Kegelstumpfgruben, benannt nach ihrer markanten Form, sind in Raum und Zeit weit verbreitet. Es bleibt daher in gewisser Weise rätselhaft und erklärungsbedürftig, dass sie in Westfalen dennoch nur während der Eisenzeit und hier nur in wenigen Landesteilen vorkommen. So erscheinen sie in der Lippe-Ruhr-Region schon in der mittleren, in Ostwestfalen erst in der späten Eisenzeit. Über die Verwendung der Kegelstumpfgruben unterrichten zum Beispiel der lateinische Schriftsteller Marcus Terentius Varro (116–27 v. Chr.), historische Nachrichten, ethnografische Beob achtungen und moderne Experimente. Demnach verwendete man Kegelstumpfgruben primär zur Lagerung von Getreide. Hierzu wurde die Grube zunächst ausgeheizt, mit trockenem Stroh ausgelegt, dann befüllt, mit im Grubenhals festgestampftem Stroh verschlossen und mit Erde abgedeckt. Während am Grubenrand etwa 10 % der eingelagerten Getreidemenge durch Schimmel verdirbt, bildet sich im Grubeninneren Kohlendioxid, das den Rest des eingelagerten Getreides vor Verrottung und Tierfraß, insbesondere vor Kornkäfern, schützt. Die Kohlendioxidkonzentration in der Grube war so hoch, dass es ratsam erschien, nach dem Öffnen der Grube mit dem Entleeren etwas abzuwarten, weil bei einem zu raschen Abstieg Erstickungsgefahr bestand. Auf diese Weise unterirdisch gelagertes Getreide blieb nach den überlieferten Beispielen auch nach 10 Jahren noch mahlfähig. Varro nennt sogar mögliche Lagerzeiten von 50 Jahren für
Kegelstumpfgruben in Westfalen.
UMWELT + ERNÄHRUNG
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Grabungstechnikerin M. Hahne bei der Ausgrabung einer Kegelstumpfgrube in Bad Lippspringe (Kr. Paderborn).
Weizen und 100 Jahren für Hirse. Vor allem die Keimfähigkeit
dersetzungen, kaum auffindbar sind. Dies gilt insbesondere
bleibt bei der unterirdischen Lagerung erhalten und prädesti-
dann, wenn sie abseits der Siedlungsstellen in gesonderten
niert die Gruben für die Saatgutlagerung. Neben der Lage-
Speicherarealen oder am Feldrain angelegt wurden.
rungsdauer ist ein weiterer Vorteil der Kegelstumpfgruben,
Die Kegelstumpfgruben mussten allerdings nach dem Öffnen
dass sie oberirdisch unkenntlich gemacht werden können
vollständig geleert werden, weil mit dem Entweichen des Koh-
und so für Unbefugte, wie Feinde in kriegerischen Auseinan-
lendioxids die konservierende Eigenschaft der Grube verloren
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UMWELT + ERNÄHRUNG
ging. Die Entnahme geringerer Mengen über einen längeren
Norden, wo eine einfachere Landwirtschaft „germanischen
Zeitraum war daher nicht möglich. Die Getreidemenge, die in
Typs“ mit Sommergetreideanbau und ausgeprägter Viehwirt-
einer einzigen Grube eingelagert werden konnte und dann mit
einem Mal freigesetzt werden musste, erreichte beachtliche
Auch verschwinden sie in Westfalen wie auch im südlich an-
Dimensionen. Der Getreideinhalt einer einzigen kleineren
grenzenden Mittelgebirgsraum während der zweiten Hälfte
Kegelstumpfgrube mit einem Fassungsvermögen von 3 m
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des 1. Jahrhunderts v. Chr., als sich in den archäobotani
reichte nach unterschiedlichen groben Schätzungen, um den
schen Befunden ein Vordringen des „germanischen Landwirt-
täglichen Kalorienbedarf von vielen Hundert bis einigen Tau-
schaftstyps“ nach Süden abzeichnet. Trotz der geläufigen
send Personen zu decken. Solche Mengen sind eine logisti
Bezeichnung der Landwirtschaftstypen als „keltisch“ oder
sche Herausforderung. Wurde das Getreide als Saatgut
„germanisch“ gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass eine
entnommen, musste es bald auf eine entsprechend große,
Landwirtschaftsform notwendig mit einer Sprach- oder einer
vorbereitete Anbaufläche ausgebracht werden. Wurde es als
Völkergruppe verknüpft wäre. Nach den statistisch fundierten
Nahrungsmittel entnommen, erforderte dies in der Regel eine
agronomischen Untersuchungen von Alexander Tschajanow
planvolle Umlagerung zur Verwertung kleiner Mengen (zum
dürfte die Wahl der jeweiligen Form der Landnutzung in der
Beispiel in Pfostenspeicher oder Vorratsgefäße). Oft wird
bäuerlichen Familienwirtschaft vor allem durch die relative
dafür eine Trocknung bzw. Darrung des erdfeuchten, an den
Bevölkerungsdichte bestimmt sein.
Rändern angeschimmelten Grubeninhaltes mit Feuer nötig
Im Dortmunder Gebiet fällt auf, dass Kegelstumpfgruben
gewesen sein, wie gelegentliche Funde von verkohltem Ge-
eben zur mittleren Eisenzeit auftauchen, als man beginnt,
treide in den Grubenverfüllungen nahelegen ( Seite 49 f.).
Gehöfte in Lagen zu bauen, die zuvor unbewohnt waren und
Denn die Darrung erfolgte sicher nicht vor der Einlagerung
bestenfalls als Nutzflächen dienten. Dies sind zum einen die
des frisch geernteten Getreides, da dieses dann seine „At-
gewässerfernen, fruchtbaren und für den Getreideanbau
mungsfähigkeit“ verliert und die gewünschte Kohlendioxid
besonders geeigneten Lössrücken, zum anderen die ebenen
bildung verhindert wird.
Lagen mit hohen Grundwasserständen, die bis in die Neuzeit vorwiegend als Wald und Weide genutzt wurden. Dies könn
Letztlich sind Kegelstumpfgruben aber nur ein Spezialfall
ten Anzeichen für eine größere landwirtschaftliche Speziali-
unter den auch in Westfalen seit der Jungsteinzeit bekannten
sierung in vorwiegend auf Getreideanbau mit intensiverer
Speichergruben, die zum Beispiel zylindrisch oder kesselför-
Produktion (auf den Lössrücken) bzw. vorwiegend auf Vieh-
mig sein können und ähnliche Eigenschaften haben. Der
wirtschaft ausgerichtete Betriebe sein. Eine solche Speziali-
wichtigste Unterschied der eisenzeitlichen Kegelstumpfgru-
sierung würde gleichzeitig einen engeren Austausch zwischen
ben zu den anderen bis dahin üblichen Speichergruben ist ihr
den verschiedenen Betrieben notwendig machen, um für alle
deutlich größeres Volumen. Dort wo Kegelstumpfgruben auf-
eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten. Es ist gut
treten, gab es dann in der Regel auch deutlich größere
möglich, dass eine spezialisierte Landnutzung durch Bevöl-
Zylindergruben. Dass Kegelstumpfgruben in Westfalen nur in
kerungsdruck notwendig wurde und mittelbar zu einer stär-
der Eisenzeit und nur in einzelnen Landesteilen vorkommen,
keren wirtschaftlichen und sozialen Vernetzung führte.
könnte besondere Entwicklungen in der Landwirtschaft spie-
Zwar ist es verfrüht, die sich hier langsam abzeichnenden
geln. Eine gesteigerte Vorratshaltung von Getreide war nur
Zusammenhänge schon als gesicherte Tatsachen anzusehen
dann sinnvoll, wenn dieses auch in größeren Mengen zur
und auf andere, siedlungstopografisch nicht untersuchte
Verfügung stand. Dafür ist es vielleicht nicht zwingend not-
Landesteile zu übertragen, der große Wert der Kegelstumpf-
wendig, aber durchaus vorteilhaft, wenn nicht nur Sommer-,
gruben als Indikatoren für – wie auch immer geartete – wirt-
sondern auch Wintergetreide angebaut wird. So erscheinen
schaftliche und soziale Veränderungen sowie regionale Unter-
Kegelstumpfgruben vor allem in den südlich und westlich
schiede scheint dennoch unübersehbar.
Bernhard Sicherl
an Westfalen anschließenden Landschaften, wo nach Angela Kreuz archäobotanisch eine sehr differenzierte Landwirtschaft „keltischen Typs“ mit dem Anbau von Sommer- und Wintergetreiden wahrscheinlich gemacht werden kann. Im