und Söhne, der "kölsche Grieche" und Rockmusiker Nik Nikitakis, Klaus Graf. 218BARTELS, Klaus (1995): Echte Renner waren diesmal die Ausnahme. Schlußfest der Kulturwochen fand kaum Interesse. In: Kölner Stadtanzeiger, 30.März 1995.

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III.C.2 Prozesse

Zusammenfassung und Einbettung in globale

Bei der Entstehung des Stadtteils Ehrenfelds hat der verarbeitende Sektor die wesentliche Rolle gespielt. In den letzten dreißig Jahren hat er jedoch sehr an Gewicht verloren. Suburbanisierung und Deindustrialisierung führen in Ehrenfeld zu Massenentlassungen. Brachflächen und Großbaustellen sind z.Z. die Spuren davon. Die ehemaligen Gelände der Firmen Moll, Helios, Mauser, Hasenkamp, Vereinigte Deutsche Maschinenwerke, und Muehlens / 4711 sind Beispiele ehemals industriell genutzter Großflächen vor Ort. Ein wesentliches Element der Raumentwicklung westlicher Industriestaaten in Zeiten des Postfordismus wird hiermit lokal erkennbar: der Abbau großer Produktionseinheiten in den Städten. Die Deindustrialisierung Ehrenfelds ist jedoch nicht ausschließlich durch die beschriebenen Entwicklungen des kapitalistischen (Welt)Wirtschaftssystems zu erklären. Nationale, regionale und lokale Faktoren spielen ebenfalls ihre Rolle. So werden in der Lichtstraße von der Firma Ostermann bis in die 90er Jahre Schiffsschrauben hergestellt. Die Firma verlagert in der Folge des Beitritts der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD ihren Standort nach Rostock. Dieser Schritt ist sicher für das Unternehmen nicht zwingend, sondern erbringt vielmehr einige Subventionen, die der deutsche Staat zur Unterstützung der wirtschaftlichen Wende in den neuen Bundesländern zahlt. In Ehrenfeld werden 100 Menschen arbeitslos. In anderen Bereichen ist die Dominanz des Globalen über das Lokale unübersehbar. Die Internationalisierung des Arbeitsmarkts im Zuge des gemeinsamen Binnenmarktes der Europäischen Union und vermutlich auch illegale Leiharbeit durch Arbeiter aus dem ehemaligen Ostblock zeigen ihre bekannten Folgen auch auf den Baustellen Ehrenfelds. Die Zunahme der Büroflächen indiziert die fortschreitende Tertiärisierung im Stadtteil. Vor allem die Bedeutungszunahme der produktionsorientierten Dienstleistungen ist bemerkenswert. All diese Entwicklungen entsprechen den aus der Theorie zu ziehenden Erwartungen an einen altindustrialisierten Vorort einer westdeutschen Großstadt. Dies trifft auch die Reaktionen der Kommune bezüglich der Sanierung von Teilgebieten in Ehrenfelds, der Einrichtung eines Technologieparks und dem Einsatz von Public-Privat-Partnership. Ebenfalls im Rahmen globaler Entwicklungen steht die zweifelhafte Wirkung und Nachhaltigkeit der Maßnahmen. Die Bevölkerungsstruktur ist geprägt durch eine Dreiteilung in "Traditionelle", "Ausländische" und "Alternative" Bevölkerung. Diese Einteilung ist angesichts der inneren Differenzierung der drei Gruppen sicherlich nur ein erstes Raster, welches aber in dieser Arbeit nicht genauer aufgefächert werden konnte. Für die eingewanderte Bevölkerung ohne deutschen Paß ist, insbesondere bei dem Anteil türkischer Staatsangehörigkeit, von der Herausbildung Ethnischer Kolonien auszugehen.

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Die eingewanderte Bevölkerung mit deutschem Paß219, also der "Alternative" Bevölkerungsanteil spielt eine Rolle im Zusammenhang mit dem Prozeß der Gentrification. Die "Alternativen" stellen die "Pioniere" im idealtypischen Verlauf der Gentrification dar. Ihre Lebensstile unterscheiden sich teilweise deutlicher von denen der "Traditionellen" als die Lebensstile der "Ausländer". Die Einrichtungen der "Alternativen" (Restaurants, Geschäfte usw.) sind als entsprechende "Pionierinfrastruktur" zu betrachten. Im Zusammenhang mit der Aufwertung, die der Stadtteil durch kommunale Maßnahmen (Umbau der Venloer Straße und Bau der U-Bahn, Sanierung usw.) und private Investitionen(Bau von Luxuswohnungen, Ausweitung der Büroflächen usw.) erfahren hat und erfährt, ist ein Fortschreiten der Gentrification mindestens in Teilgebieten Ehrenfelds wahrscheinlich. Das Miteinander der Bevölkerungsgruppen ist eher als ein Nebeneinander anzusehen. Das Stadtteilfest "Bunte Welt in Ehrenfeld" leidet an geringer Beteiligung, das Strassenfest des Karnevalsvereins "Ihrefelder Sackjeseechter" entpuppt sich als eine Exklusivveranstaltung der "Traditionellen", im Café Anders sitzen nur "die Anderen", sprich die "Alternativen". Als I-Punkt dieser Negativbilanz hinsichtlich des Interesses an den jeweils anderen sind in den Interviews ausländerfeindliche Statements vertreten. Die Multikulturelle Gesellschaft in Ehrenfeld ist ein Faktum in Form des Vorhandenseins der verschiedenen Kulturen. Gefüllt mit gegensseitigem Respekt und Interesse ist sie hingegen wenig. Unterschiedliche Kulturen leben in nächster räumlicher Nähe, wenden sich aber nach meinem Urteil wenig einander zu. Das Auseindergehen der sozialen Schere ist auch in Köln sichtbar, wie die Zahlen zur Sozialhilfe und zur Obdachlosigkeit verdeutlichen. Auf Stadtteilsebene ist hier ein Beleg anhand von Daten nur sehr eingeschränkt möglich. Es bleibt die Frage, inwieweit es günstiger ist, einen kleineren Maßstabs zu wählen, um diese Entwicklung am Beispiel Köln zu belegen. Besonders die Betrachtung der Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur ist dazu geeignet, das Ineinandergreifen von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren bei der Entwicklung der sozialräumlichen Struktur Ehrenfelds zu verdeutlichen. Die Industrialisierung führt während der Entstehung Ehrenfelds zu einer Mischung aus Gewerbe und Wohnen. Prägend ist die Arbeiterbevölkerung. Vor allem in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts bedingt die Industrie durch Anwerbung die Einwanderung aus den Mittelmeerländern. Suburbanisierung und die Deindustrialisierung ziehen vor allem in den 70er und 80er Jahren dieses Jahrhunderts das Freiwerden von Räumen in Ehrenfeld nach sich. Auf der einen Seite werden zahlreiche Arbeitsplätze im Stadtteil abgebaut, auf der anderen Seite wandert auch ein Teil der Bevölkerung, der einen wirtschaftlichen Aufstieg erlebt hat, in die Suburbia aus. Die Betriebe, in denen die Arbeitsplätze abgebaut werden, stellten die Produktion ein oder ver219Sicherlich gibt es auch Nichtdeutsche unter den "Alternativen". Im Café "Anders" beobachtete ich auch türkische Yuppies (sofern es möglich ist, Yuppy-Sein aus der Beobachtung zu erschließen). Allerdings ist ihr Anteil allem Anschein nach vernachlässigbar. Wichtig ist mir die Gegenüberstellung, um klarzumachen, daß beide Gruppen eingewandert sind. Der Unterschied besteht in der Migrationsdistanz, was in diesem Zusammenhang sowohl räumlich, wie soziokulturell zu verstehen ist.

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lagern220 ihren Standort in den suburbanen Raum, in andere Gebiete Deutschlands oder ins Ausland. Diese nun leerstehenden Räume sind als Arbeits- und Wohnräume attraktiv für neuenstandene Lebensstile. Die "Alternativen" kommen in den 70er und 80er Jahren nach Ehrenfeld und prägen den Stadtteil künftig entscheidend mit. Neue Lebensstile nehmen sich Raum im Stadtteil. Auffällig sind in diesem Zusammenhang z.B. die Hausbesetzungen, weniger auffällig aber genauso verändernd z.B. die Wohngemeinschaften und die Zunahme an Einpersonenhaushalten . Schematische Darstellung der sozialräumlichen Prozesse der Entwicklung Ehrenfelds

Industrialisierung

▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀

Arbeitsmigration Suburbanisierung

▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀ ▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀

Deindustrialisierung

▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀

d.Lebensstile1

▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀

Tertiärisierung

▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀

Veränd.d.kom.pol.Par.2

▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀

Gentrification

▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀▀

Ausdiff.

Entstehung des Stadtteils

1840er - 1960er Jahre

1965

1980

1995

Mitte des 19.Jh Beobachtungszeitraum der Untersuchung 1Ausdifferrenzierung 2Veränderung

der Lebensstile

des kommunalen politischen Paradigmas

Abb. Nr.19: Schematische Darstellung der sozialräumlichen Prozesse der Entwicklung Ehrenfelds. Es wurde versucht, die Prozesse von oben nach unten in die Reihenfolge ihres Auftretens zu bringen. Im einzelnen lassen sich genaue Anfänge nicht ausmachen bzw. gibt es sicher Überschneidungen.

Auch die Stadt Köln verliert in der wirtschaftlichen Strukturkrise einen großen Teil ihrer Einnahmen und muß kommunale Leistungen streichen bzw. einschränken. In Ehrenfeld wird das Neptunbad geschlossen und soll nun verkauft werden; die Filialen der Volkshochschulen arbeiten enger zusammen, wie es heißt. Insgesamt wird dadurch an Bildungsangeboten gespart Am Bürgerzentrum gibt es eine Wiederbesetzungssperre für einige Arbeitsstellen; "Seit vier Jahren haben wir so um die 350.000 DM eingebüßt, fast jedes Jahr um die 80.000 DM weniger. Anderthalb Pädagogenstellen sind deswegen jetzt nicht mehr besetzt. Wir haben eine Wiederbesetzungssperre bekommen. Darüber hinaus hatten wir drei Jahrespraktikantenstellen. Die sind auch eingespart worden. Letztes Jahr hatten wir eine ABM für Arbeit mit Migrantinnen und Migranten und eine HZA (Hilfe zur Arbeit) im Pförtnerbereich."

220Es handelt sich um einen noch anhaltenden Prozeß, wie das Beispiel des Fahrstuhlherstellers zeigt, der wegen Flächenmangels nach Marsdorf zieht.

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Die Leiterin des Bürgerzentrums Ehrenfeld

Die Zuschüsse zu den Ehrenfelder Kulturwochen werden gekürzt; es gibt kein städtisches Geld für die Krabbelgruppe "Rasselbande"; die ABM - Maßnahme beim "Kölner Appell" wird nicht verlängert usw. Das Bündel dieser Beobachtungen macht deutlich, wie die Ebbe in den kommunalen Kassen in Ehrenfeld zu spüren ist. Gleichzeitig konkurriert auch die Stadt Köln um mögliche neue Wachstumsbranchen und die Menschen, die in ihnen arbeiten. Sicher nicht nur, aber sicher auch deswegen221 werden in Ehrenfeld Mitte der 80er Jahre die Sanierungsmaßnahmen begonnen und der Stadtteil baulich, z.B. mit der U-Bahn und der Umgestaltung der Venloer Straße, aufgewertet. Diese Aufwertungen, die sich mittlerweile auch auf privater Ebene (Beispiel: ehemaliges Muehlens / 4711 - Gelände) fortsetzen, ziehen ihre Spuren im Stadtteil in Form von Luxuswohnungen und Büroflächen. Diejenigen, die hier arbeiten und wohnen (werden) unterscheiden sich von der "Traditionellen" Bevölkerung durch ihr Bildungsniveau und ihr Einkommen und von den "Alternativen", zu denen es teilweise in puncto Lebensstil Überschneidungen gibt, durch ihr höheres Einkommen.

221Es ist anzunehmen, daß die angesprochenen Sanierungsprozesse auch vor dem Hintergrund der interkommunalen Konkurrenz eingeleitet wurden. Damit ist nicht gesagt, daß diese Motivation den Ausführenden bewußt war. Ich erwähne mehrfach die Veränderung des kommunalen politischen Paradigmas. "Paradigma" der Begriff weist darauf hin, daß etwas schon klar ist, bevor gesprochen wird. Es braucht nicht mehr erwähnt zu werden - und ist deswegen eventuell den Ausführenden nicht bewußt, da ein anderes Handeln vor dem Hintergrund der gegebenen Bedingungen nicht denkbar ist.

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III.C.3. Wahrnehmung Ehrenfelds durch seine Bevölkerung Für die vorliegende Untersuchung setzte ich die Prämisse, daß die interviewten Personen ihre Wahrnehmung auf irgend eine für mich erkennbare Weise äußern. Selbstverständlich erwartete ich in den Interviews nicht, daß die Interviewten z.B. den Begriff der Gentrification oder den der Lebensstile nannten, sondern bemühte mich, die verbale und nonverbale Sprache der Interviewten in die der Wissenschaft zu übersetzen. Mit Benennung meine ich hier also nicht die Fachtermini, sondern lediglich das Ansprechen bzw. Andeuten der Beobachtungen oder Erlebnisse aus dem Alltag der Lebenswelt in Ehrenfeld III.C.3.1 Vorgehensweise

(1) Festhalten meines Verständnisses nach 25 Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern: Notieren der in der Interviews gewonnenen Eindrücke. (2) Systematische Auswertung der Interviews: Auflistung der Themen der Interviews. In 25 Interviews ergaben sich 65 verwertbare Themen. (3) Einteilung und Bündelung der Themen. Beim wiederholtem Durchgehen der 65 Themen stellte ich gleiche und gleichartige Aussagen zusammen. So entstand (4) eine Gliederung der wesentlichen Aussagen der Bewohnerinnen und Bewohner über ihren Stadtteil. Es erschien sinnvoll, die Wahrnehmung in die drei Bevölkerungssgruppen aufzusplitten. Daneben entstanden (5) allgemeine Aussagen (Thesen) über die Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner, die ich ebenfalls in die drei Bevölkerungsgruppen aufteilte222. (6) Anfertigung einer Übersicht über die Gesamtbeurteilungen des Stadtteils durch die Interviewten. (7) Überprüfung und Ergänzung anhand der Korrektivinterviews223. Die Schritte 2) bis 6) fließen in Tabelle Nr.2 zusammen. Die Aufzählung der getroffenen Aussagen zu bestimmten Themen ist nicht als statistisch repräsentative Übersicht über die Themen des Stadtteils mißzuverstehen. Die Gewichtung der Aussagen, die sich durch die Vielfalt der Eindrücke in den jeweiligen Gesprächssituation ergibt, erscheint praktisch nur sehr schwer weitervermittelbar. Die folgende tabelarische Aufzählung dient deshalb lediglich als Korrektiv meines Eindrucks und als erneute Probe, ob ich mir nicht in den Interviews nur mein Vorverständnis bestätigt habe.

222Diese Ergebnisse fließen auch in Kapitel III.C.4 ein. 223Vgl. Kapitel III.B.5.

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Wahrnehmung Ehrenfelds durch seine Bevölkerung

Zahl der Interviews: Geschlecht: Frauen Männer Altersklasse: 20 - 40 40 - 60 > 60 Wichtige Themen: "Ausländer" / Multikulturalität Venloer Straße / U-Bahnbau / Radweg Industrie / Arbeitsmarkt Studierende / Alternative / Künstler sonstige Veränderungen / Sonstiges Thesen zur Wahrnehmung: Die Wahrnehmung ist weitgehend auf den eigenen sozialen, räumlichen und zeitlichen Nahraum beschränkt. Die Wahrnehmung scheint durch die Medien geprägt. Gesamturteil über der Stadtteil positiv neutral negativ

"Traditionelle"

"Ausländerinnen und Ausländer"

"Alternative"

13224

6

6

6 7

2 4

4 2

3 6 4

2 4

6

+4 - 3 + -6 + -1 + -1 + -3

+4 -2 +1 + -1 +1 +2 -

+3 -1 +1 + +1 +5 -2

9

3

1

4 1 1

3 1 1

6

3 7 4

Tabelle Nr.2: Wahrnehmung Ehrenfelds durch seine Bevölkerung. Die Zahlen stehen für die Interviewten, die Bemerkungen zu den jeweiligen Themen gemacht haben Die + - und - - Zeichen in einigen Zeilen kennzeichnen positive bzw. negative Bemerkungen zum jeweiligen Thema.

Schritt (1) überarbeite ich anhand der in der Tabelle dargestellten Ergebnisse. (8) Der letzte Arbeitsschritt bildete die erneute Durchsicht und Einarbeitung der oben225 aufgelisteten Materialien, die nun in die Beurteiluung der Wahrnehmung einflossen.

224Die relativ höhere Zahl der Gespräche mit "Traditionellen" ergab sich aus meinem Vorverständnis und Vorwissen. Über "Alternative" und "Ausländerinnen und Ausländer" wußte ich einiges zu sagen, die Bevölkerungsgruppe der "Traditionellen" war mir vor der Untersuchung die fremdeste Gruppe in Ehrenfeld. 225Vgl. Kapitel III.B.

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III.C.3.2 Ergebnisse

Der Lebensraum Ehrenfeld spiegelt sich in den Vorstellungsbildern seiner Bewohnerinnen und Bewohner sehr unterschiedlich. Wenn auch jeder und jede seine und ihre eigene Geographie des Stadtteils hat, so lassen sich doch einige Grundtendenzen der Wahrnehmung thesenhaft formulieren. Die in Kapitel II.C.1 getroffene Einteilung der Ehrenfelder Bevölkerung in "Traditionelle", "Alternative" und "Ausländer" scheint sich auch in unterschiedlicher Wahrnehmung wiederzuspiegeln. Je nach Biographie und Lebensstil prägt sich das Bild, das sich die Bewohnerinnen und Bewohner Ehrenfelds von ihrem Stadtteil und seinem Wandel machen. Die "Traditionellen" sehen ihren Stadtteil eher neutral oder negativ. Sie finden, daß es früher besser war. Manche schieben die Schuld für die - aus ihrer Sicht negative - Entwicklung den "Ausländerinnen und Ausländern" zu. Es sind dezente Töne wie "Ehrenfeld hat nachgelassen - wegen der Ausländer." (Frau, ca.55 Jahre) aber auch aggressivere Stimmen zu hören: "Dat is en Asiviertel jeworde. Wie die Bronx in New York. Müllkippe Ehrenfeld." (Mann, ca.65 Jahre) oder "Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber die vermehren sich wie die Mücken." (Frau, ca.40 Jahre). Die Wahrnehmung der "Traditionellen" bezüglich der "Ausländer" entbehrt mitunter einer reellen Grundlage. Der Fraktionsvorsitzende der CDU in der Bezirksvertretung berichtet, im Stadtteil gebe es "26% Ausländer und 25% Türken". Tatsächlich sind es ca.15% Türkinnen und Türken und ca. 30% "ausländische" Wohnbevölkerung insgesamt. Trotz der Beteuerung "Ich bin nicht ausländerfeindlich" (Mann, ca.65 Jahre), schwingt deutlich Ausländerfeindlichkeit in den Gesprächen mit. Den "Ausländern" wird die Schuld für Entwicklungen in die Schuhe geschoben, weil sie Ausländer sind. Vielfach werden Einstellungen geäußert, die offensichtlich nicht aus direktem negativen Erleben im Zusammenleben mit den Ausländerinnen und Ausländern stammen. Die negative Information scheint anderswo aufgenommen (Medien) und auf die "ausländische" Bevölkerung Ehrenfelds projiziert worden zu sein.226 Exemplarisch ist hierfür die Antwort eines Vertreters der Karnevalsgesellschaft "Löstige Kölsche Afrikaner vun 1983 e.V.": "[...] Wie sehe ich Ehrenfeld? Köln ist eine gemütliche, schöne Stadt mit ihren Vororten. Der Trend der Gemütlichkeit läßt - wie bei allen größeren Städten - durch den Einfluß der Fremden die zugezogen sind - zu wünschen übrig. Es ist nicht mehr so, wie es früher war! Man muß schon die Ecken und Gaststätten wissen, wo tatsächlich die gemütliche Art »K Ö L S C H « vertreten ist. Nach meiner Meinung sind die Ausländer und damit verbunden die Arbeitslosigkeit ein großes Problem."

Auch die Tatsache, daß der Kolping-Verband in Ehrenfeld einen Diaabend über die türkische Riviera ohne türkische Beteiligung veranstaltet, spricht für mangelnden Kontakt trotz enger Nachbarschaft zwischen "Traditionellen" und "Ausländer". Dies ist auch bedauerlich vor dem Hintergrund, daß mit dem Zuzug der "Ausländer" nach Ehrenfeld in vieler Hinsicht eine Persistenz der Sozialstruktur zu erkennen ist. Anders ausgedrückt: der größte Unterschied zwischen "Traditionellen" und "Ausländern" besteht wahrscheinlich tatsächlich in der 226Ein Mechanismus, den auch JÄGER häufiger beobachten und beschreibt. Vgl. JÄGER, Siegfried (1993): BrandSätze. Rassismus im Alltag. Duisburg.

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Nationalität. In anderen Bereichen stehen die "Traditionellen" der ausländischen Bevölkerung näher als den "Alternativen", so etwa was Familiengröße, Bildungsstand oder Traditionsbindung angeht. Die Veränderungen auf der Venloer Straße gelten den "Traditionellen" als weiterer Indikator für den Verfall des Stadtteils. Neben den "Ausländern" ist die Venloer Straße das zweitwichtigste Gesprächsthema. "Die Venloer Straße ist schlechter geworden" (Frau, Ende 40). Häufig heißt es, es sei doch entsetzlich, daß alteingesessene Betriebe wie Wallpott (Herrenbekleidung) und Wilden (Radio und Elektronik) jetzt "zumachen müssen". Und überhaupt gebe es auf der Venloer Straße nur noch "Spielhöllen und Frittenbuden" (mehrere Gesprächspartnerinnen und -partner). Die Gruppe der Einzelhändler argumentiert ebenso und macht für den Niedergang der Venloer Straße vor allem den Bau der U-Bahn verantwortlich. Es wäre zu überprüfen, inwieweit die Wahrnehmung der Ehrenfelder Bevölkerung bezüglich der Venloer Straße durch den meinungsbildendenden Einfluß der Einzelhändler geprägt ist. Die Aussagen über die Venloer Straße erscheinen in den Interviews häufig stereotyp. Allgemein schwingt bei Teilen der "Traditionellen" Wehmut nach den "alten Zeiten" mit. Aggressivere Interviewpartnerinnen und -partner erwecken auch den Eindruck, daß sie sich durch die neuen Entwicklungen diffus bedrängt fühlen. "Da muß man ja vier Sprachen können." (Frau, Ende 50, über die Änderung in der Geschäftsstruktur). Sie können das Problem meist nur schwer benennen, spüren aber, daß ihr Lebensstil im Laufe der Entwicklung Ehrenfelds weniger Raum bekommen hat. Das Thema Kriminalität und Drogen wurde ebenfalls fast ausschließlich von den "Traditionellen" angesprochen. Hierbei war zusätzlich zur Einschränkung auf die angesprochene Bevölkerungsgruppe noch eine lokale Begrenzung sichtbar: Fast alle Äußerungen werden im Karré Leyendecker Straße, Subbelrather Straße, Schönsteinstraße und Venloer Straße oder in der Nähe (Glasstraße) gemacht. Die Wahrnehmung scheint besonders in dieser Gruppe auf das eigene Umfeld beschränkt. Eine Frau, die seit 35 Jahren im Stadtteil wohnt, antwortet auf die Frage, was sich denn in dieser Zeit verändert habe: "Jaaaa - irgendwann haben sie bei uns die Doppelfenster reingemacht, dann wars nich mehr so laut." (Frau, ca 65 Jahre).

In der Kölschkneipe in der Glasstraße wird hingegen nur der drohende Abriß der Hinterhäuser wegen der Erweiterung der Bahntrasse thematisiert. Die "Ausländerinnen und Ausländer" scheinen sich im Allgemeinen in Ehrenfeld wohl zu fühlen. Einige geben den Stadtteil explizit als ihre Heimat an. Dies trifft speziell auf die türkische Bevölkerungsgruppe zu. Eine Ladenbesitzerin sagt, sie würde "richtig wieder aufatmen", wenn sie aus der Türkei nach Hause, also nach Ehrenfeld, käme. Mittlerweile habe sich hier ein Kreis von Freundinnen und Freunden gebildet, in dem sie Geborgenheit spüre. Allgemein sei vieles besser geworden. Allerdings habe ich bei einigen der Gespräche das Gefühl, das

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Probleme nicht erwähnt werden: "Is alles schön hier"227 (Frau, ca.40 Jahre). Wenn dies dennoch geschieht, wird häufig die problematische Situation der Jugendlichen genannt. Die Bevölkerungsgruppe der "Ausländer" gleicht in ihren Handlungen und Lebensentwürfen sicher eher den "Traditionellen" als den "Alternativen". Ich traf in Ehrenfeld auch "türkische Yuppies" oder "türkische Alternative", aber im allgemeinen folgten die "Ausländerinnen und Ausländer" einem Lebensentwurf, den genausogut eine deutsche (Klein)Familie beschreiben könnte. Ein türkischer Mann ist, als die Kinder kamen, nach Fühlingen gezogen. Ein italienischer Mann beabsichtigt, nach Bergheim zu ziehen. Es gibt sogar Bemerkungen von "Ausländern", daß es "zu viele Ausländer" im Stadtteil gebe. Auch die "Alternativen" fühlen sich in Ehrenfeld wohl. Sie haben nach meiner Ansicht die fundierteste Auffassung vom Stadtteil und seinen Veränderungen, was sich wahrscheinlich zum Teil durch ihr höheres Bildungsniveau erklärt. Nicht selten erntete ich hier einen schiefen Blick, als ich um die Meinung über den Stadtteil bat. "Was ´ne blöde Frage. Guck doch selber hin, dann siehst du was los ist", schien mir zwischen den gesprochenen Zeilen signalisiert werden zu wollen. In Ehrenfeld findet sich die Orginalität gewachsener Strukturen eines Industrievororts und seines Verfalls: "Das hat halt Charakter hier, auch wenn man nicht weiß, wo der steckt. Das heißt dieses offene Brodelnde, nicht wahr: so dieses gewisse Amorphe, was hier drinsteckt [...]" Aus dem Interview mit dem stellvertretenden Bezirksbürgermeister

Daneben die reizvollen Einflüsse anderer Kulturen und das Ganze garniert mit relativ günstigem Wohnraum: Das ist die Mischung, die die "Alternativen" nach Ehrenfeld zog. "Urbanität nicht als folkloristisch verpacktes Versatzstück eines scheinbar dörflichen Orientierungs- und Identifizierungsraumes, nicht die Anonymität in den gigantomanisch hingeklotzten Betonburgen von Meschenich oder Chorweiler, sondern Austausch, Anteilnahme, auch eine bisweilen sehr lästige soziale Kontrolle in der Praktizierung einer Lebensart, die sich innerhalb der geschichtlich gewachsenen Strukturen dieses Industrievororts herausgebildet hat. Soziale und kulturelle Vielfalt, aber auch massive Spannungen zwischen den eng gedrängten und ghettoisiert nebeneinander her existierenden Ureinwohnern, den zugezogenen Ausländerfamilien und den studentischen Wohngemeinschaften, die hier noch billigen Wohnraum finden, und den Hausbesetzern." RAAP 1983:ohne Seitenzahl

Es handelt sich auch zwölf Jahre, nachdem RAAP diese Zeilen schrieb, bei den "Alternativen" meist um Menschen, die sich bewußt für ein Leben (oder zumindest einen Lebensabschnitt) im Stadtteil Ehrenfeld entschieden haben. Ein ca. 20jähriger Student, der gerade auf Zimmersuche ist, machte es explizit: "Wenn Köln, dann Ehrenfeld!".228 Und auch der grüne stellvertretender Bezirksbürgermeister pflichtet dem bei: "Ehrenfeld ist bekannt als der Umbruchstadtteil schlechthin, wo sich etwas entwickelt und wo die Leute neugierig sind, hier was zu erleben."

227Eine Beobachtungen, die auch BERNS´AU bei seiner Untersuchung zu den Muslimen in der Bonner Nordstadt machte. Vgl. BERNS´AU 1993:101. 228Alexander KIP kommt in seiner quantitativ-empirischen Untersuchung zu Gentrification in Ehrenfeld-Ost zu einem ähnlichen Ergebnis. Er stellt fest: "Die aktiv am Aufwertungsprozeß beteiligten Bevölkerungsschichten zeigten sich also in hohem Maße fasziniert von dem Viertel, in das sie gezogen waren." KIP 1993:130.

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Der Leiter des Wohnprojekts "Anders Leben in Ehrenfeld" sagt zum Standort seines Vorhabens: "Nein, das ist kein Zufall, daß wir hier sind. Hier können wir noch formen" und in der Einleitung seiner Projektbeschreibung kommentiert er seine Standortentscheidung: "Vor allem aber ist es die Sympathie für die Menschen in dieser Stadt: lebensfrohe, tolerante und aufgeschlossene Menschen mit Sinn für Kunst und Kultur"

Oftmals höre ich Bemerkungen, wie "es ist so schön multikulturell hier" (Frau, ca. 30 Jahre und Mann ca. 20 Jahre). Diese Aussage beinhaltet aber in der Regel keinen intensiven Kontakt mit der angesprochenen ausländischen Bevölkerung, sondern beschränkt sich eher auf eine Art multikulturellen Lebensgefühls, das durch Kebapbuden, Teestuben, türkische Läden und andere ausländische Restaurants sowie die Präsenz der Menschen im Straßenbild hervorgerufen wird. Daß die freundliche Einstellung gegenüber ausländischen Nachbarinnen und Nachbarn auch für die "Alternativen" ihre Grenzen hat, zeigt sich anhand von Aussagen wie die, daß es in Ehrenfeld ein "gesundes Verhältnis" der Bevölkerungsgruppen gebe. Der Student, der dies sagt, kommt gerade aus Mülheim, wo angeblich "65%" Ausländer leben. Diese phantastische Überschätzung des Bevölkerungsanteils229 läßt nicht gerade auf regen Kontakt und hohen Informationsgrad schließen. Die angesprochene Multikulturalität scheint sich auch nicht auf das Zusammenleben mit der "traditionellen" Bevölkerung zu beziehen, die ja auch, geprägt durch einen anderen Lebensstil, als andere Kultur bezeichnet werden kann. Von den "Alternativen" wird die Gefahr eines Bevölkerungsaustauschs im Zuge eines Gentrificationprozesses wahrgenommen: "Es wird schicker hier" (Frau, ca.30 Jahre). Häufig erscheint sie als Gespenst in den Interviews. Auch die Sanierungsabsichten und Tätigkeiten seitens der Stadt Köln werden eher argwöhnisch betrachtet. Von ihnen werden Veränderungen befürchtet, die eine Gentrification unterstützen. RAAP sieht 1983 die Hauptgefahr für Ehrenfeld in den städtischen Sanierungsplänen, die das Gebiet "aufwerten" wollen. Dies geschieht aus seiner Sicht mittels Sanierung nach dem Modell einer "rückwärtsgewandten Urbanistik". oder konkret: Fußgängerzonen mit auf alt getrimmten Laternen, "Hair-Designer" statt italienischem Friseur usw. "Wo die noch ansässigen Ureinwohner sagen »Ich fahre nach Köln«, wenn sie damit die fünf Straßenbahnstationen bis zum Friesenplatz meinen, bedeutet eine solche Politik nichts anderes als Heimatvertreibung." RAAP 1983:ohne Seitenzahl

So oder ähnlich wird dies auch 1995 von meinen "alternativen" Interviewpartnerinnen und partnern gesehen. Auch die Gefahr zunehmender Verarmung von Teilen der Ehrenfelder Bevölkerung ist zumindest bei einem Teil der "Alternativen" präsent. Der "Kölner Appell" schreibt in seiner Selbstdarstellung zum Thema: "Arbeit im Stadtteil Ehrenfeld": "Wir haben noch keine Slums wie in amerikanischen Großstädten. Wenn der Sozialabbau so weitergeht, werden wir sie kriegen."

229Im Stadtbezirk Mülheim gibt es 1990 einen Anteil nichtdeutscher Wohnbevölkerung von 13,5%.

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Die Cafés und Szenekneipen besitzen für die "Alternativen" Identifikationscharakter. Sie gelten in den Interviews als zeigenswerte Orte. Für Studierende spielte die gute Lage zur Uni eine Rolle bei der positiven Bewertung Ehrenfelds. Den U-Bahnbau finden die "Alternativen" gut. Den zu schmal geratenen Radweg auf der Venloer Straße verurteilen alle Gruppen wegen seiner Gefährlichkeit. Er trägt mit dazu bei, die Venloer Straße zu einem der zwei Hauptgesprächsthemen Ehrenfels zu machen. Zusammenfassend kann festgestellt werden: • Hauptthemen in Ehrenfeld sind die "Ausländer" und die Venloer Straße. • Die Wahrnehmung ist je nach Milieu an vielen Punkten unterschiedlich, auch was eine Reflexion auf theoretischer Ebene angeht.

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III.C.4 Gegenüberstellung von Rezentem Wandel und Wahrnehmung in Ehrenfeld Bei dem hier angestellten Vergleich betrachte ich Rezenten Wandel wie in den Kapitel III.C.1 und III.C.2 beschrieben, Wahrnehmung wie in Kapitel III.C.3 geschildert. Die Bevölkerung Ehrenfelds sieht die Veränderungen in ihrem Stadtteil in der Regel nicht in größeren Zusammenhängen. Wenn dies geschieht, dann meist sehr unreflektiert. "Das is ja überall so", bemerkte eine Frau zum Anteil ausländischer Wohnbevölkerung in Ehrenfeld. Dabei ist der Anteil von über 30% keineswegs "überall so". In der Gesamtstadt Köln beträgt der Anteil "ausländischer" Wohnbevölkerung 1993 17,4%. Diese Beobachtung relativiert sich erwartungsgemäß mit dem Bildungsgrad der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Durch diesen sind die "Alternativen" offensichtlich hinsichtlich theoretischer Einbettung und Benennung von Prozessen im Stadtteil bevorteilt. Häufig wird nur das unmittelbare soziale und räumliche Umfeld wahrgenommen "Die gibt´s hier gar nicht" (Mann, ca.55 Jahre). Diese Auskunft erhielt ich auf die Frage, ob auch Studierende in den Statteil gezogen seien. Der Ort des Gesprächs war eine Bäckerei auf der Venloer Straße. In ca. 50 Meter Entfernung lagen die Wahlen- und die Klarastraße mit ihren "alternativen" Einrichtungen, die sicherlich auch zu einem großen Teil regelmäßig von Studierenden besucht werden. "Ja, aber das ist, glaube ich, wieder beigelegt worden" (Frau, Ende 50). Diese Aussage machte die Bewohnerin auf der Subbelrather Straße. In ca 30 Meter Entfernung verläuft die Eisenbahnlinie, die in den nächsten Jahren im Zuge des Ausbaus der Strecke Köln - Aachen Paris und der Einrichtung der S - Bahn nach Düren verbreitert werden soll. Die Pläne sind keineswegs beigelegt und ihren Nachbarinnen und Nachbarn in der Glasstraße müssen sich sehr wahrscheinlich ein neues Zuhause suchen, weil ihre Häuser abgerissen werden. Die Experten halten das Zusammenleben von "Ausländerinnen" und "Ausländern" mit den Deutschen in Ehrenfeld für gut. "Ehrenfeld is natürlich wirklich multikulti. Dat is einfach schon lange Fakt. Da sind auch nicht so die Riesenprobleme, habe ich den Eindruck." Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bezirksvertretung

Auf der Straße höre ich auch andere Stimmen. In Ehrenfeld wird die ausländische Bevölkerungsgruppe durch Teile der "Traditionellen" mindestens verbal diskriminiert. Ihnen wird der Verfall des Stadtteils angelastet - und das in teilweise erschreckender Unkenntnis bzw. Ignoranz der Sachlagen: "Ehrenfeld hat nachgelassen. Wegen der Ausländer" (Frau, ca.55 Jahre). "Ich bin nicht ausländerfeindlich. Mir ist das egal. Aber die Ausländer, die dürfen ja jetzt von überallher kommen. Wir ham ja hier offene Grenzen. Und dann kriegn die hier alles umsonst, während unsereins die Zeche dafür zahlt" (Mann, ca.65 Jahre).

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"Ausländerinnen und Ausländer" werden von Teilen der "Traditionellen" als Ursache von bestimmten Problemen gesehen. Konkret werden sie mit der Arbeitslosigkeit und dem angeblichen "Nachlassen" des Stadtteils in Verbindung gebracht. Eine theoretische Durchleuchtung der Prozesse rezenten Wandels zeigt jedoch, daß die Hauptursachen für Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit vielmehr in der strukturellen Wirtschaftskrise zu finden sind. Auch die Anwesenheit bzw. die Einwanderung der "Ausländerinnen und Ausländer" ist durch diese theoretische Beleuchtung in die Erklärung einzubinden. Der Großteil der "Ausländerinnen" und "Ausländer" ist zu Zeiten einer boomenden fordistischen Wirtschaftsformation nach Ehrenfeld gekommen. Sie kamen als Folge der intendierten Internationalisierung des Arbeitsmarktes in die BRD. Diese Gruppe und ihre Familien machen nach wie vor den größten Teil der "Ausländerinnen und Ausländer" aus. Die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen und Umstrukturierungen230 führten in der zeitlichen Folge, also nach der großen Einwanderungswelle, zu Massenarbeitslosigkeit verbunden mit allen bekannten negativen Begleiterscheinungen. Häufig wird anscheindend ein kausaler Zusammenhang vermutet: An der ("unserer") Arbeitslosigkeit sind "die Ausländer" schuld. Sie sind aber nicht Ursache, sondern vielmehr in starkem Maße davon betroffen. Erst aus der Eingebundenheit in ihre mediterrane Kulturkreise gerissen, jahrzehntelang als "Gastarbeiter" angesehen, stehen sie nach wie vor am unteren Ende der sozialen Skala in der Aufnahmegesellschaft. Ihr Ausbildungsniveau ist relativ niedrig, was ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zusätzlich verringert. Mangelnde Sprachkenntnisse231 und Kommunikationsfähigkeit machen die Situation auch auf dem Wohnungsmarkt oft sehr schwierig. Obendrein sind speziell die Türkinnen und Türken, größte Gruppe unter den "Ausländerinnen" und "Ausländern" in Ehrenfeld, zusätzlich noch aufgrund der Nichtmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union rechtlich benachteiligt. Sie stehen "Ganz Unten", wie es der Ehrenfelder Autor Günter WALRAFF ausdrückt. Daß ausgerechnet diese Gruppe als Täter ausgemacht und so zum Opfer wird, erscheint absurd und gleichzeitig äußerst bedenklich. Die "Traditionellen" sind ohne Zweifel auch Opfer der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Ihre Räume werden kleiner, ihr Bevölkerungsanteil in Ehrenfeld wie anderswo geringer. Bemerkenswert ist nur, daß von seiten der "Traditionellen" fast nie ein Blick dafür vorhanden ist, wer ihre Räume einschränkt und wer Macht zu Veränderung hat bzw. wer nicht. Die Wahrnehmung des "ausländischen" Bevölkerungsanteils ist allerdings sowohl durch die angesprochenen Teilen der "Traditionellen" als auch durch einem Teil der "Alternativen" defizitär.232 Die "Traditionellen" machen die "Ausländerinnen" und "Ausländer" zu Sündenböcken für Entwicklungen, deren Opfer sie beide ("Traditionelle" und "Ausländerinnen" und 230Vgl. Kapitel II.C.2. 231BOURDIEU würde von mangelndem sozialen und kulturellen Kapital sprechen. 232Hierzu HECKMANN: "Die [ethnische] Kolonie zu übersehen wäre ebenso falsch, wie sie zu idealisieren oder zu verklären." Aus: HECKMANN, Friedrich (1982): Ethnischer Pluralismus. In: VASKOVICS, L.A.(Hg.): Raumbezogenheit sozialer Probleme. Opladen, s.171.

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"Ausländer") sind, und die "Alternativen" verklären teilweise die Situation in den Ethnischen Kolonien wegen ihrer positiven Einstellung gegenüber der multikulturellen Gesellschaft. So sind es die "Alternativen", die über die Brücke 'Multikulturalität' die Dreiteilung der Bevölkerung in Ehrenfeld ansprechen. Sie machen es sich meiner Ansicht nach allerdings teilweise zu leicht. Die Multikulturelle Gesellschaft ist in Ehrenfeld lediglich als 'real existierend' zu beschreiben. Bei zunehmenden Spannungen muß das nicht ausreichen, um den sozialen Frieden zu wahren. Vor allen Dingen aber ignorieren die "Alternativen" in gewisser Weise die 'Kultur' der "Traditionellen". Ein Zusmammenleben in gegenseitiger Achtung mit diesem Lebensstil wird beispielsweise für einen stramm linken WG-Bewohner schwieriger als das mit dem Kurden von nebenan, dessen Leben den WG-Bewohner auch aus politischen Gründen interessiert. Deutsch-deutsche Multikulturalität zwischen "Traditionellen" und "Alternativen" ist sehr wenig sichtbar. Neben dieser Kritik darf aber nicht unerwähnt bleiben, daß es auch viele positive Stimmen zur multikulturellen Situation des Stadtteils gibt, anhand derer sich zumindest Toleranz233 ausdrückte. Solche Stimmen existieren es bei allen drei Bevölkerungsgruppen: Eine junge Frau fand Ehrenfeld "Schön multikulturell und so", (Frau, Ende 20, Anfang 30, "Alternative"). Die Bedienung in einem Kiosk: "Ehrenfeld ist toll, man erlebt immer was durch die Leute" (türkische Frau, Mitte 20, arbeitet in einem Kiosk). Eine Frau auf dem Markt: "Bei den Italienern is nich soviel Neid un Mißgunst wie bei den Deuschten im Haus, ich kriech dat ja mit." (Frau, in der 40ern, "Traditionelle", mit einem Italiener verheiratet) Den "Ausländerinnen" und "Ausländern" ist aus verständlichen Gründen immer wieder präsent, daß sie als solche wahrgenommen werden, und nicht primär als Kölnerinnen oder Kölner. Die "Traditionellen" nehmen von den drei Bevölkerungsgruppen Ehrenfelds nur die "Ausländerinnen" und "Ausländer" als fremd wahr. Die Herausbildung Ethnischer Kolonien wird von den Politikern in Ehrenfeld als solche erkannt. Die "Traditionellen" nehmen zwar die Institutionen dieser Kolonien teilweise wahr (Läden, Teehäuser), haben aber keinen Kontakt und ein mangelndes theoretisches Verständnis. Tertiärisierung, Büroflächenerweiterung, Sanierung und Gentrification ändern das urbane Gesicht Ehrenfelds. Jedoch fühlt sich anscheinend nur das "alternative" Bevölkerungssegment durch die damit einhergehenden Verdrängungsprozesse in seinem Lebensraum bedroht.

233In meiner oben geäußerten Kritik fordere ich implizit mehr als Toleranz - nämlich gegenseitiges Verständnis. Wie verheerend mangelnde Toleranz ist, zeigt die Situation in Bosnien. So gesehen kann das friedliche Zusammenleben der drei Ehrenfelder Bevölkerungsgruppen wohl gar nicht hoch genug geschätzt werden.

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Die "Traditionellen" beklagen sich nicht über marmorne U-Bahnhöfe234 oder Einkaufspassagen als Vorboten der 'neuen Zeit' in Ehrenfeld. Dabei ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß mittelfristig z.B. aus einigen Kölschkneipen Computerläden oder aus Kiosken Büros von Botendiensten werden. Die Ausweitung der Büroflächen war nur bei den Politikern Thema, und hier auch nur bei den Ehrenfelder Mehrheitsparteien SPD und GRÜNE. Vom an Ehrenfeld angrenzenden Technologiepark, diesem Symbol rezenter wirtschaftlicher Umstrukturierung und entsprechender kommunaler Politik235, redet niemand im Stadtteil. Ein Politiker weist auf die Medienarbeitsplätze in Bocklemünd hin. Die Deindustrialisierung wird wenig wahrgenommen, vielleicht ist sie auch zu offensichtlich, als daß die Menschen sie noch ansprechen. Industrie scheint in Ehrenfeld allgemein nur im Zusammenhang mit Vergangenheit ein Thema zu sein. "Hier ist gar nichts mehr, die sind alle ausgezogen." (Mann, ca. 55 Jahre) ist eine exemplarische Antwort auf die Frage nach Industrie in Ehrenfeld. Aber auch die Frage, ob und was denn nach dem Auszug der Industrie kommen könne (der ja tatsächlich 'nur' der Auszug eines beträchtlichen Teils der Industrie ist), wird zumindest auf der Straße anscheinend nicht gestellt. Die Kürzungen städtischer Dienstleistungen waren in den Interviews außer bei den direkt davon Betroffenen236 kein Thema. Dabei mag es genau dieser Schwenk kommunalen Handelns weg vom sozialstaatlichen Ausgleich, hin zur Investitionsförderung237, sein, der den Ausschlag geben könnte, daß Ehrenfeld 2005 zum Yuppieviertel geworden sein könnt238. Auch Zeitungsberichte über Einschränkungen der kommunalen Leistungen stellen den genannten Zusammenhang nicht her. Die interkommunale Konkurrenz wird nicht wahrgenommen (außer vielleicht von den Politikern). Daß die Aufwertung der Venloer Straße auch in einem solchen Kontext zu sehen ist, kann erwartungsgemäß nur der erkennen, der sich mit derartigen Themen befaßt. Die Ausdifferenzierung der Lebensstile wird zuerst von denen registriert, die von den Freiräumen profitieren. Exemplarisch ist die Aussage von Jürgen ESCH, es sei kein Zufall, daß sein schwul / lesbisches Wohnprojekt hier in Ehrenfeld entstehe, denn hier könne man noch formen.

234Im Gegenteil, der CDU-Fraktionsvorsitzende in der Ehrenfelder Bezirksvertretung hält sie sogar für die einzigen vorzeigenswerten Orte in Ehrenfeld. 235Hier wird das theoretische Konzept der Regulationsschule (vg. Kapitel II.C.1), genauer: Die Einteilung in Akkumulationsregime und Regulationsweise, lokal sichtbar. 236Also z.B. den Geprächpartnerinnen, deren AB-Maßnahme gerade auslief oder deren Institution die Verlängerung der ABM nicht genehmigt bekommen hatte. 237In Anlehnung an die Diskussion um den "Standort Deutschland" könnte hier vom "Standort Ehrenfeld" als Teilgebiet des "Standorts Köln " gesprochen werden. Dieser wird häufig z.B. als "Wirtschaftszentrum West", "Medienstadt Köln", "Musikstadt Köln" oder auch "Schwule Hauptstadt Deutschlands" angepriesen. 238Vgl. KIP 1993. Der Autor stellt fest, daß in gründerzeitlichen Arbeitervorstädten wie Ehrenfeld eine Gentrification meist durch kommunale Maßnahmen eingeleitet wurde.

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Armut im Stadtteil und in Köln wird vom stellvertretenden Bezirksbürgermeister und vom Kölner Arbeitslosenzentrum erwähnt, sonst sehr selten. Insgesamt konnte somit gezeigt werden, daß die Gegenüberstellung von Rezentem Wandel und Wahrnehmung in Ehrenfeld zu einem nach Bevölkerungsgruppen und Themen differenzierten Ergebnis kommt. Die Frage der hieraus ableitbaren Schlußfolgerungen fließt mit ins nächste Kapitel, "Fazit und Ausblick", ein.

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IV.

Fazit und Ausblick

IV.A Fazit Bezugnehmend auf die in Kapitel I.B formulierten Fragestellungen lassen sich die Ergebnisse der Untersuchung thesenartig wie folgt zusammenfassen: 1 Die wesentlichen Strukturen und Prozesse des Kölner Stadtteils Ehrenfeld sind Folgeerscheinungen des wirtschaftlichen Umbruchs und des damit in Zusammenhang stehenden Wandels der Bevölkerungsstruktur. 2 Die räumlichen Folgen des Wandels sind auf den ehemals industriell genutzten Flächen in Ehrenfeld in Form von verschiedenartigen Folgenutzungen zu erkennen. Überlokale Bedeutung haben die Veranstaltungsorte "Live Music Hall", "Bel Air" und "Underground" erlangt; auf einigen Grundstücken werden zur Zeit Büros und Wohnungen gebaut und einige Gelände liegen entweder brach oder sind im Verhältnis zu ihrem Potential untergenutzt. 3 Wirtschaftlich ist die ehemals starken industrielle Prägung des Stadtteils einer Ausbreitung des Dienstleistungssektors bei gleichzeitig hohen Raten an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfangenden gewichen. 4 Soziale Folge des Wandels ist zum einen die Aufteilung der Bevölkerung Ehrenfelds in drei Milieus: Die alteingesessene deutsche Bevölkerung, in der vorliegenden Arbeit die "Traditionellen" genannt; die eingewanderte nichtdeutsche Bevölkerung, "Ausländerinnen und Ausländer" genannt, und schließlich die zugezogene "alternative" Bevölkerung. Alle drei Gruppen zeichnen sich durch eigene Räume und Institutionen, sowie durch innere Differenzierung aus. Zum anderen ist ein Auseinandergehen der 'Sozialen Schere', d.h. größer werdende Unterschiede zwischen Arm und Reich, auch für Ehrenfeld anzunehmen. Diese Beobachtung läßt sich allerdings wegen mangelndem Datenmaterial schwer belegen.

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5 Innerhalb des Zeitraums, der dieser Arbeit zugrunde liegt, lassen sich die wesentlichen Entwicklungen des Untersuchungsraums anhand folgender Prozesse zusammenfassen:

• • • • •



Ehrenfeld ist Zielgebiet von Arbeitsmigration gewesen. Die Deindustrialisierung hat räumliche, wirtschaftliche und soziale Spuren im Stadtteil hinterlassen. Im Prozeß der Tertiärisierung sind relativ wenige, neue und anders strukturierte Arbeitsplätze entstanden. Neue Lebensstile finden in Ehrenfeld Räume zur Verwirklichung. Die Veränderung des kommunalen politischen Paradigmas ist in der Kürzung städtischer Dienstleistungen festzustellen. Darüber hinaus trägt sie sicherlich auch zu den kommunal initiierten baulichen Aufwertungsmaßnahmen des Stadtteils bei. Diese Aufwertungsmaßnahmen sowie die Ausbreitung der neuen Lebensstile stehen im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Gentrification. Für diesen Prozeß muß in Ehrenfeld ein Pionierstadium angenommen werden.

6 Die Bevölkerung des Stadtteils nimmt die Prozesse Rezenten Wandels in sehr unterschiedlichem Maße wahr. Die "Alternativen" genießen den Stadtteil und fühlen sich hier wohl, für die "Traditionellen" könnte es besser sein, und zwar so wie es früher war. Allgemein ist bei letzterer Bevölkerungsgruppe zu beobachten, daß vieles offenbar primär als Schicksal betrachtet wird, und eine Sicht der Veränderungen in theoretischen Zusammenhängen selten ist. Diese Feststellung bestätigt These zwei der Eingangsüberlegungen (vgl. I.B.). Lediglich die Bevölkerungsgruppe der "Alternativen" weist hinsichtlich der Gentrification eine kritische Perzeption auf. 7 Die Denkansätze der Regulationsschule (vgl. Kapitel II.C) erweisen sich als hilfreich für das Verständnis Rezenten Wandels in Ehrenfeld. Sie eröffnen den Blick auf Zusammenhänge sowohl zwischen heterogenen Entwicklungen im Stadtteil selbst als auch zwischen lokalen Beobachtungen und globalen Verhältnissen. Dadurch erhalten die Untersuchungsergebnisse bezüglich Ehrenfeld exemplarischen Charakter auch für andere, ähnlich strukturierte gründerzeitliche Ausbauvierteln deutscher Großstädte. Qualitative Methoden erweisen sich als geeignet, die Vorstellungsbilder des eigenen Stadtteils von seiten der Bewohnerinnen und Bewohner zu erfassen.239

239Nach vorläufiger Fertigstellung des Kapitels über die Wahrnehumg las ich erneut Teile der quantitativen Arbeit von KIP über den Gentrification-Prozeß in Ehrenfeld-Ost. Mit einem gänzlich anderen Instrumentarium kam er häufig auf inhaltlich vergleichbare Ergebnisse. (vgl. KIP 1993:136, 150, 153, 162, 175). Entweder haben wir beide eine intelligente Methode gefunden, uns unsere Vorverständnisse in einem langen und aufwendigen wisenschaftlichen Forschungsprozeß zu bestätigen, oder beide Methoden sind in ähnlichem Maße tauglich, die sozialen Räume Ehrenfelds zu untersuchen.

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IV.B Ausblick 1 Die zukünftige Entwicklung des Stadtteils Ehrenfeld dürfte stark mit der Frage zusammenhängen, inwiefern eine weitere Aufwertung stattfindet, oder nicht. Sollten die derzeitigen Großbaustellen von luxuriösen Wohnungen, Büros und Einkaufspassagen Trendsetter für die Entwicklung in Ehrenfeld werden, erscheint mittelfristig fortschreitende Gentrification wahrscheinlich. Ob sich die 'Bunte Mischung Ehrenfeld', die mit ihren vielfältigen Improvisationen und der Gleichzeitigkeit von Gestern und Heute selbst Ausdruck der Umbruchsituation unser Zeit ist, unter den gegebenen Umständen erhalten kann, bleibt abzuwarten. Für wen in Ehrenfeld (Sozial)Räume frei gemacht werden oder neu entstehen und für wen sie verschwinden - das scheint die wesentliche Frage für die künftige Entwicklung des Stadtteils zu sein. 2 Die Gesellschaftstheorie der "Postmoderne" hat Gemeinsamkeiten mit dem Raum Ehrenfeld, den ich betrachte. Beide sind nicht abgeschlossen, über beide kann ich hier und jetzt keine endgültigen Aussagen machen, beide machen täglich Geschichte und Geographie. Beide sind Ausdruck Rezenten Wandels. 3 Ehrenfeld steht in vieler Hinsicht exemplarisch für einen gründerzeitlichen, in seiner Entstehung und Entwicklung lange durch Industrie geprägten, ehemaligen Vorort und heutigen Stadtteil einer westdeutschen Großstadt. 4 An folgenden Stellen könnten die Erkenntnisse in weiteren Untersuchungen vertieft werden: • Detailliertere Untersuchung der Deindustrialisierung und des wirtschaftlichen Wandels; • genauere Betrachtung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und ihrer spezifischen Geographien.

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5 Engagierter Erdkundeunterricht und / oder Maßnahmen der Erwachsenenbildung könnte Globales und Lokales in den Köpfen der Menschen auch außerhalb der Wissenschaftswelt verbinden. Aussagen wie "das is ja überall so" enthalten meiner Ansicht nach ein Quantum an Resignation, das sich offensichtlich aus dem Unvermögen speist, die Alltagserfahrungen mit einem wenigstens ansatzweise konsistenten Theoriegerüst (Weltverständnis) zu unterlegen. FOUCAULT bemerkt hierzu: "Es bedarf des rechten Gespürs dafür, daß alles, was man wahrnimmt, nur deshalb evident ist, weil es in einem vertrauten Horizont steht, daß jede Gewißheit nur deshalb sicher ist, weil sie sich auf nie untersuchten Boden stützt." FOUCAULT o.J.:130 - 131

Wenn tatsächlich drei Viertel der Stadtentwicklung exogenen Ursprungs sind240, kann der vertraute Horizont nicht ausreichen, um schon diesen Horizont selber zu verstehen. Daß es bei den Menschen in Ehrenfeld so etwas wie ein Gespür für die wesentlichen Veränderungen im Stadtteil gibt, zeigt sich darin, daß die Umgestaltung der Venloer Straße und die Veränderungen der Geschäftsstruktur eines der beiden meistgenannten Themen bei den Interviews gerade mit den "Traditionellen" ist. Hier sind tatsächlich die Veränderungen des Stadtteils wie unter der Lupe zu erkennen. Notwendig für diese Erkenntnis ist allerdings ein 'passendes' Theoriegerüst. Die Geographie kann bei der Bereitstellung von solchen Theoriegerüsten meiner Einschätzung nach wichtige Hilfen bieten und so, ganz im Sinne von Yves LACOSTE, zu neuem Ansehen gelangen: "Waren es vor vierzig Jahren nur wenige, die vorhersahen, welch beträchtlichen Einfluß die Ökonomen ausüben würden, so entsprach das der damaligen Bedeutung wirtschaftlicher Probleme. Dieselbe Stunde schlägt heute den Geographen." LACOSTE (1990):Klappentext241

Mit Blick auf die Geschichte der Städte (vgl. den Exkurs zu Beginn des Kapitels II.C) hoffe ich, daß Ehrenfeld nichts von seiner Lebendigkeit einbüßt, daß sich aus der Situation der "Gegenwärtigkeit der Geschichte"242 und des Nebeneinanders verschiedener Bevölkerungsgruppen weitere Schritte hin zu einem Miteinander entwickeln und daß milieuverträgliche Alternativen wirtschaftlicher Entwicklung im postindustriellen Ehrenfeld gefunden werden.

240Vgl. Eingangszitat Kapitel II.C. 241LACOSTE, Yves (1990): Geographie und politisches Handeln. Perspektiven einer neuen Geopolitik. Berlin. Aus dem Französischen von Mathias WOLF. 242vgl. HÄUSSERMANN / SIEBEL 1992.

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IV.C Schlußwort Und das soll jetzt alles gewesen sein? Sicher, ein halbes Jahr Arbeit ist vorbei, unzählige Literaturrecherchen, genausoviele Fahrten nach Ehrenfeld, Spaziergänge durch den Stadtteil, Telefonate, Interviews, Gespräche usw. Ich habe viel gelernt. Viel gelernt über Ehrenfeld, aber auch über geographisches Arbeiten, über das Anfertigen einer wissenschaftlichen Abschlußarbeit; über die Fähigkeiten und Grenzen meines Computers, über meine eigene Belastbarkeit und Erholungsbedürftigkeit und sicher vieles, von dem ich es (noch?) nicht weiß. Beim Arbeiten mit hermeneutischen Methoden bereitete das Alleine-Arbeiten häufig Schwierigkeiten. Es fehlte mir im wahrsten Sinne des Wortes ein Feedback (Feed - back, Feed = füttern). Die Arbeit in einer Gruppe hätte in meiner Vorstellung durch gegenseiteigen Austausch und Unterstützung einige Durststrecken abkürzen können. Aber hinterher ist man bekanntlich immer klüger. Alles in allem, daß heißt wenn ich die Arbeit in einen größeren Rahmen stelle als ihr durch die geringe Gewichtung der Note im ersten Staatsexamen zukommt, habe ich vor allem gelernt - und ab und an hat es sogar Spaß gemacht. Ich versichere, daß ich die Arbeit selbständig verfaßt habe, daß ich keine anderen Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt und die Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, in jedem Falle als Entlehnung kenntlich gemacht habe. Das Gleiche gilt für beigegebene Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen.

Bonn, den 5. Januar 1996

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VI. Anhang

VI.A Vier Beispielinterviews Beispielinterview 1: Bewohnerinterview Nr.1: Mann, ca. 50 - 60 Jahre, traditionelles Milieu Situation: 12 Uhr, Stehcafe in der Bäckerei Otten an der Venloer Straße. Ein heißer Sommertag. Der Mann hatte sich vorher mit einer Frau unterhalten. Ich spreche beide zusammen an, die Frau verabschiedet sich kurze Zeit später ohne etwas gesagt zu haben. Dauer: 10 - 15 Min Verlauf: sp (stefan padberg): Tschuldigung, kennen sie sich hier aus? ip: (interviewpartner): Ja. sp: Wohnen sie hier in Ehrenfeld? ip: Nä, ich wohne in Weidenpesch, ich bin nur morgens hier. sp: Ich interessiere mich dafür weil ich eine Abschlußarbeit über die Entwicklung des Stadtteils schreibe - und jetzt gehe ich hier ´rum und frage die Leute, wie Ihnen Ehrenfeld gefällt. ip: Gefällt mir gut, kann ich nichts Negatives drüber sagen. sp: Das hat sich im Laufe der Zeit nicht verändert? Auch z.B. hier nicht (deute auf die Venloer Straße vor der Bäckerei) mit dem U - Bahnbau? ip: Doch, das ist schlimmer geworden. Brauch ja nur mal ein LKW auszuladen, dann kommt hier Stau bis zum Ring. Das sagen aber alle. Ganz gefährlich ist auch der Radweg. Das ist kriminell. sp: Was mich auch interessiert, ist, ob sich hier die Bevölkerung verändert hat. ip: Ja die Ausländer sind hier - reichlich, reichlich. Aber das ist ja in allen Vororten so. Ich meine, ich weiß nicht, ob sie in Nippes die Neusser Straße kennen, da ist das ja ähnlich. Das ist ja überall so. Und wenn mal ein Geschäft zumacht, wer kommt dann 'rein? Ausländer. Gibt ja auch schon viele Kneipen für die. Ich persönlich bin noch nicht negativ angemacht worden. sp: Und andere Bevölkerungsgruppen? Ich denke zum Beispiel an Studenten. ip: Die gibt's hier gar nicht. Da müssen sie schon zum Stadtgarten gehen. Da ist bis tief in die Nacht was los. sp: Hier also gar nicht? ip: Nein, hier ist nichts los. sp: Was mich noch interessiert ist die Entwicklung der Industrie - also ob es hier noch Industrie gibt und wenn ja, welche?

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ip: Hier ist gar nichts mehr, die sind alle ausgezogen. z.B. 4711, jetzt in Bickendorf oder der Schlachthof, der auf der Liebingstraße war. sp: Danke und einen schönen Tag noch. angesprochene Themen in Bewohnerinterview 1: Thema 1: "Doch, das ist schlimmer geworden." der Bau der U - Bahn. Thema 2: "Ja die Ausländer sind hier - reichlich, reichlich. Aber das ist ja in allen Vororten" - die Bevölkerung. Thema 3: "Die gibt´s hier gar nicht." - Studierende in E. Thema 4: "Hier ist gar nichts mehr, die sind alle ausgezogen." - Industrie in Ehrenfeld.

Beispielinterview 2: Bewohnerinneninterview Nr. 11: Frau, in den 40ern, traditionelles Milieu Situation: ca 10.30h, ein sehr heißer Sommertag, Markt in Ehrenfeld auf dem Neptunplatz. Heute interviewe ich zusammen mit einem Freund.. Die Frau steht vor dem Stand eines Schwarzen, der Gürtel, Taschen usw. anbietet. Die Ware ist sehr "auf edel" gemacht. Dauer. gut 20 Minuten. Inhalt: Die Frau ist in Bocklemünd geboren und dann vor 15 Jahren nach Ehrenfeld gezogen. Sie würde hier auch nicht mehr wegziehen wollen. Sie hat zwei Kinder die auch in Ehrenfeld in die Schule gehen. Sie arbeitet "gelegentlich". Sie ist mit einem italienischen Mann verheiratet. Sein Beruf ist Polier. Er hat sich bis dahin "hochgearbeitet". Da es mittlerweile viele Arbeiter aus Osteuropa auf den zahlreichen Ehrenfelder Baustellen gibt, muß er mehr "springen" als früher, daß heißt: den Arbeitgeber wechseln. Er selbst hat auf Grund seiner beruflichen Stellung aber keine große Sorge, arbeitslos zu werden. Er will eventuell nach der Pensionierung zurück nach Italien. Die Frau will auf jeden Fall die Wohnung in Ehrenfeld halten. Den Radweg auf der Venloer Straße erlebt sie als sehr gefährlich. Ihre beiden Kinder sind schon von Fahrrädern angefahren worden. Die Situation für Autos sei schlechter geworden, auch hinsichtlich der Parkplätze. In diesem Zusammenhang bemerkt sie, daß die Polizei jetzt näher sei. Früher hatte sie ihren Sitz irgendwo auf der Vogelsanger Straße, heute auf der Venloer Straße. "Das hat auch Auswirkungen." Zum Beispiel gibt es jetzt mehr Strafmandate. Kürzere Einkäufe erledigt sie offensichtlich im Stadtteil, für größere Einkäufe fährt sie allerdings mit dem Auto zum Hit. "Da bekommt man ja alles." Angesprochen auf die Läden und Firmen in Ehrenfeld sieht sie "keine internationalen". Die Übersicht über das Angebot der kleinen Läden verschafft sie sich aus dem "Ehrenfelder Wochenspiegel", einer wöchentlichen Hauswurfzeitung.

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An Veränderungen im Stadtteil ist ihr die Renovierung des Neptunbades und -platzes aufgefallen. Die Veränderungen auf dem Gelände von 4711 haben für sie nur positive Auswirkungen. Der LKW-Verkehr vor ihrer Haustür habe abgenommen. Das Geschäfte an diese Stelle kommen sollen, findet sie o.k. Von dem neu zu bauende Einkaufszentrum von 4711 hat sie gehört. Ansonsten sagte sie noch, Sester Kölsch sei "kleiner geworden". Allgemein nimmt sie ihren Stadtteil nicht als ein industriell geprägtes Umfeld wahr. Was ihr dagegen - durch die Arbeit ihres Mannes - sehr präsent ist, ist das Baugewerbe. Auf Zuwanderung angesprochen, ist auch wieder "der Bau" ihr Zugriff auf das Thema. Ausländer "sind viele" in Ehrenfeld. Sie hat Kontakt zur italienischen Gruppe, beurteilt diesen aber von sich aus nicht als "viel Kontakt". Dennoch fährt sie mit einer italienischen Gruppe aus Ehrenfeld ins Sauerland und hat Teil an anderen Treffen. Auch hat sie sich im Laufe der Zeit Italienisch beigebracht, da sie verstehen wollte, worüber sich die anderen unterhalten. Das Sozialverhalten der Italienerinnen und Italiener beurteilt sie positiver als das der Deutschen: "Da is nich soviel Neid un Mißgunst." Vom im Zusammenhang mit den Bauarbeiten am 4711 - Gelände eingestürzten Haus auf der Venloer Straße hat sie gehört und im Express gelesen. Ihr Gesamteindruck: Es ist prima. Es gibt Veränderungen, aber irgendwie ist das schon o.k. angesprochene Themen: Thema 1: Radweg auf der Venloer Straße ist gefährlich. Thema 2: Die Polizei ist näher gekommen und verteilt mehr Strafmandate. Thema 3: Veränderungen gibt es keine Großartigen. Neptunplatz und - bad, 4711, Sester Kölsch Thema 4: Die italienische Gruppe in Ehrenfeld. Thema 5: Das Bauwesen in Ehrenfeld. P.S.: Die Wahrnehmung scheint auf das nächste räumliche und soziale Umfeld beschränkt zu bleiben.

Beispielinterview 3: Bewohnerinterview Nr. 23 und 24: Mann, Ende 40, "Ausländer", dann noch ein Mann, Anfang 40, beide aus der Türkei Situation: Der erste Mann lehnt an seinem Auto auf der Philippstraße und raucht eine Zigarette. Er scheint mir beim Notieren des vorherigen Interviews zuzuschauen. Ich überquere die Straßenseite und spreche ihn an. Nach kurzer Zeit lädt er mich zu einem Kaffee in das Teehaus nebenan ein. Es ist ein großes Teehaus mit vielen alten, kartenspielenden

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Männern und einer türkischen sowie einer deutschen Fahne an der Wand. Wir setzen uns gleich an den ersten Tisch hinter dem Schaufenster. Der zweite Mann kommt nach kurzer Zeit dazu. Dauer: mind. 20 Minuten Inhalt: Der erste Mann ist 1979 in die BRD gekommen. Er wohnte 10 Jahre mit seinem Vater in Ehrenfeld und ist dann mit seiner Familie nach Fühlingen gezogen. Hier fanden sie keine passende Wohnung. Dort draußen sei es außerdem ruhiger, was für die Kinder schöner sei. Er komme noch immer häufig nach Ehrenfeld, weil hier die Freunde wohnen. Er arbeitet bei Ford in Niehl am Fließband. Die Arbeit sei hart und monoton. Bei Ford werde zur Zeit viele Leute entlassen und / oder mit einer Abfindung frühverrentet. Er lädt mich zum Kaffee ein. Ein Bekannter setzt sich dazu und zeigt Urlaubsphotos aus der Türkei. Er war vor kurzem mit seiner deutschen Frau und seiner Familie dort. Der Urlaub schien feist gewesen zu sein. Hotel mit Swimmingpool am Meer. Bei Bursa. Heute könne man in der Türkei gut Geld verdienen erzählt der zweite Mann und berichtet von einem Muschelverkäufer am Strand, der am Tag 200 DM damit erwirtschafte, auch dem Maiskolbenverkäufer ginge es gut. Früher wär' das nicht so gewesen. Auch sei es heute in Anatolien noch nicht so, wo er herkomme. Einmal habe er beim Zurücksetzen mit dem Traktor eine Scheunenwand eingerissen. Die sei auch zehn Jahre später noch nicht repariert gewesen. Die Leute würden schlicht ihr Leben verschlafen. Das mit dem Militärdienst sei ätzend. Er zahle 10 000 DM und müsse dafür nur einen Monat ableisten, sonst seien es 18 Monate. Danach habe man in BRD keine Aufenthaltserlaubnis mehr, außerdem sei das mit dem Militärdienst momentan sowieso extrem gefährlich, weil doch Krieg mit der PKK herrsche, wirft der erste ein. Der zweite Mann fährt fort, daß man doch mit dem ganzen Geld, was der Militärdienst die Leute koste, hier locker eine Kebap-Bude aufmachen könne. Sie seien aus der Türkei weggegangen, weil es zu wenig Geld gebe und jetzt knöpfe man ihnen das Geld ab. Der türkische Staat habe sie an der Kandarre. Weiter erzählt er, daß man in der Türkei schon besser leben könne als hier. Er hat 4 Kantinen und eine Uni-Mensa in der Türkei, die von seinen Verwandten betrieben werden, die dafür umsonst in seinem Haus wohnen - aber zurückgehen werde er trotzdem nicht. Der erste erzählt, daß er ja bislang auch immer im Sommer zum Urlaub in die Türkei gefahren sei. Doch nun ginge das wegen des Jugoslawienkriegs nicht mehr. Alle anderen Möglichkeiten in die Türkei zu reisen, seien zu teuer und zu unsicher. Am Flughafen müsse man manchmal zwei Tage warten, Schiffe führen auch nicht immer und über den ehemaligen Ostblock zu fahren, sei zu gefährlich, da sei er schon von Zigeunern ausgeraubt worden während der Nacht, außerdem seien die Straßen dort zu schlecht. In Ehrenfeld gibt es nach Auskunft der Männer ca. 4 Moscheen, aber nur eine richtige (DITIB), ansonsten sei es ihnen aber auch egal. Da würden doch nur "1000 Jahre alte Geschichten über Kamele" erzählt. Die sollten sich mal lieber um die Probleme der

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Jugendlichen heute kümmern, die nähmen ja fast alle Drogen (Kokain und Heroin). Im Jahr würden in Köln 1000 sterben, hat der erste Mann gehört. "Aber da tun sie nichts die Moscheen, auch wenn sie doch so leicht Spenden eintreiben können." Auch die Väter könnten sich mal mehr um ihre Söhne kümmern und nicht immer gelangweilt Karten spielen. Manche Väter, die mit ihren Söhnen nicht fertig wurden, fuhren mit diesen in die Türkei und "nahmen ihnen die Pässe weg, so daß sie zum Militär mußten." Es gebe zahlreiche Teehäuser und es öffneten auch noch immer mehr. Die verschiedenen Nationalitäten haben in Ehrenfeld nach Beobachtung der beiden Interviewten nicht viel miteinander zu tun. angesprochene Themen: Thema 1: Die türkische Arbeiterfamilie (Ford) suburbanisierte sich Thema 2: Soziale Kontakte weiterhin in Ehrenfeld Thema 3: Bei Ford gibt es Entlassungen und Frührente, die Arbeit ist hart und monoton Thema 4: In die Türkei fährt man gerne in Urlaub. Man kann dort besser leben - aber zurückgehen wird man wohl doch nicht, z.B. wegen des Militärdienstes Thema 5: Der türkische Staat hält seine Landsleute finanziell an der Kandarre. Thema 6: Ehrenfeld hat vier Moscheen, aber nur eine richtige - aber die alten Geschichten interessieren uns nicht. Thema 7: Die Jugend verkommt. Kirche und Väter sollten sich mal mehr um die kümmern, die haben auch eine Mitschuld. Thema 8: Verschiedene Nationalitäten haben wenig miteinander zu tun - manchmal kommen Deutsche ins Teehaus.

Beispielinterview 4: Bewohnerinterview Nr. 25. Mann, ca. 60 - 65, traditionelles Milieu Situation: Im Kiosk "Frank" an der Ecke Stamm- und Körnerstraße. Der Kiosk ist einstöckig, vermutlich nach dem Krieg als Provisorium errichtet. Die Auslagen haben DDR Flair. Akkurat übereinandergelegte Kartoffelchipstüten auf Obstregalen. Als ich eintrete, unterhält sich der Kioskbesitzer gerade mit dem Postboten über das Fußballänderspiel vom Vorabend. Der Postbote trinkt eine Dose Cola. Dauer: ca. 15 Min. Inhalt:

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Der Mann ist in Ehrenfeld (deutet mit dem Finger auf den Boden: He![kölsch für Hier!]) geboren. Als ich ihn nach seiner Meinung über der Stadtteil frage, bekommt er schlagartig schlechte Laune und einen finsteren Gesichtsausdruck. "Das ist ein Asiviertel. Wie die Bronx in New York. Müllkippe Ehrenfeld." Gegenüber schmeißen "die Türken" alles auf die Straße. Kurz vorher hatte der Mann noch mit leuchtenden Augen dem Postboten erzählt, wie er dieselben "Türken" beim Fußballgucken in der Teestube gegenüber beobachtet habe. Jetzt sieht er in dieser Nachbarschaft nichts mehr Positives. "Ich bin nicht ausländerfeindlich. Mir ist das egal." Aber die Ausländer, die dürften ja jetzt von überallher kommen. "Wir ham ja hier offene Grenzen. Und dann kriegen die hier alles umsonst, während unsereins die Zeche dafür zahlt. Die kriegen alle Medikamente und medizinische Versorgung umsonst und außerdem stehen die ja in der Behandlung der Behörden allgemein an erster Stelle und erhalten immer Recht." An direkter Erfahrung nennt er nur den Dreck auf der Straße. Die weiteren Argumente gegen die "Ausländer" scheint er sich aus Sekundärquellen erschlossen zu haben. Auf der Theke liegt die Bild-Zeitung. "Die Venloer Straße war mal ne schöne Einkaufsstraße, die verkommt doch total. Nur noch Frittenbuden und Spielhöllen da." Es sei doch schrecklich, daß alte etablierte Geschäfte wie Wallpott und Wilden schließen würden. Die Argumente über die Venloer Straße erscheinen mir äußerst stereotyp. "Denen [den Politikerinnen und Politikern] in Bonn gehört mal ordentlich der Kopf rasiert." Die sind nämlich an dieser Lage schuld, vor allem der Finanzminister, "dieser Seppl da". Die armen Leute (davon gibt es 80 Mio. in der BRD) würden zur Kasse gebeten, weil von denen am meisten zu holen sei. Die paar Reichen (von denen gibt es eine Mio.) "die machen den Pott nicht voll". Die eingesammelten Gelder erhalten scheinbar nur "die Ausländer". Die wiederum sind von ca. 20 Jahren gekommen, um hier in der Industrie zu arbeiten (Ford.) "Vielleicht finden sie andere, die Hosianna singen, für mich geht es halt bergab und deswegen klage ich." Er findet seine Meinung selber nicht gut. Er fühlt sich offensichtlich durch die Situation und die Entwicklung mit seinem Lebensstil in Bedrängnis. angesprochene Themen: Thema 1: "Früher war es viel besser." Thema 2: "Das ist ein Asiviertel. Wie die Bronx in New York. Müllkippe Ehrenfeld." Türken schmeißen alles auf die Straße. Venloer Straße verkommt. Thema 3: "Wir ham ja hier offene Grenzen. Ausländer aus aller Herren Länder kommen hierher und werden vom Staat hofiert." Thema 4: "Denen [den Politikerinnen und Politikern] in Bonn gehört mal ordentlich der Kopf rasiert.Schuld an alledem sind die in Bonn" Thema 5: "Vielleicht finden sie andere, die Hosianna singen, für mich geht es halt bergab und deswegen klage ich."

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Er findet seine Meinung selber nicht gut. Er fühlt sich offensichtlich durch die Situation und die Entwicklung mit seinem Lebensstil in der Defensive.

VI.B Werkstattbericht: Ein Tag qualitativer Forschung in Ehrenfeld 10 Uhr: Gesprächstermin zum Expertengespräch mit Thomas Münch, Geschäftsführer des Kölner Arbeitslosenzentrums (KALZ) auf der Philippstraße. Das Gespräch bleibt kurz. Es bestätigt meine Vorstellung von der Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Armut in Deutschland und in Köln. Über Ehrenfeld erfahre ich weniger, da das Zentrum auf überlokaler Ebene arbeitet, das heißt für das gesamte linksrheinische Köln zuständig ist. Darüber hinaus gibt es keine Daten größeren Maßstabs zu diesem Thema. Die Arbeitsamtsbezirke sind sehr groß (für Köln sind es nur zwei), so daß meine kleinräumige Untersuchung darauf nur zur Orientierung zurückgreifen kann. Nach dem Expertengespräch: Ein Kaffee in einer Bäckerei auf dem Venloer Straße. Gespräch mit einer älteren Frau, die bis vor 20 Jahren im Stadtteil wohnte - und dann nach Pulheim gezogen ist. Ein klassisches Exempel der freiwilligen Suburbanisierung der Mittelschicht. Sie hat noch Bindungen an den Stadtteil Ehrenfeld. Im Moment ist sie zum Beispiel wegen eines Massagetermins im Stadtteil. Das Gespräch ruft mir die sozialräumliche Einteilung des Stadtteils in Erinnerung, die zwei Tage zuvor der stellvertretende Bezirksvorsteher Dieter WOLF (DIE GRÜNEN) im Interview mit mir gemacht hatte. Der Stadtteil ist seiner Meinung nach dreigeteilt : 1. Das traditionelle deutsche Segment. WOLF erwähnte vor allem die Einzelhändler auf der Venloer Straße. Sie fühlen sich bedrängt. Dazu zu zählen sind wohl auch die deutschen Arbeiter des Stadtteils. Diese Aufzeichnungen entstehen zwei Tage nach dem "Tag qualitativer Forschung", den ich schildere. Mir scheint es hilfreich, die Beobachtungen in Prozesse wie die 'Ausbildung von Lebensstile' und allgemein 'jüngere demographische und soziale Prozesse in der BRD' zu fassen. Gestern hatte ich in der Bibliothek der Geographie "Die Sozialstruktur Deustchlands" von Rainer GEISSLER in den Händen. Der Autor liefert ein Modell, das ebenfalls bei der sozialräumlichen Einteilung Ehrenfelds helfen könnte. 2. Das alternative Segment. Menschen, die im Laufe der letzten 20 Jahre nach Ehrenfeld gezogen sind. Unter ihnen Künstler, Hausbesetzer, Studierende usw. Es entstanden im sich deindustrialisierenden Ehrenfeld Freiräume - im wahrsten Sinne des Wortes: Frei-Räume - in die Menschen mit alternativen Lebensvorstellungen gehen konnten. 3. Das ausländische Segment der Bevölkerung.

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Auch diese Menschen kamen in frei werdende Räume. Letztere waren durch die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften entstanden und wurden durch das preiswerte Angebot an Wohnraum ergänzt. Später kam die Familienzusammenführung und Fluchtbewegungen zu diesem Prozeß dazu. Dieser kleine gedankliche Exkurs spielt sich in Sekundenschnelle und im Stehen vor einer Tasse Kaffee während des Interviews ab. Die interviewte Frau ist wohl eindeutig dem deutschen Segment zuzuordnen. Sie unterstützt diese Einteilung durch ihre Bemerkungen über 'die Ausländer', die ja in alle Bereich vordrängen. Mir wird klar, warum die Menschen des deutschen traditionellen Segments 'nur' die Prozesse der Einwanderung ausländischer Mitbürger sehr bewußt erleben (und dabei leider sehr oft pauschalisierend Feindbilder aufbauen). Die 'neue deutsche Bevölkerung', also die Alternativen und Studierenden, fallen ihnen nicht in gleichem Maße auf. Es gibt ein relativ reibungsloses Nebeneinander. Von einem Miteinander würde ich aber auch bei diesen beiden Gruppen eigentlich nicht sprechen. Mit all diesen Überlegungen im Kopf beende ich das Gespräch mit der älteren Frau. Auf dem Stadtplan suche ich mir danach Gebiete aus, durch die ich bisher noch weniger spaziert bin. Der Weg führt mich über den Ehrenfeldgürtel. Eine "Rievkoochebud" steht erneut für das traditionelle deutsche Segment. Um die Ecke - ehemaliges Industriegelände: die Kneipe, Diskothek und Autowerkstatt "Underground". Zum ersten Mal gehe ich in den Biergarten und die Kneipe. Lebenswelten - schießt es mir in den Kopf. Ob die, die hier herumsitzen wohl in irgendeiner Weise Kontakt zu Menschen wie der alten Frau haben, die ich 200 m Luftlinie von hier in für sie vertrauter Umgebung interviewt habe? Mir wird auch erneut klar, zu welcher der Bevölkerungsgruppen meine Kontakte als erste reichen; wo und wie meine eigene Lebenswelt verortet ist. Hier im "Underground" unterliege ich viel eher als im Stehkaffee der Gefahr, "mich im Dickicht der Lebenswelt" zu verheddern, wie es Verena MEIER ausdrückt. Ein Blick in die heutige Ausgabe des 'Expreß', eine Apfelsaftschorle gegen die Hitze des Tages - und weiter geht's. Um die Ecke auf der Heliosstraße fällt mir eine kleine italienische Kolonie auf. Ein "Supermercato italiano" wirbt mit der italienischen Fahne, ein Laden nebenan verkauft italienische Kücheneinrichtungen und schmückt sein Fenster mit großen Espressomaschinen. Zwei Männer stehen ein Haus weiter vor einer Autogarage und unterhalten sich auf italienisch. In der Garage sehe ich nur Alfa Romeos und Fiats. Erst gehe ich ein paar Meter weiter - dann fasse ich mir doch ein Herz, kehre um und spreche die Männer an. Es wird ein kurzes, aber immerhin ein Interview mit dieser Bevölkerungsgruppe. Auch sie scheinen ihre direkt bauliche Umwelt und deren Wandel nicht sehr stark im Bewußtsein zu haben. Ja, auf der Heliostraße habe sich schon etwas verändert. Sie sei jetzt belebter als vorher, da mehr Menschen über die Venloer Straße kämen. Ob aber in den anliegenden Industriegebäuden irgendwas geschähe, können sie nicht sagen. Jetzt beim

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Schreiben fällt mir der Begriff "Einwandererkolonie mit Binnenintegration" ein. Während des Interviews dachte ich an ein zwei Tage zurückliegendes Gespräch auf dem Markt. Dort sprach ich mit einer deutschen Frau, die schon 18 Jahre in Ehrenfeld wohnt und mit einem Italiener verheiratet ist. Sie beurteilte das Sozialleben der Italiener positiver als das der Deutschen. Haben die verschiedenen Nationalitätengruppen im Ehrenfeld "an sich selbst genug"? Und schränkt das ihre Außenwahrnehmung für den Stadtteil ein? Ich überquere die Venloer Straße und stoße ungeplant in der Lessingstraße und in der Marienstraße auf die seit 1977 besetzten Häuser. Auch von diesen hatte mir Dieter WOLF berichtet. Ich spaziere um den Block. An der Ecke der besetzten Häuserzeile ist eine Kölschkneipe in "Villa Kunterbunt" umbenannt. Eine Straße weiter befindet sich seit neustem das "Allerweltshaus", das vorher gegenüber vom "anderen Buchladen" in der Wahlenstraße sein Domizil hatte. Auch das wußte ich vorher nicht. Direkt neben dem Allerweltshaus liegt eine türkische Teestube. Wieder zurück auf der Venloer Straße führt mich mein 'Weg ins Unbekannte' auf die Herbrandstraße, am neuen Biergarten vorbei. Dahinter liegt der "eva". Von dieser Organisation hatte ich auf dem Stadtteilfest "Bunte Welt in Ehrenfeld" ein Flugblatt mitgenommen und vor zwei Tagen in einem Expertinnengespräch mit Frau Schmerbach, der Leiterin des Bürgerzentrums, weiteres gehört. Es handelt sich um den "Ehrenfelder Verein für Arbeitsbeschaffung". An der Ecke Leyendecker Straße / Helmholtzstraße stehen noch zwei gründerzeitliche Häuser. Drumherum ist eine große Baustelle. An einem der alten Häuser prangt ein Hinweis auf das Bauprojekt "Anders Leben in Ehrenfeld". Aha, denke ich mir: es gibt also solche und solche Versionen von "Anders Leben in Ehrenfeld". Das hier sieht doch stark nach Yupiisierung des Stadtteils aus. In meinem Kopf entstehen Bilder von Verdrängung des Lebens, d.h. der Menschen aus diesen von mir als schön empfundenen alten Häusern durch die Neubauten, die hier entstehen werden. Ich gehe weiter die Helmholtzstraße entlang. Ein ca 40jähriger Mann in kurzen Hosen spritzt seinen 2CV ab. Gleichzeitig kommen mir zwei Männer in den Zwanzigern entgegen und fragen mich, wo das "Bel Air" sei. Es handelt sich um einen Ehrenfelder Musikklub. Ich weiß nicht, wo er ist und so schlage ich vor, doch den autowaschenden Mann zu fragen. Mit dem wollte ich nämlich sowieso ins Gespräch kommen. Er gibt Auskunft und ich habe einen weiteren Gesprächspartner (Bevölkerungssegment 2 s.o.). Er erzählt mir, daß das Projekt, vor dem er gerade auf der Straße steht und das Auto wäscht, das "Tor 5", eine Wohnwagensiedlung ist. Sie besteht seit fünf Jahren und Bewohnerinnen und Bewohner haben auch noch fünf Jahre Mietvertrag. Danach kommt es wohl weg. Er gräme sich aber nicht darüber. Sein Gesichtsausdruck macht es mir schwer, ihm diese Aussage abzunehmen. (Vielleicht ist es aber auch mein Gram über diese Prozesse?). Er nimmt mich mit in die Halle, weil er glaubt, dort noch einen Plan über die Sanierung des Geländes zu haben. Wir treffen gemeinsam auf einen 'Klischeealternativen' mit Bart und langen Haaren, der gerade mit einer Schreinerarbeit beschäftigt ist. Der Plan ist leider nicht

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mehr da. Mit dem Hinweis, ich solle doch mal an der Ecke, im Büro des Projektes "Esch",Leyendecker Straße 1, nachfragen, verlasse ich die kleine Idylle. Am Ausgang weist mich der Mann noch auf den selbstangelegten Garten hin. Vorher war hier nur Asphalt. An der Straßenecke erblicke ich zunächst das Büro des "Ehrenfelder Wochenspiegels", eines Werbewurfblättchens, das allmittwochlich an die Haushalte Ehrenfelds kostenlos verteilt wird. Da ich sowieso geplant hatte, die Ausgaben seit März im Rahmen meiner Untersuchung zu sichten, betrete ich das Gebäude und vereinbare einen Termin, an dem das geschehen kann. Zufrieden, heute so offensiv an solche Gelegenheiten heranzugehen, verlasse ich es wieder, um auf dem anderen Straßenseite bei "Esch" zu klingeln. Geöffnet wird mir von einem sehr gepflegt aussehenden Mann, ca. Mitte 30. Wir kommen ins Gespräch und es stellt sich heraus, daß das Projekt "Anders Leben in Ehrenfeld" ein schwules Wohnprojekt ist. So verschiebt sich mein Blick, korrigiert sich mein Vorverständnis. Der Name ist bewußt gewählt. Die Nähe zum "Café Anders" (die ich ja gar nicht vermutet hätte - eher im Gegenteil) ist durchaus bewußt. Das "Anders" ist auch unter schwuler Leitung, wie ich erfahre. In dem Wohnprojekt soll es eine Bar geben und wenn es nach Herrn Esch geht, soll diese auch vom "Anders" betrieben werden. Der Ort Ehrenfeld ist auch keinesfalls willkürlich oder zufällig gewählt. "Hier können wir noch formen" bleibt mir als wichtiges Zitat hängen. Voller Eindrücke mache ich mich auf den Rückweg zu U-Bahn. Dabei frage ich noch kurz den Pförtner der Fabrik auf der anderen Straßenseite der Helmholtzstraße und erfahre, daß die Firma KOLB dort Maschinen herstellt. Außerdem treffe ich auf den traditionellen deutschen Sektor in Form von zwei gutbesuchten Kiosken. Wenn man die mal nach ihrer Meinung zu dem schwulen Wohnprojekt fragte....Nein, genug für heute, ich fahre nach Hause. Auf der Fahrt erinnere ich mich an eine Professorin aus Madrid. Sie kam vom Kongreß der internationalen geographischen Union aus den USA zurück und berichtete, daß ihr bei der Gelegenheit erneut klargeworden sei, wie breit doch das Themenfeld der Geographie sei. In einem Tagungsraum habe sich eine Arbeitsgruppe zum Thema Glazialmorphologie getroffen - direkt daneben sei es um die Geographie der Schwulen und Lesben gegangen... Ich stimme dieser Einschätzung bezüglich des Themenfeldes der Geographie voll zu.

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VI.C Abbildungs-, Tabellen-, und Kartenverzeichnis Abb.1: Der Hermeneutische Zirkel.

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Abb.2: Regulationstheoretische Grundstruktur der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Beziehungen in einer Volkswirtschaft.

24

Abb.3: Sinkende Zunahme des PKW-Bestandes in der BRD.

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Abb.4: Altersaufteilung der Haushaltsvorstände der Ein- und Zweipersonenhaushalte in Köln 1993. . 33 Abb.5: Die lebensweltlichen Sozialmilieus der pluralisierten Klassengesellschaft

35

Abb.6: Präsentation eines 1969 für das Gelände des heutigen Leo-Amman-Parks (vormals VDM und andere Industrieunternehmen) geplanten "Wohnturm"

39

Abb.7: Entwicklung der Bevölkerungszahl Ehrenfelds

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Abb.8: Aufteilung der Staatsangehörigkeit der nichtdeutschen Wohnbevölkerung Ehrenfelds und Kölns in % der nichtdeutschen Bevölkerung 1995

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Abb.9: Arbeitslosigkeit in Köln. .

73

Abb.10: Betriebsgründungen nach Wirtschaftszweigen. Anteil der Betriebe in Verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungen in %. .

73

Abb.11: Beschäftigungsveränderung im Gewerbegebiet Köln Braunsfeld / Ehrenfeld 1987 - 1992. . .

74

Abb.12: Deutsche und "Ausländer" in Ehrenfeld.

78

Abb.13: Entwicklung des Stimmenanteils der Grünen bei den Kommunalwahlen in Ehrenfeld und Köln.

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Abb.14: Postkarte des Café Anders auf der Wahlenstraße. Das Photo zeigt Fernando Pessoa und Franz Kafka.

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Abb.15: Räuberfeld 1995. Rückseite der Rothehausstraße vom Neptunplatz gesehen.

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Abb.16: Edelfeld 1995. Aufgang der U-Bahnstation Körnerstraße.

83

Abb.17: Sozialhilfedaten (Hilfe zum Lebensunterhalt).

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Abb.18: Sozialhilfebedarfsgemeinschaften je 1000 Haushalte in den Stadtbezirken 1983 bis 1993

86

Abb.19: Schematische Darstellung der sozialräumlichen Prozesse der Entwicklung Ehrenfelds

92

.

Tabelle 1:

.

.

Wirtschaftlicher Strukturwandel in Köln und im Gewerbegebiet Braunsfeld / Ehrenfeld 1970 -1994

71

Tabelle 2:

Wahrnehmung Ehrenfelds durch seine Bevölkerung. .

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Karte 1:

Lage des Stadtteils Ehrenfeld in der Stadt Köln.

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Karte 2:

Der Stadtteil Köln-Ehrenfeld.

54

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VI.D Spanischsprachige Orginale der übersetzten Zitate Kapitel II.C. Exkurs: "La ciudad ha actuado, a lo largo de la historia, como crisol de la vida colectiva, y sus calles y espacios públicos han ejercido una poderosa función educadora, socializadora y humanista." FERNÁNDEZ 1993:136

Kapitel II.C.4.3.: "Así, las 500 primeras empresas mundiales, en cuanto a volumen de negocio, sumarán más de un tercio de la producción global. Y si se considera exclusivamente las 200 mayores empresas, éstas suponen un volumen de actividad equivalente a la cuarta parte del Producto Mundial Bruto." GAUTHIER, Yves (1989) La Crise Mondiale de 1973 á nos Jours. Paris. Zit.n. FERNÁNDEZ 1993:45

Kapitel II.C.4.4.: "Y que se han impulsado [las políticas neoliberales] con la justificación de que favorecerían el crecimiento, que el crecimiento redundaría en creación de riqueza, y que esta riqueza acabaría beneficiando al conjunto de la sociedad. Pero esto último no ha ocurrido, antes als contrario los ricos se han vuelto más ricos y los pobres más pobres." FERNÁNDEZ 1993:139



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