K. Frank, C. Keller, Jüchen-Neuholz. Vom eisenzeitlichen Gehöft zur Villa rustica. In: G. Uelsberg (Hrsg.), Krieg und Frieden. Kelten – Römer – Germanen. Katalog zur Ausstellung Bonn 2007 (Darmstadt 2007) 316-324
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K R I E G U N D F R I E D E N . Ke l t e n R ö m e r G e r m a n e n Eine Ausstellung unter der Schirmherrschaft von
Bundespräsident Horst Köhler
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Begleitbuch zur Ausstellung KRIEG UND FRIEDEN. Kelten – Römer – Germanen im Rheinischen LandesMuseum Bonn, ein Museum des Landschaftsverbandes Rheinland: 21.6.2007–6.1.2008 Eine Veröffentlichung des Landschaftsverbandes Rheinland/Rheinisches LandesMuseum Bonn, herausgegeben von Gabriele Uelsberg
ausstellung Kurator
Audioguide Linon medien, Hörführungen für Museen und Ausstellungen
Michael Schmauder
Kooperationspartner
Wissenschaftliche Arbeitsgruppe
Limburgsmuseum Venlo, Rijksmuseum vor het Oudheden, Provinciaal Museum Tongeren
Jan Bemmann, Abteilung für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Institut für Kunstgeschichte und Archäologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Klaus Frank, Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege; Morten Hegewisch, Rheinisches LandesMuseum Bonn; HansEckart Joachim, Abteilung für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Institut für Kunstgeschichte und Archäologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Christoph Keller, Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege; Michael Schmauder, Rheinisches LandesMuseum Bonn; Ulrike Theisen, Rheinisches LandesMuseum Bonn; Susanne Willer, Rheinisches LandesMuseum Bonn
Abteilungsleiter Dauer-, Wechselausstellungen Sammlungen und Vermittlung
begleitbuch Redaktion
das Symbol verweist auf Exponate in der Ausstellung
Morten Hegewisch
Koordination Eva Gebhard, Morten Hegewisch, Michael Schmauder, Ulrike Theisen
Übersetzungen Henrika Tüllner, E. F. Schellen-Unger
Lothar Altringer
Einband der Museumsausgabe Verwaltung Hans-Dieter Trogemann und Gabriele von Berg mit Daniela Hagen, Norbert Müller, Simon Schmidt, Martina Stolz
Ausstellungsplanung und -realisierung Anne Breyer, Karl-Heinz Brucherseifer, Christiane Dirsch, Eva Gebhard, Liane Giemsch, Andreas Gnedler, Detlef Goller, Hans-Georg Hartke, Michael Jumpertz, Reinhold Keller, Uwe Kleina, Ute Knipprath, Kai Uwe Kriegel, Axel Peiß, Jochem Radermacher, Marco Romussi, Robert Senkel, Gabriele Thoma, Regine Vogel, Frank Willer, Ingeborg Wischnewski
Jüchen-Neuholz Vom eisenzeitlichen Gehöft zur Villa rustica von
Klaus Frank und Christoph Keller
Mit der Ausweitung des Braunkohlentagebaus Garzweiler II nach Westen wurde die Umsiedlung mehrerer Ortschaften notwendig. Die Suche nach geeigneten Ausweichflächen war durch das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege begleitet worden, um die Gefährdung archäologischer Fundstellen zu begrenzen. Allerdings war nicht zu vermeiden, dass in einigen Fällen Fundstellen zugunsten der Neuansiedlungen ausgegraben werden mussten. Innerhalb des für das Dorf Holz in der Gemeinde Jüchen ausgewählten neuen Standorts lag eine
schon seit Langem bekannte römische Fundstelle. Die erneute Prospektion zeigte, dass es sich vermutlich um den Standort einer villa rustica – eines römischen Landgutes – gehandelt haben muss. Die Ausdehnung der Fundstelle war allerdings deutlich größer, als man bis dahin vermutet hatte. Um den Fundplatz vor der endgültigen Zerstörung archäologisch zu dokumentieren, wurden von 1997– 2000 mehrere Grabungskampagnen mit dem Ziel
264 Gesamtplan der von 1997–2000 in Jüchen-Neuholz durchgeführten Ausgrabungen
Lehmentnahmegrube
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50 m
Späthallstatt/Frühlatène Mittel- bis Spätlatène
A
Augusteisch frühes 1. Jahrhundert
Weg
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spätes 1. Jahrhundert 2. Jahrhundert Grabungsfläche mitt
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Brandgräber 1. und frühes 2. Jahrhundert
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kleine bauernhöfe in der eisenzeit durchgeführt, den gesamten Hofplatz auszugraben (Keller 1998; Andrikopoulou-Strack u.a. 1999; Schuler 2001). Bereits im ersten Grabungsjahr wurde deutlich, dass vor Ort nicht nur die Reste des gesuchten römischen Gutshofes im Boden verborgen waren. Vielmehr stieß man auch auf Spuren eisenzeitlicher Vorgänger- wie auch spätantiker und hochmittelalterlicher Nachfolgesiedlungen. Diese Entdeckung machte die Ausweitung des Untersuchungsgebiets weit über die Grenzen des römischen Hofplatzes nach Norden und Osten hin notwendig, bis schließlich eine Fläche von 8,2 ha ausgegraben worden war. Nur so ließ sich ein vollständigeres Bild der Siedlungsentwicklung gewinnen, die trotz einer kontinuierlichen Bebauungsabfolge von großer Mobilität geprägt war (Abb. 264).
Am Übergang zwischen der Späthallstatt- und der Frühlatènezeit ließen sich erstmals zwei Gehöfte nachweisen, die im Abstand von etwa 200 m zueinander lagen. Wie für die Zeit im Rheinland typisch, bestand die Hofanlage aus nur wenigen kleinen Gebäuden. Im Umfeld dieser Vier-, Sechs- und Achtpfostenbauten lagen Gruben, aus denen der Lehm für den Wandverputz gewonnen wurde und in denen Vorräte gelagert werden konnten. Im Verlauf der Mittel- und Spätlatènezeit verlagerte sich der Standort der beiden Hofstellen nach Osten aufeinander zu. In einem 1,5 ha großen Areal wurde eine Vielzahl von Gruben und Pfostenlöchern freigelegt, die zu einem abgeschlossenen Siedlungsareal zusammengefasst werden können (AndrikopoulouStrack u.a. 1999, 145–149). Überschneidungen einzelner Baubefunde wie auch einzelne, genauer zu
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datierende Scherben im Fundmaterial zeigten, dass innerhalb dieses Gebietes wiederholt neue Gebäude errichtet worden sind. Die hohe Befunddichte erlaubt es bisher nicht, einzelne Gehöfte oder Baugruppen zu definieren. Dennoch lassen sich einige Charakteristika der Siedlung beschreiben. Neben einer größeren Anzahl von Vier-, Sechs- und Neunpfostenbauten, wie sie typisch für die rheinische Eisenzeit sind, können auch drei größere Gebäude rekonstruiert werden. Zwei einschiffige Pfostenbauten wiesen Längen zwischen 7 und 9 m und eine Breite von 4,5 m auf. Ein drittes Haus mit einer Grundfläche von 5 × 6 m besaß ein inneres Gerüst aus sechs Innensowie vier äußeren Eckpfosten. Gleiche Baufluchten und auch eine Zone geringerer Befunddichte in der Mitte der Siedlung lassen vermuten, dass diese von einem in NNW/SSO-Richtung verlaufenden Weg durchzogen wurde, ohne dass sich ein solcher im archäologischen Befund nachweisen ließ. Im Siedlungsinneren wurde eine Anzahl von Vorratsgruben freigelegt, während sich große, unregelmäßig geformte Materialgewinnungsgruben vor allem auf die Randbereiche konzentrierten. Das aus den einzelnen Befunden geborgene Fundmaterial fügt sich gut in das bekannte Spektrum der Formen der jüngeren vorrömischen Eisenzeit des Nieder-
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rheins ein (Abb. 265). Die Keramik, die ausnahmslos ohne Zuhilfenahme der Drehscheibe hergestellt wurde, lässt sich allerdings nur schwer zeitlich exakter einordnen. Einzelne Keramikscherben belegen jedoch Einflüsse der sog. Marne-Kultur während der Frühlatènezeit. In der Mittel- und Spätlatènezeit lassen sich Kontakte in den keltischen Süden beobachten, was sich auch am Spektrum der Kleinfunde ablesen lässt (Abb. 266). Völlig aus dem Rahmen fallen einige Gefäßformen, die am südlichen Rand der eisenzeitlichen Siedlung ausgegraben wurden. Hier ist vor allem ein kleines Gefäß in Würfelform zu nennen, das sicherlich germanische Wurzeln besitzt, wie die Verbreitungskarte auf Grundlage von R. Bockius 1990 eindrucksvoll belegt (Abb. 267). Nachgetragen wurden ein Gefäß aus Bad Nauheim und ein Exemplar aus Jüchen an der Peripherie ihrer Verbreitung. Die Fundorte illustrieren sehr deutlich germanische Einflussnahme in den Jahrzehnten um Christi Geburt. Weitere Keramikfragmente von diesem Platz scheinen ihre besten Entsprechungen in frühen rhein-weser-germanischen Gefäßen, etwa der Form I nach von Uslar zu finden. Sollte sich diese Einordnung nach Abschluss der noch im Gang
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den sind, wurden westlich von Köln auch im Bereich einer bandkeramischen Siedlung bei AldenhovenObermerz entdeckt (Lüning 1977; Lenz 1999, 75f., 143–146). Für diese wie auch das bei Jülich-Stetternich entdeckte Haus mit Seiteneingängen (Junghans 1981; Lochner 1995) wird eine germanische Bautradition vermutet (Lenz 1999, 76). Eine gänzlich neue Erscheinung am Platz sind insgesamt drei Grubenhäuser; diese Gebäudeform ist in der vorangegangenen, ca. 500 Jahre währenden Siedlungsphase der vorrömischen Eisenzeit mit keinem einzigen Beispiel überliefert. In der Region bilden der germanische Hofplatz zusammen mit einem etwa zur gleichen Zeit bestatteten germanischen Krieger aus dem nur wenige Kilometer entfernten Mönchengladbach-Rheid die bis heute einzigen Nachweise germanischer Siedler im Hinterland des bedeutenden römischen Militärplatzes von Neuss. Besonders die typische, im Rheinland völlig fremd wirkende Keramik der Bewohner belegt die Herkunft wenigstens einzelner Personen aus dem Elberaum (Abb. 268). Gleichartige Gefäße, wie etwa Situlen oder Terrinen, treten zur gleichen Zeit auch in Böhmen oder am Oberrhein auf. Auch in diesen Gebieten lässt sich die Zuwanderung von germanischen Gruppen in frührömischer Zeit beobachten. 267 Viereckgefäß aus Jüchen mit Verbreitungskarte
auf dem weg zur römischen villa befindlichen Gesamtauswertung bestätigen, würde dies ein Weiterleben der Siedlung bis weit in das 1. Jahrhundert n. Chr. bedeuten. Insgesamt deutet das Fundspektrum auf eine lückenlose Besiedlung des Platzes über einen Zeitraum von etwa 500 Jahren hin.
ein hof elbgermanischer siedler Nordwestlich der späteisenzeitlichen Siedlung wurde im Verlauf des ersten Drittels des 1. Jahrhunderts n. Chr. ein Gehöft errichtet, in dem sich germanische Siedler aus dem Elbegebiet nachweisen lassen (Abb. 264 – rote Markierung). Neben einem Sechspfostenbau, der im eisenzeitlichen Milieu des Niederrheins nicht besonders auffällt, wurde auch ein Schwellbalkenbau errichtet. Allerdings hatten sich nur sehr geringe Spuren dieses Gebäudes erhalten, sodass eine genauere Rekonstruktion nicht möglich war. Reste von Häusern, die im Verlauf des 1. Jahrhunderts n. Chr. auf Schwellbalken errichtet wor-
Vermutlich noch vor der Aufgabe dieses kleinen Gehöfts erfolgte mit der Anlage einer neuen Hofanlage ein entscheidender Entwicklungsschritt. In einer Distanz von 110 m wurde ein rechteckiger Hof abgesteckt und mit einem Graben umgeben. Die leicht trapezoide Anlage wies Seitenlängen von etwa 80 m auf; Spuren eines Einganges waren nicht nachweisbar, da der Graben gerade im östlichen Teil durch Erosion bereits fast vollständig aufgefüllt war. Auf dem Hofgelände wurden acht Gebäude errichtet, deren Pfostengruben alle in runder Form eingegraben worden waren. Neben fünf kleinen Gebäuden in eisenzeitlicher Bautradition wurden auch drei größere errichtet. Bau J mit einer Grundfläche von 7,7 × 5,8 m besaß je drei Pfosten an den Schmalseiten sowie einen zentral gelegenen Mittelpfosten. Bau G war ein einschiffiges, dreijochiges Haus von 14,2 m Länge und 8,7 m Breite, das in seiner Nordostecke einen kleinen Erdkeller besaß. Als Besonderheit fällt Bau P auf. Die mittleren Pfosten des Sechspfostenbaus waren aus der Längswand vorge-
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zogen, wodurch der Bau einen sechseckigen Grundriss erhielt. Vergleichbare Bauten sind im Rheinland bisher unbekannt. Außerhalb der vermuteten Nordostecke des Umfassungsgrabens lag ein kleines Gräberfeld, das bis in das 2. Jahrhundert hinein belegt worden ist. Die Lage unmittelbar außerhalb des Umfassungsgrabens ist im 1. und frühen 2. Jahrhundert unter anderem aus Jüchen-‘Auf dem Fuchsberg‘ (Arora 1998, 55) und Bedburg-Königshoven bekannt. Hier war der Bestattungsplatz zusätzlich mit einem eigenen Graben umgeben (Gaitzsch 1988). Als vorherrschende Grabform sind Brandgrubengräber zu beobachten (Abb. 006), in denen die Scheiterhaufenreste – Leichenbrand, Asche und Keramikscherben – auf der Grabsohle ausgeschüttet worden waren (Bechert 1980, 257). Nur in einigen Fällen waren zusätzlich unverbrannte Gefäße als Grabbeigaben mitgegeben worden. Brandgrubengräber sind im südlichen Rheinland in der Spätlatènezeit und der frühen Kaiserzeit zu beobachten (Oesterwind 1989, 27) und werden als autochthoner Bestattungsbrauch angesehen (Ebel 1989, 84; Bridger 1996, 234).
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268 Elbgermanische Gefäße, vergesellschaftet mit Belgischer Ware frührömischer Produktion
Ganz im Gegensatz zum landläufigen Bild der Ausstattung einer römischen villa rustica steht das Fundaufkommen im Bereich der frühen Pfostenbauten und der dazugehörigen Gruben oder Gräbchen. So fand sich – gemessen an der anzunehmenden Nutzungsdauer dieser ‚Protovilla‘ – nur verschwindend wenig Fundmaterial, das in jenen Zeitraum datiert werden kann. Selbst Keramik ist in nur bescheidenen Stückzahlen belegt, ‚besseres‘ Geschirr wie terra sigillata scheint überhaupt nicht im Fundgut vertreten zu sein. Am sichersten lassen sich noch sog. Halterner Kochtöpfe (Korkware) und Belgische Ware bestimmen, Wandungsscherben einfacher römischer glatt- oder rauwandiger Keramik können dagegen nur in Ausnahmefällen näher angesprochen werden. Hier findet sich auch die Erklärung für die Beobachtung, dass die frühesten römerzeitlichen Gehöfte selbst bei systematischen Prospektionen im Gelände kaum jemals erkannt werden. Ganz im Gegensatz zu den Trümmerstellen römischer Landgü-
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ter des 2. bis 4. Jahrhunderts n. Chr. deutet kaum eine Spur auf die Existenz dieser zum Teil rein eisenzeitlich aussehenden Anlagen hin. Bis vor wenigen Jahren waren deshalb auch vergleichbare frühkaiserzeitliche Fundplätze im Rheinland nahezu unbekannt, mittlerweile hat sich die Situation jedoch deutlich geändert.
269 Brandgrubengrab des späten 1. Jahrhunderts. Die Reste des Scheiterhaufens – Leichenbrand, Asche und Keramikscherben – sind als dicke Schicht auf den Boden des Grabes geschüttet worden
Die im Gewerbegebiet bei Pulheim-Brauweiler freigelegte Abfolge späteisenzeitlicher bis römischer Besiedlung zeigte eine vergleichbare Siedlungsstruktur wie Jüchen (Andrikopoulou-Strack u.a. 2000). Mehrere kleine Pfostenbauten in NordwestSüdost-Ausrichtung, die noch in der spätesten Latènezeit oder in augusteischer Zeit erbaut worden waren, wurden in claudisch-flavischer Zeit durch eine Reihe von Neubauten ersetzt. Diese kleinen Gebäude mit runden Pfostengruben richteten sich am neu
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angelegten Umfassungsgraben aus. Vor dem Ende des 1. Jahrhunderts und vermutlich noch während des Bestehens der älteren Siedlung wurde auf ihrer Westseite ein weiterer rechteckiger, von einem Graben eingefasster Hofplatz angelegt, in dem nach und nach mehrere große Pfostenbauten errichtet wurden (ebd. 425–433). Auch die erste Phase der großen villa bei FrechenKönigsdorf entspricht dem hier beobachteten Muster (Grasskamp 2005). Unter dem im 2. Jahrhundert errichteten Hauptgebäude waren die Pfostenspuren eines älteren, in der Mitte des 1. Jahrhunderts errichteten Baus zutage getreten. Dieser lag zusammen mit einem Speicherbau und sechs Grubenhäusern innerhalb eines von Gräben umgebenen Hofareals (ebd. 94; Troll 2006a, 20–25; dies. 2006b, 91). Die in Jüchen-Neuholz beobachtete Umgrenzung des Hofplatzes mit einer rechteckigen Grabenanlage ist in frührömischer Zeit ein allgemein zu beobachtendes Phänomen. Die Herkunft dieses Umgrenzungstyps, der in der rheinischen Eisenzeit kaum Vorläufer hat, ist unklar. Vieles deutet auf Einflüsse aus Nordgallien, wo wenig früher ähnliche Entwicklungen zu beobachten sind (Haselgrove 1995, 67–73; Heimberg 2002/2003, 68–70). Allerdings zeigt die bei Bonn-Muffendorf ausgegrabene und noch in die Stufe Latène D1 datierte Hofanlage, die ebenfalls mit einem rechteckigen Spitzgraben umgeben war (Göbel 1992), dass auch im Rheinland selbst entsprechende Vorbilder vorhanden waren. Noch vor dem Ende des 1. Jahrhunderts folgten die Bewohner der villa von Jüchen-Neuholz dem allgemeinen Trend und errichteten ebenfalls zwei große Pfostenbauten (E und F). Im Unterschied zu den älteren Pfostenbauten der Gründungsphase haben die Gruben jetzt einen rechteckigen Grundriss, sodass sie als Fundamentgruben für große Steinquader, von denen einige in Zweitverwendung ausgegraben wurden, gedient haben könnten. Solche Steinquader mit Zapflöchern dienten als Unterbau für Fachwerkkonstruktionen (Wegner 1980, 146–148). Bei Bau E waren die Ecken der nördlichen Langseite eingezogen, da man die Eckpfosten in die Flucht des ersten Joches zurückverlegt hat. Ein vergleichbarer, wenn auch deutlich größerer Gebäudegrundriss ist aus Herzogenrath-Merkstein bekannt (Wagner 2002, 110f.). Bau F war mit einem in der Mittelach-
erste großbauten werden errichtet
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se gelegenen Erdkeller ausgestattet und kann daher als möglicher Nachfolger für den älteren Bau G angesehen werden. Das Aufkommen großer, vielfach zweischiffiger Pfostenbauten nach der Mitte des 1. Jahrhunderts ist auch von anderen römischen Hofstellen im Rheinland bekannt (Heimberg 2002/2003, 67). Möglicherweise schon früher entstand innerhalb eines langrechteckigen Umfassungsgrabens das römische Gehöft von Kerpen-Sinndorf (Aeissen 2003). Neben kleinen Vier- und Sechspfostenbauten errichtete man – soweit dies ohne eine abschließende Bearbeitung gesagt werden kann – schon in dieser frühen Zeit zwei große zweischiffige Pfostenbauten. Auch Gebäude 100, das einen großen Innenraum mit Umgang besessen hat, muss schon in der Gründungsphase errichtet worden sein. Die Anlage von grabenumwehrten Hofstellen mit großen Pfostenbauten ist auch in der Gemeinde Jüchen an zwei weiteren Stellen beobachtet worden. Auf der Flur ‚Auf dem Fuchsberg‘ wurde ein Hofplatz freigelegt (FR 129), der ebenfalls in frührömischer Zeit entstanden ist (Arora 1998). Nachdem zu Beginn des 1. Jahrhunderts einige Vierpfostenbauten errichtet worden waren, entstanden einige Zeit später innerhalb eines rechteckigen Umfassungsgrabens mehrere Pfostenbauten. Das Ensemble aus mehreren Kleinbauten und einem Großbau wurde nun an den neuen Grabenfluchten ausgerichtet. Nahe der aufgegebenen Siedlung Jüchen-Garzweiler wurde ebenso ein Gehöft (FR 131) dieses Typs freigelegt (Arora/Böwing 2000). Innerhalb eines einmal neu ausgehobenen rechteckigen Umfassungsgrabens lagen mehrere große Pfostenbauten eines Gehöftes, das von der Mitte des 1. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts bestand. Das Hauptgebäude war ein zweischiffiger Pfostenbau, der eine Grundfläche von 24 × 11 m hatte, der First wurde von drei Innenpfosten getragen. Östlich war möglicherweise ein Vorbau angesetzt, den der Ausgräber als älteres Gebäude interpretiert. Zwei Vierpfostenspeicher ergänzten das Hofensemble. Die häufig als Hauptgebäude angesprochenen Häuser zeichneten sich durch rechteckige Pfostengruben, vielfach zu beobachtende Innengliederung, gelegentlich vorhandene Wandgräben an einer Schmalseite und durch das Fehlen von Dachziegeln im Oberflächenfundbild aus (Piepers 1959, Abb. 1 [Haus III]; Andrikopoulou-Strack u.a. 2000, Abb. 12 [Haus A]; Arora/Böwing 2000). Auch wenn bisher für viele Fundplät-
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270 Kiesfundamente des Hauptgebäudes der Ausbauphase des 2. Jahrhunderts mit südlichem Eckrisalit
ze eine umfassende Bearbeitung der Grabungen fehlt, scheinen Großbauten in Pfostenbauweise im Rheinland um die Mitte des 1. Jahrhunderts und damit später als Umgrenzungen der Hofplätze mit rechteckigen Grabenanlagen eingeführt worden zu sein (anders Heimberg 2002/2003, 67).
eine villa rustica entsteht Am Ende des 1. Jahrhunderts oder im frühen 2. Jahrhundert wurde das Hofareal auf mindestens 1,6 ha vergrößert. Die in regelmäßigen Abständen auf der Nord-, West- und Südseite beobachteten Gruben sind nicht als Reste von Zäunen oder Palisaden, sondern als Pflanzgruben einer Hecke anzusprechen, von der im Osten des Hofareals alle Spuren durch verstärkte Erosion getilgt worden sind.
In der Südostecke wurde ein neues Hauptgebäude (A) errichtet. Die Kiesstickungen der Steinfundamente zeigten einen Bau, dessen großem Wohnbereich zwei Eckrisalite (Abb. 270) mit verbindendem porticus auf der hofseitigen Schaufront vorgelagert waren. Um dem steigenden Raumbedarf gerecht zu werden, wurden in späterer Zeit an beiden Schmalseiten zusätzliche Räume angebaut. Ganz in der Ecke des Hofareals konnte ein kleines, rechteckiges Gebäude (B) freigelegt werden. Vergleichbare Bauwerke sind auch von anderen Villen im Rheinland bekannt, bei denen es sich um kleine Tempel gehandelt haben könnte (Oelmann 1928, 67–69 Taf. II). Zwei Wirtschaftsgebäude (C und D), deren Fundamente ebenfalls mit Kiesstickungen unterbaut waren, ergänzten das Hofensemble. Ob auch der bereits in der vorangegangenen Phase errichtete Bau F weiter bestand, konnte nicht geklärt werden.
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271 Fahrspuren in der mit Ziegelbruch und Kies befestigten Einfahrt zur villa rustica
Durch den Abbruch der älteren Bebauung entstand jetzt eine freie Hoffläche, auf der vier Brunnen und eine vermutlich als Viehtränke genutzte Senke angelegt wurden. Erst in dieser Phase ließ sich die Ausrichtung des Hofgeländes rekonstruieren. Die Gebäude gruppierten sich auf drei Seiten um den freien Hofplatz, der von Süden her durch eine Straße erschlossen wurde. Wie viele andere kleine Straßen in römischer Zeit war auch diese an feuchten Stellen und in Senken besonders befestigt (Gaitzsch/Haarich 2005, 81). In der einfachen Straßendecke aus Kies und Ziegelbruch waren die Spuren der Karrenräder auch heute noch deutlich erkennbar (Abb. 271). Noch vor Ende des 2. Jahrhunderts verwüstete eine Brandkatastrophe den Hof, der in der Folge nicht wieder aufgebaut worden ist. Lediglich in den eingesunkenen Bautrichtern zweier Brunnen sowie in der am Nordrand des Hofes gelegenen Scheune wurden mehrere kleine Öfen angelegt. Mächtige Aschepakete, mit denen die Mulden der Brunnentrichter sowie der Innenraum der Scheune aufgefüllt wurden, zeugten von der intensiven Nutzung der Öfen. Ihre Funktion ist ungeklärt, da Halbfabrikate oder Produktionsreste fehlten. Den Handwerkern, die diese Ofenbatterien während des 3. Jahrhunderts betrieben, dienten notdürftige Bauten im Bereich des ehemaligen Hauptgebäudes als provisorische Unterkunft.
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zusammenfassung Umfangreiche archäologische Untersuchungen im Bereich eines Neubaugebietes führten zwischen 1997 und 2001 nicht nur zur Entdeckung einer römischen villa rustica. Vielmehr konnte eine kontinuierliche Besiedlungssequenz, die von der Späthallstatt- bis in frühfränkische Zeit reichte, herausgearbeitet werden. Aus zwei Einzelhöfen entstand in der Mittel- und Spätlatènezeit ein aus mehreren Gehöften bestehender Weiler. Mit der römischen Okkupation änderte sich das Siedlungsbild. An zwei Stellen entstanden neue Gehöfte, während der alte Siedlungsbereich aufgegeben wurde. Die Keramikfunde zeigen unter anderem deutlich elbgermanische Einflüsse. Nahezu zeitgleich errichtete man ein drittes Gehöft, wobei in einem rechteckigen Umfassungsgraben mehrere kleine Pfostenbauten eisenzeitlicher Bautradition nachgewiesen werden konnten. Erst im Verlauf des 1. Jahrhunderts n. Chr. errichtete man zunächst zwei große Pfostenbauten, bevor im 2. Jahrhundert auf einem vergrößerten Hofgelände mehrere Fachwerkgebäude neu entstanden. Eine Brandkatastrophe vor dem Ende des Jahrhunderts setzte dem kein Ende, vielmehr steht es bis in das 5. Jahrhundert weiterhin in Nutzung.
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