Kegelstumpfgruben der Eisenzeit. In: J. Gaffrey/E. Cichy/M. Zeiler (Red.), Westfalen in der Eisenzeit (Münster 2015) 51–53

June 3, 2017 | Author: Bernhard Sicherl | Category: Agriculture, Iron Age, Silos, Vorrömische Eisenzeit
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UMWELT + ERNÄHRUNG

Kegelstumpfgruben der Eisenzeit

Kegelstumpfgruben, benannt nach ihrer markanten Form, sind in Raum und Zeit weit verbreitet. Es bleibt daher in gewisser Weise rätselhaft und erklärungsbedürftig, dass sie in Westfalen dennoch nur während der Eisenzeit und hier nur in wenigen Landesteilen vorkommen. So erscheinen sie in der Lippe-Ruhr-Region schon in der mittleren, in Ostwestfalen erst in der späten Eisenzeit. Über die Verwendung der Kegelstumpfgruben unterrichten zum Beispiel der lateinische Schriftsteller Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.), historische Nachrichten, ethnografische Beob­ achtungen und moderne Experimente. Demnach verwendete man Kegelstumpfgruben primär zur Lagerung von Getreide. Hierzu wurde die Grube zunächst ausgeheizt, mit trockenem Stroh ausgelegt, dann befüllt, mit im Grubenhals festgestampftem Stroh verschlossen und mit Erde abgedeckt. Während am Grubenrand etwa 10 % der eingelagerten Getreidemenge durch Schimmel verdirbt, bildet sich im Grubeninneren Kohlendioxid, das den Rest des eingelagerten Getreides vor Verrottung und Tierfraß, insbesondere vor Kornkäfern, schützt. Die Kohlendioxidkonzentration in der Grube war so hoch, dass es ratsam erschien, nach dem Öffnen der Grube mit dem Entleeren etwas abzuwarten, weil bei einem zu raschen Abstieg Erstickungsgefahr bestand. Auf diese Weise unterirdisch gelagertes Getreide blieb nach den überlieferten Beispielen auch nach 10 Jahren noch mahlfähig. Varro nennt sogar mögliche Lagerzeiten von 50 Jahren für

Kegelstumpfgruben in Westfalen.

UMWELT + ERNÄHRUNG

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Grabungstechnikerin M. Hahne bei der Ausgrabung einer Kegelstumpfgrube in Bad Lippspringe (Kr. Paderborn).

Weizen und 100 Jahren für Hirse. Vor allem die Keimfähigkeit

dersetzungen, kaum auffindbar sind. Dies gilt insbesondere

bleibt bei der unterirdischen Lagerung erhalten und prädesti-

dann, wenn sie abseits der Siedlungsstellen in gesonderten

niert die Gruben für die Saatgutlagerung. Neben der Lage-

Speicherarealen oder am Feldrain angelegt wurden.

rungsdauer ist ein weiterer Vorteil der Kegelstumpfgruben,

Die Kegelstumpfgruben mussten allerdings nach dem Öffnen

dass sie oberirdisch unkenntlich gemacht werden können

vollständig geleert werden, weil mit dem Entweichen des Koh-

und so für Unbefugte, wie Feinde in kriegerischen Auseinan-

lendioxids die konservierende Eigenschaft der Grube verloren

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UMWELT + ERNÄHRUNG

ging. Die Entnahme geringerer Mengen über einen längeren

Norden, wo eine einfachere Landwirtschaft „germanischen

Zeitraum war daher nicht möglich. Die Getreidemenge, die in

Typs“ mit Sommergetreideanbau und ausgeprägter Viehwirt-

einer einzigen Grube eingelagert werden konnte und dann mit

schaft vorherrscht, bleiben Kegelstumpfgruben Ausnahmen.

einem Mal freigesetzt werden musste, erreichte beachtliche

Auch verschwinden sie in Westfalen wie auch im südlich an-

Dimensionen. Der Getreideinhalt einer einzigen kleineren

grenzenden Mittelgebirgsraum während der zweiten Hälfte

Kegelstumpfgrube mit einem Fassungsvermögen von 3 m

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des 1. Jahrhunderts v. Chr., als sich in den archäobotani­

reichte nach unterschiedlichen groben Schätzungen, um den

schen Befunden ein Vordringen des „germanischen Landwirt-

täglichen Kalorienbedarf von vielen Hundert bis einigen Tau-

schaftstyps“ nach Süden abzeichnet. Trotz der geläufigen

send Personen zu decken. Solche Mengen sind eine logisti­

Bezeichnung der Landwirtschaftstypen als „keltisch“ oder

sche Herausforderung. Wurde das Getreide als Saatgut

„germanisch“ gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass eine

entnommen, musste es bald auf eine entsprechend große,

Landwirtschaftsform notwendig mit einer Sprach- oder einer

vorbereitete Anbaufläche ausgebracht werden. Wurde es als

Völkergruppe verknüpft wäre. Nach den statistisch fundierten

Nahrungsmittel entnommen, erforderte dies in der Regel eine

agronomischen Untersuchungen von Alexander Tschajanow

planvolle Umlagerung zur Verwertung kleiner Mengen (zum

dürfte die Wahl der jeweiligen Form der Landnutzung in der

Beispiel in Pfostenspeicher oder Vorratsgefäße). Oft wird

bäuerlichen Familienwirtschaft vor allem durch die relative

dafür eine Trocknung bzw. Darrung des erdfeuchten, an den

Bevölkerungsdichte bestimmt sein.

Rändern angeschimmelten Grubeninhaltes mit Feuer nötig

Im Dortmunder Gebiet fällt auf, dass Kegelstumpfgruben

gewesen sein, wie gelegentliche Funde von verkohltem Ge-

eben zur mittleren Eisenzeit auftauchen, als man beginnt,

treide in den Grubenverfüllungen nahelegen ( Seite 49 f.).

Gehöfte in Lagen zu bauen, die zuvor unbewohnt waren und

Denn die Darrung erfolgte sicher nicht vor der Einlagerung

bestenfalls als Nutzflächen dienten. Dies sind zum einen die

des frisch geernteten Getreides, da dieses dann seine „At-

gewässerfernen, fruchtbaren und für den Getreideanbau

mungsfähigkeit“ verliert und die gewünschte Kohlendioxid­

besonders geeigneten Lössrücken, zum anderen die ebenen

bildung verhindert wird.

Lagen mit hohen Grundwasserständen, die bis in die Neuzeit vorwiegend als Wald und Weide genutzt wurden. Dies könn­

Letztlich sind Kegelstumpfgruben aber nur ein Spezialfall

ten Anzeichen für eine größere landwirtschaftliche Speziali-

unter den auch in Westfalen seit der Jungsteinzeit bekannten

sierung in vorwiegend auf Getreideanbau mit intensiverer

Speichergruben, die zum Beispiel zylindrisch oder kesselför-

Produktion (auf den Lössrücken) bzw. vorwiegend auf Vieh-

mig sein können und ähnliche Eigenschaften haben. Der

wirtschaft ausgerichtete Betriebe sein. Eine solche Speziali-

wichtigste Unterschied der eisenzeitlichen Kegelstumpfgru-

sierung würde gleichzeitig einen engeren Austausch zwischen

ben zu den anderen bis dahin üblichen Speichergruben ist ihr

den verschiedenen Betrieben notwendig machen, um für alle

deutlich größeres Volumen. Dort wo Kegelstumpfgruben auf-

eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten. Es ist gut

treten, gab es dann in der Regel auch deutlich größere

möglich, dass eine spezialisierte Landnutzung durch Bevöl-

Zylindergruben. Dass Kegelstumpfgruben in Westfalen nur in

kerungsdruck notwendig wurde und mittelbar zu einer stär-

der Eisenzeit und nur in einzelnen Landesteilen vorkommen,

keren wirtschaftlichen und sozialen Vernetzung führte.

könnte besondere Entwicklungen in der Landwirtschaft spie-

Zwar ist es verfrüht, die sich hier langsam abzeichnenden

geln. Eine gesteigerte Vorratshaltung von Getreide war nur

Zusammenhänge schon als gesicherte Tatsachen anzusehen

dann sinnvoll, wenn dieses auch in größeren Mengen zur

und auf andere, siedlungstopografisch nicht untersuchte

Verfügung stand. Dafür ist es vielleicht nicht zwingend not-

Landesteile zu übertragen, der große Wert der Kegelstumpf-

wendig, aber durchaus vorteilhaft, wenn nicht nur Sommer-,

gruben als Indikatoren für – wie auch immer geartete – wirt-

sondern auch Wintergetreide angebaut wird. So erscheinen

schaftliche und soziale Veränderungen sowie regionale Unter-

Kegelstumpfgruben vor allem in den südlich und westlich

schiede scheint dennoch unübersehbar.

Bernhard Sicherl

an Westfalen anschließenden Landschaften, wo nach Angela Kreuz archäobotanisch eine sehr differenzierte Landwirtschaft „keltischen Typs“ mit dem Anbau von Sommer- und Wintergetreiden wahrscheinlich gemacht werden kann. Im

Literatur: Jockenhövel 1997; Kreuz 2004; Sicherl 2011b; Tschajanow 1987.



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