Johann Rudolph Glauber - Alchemistische Denkweise, neue Forschungsergebnisse und Spuren in Kitzingen, Schriftenreihe des Städtischen Museums Kitzingen, Band 4 (Kitzingen 2009)
Johann Rudolph Glauber Alchemistische Denkweise, neue Forschungsergebnisse und Spuren in Kitzingen
Herausgegeben von Stephanie Nomayo
Helmut Gebelein und Rainer Werthmann
Johann Rudolph Glauber Alchemistische Denkweise, neue Forschungsergebnisse und Spuren in Kitzingen
Herausgegeben von Stephanie Nomayo
Grußwort des Bezirkstagspräsidenten
Für die freundliche Unterstützung danken wir der Unterfränkischen Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken
Erschienen in der Schriftenreihe des Städtischen Museums Kitzingen, Band 4, 2011 Herausgegeben von Stephanie Nomayo Gestaltung
Atelier Ziegler, Kitzingen am Main
Verlag
Hans-Dieter Sauerbrey, Kitzingen am Main
Herstellung
Druckhaus Weppert Schweinfurt GmbH, Schweinfurt
ISBN
978–3–924694–25–8
Glauber-Salz ist ein Begriff, den sicherlich jeder kennt. Weniger bekannt dürfte hingegen sein, wer dieser Mann war, der dem legendären Salz seinen Namen gab. Ich bin deshalb dem Städtischen Museum Kitzingen und seiner Leiterin Stephanie Nomayo für das hier vorliegende Buch sehr dankbar, das hoffentlich dafür sorgen wird, dass dieser bedeutende Apotheker und Chemiker den ihm gebührenden Bekanntheitsgrad erhält. Johann Rudolph Glauber wurde 1604 im unterfränkischen Karlstadt geboren. Auch wenn ihn seine Wanderjahre kreuz und quer durch Europa führten und er schließlich 1670 in Amsterdam starb, sind sein Leben und Wirken fest mit Unterfranken verbunden. Nicht zuletzt verbrachte er die Jahre 1649 bis 1651 im nahen Wertheim, und von 1651 bis 1654 lebte er in Kitzingen. Kitzingen mit dem einzigen erhaltenen Haus Glaubers aus dessen Zeit als Alchemist – als Chemiker, wie man heute sagen würde –, ist also ein idealer Schauplatz, um sich mit dieser großen Persönlichkeit zu beschäftigen. Johann Rudolph Glauber stammte aus einfachen Verhältnissen und absolvierte in seiner Geburtsstadt wahrscheinlich eine Apothekerlehre. Anschließend begab er sich auf Wanderschaft und verdiente sein Geld als Spiegelmacher. Auf diesen Reisen eignete er sich autodidaktisch das Wissen seiner Zeit an. Als Wissenschaftler war Glauber phänomenal. Um das Jahr 1625 entdeckte und beschrieb er das Natriumsulfat, also das nach ihm benannte Glaubersalz. Seine wissenschaftlichen Bücher und seine chemischen Erfindungen bescherten ihm großen wirtschaftlichen Erfolg. Seine letzten Lebensjahre waren allerdings von einer merkwürdigen Krankheit überschattet. Wahrscheinlich hatte er sich bei seinen Experimenten mit Quecksilber, Arsen oder mit Antimonverbindungen vergiftet. Die Chemiker von damals arbeiteten ohne die entsprechenden Schutzmaßnahmen. Dem Buch über das Leben und die Leistungen Johann Rudolph Glaubers wünsche ich viel Erfolg, und den Lesern des Buches über diese schillernde und bedeutende Persönlichkeit aus Unterfranken wünsche ich genussvolle Stunden bei der Lektüre.
Erwin Dotzel Bezirkstagspräsident
Grußwort des Oberbürgermeisters
Das Johann Rudolph Glauber Projekt ist ein Forschungsprojekt, das vom Städtischen Museum Kitzingen seit dem Jahr 2006 durchgeführt wird. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens kooperierte das Städtische Museum Kitzingen mit Vertretern der freien Wirtschaft und in Kitzingen ansässigen Firmen, darunter die Firma Arauner Kitzingen und die Löwenapotheke Kitzingen, mit Vertretern der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, dem Landesamt für Bodendenkmalpflege, Außenstelle Schloss Seehof in Bamberg, dem Staatsarchiv Würzburg, dem Stadtarchiv Kitzingen, dem Historischen Museum Karlstadt, dem Fichtelgebirgsmuseum Wunsiedel, dem Bergbaumuseum Goldkronach, der Royal Library Kopenhagen, der Gemäldegalerie Alte Meister in der Museumslandschaft Hessen Kassel, dem Glas- und Keramikmuseum Großalmerode, dem Deutschen Museum München, der Sächsischen Landesbibliothek Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, der Glasfachschule Zwiesel und dem Armin-Knab Gymnasium Kitzingen. Die Ergebnisse waren wegweisend, sowohl für die Geschichte der Chemie, für die Forschungen zur Alchemie, aber auch für die Geschichte der Stadt Kitzingen. Wurde doch im Verlaufe der Recherchen das ehemalige Wohnhaus Johann Rudolph Glaubers, das er von 1652–1654 in Kitzingen besaß, wiederentdeckt. Die Existenz dieses aus der Schaffensphase des Alchemisten erhalten Gebäudes war in der regionalen Geschichtsforschung bisher unbekannt. Mit diesem Projekt zeigt die Leiterin des Städtischen Museums Kitzingen, Frau Stephanie Nomayo M.A., in vorbildlicher Weise, dass sie die Auflagen des International Council of Museums erfüllt, indem sie neben den obligatorischen Vermittlungs- und konservatorischen Aufgaben auch die Forschung unterstützt und im entsprechenden Rahmen selbst betreibt. Geschichtsbewusstsein ist gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit von enormer Bedeutung. Dabei geht es nicht um das Hüten verstaubter Hinterlassenschaften, sondern um ein Verständnis davon, wie unsere Gegenwart zustande gekommen ist. Die Erforschung der Lebensumstände, Arbeitsmethoden und Denkweisen Johann Rudolph Glaubers in Kitzingen wirft ein Licht auf die Frühzeit der modernen Naturwissenschaft und lässt uns besser verstehen, warum wir so denken, wie wir es heute tun.
Das Städtische Museum Kitzingen hat sich seit seiner Neukonzeption und Wiedereröffnung im Jahr 2007 zu einem der bedeutendsten Museen in der Region entwickelt. Es ist sowohl aus der Kulturlandschaft der Region, aber auch aus dem kulturellen Leben der großen Kreisstadt Kitzingen nicht mehr wegzudenken. Das Stadtmuseum Kitzingen hat eine wichtige Aufgabe übernommen, es prägt und vermittelt Bewusstsein für Geschichte und Identifikation mit den Traditionen unserer Region.
Siegfried Müller Oberbürgermeister
Die Autoren
Helmut Gebelein, Jahrgang 1940 studierte Chemie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main, am Institut de Biologie Physico-chimique der Universität Paris und am Max Planck-Institut für Physik und Astrophysik in München. 1969 promovierte er in Theoretischer Chemie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main und war als Postdoc an der Universität Tel-Aviv. Danach Unterricht in Chemie an der Ernst Reuter-Gesamtschule in Frankfurt/Main, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Bundesgesundheitsamts. Seit 1972 Professor für Didaktik der Chemie an der Justus Liebig-Universität Gießen. Er beschäftigt sich u. a. mit der Geschichte der Naturwissenschaften insbesondere der Alchemie.
Rainer Werthmann, geboren 1953, studierte Chemie und Mineralogie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und promovierte dort 1983 in Anorganischer Chemie. Seit 1984 arbeitet er als Chemiker in der Industrie. Seit Mitte der 90er Jahre beschäftigt er sich mit Alchemie, vor allem des 16. und 17. Jahrhunderts sowie mit Archäometrie. Dabei ist es ihm wichtig, über die Naturforscher früherer Zeiten nicht nur zu berichten, sondern ihr wissenschaftliches Denken und Handeln möglichst bis in die Laborpraxis hinein nachzuvollziehen. Zum 400. Geburtstag von Johann Rudolph Glauber entwickelte er zusammen mit Helmut Gebelein eine Ausstellung, die seit 2004 an verschiedenen Standorten im In- und Ausland gezeigt wurde und sich heute im Städtischen Museum Kitzingen befindet.
Kap. 1 Johann Rudolph Glauber – Das Alchemie Projekt in Kitzingen Stephanie Nomayo
Johann Rudolph Glauber, den wir heute als den Vater der chemischen Industrie verehren, der als der erste technische Chemiker der Welt gilt, war – und das vergessen wir gerne – kein Wissenschaftler. Er hatte nicht studiert, sondern ein Handwerk als Spiegelmacher erlernt und stand von Anfang an auf dem Boden der wirtschaftlichen Realität. Im Selbststudium eignete er sich seine hervorragenden Kenntnisse der Naturwissenschaften und ihrer damaligen philosophischen Grundlagen an. Seine Motivation war und blieb die Entwicklung ökonomisch vorteilhafter Produktionsverfahren. Die allgemein verbreitete Festlegung des Namens Johann Rudolph Glaubers auf das nach ihm benannte Glauber-Salz ist eine Bosheit der geschichtlichen Überlieferung. Dieses Salz hat er entdeckt durch seine geradezu sprichwörtliche Gründlichkeit, jedes Nebenprodukt auf Verwertbarkeit zu untersuchen. Denn eigentlich wollte er nur konzentrierte Salzsäure herstellen. 1 Mit den gängigen Irrtümern aufzuräumen, welche die Erinnerung an einen der bedeutendsten Alchemisten seiner Zeit auf Durchfallmittel und Abmagerungskuren reduzieren, hat sich das im Kitzinger Städtischen Museum beheimatete und vom Bezirk Unterfranken großzügig unterstützte Glauber-Projektteam, zum Ziel gesetzt. Nach etlichen Ortswechseln, die ihn von seiner Geburtsstadt Karlstadt aus durch ganz Europa geführt hatten, fand der Alchemist Glauber in Kitzingen das passende Umfeld für seine Produktionsversuche. Dieses Feld wurde ihm geebnet durch seinen persönlichen Förderer, Johann Philipp von Schönborn, Fürstbischof von Würzburg und Erzbischof von Mainz. Es war jener Schönborn – er ist aufgrund seiner Verdienste um den Friedensschluss 1648 in Münster und Osnabrück gemeinhin als der Deutsche Salomon bekannt –, der für sein Landstädtchen Kitzingen durch den sogenannten Gnadenerlass im Jahr 1651 etwas zu Wege brachte, was andernorts z. T. bis heute nicht vollzogen ist, die nachhaltige Einigung von Katholiken und Protestanten. 2 Und es war dieser Schönborn, der erkannt hatte, was jenen Glauber auszeichnete. Nämlich die soliden und ehrlichen Bestrebungen die ihn von der erfolgs- und ruhmsüchtigen Gilde der Goldproduzenten und sich hinter verschlüsselten Texten verbergenden Scharlatane abhob. 3 Unbeeinflusst von den Großstädten, die eine Unzahl selbsternannter Alchemisten in Scharen anzogen 4, entwickelte der Alchemist und Apotheker Glauber in Kitzingen in Ruhe das Verfahren der Weinsteinproduktion und verfasste hierüber auch eines seiner bekanntesten Werke. 5 Hätte es den Nobelpreis im 17. Jahrhundert gegeben, so wäre Johann Rudolph Glauber aufgrund seiner zahlreichen neuen Verfahren, die er entwickelt hatte, unumstrittener Kandidat und Preisträger geworden. Stattdessen hat er, lange nach seinem Tod, die Rudolf-Diesel-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Erfindungswesen bekommen, die jetzt in seiner Geburtsstadt Karlstadt aufbewahrt wird und während der Jahresausstellung 2008 des Städtischen Museums auch in Kitzingen zu sehen war. 6
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Kap. 1 Gerade die ökonomischen Überlegungen, welche hinter allen neuen Verfahren dieses ersten Chemikers stehen, sind es, die auch heute, im Jahr der einbrechenden Märkte 2011, Glaubers Denkansätze so erstaunlich zeitgemäß erscheinen lassen. Wirtschaftsblasen, die auf null und nichts gegründet sind, hat es auch früher schon gegeben. So wie wir aus der Bibel die sieben fetten und die sieben mageren Jahre kennen, so wurden gerade Glaubers Zeitgenossen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges von einer Katastrophe nach der anderen überrollt – Ruin und Aufstieg lagen eng nebeneinander. Es war die Zeit der ersten Manufakturgründer, aber auch leider eine Blütezeit der Hexenverfolgungen und des Aberglaubens. In Kitzingen verhielt es sich anders: Johann Philipp von Abb. 1: Rudolph-Diesel-Medaille, Stadtmuseum Karlstadt Schönborn, Glaubers kongeniales Pendant auf dem Mainzer (Foto: Nomayo) Kurfürstenthron, gleichzeitig Fürstbischof von Würzburg und Stadtherr von Kitzingen, verbot als erster Reichsfürst die Hexenverfolgung in seinen Landen. Und Glauber gründete die erste chemische Manufaktur, die nicht nur nach althergebrachten Handwerkerrezepten, sondern unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten arbeitete. Neben seiner persönlichen Erfinder- und Produktionstätigkeit hatte Glauber große Pläne, nämlich Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder zu Wohlstand zu bringen. Dieser Gedanke wird es gewesen sein, der ihn im Streben mit Johann Philipp von Schönborn vereinigt hat. Deutschland hatte viele Rohstoffe, aber nur wenige gewinnträchtige Veredelungsbetriebe. So schreibt Glauber in seinem Buch „Des Teutschlandes Wolfart“ 1656 7 : Warum verkaufen wir Metalle billig ins Ausland und kaufen die daraus hergestellten MalPigmente teuer zurück? Warum verkaufen wir den Glasrohstoff Pottasche und führen Luxusgläser wieder ein? Glauber war überzeugt, dass mit dem entsprechenden Wissen die Wertschöpfung nach Deutschland zu holen wäre – ein höchst moderner Gedanke. Und für die entsprechende Verbreitung dieses Wissens wollte er sich einsetzen. Er schrieb 30 Bücher über die von ihm entwickelten Verfahren. Inwieweit bei diesen Verfahrenstechniken vor allem Wirtschaftlichkeit im Vordergrund der Überlegungen stand, zeigt Glaubers berühmtes Kitzinger Weinsteinbuch. 8 Es enthält eine für seine Zeit erstaunliche Wirtschaftlichkeitsrechnung. 9 Eben diese Wirtschaftlichkeit seiner Prozesse erreichte er unter anderem dadurch, dass er seinen Verfahren einerseits spezielle Reinigungsprozesse anschloss, um höchste Qualität zu produzieren, und andererseits durch seinen geradezu unerschöpflichen Ideenreichtum, auch noch die vermeintlichen „Abfälle“ zu Produkten zu veredeln. Er verwandelte im wahrsten Wortsinn „Mist“ 10 zu Gold – und benötigte hierfür nicht einmal den Stein der Weisen. 11 Auch wenn wir ihn aufgrund seiner Erfindungen heute neu bewerten, verstand Glauber
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sich selbst als Alchemist. 12 Er gehört in eine geistige Strömung, die ihr Entstehen aus dem klassischen Altertum herleitet und sich in ihren Anschauungen an Erkenntnissen orientiert, die im antiken Griechenland und im vorchristlichen Ägypten beheimatet sind, – Erkenntnisse, die auf den Anschauungen eines Hermes Trismegistos, Aristoteles oder Parmenides basieren. 13 Alchemie ist gemäß dieser Tradition eine ganzheitliche Wissenschaft. Sie sieht den Menschen als ein Glied in der Natur und deswegen als für sie verantwortlich. Der Mensch als Mikrokosmos ist ein Abbild der äußeren Welt 14, und wer der einen Seite schadet, schadet auch der anderen. Andererseits befähigen die besonderen Kenntnisse der materiellen Alchemie den Wissenden, die Natur zu verbessern, bzw. zu heilen. 15 Kennzeichnend hierfür ist die Idee vom Stein der Weisen. In verschiedenen Aggregatszuständen, zumeist aber als Pulver, kann er unedlen Metallen eine „Seele“ geben, und sie in Gold verwandeln. Von der Plusquamperfectio bei seiner Gewinnung, - also nicht nur von einer Verbesserung, sondern von einer Vervollkommnung der Natur, ist hierbei die Rede. 16 Diese Haltung der – wie wir heute sagen würden – „menschlichen Überlegenheit“ könnte ein Hinweis darauf sein, dass zur Alchemie führende grundsätzliche Vorüberlegungen und die Kenntnis der pyrotechnischen Gewinnung und Bearbeitung von Metallen in ursächlichem Zusammenhang stehen. Wie der Gebrauch des Feuers, muss die Verhüttung von Metallen den geistigen Standpunkt des Menschen in seiner Wechselbeziehung zum Kosmos und seinen Gesetzen neu bestimmt haben. Das lassen vor allem auch die kosmologischen Bezüge zwischen Metallen und Planeten, die zu Abb. 2: Johann Rudolph Glaubers den Grundlagen und damit wohl zur ältesten Tradition in Abhandlung über die Herstellung der alchemistischen Philosophie gehören, vermuten. von Weinstein Es ist verständlich: Der Mensch wird zum „Schöpfer“. Er (Foto: Nomayo) sieht sich erstmals in der Lage, einen Stoff zu „schaffen“, der in der Natur in dieser Form nicht vorhanden ist, d. h. eine stoffliche Verwandlung, oder mit der Terminologie der Alchemie gesprochen, eine Transmutation 17 vorzunehmen. Damit kann die Verhüttung von Metallen in der Kulturgeschichte des Menschen keine beliebige Episode gewesen sein. 18 Und, es sind die Eigenschaften dieses neuen „Stoffes“ – seine Biegsamkeit, Glanz, Härte und Schärfe, die Farbe und vor allem die „Geburt aus dem Feuer“ – die den Menschen beeindruckt haben müssen. Denn warum sonst wird der Wert von Metall zu jeder Zeit und über alle
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Kap. 1 Kulturgrenzen hinweg „erkannt“ und damit anerkannt – an erster Stelle das Gold? 19 Die Vermehrung des Goldes aber durch eine Vervollkommnung „unedler“ Metalle mit Hilfe der Seele der Metalle, nämlich des Steins der Weisen, der im Zusammenhang mit seiner Gewinnung aus allen goldhaltigen Substanzen sogar selbst noch vermehrt werden kann 20, ist das Hauptziel der materiellen Alchemie. 21 Die Fortentwicklung der Wissenschaften seit der Aufklärung zeigt heute, die Hauptbestrebung der Alchemie, die Goldvermehrung, wird vor dem Hintergrund der modernen Abb. 3: Der Steuerbucheintrag 1653/1656 in welchem GlauLehre von den Elementen niemals bers Immobilien, die er von 1652–1654 in Kitzingen besaß, zum Ziel führen. 23 Glaubers Kinder verzeichnet sind. (Foto: Mark Brooks) werden Künstler. 24 Wer sind seine Epigonen? Ist Alchemie damit abgehakt? Sollten wir sie Esoterikern, Philosophen und Chemiehistorikern überlassen? Bieten alchemistische Denkmodelle nur noch eine Quelle für Psychologen zur Untersuchung menschlicher Archetypen im Bereich menschlichen Denkens und der Imaginationskraft?
über Glaubers Immobilien in Kitzingen geben könne. Eine Woche später kam Besuch. Den Steuerbucheintrag gab es im Museum durchaus, aber nur als Reproduktion. Das Original war nicht greifbar, denn das Archiv befand sich ebenfalls, wie das Museum, aufgrund von Umbau und Neukonzeption im Auslagerungszustand. Das konnte die beiden Gelehrten, Dr. Rainer Werthmann und Prof. Dr. Helmut Gebelein, Didaktik für Chemie an der Universität Gießen, beide in Europa führend auf dem Gebiet der Alchemie und Glauberforschung, nicht abschrecken. Zunehmend interessierten sie sich für die Gesamtsituation vor Ort. Selbst das dichte Getriebe der Kitzinger Leistungsschau, welche sich gerade vor dem winzigen Büro-Provisorium auf dem ehemaligen Bürgerbräu-Areal abspielte, konnte sie nicht aus der Ruhe bringen. Man gönnte sich staunend inmitten des größten Festbetriebes ein Tässchen Kaffee. Es blieb der Verfasserin nichts anderes übrig, als in ihrer Funktion als Museumsleitung die Initiative zu ergreifen, die beiden Wissenschaftler ein paar Straßen weiter in den Museumsrohbau zu locken und hierbei zu versuchen, zwischen unverputzten Wänden und Bauschutt das künftige Museumskonzept verbal möglichst anschaulich vor das geistige Auge zu führen. Bei dieser Gelegenheit eröffnete man, was geplant war: nach einer erfolgreichen Ausstellung zu Johann Rudolph Glaubers 400. Geburtstag in seinem Geburtsort Karlstadt, spielte man mit dem Gedanken, diese Ausstellung in erweiterter Form in Kitzingen zu zeigen. Aus dieser geplanten Sonderausstellung, deren Eröffnung man von Beginn an auf den Internationalen Museumstag 2008 legte, entwickelte sich neben guter Freundschaft, ein langjähriges, interdisziplinäres Forschungsprojekt mit zahlreichen neuen Ergebnissen zu Johann Rudolph Glaubers Leben, Werk und Alchemie, die in diesem Buch erstmals gebündelt werden.
Die Autoren dieses Buches zeigen, dass die Denkmodelle der Alchemie einen Weg weisen, wieder mit allen Sinnen mit der stofflichen Natur in Kontakt zu kommen, neue Ideen zu haben, die aus einem Ganzen entspringen und nicht aus isolierten Einzelfakten. In einer Zeit, in der vernetztes Denken, Denken in Zusammenhängen mehr denn je gefordert ist, ist es genau das, was die Beschäftigung mit der Alchemie und ihrer Philosophie immer noch in uns ausbilden kann. 25 Die Verstandeskälte und Abstraktheit, die heute in der Naturwissenschaft vorherrschen, kannte die Alchemie nicht. Dort war der ganze Mensch gefragt.
Wie es zum Kitzinger Glauber Projekt kam Der Impuls zu diesem Projekt erfolgte im Spätherbst 2005. Aus dem Hauptamt der Stadt Kitzingen wurde mit der Tagespost ein bemerkenswerter Ausstellungskatalog in das provisorische Museumsbüro durchgereicht. Dicht gebündelt waren darin Lebensstationen, Verfahrenstechniken und vor allem die Alchemistischen Anschauungen Johann Rudolph Glaubers in 6 Punkt Schrift „verpackt“. Ins Bild passte der Anruf eines ambitionierten Chemikers wenige Tage später. Wie sich herausstellte, war er einer der Gralshüter dieses Wissenspools, Dr. Rainer Werthmann aus Kassel. Man habe von einem Steuerbucheintrag gehört, welcher Aufschluss
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Abb. 4: Prof. Dr. Gebelein und Dr. Rainer Werthmann vor dem Städtischen Museum Kitzingen, bei der Vorbereitung von Schauversuchen 2008. (Foto: Mark Brooks)
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Kap. 1 1
s. Aufsatz R. Werthmann, Glaubers Begegnung mit dem Glaubersalz.
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Die Überlassung der Kirche in Etwashausen war bereits 1647 geplant und zugesagt, Dietwar-Chronik: 1647 „Der schwedische General Wrangel kam nach Kitzingen, wohin auch der Bischof von Würzburg sich begab. Der Bischof sagte Wrangel zu, den evangelischen Bürgern zu Kitzingen die Kirche zu Etwashausen zu ihrer Religion und zum Gottesdienst einzuräumen. [...] aber es währte nicht lange. Denn die Papisten behielten ihren alten Brauch und die Kirchen nach wie vor inne und gaben vor, der Feldprediger habe nicht recht verstanden.
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Mit der lateinischen Sprache tat sich Glauber zeitlebens schwer, obwohl er mehrere Bücher in Latein verfasste. Erstaunlich ist Glaubers Kenntnis des antiken Mythos und der alchemistischen Philosophie, denn auch diese Kenntnisse hat er sich im Selbststudium erarbeitet.
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Glauber selbst wusste übrigens sehr wohl die ehrlichen Forscher von den betrügerischen Goldmachern zu unterscheiden. Er schimpft über sie, sie würden sich nur mit Effekthascherei aufhalten und weder gut beobachten, noch die erforderlichen theoretischen Grundlagen besitzen!
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Johann Rudolph Glauber, Gründliche und wahrhaftige Beschreibung Wie man aus der Weinhefen Einen guten Weinstein in grosser Menge extrahieren soll Wolffgang und Johann Andreae Endter, Nürnberg, 1654; die lateinische Ausgabe Vera ac perfecta descriptio... hat er „dem Erzbischof von Mainz Johann Philipp von Schönborn“ gewidmet, erschienen bei Johann Jansson, Amsterdam, 1655
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s. Aufsatz H. Gebelein, Nachruhm
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Johann Rudolph Glauber, Prosperitatis Germaniae Pars Prima (-Secunda) Johann Jansson, Amsterdam, 1656
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Johann Rudolph Glauber, Vera ac perfecta descriptio… (s. Anm. 6)
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Mit in Essig umgeschlagenem Wein kann man nichts machen? Weit gefehlt! Glauber entwickelt ein Verfahren zur Herstellung von Qualitätsessig und schreibt in seiner Wirtschaftlichkeitsrechnung: „... und die zwey Eymer Essig habe ich Profit!“
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Siehe auch R. Werthmann, Glaubers Zeit in Kitzingen...; zur Rekonstruktion der Salpetermieten Glaubers in Kitzingen. Sie basieren auf der Grundlage von Kuhmist!
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Zum letztlich doch eher ambivalenten Verhältnis Glaubers zum Stein der Weisen und speziell zur Goldherstellung und seiner im Wortlaut immer noch brandaktuellen „Absicherungsklausel“ s. R. Werthmann, Johann Rudolph Glauber und die Veredelung der Metalle.
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s. auch H. Gebelein, Von der Alchemie zur Chemie.
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s. auch H. Gebelein, Von der Alchemie zur Chemie.
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Es ist ein allgemein bekannter, antiker Topos, dass Weise und Seher blind sind. Prominenteste Beispiele sind Homer oder Theiresias. Sie besitzen in ihrer Blindheit eine „Innenschau“ mit der sie unabgelenkt von äußeren Impressionen die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos „sehen“ und erkennen, denn sie selbst sind ein Teil des Kosmos!
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Folgerichtig gab es zu Glaubers Zeit auch nicht das heute in der Wissenschaft übliche Veröffentlichen um jeden Preis, sondern man veröffentlichte nur, was man als positiv für die Menschheit empfand. Glauber forschte durchaus über Kampfgase und chemische Waffen! Er schrieb aber erst etwas darüber, als der 30-Jährige-Krieg vorbei war!
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Plusquamperfectio und Stein der Weisen bei Glauber – s. R. Werthmann, Das unsichtbare Feuer.
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s. auch H. Gebelein, Von der Alchemie zur Chemie
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s. die Eigenschaften von Metallen bei R. Werthmann, Glauber und die Geowissenschaften.
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Transmutation nach Glauber „Die Kohlen seynd die irdische Sonne: dann was die große / syderische / astralische Sonne im obern Firmament thut / das kann die untere irdische Sonne oder Kohle auch / als der obern großen Sonne Vicarius. ... Der Leib eines Dings ist grob / todt / sichtbar / unbeweglich / irdisch / verweslich / tauget wenig : der Geist ist unsichtbar / lebendig / beweglich / doch sterblich: die edle Seele aber unsterblich / der Leib hält sie gefangen / daß sie sich nicht kräfftig erweisen kann. Mache die Seele ledig / und zerbrich die cörperliche Bande / daß sie frey werde / so wirst du Wunder sehen.“
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Die aktuelle Weltmarktlage 2011 sei hier nur als Beispiel angeführt: während die Märkte einbrechen und fast alle börsennotierten Werte unter z. T. unglaublichen Verlusten zu leiden haben, legt der Goldpreis kontinuierlich zu.
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Plusquamperfectio und Stein der Weisen bei Glauber – s. R. Werthmann, Das unsichtbare Feuer.
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Glauber ist bezüglich dieses Hauptzieles der Alchemie übrigens sogar recht vorsichtig, obwohl auch er Rezepte zum Goldmachen entwickelt und sogar recht klug vermarktet, ist er sich nicht ganz sicher, ob dieses Ziel erreichbar wäre. s. R. Werthmann, Das unsichtbare Feuer.
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s. H. Gebelein, von der Alchemie zur Chemie.
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s. R. Werthmann, Glaubers Kinder.
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Deshalb interessieren sich mittlerweile auch die Kitzinger Chemielehrer zunehmend für Alchemie: um ihren Schülern die Wissenschaft von den Substanzen lebensvoller nahe bringen zu können! Im Rahmen des Glauber-Projektes wurden Schüler des Armin-Knab-Gymnasiums von Reportern des Bayerischen Rundfunks und auch Fernsehens gefragt: Wie findet Ihr diese Projekte? Und es gab besonnene, ehrliche und durchweg positive Antworten!
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Kap. 1 Das Ausstellungsprojekt 2008 Johann Rudolph Glauber – vom Barbier zum Alchemisten Erstmals wurde von Seiten des Stadtmuseums in Kooperation mit zwei Partnern aus Forschung und Industrie der Versuch unternommen, einen interdisziplinären Weg zu gehen. Die Auseinandersetzung mit der Person und dem Werk Johann Rudolph Glaubers erforderte ein immer tieferes Einarbeiten des Ausstellungsteams zum einen in die Wirtschafts-, und Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts, andererseits sollten neben den zur Ausstellungsroutine gehörenden biographischen Aspekten auch Gesichtspunkte des Glauberschen Forschungsfeldes, das in den Naturwissenschaften angesiedelt ist, näher beleuchtet werden. Reizvoll war diese Aufgabe vor allem wenn man bedenkt, dass die Person, um die es sich handelt, selbst eine Grenze markiert. Johann Rudolph Glauber steht an der Schwelle zwischen mittelalterlich-alchemistischer Denkweise und den Anfängen der Aufklärung. Das bedeutete für all jene, die ernsthaft versuchen, dem „Kaleidoskop“ Glauberscher Ideen zu folgen, selbst einen Geistessprung der Menschheitsgeschichte nachzuvollziehen. Unweigerlich wird man mit den Grundprinzipien der Chemie konfrontiert, die heute noch auf Glauber fußen, und man beginnt die Beschäftigung mit der Chemie zu verstehen und zu schätzen.
Abb. 1: Der Chemische Garten – als erster hat Glauber diesen Versuch beschrieben. (Foto: Heiko Barth, Justus Liebig Universität Gießen)
Das Einbinden weiterführender Schulen auf diesem Weg war daher obligatorisch! Das Armin Knab Gymnasium Kitzingen begleitete das Projekt nach kurzer Rücksprache mit der Direktorin, Frau Margit Hofmann, von Beginn an und über Jahre hinweg sowohl in den Fächern Geschichte und Kunst, vor allem aber in der Chemie. Seit April 2008 bis Februar 2011 widmete das AKG diesem spannenden Thema einen eigenen Projekttag und beteiligte sich an der Durchführung von Schauexperimenten, Produktentwicklung, Bayerischer Chemielehrertagung, Glauber-Symposium und an der Erstellung eines Glauber-Audio-Guide für das Museum Kitzingen. Die Sonderausstellung Mit Musik aus Glaubers Zeit, von Jacob van Eyck und John Dowland, dargeboten von der Städtischen Musikschule Kitzingen, wurde am 18. Mai 2008 die Ausstellung in der histori- Abb. 2a, b: Der Projekttag zur Alchemie und Johann Rudolph-Glauberforschung im Armin-Knab-Gymnasium schen Rathaushalle feierlich eröffnet. Kitzingen 2008 (Fotos: Nomayo) Die Präsentation im Museumsgebäude zeigte einen großen Teil der 30 von Glauber verfassten Bücher, aber auch Bücher und Originalurkunden aus der Zeit und dem Umfeld des Alchemisten. Die Exponate, Originalurkunden, Reproduktionen und Bücher der Ausstellung kamen aus Kopenhagen (Königlich Dänische Nationalbibliothek), Dresden (Nationalbibliothek), Karlstadt (Stadtmuseum), Würzburg (Bayerisches Staatsarchiv), Kassel und Gießen (Universität), dem Bergbaumuseum Goldkronach, sowie von privaten Kitzinger Leihgebern und dem Stadtarchiv und dem
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Kap. 1 Städtischen Museum Kitzingen. Im 1. OG erhielt der Betrachter Einblick in Glaubers Labor und in seine beeindruckende Rohstoffsammlung, die mit heutigen Substanzen und Mineralien rekonstruiert wurde. Die Zusammenstellung erfolgte auf der Grundlage seines Buches “Glauberus Concentratus Laboratorium Glauberianum“, das er 1668, zwei Jahre vor seinem Tod, als er bereits schwer erkrankt war, verfasst hatte. Darin bietet er Bücher, Laborgeräte, Rohstoffe sowie chemische und pharmazeutische Erzeugnisse zum Kauf an. Viele der von den Konzipienten gesammelten und ausgestellten Stoffe, Substanzen und Materialien ließen sich unschwer als Rohmaterialien für von Glauber veröffentlichte Prozesse identifizieren. Auffällig aber war eine Häufung roter MineraliAbb. 3: Junge Besucher vor der en, unter anderem Granate verschiedener Herkunftsorte Rekonstruktion des Glauberschen Destilier-Ofens während der Sonder- einschließlich Übersee. Es ist – so Werthmann – anzunehausstellung 2008 (Foto: Hans Will, men, dass Glauber daraus Gold gewinnen wollte, gemäß Kitzingen) der Vorstellung, die rote Farbe bedeute eine Steigerung und Konzentrierung der Goldeigenschaften. Granate wurden damit als eine Art „natürlich vorkommender Stein der Weisen“ betrachtet. 1 Auch einige von Glauber erfundene Verfahrenstechniken wurden für die Ausstellung rekonstruiert. So war ein Nachbau des „Ofens 2“ der von Glauber erfundenen Destilier-Öfen (furni novi philosophici) zu sehen. 2 Der wesentliche Teil dieses Ofens ist eine Retorte mit einem Rohr aus Keramik und einer verschließbaren, abdichtbaren Einfüllöffnung. Auf diese Weise können sogar luftempfindliche Stoffe erhalten werden. Ein weiteres Schwerpunktthema der Ausstellung war Glaubers Wirken in Kitzingen. 1652–1654 hatte J. R. Glauber sein Labor im Schlösschen am Vogelsberg und wie der mittlerweile vom Archiv entliehene, ausgestellte Steuerbucheintrag zeigte, offenbar auch noch ein Wohnhaus mit Garten und Nebengebäude in der Fischergasse in Kitzingen. Die Geschichte der Wiederentdeckung und Lokalisierung dieses Wohnhauses war ein Schwerpunktthema dieser Ausstellung und zugleich Ausgangspunkt für die neuen Forschungen und Bauuntersuchungen nach dem Ausstellungsprojekt 2008. In Kitzingen verfasste Glauber eine seiner wichtigsten Abhandlungen, die Herstellung von Weinstein. Es ist ein Verfahren aus dem Bereich der technischen Chemie das Glauber ermöglichte, aus Fassschlamm Essig, Branntwein, Pottasche, sowie reinen und gereinigten Weinstein zu gewinnen. Eine Sondergenehmigung des Würzburger Fürstbischofs hatte ihm die Produktion von Weinstein im Rahmen einer eigenen Manufaktur aus den Fassschlämmen der Kitzinger Winzer ermöglicht. Der Zyklus dieses Verfahrens war ein zentrales Ausstellungsthema, zumal sich auch die Glauber als Ökonom charakterisierenden, betriebswirtschaftlichen Überlegungen speziell auf dieses Verfahren beziehen. Anfeindungen durch die Kitzinger Küfer, die sich die Rohstoffquelle für den von ihnen ge-
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brannten Hefeschnaps nicht nehmen lassen wollten, waren es wohl, die ihn dazu zwangen, seinen Wohnsitz in Kitzingen nach kurzer Zeit schon wieder aufzugeben. Heute noch erinnern Straßennamen und ein Schild an der Löwen-Apotheke an Glaubers Kitzinger Zeit. Diese engen Beziehungen Glaubers zu Kitzingen waren der Grund, sich dem Vorhaben Johann Rudolph Glauber im Jahr 2008 eine große Sonderausstellung zu widmen, anzuschließen. Begleitet wurde das Ausstellungsvorhaben von einem Glauberkonzert sowie einer Vortragsreihe, die sich mit weiterreichenden Fragestellungen, die aus dem Wirken Glaubers resultierten, aber heute noch relevant sind, befassten. Themenschwerpunkte waren: Errungenschaften der Alchemie, Ökonomie und Chemie bei Glauber, die Alchemie in der Kunst, sowie ethische Fragestellungen in den Naturwissenschaften. Schauversuche nach Glauber auf dem Kitzinger Landwehrplatz Eine Nacht vor der Ausstellungseröffnung, am 17. Mai kam es im Rahmen der „Langen Nacht der Museen“ auf dem Landwehrplatz zu einer zauberhaften Experiment-Reihe. Etwa 100 Besucher konnten unter freiem Himmel Schauversuche auf der Grundlage von Glaubers Verfahren miterleben, gewürzt mit märchenhaften Erläuterungen Prof. Dr. Gebeleins und Dr. Werthmanns. Neben spektakulären Versuchen mit Glaubersalz, Knallgas, Kupfer-Zementation etc., beeindruckten die Besucher vor allem der Chemische Garten und das Mineralische Chamäleon. In Wasserglas eingelegte Metallsalzkristalle begannen auf geheimnisvolle Weise vor den Augen der Betrachter zu bunt leuchtenden, bizarren, pflanzenartigen Gebilden zu wachsen; im nächsten Versuch nahmen Mangansalze in ihrer Lösung verschiedenste Farben an. Als der Gelehrte Gebelein geheimnisvolles Pulver in Wasser streute, schlug hierbei die Farbe mehrfach um in grün, blau, violett und rotviolett. Er begann das Märchen vom Fischer und seiner Fru zu erzählen, die sich immer noch eine andere Farbe wünschte. Zonenweises Einleiten mehrer farbloser Chemikalien sorgte dann dafür, dass die rotviolette Lösung am Ende mehrerer Farbdurchläufe wieder in „Wasser“ zurückverwandelt wurde! Die Schauversuche wurden auf einer erhöhten Bühne gezeigt und via Kamera durch ein Video-Team des AKG-Gymnasiums auf einen Großbildträger übertragen. Das technische Equipment wurde kostenfrei vom THW Kitzingen zur Verfügung gestellt!
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Abb. 4a, 5b, 6, 7: Prof. Dr. Helmut Gebelein und Dr. Rainer Werthmann im Rahmen der Schauversuche 2008 (Fotos: Elisabeth Porzelt)
Abb. 5: Prof. Dr. Helmut Gebelein beim Versuch „Das mineralische Chamäleon“
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Kap. 1 Glauberprojekttag im AKG Ein Glauberprojekttag im Kitzinger Armin-Knab-Gymnasium ging im April 2008 der Sonderausstellung voraus. Im Mittelpunkt standen zwei Vorträge von Prof. Dr. Helmut Gebelein und Dr. Rainer Werthmann zum Thema Einfluss der Alchemie auf die europäische Kulturgeschichte und Biographie Glaubers sowie Destillierversuche nach J. R. Glauber der 8. Klassen unter Leitung von Martin Schwab, Etikettenentwürfe für den Glaubertrunk der 11. und 12. Klassen unter Leitung von Dr. Harald Knobling und Alfons v. Truchseß-Bruckner sowie eine Geschichtsstunde der 7. Klassen zu den Vortragsthemen unter Leitung von Dr. Ekkehard Schreiter, begleitet von Dr. Rainer Werthmann. Er stand Rede und Antwort auf Fragen der Schüler zu Leben und Werk Glaubers, aber auch zum geistigen Hintergrund des 17. Jahrhunderts, zu ethischen Problemen der Chemie und Naturwissenschaften, zum Thema Alchemie und was sie bewegte sowie zu den ökonomischen Aspekten von Glaubers Verfahren. Auf Initiative von Martin Schwab, Chemielehrer des AKG, unterstützt von den Ausstellungskonzipienten, wurde zudem die Ausstellung begleitend eine Tagung der Bayerischen Chemielehrer im Städtischen Museum Kitzingen durchgeführt, die sich ebenfalls dem Thema Johann Rudolph Glauber widmete! Effekt war, dass zahlreiche Gymnasien auch außerhalb Unterfrankens mit ihren Schulklassen in den darauffolgenden Wochen das Städtische Museum Kitzingen besuchten.
Abb. 6: Zeitungsausschnitt anlässlich der Chemielehrertagung im Städtischen Museum Kitzingen
Der Glaubertrunk – ein Gewürzwein nach Johann Rudolph Glauber „Es gebrauchte mancher oft gerne morgens einen Trunk Kräuterwein / zur Bewahrung vor böser Luft oder Stärkung eines schwachen Magens ...“ So beschreibt Johann Rudolph Glauber (1604–1670) die Wirkung von Kräuterwein und betont, man mache ihn lieber selber „von einem guten und starcken Wein“. Ein detailliertes Rezept aus seinem Buch „Reicher Schatz- und Sammel-Kasten“ von 1660, das er auch für die Aromatisierung von Honigwein empfiehlt, lautet:
„Man kann auch in der Fermentation zum Spund in einem leinen Säcklein 1 Teil Cardemomen, 2 Teile Coriander und 3 Teile wohlriechender Irios-Wurtzel (Iriswurzel) ... hinein hängen und mit gären lassen, so erlanget man einen wohlgeschmacken Trank.“ Begleitend zur Sonderausstellung arbeitete das Glauber-Team auf der Grundlage dieses Rezeptes an der Rekonstruktion eines Gewürzweins. Die Versuche, diesen Gewürzwein her-
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Abb. 7: Glauber-Weinprobe in der „Rüdenhäuser Schlossapotheke“, dem Seminarraum des Städtischen Museums Kitzingen. (Foto: Nomayo)
zustellen liefen ca. 2 Jahre. Mehrere Gärversuche, Abb. 8: Der Kitzinger Glaubertrunk, eine für welche die Kitzinger Firma Arauner gewonnen Gewürzwein nach Johann Rudolph Glauber werden konnte, waren notwendig. (Foto: Marina Polikarpova) Bei den regelmäßigen in der alten Apotheke des Städtischen Museums durchgeführten Weinproben wurden neue Ergebnisse zur Optimierung des Tröpfchens mit den beiden Wissenschaftlern Dr. Werthmann und Prof. Dr. Gebelein ausgetauscht, welche parallel an der Justus Liebig Universität in Gießen ebenfalls Gärversuche durchführten. Dabei ging es um die Dosierung und Vergärung der einzelnen Kräuter, allen voran Iriswurzel und Kardamon, sowie um die richtige Basis – welcher Wein, welcher Zuckergehalt? Dieser Wein wurde dann im Februar 2008 das letzte Mal getestet und allgemein für gut befunden. Die „Labormäuse“ waren hierbei nicht nur die Abb. 9: Prämiertes Logo für den GlauberMuseumsleiterin und der Kitzinger Apotheker Peter trunk von Theresa Lang, AKG Kitzingen Ley, ehem. Inhaber der Löwen-Apotheke Kitzingen, sondern auch Pädagogen des Armin-Knab-Gymnasiums Kitzingen, die am Ende entschieden, welche der vielen Proben – ob herb oder bitter, trüb oder klar – letztlich in die Fläschchen kam. Dieser Glaubertrunk, mit Zertifikat, hergestellt und abgefüllt von der Kitzinger Firma Arauner, mit dem prämierten Logo-Entwurf von Theresa Lang, Siegerin des Etikettenwettbewerbs des Armin Knab Gymnasiums im Rahmen des „Glauber-Projekttags“ ist heute im Museumsshop erhältlich!
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Kap. 1
Abb. 10: Zeitungsausschnitt: Ankunft des Glaubertrunks im Städtischen Museum Kitzingen
Näheres zu den verwendeten Gewürzen und der ihnen zugeschriebenen Wirkung: Cardemomen = Kardamon gilt als magenstärkend und blähungstreibend, Verwendung als Gewürz u. a. in Glühwein, Lebkuchen, Gebäck, Likören und Whisky, im arabischen Kulturraum zur Aromatisierung von Kaffee, bereits in der Antike in Parfums. Koriander gilt als appetitanregend, magenstärkend, verdauungsfördernd, blähungstreibend, nervenberuhigend; krampflösend und lindernd bei Magen- und Darmleiden. Als Gewürz wird er verwendet u. a. in Lebkuchen, Printen, Spekulatius, er ist Bestandteil von Currypulver und dient zur Aromatisierung von Gin und Likören. Er wird schon im Alten Testament erwähnt (2. Mose 16, 31), wurde von den Römern nach Mitteleuropa gebracht und galt im Mittelalter als Aphrodisiakum (Liebestrank). Schon Griechen und Römer benutzten ihn zur Herstellung von gewürztem Wein. Iriswurzel hat ein ausgeprägtes Veilchenaroma und wurde seit der Antike zum Würzen von Wein und gegen Mundgeruch verwendet, heute noch zum Aromatisieren von Likören und Tabak. Die ganze, geschälte Wurzel wird als „Veilchenwurzel“ zahnenden Kindern zum Beißen gegeben. Essentia Rosarum & Cinamoni – Das Glauberparfum Weiterhin war, ebenfalls ausstellungsbegleitend, ein weiteres Sinnenerlebnis der besonderen Art geplant: Es sollte der Duft der Frauen des 17. Jahrhunderts wieder erlebbar werden, anhand eines von Glauber entwickelten Parfums auf Rosenölbasis. Verantwortlich für die Destilierversuche und letztlich die Herstellung dieses Duftwassers war Chemielehrer Martin Schwab (AKG) mit seinen 8. Klassen! Das Parfum ist heute als „Essentia Rosarum et Cin(n)amoni“ mit Zertifikat im Museumsshop erhältlich, versehen mit dem prämierten Etikett von Maximilian Franke, 2. Sieger des Etikettenwettbewerbs des ArminKnab Gymnasiums im Rahmen des „Glauber-Projekttags“. 4 Glauber beschreibt Herstellung und Anwendung dieser Essenz im 1. Teil seiner „Pharmacopoea Spagyrica“, die er am Ende seiner Kitzinger Zeit 1654 in Nürnberg heraus gegeben hat. Es handelt sich dabei, so Werthmann, weniger um ein Parfum mit rein schmückender Funktion, sondern eher um ein Stärkungsmittel im Rahmen der Aromatherapie, obwohl auch die „Umstehenden“ etwas davon haben:
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„Bey allen schwachen/ abgematteten und krafftlosen Menschen thut eine vera Essentia Rosarum & Cinamoni Wunder/ offtermals davon eingenommen/ stärcket das Hertz und Hirn ... . Es muß aber eine solche Essentia also bereitet und in die Enge concentriret seyn/ daß ein oder zwey Tropffen/ wann solche ein Mensch auff die Zunge nimt/ oder nur unter die Nasen streicht/ der Abb. 11: Essentia Rosarum & Cinamoni, das Glauberparganze Leib Hülff und Krafft davon er- fum mit dem prämierten Etikett von Maximilian Franke (Foto: Marina Polikarpova) langet/ und die Umstehenden deß lieblichen Geruchs sich nicht gnugsam verwundern können.“„...... ein Schwämlein darein genetzt/ bey sich getragen und offt daran gerochen/ ... erquicket und stärcket die Geister/ und praeservirt (schützt) das Hertz vor böser Lufft/ und ansteckendem Schwaden ...“ 5 Im Einklang mit der Auffassung seiner Zeit ist es für Glauber selbstverständlich, dass seine Heilmittel nicht nur über den Körper, sondern auch auf dem Weg über die Seele auf den ganzen Menschen wirken. Die Ergebnisse der zweijährigen Forschungs- und Vorbereitungsphase zur Kitzinger Johann Rudolph Glauber Ausstellung waren: 6 - Die Wiederentdeckung des Glauberschen Wohnhauses samt Vermessung - Nacharbeiten Glauberscher Verfahren bei der Herstellung von Glauberporzellan, Goldrubinglas und Lüsterglasur - Die Zuordnung von Glaubers Kindern, der drei Maler Johannes, Jan-Gottlieb, Diana - Die Nachvollziehung Glaubers Goldmachrezepte - Nacharbeiten von Glaubers Gewürzwein, Glaubers Duftwasser zur Aromatherapie (Glauberparfum) - Die Herstellung von Distickstofftrioxid (tintenblaue Flüssigkeit), Natriumpolysulfid - Die Rekonstruktion der Urform des Chemischen Chamäleons nach Glauber - Der Kessellaugung nach Glauber
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Kap. 1 1
s. R. Werthmann, Das Rot aus dem Gold – das Gold aus dem Rot
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Ofen II aus Glaubers Furni Novi Philosophici- Nachbau Keramikretorte: Bernd Fischer, Attenweiler; Keramik-Retorte mit geradem Hals und abdichtbarem Deckel nach Glaubers Furni Novi Philosophici.
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Anzumerken ist, die Gärversuche und wiederholten Weinproben wurden mit bewundernswerter Geduld vom Geschäftsführer der Firma Arauner, Wolf Frh. v. Tautphoeus persönlich begleitet – Ihm gilt der besondere Dank des Museums, denn immer wieder ließ er sich bereitwillig auf neue Experimente ein!
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Besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Herrn Apotheker Peter Ley, der alle benötigten Ingredienzien auf eigene Kosten besorgen ließ!
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(Glauber, Ph. Spag. In Op.Chym.2, 19)
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An den Einzelprojekten beteiligt waren: Wolf Frh. von Tautphoeus, Geschäftsführer der Kitzinger Firma Arauner: Herstellung des Gewürzweines, Durchführung mehrerer Gärprozesse; Martin Schwab, Chemielehrer des Kitzinger Armin-Knab-Gymnasiums: Entwicklung und Herstellung des GlauberParfums, Durchführung chemischer Experimente; Dr. Harald Knobling; Alfons von TruchseßBruckner, Kunstlehrer des Kitzinger Armin-Knab-Gymnasiums: Entwicklung der Wein- und Parfumetiketten; Dr. Ekkehard Schreiter, Lehrer für Geschichte am Kitzinger Armin-KnabGymnasiums: Durchführung der „Fragestunde“; Apotheker Peter Ley, wissenschaftliche Unterstützung, Leihgeber, Sponsor; die Städtische Musikschule: Musik des 17. Jh. von Jacob van Eyck und John Dowland.
Das Johann Rudolph Glauber Symposium 17. Oktober 2009 Anlass der feierlichen Veranstaltung des Johann Rudolph Glauber Tags des Städtischen Museums Kitzingen am 17. Oktober 2009 war die Möglichkeit zur Fortsetzung des Johann Rudolph Glauber Forschungs Projektes aufgrund einer großzügigen Förderung durch die Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken. Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel stellte in seinem Grußwort die Bedeutung Glaubers für die Region Unterfranken vor. Nach einem anschaulichen und gut recherchierten Streifzug durch Glaubers weiteres Leben und Wirken verlieh der Bezirkstagspräsident seiner Freude über die laufenden Forschungen erkennbaren Ausdruck, indem er das in Kitzingen seit 2006 aufgenommene Glauber-Projekt als das wichtigste bezeichnete, das zur Zeit von der Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken gefördert würde! Auch lobte der Bezirkstagspräsiden die vielfältigen didaktischen Möglichkeiten, welche das Projekt hinsichtlich der Vermittlung im Sinne des gemeinsamen Bildungsauftrages bereithalte, was sich auch an diesem Tag wieder an der bereitgestellten Versuchsanordnung Prof. Dr. Helmut Gebeleins zeige. Wohlwollend bezeichnet er die Ins- Abb. 1: Versuchsanordnung: „Knoff-Hoff-Show“ (Foto: Harald tallation als „Kitzinger Knoff-Hoff-Show“ Müller Wünsche) Stephanie Nomayo M.A., Leiterin des Städtischen Museums Kitzingen, gab einen Abriss über die Geschichte des Kitzinger Glauber-Projekts und die vielfältigen Aktivitäten, die über die erfolgreiche Jahresausstellung 2008 hinaus daraus entstanden sind, und die bis in die archäologische Erforschung der Stadtgeschichte, in die Vermessungstechnik mit modernsten Methoden, ja sogar bis in die Pädagogik am Armin-Knab-Gymnasium reichen, in einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Museum und Schule auf mehreren Fachgebieten mit überregionaler Ausstrahlung z. B. auf die Weiterbildung fränkischer Chemielehrer. Abb. 2: Anett Potempa bei Vermessung der GlauberDer erste Fachvortrag der Veranstal- Keller (Foto: Mark Brooks) tung wurde gehalten von Anett Potempa von der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Sie hatte im Rahmen ihrer Diplomarbeit Untersuchungen zur Baugeschichte von Glaubers ehemaligem Wohnhaus in der Fischergas-
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Kap. 1 se 35 durchgeführt und dabei die Keller mit einem modernen 3D-Laserscanner vermessen. Es war eindrucksvoll zu sehen, wie das digitalisierte Abbild des Kellerkomplexes aus jedem gewünschten Blickwinkel betrachtet werden konnte. Die Ergebnisse gewähren vor allem Aufschluss über die verschiedenen Bauphasen von Glaubers Wohnhaus und bieten die Möglichkeit, die ursprüngliche Situation aus Glaubers Zeit zu rekonstruieren, bzw. weitere Aufschlüsse über das Kellersystem und seine Verzweigungen zu erhalten. Dr. Rainer Werthmann aus Kassel brachte den Zuschauern ein ungewöhnliches Alchemiebuch aus dem 17. Jahrhundert nahe, „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier aus dem Jahre 1617. Bemerkenswert daran sind neben den alchemistischen Texten die sehr qualitätsvollen Abbildungen des Kupferstechers Matthäus Merian d. Ä sowie die kleinen Musikstücke, die
zigen Handbuchs zur Alchemie in deutscher Sprache, entführte die Tagungsteilnehmer in die Goethezeit. Goethe selbst verstand sich nicht nur als Dichter, sondern vor allem auch als Naturforscher. Er führte selbst alchemistische Experimente durch, und seine Werke sind voller Hinweise auf die Alchemie und die zu Goethes Zeit im Entstehen begriffene moderne Naturwissenschaft Chemie. Assistiert von seinem Mitarbeiter, Herrn Heiko Barth, führte Prof. Dr. Helmut Gebelein durch eine Vielzahl anschaulicher und teils verblüffender Demonstrationsversuche. Wer von den Anwesenden wußte etwa schon vorher, dass es eine „Sonnenuntergangsreaktion“ gibt, oder dass man vor den Augen der Betrachter einen Baum aus echtem Silber wachsen lassen kann? Und natürlich durften auch die Paradeversuche des Kitzinger Alchemisten Johann Rudolph Glauber nicht fehlen, das „chemische Chamäleon“ und der „chemi-
Abb. 3: Dr. Rainer Werthmann stellt ein multimediales Alchemiebuch aus dem 17. Jahrhundert vor (Foto: Mark Brooks)
Abb. 4: Prof. Dr. Helmut Gebelein entführt in die Alchemie der Goethezeit (Foto: Mark Brooks)
den 50 Kapiteln zugeordnet sind und ihre alchemistische Aussage unterstützen. Die Cembalistin Frau Dr. Claudia Schweitzer spielte eine Anzahl dieser Stücke und erläuterte ihren musikalischen Aufbau. So wurden in einer künstlerisch-wissenschaftlichen Gemeinschaftsproduktion die alchemistischen, chemischen, mythologischen und musikalischen Aspekte dieses vielschichtigen Multimedia-Kunstwerks verständlich und deutlich gemacht. Prof. Dr. Helmut Gebelein von der Justus-Liebig-Universität Gießen, Autor des bisher ein-
sche Garten“, die Goethe beide in seinen Werken beschrieben und wohl auch selber durchgeführt hat. In diesen Versuchen berühren sich die Interessen des deutschen Dichterfürsten mit den Forschungen eines der bedeutendsten Einwohner Kitzingens. Die Veranstaltung wurde am Abend abgerundet durch ein Konzert von Dr. Claudia Schweitzer, Dozentin der Musikhochschule Leipzig, die in der hervorragenden Akustik der Alten Synagoge am Cembalo Musik aus dem 16./17. Jahrhundert sowie aus der Goethezeit
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Kap. 1 zu Gehör brachte. Durch die bedeutungsvolle Gliederung der einzelnen Sätze gemäß alchemistischer Farbenlehre – Schwarz steht in der Alchemie für die Zerstörung, Weiß für den Neuanfang und Rot für die Vollendung – war auch dieses Konzert mit der Alchemie eng verknüpft. Die einzelnen Stufen und deren jeweilige Motive wurden von Frau Dr. Schweitzer den gespannten Zuhörern noch einmal eigens erklärt. Das Konzert umfasste u. a. Werke von John Dowland (1562 - 1626), Johann Leo Hassler (1564– 1612), Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) und Carl Friedrich Zelter (1758–1832). Unvergessen wird den Besuchern der feine Klang des ungewöhnlichen Instruments, ein originalgetreuer Nachbau eines Cembalos aus dem 17. Jahrhundert, vor allem aber die Brillanz und Virtuosität des Vortrages im Gedächtnis bleiben! Abb. 5: Heiko Barth assistiert Prof. Dr. Gebelein im Rahmen seiner Schauversuche (Foto: Mark Brooks)
Abb. 6: Dr. Claudia Schweitzer an ihrem historischen Cembalo (Foto: Mark Brooks)
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Die Fischergasse – Wiederentdeckung und Untersuchungen von Johann Rudolph Glaubers Wohnhaus mit „Hofstat“ Die Wiederentdeckung Der mehrfach zitierte Eintrag im Steuerbuch 1653/1656, der das Forscherteam Gebelein/ Werthmann auf die Spuren Glaubers nach Kitzingen geleitet hatte, war es auch, der mit den Recherchen im Zusammenhang mit dem Glauber-Ausstellungsprojekt zur Wiederentdeckung eines sowohl in der Geschichte Kitzingens, als auch in der Glauberforschung unbekannten Wohnhauses aus der Schaffenszeit des Alchemisten führte. Im entscheidenden Steuerbucheintrag heißt es: „Wolffgang Klauber“ ...“ein behausung das schlößlein gnant am Vogelßberg“ und „ein
hauß in der fischers gassen sambt dem garten“
Das Schlösschen am Vogelsberg war das, in den Steuerbüchern als „Hochhaus des Pankratz Metzger“ bezeichnete Gebäude. Es war leicht zu identifizieren. Ein im Städtischen Museum Kitzingen befindlicher Grundplan von Georg Martin aus dem Jahr 1628 1 zeigt es als beeindruckenden, offensichtlich das Stadtbild prägenden, in kurzer Distanz hinter der Umfassungsmauer des Klostergartens, vor dem Stadtgraben errichteten, mehrgeschossigen Renaissancebau. In der örtlichen Tradition wird es gerne mit einem unmittelbar nebenan liegenden, eher un- Abb.1: Das sog. Schlösschen am Vogelsberg mit Areal Fischergasscheinbaren Bau verwechselt, se und Klostergarten. (Foto: Heinz Vetter) der tatsächlich in das Gartenareal des Klosters einbezogen ist, nämlich dem sogenannten „Nonnenschlösschen“, der ehemaligen Sommerresidenz der Benediktinerinnen, einem auf Pfählen erbauten, im Vergleich niedrigen Gebäude. Doch jenes, im entsprechenden Steuerbucheintrag zusätzlich erwähnte Wohnhaus Glaubers wurde in der örtlichen Geschichtsforschung bisher nicht weiter beachtet. Da man seine genaue Lage nie ermittelt hatte, wähnte man es aufgrund der Zerstörungen im zweiten Weltkrieg, die für den Nachfolgerbau des „Schlösschens am Vogelßberg“, das sogenannte „Schloss Friedenstein“ in seinen Auswirkungen zum vollständigen Abriss führten, ebenfalls als verloren. Das Areal des Schlösschens und des ehemaligen Klostergartens wurde in den 1970er Jahren flächendeckend mit Unterrichtsgebäuden, Turnhalle und Sportplatz der St. Hedwig-
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Kap. 1 Grundschule Kitzingen überbaut. Eine Ortsbegehung in Begleitung der Verfasserin mit den beiden Forschern Prof. Dr. Gebelein und Dr. Werthmann, sowie eine Verkaufsurkunde, welcher der Verfasserin im Würzburger Staatsarchiv aufgefallen war, weckten die Hoffnung, dass das Haus noch existieren könnte. 2 Bei jener Urkunde handelte es sich um einen Verkaufsvertrag vom 26. September 1654, den Johann Rudolph Glauber mit seinem Förderer, dem Würzburger Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn über den Verkauf seiner Kitzinger Immobilien geschlossen hatte. Er listet darin seine Kitzinger Immobilien auf:
„meine eigenthümbliche behaußung in der Statt Kizingen hinder deß Closthers garten gelegen, insgemein das Schlößlein ahm Vogelsberg genand, sambt den zuegehörigen scheuAbb. 2: Historische Aufnahme von Schloss eren undt garthen, wie solche in ihrem beFriedenstein aus dem Jahr 1899 (Bestand des zirkh undt maueren umbfangen, allermaßen Städtischen Museums Kitzingen.) ich diesselbe im April 1652 Von herrn Johan Ernst Helmstättern fürstl. Würzburgischem Ambtmann zue Iphoven kürzlich ahn mich bracht, sodan mir von weilandt Kilian dietherichs nachgelasenen Kinder ... behausung in der fischer gassen, neben Georg Lenzen gelegen, sambt hinden deran stoßendem und zue solcher behaußung gehörigen garten, ... umb sechshundert gülden...“ 3 Die Witwe des hier erwähnten Kilian Diethrich, sowie später ihre Kinder Laurentz und Anna Dorothea ließen sich durch die auf Nachfrage der Verfasserin durchgeführten Recherchen der Archivarin Doris Badel M.A. im Kitzinger Steuerbuch von 1648 fassen. Auf S. 80 fand sich tatsächlich unter Hausnummer 4 im Besitz der Witwe „ein Behausung in der Vischersgassen, darin ein alte Hofstat, anitzo ein gertlein!“ gelegen war. Auf Grundlage der weiteren Recherchen von Frau Badel konnte zudem auch jener, in der Urkunde erwähnte Nachbar der Witwe Georg Lenzen im Steuerbuch von 1651 aufgefunden werden. Der Eintrag lautet dort auf S.146: „Georg Lentz, Bote ... Ein Häuslein in der Vischergassen.“ Es war unter Hausnummer 3 aufgelistet. Eine Lokalisierung der Häuser war allerdings mit diesen Ergebnissen noch nicht möglich, da die Fischergasse seither mehrere Änderungen in der Hausnummerierung, zuletzt im Jahr 1900, erfahren hatte. In jenem, für die Untersuchung relevanten Viertel unterhalb des so genannten „Schlösschens“ am Ende der Fischergasse ergab sich aber ein Anhaltspunkt.
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So wird im Steuerbuch von 1649 auf S. 86 das Haus in der Fischergasse Nr. 1 einem Hermann Schmidt, einem Schneider in der „Schneidergasse“ zugeordnet. Ein weiterer Ortstermin brachte Licht in die Angelegenheit. Nachdem das GlauberTeam die Besitzer der heutigen Fischergasse 25 und den Besitzer des Hauses Fischergasse Nr. 33 gesprochen und man schließlich auch das Haus mit der Nr. 35 unter Führung des dortigen Hausmeisters, eingehend besichtigt hatte, konnte Dr. Rainer Werthmann den „gordischen Knoten“ um die Häuser dieses Quartiers entflechten. Nachdem er die Keller des Hauses Fischergasse 35 inspiziert und sich sogar in den nur spaltbreiten Zwischenraum zwischen den heutigen Häusern Nr. 33 und Nr. 35 gezwängt hatte, um die linke Außenmauer von Haus Nr. 35 in Augenschein zu nehmen, kam er zu mehreren bemerkenswerten Beobachtungen. Das Mauerwerk des Hauses Nr. 35 gleicht Abb. 3: Auszug aus der Verkaufsurkunde Johann sowohl in den Kellern, als auch im aufge- Rudolph Glaubers im Staatsarchiv Würzburg henden Mauerwerk bis zum ersten Stock (Foto: Staatsarchiv Würzburg) dem von Haus Nr. 33. Letzteres soll seit dem 17. Jh. unverändert erhalten sein, so konnte es jedenfalls der Besitzer glaubhaft machen. Das bedeutet, man hatte es an dieser Stelle tatsächlich mit ursprünglicher Bausubstanz aus Glaubers Zeit zu tun. Der Ortstermin ergab aber auch, dass weder jene Gasse, die sich zwischen Haus Nr. 33 und 35 befand, die gesuchte Schneidergasse sein konnte, da dieser Zwischenraum zu schmal für eine „Gasse“ war, noch, dass entgegen den ersten Vermutungen es sich um jene Gasse handelte, die sich heute zwischen einem Neubau wohl des 19. Jahrhunderts und dem Häuserzug über der Fischergasse 35 befindet. Denn hier befand sich offenbar zu Glaubers Zeit keine ausgeprägte, von Häusern eingefasste „Gasse“ sondern, wie der Grundplan von 1628 zeigt, lediglich ein Weg, der auch im Kataster von 1825 schlicht als „Vogelsberg“ bezeichnet wird. Der Einblick vor Ort ergab einen anderen Anhaltspunkt. Wies man nämlich jenem, im Steuerbuch von 1649 aufgeführten Schneider Hermann Schmidt, der in Haus Nr. 1 in der Schneidergasse wohnen sollte, die etwas weiter östlich gelegene, heutige Hausnummer 27 zu, dann begann sich eine schlüssige Zählung zu ergeben. Tatsächlich befand sich schon im Plan von
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Kap. 1 lich noch Bediensteten, in jedem Falle aber noch mit mindestens drei Lehrlingen, in einem mit Sicherheit größeren Haus. Nahm man daher die heutige Hausnummer 35 als die Glauberzeitlichen Häuser Nr. 4 und Nr. 5 an, so ergab sich eine schlüssige Zählung innerhalb des Quartiers.
Abb. 4: Dr. Rainer Werthmann im Zwischenraum der Häuser Fischergasse Nr. 33 und Nr. 35; Das konnte nicht die Schneidergasse sein – hier macht Dr. Rainer Werthmann weiterführende Beobachtungen im Bereich des aufgehenden Mauerwerks und der Keller.
Abb 5a: Dieser Aufgang bildet heute eine Gasse. Es handelt sich wie im Kataster 1825 bezeichnet, um den „Vogelsberg“ und nicht wie zunächst vermutet, um die gesuchte „Schneidergasse“.
Abb 5b: Der spaltbreite Durchlass, der zu den weiterführenden Beobachtungen u. a. der Bausubstanz führte. (Fotos: Nomayo)
1628 – und damit sicher auch zu Glaubers Zeit – eine Gasse zwischen einem spätestens seit dem 19. Jh. zurückgesetzten Gebäude und dem Häuserzug der Häuser Fischergasse 25/27/29. Wobei das heutige Haus 25 offenbar noch nicht existierte. Damit konnte man davon ausgehen, dass die heutige Nr. 27 das einstige Haus Nr. 1 und das Gebäude Nr. 29 zu Glaubers Zeit das Haus Nr. 2 gewesen war. Es stellte sich nun die Frage, war das heutige Haus Nr. 33 das ehemalige gesuchte Glaubersche Wohnhaus oder das Nachbargebäude, heute Nr. 35. Betrachtete man sich den Grundplan von 1628 ging die Zählung erst einmal nicht auf, denn es befand sich im Vergleich zum Kataster von 1825 augenscheinlich ein Häuserzug zuviel im Plan. Ein weiterer Hinweis von Seiten Frau Badels M.A., die daraufhin die Häuser des entsprechenden Viertels im Grundplan von 1628 mit dem Katasterplan von 1825 abglich, und bemerkte, dass die ehemaligen Häuser Nr. 4 und Nr. 5 offenbar im 19. Jahrhundert zusammengebaut wurden, brachten Dr. Werthmann auf die richtige Spur. Während das Haus Nr. 33, das man nach erstem Augenschein als Glaubers Wohnhaus in Betracht gezogen hatte, unverändert bis heute nur eine Grundfläche von 33 Quadratmetern aufwies, sprach die südliche Erstreckung, die sich in entsprechender Bausubstanz der östlichen Außenmauer des Gebäudes Haus Nr. 35 abzeichnete, für eine große „Behausung“, die mit Sicherheit genug Platz für die Glaubersche Großfamilie bot. Glauber wohnte immerhin mit einer Familie mit 4 oder 5 Kindern, einer Ehefrau, vermut-
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Auf dieser Grundlage konnte Frau Badel anhand des Katasters aus dem Jahr 1825 (gemessen 1827) den Gesamtkomplex in der Fischergasse folgenden neuen Hausnummern zuordnen: Haus Nr. 6 war jene, bis 1900 geltende Nummer 256½, seit 1900 Fischergasse Nr. 37. Die Gebäude mit den Hausnummern 4 und 5 sind zu einem Haus zusammengefasst, der Nummer 257, das entspricht seit der neuen Hausnummerierung, die im Jahr 1900 durchgeführt worden ist, der heutigen Adresse Fischergasse 35. Haus Nr. 3 ergibt sich somit als die alte Hausnummer 258, heute Fischergasse 33, Haus Nr. 2 ist die alte Nummer 259, heute Fischergasse 31, wobei Werthmann davon ausgeht, dass Nr. 29 ebenfalls noch zur Nr. 2 gehörte. Das Gebäude Haus Nr. 1 aber müsste, gemäß den Annahmen Dr. Werthmanns die alte Nummer 261, heute Fischergasse 27, gewesen sein. In gemeinsamer Anstrengung des Glauberteams mit dem Archiv hatte man das Glaubersche Wohnhaus wiederentdeckt.
Abb. 6: Blick in die ehemalige „Schneidergasse“: an der betreffenden Stelle führt heute noch eine Treppe zu einer Terrasse vor dem ehemaligen Areal des Schlosses „Friedenstein“, dem Nachfolgerbau des Schlösschens am Vogelsberg. Die Postkarte aus der Zeit vor dem WK II zeigt Schloß Friedenstein im Hintergrund. (Foto: Stadtarchiv Kitzingen)
Abb. 7: Rekonstruktionszeichnung von Stephanie Nomayo M.A.
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Kap. 1 Weitere Untersuchungen zum Wohnhaus J. R. Glaubers Die Beobachtung Dr. Werthmanns bei Inspektion des äußeren Mauerwerks der Häuser Nr. 33 und Nr. 35 hatte, wie bereits beschrieben, zur Beobachtung geführt, dass das Mauerwerk der östlichen, angrenzenden Außenwand von Nr. 35 sowohl in den Kellern, als auch im aufgehenden Mauerwerk bis zum 1. Stock dem von Haus Nr. 33 gleicht und damit, nach Abgleich mit den Besitzerauskünften des Hauses Nr. 33, sowie dem Grundplan Georg Martins aus einer Zeit vor 1628 stammen dürfte. Daran anknüpfend brachte eine weitere Beobachtung Werthmanns Aufschluss über die ursprüngliche Höhe des Glauberschen Wohnhauses. Eine Pastellzeichnung, wohl aus dem 18. Jahrhundert in Kitzinger Privatbesitz zeigt eine Ansicht des Straßenzuges der Fischergasse, offenbar noch vor 1825. Dargestellt sind „Schloss Friedenstein“, der Nachfolgerbau des Schlösschens am Vogelsberg, weiterhin der Eingang zu den sogenannten Deusterkellern, sowie das ehemalige Schießhaus. Am linken Bildrand ist zudem die Traufkante des heutigen Hauses Fischergasse Nr. 33 zu sehen. Deutlich lässt sich der Abstand in der Höhe zur Traufkante des benachbarten Glauberhauses ablesen. Es entspricht tatsächlich dem Verhältnis des heutigen Abb. 8: Dipl. Ing. Frank Bier M.A.: Rekonstruktion mit Darstellung der Kellergrundrisse, Hausnummern 35, Abstands der Traufkante von Haus Nr. 33 37 und 39 im aktuellen Bestand (Quelle: Katasterplan/ und einem, das Haus heute umlaufenden Vermessungsamt Kitzingen). Gesims über dem Erdgeschoß des Gebäudes Nr. 35! Eine entsprechende Rekonstruktion mit der Gesimshöhe als Ansatzpunkt für die ursprüngliche Traufkante des Glauberhauses, lässt dieses als schmales niedriges, eingeschossiges Gebäude erkennen. Das Nachbarhaus etwas zurückgesetzt mit Walmdach müsste ein Neubau über dem ehemaligen Haus Nr. 5 gewesen sein, mit dem das Glauberhaus offenbar noch vor 1825 zusammengebaut wurde. Im Steuerbucheintrag von 1649 wird erstmals von einer Hofstat gesprochen, die sich im Bereich des Anwesens befunden haben soll. Das könnte darauf hinweisen, dass das Glaubersche Wohnhaus entweder in ein mittelalterliches Gehöft integriert war, das unter Umständen noch ein oder mehrere Nebengebäude aufwies, wahrscheinlicher aber ist, dass es mit den benachbarten Häusern Nr.1, Nr. 2, Nr. 5 und Nr. 6 einen Hof gebildet hat. Die Situation im Grundplan Georg Martins a. d. J. 1628 zeigt einen mit zwei Laubbäumen bestandenen Hof, der offensichtlich zwischen dem Glauberschen Wohnhaus Nr. 4 und einem Nebengebäude, in unserer Rekonstruktion mit Nr. 4a bezeichnet, gelegen hat. Hierbei handelte es sich wohl nicht, wie lange vom Glauber-Team angenommen, um jenen, im
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Abb. 9: Pastellzeichnung 18. Jh., Privatbesitz; sie zeigt Schloss Friedenstein mit dem Eingang zu den sogenannten Deusterkellern sowie Schießgraben mit Schießhaus. (Foto: Nomayo)
Steuerbucheintrag bzw. Verkaufsvertrag erwähnten Garten. Dieser dürfte sich etwas unterhalb des Gebäudes 4a befunden haben, angrenzend an das Klosterareal, wo er in der Kitzinger Version des Plans von 1628 als mit einem einfachen Holzzaun umfasst, wiedergegeben ist. Die Ausdehnung des Glauberhauses in seiner Gesamtlänge lässt sich durch das noch im Original erhaltene Nachbarhaus rekonstruieren. Beide Häuser weisen im Grundplan von 1628 die gleiche Länge auf. Eine Beobachtung, die sich im Befund der noch erhaltenen östlichen Außenmauer des Hauses Nr. 35 durch Dr. Werthmann bestätigen ließ. Bemerkenswert ist, dass auch das Nebengebäude (4a) dieser „Hofstat“, das ebenfalls in den Besitz Glaubers gehörte, im Grundplan Georg Martins einen Schornstein und ein hohes Einfahrtstor aufweist. Es handelt sich damit um ein Ökonomiege-
Abb. 10: Rekonstruktionszeichnung von Stephanie Nomayo M.A., nach den Hinweisen Dr. Rainer Werthmanns.
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Kap. 1 bäude, in welchem bereits vor 1628 Produktionsverfahren, die Feuer benötigen (Schmied, Ziegelbrennerei etc.) durchgeführt wurden. Bei den Betrachtungen zur Ensemblesituation in Glaubers Zeit ist zu beachten, dass sowohl die Rekonstruktion des Klostergartens wie der umliegenden Wege und Nebengebäude nicht mit letzter Sicherheit erfolgen kann, da hierfür ausschließlich die aus der Vogelperspektive konstruierte Stadtansicht Georg Martins aus dem Jahr 1628 zur Verfügung steht. Zwischen 1628 und Glaubers Zeit 1652 war es aber im Verlaufe des Dreißigjährigen Krieges auch in Kitzingen zu tiefgreifenden Änderungen in den Besitzverhältnissen gekommen, was mit Sicherheit zu Veränderungen in der topographischen Situation geführt hat. 4 Wie die Stadtansicht zeigt, hatte das protestantische Damenstift als Nachfolgerin des 1544 säkularisierten Benediktinerinnenklosters, sich intensiv um die Pflege des offenbar hermetisch nach außen abgeriegelten Klostergartens bemüht. Sauber gepflegt zeigen sich die Obstbaumreihen, sowie die barocke Gartenanlage mit dem zentralen Pavillon. Das Damenstift wurde im Jahr der Entstehung dieser Stadtansicht aufgehoben, die Liegenschaften gelangten in Privatbesitz. Wir können davon ausgehen, dass die gesamte Anlage bereits im Jahr 1629 einen anderen Eindruck vermittelt haben dürfte. Nach der Rekonstruktion dieses Befundes ergibt sich eine Reihe von Fragen, sowohl nach der Funktion dieses Gebäudeensembles in der Fischergasse, nach seinem Wegesystem, wie auch nach seiner tatsächlichen Erstreckung. Johann Rudolph Glauber bemerkt in seiner Schrift Glauberus Concentratus, dass es ihm in Kitzingen wichtig war, bei seinem Werk zum Teil „heimblich“ vorgehen zu können. Hierbei musste ihm das Schlösschen, das er vom Würzburgischen Amtmann Helmstätter gekauft hatte, ideale Voraussetzungen geboten haben. Es war aus Stein gebaut und damit einigermaßen brandgeschützt, andererseits lag es etwas von der dichteren Stadtbebauung entfernt und war daher nicht für Jedermann einsehbar. Setzt man zur Zeit Glaubers eine ähnliche topographische Situation wie in der Stadtansicht von 1628 voraus, so führte der Weg, um vom Glauberschen „Wohnhaus“ zum Schlösslein zu gelangen, über den mit zwei Bäumen bestandenen Hof durch das, einen Querriegel bildende Wirtschaftsgebäude (4a). Der hieran angrenzende Garten weist von der Hofseite keinen Durchgang auf. Erst auf der zum „Schlösschen“ gelegenen Seite befindet sich eine kleine Lücke in der Einfriedung. Vorausgesetzt die Situation stellte sich zu Glaubers Zeit noch genauso dar, so musste man, wollte man diesen offensichtlich recht umständlichen Wegeverlauf vermeiden, den längeren Weg um das gesamte Ensemble über den Vogelsberg zum Schloss nehmen. Einzelne Privatpersonen nährten mit Berichten über in mittelalterlichen Gängen des Deusterkellersystems gefundene Glasgefäße sowie mit Berichten von einem zu Familie von Deusters Zeiten erfolgten Einbruch eines geparkten Automobils in einen Kellergang zwischen Schloss Friedenstein und seinen östlichen Nebengebäuden, welche sich im Bereich der ehemaligen „Hofstat“ Glaubers befunden haben müssten, die Hoffnung auf die Existenz einer unterirdischen Verbindung der Glauberschen Immobilien. Bei den Kitzinger Deusterkellern
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handelt es sich um ein System aus Kellern und Gängen, das allerdings bisher nur nordwestlich des ehemaligen Schlossareals nachweisbar ist. Eine Arbeitshypothese des Glauber-Teams war es daher, dass der Alchemist das Wohnhaus in der Fischergasse vor allem deswegen gekauft haben könnte, weil es ihm eventuell auch unterirdisch einen direkten und bequemeren Zugang in das Schlösschen bot und zudem eine Gelegenheit zur verdeckte Warenannahme geboten hätte. Ziel der weiteren Untersuchungen war daher zunächst die Klärung der Frage, ob zu Glaubers Zeiten eine direkte Verbindung zwischen den Kellern der Häuser Fischergasse 35, 37 und 39 und dem Kellersystem unter dem Nonnenschlösschen bestanden hat.
Die Keller unter der Fischergasse Am 25. Oktober 2008 wurden nach Vorliegen einer Grabungsgenehmigung des BLfD, Außenstelle Bamberg, im neu entdeckten Wohnhaus Johann Rudolph Glaubers die Untersuchungen der Keller durch das Archäologische Netzwerk unter Leitung der Verfasserin und in Gegenwart des Glauberspezialisten Dr. Rainer Werthmann aufgenommen. Es handelte sich bei dem betreffenden Kellersystem unter Haus Nr. 35 offenbar um zwei parallel, in West-Ost Richtung verlaufende Stützgewölbe, in Form einfacher Tonnen, und einen in Nord-Süd-Richtung quer dazu gelagerten, wohl nachträglich im 19. Jahrhundert angelegten, geräumigen Weinkeller. Der erste, nördliche Stützkeller wurde vom Team des Archäologischen Netzwerks Kitzinger Land (ArchNetKL) zunächst vom Oberflächenschutt des 19. Jahrhunderts frei geräumt. Darin fanden sich teils reliefierte, bunt glasierte Ofenkacheln von etwa fünf verschiedenen Öfen aus dem 18. und 19. Jahrhundert. 5 Unter der Schuttschicht zeigte sich, dass der Keller in Längsrichtung auf der Südseite zur Hälfte mit Steinplatten ausgelegt war. Man begann mit der Anlage eines Suchschnitts entlang der westlichen Abschlussmauer neben dem Kellerzugang; anschließend grub man bis auf den gewachsenen Boden. Daraufhin legte man im rechten Winkel zu diesem Schnitt und parallel zur Längsachse des Raumes einen weiteren Suchschnitt an. Diese Sondierungen ließen eine obere Lehmschicht, die sich wohl durch vergangene Hochwasser angesammelt hatte, so wie darunter zwei festgetretene Laufhorizonte erkennen. In der unteren Laufschicht fanden sich zwei mittelalterliche Keramikfragmente, die aus einer Zeit vor Glauber stammten – eine Gefäßwand und ein Deckelrandstück. Anschließend begann man mit dem Freilegen des gesamten oberen Laufhorizontes. Ziel der Untersuchungen war die Suche nach Spuren Glaubers und seiner Zeit. Der Kellerkomplex befindet sich unter etwa fünf mittelalterlichen Wohnhäusern, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem Wohnhaus zusammengefasst wurden. Die südliche „Häuserreihe“ die in diesem Gebäude noch in seinem aufgehenden Mauerwerk enthalten ist, bildet Glaubers einstiges Wohnhaus, so dass neben der Untersuchung des offen zugängli-
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Kap. 1
Abb. 11a,b, c: Sondierungen in der Fischergasse durch das ArchNetKL. (Fotos: Mark Brooks)
chen Nordkellers für die Glaubersondierungen auch der Südkeller von Bedeutung war. Dieser aber war rundum zugemauert und wies keinerlei Zugang auf. Um hinter die Mauern zu sehen, begann man mit Bohrungen. Zunächst versuchte man durch die Nordwand des Parallelkellers, dann an mehreren Stellen vom quer gelagerten Weinkeller aus einen Einblick zu erhalten. Das Ergebnis waren Lehmverfüllungen aus der Bohrerspitze. Diese wurden von Dr. Werthmann geborgen mit Vergleichsmaterial aus den Laufhorizonten Laboruntersuchungen unterzogen. Bei den darauffolgenden Bohrungen wurden längere Bohrer eingesetzt, der gesamte Keller aber schien verfüllt zu sein – ein zugänglicher Hohlraum ließ sich nicht nachweisen. Die Sondierungen sollten vornehmlich der Entnahme und Analyse von Bodenproben sowie der Erkundung des Wege- und Verbindungssystems, sowohl innerhalb des Gebäudes als eventuell auch zwischen dem Wohnhaus und dem Schlösschen dienen. Die aufwendigen, mehrwöchigen Untersuchungen brachten für die Glauberforschung jedoch kein weiterführendes Ergebnis. Weder ließen sich unter dem Häuserkomplex weiterführende Gänge nachweisen, noch ergaben die Proben Hinweise auf Spuren Glaubers in Form spezifischer Substanzen mit welchen der Alchemist in Kitzingen gearbeitet haben könnte. Unter Regie von Dr. Werthmann wurde auch mit der Vermessung der Keller und des gesamten Gebäudekomplexes begonnen. Allerdings zeigten sich in den vom ArchNetKL gezeichneten Plänen zwischen den Kellern und den Außenwänden Abweichungen. So wurden neben den eingeleiteten Sondierungen der Keller im betreffenden Gebäudeensemble eine dreidimensionale Scanvermessung der Keller der Häuser Nr. 35, Nr. 37 und Nr. 39 und eine verformungsgerechte Dokumentation im Rahmen einer Studentischen Arbeit der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, Bereich Vermessung und Geoinformatik, durch Anett Potempa durchgeführt. Die Ergebnisse wurden von Dipl. Ing. Frank Bier M.A., der sich bereits um die Einmessung
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des Kitzinger Deusterkellersystems im Rahmen seiner Magisterarbeit verdient gemacht hatte, nachbearbeitet. Ergebnis war ein digitales 3D-Modell des betreffenden Kellerabschnitts, das nun genaue Auskunft über die Lage der Keller in diesem System bot, sowie die Darstellung der in den aktuellen Katasterplan eingepassten Kellergrundrisse der Häuser Nr. 35–Nr. 37 im aktuellen Bestand. Unter dem betreffenden Gebäudeensemble 35/37/39 ließen sich im Rahmen dieser Studien keine weiterführenden Gänge in das benachbarte Deusterkellersystem nachweisen. Daraufhin startete die Verfasserin einen weiteren Versuch. Gemeinsam mit Dipl. Ing. Frank Bier M.A. begab sie sich auf Hinweis und in Begleitung eines Kollegen des Kitzinger Tiefbauamtes an das nordwestliche Ende des Kellers unter der Turnhalle der St. Hedwig Grundschule. Dort wurde von Mitarbeitern des Amtes gemeinsam mit Dipl. Ing. Frank Bier M.A. die Nordwand aufgebrochen, wo sich tatsächlich eine Verbindung in den ehemaligen „Eiskeller“ des Deusterkellersystems ergab. Die umfassende moderne Unterkellerung und die Überbauung des ehemaligen Schlossbereichs durch die direkt darüber errichtete Turnhalle aber verhinderte an dieser Stelle eine weitere Suche nach der erhofften, weiter östlich vermuteten Verbindung zum Gebäudeensemble in der Fischergasse. Zu dem neu geöffneten Verbindungsweg in den Eiskeller aber gibt es mündliche Berichte, dass es sich um den einstigen unterirdischen Gang in das mittelalterliche Kloster gehandelt habe. Die großflächige Überbauung machte eine Überprüfung dieser Tradition allerdings nicht mehr möglich. Doch es gab noch eine Hoffnung. .. Im Bereich des heutigen Wohnhauses Fischergasse 25, an jener Stelle, die als die mittelalterliche „Schneidergasse“ identifiziert werden konnte, entdeckte das Glauberteam durch eine weitere Ortsbegehung in der alten Umfassungsmauer des Deusterschloss-Aareals zwei zugemauerte Eingänge, offenbar zu weiteren Kellern, die sich evtl. unter dem Sportplatz erhalten hatten. 6 Diese Keller, so ergaben die Recherchen der Verfasserin im Kitzinger Tiefbauamt, lagen offensichtlich im rechten Winkel zu den Häusern in der Fischergasse. Es wurde vermutet, dass es sich evtl. um die Keller unter einer alten Remise handeln könnte. Über das Alter Erstreckung oder weitere Anbindung an das Deustersche Kellersystem war aber nichts bekannt.
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Kap. 1 Mithilfe des Kitzinger THW und mit Genehmigung und Unterstützung des Bauhofes Kitzingen konnte am 06. November 2010 ein weiteres Stück Stadtgeschichte erschlossen werden. Man traf sich um 8.30 Uhr auf der Terrasse des Anwesens Fischergasse 25 um die beiden Kelleröffnungen näher zu untersuchen. Vor der Begehung mussten die Einstiegsöffnungen, die bis auf einen schmalen Spalt zugemauert waren, mit Elektrohämmern geöffnet werden. An erster Stelle begingen zwei THW-Leute mit einem Messgerät zur Feststellung des CO₂ Gehalts über eine ca. 4m lange Leiter den Keller. Das Glauberteam und das Archäologische Netzwerk konnten gefahrlos folgen! Es folgten Dipl. Ing. Matthias Sigloch Abb. 12: Anett Potempa beim Vermessen der Keller des und etwa 10 Leute vom THW mit dem Hauses Fischergasse Nr. 35. (Foto: Nomayo) Vermessungsgerät. Durch ihn wurden drei Keller, die sich hierbei auftaten, vermessen. Der Keller bestand aus einem Tonnengewölbe, die Längsachse verlief parallel zur Fischergasse. Vier offene Lichtöffnungen auf der Ostseite, sowie eine verschüttete Öffnung auf der Südseite sorgten ursprünglich für die Luftzufuhr. Im Innern wurde das System mit zwei Ziegelmauern unterteilt, dabei ergaben sich drei etwa gleichgroße Räume von annähernd quadratischem Grundriss. Die Abb. 13: Ausschnitt des 3D-Modells der dreidimensionalen Außenmauern des Kellers bestanden Scanvermessung. Rekonstruktion durch Anette Potempa. aus Bruchstein (Kalkstein). An der nördlichen Stirnseite, kurz unter dem Scheitelpunkt des Gewölbes, zeigte sich eine mit 5 Lagen sichtbar mit Betonstein vermauerte Öffnung. Vor dieser unregelmäßigen, wohl modern beim Sportplatzbau in den 50er Jahren angelegten Öffnung befand sich ein großer Schüttkegel aus Lössboden und Kalkstein, der fast die ganze Bodenfläche des nördlichen Kellerraumes einnahm. Weiterhin wurde zwischen Stirnwand und Tonnengewölbe ein Spalt sichtbar, der dem Verlauf des Gewölbes folgte und sich wohl durch einen nachträglichen Einbau der Stirnwand und dabei erfolgte Hinterfüllung mit Erdreich erklären lässt. Zur Klärung dieser Situation wurden vier Sondierungsbohrungen in die nördliche Stirnwand vorgenommen: Die erste Sondierungsbohrung erfolgte in Höhe der 4. Lage Betonstein.
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Es wurde eine Sandhinterfüllung festgestellt. Die zweite Sondierungsbohrung erfolgte in die 2. Lage Betonstein, hierbei wurde ein Stein teilweise entfernt. Er hatte eine Tiefe von 36 cm. Hier erfolgte eine Probenahme von Sand- Kiesgemisch – aus einer Tiefe von 70 cm. Erklärung durch Herrn Dipl. Ing. Matthias Sigloch (THW): dieses Sand-Kiesgemisch wurde üblicher Weise wegen seiner guten Rieselfähigkeit um nicht zugängliche Hohlräume auch größeren Ausmaßes aufzufüllen! Hierbei ließ sich im Bereich der Betonsteinwand ein ehemaliger, angeschnittener Lichtschacht erkennen. Hinweis hierauf gab ein Zwischenraum zwischen Gewölbe und Mauerab- Abb. 14: Darstellung der Kellergrundrisse im aktuellen Bestand. Rekonstruktion von Dipl. Ing. Frank Bier M.A. schlussoberfläche. auf der Grundlage eines Katasterausschnitts. Die dritte Sondierungsbohrung erfolgte zur Feststellung der Untergrenze der Sand-Kiesfüllung. Ergebnis: Anhand des Bohrmehls konnte nur Kalkstein, aber keine Löß- oder Sandverfüllung nachgewiesen werden. Die Kalksteinwand ist hier über 40 cm dick! Die vierte Sondierungsbohrung erfolgte bis zu einer Tiefe von 46 cm. Die letzten Zentimeter waren Lößboden = gewachsener Boden, oder Auffüllboden – wahrscheinlich aus der Bauzeit des Kellers (19. Jh.). Im südwestlichen Abschnitt des Kellers befand sich ein weiterer Schüttkegel aus Abb. 15: Das ArchNetKL in Begleitung von Dr. Rainer Lößboden und Kalkstein, zu Füßen der Werthmann und Dipl. Ing. Frank Bier M.A. auf der Lichtschächte fanden sich kleinere Schütt- Terrasse Fischergasse Nr. 25, kurz vor Öffnung des Remisenkellers. (Foto: Nomayo) kegel. Die Schüttkegel bestanden aus Lößboden und Kalkstein (über 90 %) und zu einem kleinen Anteil Ziegelbruch, etwas Holz und asphalthaltigem Straßenaufbruch. Weitere Beobachtungen ergaben sich im mittleren Keller. Der westliche Teil war mit Ziegelboden gleichmäßig ausgelegt. Davor fanden sich nahezu in der Raumachse zwei Pfostenlöcher, eines davon enthielt noch Holzreste. Vorgefunden wurden weiterhin bearbeitete Kalksteinblöcke, zum Teil profiliert (Gesimsreste), Fenstergewände und ein großer Block mit
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Kap. 1 so ist er nicht mehr nachweisbar. Nördlich davon befand sich Glaubers Garten, so dass der Weg vom Wohnhaus zum Schloss im Schatten der Hofstat wohl direkt durch den Hof und den Garten führte.
Abb. 16: Öffnung der beiden Eingänge in den Remisenkeller durch das THW Kitzingen.
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Bei dem mehrfach zitierten Grundplan von 1628 handelt es sich um eine Stadtansicht in Vogelperspektive. Mit minutiöser Genauigkeit sind Gebäude, topographische Merkmale und sogar Menschen plastisch wiedergegeben. Sie ist im Zusammenhang mit der gleichzeitig entstandenen Topographia Codomanni Kitzingae vom Maler Georg Martin nach den Anweisungen des protestantische Pfarrers Salomon Codomann geschaffen worden. Anlass war die Einlösung Kitzingens 1629 durch den Würzburger Fürstbischof Philipp Adolf von Ehrenberg. Eine vermutlich im 18. Jahrhundert gefertigte Kopie des Bildes hängt heute im Städtischen Museum Kitzingen.
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Zur entsprechenden Urkunde s. a. Aufsatz Werthmann Glaubers Labor mit Hinweisen zu den weiteren Publikationen der Urkunde.
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Transkribiert von Dr. Rainer Werthmann; s. a. Werthmann Glaubers Labor
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s. Anm. 1 zum Grundplan Georg Martins
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Wir danken für Gewährung von Zutritt in die Keller der Fischergasse Nr. 35, Nr. 37, Nr. 39 folgenden Personen: Herrn Josef Wiener mit Familie, Wiesentheid, Frau Dr. Johanna Herting mit Familie, Schwäbisch Hall, Herrn Mane Mandic, Kitzingen. Vom Team des Archäologischen Netzwerks Kitzinger Land, ArchNetKL, waren folgende Personen an der Untersuchung der Keller ehrenamtlich beteiligt: Peter Schöderlein, Dettelbach, Mark Brooks, Euerfeld, Markus Gebert, Mainbernheim, Werner Gimperlein, Biebelried, Valentin Schreiber, Kitzingen, Simone Bardon, Kitzingen, Agnes und Lisa-Marie Schneider, Willanzheim, Julia und Barbara Daub, Prichsenstadt, Stephan Preller, Dettelbach, Sylvia Gaiser, Kitzingen, Inge Menzel, Würzburg, Stephanie Nomayo M.A.; Die Fotodokumentation dieses Sondierungsabschnitts wurde in bewährter Weise von Mark Brooks übernommen, er nahm sowohl die Profile als auch die Einzelfunde sowie die Gesamtsituation auf. Das Team dankt herzlich den Besitzern des Hauses, Familie Wiener, für die vorbehaltlose Duldung der nicht ganz zerstörungsfreien Untersuchungen und die Unterstützung der Sondierungen in jeder Hinsicht sowie Herrn Dr. Rainer Werthmann für die fachliche Begleitung und die Laboruntersuchungen!
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Wir danken Familie Wenzel für die Gewährung des Zugangs zu den Kellern, sowie dem Bauhof Kitzingen für die Unterstützung. Unser weiterer Dank geht in diesem Zusammenhang an das THW Kitzingen, ohne dessen engagierten und fachmännischen Einsatz dieses Teilprojekt nicht hätte realisiert werden können!
Abb. 17: Schüttkegel vor der nördlichen Stirnwand, Öffnung der Wand und Untersuchung der Hinterfüllung. (Fotos: Nomayo)
Türangel im südlichen Raum, der vermutlich zum Tor der ehemaligen, darüber gelegenen Remise gehörte. Im Sinne der Deusterkellerforschung konnte der lange vermutete Remisenkeller nachgewiesen werden. Es gab bis dato keine Pläne oder Hinweise für einen Keller unter der Remise. Diese wiederentdeckte Anlage ergänzt das Wissen um die Ausdehnung des Deusterkellersystems. Die Beobachtungen vor allem im südlichen Teil dieses Kellers lassen auf eine mögliche Eingangssituation schließen. Wobei der markante Halbbogen, der von der Achse ausgehend mit dem Scheitel in der Westwand endet, als Unterfangbogen einer Treppe oder gar Rampe gedient haben könnte. Für die Glauberforschung war diese Begehung wichtig um die räumliche Situation z. Zt. Glaubers näher zu erfassen. Ergebnis war die endgültige Klarheit über die Topographie des Geländes zu Glaubers Zeiten zwischen dem Wohnhaus, seinem Garten, dem benachbarten Nebengebäude der „Hofstat“ und letztlich seinem Labor im Schloss! Das auf dem Grundplan von 1628 abgebildete, quer zu den Häusern der Fischergasse liegende Nebengebäude 4a musste genau über dem nördlichen Teil des wohl aus dem 19. Jahrhundert stammenden Remisenkellers gelegen haben! Sollte sich hier ein mittelalterlicher Vorgänger befunden haben,
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Kap. 2 Biographie
Johann Rudolph Glauber, tabellarischer Lebenslauf Rainer Werthmann
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1604
Geburt in Karlstadt, wahrscheinlich vor dem 6.10.
1625/26
Aufenthalt in Wien und Wiener Neustadt; Behandlung einer eigenen Fleckfiebererkrankung mit dem natriumsulfathaltigen Heilwasser der Paul-Quelle von Bad Sauerbrunn bei Wiener Neustadt
1626
Aufenthalt in Salzburg, Besuch am Grab von Paracelsus
1626–1635
Weitere angegebene Stationen der Wanderung: Basel, Paris
1629
Tod des Vaters
1632/33
Wahrscheinlich Tod der Mutter
1632
Aufenthalt in Frankfurt, Herstellung und Verkauf von Spiegeln aus Arsenbronze
1635
Aufenthalt in Gießen und Marburg als Hofapotheker von Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt
1635
Eheschließung mit Rebecca, Tochter des Jacob, aus Gießen
1635
4. 11. Taufe des Sohnes Johan Herman in Marburg
1639
Ehescheidung, wahrscheinlich in Bonn
1640
Erster Aufenthalt in Amsterdam, wohnhaft zunächst bei Johannes Moriaen (1591–1668), dann an der Elandsgracht
1641
Eheschließung mit der 28-jährigen Helena Cornelisz aus Flensburg, Aufgebot am 20. Januar
1641
29. September, Nieuwe Kerk, Taufe der Tochter Anna
1644
August: Umzug nach Utrecht
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Kap. 2
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1646
18. Mai, Lutherische Kirche Utrecht, Taufe des Sohnes Johannes
1647
März bis August in Amsterdam
1647
28. August: Umzug nach Arnhem
1648
vor 25. 02., Arnhem: wahrscheinlich Geburt eines Kindes
1650
11. Januar Taufe der Tochter Geertruy = Diana in der lutherischen Kirche zu Amsterdam
1650/51
Umzug von Amsterdam über Bremen, Kassel, Hanau nach Wertheim
1651
wahrscheinlich Geburt des Sohnes Alexander in Amsterdam
1651
Aufenthalt in Wertheim
1651/54
Aufenthalt in Kitzingen
1653
19. 6. Taufe der Tochter Johanna in Kitzingen
1654/55
Aufenthalte in Frankfurt und Köln
1656
Übersiedlung nach Amsterdam, Auff der Keysers Grafft
1656
Geburt des Sohnes Jan-Gottlieb in Amsterdam
1660
Sommer: Mietung des Grill-Komplexes an der Looiersgracht
1661
Teilung des Grill-Komplexes in 4 Teile und getrennter Verkauf
1661
10. Mai: Mietvertrag Glaubers über ein Haus an der Looiersgracht
1662
schwere Erkrankung
1666
weitere schwere Erkrankung, ab jetzt dauerhaft bettlägerig
1668
Verkauf von Laboreinrichtung, Rohstoffen, Produkten und Büchern
1670
Tod am 10.3., Wohnort zuletzt: Op de Loiarsgraft
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Kap. 3 Von der Alchemie zur Chemie Helmut Gebelein
Welchen Grund kann es geben, sich mit einem Alchemisten wie Johann Rudolf Glauber zu beschäftigen? Zwar kennt fast jeder „Glaubersalz“ als äußerst wirksames Abführmittel, doch ist das ein ausreichender Grund sich mit dem Alchemisten, der diesem Salz seinen Namen gegeben hat zu befassen? Glauber war Alchemist und das waren doch alles Scharlatane oder Betrüger, die vorgaben Gold machen zu können und wenn sie bei ihren Betrügereien erwischt wurden, sogar – manchmal in einem Kostüm aus Flittergold – hingerichtet wurden. Dass die Goldherstellung aus unedlen Metallen Unsinn ist, wissen wir doch alle. Warum sollten wir uns mit solchem mittelalterlichen Aberglauben abgeben? Wenn das alles so einfach stimmen würde, wäre es tatsächlich kaum lohnend sich mit Glauber zu beschäftigen. Die meisten alchemistischen Bücher wurden im 17. Jahrhundert – nicht im Mittelalter – veröffentlicht, dem Jahrhundert in dem Glauber lebte. Nun gilt Glauber, obwohl er doch Alchemist war, als erster technischer Chemiker. Wie passt das zusammen? War die Alchemie doch mehr als nur Schwindel, Betrug, Aberglauben und Unsinn? Oder mehr als Abb. 1: Der betrügerische Goldmacher eine „verbreitete und hartnäckige Verirrung der Cajetani wurde 1709 in einem Kleid aus Goldflitter gehängt. Flugblatt. (Quelle: Flüeler, Kulturgeschichte“ 1,wie der Chemiehistoriker Her- Niklaus und Sebastian Speich: Das Buch vom mann Kopp im 19. Jahrhundert schrieb? Gold. Luzern/Frankfurt, 1975, S. 149) Oder hatte doch sein Lehrer Justus Liebig, einer der bedeutendsten Chemiker des 19. Jh. Recht als er in seinem Buch: „Chemische Briefe“ schrieb:
„Die Alchemie war in Beziehung auf Naturerkenntnis anderen Naturwissenschaften voraus...Die Unkenntnis der Chemie und ihrer Geschichte ist der Grund der sehr lächerlichen Selbstüberschätzung, mit welcher viele auf das Zeitalter der Alchemie zurückblicken, wie wenn es möglich oder überhaupt denkbar wäre, daß über 1000 Jahre lang die kenntnisreichsten Männer, ein Baco von Verulam [Francis Bacon], Spinoza, Leibniz eine Ansicht für wahr hätten halten können, der aller Boden gefehlt und welche keine Wurzel gehabt hätte! Muss nicht im Gegentheil als ganz unzweifelhaft vorausgesetzt werden, dass die Idee der Metallverwandlung mit allen Beobachtungen dieser Zeit in vollkommenster Übereinstimmung und mit keiner im Widerspruch stand.“ 2
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Kap. 3 Was sollen wir unter Alchemie verstehen? War die Alchemie nicht einfach ein Vorläufer der Chemie und der hoffnungslose Versuch aus unedlen Metallen edle zu machen? Schließlich ist die Goldmacherei doch das Hauptziel der Alchemie gewesen. Die Chemie, wie wir sie heute kennen, ist eine junge Wissenschaft ist, sie ist nicht einmal 250 Jahre alt. Gleichzeitig galt die Chemie oder eben die Alchemie – diese Unterscheidung gibt es erst sei dem 19. Jahrhundert – bis ins 18. Jahrhundert als die älteste Wissenschaft. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das das Feuer benutzt (Drachen in Sagen benutzen es nicht wirklich). Das Feuer verändert die Stoffe, dabei laufen chemische Prozesse ab und damit betreibt der Mensch Chemie. Werkzeuge werden auch schon von Tieren verwendet, ja sogar, wie sich gezeigt hat, hergestellt. Es ist also nicht vermessen, anzunehmen, die Alchemie als die Kunst der Beherrschung des Feuers, sei eine alte Wissenschaft. Eine Ableitung des Wortes Alchemie besagt sogar, es komme vom arabischen „al Chama”„durch das Feuer erforscht”. 3 Der Mensch das Feuer verwendet das Feuer seit langem. In der Literatur finden sich Angaben zwischen 250000 und 400000 Jahren für den Beginn der Nutzung des Feuers. Es scheint aber, dass das Feuer schon viel früher vom Menschen genutzt wurde, als bisher angenommen. Der Anthropologe Richard Wrangham (*1948) bringt in dem Buch Feuer fangen 4 Belege dafür, dass der Mensch schon zur Zeit des homo erectus vor ca. 1.8 Millionen Jahren das Feuer zum Garen 5 von Speisen benutzt hat. Dafür spricht die Veränderung des Verdauungstraktes zu dieser Zeit, die auf die Aufnahme gegarter Nahrung schliessen lässt:
„Die evolutionären Vorteile einer Anpassung an gekochte Nahrung zeigen sich deutlich, sobald man den menschlichen Verdauungsapparat mit dem von Schimpansen vergleicht. Alle sein Bestandteile sind relativ klein und schwach. Wir haben einen kleinen Mund, schwache Kiefer, kleine Zähne, eine kleinen Magen und kurz Därme. In der Vergangenheit hat man dies für Menschenaffen ungewöhnlichen Zustände zumeist den evolutionären Wirkungen des Fleischverzehrs zugeschrieben, doch die Auslegung des menschlichen Verdauungssystems lässt sich besser als ein Anpassung an den Verzehr von gekochter Nahrung statt rohen Fleisches erklären.“ 6 Aber vor allem, meint Wrangham, habe durch die bessere Energieverwertung gegarter Nahrung das Volumen des Gehirns zugenommen, das beim Menschen etwa 20 % der Energie benötigt, bei Säugetieren sind es sonst etwa 8–13 %. Die Zunahme des Gehirns ist die bemerkenswerteste Tatsache in der Entwicklung des Menschen. Schimpansen haben ein Schädelvolumen von 350–400 Kubikzentimeter, Australopithecien (vor 4–2 Millionen) 450 Kubikzentimeter, Habilien (vor 2.3 Millionen) 612 Kubikzentimeter. Die Nahrung dieser Frühmenschen müssen eine höhere Qualität gehabt haben als die von Schimpansen. Im ersten Fall könnt dies auf der Nutzung unterirdischer Stärkeknollen beruhen, im zweiten Fall aus vermehrtem Fleischkonsum, wobei das Fleisch geklopft worden sein muss, damit es leichter verdaulich wurde. Beim Homo erectus (vor 1,9–1,8 Millionen Jahren) betrug das Gehirnvolumen 870 Kubikzentimeter und wuchs im Lauf der nächsten Million Jahre auf 950 Kubikzentimeter. Diese Steigerung um 40 % ist nur durch das Garen der Nahrung erklärbar. Vor 800000
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Jahren beim Homo heidelbergiensis steigt das Gehirnvolumen auf 1200 Kubikzentimeter. Die Ursache hierfür ist weiterhin ein Rätsel. 7 Wrangham bezeichnet daher den Menschen als den „kochenden Affen“. Er schreibt: „Unsere außergewöhnlich, ja ‚unnatürlich‘ weichen Speisen verschaffen un-
serer Art einen energetischen Vorteil, indem sie ihr ein Gutteil der harten Verdauungsarbeit ersparen. Das Feuer übernimmt die Arbeit, die andernfalls unsere Körper leisten müssten. Essen Sie ein ordentlich gebratenes Steak, und Ihr Magen wird sich schneller wieder beruhigen. Vom Gelieren der Stärke über die Denaturierung der Proteine bis hin zu den Energiekosten für die Verdauung und Verwertung von Fleisch, es ist immer dasselbe. Aus gekochter Nahrung gewinnen wir mehr Kalorien.“ 8
Fleisch oder Gemüse kann zunächst gegrillt oder in der Asche gegart werden und wird dadurch schmackhafter, sobald das Kochen in Gefäßen möglich ist, erweitert sich die Palette der Nahrungsmittel. Auch Claude Lévi-Strauss sah den Beginn der Zivilisation im Übergang vom Rohen zum Gekochten. 9 Für das Kochen sind Gefäße nötig. Wieder ermöglicht das Feuer solche Gefäße herzustellen. Wird ein feuchter, formbarer Ton dem Feuer ausgesetzt, so verliert er seine Feuchtigkeit so vollständig, dass er wasserundurchlässig wird. Das Feuer ermöglicht dem Menschen des weiteren sich in Gegenden nieder zu lassen, die für den „nackten Affen“ sonst nicht bewohnbar gewesen waren. Denn das Feuer wärmt ihn, es erhellt die Nacht und vertreibt die wilden Tiere. Die Bedeutung des Feuers für die Menschwerdung ist kaum zu unterschätzen. Karl Marx nannte Prometheus, der nach der griechischen Mythologie den Menschen das Feuer gebracht hat, „den vornehmsten Heiligen der Menschheitsgeschichte“. Hören wir zunächst was über Prometheus erzählt wurde. 10 Danach war Prometheus, der Sohn des Titanen Eurymedon oder der Sohn des Iapetos und der Nymphe Klymene, manche zählen ihn selber zu den Titanen. Seine Brüder hießen Epimetheus, Atlas und Menoitios. Er erschuf den Menschen. Im Krieg gegen die Titanen verbündete er sich mit Zeus und wurde bei der Geburt der Athene aus dem Haupte des Zeus zum Geburtshelfer. Aus Dankbarkeit lehrte ihn die Göttin Architektur, Astronomie, Mathematik, Navigation, Medizin, Metallurgie und andere nützliche Künste. Damit wird Prometheus zu einem Kulturbringer, wie z. B. Hermes Trismegistos, der legendäre Begründer der Alchemie oder der Gott Wotan in der germanischen Mythologie. Eines Tages brach in Sikyon ein Streit darüber aus, welcher Teil des Stiers den Göttern geopfert und welcher Teil selber gegessen werden sollte. Prometheus wurde aufgefordert, die Rolle des Schiedsrichters zu übernehmen. Er zog dem Stier die Haut ab und zerlegte ihn. Aus der Haut nähte er zwei Säcke, in den einen gab er alles Fleisch, versteckt im Magen, einem wenig verlockenden Teil, in den anderen die Knochen, verborgen unter einer dicken Fettschicht. Zeus hatte die Wahl und wählte den Sack mit Knochen und Fett, dies ist seither der Anteil der Götter. Zeus war darüber so böse, dass der den Menschen das Feuer vorenthielt: „Laß sie ihr Fleisch roh essen“, rief er voll Zorn. Prometheus wandte sich an Athe-
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Kap. 3 ne und bat sie um Einlass zum Olymp. Am feurigen Wagen der Sonne entzündete er eine Fackel, brach ein Stück glühender Holzkohle ab und versteckte dieses in der Markhöhle eines Riesenfenchels und entkam unentdeckt. So wurde der Menschheit das Feuer geschenkt. Das Mark des Riesenfenchels wird noch heute als eine Art Feuerzeug von den Schäfern in Kreta benutzt. Zeus war so wütend über den Diebstahl des Feuers, dass er Prometheus nackt an den Kaukasus anschmiedete. Jeden Tag, jahrein, jahraus, fraß ein gieriger Adler von seiner Leber, die nachts immer wieder nachwuchs. Erst Herakles befreite ihn von seinen Leiden und erschoss den Adler. Damit er aber die Strafe nicht vergaß, musste er einen Ring mit einem Stein Abb. 2: Gefesselter Prometheus, vom Kaukasus tragen. SchmuckRubens, Frans, ca. 1612 (Quelle Wikipedia) ringe mit Steinen erinnern also noch heute an den Kulturbringer Prometheus. Es ist es daher auch nicht erstaunlich, dass der wertvollste Schmuckstein, der Diamant, besonders wegen seines Feuers geschätzt wird. Zwar hatte der Mensch das Feuer nunmehr erhalten, aber er verlor dafür die Fähigkeit die Zukunft vorherzusehen, hätte er sie behalten, wer weiß, ob er das Feuer überhaupt angenommen hätte. Die Mythologie des Prometheus wurde gar als verschleierte Vorschrift des Großen Werks der Alchemie, der Herstellung des Steins der Weisen betrachtet: „Die hermetischen Philosophen finden in dieser Fabel (der des Prometheus) ein Symbol ihres Werkes, und sagen, daß Prometheus ihren Sulfur, der durch das himmlische Feuer beseelt ist, darstelle, denn er selbst habe dieses Feuer geholt ... Die Sonne ist sein Vater und der Mond seine Mutter: Durch seine Flüchtigmachung mit dem Merkur erhebt er sich zum Himmel der Philosophen, wo sie sich vereinigen und dieses Feuer zur Erde bringen, d. h. dass sie die Erde die am Boden des hermetischen Gefäßes ist, durch Vereinigung mit ihr, damit sättigen. Durch die Verfestigung, findet sich Prometheus durch den Merkur an den Felsen gebunden und die flüchtigen Teile, die immer wieder auf diese Erde einwirken, sind die Geier oder Adler, die seine Leber fressen. Herkules oder der Künstler (oder der Alchemist) befreit
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ihn von seinen Qualen, er tötet den Adler, d. h. der verfestigt die flüchtigen Teile.“ 11 Dieser Text klingt für Sie, wie ich fürchte, sehr rätselhaft. Doch kann man sich leicht überlegen, dass darin tatsächlich chemische Vorschriften zu Reaktionen des Quecksilbers (Merkur) z. B. Sublimationen angesprochen sein dürften. Johann Wolfgang Goethe schrieb eine Hymne auf Prometheus, sie beginnt mit den Worten:
„Bedecke deinen Himmel, Zeus, Mit Wolkendunst, Und übe, dem Knaben gleich, Der Disteln köpft, An Eichen dich und Bergeshöhn; Mußt mir meine Erde Doch lassen stehn, Und meine Hütte, die du nicht gebaut, Und meinen Herd, Um dessen Gluth Du mich beneidest...“ 12 Um die Glut beneidet sogar Zeus den Menschen. In diesem Gedicht ist auch der Blitzableiter angesprochen, denn nunmehr kann Zeus das dadurch geschützte Haus mit seinen Blitzen nicht mehr gefährden. So hat die moderne Wissenschaft die Natur entzaubert und möchte den Menschen von seiner Naturbasis unabhängig machen. Damit wird aber gerade die Grundlage unseres Lebens zerstört. Ein Ziel, das die Alchemisten niemals hatten. Theoretische Vorstellungen der Alchemie gingen auf die griechische Philosophie zurück. Bei Aristoteles setzt sich die Welt aus vier Elementen zusammen: Feuer, Luft, Wasser und Erde. 13 Betrachten wir zunächst einen einfachen Versuch – die trockene Destillation von Holz. Wir können dabei die vier Elemente aus denen nach der Ansicht der Griechen, insbesondere des Aristoteles, alle Stoffe zusammengesetzt sind, erhalten. Die Asche ist das Element Erde, die Feuchtigkeit, das Element Wasser, das entweichende Gas, das Element Luft, darin sind brennbare Gase, das Element Feuer. Das bedeutet, das Element Feuer zerlegt nicht nur die Stoffe, sondern es wird dabei auch wieder erzeugt, es ist also etwas besonderes. Die vier Elemente sind über die Eigenschaften kalt, warm, feucht und trocken verbunden, so ist Wasser feucht und kalt, die Erde kalt und trocken, Luft feucht und warm und das Feuer warm und trocken. Zur Theorie der vier Elemente schreibt Justus von Liebig:
„Dem schärfsten Verstande dürfte es schwer sein, ohne andere Mittel als die einfache Wahrnehmung durch die Sinne zu gebrauchen, mehr als vier Eigenschaften aufzufinden, welche allem tastbaren Körperlichen angehören. Dem Auge und Geschmacksinn bieten die Körper unendlich viele Verschiedenheiten dar, es gibt gefärbte und ungefärbte,
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Kap. 3 schmeckende und riechende, geschmack- und geruchlose. Aber alle Körper sind entweder feucht oder trocken, warm oder kalt. Alles Tastbare besitzt zwei von diesen Eigenschaften. Der Körper ist fest oder flüssig, er besitzt eine gewisse Temperatur.“ 14 Aus verschiedenen Erden lassen sich mit Hilfe des konzentrierten Sonnenlichts – so nannte Glauber die Holzkohle – Metalle gewinnen, ein FortAbb. 3: Trockene Destillation von Holz (Foto: Gebelein) schritt, der dem Menschen durch bessere Werkzeuge Ackerbau und Handwerk erleichterte. Zunächst wurde wohl Kupfer gewonnen. Sehr schnell stellte man fest, dass eine Legierung mit Zinn – die Bronze – härter war. Die Erfindung der Metalle ist noch immer ein Rätsel. Gold, Silber und Quecksilber, die gediegen vorkommen, sind technisch nicht interessant – sie eignen sich nicht für Waffen und Werkzeuge. Kupfer kommt gelegentlich gediegen vor. Warum jemand auf die Idee kommt Zinn als Mineral bei der Verhüttung von Kupfer zuzufügen ist nicht geklärt. Es müssen jedoch theoretische Vorstellungen zu Grunde liegen. Bei Johann Wolfgang Goethe ist im Vorwort zu seiner Farbenlehre zu lesen:
„Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, daß wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren.“ 15
Die Herstellung des Eisens veränderte das Kriegswesen, Völker die Eisenwaffen hatten, waren den mit Bronzewaffen ausgerüsteten überlegen und eroberten deren Länder. Es ist bemerkenswert, dass schon damals die neuen Metalle vorwiegend für kriegerische Zwecke benutzt wurden. Die Alchemisten wollten nicht, dass ihre Kenntnisse für Kriegszwecke benutzt wurden, sie hielten das Rezept für das Schießpulver über Jahrhunderte geheim. 16 Die Alchemie, wie sie bis ins 18. Jahrhundert existierte, entstand in Alexandria, der kulturellen Hauptstadt des Mittelmeerraums um Christi Geburt. Ihre Grundlagen sind die handwerklichen Techniken des Altertums, insbesondere die der Metallurgie, die griechische Philosophie und die religiösen Vorstellungen der Ägypter sowie der der anderen Religionen, die sich in Alexandria zusammen gefunden hatten. Der Begriff „Chymia“ taucht wohl zum erstenmal im 4. Jahrhundert nach Christus auf, in einem astrologischen Lehrbuch, der „Mathesis“ des Jul. Maternus Firmicus. 17 In der europäischen Kulturgeschichte wird der Ausdruck „hermetische Philosophie“ oder „Pythagoräismus“
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synonym mit Alchemie benutzt. 18 Aus Alexandria kam das Wissen über Byzanz, Sizilien und besonders über Spanien nach Zentraleuropa. Ab dem 12. Jahrhundert war die Alchemie im Abendland als Wissenschaft etabliert. Alle Gebildeten beschäftigten sich mit ihr. Dabei ist schon die Herkunft des Wortes „Alchemie“ unklar: Es herrscht zwar weitgehend Einigkeit darüber, dass „Al“ der arabische Artikel ist, der sich ja auch in vielen anderen chemischen Bezeichnungen wie Alkohol, Alkali, Alkahest usw. findet. Die Herkunft des Wortteils “Chemie“ bleibt jedoch ein Rätsel. Er soll auf einen chinesischen Ausdruck für „trinkbares Gold“ 19 zurückgehen oder aber aus Ägypten stammen, dort war „Chemia“ die Bezeichnung für eine schwarze Erde. Vielleicht kommt der Ausdruck auch von griechisch chyma = Metallguss oder chymos = Saft oder er geht auf Chem, den Sohn Noahs zurück, der die entsprechenden Kenntnisse – wenigstens teilweise – über die Sintflut gerettet haben soll. Als weitere Möglichkeit wird die Herkunft von einem gefallenen Engel namens Chemes, der in den Apokryphen erwähnt wird und der den Menschen die Kunst der Alchemie gegeben haben soll, genannt und ebenso ein König Alchimius, der als Erster alchemistische Schriften verfasst haben soll, oder, oder ... Anzumerken ist allerdings, dass bei Sammlungen alchemistischer Schriften der Begriff „Chemie“ benutzt wird, so im Deutschen Theatrum Chymicum und nicht Alchemie. Woher auch immer das Wort „Alchemie“ stammen mag, es verliert gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder den arabischen Artikel und wird damit zur „Chemie“. Seither wird der Begriff Chemie als Gegensatz zu Alchemie verstanden. Nach unseren heutigen Kenntnissen ist Goldmachen natürlich unmöglich. Denn die Elemente lassen sich nur mit großen Energien, wie sie bei Kernreaktionen auftreten, umwandeln. Alle Versuche der Alchemisten mussten daher vergeblich bleiben. Für die Alchemisten war die Umwandlung eines unedlen Metalls – meist Blei oder Quecksilber – in Gold allerdings keine Elementumwandlung, sondern eine Stoffumwandlung. Bis ins 18. Jahrhundert wurde die Theorie der vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft akzeptiert, die auf den griechischen Philosophen Empedokles (490?–430 v. Chr.) zurückgeht. Erst die moderne Elementen-Theorie, nach der ein Stoff, der chemisch nicht mehr zu zerlegen ist, als Element bezeichnet wird, führt dazu, eine Transmutation – wie sie die Alchemisten verstanden – unmöglich erscheinen zu lassen. Allerdings wurde erst 1914 von Henry Gwenn-Jeffreys Moseley (1887–1915) eine Methode gefunden, die Elemente eindeutig zu identifizieren. Noch im 19. Jahrhundert wird über mehr als 170 Elemente berichtet, die sich nicht bestätigen ließen. 20 Nach der Theorie der Vier Elemente war eine Umwandlung von Blei oder Quecksilber somit eine „einfache“ Stoffumwandlung keine Elementumwandlung. Warum sollte dies nicht möglich sein? Es war sicherlich nicht einfach. Aber kein Gelehrter zweifelte wirklich daran. Denn die Theorie von der Entstehung der Metalle besagte, dass auch in der Natur die Metalle sich wandeln. Aus dem unedelsten Metall Blei entstehen im Laufe der Zeit die anderen Metalle, bis sie schließlich zu Gold werden. Der Alchemist beschleunigt nur diesen Vorgang. Die unedlen Metalle galten auch als krank, der Stein der Weisen heilt dann die „leprösen“
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Kap. 3 Metalle, wie bei Basilius Valentinus zu lesen ist. Die Alchemie galt bis ins 18. Jahrhundert als die älteste Wissenschaft, die Adam von Gott im Paradies gegeben worden war. Durch die Sündhaftigkeit des Menschen ging dieses große Wissen in der Sintflut fast vollständig verloren, der erhaltene Rest ist die Alchemie. Dies war der Grund dafür, dass sich Isaac Newton (1642–1727) mit der Alchemie beschäftigte, er, der überzeugt war, ein Auserwählter Gottes zu sein: „Gott enthüllt sich in jeder
Generation nur einem einzigen Propheten, was parallele Entdeckungen unmöglich macht“ meinte er. Er wurde am 24. Dezem-
ber geboren, wie Jesus und sein Vater starb vor seiner Geburt, dies wurde in der Gemeinde, der Newton angehörte als Zeichen dafür gesehen, dass das Kind mit ungewöhnlichen Kräften versehen sei. In seinem Alchemie-Notizbuch findet sich ein Anagramm seines lateinisierten Namens Isaacus Neuutonus: Jeova sanctus unus – Jehovah, der Heilige und Einzige. 21 Auf dem letzten Porträt von Newton sitzt er vor einem Ouroboros, einem der wichtigsten Symbole der Alchemie. Aber auch in der ersten Geschichte der Alchemie, die 1742 von dem renommierten Historiker Nicolas Lenglet du Fresnoy unter Abb. 4: Porträt Newton 1726 (Source: Print Collecdem Titel: „Geschichte der hermetischen Phition portrait file. / N / Isaac Newton losophie“ 22 erschien, schreibt der Autor, über Location: Stephen A. Schwarzman Building / Print die Alchemie vor der Sintflut wolle er nichts Collection, Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs schreiben. Von Bedeutung war die VorstelDigital ID: 1708037 lung, die ganze Natur habe den Sündenfall Record ID: 1884366 mitgemacht. Der Mensch, der Mikrokosmos, Digital Item Published: 2-22-2010; updated 6-252010) ist durch den Opfertod Christi von der Erbsünde erlöst worden, die Natur ist noch nicht erlöst. Der Stein der Weisen ist das Mittel die Natur zu erlösen. Wenn alle Metalle geheilt sind und zu Gold geworden sind, ist das Ende der Zeit gekommen und dann kann das Himmlische Jerusalem, wie in der Offenbarung beschrieben, aus Gold und Edelsteinen erbaut werden. Im übrigen sind nicht alle Versuche Gold zu machen unbedingt als Betrügereien zu betrachten. Eine goldfarbene Legierung wie Messing oder goldfarbene Bronze können als „technologischer Fortschritt“ betrachtet werden. Eine Glocke aus Gold klingt nicht, Gold ist zu weich, eine Glocke aus Messing hat einen schönen Klang und die Farbe von Gold, sie ist damit z. B. im Gottesdienst, wenn bei der Wandlung eine Glocke gebraucht wird, die goldfarben ist, der Farbe, die mit Gott assoziiert wird, bestens geeignet. Allen war klar, dass das
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Abb. 5: Himmlisches Jerusalem. (Codex Aureus, St. Emmeran, 9. Jh.)
kein echtes Gold ist, denn es war kein allzu großes Problem Gold eindeutig zu identifizieren. Das spezifische Gewicht belegt klar, ob ein Objekt aus Gold ist oder nicht. Seit Archimedes ist bekannt, wie diese Probe zu machen ist. Die arabischen Alchemisten hatten sogar ein spezielles Gerät zur Bestimmung des spezifischen Gewichts. 23 Ein Betrug war nicht einfach. Alchemisten, die als Betrüger entlarvt wurden, wurden streng bestraft, oder gar hingerichtet. Es gibt ein goldfarbenes kolloidales Silber, das möglicherweise von den Alchemisten für echtes Gold gehalten wurde. 24 Die Reaktion ist recht einfach. Eisen(II)sulfat, bei den Alchemisten Eisenvitriol genannt, wird mit Weinstein, Tartarus komplexziert, ebenso Silbernitrat, Höllenstein oder Lapis infernalis mit Weinstein, beide Lösungen sind weiß, sie werden zusammengegossen, es entsteht eine schwarze trübe Lösung von ausgefallenem Silber, dieses
Abb. 6: Gold – Goldfarbenes Silber – Goldfarbenes Silber nach Belichtung durch die Sonne (Foto: Gebelein)
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Kap. 3 Silber trocknet, wenn es abfiltriert wird, goldfarben auf, das Filtrat wird rubinrot. Die drei Hauptfarben des Großen Werks: Weiß, Schwarz und Rot sind damit vorhanden. Das goldfarbene Silber hält das Feuer nicht aus, es wird dann wieder silberfarben. Nun schreibt Albertus Magnus, alchemistisches Gold halte das Feuer nicht aus, eventuell meinte er dieses goldfarbene Silber. Das Interesse der Alchemisten für Gold beruht auch darauf, dass angenommen wurde, Gold bestehe zu je einem Drittel aus den drei Prinzipien: Sal, Sulfur und Merkur und sei daher vollkommen. In der abendländischen Alchemie haben diese drei Prinzipien vor allem durch die Arbeiten des Paracelsus Bedeutung erlangt. Sie sind aber älter, schon bei den Arabern gibt es drei Pfeiler der Alchemie. 25 Das weiß auch Andreas Libavius (1555–1616), in dem von ihm verfassten ersten „Lehrbuch der Alchemie“ (oder der Chemie, wie in der deutschen Übersetzung formuliert) ist zu lesen:
Abb. 7: Andreas Libavius (Quelle Wikipedia)
„Über die drei Prinzipien der Metalle. Bei den Metallen haben sich die Scheidekünstler hauptsächlich mit dem Merkur und dem Sulphur beschäftigt, manchmal auch mit dem Merkur allein, seltener mit dem Salz. (Darum hat Paracelsus auch geglaubt, es sei den Alten unbekannt gewesen. Die ihm folgen, halten für das Salz bei den Metallen entweder den löslichen Kalk, aber irrtümlicherweise, oder die salzige Verfestigung, die sich aus dem Menstruum gelöster oder getrennter Metalle sammelt, aber fälschlicherweise, da jenes Salz eher lösenden Geistern als gelösten Metallen zugehört, mit Ausnahme der Erzadern, in denen meistens Nitrum ist usw.) Es liegt aber nicht so sehr körperlich, sondern mehr geistig vor und findet sich in den Crocus-Arten der Metalle und im Chalkanth.“ 26
In der europäischen Kulturgeschichte wird der Begriff „hermetische Philosophie“ als Synonym für Alchemie benutzt. 27 Eine Definition, die sich nur auf die Goldmacherei beschränkt, greift daher zu kurz. Die hermetische Philosophie war ein synkretistisches System. Das Beste aus den verschiedensten kulturellen und religiösen Strömungen der Zeit wurde aufgenommen und in ein – nicht immer einheitliches – System gebracht; dazu gehörte eine Naturbetrachtung – nicht Naturwissenschaft – mit einer kosmologischen Komponente. Man kann sagen, die Alchemie ist der Teil der hermetischen Philosophie, der sich mit der Umwandlung der Stoffe im Labor beschäftigt. Die Alchemie war ein völlig anderes System der Naturerklärung als unsere heutigen Naturwissenschaften. Sie war zum einen eine „ganzheitliche Wissenschaft“, sie umfasste Kunst,
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Medizin, Religion, und Wissenschaft. Das bedeutete auch, dass dieses Modell der Naturerklärung moralisch-ethische Kategorien genauso beinhaltete wie ästhetische Kategorien. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die Alchemisten selbst ihre Wissenschaft als Kunst bezeichneten. Das Symbol dieser Ganzheitlichkeit und gleichzeitig der ewigen Wiederkehr ist der Ouroboros, die Schlange oder der Drache, der sich in den eigenen Schwanz beißt. Zum anderen unterscheidet sich die Alchemie von der Naturwissenschaft durch den Umgang mit der Natur. Die Alchemie folgt der Natur, die Naturwissenschaften unterwerfen sie. Nicht mehr „Beeinflussung der Natur durch Anpassung“ sondern „Unterwerfung der Natur durch Arbeit“, wie es Theodor W. Adorno (1903–1969) und Max Horkheimer (1895–1973) in der Dialektik der Aufklärung formulieren, ist das Programm. 28 Dabei ist Natur nicht nur das, was wir heute in den Naturwissenschaften darunter verstehen. Der Begriff der Abb 8: Ouroboros (Synesius, 15. Jh.) Natur ist weiter gefasst, sie ist nicht der „beliebig ausbeutbare Steinbruch“, wie es Karl Marx (1818–1883) formulierte, den wir heute als Natur bezeichnen. Bei Antoine-Joseph Pernety (1716–1800/01) lesen wir im Jahre 1758:
„Worin besteht der Unterschied zwischen der vulgären Chemie und der hermetischen Chemie (Alchemie)? Darin: Die erste ist tatsächlich die Kunst, die Verbindungen, die die Natur geschaffen hat, zu zerstören, die zweite die Kunst, mit der Natur zu arbeiten, um sie zu vervollkommnen.“ 29 Die Unabhängigkeit der Wissenschaft als Erkenntnismethode – wie wir sie heute kennen – von Kirche und Staat wurde mit der Reduzierung auf die Untersuchung wiederholbarer Experimente erkauft. Die Wissenschaft bezeichnete sich als wertfrei, für Moral war die Kirche zuständig, für politische Entscheidungen der Staat. Nimmt der Staat diese Aufgabe jedoch wahr, etwa durch ein Gesetz, das den experimentellen Umgang mit genmanipulierten Produkten regelt, so ruft die Wissenschaft und die mit ihr verbündete Industrie nach der Freiheit der Forschung. Joseph Needham (1900–1995), der Erforscher der chinesischen Wissenschaft, darunter der chinesischen Alchemie, stellt fest: „Als die Ethik aus den Wissenschaften vertrieben wurde, wurde alles anders und bedrohlicher ... Die Wissenschaft braucht das Beziehungsgefüge von weltanschaulichen, historischen und ästhetischen Erfahrungen. Allein und isoliert kann sie großen Schaden anrichten ... [sie kann] nicht nur die Menschheit, sondern alles Leben auf der Erde auslöschen.“ 30
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Kap. 3 Noch für Isaac Newton waren Naturwissenschaft und Moral verbunden. Aus dem Jahre 1676 stammt ein Brief von Newton an Henry Oldenburg (1615–1677), damals Sekretär der Royal Society, in dem er auf die Frage nach der Veröffentlichung alchemistischer Geheimnisse eingeht. Robert Boyle (1627–1691) hatte einen Bericht über ein „ungewöhnliches Experiment“ veröffentlicht, das ihn zu der Annahme brachte, der Stein der Weisen sei prinzipiell darstellbar und zwar in einer Weise, wie die Alten dies beschrieben hätten. Nun aber wollte er wissen, ob es gut sei, solche und weitere Ergebnisse zu veröffentlichen oder ob es besser sei, sie zu verschweigen, damit sie nicht in „kranke Hände fielen“. Daher fragte er weise und erfahrene Männer nach ihrer Meinung. Newton war der Ansicht, Boyle sollte „hohe Verschwiegenheit“ bewahren. Wie aus dem Brief ersichtlich wird, dachte Newton, es sei nicht sicher, alchemistische Kenntnisse zu veröffentlichen. Er empfahl Boyle, zu warten bis er sicher sei, entweder durch eigene Experimente oder durch den Rat „wahrer hermetischer Philosophen“, also Alchemisten, dass er mit einer Veröffentlichung nicht „ungeheure Vernichtung über die Welt“ bringe. 31 Ähnlich äußerte sich auch der Frankfurter Buchhändler Johann Spieß in der deutschen Ausgabe des Opus aureum. Das Schreiben in einer „figürlichen, verdeckten und verblümbten Reden“, also der Geheimhaltung, hat verschiedene Gründe:
„Die erste Ursach ist, daß nicht männiglich bekannt werde, daß diese Kunst wahrhafftig und aller Dings gewiß seye, und also durch solche Zweiffel und Ungewißheit, die Unverstendigen im Zaum gehalten werden, vornehmlich aber die Gottlose Geitzhälse und Ehrgeitzigen, welche vor allen andern emporschweben, und ihr unersättliche Begierde mit allerley Üppigkeit und Überfluß ersättigen und belustigen wollen. Die ander Ursach ist, damit diese Kunst Gott dem Vatter aller Gnaden allein zugeschrieben, und sie derselbige sie auch nur allein entweder offenbaren, oder aber hergegen entziehen möchte, wen er wolle. Inmaßen dann Geber sprocht: Daß diese Kunst im Gott in seiner Gewaldt vor behalten, derselbige theilet sie miltiglichen mit, und entzeucht sie auch, wenn er will. Die dritte Ursach ist, auff daß die Bösen nicht Gewaldt überkommen, sich durch Mittel dieser Kunst, ihres eignen Gefallens, in Sünden unnd Schanden zu waltzen, und sich also dieses köstlichen Steins mißbrauche, zu Unterwindung ungebürlicher Dinge, und im solches zu seinem eusstersten Schaden und Verderben gereiche.“ 32
Sollte daraus Schaden für die Menschheit entstehen, wären die „Philosophen“, also die Alchemisten, verantwortlich. Man vergleiche dies mit der heutigen Praxis der Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse und der Vorstellung der Wissenschaftler, sie seien für die weitere Verwendung der von ihnen erhaltenen Erkenntnisse nicht mehr verantwortlich. Ein weiterer Grund für die Geheimhaltung alchemistischer Kenntnissen lag in der Tatsache, dass es noch keine Möglichkeit gab, ein Patent oder Gebrauchsmuster anzumelden. Erste Anfänge eines Patentwesens gab es erst im 17. Jahrhundert in England. So hat auch Glauber wichtige Teile bei der Veröffentlichung von Prozessen weggelassen und nur gegen
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Abb. 9: Waage der Weisheit (Museum des Instituts für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften. Universität Frankfurt/Main)
Abb. 10: Labor aus Theatrum chemicum Britannicum, 1652
Zahlung mitgeteilt. Dies führte zu Streitigkeiten mit Kunden, die uns heute in die Lage versetzen Informationen zu erhalten, die sonst nicht vorhanden wären. Die Angriffe und Verteidigungen der beteiligten Personen sind wertvolle Quellen zu deren Lebensdaten und Arbeiten. Verschiedene Geräte, die Glauber entwickelt hat, blieben nahezu unverändert über Jahrhunderte in Gebrauch. Auch ohne Patentschutz wurde in der Literatur darauf verwiesen, dass diese Geräte von Glauber stammten. Es scheint mir angebracht, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die häufig vorgebrachte Ansicht, die Alchemisten hätten nicht mit der Waage gearbeitet falsch ist. Aus dem Jahre 1115 stammt die „Waage der Weisheit“ von Abū Hātim al-Muzaffar b. Ismāil al-Isfizāri. Diese Waage, die vom Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main rekonstruiert wurde wog auf 1/60000 genau. 33 Glauber hatte mehrere Waagen mit Gewichtssätzen aus Silber. Da in der Bibel in der Weisheit Salomons 11, 21 steht: „Aber du hast alles geordnet nach Maß, Zahl und Gewicht.“ wäre es überraschend, wenn die Alchemisten das Gewicht ignoriert hätten. So finden sich auch in alchemistischen Büchern Abbildungen von Waagen im Labor.
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Kap. 3 Erinnern wir uns, Johann Rudolph Glauber lebte von 1604–1670. Das 17. Jahrhundert war geprägt durch den 30jährigen Krieg, der auch Glauber zu seinen häufigen Ortswechseln veranlasste. Gleichzeitig war das Jahrhundert aber auch ein Jahrhundert in dem die Künste und die Wissenschaft florierten. In keinem Jahrhundert wurden mehr alchemistische Schriften geschrieben und verlegt oder neu aufgelegt.. Das 17. Jahrhundert war also auch eine Blütezeit der Alchemie. Auf dem Kaiserthron in Prag saß noch zu Beginn des Jahrhunderts Rudolf II (1552– 1612), der Alchemist auf dem Kaiserthron. An seinem Hof hielten sich zeitweise die wichtigsten Alchemisten der Zeit auf, Michael Maier (1568–1622) Michael Sendivogius (1566–1636) und John Dee (1572–1608), der gleichzeitig auch Abb.11: Rudolph II als Vertumnus Spion für Elisabeth I (1558–1603) von England war (Quelle: Wikipedia) und seine Berichte mit dem Kürzel 007 unterzeichnete. Aber auch Künstler wie Claudio Monteverdi (1567–1643) oder Giuseppi Arcimboldo (ca. 1527–1593), der Rudolf II als Vertumnus, als einen Kopf aus Gemüse, malte, waren zu Gast. Die Astronomen Tycho Brahe (1546–1601) und Johannes Kepler (1571–1630) arbeiteten ebenfalls am Prager Hof. Zwischen 1576 und 1597 wohnte Brahe in der prächtigen, schlossähnlichen Residenz Uranienborg, die in elitärer Abgeschiedenheit auf der Insel Ven für ihn erbaut worden war, und erforschte die geheimnisvollen Beziehungen zwischen dem Geschehen am Firmament und dem Verhalten der irdischen Materie. In der Sternwarte seines „Forschungsinstitutes” beobachtete er die himmlischen Phänomene, im Keller widmete er sich alchemistischen Experimenten, während im Mittelgeschoss die Ergebnisse der Praxis theoretisch ausgewertet wurden. Gemäß der MikrokosmosMakrokosmos-Beziehung sollten die beiden Arbeitsgebiete einander befruchten. 34 Es ist bemerkenswert, dass sich das alchemistische Labor über die Jahrhunderte kaum verändert hat. Noch das alte Labor von Justus Liebig (1803– Abb. 12: Labor Tycho Brahe 1587 1873), das im Liebig-Museum in Gießen zu sehen (Quelle: Wikipedia)
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Abb. 13: Labore Liebigs (Liebig Museum Gießen)
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Kap. 3 ist, unterscheidet sich nicht von einem alchemistischen Labor. Erst das neue Labor, das er 1839 bauen kann, wird der Prototyp aller weiteren Ausbildungs- und Forschungslaboratorien. Nach dem 30 jährigen Krieg verfassten auch Alchemisten Bücher zur Wirtschaft, so Glauber „Des Teutschen Wohlfahrt“ oder sein Gegner Johann Joachim Becher (1635–1682) „Politischer Diskurs von den Ursachen des Auf- und Abnehmens der Städte und Länder“ um Deutschland wirtschaftlich wieder herzustellen. Becher erkannte auch die Bedeutung der Bildung und schrieb auch dazu, er schlug u. a. vor Dioramen anzufertigen, damit Kinder Tiere in ihrer Umwelt erleben könnten. Becher schrieb 1661 ein Pamphlet gegen Glauber: „Glauberus Refutatus ... Daß ist Hundert Lügen ... auß Glaubers, selbst eigenen Schriften“ unter dem Pseudonym Antiglauberus. Becher mochte wahrscheinlich den Autodidakten Glauber nicht, der auch noch die Ausbildung an einer Universität für überflüssig und schädlich hielt. Glauber gilt heute als erster technischer Chemiker. 1966 wurde ihm posthum die Diesel Medaille verliehen, dort ist zu lesen: Johann Rudolf Glauber .. wird hiermit für seine Leistungen und Erfindungen auf vielen Gebieten der Chemie sowie für seine umfangreiche literarische Tätigkeit als „Chemieschriftsteller“ die Diesel-Medaille in Gold verliehen. (s. S. 12 und S. 305) Glauber war kein zu früh geborener Chemiker, er war Alchemist und arbeitete mit den theoretischen Vorstellungen der Alchemie. Allerdings spielt bei Glauber das experimentelle Vorgehen eine größere Rolle als bei vielen anderen Alchemisten. Er lebte davon Chemikalien zu verkaufen und konnte nicht von Spekulationen leben, die bei anderen Alchemisten häufig zu finden sind. Glauber hielt auch eine Transmutation auf Gold für Abb. 14: Zementation von Kupfer auf einer Eisenplatte. (Foto: Gebelein) möglich, schreibt aber, er habe keinen Erfolg gehabt. Es gab einen Versuch, der als Beleg für eine Umwandlung eines Metalls in ein anderes galt: Die Zementation von Kupfer. Läuft kupferhaltiges Wasser über eine Eisenplatte, so wachsen auf dieser Kupferkristalle und die Eisenplatte bekommt Löcher, das Eisen verschwindet offensichtlich und wandelt sich in Kupfer um. Im Besucherbergwerk Kilianstollen wird dieses Verfahren vorgeführt. Selbst so kritische Metallurgisten wie Lazarus Ercker (?1530–1594) kamen
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zu dem Schluss, hier handle es sich tatsächlich um eine Transmutation. 35 Auch Libavius war dieser Ansicht, in seiner Alchemia schreibt er im Kapitel: „Über die Magisterien der Substanz, worin zunächst über die Transformation der Metalle: Diejenigen, die jegliche Transmutation abstreiten, werden durch Folgendes widerlegt: Alle Welt kennt doch dies Umwandlung durch vitriolhaltige Wässer; ... Daß sich Eisen in Kupfer und Kupfer in Blei umwandelt, niemanden gibt es, der das nicht wüßte. Das Gleiche bezeugen Agricola (Georg ,1494–1555) Baccius (Andreas, 1524–1600) und andere, namentlich Agricola gibt zwei Verfahren an, von denen das eine mit dem Wasser von Smolnicia das andere mit altem Scheidewasser (Chryscula) vor sich geht....“ 36 Heute erklären wir diese Beobachtung als einen elektrochemischen Vorgang. Das unedlere Eisen löst sich auf, das edlere Kupfer scheidet sich statt dessen ab. Vor allem im Barock versuchten die Fürsten, die sich für den Bau ihrer Schlösser hoch verschuldet hatten, sich durch die Anstellung von Alchemisten, die ihnen Gold liefern sollten, von ihren Schulden zu befreien. In einigen Fällen sind dabei Ergebnisse erhalten worden, die ökonomisch wertvoller waren als Gold. Die Herstellung von Porzellan durch Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651–1708) und Johann Friedrich Böttger (1682–1719) brachte dem sächsischen Staat durch die Pozellanmanufaktur in Meißen sicherlich mehr Geld ein, als ein paar Gramm Gold. Die beiden suchten für die Herstellung des Steins der Weisen eine hochtemperaturfesten Stoff für ihre Tiegel und fanden dabei das Porzellan, das vorher nur aus China importiert werden konnte. Anzumerken ist, dass die Gegenden in denen die Alchemie blühte, Sachsen, Württemberg, Böhmen etc., bei der Industrialisierung im Vorteil waren, gab es dort doch Arbeiter mit technisch-chemischen Kenntnissen. Johann Joachim Becher (1635 –1682) und Georg Ernst Stahl (1659–1734) entwickelten eine Theorie der Verbrennung. die sie Phlogistontheorie nannten. Demnach soll bei der Verbrennung ein Feuerstoff, das Phlogiston frei werden. Dies entspricht der Anschauung, wird z. B. Holz verbrannt bleibt nur ein wenig Asche übrig, offensichtlich geht das Meiste weg. Asche ist also Holz, das das Phlogiston verloren hat. Sehr schnell zeigte sich, dass diese Theorie ein Problem hat, die Verbrennung von Metallen führt zu einer Gewichtszunahme. Im 18. Jh. suchten die Alchemisten oder Chemiker nach dem als gasförmig gedachten Phlogiston. Im Zuge dieser Suche wurde die Gaschemie entwickelt und ihre grundlegenden Gesetze gefunden. Einer der Chemiker der nach dem Phlogiston suchten war Antoine-Laurent Lavoisier (1743–1794). 37 Er ist der einzige Wissenschaftler in der Academie de France, der mit seiner Frau dargestellt ist. Dies tatsächlich zu Recht, denn Madame Lavoisier hat ihrem Mann bei seinen Arbeiten ganz wesentlich geholfen. Sie übersetzte aus fremden Sprachen und schrieb für ihn. 1772 verbrannte er Diamanten in einem geschlossenen Gefäß. Er tat dies, da zwei Pariser Juweliere über die Brennbarkeit von Diamanten unter Luftabschluss gewettet hatten. Der eine behauptete, sie seien auch dann brennbar, der andere bestritt dies. Lavoisier sollte durch sein Experiment die Wette entscheiden. Mit Spiegeln kon-
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Kap. 3 zentrierte er die Strahlen der Sonne auf ein Gefäß mit Diamanten, natürlich Abfälle der Schmuckproduktion. Sonnenenergie benutzten schon die Alchemisten. Er fand, dass Diamanten auch im geschlossenen Gefäß brannten, dass die Masse bei der Reaktion erhalten blieb und dass bei der Verbrennung Kohlendioxid entstand, der Diamant also aus Kohlenstoff besteht. Aus diesen Ergebnissen folgerte er, dass bei der Verbrennung Sauerstoff aufgenommen wird und Oxide entstehen und dass die Masse bei chemischen Reaktionen erhalten bleibt. 38 Dies ist der Beginn der modernen Chemie. Sie beginnt mit einer neuen Theorie der Verbrennung. Abb. 15: Lavoisier mit Frau (Quelle: Wikipedia) Es wurde schnell erkannt, dass diese Theorie Fehler hatte, so war der Sauerstoff nicht die entscheidende Komponente der Säuren, obwohl sein Name noch immer auf diese Theorie verweist. Doch Lavoisier hatte auch die Sprache der Chemie rationalisiert. Aus den vielen Begriffen, die die Alchemisten benutzt hatten wurden nach rationalen Regeln zusammengesetzte Namen der Stoffe. Diese neue Notation war entscheidend für die Durchsetzung der neuen Chemie. 39 Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Chemie zu einer Wissenschaft, die in direkter Zusammenarbeit mit der Industrie, große Erkenntnisse brachte. Vor allem erkannte man, dass auch organische Substanzen der Synthese zugänglich sind und nicht – wie bis dahin angenommen – nur analysiert werden können, während die Synthese allein Sache der Natur sei. Abb. 16: Lavoisiers Solarofen. Kupferstich von Charpentier, 1775 (bearbeitet) (Quelle: Wikipedia) Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Strukturchemie, besonders die der organischen Verbindungen erfunden, die heute Grundlage der Chemie ist. Und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand die Quantenchemie, die ein neues Verständnis der Chemie bedeutete. Die Chemie, wie sie in den Schulen und Universitäten gelehrt wird und die uns in ihren Auswirkungen so selbstverständlich erscheint, als wäre sie
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schon immer da gewesen, ist, wie wir sehen, tatsächlich eine Entwicklung der letzten 200 Jahre. Es sei nur als ein Beispiel daran erinnert, dass die Brönstedt-Lowry Theorie der Säuren, die heute Schulstoff in der Sekundarstufe I ist, erst 1923 aufgestellt wurde. Die Alchemisten haben diese Wissenschaft in einem großen Umfang erst ermöglicht, ihre Bedeutung sollte nicht vergessen werden. Die Alchemie wird heute in ihren Vorstellung über die Welt nicht mehr ernst genommen. Mit der hermetischen Philosophie dagegen befassen sich an Universitäten die Religionswissenschaftler, in Paris und Amsterdam gibt es dafür Professuren. Was bleibt also? Die Spagyrik, es gibt immer noch kleine Betriebe, die Heilmittel auf spagyrische Weise herstellen und sie auch weiterentwickeln. Und Personen, die weiterhin Alchemie betreiben, auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Sonst hat die Alchemie in der Werbung eine große Bedeutung. Dennoch aus Wissenschaft des Altertums und des Mittelalters ging selbstverständlich unsere heutige Wissenschaft hervor, sie ist nicht traditionslos. Der Philosoph Ernst Bloch meinte aber wir würden nur noch den halben Pythagoras berücksichtigen, den uns interessierten an den Zahlen nur noch Quantitäten, ihre Qualitäten würden wir in den Wissenschaften ignorieren. Dies wäre aber nur der halbe Pythagoras. Inzwischen beginnen sich jedoch auch Naturwissenschaftler wieder für die Alchemie zu interessieren. In einem Aufsatz mit dem Titel: Technology and the Spirit of Alchemy 40, schreibt der theoretische Chemiker der Universität Neapel Giuseppe del Re: „Diejenigen, die Technologien entwickeln, ohne eine Spur des Geistes der Alchemie zu besitzen, d. h. ohne eine parallele Entwicklung ihrer Spiritualität und besonders ihres Gefühls für Verantwortung werden zu der zerstörerischen Krankheiten unserer Gesellschaft – Ignoranz und Neurosen – beitragen, für die es dann kein mehr Heilmittel geben wird.”
1
Kopp, Hermann: Die Alchemie in älterer und neuerer Zeit I/II. Heidelberg, 1886, S. VII
2
Liebig, Justus: Chemische Briefe. Leipzig/Heidelberg, 1878, S. 25 und 33.
3
so allerdings nur bei Zedler, Johann Heinrich: Großes Vollständiges Universal Lexikon. Zürich, 1793
4
Wrangham, Richard: Feuer fangen. München 2009.
5
Wrangham spricht immer von Kochen (im deutschen Text). Kochen meint in Wasser garen, dazu werden feuerfeste und wasserdichte Gefäße benötigt. Garen kann man auch in Blättern oder in Lehm. Kartoffeln aus dem Kartoffelfeuer sind ein Beispiel.
6
Wrangham, Richard: Feuer fangen. München 2009, S. 50
7
Wrangham, Richard: Feuer fangen. München 2009, S. 115 ff.
8
Wrangham, Richard: Feuer fangen. München 2009, S. 89
9
Gebelein, Helmut: Das Element Feuer in Haushalt und Familie. In EHLERT, T.: Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit., Sigmaringen, S. 137, 1991.
71
Kap. 3 10
Robert von RANKE GRAVES, Griechische Mythologie I/II 1979, besonders S. 127 ff.
11
Antoine Joseph PERNETY, Dictionnaire Mytho-Hermétique. 1758 ND Mailand 1980 S. 406
12
Johann Wolfgang von GOETHE, Goethes Werke, Bd. 2. Weimar 1888.
13
siehe Gebelein, Helmut: Alchemie, München, 1991, S. 128 ff.
14
Liebig, Justus: Chemische Briefe: Leipzig/Heidelberg, 1878, S. 50
15
Goethe, Johann Wolfgang: Farbenlehre. Stuttgart, 1979, S. 47
16
Gebelein, Helmut: Alchemie, München 1991, S. 85
17
Gessmann, G.W.: Geheimsymbole der Chemie und Medizin. Wiesbaden, 1972, S. 3
18
Sladek, Mirko: Fragmente der hermetischen Philosophie in der Natur-Philosophie der Neuzeit. Frankfurt/Main, Bern, New York, 1984
19
Institut für Geschichte der Naturwissenschaften der chinesischen Akademie der Wissenschaften (Hg.): Wissenschaft und Technik im alten China. Basel/Boston/Berlin, 1989, S.214
20
Karpenko, Vladimir: The Discovery of Supposed New Elements: Two Centuries of Errors. Ambix, 35, 1980, S. 65
21
Berman, Morris: Wiederverzauberung der Welt. München, 1983, S. 103 f.
22
Lenglet du Fresnoy, Nicolas: Histoire de la Philosophie Hermétique. Paris, 1742, Hildesheim/New York, 1975
23
Ausgestellt im Museum für arabisch-islamische Wissenschaften in Istanbul
24
Lea, M. Carey: Über allotropische Modifikationen des Silbers. Chem. Zentralblatt, 1889, S. 314 und 1891, S. 570 und Gemelins Handbuch der Anorganischen Chemie. Ag (A3), 1971, S. 194
25
Gebelein, Alchemie, München 1991, S. 68
26
Libavius, Andreas: Alchemie – Ein Lehrbuch der Chemie aus dem Jahre 1597. Weinheim, 1964, S. 316
27
Sladek, Mirko: Die Fragmente der hermetischen Philosophie in der Naturphilosophie der Neuzeit. Frankfurt am Main/Bern/New York, 1984
28
Adorno Theodor W. und Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Amsterdam, 1955, S. 30
29
Pernety, Antoine-Joseph: Dictionnaire Mytho-Hermétique (1758), Milano, 1980, S. 17
30
Zitiert nach Temple, R.K.G.: Das Land der fliegenden Drachen. Bergisch-Gladbach, 1990, S. 10
31
Dobbs, Betty, J. T.: The Foundation of Newtons Alchemy or the „Hunting of the Green Lyon“. Cambridge, 1975, S. 194 ff.
32
Villanova, Arnaldi de: Opus Aureum. Frankfurt am Main, 1604, Vorrede des Herausgebers Johann Spieß
33
siehe dazu: Kozur, Hans-Jürgen (Hg.): Kein Krieg ist heilig: Die Kreuzzüge. Mainz, 2004, S. 437
34
Figala, Karin und Helmut Gebelein: Hermetik und Alchemie. Gaggenau, 2003, S. 225
35
Karpenko, Vladimir: Fe(s) + Cu(II)(aq) → Fe(II)(aq) + Cu(s) Fifteen Centuries of Search. Journal of Chemical Education, 72, 1995, p. 1095 ff.
36
Libavius, Andreas: Alchemie – Ein Lehrbuch der Chemie aus dem Jahre 1597. Weinheim, 1964, S. 179, 185f.
37
Liedtke, Ralf: Das romantische Paradigma der Chemie. Paderborn, 2003, S. 48
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38
Dies hatte Michael Lomonosov (1711–1765) schon im Jahre 1748 in einem Brief an Leonhard Euler (1707–1 783) formuliert, aber er war in Russland und damit zu weit von den Zentren der wissenschaftlichen Forschung entfernt, um wahrgenommen zu werden.
39
Bensaude-Vincent, Bernadette: Lavoisier: Eine wissenschaftliche Revolution. in Michel Serre (Hg.): Elemente einer Geschichte der Wissenschaft. Frankfurt/Main, 1994, S. 645 ff.
40
DEL RE, Giuseppe: Technology and the Spirit of Alchemy. Hyle, 3, 1997, S. 51-63
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Kap. 4 Zum Einfluss der Alchemie auf die Kulturgeschichte 1 Helmut Gebelein
Die Alchemie war ab dem 12. Jh. eine anerkannte Methode der Naturbetrachtung, die großen Einfluss auf die europäische Kulturgeschichte hatte. Gelehrte wie Albertus Magnus (1192?–1280), Roger Bacon (1214–1284/94), Francis Bacon (1561–1626), Robert Boyle (1626– 1691), Isaac Newton (1642–1727) oder auch Künstler wie William Shakespeare (1564–1616), Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), Novalis (1772–1801), Victor Hugo (1802–1885) bis hin zu James Joyce (1882–1941) oder Anselm Kiefer (* 1945) beschäftigten sich mit der Alchemie. Die Alchemie unterscheidet sich von unseren heutigen Naturwissenschaften. Sie war eine anders rationale Wissenschaft in der auch Ästhetik und Moral eine Rolle spielten, ein Aspekt, der dazu führt, dass sich heute wieder Naturwissenschaftler und Philosophen für die Alchemie oder die hermetische Philosophie – beide Ausdrücke werden in der europäischen Kulturgeschichte nahezu synonym verwendet 2 – interessieren. Die Denkweise, wie sie die Alchemie besaß, beeinflusste die Wissenschaften, die Religion, die Medizin, aber auch die Künste. Die Schriften des Hermes Trismegistos, des legendären Begründers der Alchemie, wurden im 15. Jahrhundert in der Akademie von Florenz übersetzt. Nach ihm ist die hermetische Philosophie benannt. Die Kenntnis dieser Schriften unterstützte die Auffassung, es habe einmal eine einzige Religion (Theologia prisca) gegeben, die Gott den Menschen gegeben habe, diese ursprüngliche Religion sei nach der babylonischen Sprachverwirrung von den Menschen in verschiedene Religionen aufgespalten worden. Die ursprüngliche Religion Gottes sei von dem Ägypter Hermes Trismegistos, dem Hebrä- Abb.1: Hermes aus der Kathedrale von Siena er Moses und dem Perser Zoroaster, dessen Schriften ebenfalls in Florenz übersetzt wurden, tradiert worden. So kommt Hermes in Siena in die Kirche, er galt als Zeitgenosse des Moses. Die Vorstellung einer ursprünglichen Religion findet sich z. B. in dem Theaterstück Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) in der bekannten Ringparabel. Diese Sicht auf die Religionen erlaubte eine Kritik der Dogmen der katholischen Kirche. Die Kirche stand daher der hermetischen Philosophie – und damit auch der Alchemie – feindlich gegenüber. Allerdings waren auch die Kirchenfürsten an der Goldherstellung interessiert, denn auch sie brauchten für Lebensstil viel Geld und tolerierten daher die Alchemie. Es ist kein Alchemist bekannt, der als Ketzer oder wegen Hexerei angeklagt worden wäre. Nur Betrügerei ist als Anklagepunkt ist bekannt.
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Kap. 4 Es ist durchaus erstaunlich, in welchem Umfang die Kunst von der Alchemie beeinflusst ist. Hier ist nicht die Herstellung des Steins der Weisen, des Mittels, das es ermöglicht unedle Metalle – Blei – in edle – Gold – umzuwandeln gemeint, auch wenn die Adepten dies als Kunst bezeichneten, sondern die Werke, die üblicherweise als Kunstwerke gelten. Dabei können drei Arten der Betrachtungsweisen unterschieden werden. Es gibt zum Einen die Ikonographie der Alchemie – das Buch Alchimie 3 von Jacques van Lennep (*1941), einem Kunsthistoriker am Nationalmuseum in Brüssel, ist das Standardwerk dazu. Es ist der Katalog zu einer großen Ausstellung zur Ikonographie der Alchemie, die 1984 in Brüssel zu sehen war. Es gibt die Texte in den alchemistischen Schriften als literarische Gattung, die leider immer noch nicht bearbeitet ist, Michel Butor hat dies schon vor langem gefordert: „Die Sprache der Alchemie ist ein Instrument von außerordentlicher Geschmeidigkeit, das ermöglicht, Operationen genau zu beschreiben und sie zugleich in bezug zu einer allgemeinen Konzeption von Wirklichkeit zu setzen. Gerade darin besteht ihre Schwierigkeit, aber auch das Interessante an ihr. Der Leser, der den Gebrauch eines einzigen Wortes an einer bestimmten Stelle verstehen will, kann es nur, indem er allmählich eine einstige geistige Struktur wiederherstellt. Er läßt dadurch verdunkelte Bewußtseinsregionen erwachen.“ 4 Und es gibt auch die Musik, die das Große Werk – so wurde die Herstellung des Steins der Weisen genannt – darstellen sollen. Es gibt des Weiteren Werke, die die Alchemie oder Alchemisten darstellen. Sie reichen von der realistischen Darstellung eines Labors bis zu Bildern, die den Alchemisten als Magier mit geheimnisvollen Ingredienzien zeigen. In der Literatur finden sich Romane, Theaterstücke und auch Opern, die einen Alchemisten zur Hauptperson haben. Und es gibt Bilder, Romane und Musikstücke, die auf den ersten Blick nichts mit Alchemie zu tun zu haben scheinen, die aber von Alchemie oder hermetischer Philosophie beeinflusst sind. Dazu muss ausdrücklich betont werden, auch wenn ein Einfluss der Alchemie auf ein Kunstwerk festzustellen ist, bedeutet dies nicht mehr als einen Baustein für seine Interpretation. In der Architektur zeigen die Ausschmückungen von Kirchen und Profanbauten häufig Motive, die sich alchemistisch deuten lassen. Die Bilderwelt der gotischen Kathedralen sind so stark von der Alchemie beeinflusst, dass die Kathedralen als steinerne Lehrbücher der Alchemie bezeichnet wurden. In dem Roman Der Glöckner von Notre Dame beschreibt Victor Hugo ein alchemistisches Labor, das sich in der Kathedrale befand, wahrscheinlich meinte er den Raum, in dem heute ein Laden für Andenken zu finden ist. Von dem unter dem Pseudonym Fulcanelli (über den nichts Genaues bekannt ist) schreibenden Alchemisten des 20. Jahrhunderts erschien 1925 das Buch Les Mystères de Cathédrales in dem er vor allem Notre Dame in Paris untersuchte. Er schreibt: „Notre Dame in Paris bewahrt, tatsächlich, seinen Alchimisten. Wenn Sie, getrieben von Neugierde...die Wendeltreppe hochsteigen, die Zugang zu den oberen Galerien des Gebäudes bietet...nehmen Sie auf der zwei-
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ten Galerie...mitten unter den Schimären, an denen Sie vorbeikommen, die packende Figur eines Alten aus Stein wahr. Das ist er, das ist der Alchimist von Notre Dame. Versehen mit der phrygischen Mütze, dem Zeichen des Adepten, die nachlässig auf seinem langen Haar mit den dichten Locken sitzt, eingehüllt in seinen leichten Laborkittel, stützt er seine eine Hand auf die Balustrade, während die andere seinen üppigen, seidenweichen Bart streicht. Er meditiert nicht, er beobachtet.” 5 Diese, wie alle Figuren in Notre Dame sind im 19. Jh. von Eugène Emmanuel Viollet-le-Duc (1814–1879) restauriert worden. Nur wenige Originale sind erhalten, sie zeigen aber, dass Viollet-le-Duc sehr gewissenhaft gearbeitet hat. Am Hauptportal von Notre Dame ist eine Figur zu sehen, die Dame Kybele, die Göttin der Fruchtbarkeit, die Große Mutter, Mater Magna – sie ist nach Fulcanelli eine Allegorie der Alchemie. Sie befindet sich in der Mitte des Hauptportals zu Füssen des segnenden Christus. Der Kopf der Figur Abb. 2: Der Alchemist von Notre berührt die Wolken, sie sitzt auf einem Thron oder Katheder Dame (Foto: Gebelein) – Kathedrale – und hält in der linken Hand ein Szepter als Zeichen der Macht, in der rechten ein geschlossenes und ein offenes Buch, die die geheime und die öffentliche Wissenschaft darstellen. Die Leiter ist das Sinnbild der Geduld, die vonnöten ist, um die Stufen des Großen Werks zu vollenden, meint Fulcanelli. Ebenfalls im Hauptportal sind 12 Halbreliefs, die gemeinhin als „Tugenden” und darunter 12 Medaillons, die als „Laster” interpretiert werden, zu sehen. Jacques van Lennep, meint diese Interpretation sei nicht befriedigend. Fulcanelli sieht in ihnen die Stufen des Großen Werks dargestellt. Dies macht, nach van Lennep tatsächlich mehr Sinn. Warum auch sollte die Gerechtigkeit durch einen Salamander – der in der Alchemie ein Symbol des Feuers ist, da man annahm, er könne im Feuer leben – symbolisiert werden? Nach der kunsthistorischen Deutung ist in dem linken Relief oben die Demut, unten der Hochmut zu sehen, alchemistisch die Putrefactio und die Cohobatio. Oben ist der Rabe als Symbol der Tötung der Materie, die am Beginn des Großen Werks steht, zu sehen. Das Pferd mit dem kopfunter dargestellten Reiter soll Abb. 3: Dame Alchemia (Foto: Gebelein) dann die Umwandlung des Sulfur in den Merkur darstellen. Die Reliefs in der Mitte werden von Kunsthistorikern als Weisheit und Torheit interpretiert,
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Kap. 4 alchemistisch sollen sie den philosophischen Merkur und den Spiegel der Kunst, damit auch Anfang und Ende des Werks darstellen. Der Caduceus oder Hermesstab ist ein Symbol des Merkur. Der Mann trägt in der rechten Hand einen Spiegel und in der linken ein Füllhorn. Was dieser philosophische Merkur eigentlich sein soll, ist nicht klar. Der Chemiker und Wissenschaftshistoriker Lawrence Principe hat vor Abb. 4: Notre Dame Halbreliefs (Foto: Gebelein) einiger Zeit berichtet, er habe einen philosophischen Merkur nachgearbeitet – keine einfache Arbeit – und sagte, er finde keinen analytisch fassbaren Unterschied zu normalem Quecksilber. Er hat dann ein Goldamalgam sowohl mit dem philosophischen Merkur als auch mit normalem Quecksilber hergestellt und erhielt in einem geschlossenen Gefäß nach 42 Tagen bei ca. 700 °C bei dem Amalgam aus dem philosophischen Merkur einen Goldbaum, in dem anderen nicht. Es gibt also offensichtlich doch einen Unterschied, auch wenn er diesen bisher nicht finden und erklären kann. 6 Die rechten Reliefs zeigen nach Meinung der Kunsthistoriker Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Fulcanelli bezeichnet die Reliefs als Darstellung des geheimen Feuers der Alchemisten, denn der Salamander ist das Symbol des „geheimen Feuers”, die Waage weise auf die Bedeutung der Gewichte in der Arbeit der Alchemisten hin. Die Waage war den Alchemisten, entgegen der landläufigen Meinung, durchaus bekannt (s. S. 65). Die Reliefs des Hauportals sind auch in der Westrosette von Notre Dame in Paris zu sehen, die allerdings durch die Orgel verdeckt ist. Alle diese Reliefs sind übrigens auch in andern Kathedralen zu sehen, z. B. in Amiens oder Chartres. Ein weiteres Relief wird, nach van Lennep, normalerweise als Nimrod – der Jäger der griechischen Mythologie – der mit einem Speer auf die Sonne zielt, interpretiert. Es erfordert einigen guten Willen, meint er, um diese Interpretation zu akzeptieren. Das Relief zeigt nach Fulcanelli den Alchemisten, der den Athanor verteidigt. Er steht auf den Zinnen einer Burg und bewacht das Ergebnis seiner Arbeit. Van Lennep findet diese Deutung überzeugender. Kunsthistoriker vermuten, dass diese Reliefs, wie die Abb. 5: Halbrelief (Foto: Gebelein)
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Abb. 6: Amiens (Broschüre der Touristeninformation)
Abb. 7: Cordoba (Foto: Gebelein)
gotischen Kathedralen insgesamt, bemalt waren, wie sich aus Farbresten erschließen lässt. In Amiens werden diese Farben durch eine Projektion simuliert. Dies gibt einen für uns heute überraschenden Eindruck. Die Mesquita in Cordoba weist – wie auch antike Tempel – eine interessante alchemistischtechnische Besonderheit auf. Alle Säulen sind oben und unten in Blei gelagert. Daher hat sie bei keinem Erdbeben Schaden erlitten. Blei ist weich, dämpft die Schwingungen und absorbiert die Energie. Offensichtlich liegen Kenntnisse der Alchemie und der Metallurgie zugrunde. Wir wissen nicht welche theoretischen Vorstellungen dazu geführt haben, bisher scheint keine Aufzeichnung gefunden worden sein, die dieses Vorgehen erklären. Ein weiteres Beispiel eines Bauwerks mit hermetischem Hintergrund ist das Schlösschen Stern (Hvĕzda) vor den Toren Prags. 1555 baute der Erzherzog und Vizekönig von Böhmen Ferdinand von Tirol dieses Schlösschen. Sein Zweck ist nicht klar. Er selbst zeichnete den Plan. Das Bauwerk ist bewundernswert. Es hat 4 Stockwerke, die den 4 Elementen zugeordnet sind: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Der Grundriss ist ein Siegel Salomons, also der Sechsstern. Martin Stejskal, der den Plan kürzlich untersuchte, ist sich sicher, dass es die Absicht Ferdinands war, ein Bauwerk zu schaffen, dem Alchemie und hermetische Philosophie zugrunde lagen und in dem die 4 Elemente in den Geschossen auch durch die Dekoration darge- Abb. 8: Schlösschen Stern (Foto: Gebelein)
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Kap. 4 stellt werden sollen. Im Erdgeschoss, das dem Wasser zugeordnet ist, sind Stuckverzierungen zu sehen, die Themen aus der Mythologie darstellen. 7 Mucius Saevola ist auf einem der Fresken zu sehen. Dieser Römer wollte den etruskischen König Porsenna töten, der Anschlag misslang, damit er eventuelle Mittäter verrate, wurde seine rechte Hand ins Feuer gehalten. Saevola hielt diese Tortur aus. Den Namen „Linkshänder“ erhielt er nach dieser Folter. Nach einer alchemistischen Deutung ist das Abb. 9: Deckenfresko Stern (Foto: Gebelein) Feuer das geheime Feuer, das alles verändert, aber auch das Schweigen soll auf die Verschwiegenheit des Adepten hinweisen. Sagen und mythologische Erzählungen wurden als Beschreibungen alchemistischer Reaktionen gedeutet. 1786 veröffentlichte Antoine-Joseph Pernety (1716–1796) ein Buch, das alle Fabeln Ägyptens und Griechenlands aus einem Prinzip, dem der Alchemie, erklären sollte. 8 In den alchemistischen Büchern finden sich, neben den Darstellungen von Laborgeräten symbolische Darstellungen, die die Herstellung des Steins der Weisen erläutern. Es sind diese Bilder, die unser Unterbewusstsein ansprechen, die uns an etwas, nicht näher bestimmbares erinnern. Diese Abbildungen waren es, die Jung in den Träumen seiner Patienten wiederfand. Solche symbolischen Darstellungen finden sich ab dem 15. Jahrhundert. Einige der Symbole sind in verschiedensten Formen und Zusammenhängen dargestellt, so der Hermaphrodit, das Wesen, das sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale hat. Er gilt als Sohn der Venus und des Hermes und soll die Vereinigung der Gegensätze darstellen und damit die Rückkehr zur ursprünglichen Einheit. Zum ersten Mal findet sich der Hermaphrodit in dem Buch der heiligen Dreifaltigkeit aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts. Ein Buch das auf dem Konzil in Konstanz dem Kaiser überreicht wurde. Der Autor will Abb. 10: Der gute und der böse Hermaphrodit. Buch der Heiligen Gold nur herstellen um die HäDreifaltigkeit, 1400, S. 105 ff. resien, die Abweichler von der (Bayerische Staatsbibliothek, München)
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reinen katholischen Lehre verfolgen zu können. 9 Einige der Werke wie die Aurora consurgens (Anfang 15. Jh.) oder das Splendor Solis (16. Jh.) – um nur einige zu nennen – sind von einer großen künstlerischen Qualität. Die Kunst des Buchdrucks brachte dann einen ungeheuren Aufschwung, damit wurden Bücher für die Interessierten erst erschwinglich und alchemistische Literatur illustriert mit Stichen war ein gutes Geschäft. Erst gegen Mitte des 18. Jahrhunderts sinkt die Produktion alchemistischer Bücher dramatisch ab. Unter den Alchemistendarstellungen finden sich realistische und phantastische Bilder von Laboratorien, sowie solche die auf satirische Weise den Beschiss der Alchemie kommentieren. Sie stammen häufig von berühmten Malern wie Albrecht Dürer (1471– 1528). Abb. 11: Beschiss der Alchemie von Überraschend ist jedoch in welchem Umfang Ma- Albrecht Dürer (Sebastian Brant: Das ler von der Alchemie beeinflusst waren und sind. Ein Narrenschiff, 1494) Grund ist sicherlich, dass Maler eine gute handwerklich-chemische Ausbildung hatten. Die Farben und Firnisse mussten schließlich vom Maler weitgehend selbst hergestellt werden. Auf der Ponte Vecchio in Florenz sollen allerdings Pigmente, Farben und Zutaten verkauft worden sein. Aber auch heute noch sind Maler mit dem Anrühren der Farben und dem Grundieren der Leinwände beschäftigt und sie benutzen Pigmente, die schon seit alters her in der Malerei verwendet werden. Immer noch ist echtes Ultramarin, das aus dem Halbedelstein Lapislazuli hergestellt wird, so wertvoll wie Gold. Francesco Mazzola, genannt Parmigianino (1503–1540) beschäftigte sich intensiv mit Alchemie. Während er eine Kirche in Parma ausmalen sollte, verließ er diese um sich alchemistischen Studien zu widmen, er wurde wegen Arbeitsverweigerung eingesperrt, er konnte entkommen und widmete sich weiterhin der Alchemie. 10 Hieronymus Bosch (1450–1516) hat möglicherweise Alchemie betrieben, sicherlich hat er sich mit der hermetischen Philosophie beschäftigt. Als eines seiner Werke, die alchemistisches Wissen transportieren, gilt die Die Hochzeit von Kana. Abb. 12: Parmigianinos Selbstporträt im Spiegel (Quelle: Wikipedia)
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Kap. 4
Abb. 13: Hochzeit von Kana (Quelle: Wikipedia)
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Auf den ersten Blick handelt es sich um die Darstellung eines mittelalterlichen Hochzeitsmahls. Die Kunsthistorikerin Lauranda Dixon führt in einer Arbeit zu Hieronymus Bosch 11 aus, dass das Wunder von Kana, die Verwandlung von Wasser zu Wein als Vorbereitung auf die Transsubstantiation verstanden wurde, das Fest der Hochzeit von Kana wurde als Einleitung der Eucharistie gefeiert. Die Verwandlung von Wasser zu Wein wird durchaus als alchemistische Transmutation gesehen, denn Wein, insbesondere Rotwein galt als dem Blut nah verwandt. Bei Blutmangel wurde Rotwein als Medizin gegeben, denn man nahm an, er würde sofort in Blut verwandelt Abb. 14: Hochzeit von Kana (Ausschnitt) werden, er wurde auch als Traubenblut bezeichnet. Die Verwandlung von Wasser zu Wein ist natürlich auch eine Verwandlung von etwas relativ wertlosen zu etwas wertvollem, ähnlich der von Blei zu Gold. Bei genauem Hinsehen fallen in diesem Bild weitere Symbole auf, die alchemistisch gedeutet werden können. Die Speisen, die hereingetragen werden sind ein Wildschwein- oder Bärenkopf und ein Schwan. Damit soll die schwarze Farbe des Beginns und die weiße Farbe für eine spätere Phase des Werks dargestellt werden. Doch besitzt der Schwan nach alter Auffassung schwarzes Fleisch, rotes Blut und weiße Federn, er steht also auch allein für die drei wichtigsten Farben des Großen Werks. Er ist aber auch ein Symbol der Reinheit der Jungfrau Maria. Der tschechische Reformator Jan Hus (ca. 1369 –1415) wurde als Ketzer auf dem Konzil in Konstanz verbrannt. Seine letzten Worte sollen: „Heute bratet ihr eine Gans (Tschechisch: Hus), in 100 Jahren wird ein Schwan singen.“ gewesen sein. Diese Aussage wurde als Hinweis auf eine weitere Reformation verstanden, später wurde der Schwan daher zum Symbol für Martin Luther 1483–1546). Möglicherweise kannte auch Bosch diesen Hinweis auf eine weitere Reformation. Der Hintergrund ist ein Bilderrätsel. Ganz oben sitzt ein Mann mit einem Dudelsack, dies könnte eine Anspielung drauf sein, dass die falschen Alchemisten auch Windmacher hießen, allerdings war an dieser Stelle früher ein ganzes Orchester zu sehen, nur der Dudelsackspieler ist übrig geblieben, als der obere Rand des Bildes beschnitten wurde. Auf der Anrichte, die an einen Treppenofen erinnert, stehen einige alchemistische Gefäße, ein Pelikan, ein Doppelpelikan – ein Hinweis auf das Hochzeitspaar – ein Atlas, der die Welt trägt, dieser wird identifiziert mit Christophorus, der Jesus, das Symbol der neuen Welt trägt. Der Orientale mit dem Zeigestock kann als Hinweis auf die ägyptische Herkunft der Alchemie gelten. Die Hochzeit ist natürlich die Vereinigung der Gegensätze von männlich und weiblich, also auch eine chymische Hochzeit. Das igelartige Gebilde unter der Glocke ist eine Darstellungsform des Steins der Weisen, sie findet sich auch in anderen alchemistischen Schriften, wie im Groene Leeuw von Goosen van Vreeswijk (1626–1692). 12
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Kap. 4 Im 20. Jahrhundert waren es vor allem die Künstler, die die Alchemie für sich entdeckten. Die Surrealisten, angeregt auch durch das Buch von Fulcanelli Les Mystères des Cathédrales 13, das er von seinem Schüler Eugene Canseliet herausgeben ließ, begannen sich mit der Alchemie zu beschäftigen. André Breton schrieb im 2. surrealistischen Manifest zu diesem Bild: „Ein junger Mann mit Flügeln an den Fersen, einen Schlangenstab in der Hand, mit dem er einen Abb. 15: Stein der Weisen 1674 Helm schlug, der ihm den Kopf bedeckete. Zu ihm eilete herbei und fliegend mit offenen Flügeln ein mächtiger Greis, der auf dem Haupte eine Uhr trug.‘ Ist das nicht das surrealistische Bild par exellence?“ Es handelt sich um Hermes oder Merkur mit dem Hermesstab und Saturn oder Kronos mit der Sense und der Uhr. Merkur steht für Quecksilber und Saturn für Blei, dies Bild soll also auch eine Reaktion dieser beiden Metalle darstellen. Das Bild stammt aus dem Buch Livre des figures hiéroglyphiques, das von dem Alchemisten Nicolas Flamel (1330–1413) verfasst sein soll. Die Ausgabe mit dem Bild entstand um 1700. Max Ernst (1891–1976) malte zweimal eine chymische Hochzeit. Der Begriff spielt eine zentrale Rolle in der Alchemie und meint dort die Vereinigung der Gegensätze. Aus der chymischen Hochzeit entsteht der Stein der Weisen, das Mittel von dem gesagt wird es könne unedle Metalle wie Blei in Gold verwandeln. 1925 sind es zwei Bäume, die sich nahezu aneinander schmiegen, dies soll wohl die Einheit der Natur Abb. 16: Hermes und Saturn symbolisieren. Inzwischen gibt es eine Arbeit von der Kunsthistorikerin Frau Marjorie E. Warlick, die die Bedeutung der Alchemie in seinem Werk aufzeigt. 14 Er kam bei seinem ersten Besuch in Paris 1913 mit der Alchemie in Berührung. Er besuchte Stellen an denen der berühmte Alchemist Nicolas Flamel gelebt hatte. In der später entstandenen Version (1947/1948) sind es Figuren, die allerdings an Puppen oder Automaten erinnern. Eines der Hauptwerke von Marcel Duchamp (1887–1968) ist La Grande Verre oder La Mariée mis à nue par ses Celibataires même (Das Große Glas oder die Braut, von ihren Jung-
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gesellen nackt entblößt) 15 erscheint wie eine Paraphrase auf eine Abbildung aus einem alchemistischen Werk, dem Manuskript des Philosophen Solidonius aus dem 18. Jahrhundert, dort sehen wir zwei bekleidete Männer, die eine Frau ausziehen, die Braut entkleiden, in der Alchemie könnte dies bedeuten, den Merkur von allem Unreinen befreien. Das Bild von Duchamp ist religiös, symbolistisch, psychoanalytisch und hermetisch gedeutet worden. Es wird als eine Liebesmaschine bezeichnet. Alchemistisch gesehen gilt es als Darstellung eines Prozesses, in der Anordnung der einzelnen Teile wird dabei auch eine Destillationsapparatur gesehen. In einer Rezension der Süddeutschen Zeitung wird das Große Glas als ein grandioses Tableau sexueller Einbildung und Phantasie, dargestellt mit Symbolen der Physik, Mechanik und Alchemie bezeichnet. Eine konsistente Interpretation mit Hilfe der Alchemie steht allerdings noch aus, falls diese überhaupt möglich ist. 1915 begann Duchamp dieses Werk. Er brachte viel Zeit mit der Konzeption dieser Arbeit zu und erwähnt sie immer wieder in seinen Notizen, ausgestellt wurde sie 1926/1927 im Brooklyn Museum. 1931 zerbrach das Werk beim Transport, aber Duchamp setzte es wieder zusammen und integrierte so die Spuren des Zersplitterns. Rudolf Steiner (1861–1925), der Begründer der Anthroposophie, hat sich mit der Alchemie und den Rosenkreuzern beschäftigt. Über die Kenntnis verschiedener Vorträge Steiners ist Joseph Beuys (1921–1986) mit der Alchemie in Berührung gekommen. Besonders seine Arbeiten mit Bienenwachs wie Die Honigpumpe resultierten daraus. 16 Yves Klein (1928–1962) fand ebenfalls über die Rosenkreuzer zur Alchemie. Nach seiner blauen monochromen Phase, bei der eventuell
Abb. 17: Solidonus
Abb. 18: Beuys Honigpumpe (Bayerische Staatsgemäldesammlungen Pinakothek der Moderne Sammlung Brandhorst Barer Strasse 29 D- 80799 München)
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Kap. 4 die Farbe blau auch als Farbe der blauen Blume der Romantik Pate stand, malte er mit Gold die Tafeln Das Schweigen und Das Goldene Zeitalter, im Katalog gibt es dazu das Kapitel Alchimie. 17 In der Ankündigung einer Ausstellung des Malers Sigmar Polke (1941–2010) ist zu lesen: „Wer ist Sigmar Polke? Der gefragteste, renommierteste, teuerste Künstler, den Deutschland zu bieten hat. Was noch? Ein Ironiker und Humorist. Die Ironie gehört zu den wenigen Dingen, die ihm ernst sind. Und die Alchemie. Der Mann ist ein Experimentator aus Leidenschaft. In seiner Zauberküche laboriert er mit grafischen Reproduktionstechniken, chemischen Stoffen und unkalkulierbaren Folgen.“ 18 Im Katalog der Polke Ausstellung: Die drei Lügen der Malerei in Bonn 1997 ist ein Aufsatz von Martin Hentschel: Solve et Coagula. Zum Werk Sigmar Polkes und einer von Charles W. Haxthausen: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner (al)chemi(sti)schen Umwandelbarkeit. Malerei und Fotografie nach Polke. Es heißt, Polke insistiere seit vielen Jahren auf der Alchemie, als einem Modell einer synkretistischen Wissenschaft, die für ihn ein Gegenmodell zu dem naturwissenschaftlichen Weltbild darstelle. In der Kunst suche er die Versöhnung von Natur und Geschichte, die er auch in der Alchemie findee. In einem Zyklus aus vier Bildern, bei dem er sich der Vorlage des Hermes aus der Kathedrale in Seinea bedient, ist ein alchemistischer Wandlungsprozess dargestellt, der sich auch in den Farben zeigt, die von Schwarz über Weiß nach Rot gehen. Polke arbeitet mit transparenten Farbaufgüssen, die zu Schlieren, Rissen, Verwerfungen führen, damit die Verwandelbarkeit andeutend. Von Paracelsus stammt dieses Zahlenquadrat des Saturn. Magische Quadrate, in denen die Summe aller Zeilen und der Spalten gleich sind, gibt es zu allen sieben klassischen Planeten. In einer magischen Medizin wurden sie als Amulette getragen und sollten Heilung bewirken, z. B. das des Saturn, das dem Blei zugeordnet wurde, bei Krankheiten des Knochengerüsts. Polke ändert die Zahlenquadrate spielerisch ab, er verbindet die Zahlen in ihrer Abfolge miteinander. Alle sieben hat er in dieser Weise ironisiert. Eine Künstlerin, die von Alchemie beeinAbb. 19: Das Quadrat des Saturn von Paraceslus flusst ist, ist Rebecca Horn (*1944). Bei ihr weisen einige Titel auf ihr Interesse an der Alchemie hin. In dem Video La Ferdinanda, 1981. Sonate für eine Medici Villa, wird zum Spiel des Cellisten Mischa die Geschichte eines Vogels aus der Chymischen Hochzeit des Christian Rosenkreuz erzählt. 1981 installiert sie Die Chymische Hochzeit 19 auch als eigenständiges Werk. Dabei wird ein Text aus der Chymische Hochzeit: Christiani Rosenkreuz anno 1459 20, Teil der Installation.
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Auch das Interesse an Quecksilber ist wohl aus der Beschäftigung mit der Alchemie zu verstehen. Dieses flüssige Metall hat die Alchemisten immer fasziniert. Aus dem Jahre 1988 stammt das Hydra-Piano 21 mit dem folgenden Text der Künstlerin: Das Hydra-Piano Die Quecksilber-schlange schlummert. Sie hat im Traum ein kleines Wägelchen verschluckt das sich Tango schiebend im Inneren ihres großen Leibes bewegt. Manfred Scharpf illustriert die Smaragdtafel des Hermes. Er beschäftigt sich seit längerem mit der Alchemie. Auch mit Farbpigmenten setzt er sich auseinander und malt bevorzugt mit klassischen Pigmenten u. a. besonders mit echtem Ultramarin. Die Kunst hat für ihn auch mit der Heilkunst zu tun, seine Heilräume versuchen diese Verbindung herzustellen, auch bei diesen Arbeiten ist der Bezug zur Alchemie offensichtlich. 22 Eines seiner Projekte befasst sich mit der Alchemistin Isabella Cortese, deren Lebensdaten nicht bekannt sind, es gibt nur ein Buch von Abb. 20: Smaragdtafel des Hermes (Mit ihr, das 1561 erschien. Es gibt auch kein Bild von ihr, Genehmigung des Malers. Foto: Gebelein) das Bild Scharpfs stellt eine andere Frau dar, der unterlegte Text stammt von Cortese. Barbara Frahner (*1940) zeigte 1988 in der Universitätsbibliothek Gießen ihre Arbeiten. Sie macht seit 1979 Bücher. Text und Bild gehören dabei zusammen. Darunter ist auch ein Alchemiebuch (1987) mit einem Text von ihr: Die Alchemistin. In der Geschichte der Alchemie kommen nur wenige Frauen vor. Eine Alchemistin ist allerdings sehr berühmt: Maria die Alchemistin aus dem 1.–3. Jahrhundert. Sie gilt als Erfinderin des Wasserbads (Französisch: Bain-Marie) und anderer Gerätschaften. 2007 erwirbt der Louvre ein Bild von Anselm Kiefer mit dem Titel Athanor. Schon der Titel zeigt, dass Kiefer ebenfalls von der Alchemie beeinflusst ist. Der Athanor ist der Ofen der Alchemisten. Das Wort stammt vom arabischen at-tannur, für Backofen ab. In einem Interview sagte Kiefer: „Das ist der Mensch, der in Verbindung mit dem Kosmos tritt. In die Abb. 21: Isabelle Cortese (Mit Genehmigung krustigen Risse der Erdschichten, auf denen der unbe- des Malers. Foto: Gebelein)
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Kap. 4 wegliche Mensch liegt, habe ich Blei gegossen. Eine Transformation entsteht, ein Metabolismus, ein Stoffwechsel.“ 23 Der Strahl vom dem Körper des liegenden Menschen stellt die Verbindung zum Kosmos her. Der liegende Mensch in Kiefers Gemälde erinnert an Illustrationen aus alchemistischen Schrift, wie z. B. dieser. Der Baum symbolisiert auch die flüchtige Seele, die vom Tod freigegeben wird und den Körper verläßt. Die Verbindung zum Kosmos wird durch die Hand Gottes symbolisiert. Kiefer führt des weiteren aus: „Ein Künstler macht ja genau dasselbe wie ein Alchemist. Er beschleunigt einen Prozess. Er transformiert. Ich setze meine Arbeiten zum Beispiel dem Wetter, der Hitze, der Sonne, dem Schnee oder Hagel aus. Die Natur arbeitet also immer mit und verändert die Materialien. Über das Ergebnis bin ich oft selbst erstaunt.“ 24 Michel Butor schrieb: „Die alchemistische Literatur ist uns trotz ihrer offenkundigen Bedeutung für die Geistesgeschichte nur wenig bekannt. Ihre Texte sind oft fesselnd, und ihre Illustrationen drängen sich in unsere Träume; sobald wir jedoch einen genauen Sinn erfassen wollen, stoßen wir auf große Schwierigkeiten.“ 25 Abb. 22: Aus dem Tod entsteht neues Leben. Dem ist nichts hinzuzufügen, nur dass Tex(Anonym, 14. Jh. Ms Ashburn 166, f. 16) te, die bisher nur schwer zugänglich waren in Form von Reprints inzwischen relativ leicht zu erhalten sind. Die Literatur über Alchemisten ist sehr umfangreich. Es gibt Theaterstücke wie Der Alchimist (1610) von Ben Jonson, das auch als Vorlage für Opernlibretti diente. Häufig ist der Alchemist ein Betrüger oder ein betrogener Betrüger. Es gibt Biographien und romanhafte Lebensdarstellungen z. B. über Paracelsus oder John Dee. Das Lebenselixiers. findet sich ebenfalls in der Literatur. Von ihm handelt das Stück von Karel Čapek (1890–1938) „Die Affäre Makropulos“. Im Verlauf des Stückes zeigt sich, dass die Hauptdarstellerin, eine verführerisch, schöne Frau, Elina Makropulos im Jahre 1585 in Kreta geboren wurde. Ihr Vater Hieronymus Makropulos war Leibarzt des Kaisers Rudolf II in Prag, des Alchemisten auf dem Kaiserthron. Das von Makropulos produzierte Lebenselixier musste er an seiner Tochter erproben. Dabei schien sie zu sterben, Rudolf II nahm das Elixier nicht, ihr Vater wurde hingerichtet und sie wachte wieder auf. Sie lebte dann 300 Jahre und nun lässt die Wirkung des Elixiers nach, sie altert. Sie sucht daher das Rezept ihres Vaters, das zum
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Erbe eines ihrer früheren Männer gehört. Als sie es findet, zerstört sie es, ein so langes Leben zu führen ist nicht besonders wertvoll, alle Bekannten und Liebhaber zu verlieren kein erstrebenswertes Ziel. Aus diesem Theaterstück hat Leoš Janáĉek (1854–1928) eine Oper mit demselben Titel geschaffen, die gelegentlich aufgeführt wird, so in Prag 2008. 26 1989 wurde das Stück „Der Stein der Weisen“ von Franz Helm (ein Pseudonym, über den Autor heißt es, er sei ein niederösterreichischer Schauspieler) in Darmstadt uraufgeführt. Hier findet der Totengräber den Stein der Weisen, der verhindert, dass irgendjemand im Dorf stirbt. Dies führt zu Verwicklungen in privaten Dingen, wie Erbschaften, der Totengräber wird arbeitslos, der Pfarrer verliert seine Schäfchen und auch die Politik mischt mit. Der Totengräber zerstört schließlich den Stein und die alte Ordnung wird wieder hergestellt. 27 Der Alchemist von Paulo Coelho, ein Bestseller, hat allerdings nicht allzu viel mit Alchemie zu tun, es handelt sich um die Suche nach dem eigenen Selbst. Und es gibt die Literatur, die von hermetischer Philosophie und Alchemie beeinflusst ist. Wiederum seien nur einige wenige Autoren genannt. Johann Wolfgang von Goethe führte, als junger Mann, selbst alchemistische Experimente durch. Geheilt durch ein Geheimmittel des spagyrischen Arztes Dr. Johann Friedrich Metz hatte er begonnen sich für die Alchemie zu begeistern. Wenn auch diese Begeisterung nachließ, so blieb doch diese Beschäftigung nicht ohne Folgen für seine literarische Tätigkeit. Die Tragödie Faust wurde, mit einem gewissen Recht, als ein durch und durch alchemistisches Stück bezeichnet. Im ersten Teil geht es um den Erhalt der Jugend und der Manneskraft und wir erfahren, dass der Vater Fausts ein betrügerischer alchemistischer Arzt war. Im zweiten Teil ist die Erfindung des Papiergeldes wie der Ökonom Hans Christoph Binswanger ausführt ein alchemistischer Prozess. Etwas Wertloses, ein Stück Papier in etwas Wertvolles, Geld, zu verwandeln, zu transmutieren, ist reine Alchemie. Allerdings ist kein alchemistisches so einfach. Inzwischen liegt eine alchemistische Interpretation des zweiten Teils der Tragödie vor. 28 Auch die moderne Chemie faszinierte Goethe, eine frühe Theorie der chemischen Bindung, die Wahlverwandtschaft genannt wurde, taucht als Titel seines bekannten Romans Wahlverwandschaften auf. Novalis, eigentlich Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg studierte Chemie, 1799 wurde er Salinenassessor, damals ein wichtige und angesehene Tätigkeit.. Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, dass er sich auch alchemistische Literatur intensiv studiert hat. In dem Roman Die Lehrlinge zu Sais und dem Romanfragment Heinrich von Ofterdingen ist dies erkennbar. Auch sein naturphilosophischen Arbeiten sind von seiner Beschäftigung mit der Alchemie geprägt. In seinem System des „Magischen Idealismus“ mit der Forderung die Chemie zu poetisieren ist dies nachzuweisen. 29 Auch Schriftsteller des 20. Jahrhunderts waren von der Alchemie beeinflusst. Zu nennen sind u. a. James Joyce, Gustav Meyrinck, Werner Bergengruen. Ein Roman, in dem die Alchemie eine herausragende Rolle spielt ist Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Garcia Marquez, gleich zu Beginn wird ein alchemistisches Labor beschrieben. Und Antonin Artaud wies darauf hin, zwischen dem Theater und der Alchemie eine geheimnisvolle Wesensgleichheit bestehe. 30
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Kap. 4 Eine erste Schrift mit alchemistischer Musik wird dem oben erwähnten Nicolas Flamel zugeschrieben. Michael Maier, u. a. Arzt am Hofe des Kaisers Rudolf II. in Prag, brachte die Atalanta Fugiens heraus, ein einzigartiges Werk, das das Große Werk mit 50 Fugen, Illustrationen und Kommentaren beschreibt, erläutert und durch Musik und Gesang sinnlich erfahrbar machen soll. Es gibt keine vergleichbare Komposition in der Alchemie. Der Alchemist war auch der Gegenstand von Opern, es soll mindestens 20 Opern gegeben haben, die den Alchemisten, wiederum meist als Betrüger oder betrogenen Betrüger, zum Helden hatten. Georg Friedrich Händel (1685–1759) schrieb 1707 in Florenz die Oper: Sich selbst besiegen ist der größte Sieg (Vincer se stesso è la maggior vittoria), die heute den Kurztitel Rodrigo hat. Die Ouvertüre, eine Orchestersuite mit den Sätzen: Ouverture – Gigue – Sarabande – Menuet – Bourrée I und II wurde 1710 in London, noch bevor der Komponist selbst zum ersten Mal die britische Hauptstadt besuchte, als Schauspielmusik zu Ben Jonsons Gaunerkomödie The Alchemist aufgeführt, annonciert als das Werk eines ungenannten italienischen Meisters. Auch von Louis Spohr gibt es eine Oper: Der Alchemist, die aber eine Liebesgeschichte ist, der Vater der Protagonistin ist allerdings die Tochter eines Alchemisten. Im Evangelischen Gesangbuch steht das Lied Nr. 349: „Morgenglanz der Ewigkeit ... Verfasser des Lieds: Von Rosenroth, Christian Knorr Freiherr, geb. 1636 in Alt-Raudten (Schlesien), Minister der katholisch gewordenen Pfalzgrafen zu Sulzbach (Oberpfalz), vom Kaiser geadelt, Mystiker, vielseitiger Forscher, Alchimist, Dichter und Tonsetzer, gest. 1689 in Großalbersdorf (Sulzbach-Rosenberg)“ 32 Beeinflusst waren ebenfalls verschiedene Komponisten. Wolfgang Amadeus Mozart war Freimauerer, in seiner Loge in Wien soll es ein alchemistisches Labor gegeben haben. Die Zauberflöte ist von seiner Mitgliedschaft in der Loge geprägt und ohne Kenntnis der hermetischen Philosophie und der ägyptischen Mysterien 33, wie sie damals verstanden wurden, bleibt sie eine einfache Zauberoper. Es gab eine weitere sehr ähnliche Oper, bei der Mozart wohl einen Teil der Arien mitkomponiert hat: Der Stein der Weisen. Es gibt inzwischen auch eine Einspielung der Oper, der Stein der Weisen wird gegen Ende von einem Adler gebracht, und erweckt eine der Hauptpersonen wieder zum Leben. Sowohl für die Zauberflöte als auch für Der Stein der Weisen sind Anleihen bei Märchen von Christoph Martin Wieland (1733–1813) gemacht worden. Eines der Märchen trägt den Titel Der Stein der Weisen 34. Es handelt sich jedoch nicht um eine Goldmachergeschichte sondern wiederum um eine Selbstfindung. In diesem Märchen sucht ein König sein Glück durch den Stein der Weisen, der ihm Gold bringen soll, zu erreichen. Er fällt auf einen Betrüger herein, für den er sein Volk ausbeutet. Nach einigen Verwandlungen wird er als Bauer mit seiner Frau durch Vermittlung von guten Geistern glücklich und es wird ihm bedeutet, dass er nun den Stein der Weisen in der Wildnis gefunden habe. Die Arbeit mit der Natur ist das wahre Glück, nicht das Anhäufen von Reichtümern durch die Ausbeutung der Untertanen oder durch Goldmacherei.
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Zum Werk Ionisation von Edgard Varèse (1883–1965) wird in einer Rezension der Aufführung durch das Ensemble Modern ausgeführt: „man fühlt sich bei Varèse wie in der großtechnischen Alchmistenküche eines ,mad scientist’. Mit unnachsichtigem Pathos, mit Nachdruck in Klang und Rhythmus baut er einen akustischen Kosmos auf und läßt nicht zu, daß sich Hörer auch nur einen Augenblick lang einem Gefühl von Entspanntheit hingeben.” 35 Varrese schrieb auch ein Stück Arcana, das er Paracelsus widmete. Auf das Titelblatt der Partitur hat er ein Zitat von Paracelsus in Französisch, Englisch nund Lateinisch geschrieben. In der deutschen Übersetzung lautet es: „Ein Stern ist höher als die andern. Dies ist der apokalyptische Stern; der zweite Stern ist der des Aszendenten. Der dritte, der der Elemente und derer sind ihrer vier, so daß sechs Sterne feststehen. Neben diesen gibt es noch einen weiteren Stern, die Phantasie, die einen neuen Stern und einen neuen Himmel zeugt.“ 1993 schrieb die zeitgenössische Komponistin Andrea Csollany (*1964) ein Divertimento on two levels. Dem Werk, liegt ein Text aus Thomas Norton: Ordinall of Alchemy zugrunde. Ein Sprecher gibt den Text wieder und ein kleines Ensemble mit Streichern und Bläsern begleitet ihn. Die Komposition war eine Auftragsarbeit der Universität Bern. Die Chemiker veranstalteten eine gemeinsame Promotionsfeier für die Doktoranden, die in den vorangegangenen Jahren fertig gworden waren. Dies sollte in einem nicht üblichen Rahmen geschehen. Das Institutsgebäude mit einem großen Treppenhaus wurde als würdiger Platz ausgewählt und das Werk von Csollany auf zwei Ebenen gespielt, daher zunächst etwas eigenartige Titel der Komposition. Am 1.12.1999 fand die Uraufführung des Stückes OMNIA AB UNO, eine sinfonische Skizzen nach den Plänen einer Chymischen Hochzeit von Christian Siegmann, einem jungen Schweizer Komponisten in Winthertur statt. Den französischen Komponisten Walter Taieb (*1969) regte das Buch Der Alchemist von Paulo Coelho zu seinem symphonischen Werk: The Alchemist’s Symphony an, die in acht Sätzen und fünf Zwischenspielen die Suche des Helden Santiago musikalisch interpretiert. Die Zwischenspiele sind offen angelegt, so daß Musiker in den Ländern der Reise durch geeignete Improvisationen eine Ambiente schaffen können die dies Länder charakterisieren.36 Taieb hat einen neuen Musikstil „Neo-Melodism” entwickelt, über den mitgeteilt wird, er habe den Zweck die ganze Menschheit – ungeachtet von Nationalität, Kultur oder Alter – durch eine zeitlose Musik zu berühren, mit Geheimnissen, die in einer jahrhundertlange musikalische Evolution entwickelt wurden. Damit zeigt er sich als Vertreter einer hermetischen Tradition, kein Wunder, dass ihn das Thema Alchemie gereizt hat. Alchemie ist hier allerdings als Suche nach sich selbst verstanden, als Individuationsprozeß, in dem die Laborarbeit keine bedeutende Rolle spielt. Künstler haben sich von der Alchemie beeinflussen lassen. Sie suchten und fanden in der Alchemie ein anderes Naturverständnis als es die modernen Naturwissenschaften anbieten. Am Schluss möge daher ein Zitat von Marcel Duchamp stehen: „Kunst ist das Einzige, was Menschen übrig bleibt, die der Wissenschaft nicht das letzte Wort überlassen wollen.“
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Kap. 4 1
Viele zitierten Werke der Malerei und der Musik sind urhebergeschützt und können nicht wieder gegeben werden. Es wird auf das Internet oder auf Büchereien und Mediatheken verwiesen.
32
Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Landeskirche Rheinland, Westfalen und Lippe. Gütersloh, 1975. Ich danke Gerd und Gertrude Stumpf aus Bielefeld für den Hinweis.
2
Sladek, Mirko: Fragmente der hermetischen Philosophie in der Naturphilosophie der Neuzeit. Frankfurt/Main/Bern/ New York, 1984, S. 6
33
Amman, Jan: Die Zauberföte. Frankfurt am Main, 2008
34
3
Lennep, Jacques van: Alchimie, Bruxelles, 1985
Wieland, Martin: Der Stein der Weisen. Siehe: http://gutenberg.spiegel.de/index.htm
35
4
Butor, Michel: Die Alchemie und ihre Sprache. Frankfurt/Paris, 1984, S. 13.
Linke, Hans-Jürgen: Eklektische Alchemistenküche. Frankfurter Rundschau. 17.9.94, S. 18.
36
5
Fulcanelli: Le Mystère des Cathédrales. Paris, 1979, S. 93 (Eigene Übersetzung)
Taieb, Walter: Teh Alchemist‘s Symphony. BMG Entertainment, 1998
6
Tagung Alchemie und Theater Berlin. 2007. Der Tagungsband ist leider immer noch nicht erschienen.
7
Stejskal. Martin: Praga Hermetica. Prag, 2003, S. 121 ff.
8
Pernety, Antoine-Joseph: Les Fables egyptiennes et grecques. Paris, 1786, Paris, 1991
9
Gebelein, S. 272
10
van Lennep, S. 296 ff.
11
Dixon Laurinda S.: Water, Wine and Blood – Science and Liturgy in the Marriage at Cana by Hieronymus Bosch. Oud Holland, 96, 1982, S. 73.
12
Klosowski de Rola, Stanislas: The Golden Game. London, 1988, S. 250
13
Fulcanelli: Les Mystères des Cathédrales. Paris 1979
14
Warlick, M. E.: Max Ernst and Alchemy. Austin, 2001
15
Mink, Janis: Marcel Duchamp. Köln, 1994
16
Stachelhaus, Heiner: Joseph Beuys. München
17
Charlet, Nicolas: Yves Klein. München, London, New York, 2000, S.187 ff.
18
Stern 14, 2001, S. 38.
19
Haenlein, Carl: Rebecca Horn. The Glance of Infinity. Zürich-Berlin-New York, o.J. Abb. 49, S. 99
20
Andrea, Johann, Valentin: Chymische Hochzeit: Christiani Rosenkreutz anno 1459. Straßburg, 1616.
21
Haenlein: Abb. 72, S. 143
22
Gebelein, Helmut: Splendor Artis. Manfred Scharpf und die Alchemie. in Scharpf-Tejová, Renata: Passion. Manfred Scharpf Anekdoten – Bilder – Dokumente. Langenargen, 2003, S. 138
23
Sigrid von Fischer Interview mit Anslem Kiefer: Die Liebe gibt keinen Sinn. Tagesspiegel 29.12.2007
24
Sigrid von Fischer Interview mit Anslem Kiefer: Die Liebe gibt keinen Sinn. Tagesspiegel 29.12.2007
25
Butor, Michel: Die Alchemie und ihre Sprache. Frankfurt/Paris, 1984, S. 13
26
Janáĉek, Leoš: Věc Makropulos. Národni divadlo opera, Prag, 2008
27
Kröck, Christiane: Der Stein der Weisen. Hessen Profile, Wiesbaden, 2, 1989, S. 23
28
Raphael, Alice: Goethe und der Stein der Weisen. Amsterdam, 1990
29
Liedtke, Ralf: Das romantische Paradigma der Chemie – Friedrich von Hardenbergs Naturphilosophie zwischen Empirie und alchemistischer Spekulation. Paderborn, 2003
30
Artaud, Antonin: Das Theater und sein Double. Frankfurt/Main, 1965
31
Wolfgang Stähr: Musikalische Gegenwelten – barocke Theaterträume. Rheingau Musik Festival, Progamm vom 10.7.2008, Oestrich-Winkel, 2008
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Kap. 5 Glaubers Zeit in Kitzingen und sein Verhältnis zu Johann Philipp von Schönborn Rainer Werthmann
Kitzingen nach dem dreißigjährigen Krieg Kitzingen 1651: Der mörderische dreißigjährige Krieg war gerade vorbei, drei Jahre vorher, 1648, war der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück geschlossen worden. Einer, der ihn mit ausgehandelt hatte, war Johann Philipp von Schönborn 1 (1605–1673), Kurfürst, Erzbischof von Mainz (seit 1647), Bischof von Würzburg und Herzog von Franken (seit 1641), Landesherr von Kitzingen. Geboren auf Burg Eschbach im heutigen Laubuseschbach bei Weilmünster im Landkreis Limburg-Weilburg, entstammte er einer Familie, in der beide Konfessionen vertreten waren, die sich vor kurzem noch so erbittert bekriegt hatten. Vielleicht war das einer der Gründe, warum er in den Friedensverhandlungen keine extreme katholische Position vertrat. An seinem Hofe waren auch protestantische Gelehrte wie z. B. Gottfried Wilhelm Leibniz willkommen. Beeindruckt von den Gedanken Friedrich Spees (1591–1635), war Johann Philipp von Schönborn einer der ersten Reichsfürsten, die die Abhaltung von Hexenprozessen auf ihrem Abb. 2: Johann Philipp von Schönborn, Gemälde aus dem Bestand des Städtischen Territorium verboten. Er erhielt später den Beina- Museums Kitzingen (Foto: Gebelein) men „der deutsche Salomo“. Kitzingen selbst hatte bezüglich der Konfessionszugehörigkeit eine besondere Geschichte. 1443 wurde die Stadt an den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach verpfändet. Nach der Reformation wurde die Bevölkerung 1530 protestantisch. Nach der Wiedereinlösung kehrte Kitzingen 1629 zum Bistum Würzburg zurück. Eine Rekatholisierung wurde eingeleitet. Wohl auch, um gerade gebildete und selbstbewusste protestantische Bürger, die er für den Wiederaufbau nach dem dreißigjährigen Krieg dringend brauchte, nicht aus der Stadt zu vertreiben, erließ Johann Philipp von Schönborn 1650 einen „Gnadenbrief“, in dem er auch dem protestantischen Bevölkerungsteil die öffentliche Ausübung ihrer Religion zusicherte und den doppelkonfessionellen Status Kitzingens begründete.
Abb. 1: Prozessfließbild von Glaubers Weinstein-Prozess (Graphik: P. Ullmann)
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Kap. 5 hinauff zu Schiff biß Wertheim (an einen sehr gelegenen Ort in Wein und dergleichen etwas zu thun) gangen/ allda mich niedergeschlagen/ ein gelegen und gut Hauß gemietet/ ein Laboratorium auffgerichtet/ und eines und anders vorgenommen.“ 3
Abb. 3: Georg Martin, Ausschnitt aus der Stadtansicht von Kitzingen 1628, Städtisches Museum Kitzingen (Foto: Gebelein)
Familie Glaubers Ankunft in Kitzingen Dies war das Klima, in das Johann Rudolph Glauber kam, als er 1651 mit seiner Familie von Wertheim aus nach Kitzingen zog. Nach dem Ende des Krieges war er 1650 aus den Niederlanden wieder nach Deutschland gekommen: “Nach deme ich erfahren/ daß zu Münster
ein Allgemeiner Friede in Teutschland beschlossen/ habe ich mich auch darnach gesehnet/ einmahl das geliebte Vatterland wieder zu sehen/ und nach deme ich meine Güter eingepackt/ zusammen gesetzt/ und ein Schiffer sehen lassen/ zu vernehmen/ was sie dafür forderen möchten/ mich mit den Meinigen sampt Mobilien nach Franckfurt zu bringen/ haben sie wol 500 Thaler fordern dörffen/ vorwendende/ sie an etlichen Orten grosse Gefahr wegen einiger Außländischen Besatzung oder Guarnison am Rhein/ als Hamerstein und andern Orten/ außstehen müsten/ auch mich nicht versicheren können/ ohngeplündert oder spolirt hinauff zu bringen. Also habe ich diesen Weg den Rhein hinauff nicht nehmen dörffen/ derohalben einen andern suchen müssen/ nemblich die Weser hinauff da es sicher zu reisen mir vor gewiß gesagt wurde 2/ … von Bremen bin ich zu Schiff nach Cassel/ unnd von Cassel zu Wagen nach Hanau/ unnd den Mayn 96
Zunächst wollte er sich in Wertheim niederlassen, mietete ein Haus, musste es aber nach etwa einem Jahr wieder räumen, weil es verkauft wurde und der neue Eigentümer selbst darin wohnen wollte. Vor nicht allzu langer Zeit konnte Genaueres über dieses Haus herausgefunden werden 4, die heutige Adresse ist Eichelgasse 52. Glauber mietete es 1650 von den Erben des 1644 hingerichteten „Kettenwirtes“ Hans Hotz. Diese verkauften es 1651 an den aus dem Krieg zurückkommenden wohlhabenden Rittmeister Georg Schreck. Kauf- oder Mietverträge sind nicht mehr vorhanden, wohl aber in gerichtlichen Prozeßakten über eine ganz andere Sache die Aussage des Maurers Michael Düber, er habe für den „Goldtmacher“ in diesem Haus einen zusätzlichen Kamin eingebaut und bei seinem Auszug im Juli/ August 1651 wieder abbrechen müssen. Dieses Datum, und nicht 1652, wie in der älteren Glauberliteratur angenommen, ist damit der Zeitpunkt von Glaubers Wegzug von Wertheim und seiner Übersiedlung nach Kitzingen. Es muss für die Kitzinger eine ungewöhnliche Familie gewesen sein: Frau Helena Glauber war gebürtig aus Flensburg, das damals zu Dänemark gehörte, und wird durch ihren ausländischen Akzent aufgefallen sein. Die älteste Tochter Anna war fast 10, ihr Bruder Johannes 5, die Schwester Geertruy 1½, der Jüngste, Alexander, nicht einmal ein Jahr alt. Die älteren Kinder werden wohl eher niederländisch als fränkisch gesprochen haben. Vater Glauber stammte immerhin aus Karlstadt auf der anderen Seite von Würzburg. Katholisch getauft sei er, gibt er zu, aber aufgrund der vielen Reisen und Aufenthalte an fremden Orten habe er sich eher zu einem religiösen Freigeist entwickelt, der die Menschen nicht nach ihrer Kirchenzugehörigkeit, sondern nach ihren Taten beurteilt und ohnehin die größte Offenbarung Gottes in der Natur sieht. Kurz nach seiner Ankunft wird er von katholischen Priestern besucht, die seine Bekenntnistreue testen wollen. Nach einigen Diskussionen lenkt er ein und schreibt später, „nach deme ich dann gesehen/ das kein weiter difficultät zu machen/ noch in
Feindschafft/ oder Religions-Gezänck einzulassen beförderlich/ bin ich in ihre Kirch gangen“. 5 Während die in den Niederlanden geborenen Kinder überwiegend lutherisch getauft sind, wird die 1653 in Kitzingen geborene Tochter Johanna katholisch getauft.
Abb. 4: Taufurkunde von Johanna Glauber in Kitzingen 1653, Stadtarchiv Kitzingen
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Kap. 5 Johann Philipp von Schönborn und die Wirtschaftsförderung Ein kontinuierliches Interesse an Alchemie gab es am Hofe Johann Philipp von Schönborns über Jahrzehnte. Sein Bruder Philipp Erwein von Schönborn (1607–1668) korrespondierte bereits in den 1640er Jahren mit dem Arzt Johann Rapp über chemische Fragen. Glaubers Verbindung zum fürstbischöflichen und kurfürstlichen Hof begann spätestens 1652 mit dem Weinhefe-Privileg (s. u.) und riss auch nach seinem Wegzug nach Amsterdam nicht ab. So wurde er noch 1659 in Amsterdam von Dr. Rapp und Philipp Erwein von Schönborn besucht, der seinem Bruder riet, aufbauend auf Glaubers erfolgreiche Versuche Gold zu gewinnen 6. Glaubers Mitarbeiter aus der Wertheimer und Kitzinger Zeit, Johann Daniel Crafft (1624–1697), der zunächst mit Glauber nach Amsterdam gegangen war, arbeitete von 1661 bis 1673 für Johann Philipp von Schönborn. Der Arzt, Alchemist und Technologe Johann Joachim Becher (1635–1682) war von 1660 bis 1664 bei ihm „Hofmedicus und Mathematicus“. Der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) weilte von 1667 bis 1671 am Mainzer Hof 7. Was brachte Johann Philipp von Schönborn dazu, Naturwissenschaftler und Technologen um sich zu versammeln? Welche Rolle spielte dabei Glauber? Goldmachen zur leichten Gewinnung unermesslichen Reichtums, wie es damals Scharlatane versprachen, konnte nicht das wesentliche Ziel gewesen sein. Da es aufgrund der damaligen naturwissenschaftlichen Anschauungen allerdings prinzipiell für möglich gehalten wurde, war es ganz seriös immerhin ein Ziel unter mehreren. Gemeinsam war den im Kontakt mit dem Hofe stehenden und von ihm protegierten Alchemisten, Technologen und Unternehmern ihr Einsatz für den Kameralismus, die deutsche Ausprägung des Merkantilismus, wodurch das Handwerk zu einer systematisierten, vorindustriellen Form der Produktion weiterentwickelt werden sollte. Johann Philipp von Schönborn betrieb somit eine aktive Wirtschaftsförderungspolitik, die erst recht notwendig war, um den wirtschaftlichen Aufbau des durch den dreißigjährigen Krieg ausgelaugten Deutschland zu fördern. Werner Loibl schreibt dazu in seiner Biographie über Glaubers Mitarbeiter Johann Daniel Crafft:
„Er 8 verwies auf die Lebensläufe von Johann Joachim Becher, Philipp Wilhelm von Hörnigk, Wilhelm von Schröder und Gottfried Wilhelm Leibniz, die alle mit dem Mainzer Hof um Johann Philipp von Schönborn verbunden waren. Seine Argumentation wäre noch überzeugender gewesen, hätte er die Biographien Johann Rudolph Glaubers, Martin Elers’ und Johann Daniel Craffts gekannt und dazu genommen. Alle drei entsprechen ebenso den begrifflichen Voraussetzungen für einen Kameralisten, wie die vorgenannten, sie waren ebenfalls gleichzeitig Merkantilist, Volks- und Privatwirt sowie Politiker. Entscheidend für die spezielle deutsche Ausformung des Merkantilismus ist die herrschaftsbezogene, staatlich ordnende und kontrollierende Wirtschaftspolitik, die nicht vor protektionistischen Maßnahmen zurückschreckt – keiner dieser Theoretiker der Wirtschaftslenkung einer absolutistischen Gesellschaftsordnung wollte und konnte dies übersehen. Doch ... erstaunt das Fehlen von Glauber in der gesamten KameralistikLiteratur und kann nur in dessen übergewichtiger Klassifizierung als früher Chemiker eine Erklärung finden. Doch gerade von ... [ihm] gingen die entscheidenden Impulse
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auf alle Kameralisten aus. Nachweislich geschah dies weniger durch Glaubers Publikationen als vielmehr durch den direkten Kontakt zu Crafft und Becher in den prägenden Epochen ihres Lebens“. 9 Glaubers Arbeitsthemen und Forschungsergebnisse in Kitzingen Glauber war 1651 bis 1654 in Kitzingen in einer intensiven Schaffensperiode. An den Büchern, die im Zusammenhang damit herauskamen, kann man ablesen, womit er sich in dieser Zeit vornehmlich beschäftigte: - Furni Novi Philosophici in lateinischer Sprache, Frankfurt 1652 - Pharmacopoea Spagyrica, Nürnberg 1654 - Opus Minerale in drei Teilen, Frankfurt 1651 - Miraculum Mundi Frankfurt 1653 - Des Teutschlands Wolfahrt oder Prosperitas Germaniae, Amsterdam ab 1656 - Gründliche und wahrhaftige Beschreibung/ Wie man aus der Weinhefe einen guten Weinstein in grosser Menge extrahiren soll, Nürnberg 1654 Zu Glaubers bedeutendsten Werken gehören „Furni Novi Philosophici oder Beschreibung einer New-erfundenen Distillirkunst“ und „Pharmacopoea Spagyrica“. „Furni“ war bereits vor dem Umzug nach Deutschland in deutscher Sprache erschienen und hatte viel Beachtung gefunden. Wohl um die Verbreitung auch in internationalen Gelehrtenkreisen zu fördern, kam 1652 in Frankfurt eine lateinischsprachige Ausgabe heraus. „Pharmacopoea Spagyrica“ ist sein Standardwerk der Arzneimittelherstellung nach der von Paracelsus entwickelten spagyrischen Methode. Hieran muss er auch in Kitzingen noch gearbeitet haben. Das im Jahre seines Umzugs nach Kitzingen in Frankfurt veröffentlichte „Opus Minerale“ beschäftigt sich intensiv mit Metallen in all den Aspekten, die damals von Bedeutung waren: Teil I handelt von der Raffination des Bleis und Antimons sowie von der Herstellung antimonhaltiger Arzneimittel. In Teil II entwickelt Glauber seine eigene Version der damals anerkannten Sulfur-Merkur-Theorie einschließlich seiner Ansichten über die Entstehung der Metalle in der Erde. Teil III schließlich geht auf das eigentliche Goldmachen ein. Nirgends in Glaubers Werk finden sich Angaben zu seinem praktischen Vorgehen auf diesem Gebiet so gehäuft wie hier. In „Glauberus Redivivus“ schreibt er über seine Metallforschungen in Kitzingen, wohl auch nach der Erfahrung in Wertheim, wo er nur der „Goldtmacher“ hieß:
„dieweilen aber zu solcher Metallischen Arbeit (nicht allein wegen deß Absehens/ sondern auch wegen der nachreden willen) man nicht gern jederman darzu kommen lässt/ auch umb Geschnudels unverständiger Mäuler (wann der jene dieses[,] der ander jenes zu sagen pflegt) sich enteussern/ und den Goldmachers Nahmen nicht haben will/ also habe ich ein solch Werck auß der Heffen (pro forma zu thun) vorgenommen gehabt/ und doch gleichwol in Metallicis etwas in Stille thun können“. 10
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Kap. 5 „Miraculum Mundi“ handelt großenteils von den Substanzen Salpeter und Pottasche, wie man sie herstellt und was man alles damit anfangen kann. Es ist als ein frühes kameralistisches Werk anzusehen. Das Buch „Des Teutschlandes Wolfahrt“ erschien zwar erst ab 1656 in Amsterdam, Glauber muss aber schon in der Kitzinger Zeit daran gearbeitet haben. Es ist dasjenige Werk, das am deutlichsten auf Wirtschaftsförderung Bezug nimmt. Briefe seines Mitarbeiters Johann Daniel Crafft werfen dabei ein Licht auf metallurgische Aktivitäten auch im großtechnischen Maßstab. 1653 schickt Glauber Crafft nach Goslar, um dort drei Öfen zu „der hiesigen erz anderweitlicher gutmachung“ 11 zu errichten. Um welches Metall es dabei ging, ist aus diesem Brief Craffts nicht klar ersichtlich. Im Zusammenhang mit der Erfindung eines Milchglases, dessen weiße Trübung durch Knochenasche bewirkt wird, erwähnt Crafft später, er habe in Goslar, um Bleiverluste zu vermeiden, in einem Ofen einen Boden aus Knochenasche gemacht 12. (In spezielle Tiegel, die Kupellen, eingestampfte Knochenasche diente bei der Edelmetallanalytik im Labor zum Aufsaugen von geschmolzenem Bleioxid; s. auch Kap. 12) Damit führt eine Spur zum Zink, einem Begleitmetall in den Goslarer Bleierzen. In „Des Teutschlandts Wolfahrt“ zeigt Glauber eine erstaunlich detaillierte Kenntnis gerade des Goslarer Erzes und des Weges, den das Zink im dortigen Hüttenprozeß nimmt, sodass man annehmen kann, dass diese Informationen mit Craffts Ofenbauarbeiten in Zusammenhang stehen:
„wie zu Goßlar geschicht/ da unter dem Zinck-Erz auch Bley bricht/ und den Nahmen eines Bley-erzes hat/ da doch 4. mahl so viel Zinck in dem Erz ist/ als Bley/ dannoch verbrennen sie den Zinck umb das Bley zu haben/ welches auch etwas Silber führet/ und in dem schmelzen raucht der Zinck nach seiner art als ein flüchtiges und verbrenliches Mineral davon/ und sublimirt sich an die wände des Ofens/ also daß die Schmelzer denselben zum offtern abstossen müssen/ daß der Ofen nicht davon zuwachse und enger werde/ ... Wird also aus unerkäntnus selbigen Erzes Jährlichs ein grosse Quantität Zinckes verbrant und verlohren/ bisweilen samlen die Schmelzer etwas von dem Zinck welcher gar schon ist/ und solte man selbige Erz gar mit besseren nutzen schmelzen/ wann man den Zinck nicht also verbränte/ und im rauch hinweg triebe; dieweilen aber den Menschen die alte gewohnheit übel zu benehmen/ muß mans also gehen lassen/ so aber dasselbige Erz nach gebühr tractiret/ und der Zinck behalten würde/ käme ein viel grösserer nutzen aus als jetzt geschicht“. 13
Der Nutzen bestand darin, dass das Zink in größerer Menge in metallischer Form in Europa gewonnen werden könnte und nicht teuer aus Asien 14 („es wird aber ein grosse Quantität/ Jährlichs aus Ost-India von den Kaufleuten zu uns gebracht“) 15 eingeführt werden müsste. Der bittere Unterton in der Feststellung, dass den Menschen die alte Gewohnheit, das Zink zu verbrennen, statt es als Metall zu gewinnen, übel zu benehmen, d. h. nur schwer auszutreiben sei, deutet darauf hin, dass Glauber, ggf. durch seinen Mitarbeiter Crafft, versucht hat, die Goslarer Hüttenleute von einer Änderung ihres metallurgischen Prozesses zu überzeugen. Auch in der Kupfergewinnung engagiert sich Glauber. Er schlägt vor, niedrighaltige Kupfererze, die im Schmelzofen fast kein Metall erbringen, mit Abfallsäuren auszulaugen und das
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Kupfer durch Einlegen von Eisenschrott in die Lösung abzuscheiden:
„Alle scharffe solvierende Wässer taugen zu dieser Extraction, als Holz- oder KornEßig/ am leichtesten aber Sal comm. (= gewöhnliches Salz) und saure Wein-Hefenwasser/ wovon der Brandwein destillirt ist. Man schüttet nemlich die klein gemahlnen Erze in platte kupferne Kessel ungefehr einer Spannen hoch/ das saure Wasser drüber gossen/ daß es ungefehr einer queeren Hand hoch drüber gehe/ laß kochen/ rühre es ohn Unterlaß mit einem Rühr-Holz wohl untereinander 1. ad 2. Stunden lang/ biß das Wasser hochgrün worden/ lasse es ablauffen/ giesse ein neues auf/ u. s. f. biß alles extrahirt. Wann man nun dieser sehr saturirten Wasser ein gut Theil hat/ legt man 2. Tage und Nächte alt Eisen hinein/ so praecipitiert (= fällt) sich das Kupfer dran/ und das Wasser wird klar und weiß“ 16. Dieses Verfahren wurde offensichtlich auch an realen Gesteinsproben praktiziert. In „Des Teutschlandes Wohlfahrt, Dritter Theil“ schreibt er:
„Mit Eßig habe ich auf dem Haßberg gegen Köningshofen aus dem armen Kupfererzt/ welches/ wegen Mangels des Schwefelkieses/ sintemal es nur in einem grauen Sandstein stehet/ unflüßig ist/ 12. biß 16. Pfund Kupfer aus dem Center (= Zentner) gezogen/ da man im Schmelzen kaum 4 Pfund ausbringt. Mit Holz-Essig könnte es nützlich gethan werden“. 17 Aus dem erwähnten Brief von Philipp Erwein von Schönborn aus dem Jahre 1659 wissen wir, dass Glaubers Besucher Proben grüner Kupfer-Oxidationserze aus dem Spessart für Versuche nach Amsterdam mitgebracht hatten:
„so hatt er auch ingleichem, wie auß den armen kupffer ertzen das kupffer kann ausgelaugt werden, in einer würcklichen prob mitt ettwass Spessarter grühnen kupffer glimmers, darauss durch schmeltzen nichts herauss zu pringen undt ich mitt herunder genomme gezeigt, ich hoff dises solle sich practiciren lassen, ist ein leichte undt gewisse prob“. 18
Es ist heute nicht mehr nachzuvollziehen, aus welchem Bergwerk oder auch Tagebau im Spessart die Probe stammte. Wahrscheinlich ist die Herkunft aus dem Kupferschiefer-Bergbau 19, etwa bei den Ortschaften Bieber, Sailauf, Laufach, Hailer, Geislitz oder
Abb. 5: Ausblühungen sekundärer Kupfermineralien, Tagebauwand beim Besucherbergwerk Grube Wilhelmine in Sommerkahl um 1980 ( Foto Joachim Lorenz, Karlstein)
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Kap. 5 Sommerkahl. Kräftig grüne sekundäre Kupfererze, die auf den ersten Blick viel mehr Metall vortäuschen, als in ihnen enthalten ist, sind heute noch z. B. in der Umgebung des Besucherbergwerks Grube Wilhelmine 20 in Sommerkahl im Spessart zu bewundern. Das Bergwerk existierte in dieser Form zu Glaubers Zeit jedoch noch nicht.1885 gab es dort Bestrebungen, aus den Armerzen Kupfer durch ein Laugungsverfahren wie von Glauber beschrieben zu gewinnen. 21 In „Miraculum Mundi“ wie in „Des Teutschlandes Wohlfahrt“ geht Glauber auf die Salpeterherstellung ein. Dies geschah nach einem aufwendigen biotechnologischen Verfahren, das vor Glauber schon von Lazarus Ercker beschrieben worden war. 22 Glauber zitiert wörtlich Lazarus Ercker, führt aber auch eigene Verbesserungen an: „Rec. (= nimm) zerfallenen Stein-Kalch (= Kalk) und Holz-Asche ana (= zu gleichen Teilen), kurzen Vieh-Mist 2 p. (= Teile), mische es in einem hölzernen Trog mit Urin an/
so dick/ als möglich. Darnach mache ein Gewölb von Brettern/ 3. ad 6. Schuh breit und hoch/ und 12. Schuhe lang. Dieses überziehe mit obiger Mixtur einer queeren Hand dick über und über/ gleichwie man sonsten mit Steinen über hölzerne Gerüst Gewölber auffzusetzen pfleget. Wann alles wohl verrichtet/ solle man unter das Gewölb erstlich ein klein Feuerlein machen/ auf daß das Gerüst nicht alsobald angehen und verbrennen/ sondern solange stehen bleiben möge/ biß der Überzug von der Mixtur ganz trocken/ alsdann solle man wieder eine queere Hand hoch Mixtur auf die erste schlagen/ so wird diese die Feuchtigkeit bald an sich ziehen/ und die neue trocken werden/ dann wieder so drauf geschlagen/ biß endlich das Gewölb 1. oder 2. Fuß dick worden/ dann kann man das hölzerne Gerüst immer weg brennen/ so ist das Gewölb fertig/ Salpeter in copia (= Menge) drauf Abb. 6: Salpetermieten nach Lazarus Ercker, Beschreibung allerfürnezu machen. ... Es ist auch misten mineralischen Erzt- und Bergwercksarten... , Frankfurt 1629, S. 133/2 (Bild: SLUB online unter: http://digital.slub-dresden.de/ppbesser/ wann die Gewölber n26446415X)
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lang und schmal seynd/ und man das Feuer an einem Ort untermacht/ so ziehet sich die Hitze fein durch/ und erhält das Gewölb in steter Wärme. Wanns nun durchaus wohl trocken/ muß es wieder mit animalischen Urin befeuchtet werden ... Dieses Begiessen mit Urin und Wiedertrocknen continuiert man so lange/ biß das Gewölb nichts mehr anziehen will/ so etwan in 4. ad 6. Wochen geschiehet: dann solle man an unterschiedlichen Orten des Gewölbs ein Stücklein abschlagen/ pulverisiren/ mit Wasser auslaugen/ filtriren/ ad cuticul. evaporiren (= eindampfen, bis die Lösung ein kristallines Häutchen bildet)/ schiessen (= kristallisieren) und trocken werden
lassen/ auf einer glühenden Kohlen probiren/ wann es nun brennet/ so zerschlägt man das ganze Gewölb/ mahlt es klein/ lauget es aus/ läßts an einem kalten Ort schiessen“. 23
Abb. 7: Läuterung des Salpeters durch Kristallisation nach Lazarus Ercker, Beschreibung allerfürnemisten mineralischen Erztund Bergwercksarten... , Frankfurt 1629, S. 130/1 (Bild: SLUB online unter: http://digital.slub-dresden.de/ppn26446415X)
Schließlich sei, als die Schrift, die mit Glaubers Schicksal in Kitzingen am stärksten verbunden ist, das Buch über die manufakturmäßige Herstellung von Weinstein aus Weinhefen nicht vergessen (s. Abb. auf S. 13). Der darin beschriebene Prozess hat wesentlich Glaubers Ruhm als Vater der technischen Chemie begründet, denn er enthält schon die wesentlichen Kennzeichen eines heutigen Produktionsprozesses in der chemischen Industrie: die Kreislaufführung und die Vermeidung von Abfällen durch Umwandlung in verkaufsfähige Nebenprodukte. Gereinigter Weinstein wurde durch Glühen in reine Pottasche verwandelt. Diese wiederum war nicht nur das im alchemistischen Labor allgemein einsetzbare Alkali, eine Grundchemikalie wie heute Soda und Natronlauge, sondern aufgrund seiner Reinheit geeignet zum Erschmelzen von farblosen Gläsern, die in der Qualität über das ansonsten verbreitete Waldglas hinausgingen. Glauber hatte die Weinsteinproduktion als öffentlich sichtbare Tätigkeit geplant, um im Verborgenen an der „Verbesserung der Metalle“ arbeiten zu können. Dazu hatte er sich 1652 von Johann Philipp von Schönborn ein auf drei Jahre befris-
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Kap. 5 tetes Privileg, eine Art Vorkaufsrecht, erteilen lassen. Mit den Auswirkungen seiner dadurch gewonnenen Monopolstellung auf die Kitzinger Gesellschaft hatte er jedoch offensichtlich nicht gerechnet. Er schreibt in „Glauberus Redivivus:
„… mein Laboratorium auffgericht/ unnd mit ernst einige nutzliche Inventiones werckstellig zu machen/ darunter auch gewesen den Wein auß der Heffen zu pressen/ zu Essig zu machen/ und auß dem rest den Weinstein in mengte zu ziehen vorgenommen/ dieweilen das Werck weitläufftig/ und ich solches nicht lang geheimb halten können/ und besorgen müssen/ dass es andere bald auch thun möchten/ habe ich gut eracht zu seyn ein Privilegium, daß es niemand neben mir thun möchte/ zu wegen zu bringen/ und bey Ihr Churfürstl. Gnad. zu Maynz/ als Bischoffen zu Würzburg/ und Regierenden Herzogen in Francken/ unterthänigst darumb angesucht/ mit welchem Sie mir dann alsobalden willfahrt/ und ein solches Privilegium gnädigst ertheilt/ darauff ich angefangen die Pressen, Kessel unnd andere nottürftige Instrumenten machen zu lassen/ da ich aber vermeynt/ die Heffen in grosser mengte zu bekommen/ haben sich die Küyffer/ welche sonsten selbige zu Brantenwein zu brennen im gebrauch gehabt/ darwider gelegt/ und nicht leiden wollen/ daß jemand anders solche einkauffen/ und zu anderm Gebrauch anwenden möchte/ sich berathschlaget und beschlossen/ solches mit gewalt zu wehren/ weilen ich dann gesehen/ daß ich leichtlich mit einem hauffen trunckenen Pölzen in action kommen möchte/ habe den Nutzen/ so ich davon haben können/ hindan gesetzt/ und lieber solchen entrathen/ Abb. 8: Titelblatt des Buches „Gründliche und warhafftige Beschreibung / Wie man auß der als in Gefahr geniessen wollen“ 24 Weinhefen einen guten Weinstein in grosser Menge extrahiren soll.“ (Bild: SLUB online unter: http://digital.slub-dresden.de/ppn278880533)
Dieser Aufruhr gegen ihn hat ihn nach eigenen Angaben veranlasst, Kitzingen zu verlassen und wieder nach Amsterdam zu ziehen. Nach erhaltenen Briefen von Johann Daniel Crafft 25 war der Kurfürst mit diesem Wegzug nicht einverstanden. Nach einigen Jahren der Protegierung erwartete er zumindest ein Arbeitsergebnis in greifbarer, das heißt auch für andere praktizierbarer Form. Dieses erhielt er in Gestalt des Buches über die Weinsteinproduktion 26, das eine umfangreiche Widmung an Johann Philipp von Schönborn enthält.
Weggefährten Im Folgenden werden einige Menschen charakterisiert, die auf die eine oder andere Weise mit Glaubers Kitzinger Zeit verbunden sind und die auch voneinander wussten. Johann Daniel Crafft (1624–1697) wurde in Wertheim geboren, war 20 Jahre jünger als Glauber und hatte ein abgebrochenes Medizinstudium in Jena hinter sich, als er möglicherweise schon in dessen Wertheimer Zeit um 1650/51 zu Glauber stieß. Werner Loibl hat über ihn eine ausführliche Biographie 26 vorgelegt. Glauber erwähnt ihn in seinen Schriften nicht, über das Verhältnis der beiden wissen wir überwiegend aus Craffts eigenen Zeugnissen. Es muss eine gute Zusammenarbeit gewesen sein, er zog sogar mit ihm von Kitzingen weg nach Amsterdam und trat nach Glaubers plötzlichem Abschied aus Kitzingen gegenüber Johann Philipp von Schönborn als Vermittler auf 27. Ab 1661, nach der krankheitsbedingten Auflösung von Glaubers großem Labor in Amsterdam, arbeitete er bis 1673 für Johann Philipp von Schönborn als Hofalchemist und Technologieberater. Crafft hat sich zeitlebens positiv über Glauber geäußert 28. Glauber schickte ihn auch auf Einsätze in andere Fürstentümer, um dort neuartige Öfen zur Metallgewinnung zu bauen, so z. B. 1653 nach Goslar. Noch 1691 berichtet Crafft in einem Brief, er wolle nach Goslar, um zu sehen, ob sein Ofen noch stehe. 29 Christoph/ Christof Fahrner/Farner (1616–1683/1688) kam in Kitzingen als Mitarbeiter zu Glauber. Er war Schulmeister in Löchgau und „Speyrischen Domstifts Schaffner“, also Gutsverwalter. Zwischen ihm und Glauber entwickelte sich zunächst eine enge Freundschaft, die aber nach wenigen Jahren in heftige Abneigung umschlug. Beide haben ihre Auseinandersetzung öffentlich ausgetragen, wenn auch nicht gerichtlich. Glauber hat gegen ihn drei Schmähschriften publiziert: „Apologia oder Verthaidigung gegen Christoff Farners Lügen und Ehrabschneidungen“, Frankfurt 1655; „Glauberus Redivivus; das ist: Der von Falschen Gifftigen Zungen ermordte / und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene / nun aber durch Hülff und Zeugnuss der Wahrheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber: Oder Klarer Beweis/ dass Christoff Farners/ Speyrischen Dohm-Stiffts Schaffners / falschgenandte Apologia nichts anders / als lauter / aus Neid und Hass erdichte Lügen seyen“, Frankfurt 1656; „Testimonium Veritatis“, Amsterdam 1657. Diese Streitschriften sind für die Glauber-Forschung die wichtigste Quelle für autobiographische Angaben. Glauber wirft Fahrner vor allem vor, vertrauliche Produktionsvorschriften auf eigene Rechnung verkauft und bei anderen Rezepturen behauptet zu haben, sie funktionierten nicht, dabei läge es nur an seiner eigenen experimentellen Unfähigkeit. 30 Glauber blieb jahrelang verbittert, noch 1660 in Amsterdam vergleicht er ihn mit giftigen und stinkenden Substanzen:
„O Farner und Hartprecht, wie werdet ihr einmal mit eurem bösen gifftigen Anhang dem flüchtigen Kobolt Erz/ Arsenico und Ratten-kraut/ so ihr nicht vom bösen abstehet/ und busse thut/ vor dem Richter-stuhl Gottes/ unnd aller Welt so schwarz und finster bestehen/ ja schwarzer als ein stinckende Stein-Kohlen“. 31 Fahrner hat der Skandal um die Trennung von Glauber wohl eher genützt, wurde er doch
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Kap. 5 dadurch bekannt als derjenige, der ebenfalls über Glaubers Laborgeheimnisse Bescheid wusste. 1679 erwähnt Johann Daniel Crafft, dass Fahrner bei Johann Joachim Becher als Laborant arbeite. Johann Joachim Becher (1635–1682) ist bekannt als ein bedeutender Alchemist, Technologe und Kameralist der Generation nach Glauber. Zu Glaubers Kitzinger Zeit war er weniger als 20 Jahre alt. Der erste Kontakt der beiden erfolgte erst danach, im Januar 1660, als Johann Philipp von Schönborn Becher nach Amsterdam zu Glauber schickte. Im Juni 1660, wenige Monate nach seiner Rückkehr, ernannte er ihn bereits zum „Hofmedicus und Mathematicus“. Vorbereitet wurde diese Reise durch einen Besuch von Johann Erwein von Schönborn, des Bruders des Kurfürsten. Er war 1659 in Begleitung des Arztes Dr. Rapp bei Glauber in Amsterdam,
„gründtlich zu hören, was der Glauber vor wissenschafft hat ... Ehr hatt uns auch wie er die sandigte fellder zu düngen vermeint gezeigt undt einen process wie ehr mitt grossem nutzen durch vermischung zins antimony kupffer undt bleyhs, silber und gollt heraus scheiden will, wann es in allen proben tuht wie er uns gezeigt hatt, wehre es nicht zu verwerffen ... er vermeint man sollte yemandt schicken so es mitt allen handtgriffen recht bey ihm lehrnen mögte. Ist hernacher wann es mitt nuttzen zu werck gestellt wirdt einer discretion gewertig“. 32
Wenige Monate später wurde dieser Vorschlag in die Tat umgesetzt und der 24jährige, noch nicht zum Medizinstudium eingeschriebene Becher zu dem 55- oder 56jährigen Glauber nach Amsterdam geschickt. Auch 1664, nun im Dienst des Kurfürsten von Bayern, soll er noch einmal bei Glauber in Amsterdam gewesen sein. Ein Jahr nach seinem ersten Besuch, 1661, publizierte er unter dem Pseudonym Antiglauberus und dem Anagramm „Hai soo muß ich ja berechnen“ = „Johann Joachim Becher sueß“ das Buch „Glauberus Refutatus ...“ 33, in dem er Glauber in dessen eigenen Werken Irrtümer nachzuweisen versucht. So macht er sich lustig über Glaubers – heute immer noch praktiziertes – Verfahren der Kessellaugung von armen Kupfererzen mit Säuren: Die benötigten Chemikalien seien ja teurer als das gewinnbare Kupfer! Deutlich wird, dass er sich bei dieser Behauptung nicht auf eigene Laborpraxis, sondern auf eine grobe Überschlagsrechnung vom Schreibtisch aus stützt. Immerhin musste er für die Fehlersuche eine ganze Reihe von Glaubers Büchern durcharbeiten und wird trotz allem viel dabei gelernt haben. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) schreibt über Becher:
„Ich der D. Bechern gar wohl gekennet, und zum öfftern mit ihm conversiret, weis alzuwohl, daß seine worthe ganz kein Evangelium gewesen, und dass es ihm an gründtlicher Wißenschafft in denen Dingen so er ausgeben, offt sehr ermangelt ... Wenn er aber in den schrancken blieben wäre, und sich der geziemenden bescheidenheit und aufrichtigkeit gebrauchet hätte, so hätte er viel Nützliches richten können.“ 34 Und an einer anderen Stelle:
„Ich habe über ihn von Leuten, denen er nur aus seinen Schriften bekannt ist, die entgegengesetzten Urteile erfahren. Diejenigen, welche seine weit und breit bekannten
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Schwindeleien recht wohl kennen, legen auf nichts von ihm Wert, andere dagegen halten ihn für einen großen Philosophen und beinahe für einen Adepten.“ 35 Johann Daniel Crafft, Glaubers Mitarbeiter bis 1661, arbeitete mit Becher offensichtlich immer wieder vertrauensvoll zusammen, kam aber am Ende zu einem ähnlichen Urteil wie Leibniz. Becher war bekannt für seine Abneigung gegenüber Laborarbeit, während Glauber stolz darauf war, „selbst die Hand in die Kolen zu stecken“. So profitierte Becher, ohne je Mitarbeiter von Glauber gewesen zu sein, von dessen theoretischen und praktischen Kenntnissen auf dreifache Weise: durch seine Bücher, durch persönliche Gespräche und durch die Laborerfahrung von Glaubers ehemaligem Mitarbeiter Fahrner, der später Bechers Laborant war.
Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Redivivus; Das ist: Der von falschen und Gifftigen Zungen ermordte/ und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene/ nun aber durch Hülff und Zeugnuß der Warheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber …, Frankfurt 1656, S. 70
3
ebd., S. 72
4
Langguth, Erich, Johann Rudolph Glauber weilte 1650/51 in Wertheim, in: WertheimJb Jg. 1997, S. 47-54
5
Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Redivivus; Das ist: Der von falschen und Gifftigen Zungen ermordte/ und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene/ nun aber durch Hülff und Zeugnuß der Warheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber …, Frankfurt 1656, S. 79/ 80
6
Brief im Staatsarchiv Würzburg: 30. September 1659, StAWÜ Korr. JP 2779
Wiedeburg, Paul, Der junge Leibniz. Das Reich und Europa, Teil I Mainz (Darstellungs- und Anmerkungsband), Wiesbaden/ Frankfurt 1962
9
Loibl, Werner: Johann Daniel Crafft (geb. Wertheim 1624 – gest. Amsterdam 1697). Ein Chemiker, Kameralist und Unternehmer des 17. Jahrhunderts, in: WertheimJb Jg. 1997, S. 55-251; hier: S. 62
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Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Redivivus; Das ist: Der von falschen und Gifftigen Zungen ermordte/ und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene/ nun aber durch Hülff und Zeugnuß der Warheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber …, Frankfurt 1656, S. 75
11
Loibl, Werner: Johann Daniel Crafft (geb. Wertheim 1624 – gest. Amsterdam 1697). Ein Chemiker, Kameralist und Unternehmer des 17. Jahrhunderts, in: WertheimJb Jg. 1997, S. 55–251; hier: S. 101, Originaldokument: 7. (17.) August 1653, StAWü Korr. JP 2003
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ebd., S. 141
13
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Band II, Frankfurt am Main 1659, S. 402/ 403, zugänglich z. B als Reprint Hildesheim 2004
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Zink hat einen Siedepunkt von 907 °C, liegt bei Temperaturen, bei denen andere Metalle flüssig sind, bereits gasförmig vor und kann mit dem Abgas den Ofen verlassen oder bei Luftzutritt zum Oxid
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Kap. 5 verbrennen, daher die beschriebenen dicken Zinkoxidablagerungen in den Rauchfängen der Goslarer Hütten. Die Besonderheit der Zinkgewinnung liegt darin, die Zinkdämpfe zum flüssigen bzw. festen Metall abzukühlen und währenddessen einen Kontakt mit Sauerstoff zu vermeiden. Dies hat Glauber richtig erkannt. Die Technologie der Zinkgewinnung wurde in Indien und China offensichtlich viel früher beherrscht als in Europa, siehe z. B. Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, Band 19, München 1969, S. 38/ 39 oder Schönnenbeck, M., Neumann, F.: Geschichte des Zink, seine Herstellung und seine Anwendung, online unter: http://www.rheinzink.de/media/ Geschichte_des_Zink.pdf 15
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Band II, Frankfurt am Main 1659, S. 402
16
Glauber, Johann Rudolph, Des Teutschlandes Wohlfahrt, Fünffter Theil, Cap. VII., in: Glauber, Johann Rudolph: Glauberus Concentratus oder Kern der Glauberischen Schrifften, Leipzig und Breßlau 1715, S. 492/493
17
Glauber, Johann Rudolph, Des Teutschlandes Wohlfahrt, Dritter Theil, Cap. IX, ebd. S. 449
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Brief vom 30. September 1659, Staatsarchiv Würzburg, StAWü Korr JP 2779
Härche, R.: Bericht ... über einen Kupfer- Erzgruben- Complex om Spessart- Gebirge bei Laufach und Hösbach, Düsseldorf 1885, zitiert bei: Lorenz, Joachim, Spessartsteine, Mitt. Naturwiss. Mus. Aschaffenburg 25 (Sonderband): 1–912, Aschaffenburg 2010, S. 721
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Ercker, Lazarus: Beschreibung allerfürnemisten mineralischen Erzt- und Bergwercksarten... , Frankfurt 1629, S. 125–134
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Glauber, Johann Rudolph, Des Teutschlandes Wohlfahrt, Dritter Theil, Cap. II., in: Glauber, Johann Rudolph: Glauberus Concentratus oder Kern der Glauberischen Schrifften, Leipzig und Breßlau 1715, S. 421/422
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Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Redivivus; Das ist: Der von falschen und Gifftigen Zungen ermordte/ und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene/ nun aber durch Hülff und Zeugnuß der Warheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber …, Frankfurt 1656, S. 73/ 74
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Loibl, Werner: Johann Daniel Crafft (geb. Wertheim 1624 – gest. Amsterdam 1697). Ein Chemiker, Kameralist und Unternehmer des 17. Jahrhunderts, in: WertheimJb Jg. 1997, S. 55–251, hier: S. 65/66
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Glauber, Johann Rudolph: Gründliche und warhafftige Beschreibung/ Wie man auß der Weinhefen einen guten Weinstein in grosser Menge extrahiren soll, Nürnberg 1654
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Loibl, Werner: Johann Daniel Crafft (geb. Wertheim 1624 – gest. Amsterdam 1697). Ein Chemiker, Kameralist und Unternehmer des 17. Jahrhunderts, in: WertheimJb Jg. 1997, S. 55–251
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ebd., S. 240/241
29
ebd., S. 67
30
ebd., S. 103/104
31
Glauber, Johann Rudolph, Apologia Oder Verthaidigung/ Gegen Christoff Farners Lügen und Ehrabschneidung, Frankfurt 1655
32
Glauber, Johann Rudolph, Johannis Rudolphi Glauberi Reicher Schatz- und Sammelkasten Oder Appendix Generalis, 1. Centurie, Amsterdam 1660, S. 120
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Brief vom 30. September 1659, Staatsarchiv Würzburg, StAWü Korr JP 2779
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Becher, Johann Joachim = Antiglauberus, Glauberus Refutatus Sev Glauberianarum Sophisticationum Centuria Prima, Eiusdem inutilium Processuum Centuriæ Primæ Opposita. Daß ist: Ein Hundert Lugen : oder Ohnnützliche/ Verführerische/ Betriegliche Chimische Proceß Auß Glaubers/ selbst eigenen Schrifften zur Wiederlegung jhres Autoris vnnd Erhaltung der Wahrheit an Tag gegeben. / Durch Antiglauberum 1661
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Loibl, Werner: Johann Daniel Crafft (geb. Wertheim 1624 – gest. Amsterdam 1697). Ein Chemiker, Kameralist und Unternehmer des 17. Jahrhunderts, in: WertheimJb Jg. 1997, S. 74
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ebd. S. 74
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Kap. 6 Glaubers Labor in Kitzingen, Verkauf und Wegzug Rainer Werthmann
Datenlage und Folgerungen Über den Erwerb von Immobilien in Kitzingen schreibt Glauber:
„…und in das Stifft Würzburg (darunter ich erzogen und gebohren) mich wieder zu begeben/ von vornehmen Personen gerahten/ und die Statt Kitzingen/ als auch ein gar gelegener Orth mit Weine zu handlen mir vorgeschlagen; bin ich dahin gereist/ den Orth zu besehen/ welcher mir dann auch wol gefallen/ und allda ein sehr gut und gelegen Hauß/ allein und frey stehend/ auff einem lustigen Orth/ mit schönen Gärten und guter Lufft und Wasser versehen/ weilen es von Steinen auffgebawet/ ins gemein das Schlößlein genant/ unnd sehr bequem zu laboriren, von einem Kriegs-Obristen unnd Amptmann an mich erkaufft/ unnd pahr bezahlet“. 1 Im Kitzinger Steuerbuch von 1651 2 ist Glauber noch nicht eingetragen, im Steuerbuch von 1653/56 3 heißt es, dass „Wolffgang Klauber“ Eigentümer zweier Häuser in Kitzingen sei, „ein behausung dass schlößlein gnant am Vogelßberg“ im Steuerwert von 550 Gulden und „ein hauß an der Fischers gassen sambt dem garten“, Steuerwert 165 Gulden, zusammen 715 Gulden. Das Schlösslein ist leider heute nicht mehr erhalten, selbst der Nachfolgebau wurde nach dem 2. Weltkrieg abgerissen.
Abb. 1: „Das Schlößlein ahm Vogelsberg“ mit Nebengebäuden auf der Stadtansicht von 1628, Städtisches Museum Kitzingen (Foto: Heinz Vetter)
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Die ungefähren Abmessungen des Schlösschens im Bauzustand um 1650 können jedoch aus jüngeren Plänen rekonstruiert werden. Außerdem ist das Gebäude samt seiner Umgebung auf der Stadtansicht von Georg Martin aus dem Jahre 1628 abgebildet. Was für Räume brauchte nun Glauber, um „sehr bequem zu laboriren“, einschließlich der Herstellung seiner eigenen Grundchemikalien? Dazu muss man bedenken, dass die Küche als Ort, an dem man mit Feuer arbeitet, die Urform des Labors ist. Aus Glaubers Arbeiten lässt sich ein MinimalRaumprogramm ableiten, das auch in Kitzingen verwirklicht gewesen sein muss: - eine ehemalige Waschküche als „Groblabor“ mit Kaminanschluss und einem heizbaren Waschkessel für die Produktion größerer Mengen von Ausgangsstoffen wie Weinstein, Eisenvitriol, Pottasche, Salpeter, ggf. mit einem weiteren größeren Ofen für die Destillation von Salzsäure, Schwefelsäure, Weinbrand, z. B. in der Art des in „Furni Novi Philosophici“ veröffentlichten „Ofen II“ 4 - ein kühler Raum für die Aufstellung von Kristallisationsbottichen, z. B. für Salpeter (vergl. die Abbildung aus dem Buch von Lazarus Ercker in Kap. 5), Pottasche, Eisenvitriol, idealerweise neben der „Waschküche“ - eine ehemalige Küche als „Hauptlabor“ mit Kaminanschluß für vielerlei in kleineren Öfen durchzuführende Reaktionen; dies dürfte der eigentliche Forschungsraum gewesen sein - ein sauberer Raum für feinere Arbeiten wie Edelmetallanalytik und Arzneimittelherstellung und als Wägeraum, idealerweise neben der „Küche“.
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Kap. 6 Hinzu kamen Nebenräume wie: - Lagerräume für Holz, Rohmaterialien (etwa Erze und Schlacken im Zentnermaßstab), feste und flüssige Fertigprodukte - eine Werkstatt zum Herstellen bzw. Reparieren von Apparaturen: etwa für Ofenbau (Glaubers Mitarbeiter J. D. Crafft und auch C. Fahrner sollen darin große Fachleute gewesen sein), oder Formung von Schmelztiegeln (Glauber schreibt, er habe praktisch alle verwendeten Schmelztiegel selbst hergestellt, und beschreibt auch Arbeitsgänge sowie Forschungen zur Qualitätsverbesserung) etc. - Lagerkeller für die Getränke, mit denen er handelte - in der Nähe des Hauptlabors eine Bibliothek. Für einige Produktionen benötigte man ein Freigelände: - Salpeterherstellung nach biotechnologischem Verfahren durch Umsetzung von Mist und Jauche mit Kalk in im Freien aufgestellten Salpetermieten - Essigproduktion durch kontrollierte Essiggärung von Wein in mit Trestern gefüllten Fässern mit gelochtem Zwischenboden - Eisenvitriolproduktion durch kontrolliertes Verwitternlassen und anschließendes Auskochen von Markasitknollen: „Lege dieses Erz in Stücken voneinander geschlagen/
Mit etwas Phantasie kann man sich vorstellen, dass zu Glaubers Zeit im Garten Salpetermieten standen, wie auf dem Bild aus Lazarus Ercker in Kap. 5 dargestellt, die regelmäßig mit Jauche begossen werden mussten. Das Nebengebäude mit ebenerdigem Eingang links neben dem Schlößlein könnte als Groblabor gedient haben, in dem schubkarrenweise die kompostierte Dung- KalkMischung im Waschkessel ausgelaugt und die Lösung eingedampft wurde. In diesem Gebäude kann man sich auch Glaubers Weinhefeverarbeitung vorstellen, mit der Mostpresse zum Abtrennen des Fassschlammes von dem zur Essigbereitung verwendeten Wein sowie der Destille zur Herstellung von Hefeschnaps und Weinaromakonzentrat. In einem kühlen Nachbarraum müssten dann die Kristallisierbottiche für Salpeter, Weinstein, Vitriol und Alaun gestanden haben.
Abb. 2: Das Schlößlein am Vogelsberg, Grundriß um ca. 1650, das Deusterschloss und die heutige Umgebung der D.-Paul-Eber-Schule im heutigen Stadtplan Kitzingens (Graphik: F. Bier)
ein Zeitlang an eine kühle Lufft/ so wird es innerhalb von 20. oder 30 Tagen auß der Lufft/ magnetischer Weise/ eine sonderbahre gesalzene Feuchtigkeit zu sich ziehen/ und wird schwer davon/ endlich zerfallet es zu einem schwarzen Pulver/ welches noch so lang muß ligen bleiben/ bis es weißlecht wird...“ 5
Genau diese Räume erwähnt auch der zwei Generationen ältere Arzt, Naturforscher und Schulleiter Andreas Libavius (1555–1616) in seinem Plan eines idealen Laboratoriums. Kein Wunder, denn er hatte dieselben Arbeiten zu verrichten: - das chemische Laboratorium = „Hauptlabor“ - Präparierraum = „Groblabor“ - Kristallisierraum (Coagulatorium) - Vorratsräume für das Labor - Probierkabinett = analytisches Labor Hinzu kamen noch: - ein Geheimlaboratorium mit Wendeltreppe zum Studierzimmer - eine Chemische Apotheke; Beide waren gewiss nützlich, wenn auch nicht immer erforderlich. Daneben erwähnt Libavius viele Räume, die nur einen indirekten Bezug zur Laborarbeit haben und das Gebäude in der Tat luxuriös erscheinen lassen, wie Speisekammer, Obstkammer, Badezimmer, Abort, Gemüsekeller und Weinkeller, daneben Laborantenschlaf- und Aufenthaltsräume sowie die regelrechten Wohnräume des Alchemisten. Immerhin hält auch er ein Freigelände für erforderlich als „Plats für die Salpeter-, Alaun- und Vitriolgewinnung“.
Kap. 6 Glaubers Familie umfasste zur Kitzinger Zeit um die 8 Personen, dazu kamen wohl noch einige Hausangestellte und Laboranten. Beim Umzug von Frankfurt nach Köln, ein Jahr nach dem Wegzug von Kitzingen, umfasste Glaubers Hausstand nach seinen Angaben insgesamt 15 Personen. Für alle diese Menschen muss auch zum Wohnen genug Platz gewesen sein, so dass das Schlösslein in Kitzingen wohl auch als Wohnhaus benutzt wurde. Von Frankfurt aus verkaufte Glauber seine Liegenschaften in Kitzingen. Käufer war der fränkische Landesherr, Kurfürst von Mainz und Fürstbischof von Würzburg, Johann Philipp von Schönborn, dem auch die Schrift über die Weinhefe gewidmet ist. Der Verkaufsbrief ist im Staatsarchiv Würzburg aufbewahrt. Anhand der genauen Angaben darin und im Vergleich mit den Kitzinger Steuerbüchern konnten Glaubers Besitzungen in Kitzingen eindeutig identifiziert werden.
Glaubers Siegel Abb. 5: Glaubers Siegelabdruck auf dem Brief vom 6. März 1658 an Otho Sperling in Hamburg, königliche Bibliothek Kopenhagen, ms. GKS 1110 2°
Ein wichtiges Detail des erwähnten Verkaufsvertrages ist Glaubers Siegel mit alchemistischen Symbolen. Es wurde 1956 von Brod 6 erstmals publiziert. Schwenk 7 interpretiert es ausgehend von der Darstellung bei Brod, allerdings gibt er einigen der Zeichen Bedeutun-
Abb. 6: Glaubers Siegelabdruck mit ausgebrochener Stelle auf dem Vertrag zum Verkauf seiner Liegenschaften in Kitzingen (Foto: Staatsarchiv Würzburg 124/166)
gen, die Glauber nirgends in seinen Büchern benutzt. Von diesem Siegel ist bisher nur dieser eine Abdruck bekannt. Andere Briefe wie z. B. der vom 6. März 1658 aus dem Briefwechsel mit Otho Sperling 8, tragen den Abdruck eines wesentlich schmuckloseren Siegels, das nur das Monogramm JRG enthält, umgeben von drei Sternen. Der Original-Siegelabdruck auf dem Verkaufsvertrag hat etwas rechts von der Mitte im Siegellack eine ausgebrochene Stelle. Brod schreibt dazu: „Das Zeichen unterhalb des Signums Mars ist ausgebrochen“, markiert jedoch in der Umzeichnung die Stelle nicht, sodass bei oberflächlicher Betrachtung der Eindruck entstehen könnte, dort habe überhaupt kein Zeichen existiert. Die genauere Untersuchung des Originals zeigt in der unmittelbaren Umgebung der Stelle unterbrochene Linien, die etwa die Hälfte des Zeichens für Saturn = Blei ergeben und zu diesem zwanglos ergänzt werden können. Da gerade Blei eine besondere Bedeutung als „Waschwasser des Goldes“ hatte und Glauber dies in seinem Buch Opus Minerale Teil III umfassend behandelt (s. Kap. 12), liegt dies auch inhaltlich nahe. Alle anderen „Planetenmetalle“ kommen auf dem Siegel bereits vor. Deutlich sichtbar sind die Zeichen für Venus (Kupfer), Mars (Eisen) und Jupiter (Zinn), weitere sind versteckt dargestellt. Das Zeichen für Mond (Silber) befindet sich unter dem Kreis, um 90° gedreht. Der Kreis im Zentrum kann als das Symbol für Sonne (Gold) interpretiert werden; der zugehörige Punkt in der Mitte wäre dann durch das R von JRG verdeckt. Kreis, Kreuz und Halbmond zusammen ergeben ein auf dem Kopf stehendes Zeichen für Merkur (Quecksilber). Dieses ist das größte auf dem Siegel. Merkur steht für der Verwandlung damit die gesamte Alchemie als Wissenschaft von der Umwandlung der Stoffe. Zwei weitere Symbole lassen sich auf dem Siegel erkennen, die nicht zu den klassischen sieben Metallen gehören: der Kreis mit dem nach oben weisenden Kreuz ist das astronomische Zeichen für Erde und bedeutet gleichzeitig das Metall Antimon, das Glauber als „unzeitiges (= unreifes) Gold“ betrachtete. Das C unter dem Kreis ist in der alchemistischen Formelsprache die Abkürzung für calx (lat.) = Kalk, auch im Sinne von „Metallkalken“ = Metalloxiden, die als „gestorbene“ Metalle bezeichnet wurden (s. Kap. 13). In der Senkrechten befindet sich also, von unten nach oben gelesen, die Reihe „Kalk – Silber – Gold – Antimon“. In „Operis Mineralis Teil III“ beschreibt Glauber ausführlich, wie durch weitgehende Oxidation, d. h. Überführung in Metallkalke, der Metallcharakter unedler Metalle im verbleibenden metallischen Rest konzentriert und die Substanz dadurch in Gold überführt werden soll. Als Hilfsmittel spielt dabei neben Blei als „Waschmittel“ das Antimon eine bedeutende Rolle. Silber hingegen wird eingesetzt als Abb. 8: Glaubers Siegelabdruck, Um„Sammler“ für den frei werdenden „Metallcharakter“ zeichnung aus der Veröffentlichung von und soll dabei in Gold umgewandelt werden. So lässt Brod, nach neueren Erkenntnissen vom sich die senkrechte Achse des Siegels als symbolische Autor durch das Saturn-Zeichen an der ausgebrochenen Stelle ergänzt.
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Kap. 6 Darstellung des von Glauber vertretenen Weges zur Umwandlung unedler Metalle in Gold deuten. Die Zeichen für Antimon, Gold und Silber ergeben dabei zusätzlich das auf dem Kopf stehende MerkurZeichen als Sinnbild der Verwandlung. Glaubers Siegel hat ein historisches Vorbild, das so bekannt war, dass eine bewusste Anspielung darauf nahe liegt: die „Monas hieroglyphica“ des britischen Alchemisten, Geographen, Mathematikers, Astrologen, Geheimagenten und naturwissenschaftlichen sowie wirtschaftspolitischen Beraters von Königin Elizabeth I. von England, John Dee (1527–1608). Auch hierin sind alle Planetenzeichen enthalten. Im Vergleich dazu ist Glaubers Siegelzeichen sehr viel offensichtlicher und leichter verständlich. Abb. 9: Monas Hieroglyphica von John Dee (Quelle: Wikipedia)
Rückkehr nach Amsterdam
Nach seinem Wegzug von Kitzingen erreichte Glauber nach 2 Jahren 9 und den Zwischenstationen Frankfurt und Köln wieder Amsterdam. Der Transport von Familie, Hausrat und Laboreinrichtung erfolgte wohl über den ganzen Weg mit dem Binnenschiff, Glauber erwähnt es ausdrücklich für die Strecke Frankfurt-Köln. Allein die Beladung des Schiffes dauerte nach Glaubers Angaben drei bis vier Tage. In Amsterdam bezog er 1656 ein Haus „Auff der Keysers Grafft“ 10 und zog dann 1660 in einen relativ großen Komplex an der Looiersgracht. Die verschiedenen Wohnorte Glaubers in Amsterdam wurden in der älteren Forschung chronologisch nicht immer richtig zugeordnet. Glauber berichtet 1667, er habe einen großzügigen Labor- und Wohnkomplex gemietet. Dieser sei später jedoch in 4 Teile geteilt und getrennt verkauft worden. Dabei seien seine Laboreinrichtungen als fest mit dem Haus verbunden betrachtet und mit verkauft worden. Erst durch einen langwierigen Prozess habe er sein Eigentum zurückerhalten können, allerdings unvollständig und vielfach zerstört oder verdorben. 11 Gugel 12 und auch Link 13 setzen dieses Ereignis in die Zeit kurz vor seinem Wegzug nach Deutschland, also ins Jahr 1650. Ruud Lambour hat aufgrund von Original-Dokumenten aus dem Stadtarchiv Amsterdam eine verlässlichere Zuordnung vorgenommen. Ein Mietvertrag und die erwähnte Klage auf Rückgabe seines Eigentums sind erhalten, so dass diese Ereignisse stattdessen auf 1660/1661, d . h. die Zeit nach der Rückkehr aus Deutschland, datiert werden müssen. 14 Mit diesem Haus, dem Grill-Komplex an der Looiersgracht, hat es eine besondere Bewandtnis. 1651, also im Jahr nach Glaubers Wegzug nach Deutschland, wurden dort von dem in Augsburg geborenen Gold- und Silberschmied Anthonie Grill (1607–1675) sechs Laboratorien gebaut, um nach einer Anleitung von Glauber großtechnisch Gold aus Zinnschlacken zu gewinnen. 15, 16 (s. a. Kap. 12). 1653 gründete Anthonie Grill zusammen mit seinem Bru-
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der Andries eine Firma zu diesem Zweck. Trotz umfangreicher Investitionen stellte sich der erhoffte wirtschaftliche Erfolg nicht ein. Aus Briefen weiß man, dass auch Glaubers Freund Johann Moriaen sich an dem Projekt beteiligte. 17 1659 zog Anthonie Grill mit seiner Familie nach Schweden und überließ die Verwaltung seiner Immobilien dem Vermögensverwalter Le Blom. Von ihm mietete Glauber 1660 die Immobilie, mit ihm stritt er vor Gericht um seine Laboreinrichtung. 1661 (der Mietvertrag ist erhalten) mietete er ein Viertel des nunmehr aufgeteilten Gebäudekomplexes, baute aber aus Krankheitsgründen sein Produktionslabor nicht mehr auf und begnügte sich mit kleinen Versuchsanordnungen in der Wohnung. Dies kann an der Looiersgracht nur das dritte Haus östlich der ersten Passeerdersdwarsstraat gewesen sein. Dass zu diesem Zeitpunkt sein enger Mitarbeiter Johann Daniel Crafft ihn verließ und eine Anstellung als Technologieberater am kurfürstlichen Hof von Johann Philipp von Schönborn suchte, erscheint als eine natürliche Folge der Laborverkleinerung und deutet nicht auf ein Zerwürfnis zwischen den beiden. Crafft hat auch in späteren Briefen Glauber immer im positiven Sinne erwähnt. Nach Glaubers Tod wurde auf dem Gelände eine Seifensiederei betrieben. Heute befindet sich dort ein Apartmentkomplex. Glaubers letzter Wohnort hat nach den Recherchen von Ruud Lambour heute die Anschrift Looiersgracht 35, die anderen Teile des ehemaligen GrillKomplexes entsprechen Looiersgracht 33 und 31. 18
1
Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Redivivus; Das ist: Der von falschen und Gifftigen Zungen ermordte/ und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene/ nun aber durch Hülff und Zeugnuß der Warheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber …, Frankfurt 1656, S. 73
2
Stadtarchiv Kitzingen, Steuerbuch 1651
3
Stadtarchiv Kitzingen, Steuerbuch 1653/56
4
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Band II, Frankfurt am Main 1659, S. 45/46 mit zugehöriger Abbildung
5
ebd., S. 61; dieselben Reaktionen werden von Michael Maier in seiner „Atalanta fugiens“ allegorisch dargestellt, siehe Kap. 13.
6
Brod, Walter M.: Johann Rudolph Glaubers Aufenthalt in Kitzingen 1652/54 – ein ergänzender Beitrag zu seiner Lebensgeschichte. Mainfränkisches Jahrbuch 8 (1956), S. 295–298
7
Schwenk, Ernst F., Sternstunden der frühen Chemie: Von Johann Rudolph Glauber bis Justus von Liebig, München 2000
8
Clément, Ad, Johnsson, J. W. S.: Briefwechsel zwischen J. R. Glauber und Otto Sperling: nach den Originalen der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen, Gl. Kgl. Saml. 1110, in 2°; Janus 29 (1925), S. 210–233
9
Young, J.T.: Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy, Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle: Aldershot, Hampshire, 1998, S. 195
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10
Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Redivivus; Das ist: Der von falschen und Gifftigen Zungen ermordte/ und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene/ nun aber durch Hülff und Zeugnuß der Warheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber …, Frankfurt 1656, S. 11–12. 11
Glauber, Johann Rudolph: De tribus Lapidibus Ignium Secretorum Oder Von den drey Alleredelsten Gesteinen/ so durch drey Secrete Fewer gebohren werden, Amsterdam 1667, S. 9–23
12
Gugel, K.F.: Johann Rudolph Glauber 1604–1670 Leben und Werk; Freunde mainfränkischer Kunst und Geschichte e.V., Würzburg 1955
13
Link, Arnulf, Johann Rudolph Glauber 1604–1670. Leben und Werk, Dissertation Heidelberg 1993, S. 34/35
14
Lambour, Ruud : De alchemistische wereld van Galenus Abrahamsz (1622 - 1706), Doopsgezinde Bijdragen 31, Amsterdam 2005, S. 93–168, hier: S. 118–121
15
ebd., S. 118–121
16
Young, J.T.: Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy, Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle: Aldershot, Hampshire, 1998, S. 227
17
ebd., S. 226
18
Lambour, Ruud : De alchemistische wereld van Galenus Abrahamsz (1622–1706), Doopsgezinde Bijdragen 31, Amsterdam 2005, S. 93–168, hier: S. 120
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Kap. 7 Glaubers Kinder 1
Verwandtschaftsverhältnis zum Maler Johannes Glauber endlich geklärt Rainer Werthmann
Aus der Ehe mit seiner zweiten Frau Helena hatte Glauber 8 Kinder. Gegen Ende seines Lebens bedauert er in dem Buch „De tribus Lapidibus Ignium Secretorum Oder Von den drey Alleredelsten Gesteinen/ so durch drey Secrete Fewer gebohren werden“ (Von den drei Steinen der geheimen Feuer), dass keines von ihnen den Beruf des Alchemisten ergriffen hätte, einige seien jedoch Maler geworden:
„... ein theil davon haben das Mahlen gelernt / sowohl Jungens als auch Mägdkens/ andere etwass anderes / habe darumb keines zur Alchimia zwingen wollen / weiln so viel Gefahr darbei zu erwarten. 2
Abb. 1: Johann Rudolph Glauber (links) und sein Sohn Johannes (rechts, Zeichnung von Tako Hajo Jelgersma, Rijksprentenkabinet, Objectnummer RPT-1940-439, Rijksmuseum Amsterdam, Bild Rijksmuseum Amsterdam)
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Aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind drei niederländische Maler mit Namen Glauber bekannt, die Geschwister waren: Johannes (1646–1726), Johannes Gottlieb / Jan Gotlief (1656–1703) und Diana (1650–1727). Ihre Lebensgeschichten sind in der zeitgenössischen Sammlung von Künstlerbiographien des Malers und Kunstschriftstellers Arnold Houbraken (1660–1719) enthalten. 3 Johannes war der berühmteste von ihnen. Er wurde 1646 in Utrecht geboren, und seine Geburt habe nach Angabe von Houbraken seine Eltern daran gehindert, nach Deutschland weiterzureisen. In den 1660er Jahren ging er für neun Monate bei dem Maler Nicolaes Pietersz. Berchem (1620–1683) in Amsterdam in die Lehre. Danach wohnte er bei dem Kunsthändler Gerrit van Uylenburgh (1625–1679), dem Vetter von Rembrandts Frau Saskia, und kopierte italienische Gemälde für ihn. Im Jahre 1671 (d. h. ein Jahr nach dem Tod von Johann Rudolph Glauber) unternahm er mit seinem Bruder Johannes Gottlieb eine ausgedehnte Reise über Frankreich nach Italien. Er verbrachte etwa ein Jahr bei dem Brabanter Jean-Michel Picart in Paris und studierte 1672–1674 bei dem ausgewanderten niederländischen Landschaftsmaler Adriaen van der Kabel in Lyon. 1675 traf er mit seinem Bruder in Rom ein. Beide schlossen sich der Schildersbent an, einer Gruppe hauptsächlich niederländischer und flämischer Maler in Rom, die etwa zwischen 1620 und 1720 bestand. Johannes erhielt dort den Künstlernamen Polidor/Polidoro, sein Bruder Jan Gotlief bekam den Namen Myrtillo/Mirtillus. Nach zwei Jahren gingen die beiden für ein Jahr nach Padua, danach für zwei Jahre nach Venedig und schließlich nach Hamburg. Johannes kehrte 1684 nach Amsterdam zurück, heiratete und wohnte später in Schoonhoven bei Gouda. Neben Ölgemälden, Zeichnungen und Druckgraphik sind von seinen Werken die im Stil der Zeit, des „Goldenen Zeitalters“, mit idealisierten Landschaftsdarstellungen ausgemalten Räume erwähnenswert. 4 Eine Reihe seiner Bilder sind Gemeinschaftswerke mit Gerard de Lairesse (1640–1711); dieser malte die darin enthaltenen Portraits, Glauber die Landschaften. Sein Bruder Jan Gotlief blieb nach 1684 zunächst in Deutschland und arbeitete längere Zeit für einen deutschen Fürsten. Danach ging er für ein paar Jahre nach Wien, dann nach Prag und schließlich nach Breslau; dort starb er 1703. Auch von ihm sind Bilder erhalten. Die Motive sind meist ebenfalls idealisierte antike Landschaften.
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Kap. 7
Abb. 2: Kirchenbucheintragung der Taufe von Glaubers Sohn Johannes am 18. Mai 1646 in Utrecht: „Den 18. [Maius] Johann Rudolff Klauber een kindt doopen laeten, ende Johannes genaemt ende is peet gewest … Ernst van der Wall p[estmeester]“ (Het Utrechts Archief, DTB Utrecht, 25, Doopregister EvangelischLutherse gemeente, fol. 132)
Die Schwester Diana Glauber war Portraitmalerin, erblindete später und lebte in Hamburg. Das Verwandtschaftsverhältnis der Künstler-Geschwister zu dem Alchemisten Johann Rudolph Glauber konnte in der Vergangenheit nicht sicher geklärt werden, weil entsprechende Kirchenbuch-Eintragungen nicht aufzufinden waren. Für Johannes, den bekanntesten unter ihnen, wurde immerhin in Biographien bereits zu seinen Lebzeiten als Taufdatum der 18. Mai 1646 überliefert, als Geburtsort Utrecht. Aus autobiographischen Schriften des Alchemisten Glauber haben wir hingegen nur Andeutungen, dass die Familie einige Zeit in Utrecht gelebt haben könnte, handfeste Beweise fehlen in der älteren Glauber-Forschung, sodass in der Tat nicht sicher davon ausgegangen werden konnte, dass ein in Utrecht geborener Johannes Glauber ein Sohn von Johann Rudolph Glauber gewesen sein könnte. Die Quellensituation besserte sich erheblich, als von John T. Young der Briefwechsel zwischen Samuel Hartlib (1600–1662) und Johann Moriaen (1591–1668) bearbeitet wurde. 5 Moriaen lebte in Amsterdam und schrieb an Hartlib in England. Zu Moriaens Freundeskreis gehörte neben verschiedenen alchemiebegeisterten Laien auch Johann Rudolph Glauber. Daher sind auf diesem Wege detaillierte Informationen über ihn erhalten, die aus autobiographischen Zeugnissen nicht zugänglich waren. Johann Rudolph Glauber wohnte 1640 nach seiner Ehescheidung und der Übersiedlung von Deutschland in die Niederlande in Amsterdam zunächst bei Moriaen, bevor er ein Haus in der Elandsgracht bezog. Am 20. Januar 1641 heiratete er Helena Cornelisz (d. h. Tochter des Cornelis) aus Flensburg. Am 29. September 1641 wurde seine Tochter Anna in der Nieuwe Kerk getauft. Mit dem Wohnort Amsterdam muss Glauber immer wieder gehadert haben. Einerseits gibt er an, er vertrage das Klima dort nicht, andererseits zog ihn die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Informationen aus der ganzen Welt immer wieder dorthin zurück:
„..daß ich aber die feuchte Lufft zu Amsterdam nicht wol vertragen können/ und eine gesundere Lufft zu Utrecht und Arnheim gesuchet/ ist wahr/ nach deme ich aber ausser Ambsterdam in geringen Orten wegen ermanglung nothwendiger requisiten oder materialen/ nicht zu recht kommen können/ habe ich wieder umb besserer Nahrung willen nach Ambsterdam mich setzen müssen“. 6
Gegenüber Freunden muss er immer wieder davon gesprochen haben, zurück nach Deutschland ziehen zu wollen. Die Hartlib-Briefe geben detaillierte Informationen über die Umzugsbewegungen der Familie Glauber innerhalb der Niederlande. Danach erfolgte im
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Abb. 3: Schreibweise von Glaubers Name als „Klauber“ im Kitzinger Steuerbuch von 1654
August 1644 ein Umzug nach Utrecht, wo die Familie bis März 1647 blieb. 7 Durch diese Erwähnung in den Hartlib-Briefen wurde eine Verknüpfung des am 18. Mai 1646 in Utrecht getauften Johannes Glauber mit Johann Rudolph Glauber wesentlich wahrscheinlicher, es musste nur noch im Archiv der schriftliche Beweis gefunden werden. Herr Prof. Dr. Marten Jan Bok, Universität Amsterdam, forschte auf Bitten des Autors in den Taufregistern der Utrechter Kirchenbücher unter diesem Datum nach. Unter „Glauber“ konnte keine Eintragung gefunden werden, wohl aber unter dem Namen „Klauber“:
„Den 18. [Maius] Johann Rudolff Klauber een kindt doopen laeten, ende Johannes genaemt ende is peet gewest … Ernst van der Wall“. 8
Für die richtige Zuordnung trotz der abweichenden Schreibweise des Namens spricht, dass alle Vornamen stimmen, außerdem muss die damals noch relativ unbekümmert variable Rechtschreibung berücksichtigt werden. Der Alchemist Glauber findet in seinen späteren Büchern nichts dabei, in ein und demselben Satz dasselbe Wort auf drei verschiedene Weisen zu schreiben. Eine zeitgenössische Parallele bei der Schreibung von Glaubers Namen findet sich in den Dokumenten aus seiner Kitzinger Zeit. In Kitzingen war Glauber Eigentümer zweier Häuser. Im Steuerbuch von 1653/56 wird er als „Wolffgang Klauber“ bezeichnet 9, während der auf eindeutig dasselbe Anwesen bezogene, im Staatsarchiv Würzburg aufbewahrte Veräußerungsvertrag 10 den Eigentümer richtig als Johann Rudolph Glauber ausweist. Damit ist die Zuordnung anhand der Taufurkunde von Johannes Glauber als Sohn von Johann Rudolph Glauber gesichert 11. Auch für die Maler-Geschwister Jan Gotlief (1656–1703) und Diana (1650–1727) steht hiermit die Zuordnung als Kinder von Johann Rudolph Glauber fest. Die Ergebnisse dieser Recherche wurden in der Ausstellung „Vom Barbier zum Alchemisten, 400 Jahre Johann Rudolph Glauber 1604–1670“ vom 18. 5. bis 31. 8. 2008 im Städtischen Museum Kitzingen der Öffentlichkeit vorgestellt und auch in der nachfolgenden Neuauflage der CD zur Ausstellung 12 dokumentiert. Ebenso wie Johannes sich mit Künstlernamen Polidor und Jan Gotlief Myrtill nannte, scheint auch Diana eher ein Künstler- als ein Taufname gewesen zu sein. Wahrscheinlich verbirgt sich dahinter die Glauber-Tochter Geertruy, die am 11. Januar 1650 in der lutherischen Kirche zu Amsterdam getauft wurde. Nach Recherchen von Marloes Huiskamp über Diana Glauber 13 zogen auch ihre Mutter und ihre ältere Schwester später nach Hamburg. Über Diana Glaubers Stil heißt es in „Hamburgische Künstlernachrichten. Supplemente zu Füeßli’s Künstlerlexicon“ von G. L. Eckhardt:
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Kap. 7 „Sie zeichnete ziemlich richtig, mahlte rein und ausführlich, aber in einem sehr schwarzbraunen Colorite“. 14
Nach derselben Quelle war sie zusammen mit ihren Brüdern auf der von Houbraken berichteten Italienreise und begleitete auch später ihren Bruder Johannes auf Reisen durch Frankreich, Deutschland und Dänemark. Bilder sind von ihr nicht erhalten, werden aber verschiedentlich erwähnt. In einigen Beschreibungen aus dem 18. Jahrhundert der Gemäldegalerie von Herzog Anton Ulrich zu Braunschweig-Lüneburg (1633–1714) im Lustschloss Salzdahlum werden sechs Gemälde von „Diane Glauberin“ erwähnt. Beschreibungen aus dem 18. Jahrhundert der Gemäldegalerie von Herzog Anton Ulrich zu Braunschweig-Lüneburg (1633–1714) im Lustschloss Salzdahlum verzeichnen z. B. sechs Gemälde von „Diane Glauberin“. 15
Bearbeiteter Auszug aus: Werthmann, Rainer: Neue Erkenntnisse über den Alchemisten Johann Rudolph Glauber (1604–1670) und sein Verwandtschaftsverhältnis zum maler Johannes Glauber (1646–1726) in: Mensch- Wissenschaft- Magie, Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, Band 27(2010), S. 1-14
2
Glauber, Johann Rudolph: De tribus Lapidibus Ignium Secretorum Oder Von den drey Alleredelsten Gesteinen/ so durch drey Secrete Fewer gebohren werden, Amsterdam 1667, S. 23
3
Houbraken, Arnold, De groote schouburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen (Amsterdam 1718–19); deutsche Übersetzung im Auszug von A. v. Wurzbach, Wien 1881; Nachdruck Osnabrück 1970
4
Mai, Ekkehard (Hrsg.), Ausstellungskatalog „Vom Adel der Malerei. Holland um 1700“, Köln 2006
5
Young, J.T., Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy, Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle, Aldershot, Hampshire 1998
6
Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Redivivus; Das ist: Der von falschen und Gifftigen Zungen ermordte/ und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene/ nun aber durch Hülff und Zeugnuß der Warheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber …, Frankfurt 1656, S. 69
7
Young, J.T., Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy, Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle, Aldershot, Hampshire 1998, S. 188; online unter: http://www.newtonproject. sussex.ac.uk/view/texts/normalized/OTHE00063
26. September 1654, Bayer. Staatsarchiv Würzburg, Sign. 124/166
11
Werthmann, Rainer: Neue Erkenntnisse über den Alchemisten Johann Rudolph Glauber (1604–1670) und sein Verwandtschaftsverhältnis zum Maler Johannes Glauber (1646–1726), Österreichische Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, Mitteilungen 27 (2010)
12
Vom Barbier zum Alchemisten, 400 Jahre Johann Rudolph Glauber 1604–1670, CD zur Ausstellung, Version 3.0, Gießen Frühjahr 2009, erhältlich über: Institut für Didaktik der Chemie, Justus-LiebigUniversität Gießen, Heinrich-Buff-Ring 58, 35392 Gießen und Städtisches Museum Kitzingen, Landwehrplatz, 97318 Kitzingen
Kap. 8 Glaubers Begegnung mit dem Glaubersalz 1 Rainer Werthmann
Die Substanz, die den meisten Menschen einfällt, wenn sie nach Johann Rudolph Glauber gefragt werden, ist das Glaubersalz: Natriumsulfat Na₂SO₄, das Natriumsalz der Schwefelsäure. Glauber nannte es Sal mirabile = wunderbares/wundersames Salz = Wundersalz. Er erhielt es als Nebenprodukt bei der Herstellung von konzentrierter Salzsäure aus Kochsalz und Schwefelsäure oder Eisensulfat, etwa nach den Gleichungen 2 NaCl + H₂SO₄ = Na₂SO₄ + 2 HCl oder 4 NaCl + 2 FeSO₄ + 2 H₂O + 0,5 O₂ = 2 Na₂SO₄ + 4 HCl + Fe₂O₃ Das Herstellungsverfahren unter Einsatz von Schwefelsäure wird heute noch im großtechnischen Maßstab angewandt. Es bildet eine der Grundlagen des 1791 entwickelten LeblancSodaverfahrens und trug damit zum Aufbau der chemischen Industrie in Europa bei. Während Glauber unter Sal mirabile noch die wasserfreie ebenso wie die kristallwasserhaltige Form des Natriumsulfats verstand, bezieht sich der von Glaubers Bezeichnung abgeleitete Mineralname Mirabilit heute nur noch auf die kristallwasserhaltige Form Natriumsulfat-Dekahydrat Na₂SO₄ ‧ 10 H₂O. Es gehörte zu Glaubers Arbeitsstil, zu allen bei seinen Versuchen erhaltenen Haupt- wie Nebenprodukten eine möglichst große Anzahl von Anwendungen aufzufinden. Schließlich hatte er die meiste Zeit seines Lebens keinen adeligen Gönner, sondern musste vom Verkauf seiner Produkte leben. Zumindest folgende von Glauber empfohlene Anwendungen für kristallwasserhaltiges bzw. getrocknetes Natriumsulfat halten auch heutigen wissenschaftlichen Maßstäben stand: - als Abführmittel - als Flammschutzmittel für Holz 2 - als Latentwärmespeicher - als Trocknungsmittel für nichtwässrige Flüssigkeiten 3 - zum Schmelzaufschluss von Erzen - zum Schmelzaufschluss von Erzen in Gegenwart von Kohle (Vorform des Freiberger Aufschlusses) - zur Herstellung von Natriumsulfid und Natriumpolysulfid durch Reaktion einer Schmelze von wasserfreiem Natriumsulfat mit Kohle 4 (s. a. Kap. 16).
Abb. 1: Apothekergefäß für Glaubersalz mit der Aufschrift: Sal mirabil(e) Gl(auberi) = Glaubers Wundersalz (Bild: Deutsches Apothekenmuseum Heidelberg)
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Extrem zukunftsweisend war seine Idee, das kristallwasserhaltige Salz könne als Latentwärmespeicher dienen. In der Tat schmilzt es bei Temperaturen oberhalb 32,38 °C unter Wärmeaufnahme und kristallisiert in der Kälte unter Wärmeabgabe. Die extremen Kühlwirkungen, die er beschreibt („ein solcher Magnet, die Kälte zu concentriren, und vielerhand Wunderdinge darmit auszurichten ...“) 5, sind aber überwiegend auf starke Abkühlung in ei-
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Kap. 8 nem strengen Winter zurückzuführen. 6 Die dem Salz auch zugeschriebene Düngewirkung beruhte wohl eher auf einer Verunreinigung mit Kaliumsalzen. Glaubers erste Begegnung mit dem von ihm später so intensiv bearbeiteten „sal mirabile“ = Glaubersalz ist eng mit seinem Besuch in Österreich 1625/1626 verknüpft. Damals befand er sich auf Wanderschaft und besuchte Wien, Wiener Neustadt und das Grab des von ihm verehrten Paracelsus in Salzburg. In Wien und Wiener Neustadt erkrankte er an der „Ungarischen Krankheit“, sehr wahrscheinlich Fleckfieber, magerte ab und konnte keine Speise vertragen. Man empfahl ihm eine Heilquelle außerhalb von Wiener Neustadt. Er beschreibt dieses Erlebnis sowie die Quelle selbst ausgiebig in seinem Werk „De natura Salium“:
„Nach dem aber durch die Kranckheit mein Magen gantz alterirt, dass ich nicht essen können/ hat man mir gerathen/ daß ich ohngefehr eine Stunde von der Stadt zu einem/ an einen Weinberg gelegenen Brunnen gienge/ Wasser darauß zu trincken/ dann würde mir hernach das Essen wohl wieder schmecken“. 7 Durch das dortige Mineralwasser bekam er wieder Appetit und gesundete:
„Da ich nun zum Brunnen kam/ zog ich mein Brod herauß/ tunckte die Brosamen in den Brunn/ und fieng an zu essen/ welches nur also bald besser als zu Hause geschmecket/ da ich das beste Essen nicht gemocht/ ich brauchte die außgehölte Rinde an statt deß Bechers/ Wasser auß dem Brunn damit zu schöpffen/ weil ich dann darauff guten appetit zu essen fühlete/ aß ich endlich den Brodbecher auch auff/ und gieng viel stärcker nach Hause/ als ich davon kam/ erzehlete/ wie wohl mir solch Wasser bekommen/ da sagte man mir/ wann ich damit fortfahren würde/ würde sich der verlohrne appetit ganz völlig wieder finden/ welchs auch geschah“. 8 Aus jenem Wasser kristallisiere beim Eindunsten ein Salz, aber nicht in würfeligen Kristallen wie Kochsalz, sondern in langen, strahligen Kristallen. Man sagte ihm damals, es sei Salpeter. Aufgrund der Kristallform und der medizinischen Wirkung schloss er aber Jahre später, in dem Wasser müsse Natriumsulfat = Sal mirabile = Glaubersalz gewesen sein. Weiter beschreibt er:
„[...] dann vorgedachter Brunn mit Holz eingefast/ darin zwischen dem Holze viel Wassermäuse ihre Wohnung hatten/ so bald man Brod in den Brunn legte/ und einige Brosamlein zu Boden fielen/ also bald fiengen die Mäuse solche auff/ verzehreten sie. Als ich fragte/ warum man solch guten Brunn nicht in Stein fassete/ und das Holz/ dahinder die Mäuse waren/ nicht weg thäte? Antworteten sie daß mans ohne Schaden deß Brunnens nicht wol thun könte. Dann so man das Holz hinweg nähme/ welches albereit zu Stein worden/ so würde der Sand hernach fallen/ und der Brunn gestopffet werden/ das Holz aber/ so ausser dem Wasser/ war verfault/ welches ich damahl als ein Jüngling von 21 Jahren wohl in Acht genommen“. 9
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Neben der medizinischen Wirkung war Glauber besonders beeindruckt von der Versteinerungswirkung der Quelle und von dem nicht besonders salzigen Geschmack; er schreibt von süßgesalzenen Wassern. 10 Sehr wahrscheinlich handelte es sich um die Paul-Quelle von Bad Sauerbrunn bzw. ihren Vorläufer. 11 Wie Ausgrabungen anlässlich der Neufassung der Quelle in den Jahren 1925/ 1926 belegen, war diese Quelle schon in der Jungsteinzeit bekannt und wurde auch von Kelten und Römern genutzt. Man fand auch eine verschüttete Holzeinfassung, wie sie Glauber beschreibt. Die traditionellen Indikationen für dieses Heilwasser sind:
„Innerlich, den Anordnungen des Facharztes folgend getrunken, ist es sehr wirksam bei der Behandlung aller Stoffwechselkrankheiten, überschüssiger Magensäure, Diabetes, Harnsäure Diathese, Unregelmäßigkeiten der Darm- und Nierentätigkeit etc.“
Gelöste Substanz KCl
[%] vom Gelösten ohne M₂+(HCO₃)₂
[g/kg]
[%] vom Gelösten
0,03572
1,52
6,34
NaCl
0,05821
2,47
10,33
Na₂SO₄
0,44873
19,04
79,61
NaHCO
0,01819
0,77
3,23
Ca(HCO₃)₂
0,96491
40,94
CaHPO₄
0,00071
0,03
Sr(HCO₃)₂
0,00112
0,05
Mg(HCO₃)₂
0,74119
31,45
Al₂(SO₄)₃
0,00152
0,06
0,27
H₃BO₃
0,00059
0,03
0,10
H₂SiO₃
0,05574
2,37
Fe(HCO₃)₂
0,02726
1,16
Mn(HCO₃)₂
0,00209
0,09
2+
Summe ohne M (HCO₃)₂ und H₂SiO₃
0,56367
Summe Gelöstes
2,35678
+ Kohlendioxid
2,49803
0,13
100,01 99,98
Tabelle 1 Analyse des Mineralwassers der Paul-Quelle in Bad Sauerbrunn aus dem Jahre 1910, umgeschrieben nach Dörner 12
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Kap. 8 Bad Sauerbrunn liegt in südöstlicher Richtung etwa 7 km Luftlinie von Wiener Neustadt entfernt. Somit ist Glaubers Angabe „ohngefehr eine Stunde von der Stadt“ (Fußweg) realistisch. Auch seine Angabe „in einem Weinberg“, d. h. in landwirtschaftlich genutztem Gebiet, trifft auf die damalige Lage der Paul-Quelle zu. Ebenso ist die leichte Verschüttbarkeit mit Kies und Sand, von der Glauber berichtet, gerade für die Paul-Quelle charakteristisch und auch aus der Neuzeit bekannt: vor wenigen Jahren ist sie wieder einmal versiegt. 13 Für weitere Informationen zur Paul-Quelle und zur Geologie der Umgebung siehe die Arbeit von H. Küpper 14 sowie die Ortschronik von Bad Sauerbrunn.15 Das Wasser wird nach heutiger Nomenklatur als Calcium-Magnesium-Natrium-Hydrogencarbonat-Sulfat-Säuerling eingestuft. Die ältere Bezeichnung nach der im Bäderbuch von 1928 benutzten Nomenklatur lautet glaubersalzige Dolomit- bzw. magnesitische Kalkquelle. 16 Die Umrechnung der Analyse von 1910 (Tabelle 1) zeigt, dass nach Abzug der „temporären Wasserhärte“, also der Hydrogencarbonate zweiwertiger Elemente, die sich beim Kochen als „Kesselstein“ absetzen, sowie der gelösten Kieselsäure eine überwiegend natriumsulfathaltige Lösung verbleibt, aus der beim Eindunsten in der Tat Glaubersalz Na₂SO₄ ‧ 10 H₂O „Stralen-Weise dem Salpeter gleich“ 17 kristallisiert. Die von Glauber beschriebene „Versteinerung“ der hölzernen Quelleinfassung sowie aller hineingeworfenen Gegenstände lässt sich auf den hohen Gehalt an Hydrogencarbonaten zweiwertiger Elemente zurückführen, die Kalksinter bilden können wie etwa den „Sprudelstein“ von Karlsbad in Tschechien. Rückblickend hat es etwas Schicksalhaftes, dass Glauber zu Beginn seiner Alchemistentätigkeit in Österreich mit genau demjenigen Salz in Abb. 2: Titelblatt von Glaubers Buch „De Natura Salium“, in Berührung gekommen ist, mit dem er dem er u. a. seine Erlebnisse in Bad Sauerbrunn beschreibt sich später so intensiv befasst hat und (Quelle: SLUB Dresden, http://digital.slub-dresden.de/ id27764349X)
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das auch nach seinem Tod über Jahrhunderte mit seinem Namen verknüpft geblieben ist. Warum Glauber dem Natriumsulfat den Namen „sal mirabile“ = „Wundersalz“ gegeben hat, lässt sich nur vermuten. Er sah in ihm das von Paracelsus hoch gelobte „sal enixum“ 18, dem auch eine verfestigende und konservierende Wirkung zugeschrieben wurde. Neben der großen Vielzahl von Anwendungen – in „Appendicis Generalis Zweite Centuria“ führt er dutzende an – haben ihn wohl vor allem drei Eigenschaften des Natriumsulfats besonders beeindruckt: - der milde, etwas fade, wenig salzige Geschmack: Nach Glaubers Ansicht ist ein Salz umso edler, je milder es schmeckt. Er führt an, dass reines Kochsalz milder schmeckt als Meerwasser (welches u. a. bittere Magnesiumsalze enthält); das aus Kochsalz hergestellte Glaubersalz bedeutet für ihn eine weitere Steigerung und Veredlung. - die Tendenz des getrockneten Salzes, durch Wasseraufnahme zu einem festen Stoff abzubinden: Hier sieht er, wie er auch bei der Beschreibung der Mineralquelle erwähnt, eine besonders starke „Versteinerungswirkung“, selbst gegenüber brennbaren Stoffen wie Holz, siehe die Verwendung als Flammschutzmittel. Das von seinem Vorbild Paracelsus entwickelte Sal-Prinzip (vergl. Kap. 10) wirkt gerade in Verfestigungs- und Kristallisationsprozessen. - die Fähigkeit, mit Kohle das braunrote Natriumpolysulfid zu bilden: Hier sieht Glauber das „sal mirabile“ als ein Mittel, selbst das Prinzip der Brennbarkeit aus der Kohle herauszuziehen und zu konzentrieren. Die braunrote Farbe erinnert bereits an die postulierte Farbe des Steins der Weisen.
Abb. 3: Natriumsulfat mit 10 Molen Kristallwasser entsprechend dem Mineral Mirabilit, Kristallisation von einer Rückstandshalde der Kaliindustrie (Foto: Mark Brooks)
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Kap. 8 1
Bearbeiteter Auszug aus: Werthmann, Rainer: Neue Erkenntnisse über den Alchemisten Johann Rudolph Glauber (1604–1670) und sein Verwandtschaftsverhältnis zum Maler Johannes Glauber (1646 –1726), in: Mensch-Wissenschaft-Magie, Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, Band 27 (2010), S. 1–14
2
Glauber, Johann Rudolph: Johannis Rudolphi Glauberi Reichen Schatz- und Sammel-Kastens. Oder Appendicis Generalis Zweite Centuria, Amsterdam 1660, S. 113–115
3
ebd., S. 82/83
4
ebd., S. 89/94
5
ebd., S. 76
6
ebd., S. 70–80
7
Glauber, Johann Rudolph: De Natura Salium, enthalten in : Glauber, Johann Rudolph: Opera Chymica Band I, Frankfurt am Main 1658, S. 491, Reprint Hildesheim 2004
8
ebd., S. 491/492
9
ebd., S. 492
10
Glauber, Johann Rudolph: De Natura Salium, enthalten in : Glauber, Johann Rudolph: Opera Chymica Band I, Frankfurt am Main 1658, S. 493, Reprint Hildesheim 2004
11
Für die Informationen zur Paul-Quelle danke ich Herrn Mag. Dr. Gerhard Hobiger, Geologische Bundesanstalt Wien.
12
Dörner, Ludwig: Die Paul-Quelle in Sauerbrunn, Burgenland; Selbstverlag (Sauerbrunn 1928) S. 10
13
Persönliche Mitteilung von Prof. Dr. H. Gebelein, Universität Gießen
14
Küpper, H.: Geologie der Heilquelle Sauerbrunn, Burgenland, JB. Geol. B. A., Bd. 105, S. 39–47 (1962)
15
Bad Sauerbrunn, Ortschronik in drei Teilen, Bad Sauerbrunn ohne Jahresangabe, wahrsch. 1999
16
Conrad, V.: Österreichisches Bäderbuch – Offizielles Handbuch der Mineralquellen, Kurorte und Kuranstalten Österreichs, Wien 1928
17
Glauber, Johann Rudolph: De Natura Salium, enthalten in : Glauber, Johann Rudolph: Opera Chymica Band I, Frankfurt am Main 1658, S. 492, Reprint Hildesheim 2004
18
ebd., S. 490
134
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Kap. 9 Das unsichtbare Feuer
Die Sulfur-Merkur-Theorie als Grundlage für Glaubers Vorstellungen über die Metalle Rainer Werthmann
Ausgangspunkt
Abb. 1: Das Innere der Erde mit Feuer und Wasser (Flammen und Tropfen), Sulfur und Merkur (Zeichen ganz oben im Kreis) sowie den sieben klassischen Metallen als Planetenzeichen, Ausschnitt aus dem Titelblatt des Romans „Le Songe de Poliphile“ 21, Paris 1600, und damit Wiedergabe von damals allgemein anerkanntem Bildungsgut. (Bild: Universität Tours, http://www.bvh.univ-tours.fr/Consult/index.asp?numfiche=54)
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Die Sulfur- Merkur-Theorie war in der alchemistischen Naturwissenschaft die wesentliche Theorie zur Erklärung der spezifischen Eigenschaften und Reaktionsweisen der Metalle. Aus ihr ließ sich herleiten, dass man Gold aus unedlen Metallen herstellen könne. Auch Johann Rudolph Glauber wandte diese Theorie an und war von ihrer Richtigkeit überzeugt. Daher kann sein Werk nur dann vollständig verstanden und gewürdigt werden, wenn der Leser diese Denkweise zumindest in ihren Grundzügen nachvollziehen kann. Da diese Theorie auf Beobachtungen aufgebaut ist, die sie für die damalige Zeit zufriedenstellend interpretiert hat, hat sie sich, mit Schwerpunktverschiebungen je nach Autor und Kulturepoche, über viele Jahrhunderte gehalten. Ihre endgültige Ablehnung im Zeitalter der Aufklärung beruhte auf einem völlig veränderten Blickwinkel auf die Natur, den Menschen und dessen Freiheit. Die Sulfur-Merkur-Theorie stammt aus der Zeit vor der Festlegung der chemischen Elemente und beruht auf der Beobachtung, dass rein phänomenologisch die allermeisten Metalle einander sehr ähnlich sind, sich aber grundlegend von den übrigen mineralischen Stoffen der Erde unterscheiden durch 1. ihre Schmiedbarkeit und damit Verwandtschaft zu plastischen Stoffen und Flüssigkeiten, d. h. dem Wasser-Element, das man im Quecksilber repräsentiert gesehen hat. Mit dem Flüssigen wurde das Bewegliche, Anpassungsfähige, Empfangende, Lebensspendende assoziiert, das man im Weiblichen repräsentiert gesehen hat. 2. ihre Gewinnbarkeit aus Erzen mit Hilfe des Feuers. Dabei dient, im Unterschied etwa zur Glasherstellung, das Feuer im Schmelzofen in den meisten Fällen nicht nur zum Erreichen der Schmelztemperaturen von Metall und Schlacke. Durch die Kohle sowie den in manchen Erzen enthaltenen sulfidischen Schwefel wird durch chemische Reaktion das im Erz vorliegende, chemisch gebundene Metall in das freie Metall überführt. Aus dem grünen, spröden Mineral Malachit etwa wird – durch die Reduktionswirkung des Kohlenstoffs, wie man heute sagen würde – das rötliche, schmiedbare Metall Kupfer. Daraus schloss man, dass das Feuer beim Verhüttungsprozess in verborgener Form in das Metall eingegangen sein muss und dort in unsichtbarer Form als eine Art Energie verbleibt. Dass Metalle brennen und damit die Energie wieder freisetzen können, sieht man z. B. an Wunderkerzen. Hier brennen Eisen- und Aluminiumpartikel. Die Korrosion von Metallen, etwa das Rosten von Eisen und die Verwandlung von Kupfer in Grünspan, ist hingegen ein langsamer, schleichender Verbrennungsprozess. Als Korrosionsprodukte entstehen wieder erzähnliche Stoffe: Rost ist verwandt mit dem Brauneisenerz Limonit, Grünspan mit dem Kupfererz Malachit. Durch erneute Zufuhr von „verborgenem Feuer“ durch die Kohle im Schmelzofen konnte man die Korrosion wieder rückgängig machen. Die im blanken Metall enthalten gedachte Form des Feuers sah man repräsentiert im Inbegriff des Brennbaren, dem Sulfur = Schwefel. Im Unterschied zur Substanz Schwefel
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Kap. 9 wurde er „fixer Sulfur“ genannt und stellt, wenn auch nicht ganz deckungsgleich, eine frühe Form des heutigen Begriffs der chemischen Energie dar. Etwas frei lässt sich „fixer Sulfur“ mit „gebundene Brennbarkeit“ übersetzen. Diese Bezeichnung verdeutlicht das Dilemma bei der Begriffsbildung, in dem die frühen Naturforscher standen: Man musste etwas ausdrücken, was in der Substanz seinen Sitz hatte, aber selbst kein Stoff war. Also bediente man sich der Analogie zum Schwefel und definierte eine neue, fast oder ganz immaterielle Spielart davon. Es ist spannend zu sehen, wie viel oder wie wenig Materiequalität dem „fixen Sulfur“ im Laufe der Jahrhunderte zugestanden wurde, und wie man sich seine Herkunft vorstellte. Das Feuer, sei es äußerlich sichtbar oder als gedachter Bestandteil im Metall verborgen, wurde als aktiv, belebend, schöpferisch und männlich betrachtet. Eine ausführlichere Betrachtung der verschiedenen Aspekte des Feuers findet sich unter anderem im Abschnitt über Michael Maier.
Abb. 2: Getriebenes = kalt verformtes Kupferblech, Detail des Kopfes der Herkulesstatue in Kassel von 1717, ein schönes Beispiel für die plastische Verformbarkeit von Metallen im Unterschied zu den üblicherweise spröden Steinen (Fotos: Werthmann)
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Eine weitere begriffliche Herausforderung war es, den „weiblichen“ Aspekt der Plastizität und den „männlichen“ des immateriellen Energieinhalts in derselben Substanz zu denken. Denn im Metall kommen beide immer gleichzeitig vor. Man half sich mit vielfältigen Bildern, z. B. dem des ungeborenen Sohnes im Leib seiner Mutter. Die Metalle wurden, den offensichtlichen Phänomenen entsprechend, als eine Gruppe untereinander ähnlicher Stoffe aufgefasst, deren Eigenschaften durch die bekannten metall-
urgischen Operationen zumindest in gewissem Umfang kontinuierlich verändert werden können. Auch ist bereits seit der Antike bekannt, dass aus Bleierzen gewisse Mengen Silber und aus manchen Antimonerzen Gold gewonnen werden kann, ohne dass diese Metalle vorher darin sichtbar waren, sodass man an natürliche Umwandlungs- und Reifungsprozesse denken konnte. Über die Frage, ob jedes Metall eine eigene, unveränderliche Substanz sei oder ob die gesamte Gruppe der Metalle als eine Substanz mit gewissen Möglichkeiten der kontinuierlichen Veränderlichkeit zu gelten habe, wurden jahrhundertelang heftige Gelehrtenstreitigkeiten geführt. Zu Glaubers Zeit hat wohl die Mehrheit der Alchemisten die Metalle als eine einheitliche Gruppe kontinuierlich veränderbarer Substanzen gesehen und damit die Entstehung von Gold aus unedlen Metallen ehrlichen Sinnes für möglich gehalten. Die Darstellungen der Sulfur-Merkur-Theorie bei verschiedenen Autoren unterscheiden sich vor allem in folgenden Punkten: - Ist der fixe Sulfur eher eine Substanz oder eher ein nicht materielles Prinzip? Abb. 3: Brennende Eisenpartikel, entzündet - Sind die im Metall wahrnehmbaren Aspekte, beim Durchrieseln durch die Flamme eines Merkur als Sinnbild des Flüssigen und Sulfur Gasbrenners (Foto Mark Brooks) als Sinnbild des Feurigen, prinzipiell rein darstellbar (Metalle als „chemische Verbindungen“), oder handelt es sich nur um verschiedene Eigenschaften derselben Substanz? - Welche Wirkung haben die an den Metallen erlebten Phänomene auf das Seelenleben des Menschen, oder auch: Welche seelischen Bilder drücken die in der Natur erlebten Phänomene am besten aus? Vor allem die in diesem Zusammenhang angesprochene Feuer-Wasser-Polarität gab vor dem Hintergrund der Parallelen zum Innenleben des Menschen Anlass zu weitreichenden, über das nur Materielle hinausgehenden Betrachtungen. Der Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung sagt über diese für die Alchemie charakteristische Denk- und Darstellungsweise: „Es bleibt nun, eben wegen der Vermischung von Physischem und Psychischem, stets dunkel, ob die endgültigen Veränderungen im alchemischen Prozess mehr im materiellen oder mehr im geistigen Gebiet zu suchen seien. Diese Frage ist aber eigentlich falsch gestellt. Es gab für jene
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Kap. 9 Zeit kein Entweder-Oder, sondern es gab ein Zwischenreich zwischen Stoff und Geist: nämlich ein seelisches Reich subtiler Körper, denen sowohl geistige wie stoffliche Erscheinungsweise eignete“. 1 „Ich bin deshalb geneigt anzunehmen, dass die wirkliche Wurzel der Alchemie weniger in philosophischen Anschauungen zu suchen ist als vielmehr in den Projektionserlebnissen der einzelnen Forscher. Damit drücke ich die Meinung aus, dass der Laborant während der Ausführung des chemischen Experimentes gewisse psychische Erlebnisse hatte, welche ihm aber als ein besonderes Verhalten der chemischen Prozesse erschienen“. 2 In ähnlichem Sinne äußert sich Evola 3, zitiert bei Jung: „Die Geistesverfassung des Menschen der vorneuzeitlichen Kulturzyklen war so, dass jede physische Wahrnehmung gleichzeitig eine psychische Komponente hatte, die sie ‚beseelte’, indem sie dem bloßen Bild eine ‚Bedeutung’ und gleichzeitig einen besonderen und machtvollen Gefühlston verlieh. So war die antike Physik gleichzeitig eine Theologie und eine transzendentale Psychologie: durch das, was ihr in der Materie der körperlichen Sinne von den metaphysischen Wesenheiten her aufleuchtete. Die Naturwissenschaft war zugleich eine Geisteswissenschaft, und die vielfältigen Bedeutungen der Symbole fassten die verschiedenen Aspekte eines einzigen Wissens zusammen.“ 4 Im Folgenden wird die Entwicklung der Sulfur-Merkur-Theorie anhand charakteristischer Beispiele verfolgt. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt nicht, wie bei den Forschungen C. G. Jungs, darauf, ähnliche psychologische Muster im Erleben heutiger Menschen nachzuweisen. Statt dessen wird versucht, die Sichtweise der alchemistischen Naturwissenschaft auf die Naturphänomene durch Erläuterung der damaligen Grundannahmen zumindest ansatzweise nachvollziehbar zu machen. Ausführlichere Fassungen einiger zitierter Quellen sind im Anhang zusammengestellt.
Aristoteles Ein erster Ansatz der Sulfur- Merkur-Theorie ist in der Meteorologie des Aristoteles (384– 322 v. Chr.) zu finden. Weil dies der Ausgangspunkt aller späteren Überlegungen ist, sei die Stelle hier vollständig zitiert (Hervorhebungen vom Autor):
„... Es gibt ja, wie wir lehren, zweierlei Ausdünstungen, die dampf- und die rauchartige, und so sind auch von zweierlei Art die Gestaltungen im Boden, Erden und Metalle. Die trockene Ausdünstung ist es, die durch Ausglühen alle Erden erzeugt, alle Gesteinsarten und Harze und Tonerden, ferner Bleiweiß und Schwefel und dergleichen. ... Aus der dampfartigen Ausdünstung entsteht alles Metallische, was sich gießen und hämmern lässt, wie Eisen, Gold, Bronze. Dies alles bringt die dampfartige Ausdünstung hervor, wenn sie eingeschlossen wird, besonders im Gestein, wo sie wegen dessen Trockenheit an einer Stelle zusammengequetscht und verdichtet wird, wie Tau und Reif, der sich abscheidet. Hier aber wird dies alles erzeugt vor der Abscheidung. Daher sind diese Gebilde einesteils flüssig, andernteils nicht, da ihr Stoff in der Anlage wässerig war. Er ist es aber nicht mehr und besteht auch nicht aus sich bildendem Wasser wegen einer Besonderheit, ähnlich wie die Lösungen, die man schmeckt. Denn so entstehen jene Stoffe
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ja nicht aus Wasser, einmal Erz, dann wieder Gold, sondern schon ehe die Ausdünstung fest wird, sind alle diese Stoffe entstanden. Daher werden sie auch alle glühend und enthalten Erde, weil trockene Ausdünstung untermengt ist“. 5 Auch wesentlich spätere Autoren sind sich dieses ursprünglichen Bezugs bewusst. So schreibt Michael Maier (1569–1622) in seinem Buch „Symbola aureae mensae duodecim nationum“ von 1617 im Kapitel über Thomas von Aquin: „Im Buch des Aristoteles Meteorolo-
gia 3 bis zum Schluss sagt er: Die den Metallen verwandte Materie sind Schwefel und Quecksilber, wie die Alchemisten sagen, insofern in den steinernen Orten der Erde durch die mineralische Kraft Schwefel und Quecksilber erzeugt werden. Darauf entstehen aus denselben die verschiedenen Metalle, entsprechend ihrer verschiedenen Vermischung“ 6
(Übersetzung vom Autor). Aristoteles macht sich Gedanken über den genaueren Ablauf des Übergangs von den Dämpfen zu den Flüssigkeiten und Festkörpern. Ansonsten ist seine Darstellung denkbar knapp. Aus der „trockenen Ausdünstung“ ist bei späteren Autoren Schwefel bzw. Sulfur geworden, aus der „dampfartigen Ausdünstung“ Quecksilber bzw. Merkur. Wesentliche Einzelheiten werden auch Jahrhunderte später immer wieder erwähnt, so die Abscheidung der Metalle oder ihrer Vorformen durch Einengung der aufsteigenden Dämpfe.
Hermes Trismegistos Hermes Trismegistos 7 ist der legendäre Urvater der Alchemie. Ihm wird als grundlegendes, geradezu programmatisches Werk der Alchemie die „Tabula Smaragdina“ zugeschrieben. In ihr findet sich eine Aussage, die man auf die Herkunft der Metalle aus etwas Flüssigem und etwas Feurigem beziehen kann. In der verbreitetsten lateinischen Version 9,10 heißt es: „(4) Sein Vater ist die Sonne und seine
Mutter der Mond; der Wind hat ihn in seinem Leib getragen, und die Erde hat ihn ernährt.“
Abb. 4: Hermes Trismegistos, Darstellung aus „Symbola aureae mensae duodecim nationum“ von Michael Maier; das Miteinander von Sonne und Mond, Feurigem und Wässrigem wird hier künstlerisch thematisiert (Bild aus: M. Maier, Symbola aureae mensae…, Frankfurt 1617)
In einer älteren, arabischen Version bei Jābir ibn Hayyān aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ist die Formulierung leicht abweichend: „(4) Sein Vater ist die Sonne und seine Mutter
der Mond. Die Erde trug es in ihrem Leibe, und der Wind ernährte es in ihrem Leibe, als Erde, die Feuer werden soll.“ 11 Sonne und Mond sind hier die allegorischen Bezeichnungen für die klassischen Elemente
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Kap. 9 Feuer und Wasser, entsprechend der „trockenen und feuchten Ausdünstung“ als Ursprung der Metalle bei Aristoteles. Die Bezeichnungen „Schwefel/Sulfur“ und „Quecksilber/Merkur“ werden noch nicht erwähnt.
„Visio Arislei“, die Vision des Arisleus Feuer und Wasser, Schwefel und Quecksilber werden später in allegorische Erzählungen eingekleidet, so in der „Turba Philosophorum“ in Form der Vision des Arisleus. Die „Turba Philosophorum“ ist ein bis ins 17. Jahrhundert hinein viel gelesenes, wenn auch zuweilen sprödes alchemistisches Werk, das nach den Untersuchungen des Übersetzers und Bearbeiters Julius Ruska auf arabische Schriften des 10./11. Jahrhunderts 12 zurückgeht. Der „Turba“ zugeordnet ist die Erzählung „Visio Arislei“, die Vision des Arisleus. 13 Arisleus wandert mit seinen Freunden ins Reich der Meerbewohner und überzeugt deren König davon, er müsse seine Kinder, den Sohn Cabritis und die Tochter Beida, miteinander vermählen, damit in seinem Reich alles wieder fruchtbar wird. Dabei stirbt Cabritis. Der König ist erzürnt und sperrt Arisleus und seine Gefährten in ein dreifaches gläsernes Gefängnis, das einer Destillationsapparatur ähnelt und in dem es sehr heiß, feucht und dunkel ist. Auf Bitten des Arisleus kommt auch Beida in das Gefängnis, verbringt darin zusammen mit Arisleus und seinen Gefährten 80 Tage, und Cabritis wird wieder zum Leben erweckt. Die Namen Cabritis und Beida tauchen in verschiedenen Versionen der Erzählung in Abwandlungen auf: Cabritis, Chambritis, Cambertius, Thabritis, Gabritius, Gabricus sowie Beida, Buna, Beua, Beya, Beia. Sie lassen sich zurückführen auf die arabischen Wörter kibrīt = Schwefel und (al)baidā = „die Weiße“ = Quecksilber. Die Frage ist hier wie bei vielen anderen Autoren: Sind „gemeiner“ Schwefel und „gemeines“ Quecksilber gemeint, das heißt die entsprechenden Substanzen, oder geht es um die Phänomene, die verwandelten, veredelten oder im übertragenen Sinne gemeinten Stoffe, wie sie etwa John French als „Sulfur der Philosophen“ und Sendivogius als „Merkur der Philosophen“ bezeichnet? Der Herausgeber Julius Ruska ist der Meinung, hier sei ganz materiell-vordergründig die chemische Reaktion zwischen Schwefel und Quecksilber zu Quecksilbersulfid beschrieben. Der Arzt und Alchemist Michael Maier (1569–1622) stand den Aussagen der „Turba philosophorum“ zeitlich näher, und er interpretiert die Geschichte in seiner unten ausführlicher besprochenen Abhandlung anders. Die Beziehung zwischen Gabritius und Beia wird darin eindeutig auf die verschiedenen Eigenschaften ein und desselben Metalls bezogen:
„... jenes selbe Quecksilber, welches im Gold ist. Diese Materie ist ihrer Natur nach nicht gewöhnliches Quecksilber, sondern war [nur] so, bevor es durch die Natur oder die Kunst in Gold verwandelt wurde“. 14 „Denn in dieser einen Verbindung ist Gabritius mit Beia, Schwefel mit Quecksilber, der Bruder mit der Schwester, der Ehemann mit der Ehefrau etc.“. 15 Weitere Erläuterungen finden sich im Abschnitt über Michael Maier.
Eine Variante der „Visio“ betont den auch bei Maier vorhandenen Aspekt der Vereinigung
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bis zur Untrennbarkeit. In der Version der „Visio“ aus dem Buch „Rosarium philosophorum“ heißt es in der Übersetzung von C. G. Jung:
„Denn Beya ... schließt ihn in ihren Schoß ein, so dass von ihm gar nichts mehr zu sehen ist. Mit so großer Liebe hat sie Gabricus umfangen, dass sie ihn völlig in ihre Natur aufnahm und in untrennbare Teile trennte. Daher sagt Merculinus: ... und sie, die zwei waren, sollen dem Leibe nach gleichsam eins werden“. 16 Dies ist in mythologischer Ausdrucksweise die Beschreibung der Beobachtung, dass ein Metall in derselben Substanz weibliche (Biegsamkeit, Schmiedbarkeit) und männliche (Feuerqualität aus der Herstellung im Schmelzofen) Aspekte hat.
Geber Einer der mittelalterlichen Autoren mit dem Pseudonym Geber (in Anlehnung an den latinisierten Namen des oben erwähnten arabischen Autors Jābir ibn Hayyān), hier sehr wahrscheinlich der ansonsten wenig bekannte Franziskanermönch Paulus von Taranto 17 aus dem 13. Jahrhundert, manchmal Pseudo-Geber genannt, schreibt in „Summa perfectionis magisterii“ im zweiten und dritten Teil des ersten Buches in der Übersetzung von Ernst Darmstaedter 18 :
Kapitel 10. „... Diese Grundstoffe sind, wie manche Philosophen sagen, der Schwefel und das Quecksilber. Sie sind (in den Metallen) so fest gebunden, dass man sie schwer loslösen kann. Die Verdichtung und Verhärtung ist so stark, dass man sie (d. h. die Metalle, die aus diesen Grundstoffen bestehen) mit dem Hammer bearbeiten und dehnen kann, ohne sie zu zerbrechen. Dies hat seine Ursache nur darin, dass das Feuchte und Zähflüssige in ihrer Mischung, durch langsame, andauernde Verdichtung und Kochung, bei mäßiger Wärme in der Erde, nicht zerstört, sondern erhalten wurde. … Die Feuchtigkeit kann die trockenen Teile überwiegen, oder trockene und feuchte Teile können in gleichmäßiger Mischung vorhanden sein. Der Ausgleich zwischen den feuchten und den trockenen, sowie die Entstehung einer einheitlichen und reinen Substanz, die nicht zu hart und nicht zu weich ist und die durch Schlagen sich dehnt, geschieht nur durch andauernde, innige Mischung von feuchtflüssigen und von feinen festen Teilen, bis Feuchtes und Trockenes eins werden.“ „Kapitel 26. Über die Grundstoffe der Metalle, nach den Ansichten neuerer Forscher und nach denen des Autors. Andere, Moderne, sagen: Die Grundstoffe sind nicht Quecksilber und Schwefel in ihrer eigentlichen Natur, sondern in verändertem Zustand, in welchem sie in erdartige Körper verwandelt sind. Ferner, meinen diese Leute, sei der Urstoff etwas anderes gewesen als eine übelriechende, flüchtige Substanz, und zwar kamen sie durch folgende Über-
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Kap. 9 legung zu dieser Ansicht. In den Lagerstätten des Silbers und anderer Metalle fanden sie kein Quecksilber und auch keinen Schwefel, sondern sie fanden, dass dieselben jedes für sich in besonderen Minen vorkommen. Sie begründen ihre Ansicht ferner dadurch, dass sie sagen: Ein Übergang zwischen entgegengesetzten Dingen kann nur mit Hilfe eines Zwischengliedes stattfinden. Dadurch kommen sie zu der Anschauung, einen Übergang von der Weichheit des Quecksilbers zu der Härte eines Metalles könne es nur mit Hilfe eines mittleren Zustandes zwischen Weichheit und Härte geben. Da man nun in den Erzlagerstätten nichts findet, das diesen mittleren Zustand zeigt, so wurden sie dadurch zur Überzeugung gebracht, nicht Quecksilber und Schwefel in ihrer eigentlichen Form seien die Grundstoffe, sondern das, was bei der Umwandlung ihres ursprünglichen Wesens in eine erdige Substanz entsteht. Der Vorgang dabei ist der, dass zunächst beide in ihre erdige Natur umgewandelt werden, und dass dann hieraus, infolge der hohen Wärme im Erdinnern, ein feiner Dampf entweicht, der die Materie der Metalle ist. Dieser Dampf wird durch die mäßige Wärme in der Mine in die entsprechenden Erden übergeführt und wird dadurch zu festen Körpern, die durch fließendes Wasser in der Erde verteilt und mit ihr fest vereinigt werden. … Zu einer derartigen Vermischung kommen alle Grundstoffe nach natürlichen Proportionen, und eine solche Mischung wird durch andauernde Erwärmung in der Erde fest und hart und wird zu Metall.“ Geber diskutiert hier, ob die Grundstoffe „Schwefel“ und „Quecksilber“, aus denen die Metalle entstanden gedacht werden, als solche oder in verwandelter, ja sogar nur in übertragen gemeinter Form vorliegen und kommt zu dem Ergebnis,
„nicht Quecksilber und Schwefel in ihrer eigentlichen Form seien die Grundstoffe, sondern das, was bei der Umwandlung ihres ursprünglichen Wesens in eine erdige Substanz entsteht“.
Abb. 5: Michael Maier, Portrait aus seinem Buch „Atalanta Fugiens“, Oppenheim 1618
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Außerdem beschäftigt ihn die Frage, wie aus Fest und Flüssig die Schmiedbarkeit der Metalle entsteht. Metalle sind zwar plastisch verformbar, aber doch noch relativ steif. Seine Erklärung ist, dass winzige feste und flüssige Teilchen existieren, die mechanisch nicht trennbar sind und eine homogene Masse darstellen. Vielleicht hat er an das plastische Verhalten von mehr oder weniger feuchtem Ton gedacht, wie es auch Michael Maier in seinem Buch „Atalanta fugiens“ von 1617 erwähnt, im 15. Kapitel mit dem Titel „Des Töpffers Werck bestehet in dem Feucht und Trocknen/ und
lehret dich“ 19 (zitiert nach der deutschsprachigen Ausgabe von 1708). Geber spricht auch von „natürlichen Proportionen“, in denen die beiden Grundstoffe vorhanden sein müssen, und von einer „überschüssigen Feuchtigkeit“, die man abspalten könne, dies aber sehr behutsam tun müsse. Auch diese Gedanken werden von Michael Maier in seiner Abhandlung an Landgraf Moritz (siehe unten) ausführlicher dargestellt.
Michael Maier (1569–1622) Michael Maier 22,23,24 war Leibarzt und Alchemist zunächst von 1608–1611 am Hofe von Kaiser Rudolf II. (1552–1612) in Prag sowie ab 1618 bei Landgraf Moritz dem Gelehrten (1572– 1632) in Kassel. Er war einer der Exponenten der am Anfang des 17. Jahrhunderts sich entwickelnden historischen Rosenkreuzer-Bewegung. Bekannt wurde er durch eine Reihe von Büchern, darunter „Atalanta Fugiens“ 25, das „über die Alchemie hinaus zu den schönsten Emblembüchern des Barock gezählt“ 26 wird. Über die darin enthaltenen Stiche von Matthäus Merian wird gesagt, sie gehörten „zweifellos zum Schönsten, das die hermetische Kunst an Druckgraphiken zu bieten hat.“ 27 Seine Vorstellungen über die Entstehung und „Verbesserung“ der Metalle erwähnt Maier in vielen seiner Bücher. Besonders konzentriert hat er diese Gedanken in einer kleinen Ausarbeitung niedergelegt, dem „Memoriale“ 28 an Landgraf Moritz den Gelehrten, das in der Handschriftensammlung der Murhardschen Bibliothek in Kassel aufbewahrt wird. In knapper Form wird hier dargestellt, was z. B. in der „Atalanta Fugiens“ opulent ausgearbeitet ist. Die bisher unpublizierte vollständige Abhandlung, übersetzt vom Autor, ist im Anhang wiedergegeben. Hier folgen Auszüge zu den wesentlichen Punkten der Sulfur-Merkur-Theorie, wie Michael Maier sie sieht:
„In jener Einheit des Wesens aber gibt es im Gold eine Zweiheit der Substanz, der Qualitäten des Aussehens wie auch des Geschlechtes. Das heißt, ein Teil (Her-
vorhebung vom Übersetzer)
der merkuriellen Substanz [ist] äußerst fix, tiefrot, unverbrennbar, warm und trocken, allerdings zusammen mit einer grundlegenden
Abb. 6: Die Entstehung der Metalle aus Sulfur (links) und Merkur (rechts) im Innern der Erde, aus „Symbola aureae mensae duodecim nationum“ 20 von Michael Maier, Frankfurt 1617. Rechts ist Thomas von Aquin abgebildet, links auf dem Berg ist ein Laborant mit Ofen, Zange und dreikantigem Schmelztiegel zu sehen.
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Kap. 9
Abb. 7: Der Töpfer, Emblem XV aus dem Buch „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier, Oppenheim 1618, mit dem Begleittext (nach der deutschen Ausgabe von 1708): „Des Töpffers Werck bestehet in dem Feucht und Trocknen/ und lehret dich“, und später: „Wilt du des Töpffers Werck in deiner Kunst auch führen/ So muß ja beyde nicht ein Überfluß berühren“ (Bild: SLUB Dresden)
Abb. 8: Bruder und Schwester erhalten vom Alchemisten einen Liebestrank, um ihre noch innigere Vereinigung zu fördern, Emblem IV 29 aus „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier, Oppenheim 1618. Im Buchtext heißt es dazu, dass für chemische Substanzen manches gut und erlaubt sei, was für Menschen verboten ist. (Bild: SLUB Dresden)
Öligkeit, die man daher schweflig nennt, weil sie die Fähigkeit des Sulfurs zum Koagulieren des eigenen Quecksilbers besitzt. Und etwa tausend Teile der merkuriellen Substanz sind aus sich heraus nicht fix, sondern roh, weiß, verbrennbar, kalt und feucht, die daher Quecksilber genannt werden, weil sie mit dem gewöhnlichen Quecksilber in ihren Eigenschaften übereinstimmen. Jener schweflige Teil koaguliert oder fixiert den merkuriellen, hält ihn sogar im Feuer fest, sodaß er nicht daraus entflieht, färbt [ihn] und macht [ihn] ausgehend von einer weißen Substanz gelb; jener ist männlich, dieser weiblich, jener beständig, dieser labil, jener hält äußerst geduldig Feuer und Wärme aus (weil er ein Sohn der Sonne ist), dieser [ist] wässrig und die Tochter Neptuns, jener wird Sonne genannt und Gold der Philosophen und mit tausend männlichen und heroischen Namen benannt. Dieser [heißt]
Mond und Quecksilber, weil er lebt und wächst. Dies ist die Mutter von jenem, jener ist der Sohn. Dies ist die Gattin oder Ehefrau von jenem, jener ist der Ehemann. Dies ist die Schwester von jenem, jener ist der Bruder. Warum Mutter? Weil jener Sulfur aus diesem Quecksilber auf natürliche Weise hervorgegangen ist, und jene diesen Sohn in ihrem Bauch getragen hat, ja sogar noch trägt. Warum Ehefrau? Weil in einer Ehe die vier Qualitäten der Elemente verbunden sein sollen, von denen Wärme und Trockenheit sich auf jenen beziehen, auf diese [aber] Kälte und Feuchtigkeit. Warum Schwester? Weil beide aus dem einem Quecksilber wie aus einem Mutterleib hervorgegangen sind, daher werden sie Brüder von Mutterleib an, Zwillinge, philosophisches Ei genannt, gleichartig an Dotter und Eiweiß.“ „Der Schöpfer des Universums hat im Zentrum der Erde Quecksilber verborgen, ge-
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Kap. 9
Abb. 9: Der Hermaphrodit als Kind von Hermes und Aphrodite, Emblem XXXVIII 30 aus „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier, Oppenheim 1618 (Bild: SLUB Dresden)
Abb. 10: Hermaphrodit auf dem Feuer bei der „Geschlechtsumwandlung“ hin zu einem edleren Metall, Emblem XXXIII 34 aus „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier, Oppenheim 1618 (Bild: SLUB Dresden)
schaffen aus dem Nichts zusammen mit allem anderen in der ersten Schöpfung, oder, wie wir lieber sagen wollen, jenes ist entstanden aus dem Aufsteigen und Absteigen einer wässrigen Substanz, angedickt mit einem erdartigen Anteil, über lange Zeit, so viel steht fest. Dasselbe ist festzustellen vom gewöhnlichen Schwefel, dem öligen und brennbaren. Diese beiden Substanzen, angeregt durch die unterirdische Hitze, neigen wie Rauche oder Dämpfe im Zentrum der Erde zum Aufsteigen; wie wenn sie sich gegenseitig umarmen in den Höhlungen der Felsen und sich dort eine Zeitlang aufhalten, koaguliert jener warme und trockene Dampf jenen kalten und feuchten Dampf, das heißt, der gewöhnliche Schwefel [koaguliert] das gewöhnliche Quecksilber. Und nach diesem Prinzip entsteht bald das Bleierz, wovon es wohl zwanzig Arten gibt; so entsteht auch das Kupfer-, Eisen- und Zinnerz. In diesen hängt die Verschiedenheit der Koagulation von
dem verschiedenen Ort, der Wärme und dem Einfluss des [zugehörigen] Planeten ab.“ „Und auf diese Weise entsteht die Tinktur des Goldes oder der sulfurische Teil im Gold, wie die Butter in der Milch. Hieraus steht zur Genüge fest, dass der Sulfur des Goldes aus seinem [ihm] beigemischten Quecksilber entsteht, das heißt der Sohn aus seiner Mutter. Daher ist die der Tinktur oder dem Gold der Philosophen nächste Materie das, woraus es geboren wird, die Substanz Quecksilber, nämlich jenes selbe Quecksilber, welches im Gold ist. Diese Materie ist ihrer Natur nach nicht gewöhnliches Quecksilber, sondern war so [beschaffen], bevor es durch die Natur oder die Kunst in Gold verwandelt wurde. So ist jene Form oder sulfurischer Teil des Goldes das Gold und Ferment der Philosophen, ja es ist der Same, der in seinen Acker gesät werden muss, das heißt in sein schon erwähntes Quecksilber, und [ist] nicht das gewöhnliche Gold in seiner ganzen
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Kap. 9 Substanz, sondern [nur] ein Teil davon.“ „Denn in dieser einen Verbindung ist Gabritius mit Beia, Schwefel mit Quecksilber, der Bruder mit der Schwester, der Ehemann mit der Ehefrau etc. Und jene Verbindung hat alles in sich selbst, was sie braucht. Und sie hat keine andere Beschäftigung, als dass jenes entfernt wird, was überflüssig ist. Denn wenn die wässrige Feuchtigkeit von jenem Weiblichen entfernt wird, wird jenes männlich und dem Männlichen in allem ähnlich. Jenes Weibliche ist die philosophische Materie, und das Männliche ist die Form oder Idee, oder sogar das Ferment, das die ganze Materie fermentieren muss. Davon sagen die Philosophen, dass das Weibliche in das Männliche verwandelt werden müsse, und [dass] nur die Trockenheit tingiere. Auszutrocknen ist daher jene überflüssige wässrige Feuchtigkeit im Quecksilber, so weit, bis das Quecksilber des Goldes in Sulfur oder Tinktur überführt wird, und dann wird die ganze Substanz Tinktur sein, oder auch die tausendfache Vervielfältigung, Vermehrung oder Fermentation ist zustande gekommen.“ Maier befasst sich mit denselben Fragestellungen wie Geber: Quecksilber und Schwefel im wörtlichen oder im übertragenen Sinne, Entstehung der Metalleigenschaften aus Fest und Flüssig, Abtrennung der überflüssigen Feuchte. Als erste Substanzen in dem aus der Erde aufsteigenden Dampf sieht er „gewöhnlichen Schwefel“ und „gewöhnliches Quecksilber“. Die Andickung mit erdartiger Substanz über lange Zeit scheint er von Geber übernommen zu haben. Sobald aber die Erze der unedlen Metalle wie z. B. Blei gebildet sind, haben die Ursubstanzen sich aus der „gewöhnlichen“ Form verwandelt in andere Formen von Sulfur und Merkur, in verschiedene Eigenschaften des homogenen Metalls. In seinem Buch „Viatorium, hoc est, de montibus planetarum septem seu Metallorum“ 31 sagt er:
„Zwar hat die Natur mit Hilfe jenes Schwefels, wie vorher dargelegt, das Gold erzeugt … genau wie ein Schmied oder Mechaniker sich des Hammers bedient, des Feuers oder Wassers als Werkzeuge und Hilfsmittel, welche alle nicht bei den nach der Kunst gemachten Dingen verbleiben. Das Gold ist gänzlich frei von gemeinem Schwefel, und dessen Stelle besetzt ein anderer Schwefel, nämlich ein metallischer, der aus der Substanz des Quecksilbers hervorgebracht wurde, welcher jenem homogen beigemischt ist, und nicht fremd, und von dem der gemeine Schwefel sehr weit entfernt ist“ 32 (Übersetzung
vom Autor).
Maier stellt sich die beiden Bestandteile Sulfur und Merkur trotz ihrer Veränderung noch quantitativ-substanzhaft vor. Zum Aufbau des Goldes sagt er, Sulfur und Merkur seien darin im Verhältnis 1 zu 1000 enthalten. Die „Reifung“ der Metalle in der Erde geschehe so, dass sich der im Metall enthaltene Sulfur, der die Farbe, den hohen Schmelzpunkt und den Edelmetallcharakter bewirke, allmählich auf Kosten des merkuriellen Anteils vermehre, wie etwa der Embryo eines Tieres in der Gebärmutter wächst und sein prozentualer Anteil am trächtigen Muttertier immer größer wird. Wenn man es schaffe, die überflüssige Feuchtigkeit abzutrennen und den „Embryo“ in konzentrierter Form zu erhalten, habe man das „Gold der Philosophen“, das Ferment, mit dem man andere Metalle in Gold verwandeln könne. Seine Eigen-
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Abb. 11: Die vier Feuer, Emblem XVII 37 aus „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier, Oppenheim 1618
(Bild: SLUB Dresden)
schaften werden beschrieben als „ölig, tiefrot, homogen, tingierend und eindringungsfähig in alle geschmolzenen Metalle“ – der Stein der Weisen (vergl. auch Kap. 16). Das Buch „Atalanta Fugiens“ enthält auch ein Bild für den oben zitierten Vorgang, durch dosierte Energiezufuhr das Weibliche, „Wässrige“ im doppelgeschlechtlich gedachten Metall zu vermindern und das Sulfurische = Männliche zu stärken. Es stellt einen Hermaphroditen dar, der auf einer Trage über einem Feuer liegt. Aus dem Text geht hervor, dass durch diese Erhitzung sein Geschlecht umgewandelt würde, er von weiblich zu männlich würde. Allerdings weiß Maier auch hier, dass es nicht so einfach ist, wie manche seiner weniger gründlichen Zeitgenossen es erscheinen lassen möchten. In dem oben erwähnten „Viatorium“ 33 beschreibt er, wie durch Hinzufügen von Quecksilber zu soeben erstarrtem Blei dieses in einen Feststoff umgewandelt wird, nach heutigem Verständnis also die bei Raumtemperatur feste
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Kap. 9 Quecksilberlegierung Bleiamalgam entsteht. Dies würden manche bereits als einen Schritt in Richtung Goldentstehung werten, Maier aber stellt fest, dass aus diesem „verfestigten Quecksilber“ das ursprüngliche Quecksilber durch Destillation wieder zurückgewinnbar sei, von Metallumwandlung also keine Rede sein könne. Der von Maier vorgeschlagene Weg ist komplizierter. Doch er erwähnt den „kleinen Haken“, der ihn bisher am Erfolg gehindert hat: das richtige Feuer zur Erhöhung des Gehalts an „metallischem Sulfur“, zum Entfernen der überflüssigen Feuchtigkeit. Er schreibt:
„Aber von welcher Art ist jenes Feuer? In der Tat ist es das, welches am Kopf oder an der Spitze der Berge gefunden wird, welches Stein und nicht Stein ist, welches Wohnung und Wasser und Dampf und Rauch der Metalle ist. Mit diesem Feuer, das [Feuer] gegen die Natur genannt wird, soll jene Verbindung in bekanntem Verhältnis gemischt und dem elementarischen Feuer in einem geeigneten Gefäß ausgesetzt, gelöst und koaguliert werden. Und dann verwandelt jenes Feuer gegen die Natur ohne Zweifel das unnatürliche Feuer, das heißt, die Materie des Quecksilbers, in jener Verbindung in natürliches Feuer, das heißt in Sulfur oder die gesuchte Tinktur“. 35 Damit seine Versuche erfolgreich sein können, benötigt er also frische vulkanische Lava und ein geeignetes Gefäß, das sie aushält – und die konnte offensichtlich auch Landgraf Moritz, an den das Schreiben adressiert war, ihm nicht beschaffen. Bemerkenswert ist der Bezug auf die vier Arten Feuer, die er auch in Kapitel 17 36 seiner „Atalanta fugiens“ beschreibt. - Das „Feuer gegen die Natur“ ist vulkanische Lava, extrem heiß, aber trotzdem viel materieller als das gewöhnliche elementarische Feuer. Es umfasst alle vier Elemente. - Das „elementarische Feuer“ ist das von Aristoteles bekannte, klassische Element Feuer. - Das „unnatürliche Feuer“ ist die Hitze und Leuchtkraft, die ein Körper nicht aus sich selbst heraus, sondern von außen, durch das elementarische Feuer, mitgeteilt bekommen hat. Maier vergleicht es mit dem weiblich, empfangend gedachten Mond, der nur leuchtet, weil er von der Sonne angestrahlt wird. Im „Memoriale“ setzt er diese Art Feuer sogar gleich mit dem Quecksilber, dem ähnliche weibliche Eigenschaften zugeschrieben werden. - Das „natürliche Feuer“ stellt die innewohnende chemische Energie dar, das, was die Metalle zu Metallen macht. Als deren Träger bezeichnet Maier den im Gold enthaltenen Sulfur, oben erwähnter Massenanteil etwa ein Tausendstel.
Michael Sendivogius = Michał Sędziwój (1566–1636) Der polnische Alchemist Michał Sędziwój = Michael Sendivogius 38,39,40,41 war ein hervorragender Naturforscher. Er studierte, nachlesbar in den noch erhaltenen Matrikelverzeichnissen, in Leipzig (1590), Wien (1591) und Altdorf (1594/1595) und war mit einer Deutschen verheiratet. 1615/1616 verbrachte er einige Zeit im Labor von Johannes Hartmann in Mar-
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burg am 1609 eingerichteten europaweit ersten Lehrstuhl für Chemiatrie, der gemeinsamen Vorläuferwissenschaft von Chemie und Pharmazie. 42 Ab 1593 stand er in Diensten von Kaiser Rudolf II., weilte immer wieder am kaiserlichen Hof in Prag und beeindruckte 1604 den Kaiser durch eine gelungene Transmutation = Metallverwandlung so sehr, dass dieser auf dem Gelände der Prager Burg die Inschrift anbringen ließ: „Faciat hoc quispiam alius quod fecit Sendivogius Polonius.“ („Möge dieses irgendein anderer tun, was der Pole Sendivogius getan hat.“) Von seinem Zeitgenossen Michael Maier, der ihn persönlich gekannt hat, wurde er so hoch geschätzt, dass er ihn in seinem Buch „Symbola aureae mensae duodecim nationum“ als den bedeutendsten Alchemisten des slawischen Kulturkreises darstellte, allerdings ohne seinen Namen zu nennen: „Anonymus Sarmata“. 43 Er sagt dort über ihn:
„...dessen Tinktur bewunderungswürdige Macht bei der Anwendung auf verschiedene Metalle und deren Umwandlung in bestes Gold [Maier] selbst mit eigenen Augen gesehen hat“ (Übersetzung vom Autor). Die Identität des gerühmten Ungenannten lässt sich über die dort beigefügte Illustration herausfinden, die in einem anderen zeitgenössischen Werk mit seinem Namen versehen ist und zudem auf eine in einem seiner Bücher erzählte Episode anspielt. Sendivogius scheint Wert darauf gelegt zu haben, auch als erfolgreicher Autor – seine Bücher erschienen auf Latein, Deutsch, Englisch, Französisch, Niederländisch, Polnisch, Russisch und Tschechisch – noch möglichst
Abb. 12: Michael Sendivogius als „Anonymus Sarmata“ = ungenannter Pole aus „Symbola aureae mensae duodecim nationum“ von Michael Maier, Frankfurt 1617
Abb. 13: Titelblatt des Buches „Tractatus de Sulphure“ von Michael Sendivogius mit dem Anagramm ANGELUS DOCE MIHI IUS = MICHAEL SENDIVOGIVS (Quelle: SLUB Dresden, http://digital.slub-dresden. de/id278845908)
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Kap. 9 lange unerkannt zu bleiben. Eine Reihe von Jahren hat er seine Bücher unter Anagrammen (durch Umstellung der Buchstaben erzeugte neue Wörter) seines Namens herausgegeben, etwa ANGELVS DOCE MIHI IVS („Engel, lehre mich Recht“) = MICHAEL SENDIVOGIVS oder DIVI LESCHI GENVS AMO („Ich liebe das Geschlecht des göttlichen Lescus“) = MICHAEL SENDIVOGIVS. Leszek, latinisiert Lescus, war in den zeitgenössischen Chroniken der Name mehrerer polnischer Könige des 12. und 13. Jahrhunderts. Eine deutschsprachige Ausgabe trägt das Anagramm: VVIIL SENDEN SO ICH MAG = MICHAEL SENNDIVOGIVS. 1651, 15 Jahre nach Sędziwójs Tod, wurde in Paris in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung die Behauptung verbreitet, das Hauptwerk des Erfolgsautors stamme gar nicht von ihm selber, ebenso wenig wie die Tinktur, mit der er 1604 vor dem Kaiser in Prag die vielbeachtete Transmutation durchgeführt hatte. Er habe vielmehr den schottischen Alchemisten Alexander Seton, von dem nichts Gedrucktes existiert, 1603 aus dem Kerker gerettet, in den ihn der sächsische Kurfürst Christian II. habe werfen lassen, und dafür von ihm eine goldmachende Tinktur und ein später herausgegebenes Buchmanuskript erhalten sowie nach seinem Tode seine Frau geheiratet. Die französischen Leser dieser Geschichte konnten ihren Wahrheitsgehalt offensichtlich nicht nachprüfen, und so fand sie Eingang in die weitere Literatur. Auch der Chemiehistoriker Schmieder übernahm in seinem seit über 150 Jahren immer wieder nachgedruckten Standardwerk von 1832 diese Version ungeprüft 45. Die neuere chemiegeschichtliche Forschung ist den Angaben nachgegangen und konnte für keines der genannten Ereignisse, sowohl bezüglich Seton 46 und seiner Frau als auch für Sendivogius 47, in irgendeiner Weise historische Belege finden. Nicht einmal Todesjahr und -ort von Seton stimmen, geschweige denn die angeblich durch Zeugenaussagen belegten Umstände seines Todes. Auch Sendivogius’ Todesjahr ist falsch angegeben. Die ganze Geschichte gilt heute als frei erfunden. Michał Sędziwójs Bücher sprühen von Kenntnis, Temperament und Witz, er hat sogar kleine Theaterstücke in Form von Sketchen geschrieben, in denen er die Natur von Sulfur und Merkur erklärt und gleichzeitig naive und ungebildete Alchemisten anprangert. In seinem Werk „Von dem Rechten wahren Philosophischen Stein: Zwölff Tractätlin in einem Wercklin verfasset unnd begriffen…“ 48 – auf späteren Auflagen des Buches erscheint sein wirklicher Name – schreibt er über den Aufbau der Metalle: (S. 12) „Die erste Matery der Metallen ist zweyerley/ aber eine ohne die andere voll-
endet kein Metall. Die erste unnd vornemeste ist die Feuchte/ mit Wärme der Lufft vermischet/ diese haben die Philosophen Mercurium genennet/ welcher durch die stralen der Sonnen und Monds im Philosophischen Meer regieret wirdt: die andere ist der Erden truckne wärme/ welche sie Schwefel genennet haben/“ (S. 14)„Es werden die Metall dergestalt auff und hervor gebracht/ nach dem die vier Element ihre Krafft unnd Tugendt in das Centrum der Erden geworffen oder ergossen haben/ So sublimiert durch distilliren der Archæus dieselbige/ durch die Wärme des immerwehrenden motus inn das öbriste der Erden: Dann die Erde ist Porosa (mit Lufftlöchern) und resolviert sich der Wind/ wann er durch die poros (oder Lufftlöcher) der Erden tröpfflecht zu Wasser/ auß deme alle ding geboren werden.“
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(S. 16) „… der Natur Archæus … theilet ihn jedem ort durch seine vorsichtigkeit auß/ … also das wegen unterscheid der örter/ auch die ding so herfür kommen/ ungleich unn underscheiden sind. Es vermeinen etliche[,]Saturnus [=Blei] habe einen andern Samen/ als Sol [= Gold]/ wie auch ein jedes Metall einen besondern/ aber solches ist alles eitel/ Es ist nuhr ein einiger samen/ es findet sich eben das im Saturno, was in Gold[,] eben inn Luna [Silber] was in Marte [Eisen] &c. Aber der orth der Erden ist anders unn ungleich gewesen … : wo er nuhn durch warme und raine örter (S. 17) kommet/ da die fettigkeit deß Sulphurs an den Wänden hänget/ so accomodiert derselbige dunst oder Dampff/ (den die Philosophi Mercurium Philosophorum nennen) und vereiniget sich mit derselben Fettigkeit/ welche er hernach mit sich sublimiert/ unn wirdt als dann ein unctuositet/ oder feißte/ verlaßt den Namen eines Vapors oder Dunsts/ unnd nimbt an den Namen einer Fettigkeit/ welche/ wann sie hernach im sublimieren an höhere ort kommet/ die der vorhergehende vapor [= Dampf] allbereit gereiniget hat/ wo die Erde subtil rein/ und feucht ist/ so erfüllet sie ihre poros/ vereiniget sich darmit/ und wird also Sol [Gold]. Wann aber dieselb feißte an unreine kalte ort kommet/ so wird Saturnus darauß/ Ist aber solche Erde rein/ und mit Sulphur vermischt/ so gebüret es Venerem [Kupfer] &c. Dann je mehr ein orth gereiniget ist/ je schöner werden die Metall. Dann es ist zu mercken/ das derselb vapor immerdar auß dem Centro, in die superficiem unn öbere stelle außdempffet/ und im gehen oder fortweichen die ort reiniget. ... Dann durch sein fort wandern/ machet es immerdar das rohe unreine subtiler/ nach unn nach je ein wenig mit sich hinwegführende. Unn dises ist die reiteratio und circulatio der Natur/ und sublimiert sich so lang/ immer zu etwas (S. 18) newes herfür bringende/ biß der orth ganz wol durchreiniget wirdt/ unn je reiner derselb wirdt/ je edlere sachen bringet er auch herfür.“ (S. 25) „Die vier Element in der ersten operation unn würckung der Natur tröpflen durch den Archæum der Natur in das Centrum der Erden einen gewichtigen vapor oder dunst Wassers/ welcher der Metall samen ist/ und wirdt Mercurius genant/ wegen seiner flüßigkeit/ und das er sich mit einem jedwedern ding vereiniget(,) nit wegen/ seines wesens/ wirdt dem Sulphur verglichen/ wegen seiner innerlichen wärme/ und nach der congelierung ists daß humidum radicale, welchs man zu Teutsch ein solche Feuchtigkeit nennen köndte/ so von anfang der Natur eingepflanzt. Und ob schon der Metallen Leib auß dem Mercurio geschaffen ist/ welches von dem Mercurio der philosophorum zuverstehen/ so soll man doch denen kein gehör geben/ welche vermeinen/ das der gemein Mercurius der Samen der Metall seye und nemen also ein corpus, anstatt des samens/ (S. 26) und bedencken nit das auch der gemein bekannt Mercurius seinen Saamen in sich habe. Der Irrthumb diser aller wirdt auß folgendem exempel erscheinen. Wissentlich ist es/ dass die Menschen in sich einen Samen haben/ inn deme sie sich vermehren: deß Menschen corpus ist Mercurius, aber der Samen verborgen ist im Leib/ und in ansehung deß ganzen Leibs/ ein sehr geringer theil deßselben am gewicht. Wann einer nuhn einen Menschen generieren will/ so muß nit Mercurius, welcher ein corpus ist/ sondern Samen/ ein zusamen geronnener vapor Wassers genommen werden. Also wirdt von den Chy-
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Kap. 9 misten in widergeberung der Metall unrecht procediert/ sie solvieren die Metallischen Cörper/ es seye mercurius, Goldt/ Saturnus oder Luna, und corrodieren dasselb mit aqua forten [= Salpetersäure]/ und andern untüchtigen sachen/ die zur kunst nit gehören/ mischens nachmaln zusamen und kochens miteinander/ bedencken aber nit/ das auß einem zerstückten Menschlichen Leib kein Mensch gezeuget wird/ dieweiln der gestalt deß Menschen verderbung unn deß samens zerstörung vorhergangen.“ Im Zentrum der Erde sitzt die Urkraft, der Archæus, und durch dessen Wirkung dringen Sulfur und Merkur nach oben und erzeugen in den unterirdischen Hohlräumen die Metalle. Welches Metall entsteht, hängt von der Umgebung ab, in der die Dämpfe sich niederschlagen, je reiner der Ort, desto edler das Metall. So könne durch diese fortwährende Destillation die Umgebung sich reinigen und nachfolgend zur Bildung edlerer Metalle führen. Sendivogius sieht hier die Laborprozesse der reiteratio (vielfache Wiederholung von Reaktionen) und circulatio (Rückflussdestillation) in der Natur verwirklicht. Sulfur ist für Sendivogius die trockene Wärme der Erde, die sich zu einer „Fettigkeit“ verdichtet. Ausgiebiger beschäftigt er sich mit dem Merkur. Die Frage, ob damit die gewöhnliche Substanz Quecksilber gemeint ist oder ein verfeinert zu denkendes Analogon, beantwortet Sendivogius eindeutig und temperamentvoll: Es sei natürlich ein „philosophisches Quecksilber“ als feinster Samen der Metalle, und es existiere nur ein Same für alle Metalle. Wer meine, es sei das Metall selbst, der verwechsele den groben Körper mit dem feinen Samen. Auch Quecksilber habe noch einen solchen Samen. Ganz im Sinne dieser Ansicht macht sich Sendivogius in seinem Sketch über den Merkur über einen Alchemisten lustig, der das Metall Quecksilber für den Ursprung der Metalle hält. Und wer Metalle vervollkommnen wolle, der arbeite mit den Metallen selbst und löse sie nicht in Säuren auf, denn dabei würden sie getötet, und ein getöteter Körper habe keinen fruchtbringenden Samen. Ähnlich argumentiert er in seinem Sketch über den Sulfur: Ein etwas tumber Alchemist sucht den philosophischen Sulfur, die Kraftquelle der Natur. Beim Versuch, diese Kraft in Reinform zu fassen, erhält er immer nur „Schwefelkerzlein“, wie man sie zum Ausräuchern von Weinfässern verwendet, die profanste Form der Substanz Schwefel und gerade nicht das, was er gesucht hat.
Johann Rudolph Glauber (1604–1670) Johann Rudolph Glaubers größte Leistung ist die Verknüpfung von Wissenschaft und Handwerk zur bis dahin noch nicht existenten chemischen Technologie 49,50,51. Sein Arbeitsschwerpunkt lag mehr als bei anderen auf der praktischen Herstellung von Substanzen im Manufakturmaßstab 52. In seinem Denken war er trotzdem noch kein „moderner Chemiker“. Die Theorien seiner Zeit waren die selbstverständliche Grundlage seiner Arbeit, allerdings hatte er dazu durchaus seine eigenen, auf seine Erfahrungen gegründeten Interpretationen. Die Sulfur-Merkur-Theorie findet sich an vielen Stellen in seinem Werk, in konzentrierter Form vor allem in dem Buch Opus Minerale 53. In Teil II beschreibt er seine Sichtweise von der
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Entstehung der Metalle in der Erde, also das „klassische Szenario“, mit dem auch Aristoteles und viele weitere Autoren sich beschäftigt haben (Kap. 11). Die praktische Durchführung des Goldmachens im Labor ist Thema des nachfolgenden dritten Teiles seines Buches (Kap. 12). Von Sendivogius hält er viel, er erwähnt ihn lobend und zitiert sogar in Opus Minerale Teil III wörtlich und in lateinischer Sprache einen Teil des oben wiedergegebenen Textes. Einige Gedanken zu Entstehung und Aufbau der Metalle scheint er durchaus von ihm übernommen zu haben. Dies ist vor allem das Konzept vom „allgemeinen Saamen“, das er sehr betont und verteidigt. Dieser ist für Glauber weder eine Ausdünstung wie bei Aristoteles noch ein als Substanz gedachter Schwefel, wie für das Anfangsstadium von Maier angenommen, sondern von Anfang bis Ende unsichtbare Energie. Ebenfalls sehr nah an Sendivogius ist Glaubers Ansicht, die Unterschiedlichkeit der Metalle rühre von der Unterschiedlichkeit ihrer Entstehungsorte her. Dass die traditionell den sieben Metallen Silber, Quecksilber, Kupfer, Gold, Eisen, Zinn und Blei zugeordneten sieben „klassischen Planeten“ Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn einen direkten Einfluss auf die Entstehung der Metalle haben könnten, indem die Strahlung eines individuellen Himmelskörper nur das ihm zugeordnete Metall entstehen lässt, lehnt Glauber in Übereinstimmung mit Sendivogius ab. Allerdings gibt es auch Unterschiede in der Denkweise. Während Sendivogius sich hauptsächlich mit dem merkuriellen Teil befasst und den sulfurischen Teil der Metalle kurz einer allgemeinen trockenen Wärme der Erde zuschreibt, ist bei Glauber die Gewichtung umgekehrt. Für ihn stammt das Flüssigkeitsartige aus einem „dicken Wasser“, das in der Tiefe vorhanden sei, vielleicht in gewisser Anlehnung an die Vorstellungen Gebers. Detaillierte Gedanken macht er sich über den Energieteil, das Sulfurische. Der „allgemeine Saame“ ist bei Glauber konkretisiert in der Strahlung der Sonne und der anderen Himmelskörper, die in die Erde eindringt bis zum Zentrum, beim Wiederaufsteigen sich mit dem Flüssigen verbindet und so die Metalle erzeugt. Die Substanzen „gewöhnlicher Schwefel“ und „gewöhnliches Quecksilber“ betrachtet er als nicht an diesem Prozess beteiligt. Glaubers konkrete Verknüpfung der in den Metallen vorliegenden chemischen Energie mit der Strahlung der heute noch sichtbaren Himmelskörper ist etwas Neues. Maier geht noch von einem bei der Schöpfung im Zentrum der Erde deponierten „Vorrat“ von Sulfur und Merkur aus, und Sendivogius bemüht eine dort sitzende Urkraft, einen Archæus. Glauber beruft sich hingegen auf Ursachen, die aktuell noch wirken und damit eher nachprüfbar sind. Die Entstehung der Metalle ist für ihn nicht nur ein Akt, der in einer vergangenen Urzeit geschehen ist, sondern ein Lebensprozess der Erde in ihrer Wechselwirkung mit den Gestirnen, der immer noch abläuft. Zum Energieinhalt von brennbaren Stoffen sowie der Energiequalität der Metalle erklärt Glauber:
„Zu mehrerm und besserem Unterricht soll vor allen Dingen der Kunstliebende wol betrachten/ was Feuer und desselben Herkommen/ Natur/ Wesen und Krafft eigentlich sey/ ... dann Holz/ Kolen/ und dergleichen brennende Dinge sind eigentlich kein Feuer/ sondern allein eine Wohnung deß Feuers/ das Feuer aber/ welches in der Lufft zerstreuet und verborgen ist/ wird daran offenbar/ sichtlich und empfindlich (= empfindbar). Gleichwie der Mensch auch kein Leben noch Seele ist, sondern allein ein receptaculum
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Kap. 9 und Gefäß/ darinn das Leben oder Seele wohnet/ welche ihm von oben herab eingeblasen ist: Also ist auch der Mensch kein Mensch mehr/ wann seine anima von ihm gewichen/ sondern nur ein cadaver. Deßgleichen ist auch das Gold kein Gold mehr/ sondern ein flüchtig Mineral ohne Farb/ wann ihm seine Seel entzogen ist: daran zu sehen/ daß die Gütigkeit der Metallen von ihrer anima, und nicht dem corpore, herrühre“. 54 Der von Maier erwähnte Versuch, über eine Legierung aus Blei und Quecksilber zur „Geschlechtsumwandlung“ des Hermaphroditen Metall zu kommen, ist auch Glauber vertraut. In Opus Minerale Teil III beschreibt er, wie er auf diese Weise vergeblich versucht hat, konkretexperimentell durch Abtrennung der „überflüssigen Feuchte“ aus Quecksilber ein festes Metall zu machen. 55 Für Glauber haben die Erze und Metalle drei wesentliche Bestandteile: das Merkurielle, den fixen Sulfur und den überflüssigen brennbaren Sulfur. Der brennbare Sulfur ist abtrennbar und besteht meist aus Schwefel oder verwandten Stoffen wie Arsen etc., manchmal wird auch die leichte Oxidierbarkeit des Eisens noch darunter gerechnet. Von diesem „verbrennlichen Sulfur“ nimmt Glauber an, er werde sich im Laufe der Zeit in den edleren, fixen Sulfur umwandeln:
„... warumb die Natur dem Eisen und auch andern unvollkommenen Metallen einen solchen Sulphur gelassen; derselbe ist ihre Nahrung und dem bessern Theil derselben/ als einem embryoni gleichsam ihr involucrum und matrix, darinn sich ein edele Geburt zeitigt/ und nach der Zeitigung heraußwickelt/ in Gestalt eines reinen Metalls; dann die Natur wil nicht/ daß das Eisen ein Eisen bleiben soll/ sondern ihr intent (= Absicht) ist gewesen/ Gold darauß zu machen“. 56 Michael Maier hatte diese Funktion gerade dem merkuriellen, flüssigkeitsverwandten Anteil der Metalle zugeschrieben! Glaubers „fixer Sulfur“ ist der philosophische Sulfur anderer Autoren, dasjenige, was zur Metallbildung unbedingt erforderlich ist. Ähnlich wie Maier versucht auch Glauber diesen Anteil zu konzentrieren, um von unedlen zu edlen Metallen zu kommen. Seine in vielfachen Variationen dargestellte Methode besteht darin, ein Metall zum größten Teil zu verschlacken und aus dem verbliebenen Rest das Gold abzutrennen. Eine besondere Variante stellt die Verpuffung von Metallpulvern dar, meist mittels Salpeter, beim Gold über die explosive Goldverbindung Knallgold. Diesem Verfahren liegt wohl der auch bei Maier zu findende Gedanke zugrunde, durch ein besonders kräftiges Feuer könne etwas Energie in dem Metall eingefangen und in Form von Gold bewahrt werden.
John French (1616–1657) Der an Alchemie interessierte englische Arzt John French gibt 1651 in London das Buch „The Art of Distillation“ 57 heraus. Es ist eine Sammlung des damaligen Standes der Wissenschaft auf diesem Gebiet und enthält in übersetzter Form neben anderen Werken auch die wesentlichen Teile von Glaubers damals soeben erschienenem Buch „Furni Novi Philosophici“, so dass man French als Glaubers englischen Übersetzer bezeichnen kann. French fügt in
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Buch VI ein Theoriekapitel mit dem Titel: „Die spagyrische Anatomie von Gold und Silber zusammen mit den Merkwürdigkeiten darin und ihren hauptsächlichsten Präparationen“ hinzu, in dem er seine Ansicht der Metallentstehung darlegt und unter anderem auch auf Sendivogius zurückgreift 58. Zu Glaubers Sichtweise bestehen keine Widersprüche. French legt das Schwergewicht mehr auf die konkreten Eigenschaften der Metalle und verwendet noch weniger Mühe auf eine Beschreibung von Entstehungsprozessen in den dem Forscher nicht zugänglichen Tiefen der Erde. Seine Formulierungen sind knapp und deutlich. Neu ist, dass hier, anders als bei Sendivogius und Glauber, auch dem bereits von Paracelsus (1493–1541) eingeführten Prinzip Sal eine Rolle beim Aufbau der Metalle zugeschrieben wird:
„Der Sulphur der Philosophen, welcher in der Tat der Sulphur der Metalle und aller Dinge ist, ist daher nicht, wie viele denken, jener gewöhnliche brennbare Schwefel, der in den Läden verkauft wird, sondern ist etwas anderes, das sich weit von jenem unterscheidet, und ist brennbar, [jedoch] nicht brennend oder erhitzend, sondern bewahrt und heilt alles, worin es enthalten ist. Es ist das calidum innatum (die eingeborene Wärme) von allem, das Feuer der Natur, das geschaffene Licht, und ist von derselben Natur wie die Sonne, und wird die Sonne genannt. Was in irgendetwas feurig und luftig ist, ist daher Sulphur, nicht, dass irgendetwas gänzlich schweflig ist, sondern was darin äußerst dünn und zart ist und die Essenz des natürlichen Feuers und die Natur des geschaffenen Lichts hat, das ist in der Tat jener Sulphur, den die weisen Philosophen zu allen Zeiten mit großem Fleiß zu extrahieren und mit seinem eigenen Merkur zu fixieren unternommen haben, um so das große Magisterium der Natur zur Vollkommenheit zu bringen. Nun gibt es von allen Dingen auf der Welt nichts, das mehr von diesem Sulphur in sich hat als Gold und Silber, aber insbesondere Gold, sodass es sogar oft Sulphur genannt wird, weil Sulphur das vorherrschendste und ausgezeichnetste Prinzip darin ist, und in ihm mehr davon ist als in allen anderen Dingen. Als Merkur wird hier nicht das gewöhnliche Quecksilber betrachtet, sondern er ist das humidum radicale (die grundsätzliche Feuchte) von allem, die reine, wässrige, fettige und viskose Feuchte der Materie. Er ist von der Natur des Mondes und wird Mond genannt, und zwar aus dem Grunde, weil er feucht ist, ebenso weil er fähig ist, den Einfluss und das Licht der Sonne, d.h. des Sulphur, zu empfangen. Sal ist jene unveränderliche, dauerhafte Erde, die das Zentrum von allem ist, was unzerstörbar und unveränderlich ist, und sie ist die Erhalterin und Ernährerin des humidum radicale, womit sie stark vermischt ist. Nun hat dieses Sal in sich einen Samen, d.h. sein calidum innatum, welches Sulphur ist, und sein humidum radicale, welches Merkur ist, und dennoch sind diese drei nicht getrennt oder trennbar, sondern sind ein homogenes Ding, das aus verschiedenen Blickrichtungen verschiedene Namen hat. Denn in Bezug auf seine Hitze und feurige Substanz wird es Sulphur genannt. In Bezug auf seine Feuchtigkeit wird es Merkur genannt, und in Bezug auf seine irdische Trockenheit wird es Sal genannt, welche alle im Gold vollkommen vereinigt, gereinigt und fixiert sind.“ (Übersetzung vom Autor)
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Kap. 9 Auch French trennt eindeutig zwischen den Stoffen Quecksilber und Schwefel einerseits und dem Merkur bzw. Sulfur der Philosophen andererseits. Diese letzteren sind für ihn von so prinzipieller Art, dass eine Herleitung aus irgendwelchen Substanzen der Erde gar nicht mehr erforderlich erscheint. Wenn er den Sulfur als „äußerst dünn und zart“ und als „Essenz des natürlichen Feuers“ und „Natur des geschaffenen Lichts“ bezeichnet, so ist dies wie schon bei Glaubers „Sonnen- und Sternenstrahlen“ nicht mehr eine Beschreibung von Substanz, sondern von innewohnender chemischer Energie. Der „philosophische Sulfur“ oder „fixe Sulfur“ ist dabei offensichtlich nicht ganz gleichzusetzen mit derjenigen Energie, die erforderlich ist, um aus einem Erz ein Metall zu machen, obwohl diese Begriffe manchmal vermischt werden. Er hat eher mit der Stellung eines Metalls in der elektrochemischen Spannungsreihe zu tun, mit seiner „Edelkeit“. Wenn, wie bei den edleren Metallen, zur Metallherstellung aus den Erzen nur wenig Energie erforderlich ist, dann wird daraus geschlossen, dass das meiste dieser Energie schon vorher im Metall enthalten gewesen sein muss. Phlogiston, Lavoisier und die Anfänge der modernen Chemie Die Weiterentwicklung speziell der Vorstellungen über den Sulfur aus der Sulfur-MerkurTheorie führte zur Phlogiston-Theorie von Johann Joachim Becher (1635–1682) und Georg Ernst Stahl (1659–1734). Hierbei war, wie bei manchen der hier zitierten älteren Autoren auch, nicht immer klar, ob das, was in der brennbaren Substanz verborgen ist und bei der Verbrennung frei wird, eher Substanz- oder eher Energiecharakter hat. Antoine Laurent de Lavoisier (1743–1794) (s. Gemälde in Kap. 3) entwickelte schließlich 1789 eine Theorie der Verbrennung, die ohne ein Prinzip der Brennbarkeit auskam und die Verbrennung als chemische Reaktion des Brennstoffes mit Sauerstoff definierte. Als ein Stein des Anstoßes in der PhlogistonTheorie wurde empfunden, dass bei der Verbrennung ein „Stoff “ entweichen sollte, obwohl bei genauer Gewichtsbestimmung die Summe der Verbrennungsprodukte einschließlich der Gase immer schwerer war als die zu verbrennende Substanz, eben wegen der Verbindung mit Sauerstoff bei der Umsetzung. Seine neue Theorie empfand Lavoisier nun nicht, wie man heute denken könnte, als eine nüchterne Ergänzung des wissenschaftlichen Theoriegebäudes, sondern als einen weltanschaulichen Umschwung. Er ließ zur Feier seiner Entdeckung ein für diesen Anlass entworfenes Theaterstück aufführen, das als Autodafé, als Ketzerprozess, bezeichnet wurde. Angeklagt war das Phlogiston, dargestellt durch eine Figur, die nur aus brennbaren Materialien bestand. Generalankläger war eine Person namens Sauerstoff. Zur Verteidigung des Angeklagten durch einen „Advocatus diaboli“ wurde aus einem Buch von Georg Ernst Stahl gelesen. Madame Lavoisier trug ein weißes Kleid nach antiker Art und verkörperte die Göttin der Gerechtigkeit. Sie verkündete am Ende das Urteil: Tod durch Verbrennen. Und so wurde das Phlogiston, das Prinzip der Brennbarkeit, im Feuer vernichtet. Ähnlich emotional wie Lavoisiers Triumph war die Reaktion der wissenschaftlichen Welt. Ein Deutscher, der bei der Feier anwesend war, bemerkte: „… das gestehe ich gern, ich freue mich, dass die scene nicht in meinem Vaterlande war.“ Die Redaktion der wissenschaftlichen Zeitschrift, in der Lavoisier publizierte, machte im Laufe der Zeit so viele Schwierigkeiten, dass
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er zusammen mit ein paar Freunden eine neue Zeitschrift gründete. Die Sache wurde später sogar politisch ausgeschlachtet, man stellte die „moderne, französische Chemie“ der „rückständigen, deutschen Chemie“ gegenüber. Nach und nach schwenkte ein Gelehrter nach dem anderen von der „phlogistischen“ zur „antiphlogistischen“ Chemie um, aber einer von ihnen gestand noch Jahre später, er sei nur vom Verstand her überzeugt, nicht vom Gefühl. Ein Rest von Lavoisiers damaliger bilderstürmerischer Emotionalität schwingt selbst bei manchen heutigen Chemiehistorikern noch mit. Justus Liebig (1803–1873), obwohl zeitlich näher an den Ereignissen, zeigt hingegen bereits eine bemerkenswerte Sachlichkeit. Er schreibt im 3. Brief seines Buches „Chemische Briefe“:
„Der Mangel an Kenntniss der Geschichte ist der Grund, warum man häufig auch auf die zweite Periode der Chemie, auf die phlogistische, mit Geringschätzung, ja mit einer Art von Verachtung zurückblickt. … Es giebt Ideen von einer Grösse und Weite, dass sie, auch völlig durchlöchert, immer noch so viel Stoff übrig lassen, um die Denkkraft einer ganzen Generation ein Jahrhundert lang zu beschäftigen. Eine solche Idee war das Phlogiston. Das Phlogiston war ursprünglich ein Begriff, und die Frage nach seiner materiellen Existenz so lange ohne alle Bedeutung, als die Idee desselben noch Früchte bringend für das Ordnen, und befruchtend für neue Verallgemeinerungen war“. 59 Der Mediziner und Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck (1896–1961) sagt zu derselben Problematik: „Wenigstens drei Viertel und vielleicht die Gesamtheit alles Wissenschaftsinhaltes sind denkhistorisch, psychologisch und denksoziologisch bedingt und erklärbar“. 60 John Frenchs oben wiedergegebene Definition des Sulphurs der Philosophen: „was dar-
in äußerst dünn und zart ist und die Essenz des natürlichen Feuers und die Natur des geschaffenen Lichts hat, das ist in der Tat jener Sulphur“ zeigt, dass man bereits um die
Mitte des 17. Jahrhunderts durchaus sehr nah an einem Begriff der chemischen Energie war, d. h. einer Verbrennungsfähigkeit, die immateriell und unwägbar in brennbaren Substanzen gespeichert ist und bei der Verbrennung frei wird. Sie wurde erst im 19. Jahrhundert von Hermann von Helmholtz (1821–1894) und Josiah Willard Gibbs (1839–1903) genauer gefasst. Die Einengung der Betrachtung auf wägbare Stoffe durch Lavoisier und andere verstellte den Blick darauf, dass man mit der Reaktionsenergie – die Lavoisier apparativ mit seinem Eiskalorimeter sehr wohl messen konnte – das Phlogiston oder zumindest seinen Vorgänger, den fixen Sulfur, unbemerkt bereits widerspruchsfrei in der Hand hatte. Anstatt Lavoisier als den Ersten zu feiern, der die Welt „richtig“ gesehen hat, sollte man lieber die Frage stellen, warum er gerade den Energieaspekt chemischer Reaktionen nicht weiter einordnen konnte. Liebig sagt zu dieser Problematik im schon erwähnten 3. Chemischen Brief:
„… ehe man anfangen konnte zu wägen, musste man wissen was gewogen werden solle; ehe man misst, muss man eine Beziehung zwischen zwei Dingen kennen, welche festgestellt werden soll. … Wir schätzen die Thatsachen ihrer Unvergänglichkeit wegen, und weil sie den Boden für die Ideen abgeben; den eigentlichen Werth empfängt aber die Thatsache erst durch die Idee, die daraus entwickelt wird.“ 61
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Kap. 9 Unsere heutige Idee von der chemischen Energie war zu Lavoisiers Zeit noch nicht entwickelt. Der damalige Energiebegriff stammte aus der alchemistischen Tradition noch vor Paracelsus, ja aus dem antiken aristotelischen Denken, und war noch sehr mit der ganz am Anfang erwähnten psychischen Komponente durchtränkt. Wenn etwa Sendivogius in seiner Schrift „De Sulphure“ 62 von 1616 über das Element Feuer schreibt, geht es ihm gleichermaßen um irdisches Feuer, um Gottes Schöpferkraft und um die menschliche Seele. Was für Lavoisier äußerste Fortschrittlichkeit bedeutet, die Beschränkung auf die Substanz, gerade das geißelt Sendivogius mehr als 150 Jahre vorher als plumpe Ungebildetheit und Naivität, indem er in der oben genannten Abhandlung ironisch den tollpatschigen Alchemisten, der das Naturprinzip „Sulfur“ sucht, nur „Schwefelkerzlein“, die banalste, alltäglichste Form der Substanz Schwefel, finden lässt. Lavoisiers Verhalten legt die Deutung nahe, dass sein eigentlicher Gegner nicht eine angeblich falsche Theorie, sondern gerade die für die Alchemie typische Verknüpfung zwischen Materiellem und Geistigem war. Sein Ziel war es, diese bis dahin selbstverständliche Verbindung zu trennen und im Sinne der Epoche der Aufklärung die Wahlfreiheit zu ermöglichen, welchem der beiden Aspekte der Mensch sich zuwenden wollte. Die naturwissenschaftliche Auseinandersetzung war also in verkappter Form eigentlich eine weltanschaulich-philosophische. Die Weltsicht der Aufklärung hatte die antik-aristotelische Betrachtungsweise in den Hintergrund gedrängt. Zu der Eigenart vor allem der neuzeitlichen, aufgeklärten Naturwissenschaft, gelegentlich alle wissenschaftlichen Vorgänger für dumm und unwissend zu erklären, sagt Ludwik Fleck: „Das Wissen war zu allen Zeiten für die Ansichten jeweiliger Teilnehmer systemfähig, bewiesen, anwendbar, evident. Alle fremden Systeme waren für sie widersprechend, unbewiesen, nicht anwendbar, phantastisch oder mystisch. Wäre es nicht an der Zeit, einen weniger egozentrischen, allgemeineren Standpunkt einzunehmen und von vergleichender Erkenntnistheorie zu sprechen?“ 63
Anhänge
Vielleicht können auf dieser Grundlage Alchemie und heutige Chemie im Bewusstsein ihrer jeweiligen Voraussetzungen, speziellen Blickrichtungen und Erkenntnismöglichkeiten in Zukunft einmal als verschiedeneartige, aber gleichberechtigte Methoden nebeneinander stehen.
Kapitel 25. „Über die Grundstoffe der Metalle, nach den Ansichten der Alten. Nach Ansicht der alten Naturforscher sind die Urstoffe, aus denen die Metalle entstehen, übelriechende, flüchtige Stoffe, nämlich Schwefel und ein lebendiges Wasser, das man auch ein trockenes Wasser nennen kann. Von dem übelriechenden flüchtigen Stoff gibt es aber verschiedene Arten; er ist nämlich weiß, rot oder schwarz. ... Im allgemeinen sage ich, dass diese Grundstoffe einen festen Bau besitzen, und zwar deshalb, weil in ihnen kleinste Teilchen von Erde, Luft, Wasser und Feuer vereinigt sind, derart, dass sich nicht ein Teilchen von den anderen trennen läßt. Die Ursache davon ist die feste, innige Vereinigung dieser äußerst feinen Teilchen untereinander, die durch langsame, allmähliche Kochung durch die natürliche Wärme im Innern der Erde entstanden ist.“
Anhang 1 Darmstaedter, Ernst: Die Alchemie des Geber, Berlin 1922, S. 25, 26, 34, 35: Kapitel 10. „... Diese Grundstoffe sind, wie manche Philosophen sagen, der Schwefel und das Quecksilber. Sie sind (in den Metallen) so fest gebunden, dass man sie schwer loslösen kann. Die Verdichtung und Verhärtung ist so stark, dass man sie (d. h. die Metalle, die aus diesen Grundstoffen bestehen) mit dem Hammer bearbeiten und dehnen kann, ohne sie zu zerbrechen. Dies hat seine Ursache nur darin, dass das Feuchte und Zähflüssige in ihrer Mischung, durch langsame, andauernde Verdichtung und Kochung, bei mäßiger Wärme in der Erde, nicht zerstört, sondern erhalten wurde. Ich will dir eine allgemeine Regel mitteilen: Es verdickt sich eine feuchte Substanz erst, nachdem sich die feinsten Teilchen verflüchtigt haben und die gröberen Teilchen zurückgeblieben sind. Die Feuchtigkeit kann die trockenen Teile überwiegen, oder trockene und feuchte Teile können in gleichmäßiger Mischung vorhanden sein. Der Ausgleich zwischen den feuchten und den trockenen, sowie die Entstehung einer einheitlichen und reinen Substanz, die nicht zu hart und nicht zu weich ist und die durch Schlagen sich dehnt, geschieht nur durch andauernde, innige Mischung von feuchtflüssigen und von feinen festen Teilen, bis Feuchtes und Trockenes eins werden. Dies geschieht aber nicht rasch, sondern allmählich in Jahrtausenden, und zwar deshalb, weil die Grundstoffe einheitlich sind. Würde nun ihre überschüssige Feuchtigkeit plötzlich abgespalten, so würden zugleich mit ihr auch die trockenen Bestandteile losgelöst werden, und es würde sich die ganze Substanz verflüchtigen, da die Mischung eine so innige ist, dass Feuchtes und Trockenes nicht voneinander getrennt werden, weil die Bindung zwischen beiden zu fest ist.“
Kapitel 26. „Über die Grundstoffe der Metalle, nach den Ansichten neuerer Forscher und nach denen des Autors. Andere, Moderne, sagen: Die Grundstoffe sind nicht Quecksilber und Schwefel in ihrer eigentlichen Natur, sondern in verändertem Zustand, in welchem sie in erdartige Körper verwandelt sind.
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Kap. 9 Ferner meinen diese Leute, sei der Urstoff etwas anderes gewesen als eine übelriechende, flüchtige Substanz, und zwar kamen sie durch folgende Überlegung zu dieser Ansicht. In den Lagerstätten des Silbers und anderer Metalle fanden sie kein Quecksilber und auch keinen Schwefel, sondern sie fanden, dass dieselben jedes für sich in besonderen Minen vorkommen. Sie begründen ihre Ansicht ferner dadurch, dass sie sagen: Ein Übergang zwischen entgegengesetzten Dingen kann nur mit Hilfe eines Zwischengliedes stattfinden. Dadurch kommen sie zu der Anschauung, einen Übergang von der Weichheit des Quecksilbers zu der Härte eines Metalles könne es nur mit Hilfe eines mittleren Zustandes zwischen Weichheit und Härte geben. Da man nun in den Erzlagerstätten nichts findet, das diesen mittleren Zustand zeigt, so wurden sie dadurch zur Überzeugung gebracht, nicht Quecksilber und Schwefel in ihrer eigentlichen Form seien die Grundstoffe, sondern das, was bei der Umwandlung ihres ursprünglichen Wesens in eine erdige Substanz entsteht. Der Vorgang dabei ist der, dass zunächst beide in ihre erdige Natur umgewandelt werden, und dass dann hieraus, infolge der hohen Wärme im Erdinnern, ein feiner Dampf entweicht, der die Materie der Metalle ist. Dieser Dampf wird durch die mäßige Wärme in der Mine in die entsprechenden Erden übergeführt und wird dadurch zu festen Körpern, die durch fließendes Wasser in der Erde verteilt und mit ihr fest vereinigt werden. Auf Grund dieser Anschauung nahm man weiter an, dass die unterirdischen Wasserläufe die löslichen Bestandteile aus der Erde aufnehmen, sie lösen und gleichmäßig mit sich vereinigen, so lange, bis diese gelösten Substanzen und das fließende, lösende Wasser ein Ganzes würden und so zu metallischer Natur sich umwandelten. Zu einer derartigen Vermischung kommen alle Grundstoffe nach natürlichen Proportionen, und eine solche Mischung wird durch andauernde Erwärmung in der Erde fest und hart und wird zu Metall.“
Anhang 2 64 Michael Maier, Handschriftensammlung der Murhardschen Bibliothek in Kassel, Signatur 2° MS Chem 19, Blatt 279 - 280 279/1
Zur Kenntnis dem allervornehmsten Fürsten und Herrn Moritz Landgraf von Hessen etc. überlassen von Michael Maier etc. Der höchsten Medizin für den menschlichen Körper und alle Metalle, das ist der Wahren Philosophischen Tinktur allerwahrste Erforschung: Nach Erforschung und Betrachtung aller Geheimnisse der Natur ist dies die unveränderliche Wahrheit: Das natürliche oder gewöhnliche, reine, lautere Gold ist vollständig nichts als Merkur, das heißt merkuriell, und es ist nichts in der ganzen Zusammensetzung des Goldes, was nicht seinem Wesen nach Merkur wäre. In jener Einheit des Wesens aber gibt es im Gold eine Zweiheit der Substanz, der
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Qualitäten des Aussehens wie auch des Geschlechtes. Das heißt, ein Teil (Hervorhebung vom Übersetzer) der merkuriellen Substanz ist äußerst fix, tiefrot, unverbrennbar, warm und trocken, allerdings zusammen mit einer grundlegenden Öligkeit, die man daher schweflig nennt, weil sie die Fähigkeit des Sulfurs zum Koagulieren des eigenen Quecksilbers besitzt. Und etwa tausend Teile der merkuriellen Substanz sind aus sich heraus nicht fix, sondern roh, weiß, verbrennbar, kalt und feucht. Sie werden daher Quecksilber genannt, weil sie mit dem gewöhnlichen Quecksilber in ihren Eigenschaften übereinstimmen. Jener schweflige Teil koaguliert oder fixiert den merkuriellen, hält ihn sogar im Feuer fest, sodaß er nicht daraus entflieht, färbt [ihn] und macht [ihn] ausgehend von einer weißen Substanz gelb; jener ist männlich, dieser weiblich, jener beständig, dieser labil, jener hält äußerst geduldig Feuer und Wärme aus (weil er ein Sohn der Sonne Abb. 14: Michael Maier, Beginn des “Memoriale“ an ist), dieser ist wässrig und die Tochter Landgraf Moritz den Gelehrten von Hessen-Kassel, UniNeptuns, jener wird Sonne genannt versitätsbibliothek Kassel, Murhardsche Bibliothek, Sigund Gold der Philosophen und mit natur 2° MS Chem 19, Blatt 279–280 (Foto: Werthmann) tausend männlichen und heroischen Namen benannt. Diese [heißt] Mond und Quecksilber, weil sie lebt und wächst. Diese ist die Mutter von jenem, jener ist der Sohn. Diese ist die Gattin oder Ehefrau von jenem, jener ist der Ehemann. Diese ist die Schwester von jenem, jener ist der Bruder. Warum Mutter? Weil jener Sulfur aus diesem Quecksilber auf natürliche Weise hervorgegangen ist, und jene diesen Sohn in ihrem Bauch getragen hat, ja sogar noch trägt. Warum Ehefrau? Weil in einer Ehe die vier Qualitäten der Elemente verbunden sein sollen, von denen Wärme und Trockenheit sich auf jenen beziehen, auf diese [aber] Kälte und Feuchtigkeit. Warum Schwester? Weil beide aus dem einen Quecksilber wie aus einem Mutterleib hervorgegangen sind, daher werden sie Geschwister von Mutterleib an, Zwillinge, philosophisches Ei genannt, gleichartig an Dotter und Eiweiß. Darauf beziehen sich alle Lehrsätze der in der Chymie anerkanntesten Autoren, und das wird hier nicht
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Kap. 9 Aufgabe einer längeren Darstellung sein. Dies [also], um zu verstehen, aufgrund welcher Überlegungen jener fixe und rote, oder männliche und schweflige Teil entsteht; wenn man das erkannt hat, wird feststehen, auf welche Weise er durch die Kunst mit Hilfe der Natur produziert werden kann. Die Grundsätze sind, wie woanders von weisen Männern und von mir an verschiedenen Orten bis zum Erbrechen vorgeführt worden ist, dass das gewöhnliche natürliche Gold in einem ordnungsgemäßen natürlichen Prozess aus dem Silber entsteht, das Silber in der Tat aus den unvollkommenen [Metallen], insbesondere aus Saturn (= Blei) und Venus (= Kupfer). Denn wenn zu Jupiter (= Zinn) und 279/2
Mars (= Eisen) Silber in kleiner Menge zugefügt wird, kann es davon kaum getrennt werden, oder wenn es [getrennt werden] könnte, wird es trotzdem nicht der Mühe wert sein. Die unvollkommenen [Metalle] entstehen darüber hinaus einzeln aus gewöhnlichem Quecksilber und gewöhnlichem oder verbrennbarem und verbrennendem Schwefel, entsprechend mehr oder weniger [vom einen oder vom anderen]. Davon hängt auch ihre Unvollkommenheit oder Unreinheit der Substanz und ihre leichte Zerstörbarkeit im Feuer wie durch scharfe Mittel ab. Andere, was vor allem [verbreitet] ist, bringen dieses in Verbindung mit dem Ort der Entstehung oder dem Mutterleib, wo das Quecksilber warm gehalten wird. Ich [selbst] zweifle nicht daran, dass diese Art der Entstehung der unvollkommenen Metalle der Vernunft und der Erfahrung entspricht. Der Schöpfer des Universums hat im Zentrum der Erde Quecksilber verborgen, geschaffen aus dem Nichts zusammen mit allem anderen in der ersten Schöpfung, oder, wie wir lieber sagen wollen, jenes ist entstanden aus dem Aufsteigen und Absteigen einer wässrigen Substanz, angedickt mit einem erdartigen Anteil, über lange Zeit, so viel steht fest. Dasselbe ist festzustellen von dem gewöhnlichen Schwefel, dem öligen und brennbaren. Diese beiden Substanzen, angeregt durch die unterirdische Hitze, neigen wie Rauche oder Dämpfe im Zentrum der Erde zum Aufsteigen; wie wenn sie sich gegenseitig umarmen in den Höhlungen der Felsen und sich dort eine Zeitlang aufhalten, koaguliert jener warme und trockene Dampf jenen kalten und feuchten Dampf, das heißt, der gewöhnliche Schwefel [koaguliert] das gewöhnliche Quecksilber. Und nach diesem Prinzip entsteht bald das Bleierz, wovon es wohl zwanzig Arten gibt; so entsteht auch das Kupfer-, Eisen- und Zinnerz. In diesen hängt die Verschiedenheit der Koagulation von dem verschiedenen Ort, der Wärme und dem Einfluss des [zugehörigen] Planeten ab. Wie aber in der Vermischung der Samen der Tiere als erstes der Embryo entsteht, das heißt eine nackte Form und Anlage irgendeines Tieres, so entsteht auch in der Vermischung von gewöhnlichem Schwefel und gewöhnlichem Quecksilber sogleich ein festes Korn, welches weißer lunarer Sulfur ist. Dieser merkurielle Sulfur wird von Natur aus in dem Merkur immer [weiter] vermehrt, so lange bis das ganze Bleierz und die anderen [Erze] in Silber verwandelt werden, das Silber aber geht wohl stufenweise in Gold über. Und auf diese Weise entsteht
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die Tinktur des Goldes oder der sulfurische Teil im Gold, wie die Butter in der Milch. Hieraus steht zur Genüge fest, dass der Sulfur des Goldes aus seinem [ihm] beigemischten Quecksilber entsteht, das heißt der Sohn aus seiner Mutter. Daher ist die der Tinktur oder dem Gold der Philosophen nächste Materie das, woraus es entsteht, die Substanz Quecksilber, nämlich jenes selbe Quecksilber, welches im Gold ist. Diese Materie ist ihrer Natur nach nicht gewöhnliches Quecksilber, sondern war so [beschaffen], bevor es durch die Natur oder die Kunst in Gold verwandelt wurde. So ist jene Form oder sulfurischer Teil des Goldes das Gold und Ferment der Philosophen, ja es ist der Same, der in seinen Acker gesät werden muss, das heißt in sein schon erwähntes Quecksilber, und [ist] nicht das gewöhnliche Gold in seiner ganzen Substanz, sondern [nur] ein Teil davon. Wie also die Natur die Form des Goldes aus seiner mitgeborenen Materie hervorgebracht hat, weil nach Aussage der Philosophen jede beliebige Form entsprechend dem Erfordernis seiner Materie entsteht oder aus dem Schoße seiner Materie herausgeholt wird, so ist es auch richtig, dass die Kunst die Natur imitiert und die tingierende Form aus dem Schoße ihrer Materie, das heißt des im Gold verborgenen Quecksilbers, herausholt. Das bedeutet, dass das Ziel der ganzen Kunst des Goldmachens dieses ist, dass die Verbindung Gold genommen wird, in der die Materie des Quecksilbers vorhanden ist und die Form des tingierenden Sulfurs, auf natürliche Weise vermischt, so wie sich der Same des Männlichen mit dem weiblichen Samen vermischt, oder der Sulfur mit dem Quecksilber. Und dies ist die prima materia der Tinktur oder des philosophischen Steins, der daraus herzustellen ist. Von dieser materia prima wird überall verkündet, dass sie wertlos sei, damit sie nicht von allen erkannt wird, sie ist vor aller Augen, obschon sie nicht anerkannt wird. 280/1
Denn in dieser einen Verbindung ist Gabritius [zusammen] mit Beia anwesend, Schwefel mit Quecksilber, der Bruder mit der Schwester, der Ehemann mit der Ehefrau etc. Und jene Verbindung hat alles in sich selbst, was sie braucht. Und sie hat keine andere Beschäftigung, als dass jenes entfernt wird, was überflüssig ist. Denn wenn die wässrige Feuchtigkeit von jenem Weiblichen entfernt wird, wird jenes männlich und dem Männlichen in allem ähnlich. Jenes Weibliche ist die philosophische Materie, und das Männliche ist die Form oder Idee, oder sogar das Ferment, das die ganze Materie fermentieren muss. Davon sagen die Philosophen, dass das Weibliche in das Männliche verwandelt werden müsse, und [dass] nur die Trockenheit tingiere. Auszutrocknen ist daher jene überflüssige wässrige Feuchtigkeit im Quecksilber, so weit, bis das Quecksilber des Goldes in Sulfur oder Tinktur überführt wird, und dann wird die ganze Substanz Tinktur sein, oder auch die tausendfache Vervielfältigung, Vermehrung oder Fermentation ist zustande gekommen. Von da wird die Absicht des Künstlers (= Chymikers) deutlich, nämlich in welcher Materie er arbeiten muss, und zu welchem Zweck oder Ziel. Nun wird an die Art und Weise oder die Mittel des Vorgehens zu denken sein. Jene ganze Verbindung ist aus sich heraus ohne [irgendwelche] Hinzufügung im Feuer un-
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Kap. 9 zerstörbar, und ihre Fesseln [sind] unauflöslich, und wenn sie schließlich doch durch die Macht des Feuers verbrannt wird, wird sie in ein immerhin trockenes, nutzloses Pulver ohne allen Ingress (= Eindringen) überführt, welches nicht die Absicht der Philosophen ist. Denn von der philosophischen Materie oder dem Quecksilber jener Verbindung muss die überflüssige Feuchtigkeit nach und nach und schrittweise abgetrennt werden, so lange bis die ganze Verbindung ölig, tiefrot, homogen, tingierend (= färbend) [und] eindringungsfähig in alle geschmolzenen Metalle ist. Dieses muss geschehen durch ein abgestimmtes und feuchtes Feuer, in dem es nicht zur Verdampfung alles Feuchten oder zum Rösten kommen kann, sondern vielmehr zum [Ver]kochen ohne Verbrennen. Aber von welcher Art ist jenes Feuer? In der Tat ist es das, welches am Kopf oder an der Spitze der Berge gefunden wird, welches Stein und nicht Stein ist, welches Wohnung und Wasser und Dampf und Rauch der Metalle ist. Mit diesem Feuer, das [Feuer] gegen die Natur genannt wird, soll jene Verbindung in bekanntem Verhältnis gemischt und dem elementarischen Feuer in einem geeigneten Gefäß ausgesetzt, gelöst und koaguliert werden. Und dann verwandelt jenes Feuer gegen die Natur ohne Zweifel das unnatürliche Feuer, das heißt die Materie des Quecksilbers, in jener Verbindung in natürliches Feuer, das heißt in Sulfur oder die gesuchte Tinktur. Man entferne alle Säuren, ätzenden Stoffe, Salze, [alle Arten von] Essig, Alaun, Salpeter, Vitriol, und es möge eine Lösung der besagten Verbindung in seinem eigenen schon genannten Lösungsmittel entstehen, und nichts Fremdes wird zugefügt von Anfang bis Ende. Und schließlich entsteht, was gesucht wird. Sei es aber, dass beim ersten Mal die Auflösung und Koagulierung so nicht vonstatten gehen, so bedeutet dies nichts, das Ziel ist dennoch im Glauben an Gott das allerwahrste und darf niemals verändert werden. Einfachheit und Einheit sind zu empfehlen, und Vielfältigkeit ist zu verabscheuen in diesem Werk, welches desto einfacher sein wird, je näher es an die Perfektion herankommt. Mehr habe ich gesagt und geschrieben, als jemals von irgendeinem Philosophen gesagt oder geschrieben worden ist. Daher flehe ich Eure Hoheit an, dass diese Schrift nach gründlichem Lesen und guter Aneignung dem Vulkan geweiht wird, damit sie nicht in fremde Hände falle. Ich habe [über] die Materie geredet, ich habe [über] die Form oder das Ferment geredet, ich habe auch [über] die Art des Vorgehens geredet. Vielleicht wird eine einzige Verzögerung auftreten, welche allein die Beständigkeit besiegt und die Erfahrung auflöst. Alles, was alle Chymiker sogar auf das Ausführlichste geschrieben und versprochen haben, hat nicht so viel Wahrheit wie diese einfache Kürze. Gott möge den Betrüger richten und dem aufrichtig Handelnden helfen. So viel fürs Erste.
1
Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie, Olten 1972, S. 322/323
2
Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie, Olten 1972, S. 285
3
Evola, J(ulius): La Tradizione ermetica, Bari 1931
4
Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie, Olten 1972, S. 282
5
Aristoteles, Meteorologie, z. B. herausgegeben von Paul Gohlke, Schöningh Paderborn 1955, S. 136/137
6
Maier, Michael: Symbola aureae mensae duodecim nationum, Frankfurt 1617, S. 370 f., Reprint Graz 1972
7
Gebelein, Helmut: Alchemie, Düsseldorf 1996, S. 109–119; siehe auch: Szydło, Zbigniew, in: Priesner, Claus, Figala, Karin (eds.): Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 173–176
8
Maier, Michael: Symbola aureae mensae duodecim nationum, Frankfurt 1617, S. 5, Reprint Graz 1972
9
Ruska, Julius: Tabula Smaragdina, Ein Beitrag zur Geschichte der hermetischen Literatur, Heidelberg 1926, S. 113/114
10
Ruska, Julius: Der Urtext der Tabula Smaragdina, Orient. Literaturz., Bd. 28, 1925, Sp. 349–351
11
Ruska, Julius: Tabula Smaragdina, Ein Beitrag zur Geschichte der hermetischen Literatur, Heidelberg 1926, S. 120
12
Ruska, Julius: Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin, Bd 1: Turba Philosphorum, Springer Berlin 1931, S. 318
13
Berliner Handschrift Cod. Berol. Qu. 584, fol 21v, Z. 2 v.u. aus der 2. Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, übersetzt von Julius Ruska in : Historische Studien und Skizzen zur Natur- und Heilwissenschaft, Festgabe für Georg Sticker, Springer Berlin 1930, S. 22 ff.
14
Maier, Michael, „Memoriale“ an Landgraf Moritz den Gelehrten, Kassel, Murhardsche Bibliothek, Handschriftensammlung, Signatur 2° MS Chem 19, Blatt 279/ 2
15
ebd. S. 208/ 1
16
Rosarium Philosophorum in Art. aurif. II, S. 146 f., zitiert in: Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie, Olten 1972, S. 386/387
17
Newman William R., in: Priesner, Claus, Figala, Karin (eds.): Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 145–147
18
Darmstaedter, Ernst: Die Alchemie des Geber, Berlin 1922, S. 25, 26, 34, 35
19
Maier, Michael: Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem XV, S. 69; deutschsprachige Ausgabe: Chymisches Cabinet, Frankfurt 1708; Reprint in: Hofmeier, Thomas: Michael Maiers Chymisches Cabinet, Berlin & Basel 2007
20
Maier, Michael: Symbola aureae mensae duodecim nationum, Frankfurt 1617, S. 365, Reprint Graz 1972
21
Colonna, Francesco, Hypnerotomachia Poliphili, Venedig 1499, französische Übersetzung: « Le tableau des riches inventions couvertes du voile des feintes amoureuses qui sont représentées dans le songe de Poliphile … », Paris 1600, Titelblatt; online unter: http://www.bvh.univ-tours.fr/Consult/consult.asp?numtable=B372615206_4023& numfiche=54&mode=3&offset=0&ecran=0
22
Neumann, Ulrich, in: Priesner, Claus, Figala, Karin (eds.): Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 232–234
Anm.: in ( ) gesetzt: Zusätze zum besseren Verständnis
168
169
Kap. 9 23
Figala, Karin, Neumann, Ulrich: „Author cui nomen Hermes Malavici“, New light on the biobibliography of Michael Maier (1569–1622) in: Alchemy and Chemistry in the 16th and 17th Centuries. Ed.Piyo Rattansi & Antonio Clericuzio. Kluwer Academic Publishers. Dordrecht/Boston/ London 1995, S. 128–129
47
Figala, Karin, in: Priesner, Claus, Figala, Karin (eds.): Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 332 –334
48
Sendivogius, Michael, Von dem Rechten wahren Philosophischen Stein: Zwölff Tractätlin in einem Wercklin verfasset vnnd begriffen … Straßburg 1613, online z. B. unter: http://digital.slub-dresden.de/sammlungen/titeldaten/277778999/
24
Gebelein, Helmut: Alchemie, Düsseldorf 1996, S. 248–252
25
Maier, Michael, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, online z. B. unter: http://digital.slub-dresden. de/id278941222
49
Link, Arnulf, Johann Rudolph Glauber 1604–1670, Leben und Werk; Dissertation Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1993
26
Hofmeier, Th., Michael Maiers Chymisches Cabinet, Atalanta fugiens deutsch nach der Ausgabe von 1708
50
Gugel, Kurt F., Johann Rudolph Glauber 1604–1670 Leben und Werk; Freunde mainfränkischer Kunst und Geschichte e.V., Würzburg 1955
27
Neugebauer Gräfin von der Schulenburg, Rosamunde: Die alchemistische Buchillustration Merians, in: Matthaeus Merian der Ältere – Zeichner, Stecher und Verleger, Ausstellungskatalog Frankfurt 1993, 294–311
51
Pietsch, Erich, Johann Rudolph Glauber: Der Mensch, sein Werk und seine Zeit; Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte, 24. Jahrgang 1956, Heft 1
52
Werthmann, R.: Johann Rudolph Glauber, der „technische Alchemist“, in: Hermes, Mitteilungsblatt des Forschungskreises Alchemie e.V., Heft Nr. 30, 1. 11. 2006
53
Glauber, Johann Rudolph, Opus Minerale in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt am Main 1658, S. 293–440
54
Glauber, Johann Rudolph, Operis Mineralis Dritter Theil, aus: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1658, S. 431, Reprint Hildesheim 2004
55
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1658, S. 380
28
Maier, Michael, „Memoriale“ an Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, Kassel, Murhardsche Bibliothek, Handschriftensammlung, Signatur 2° MS Chem 19, Blatt 279–282
29
Maier, Michael, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem 4, S. 25, online z. B. unter: http://digital.slub-dresden.de/id278941222
30
Maier, Michael, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem XXXVIII, S. 161
31
Maier, Michael, Viatorium, hoc est, de montibus planetarum septem seu Metallorum“, Frankfurt 1618
32
ebd. S. 44
33
ebd. S. 38–40
34
Maier, Michael, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem XXXIII, S. 141
56
35
Maier, Michael, „Memoriale“ an Landgraf Moritz den Gelehrten, Kassel, Murhardsche Bibliothek, Handschriftensammlung, Signatur 2° MS Chem 19, Blatt 280/1
ebd. S. 389
57
36
Maier, Michael, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Erläuterung XVII, S. 78/79
French, John, The Art of Distillation, Aldersgate 1651, online z. B. unter: http://www.levity.com/alchemy/jfren_ar.html oder http://www.odysseetheater. com/ftp/bibliothek/Alchemie/John_French_The_Art_of_Distillation.pdf
37
Maier, Michael, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem XVII, S. 77
58
38
Szydło, Zbigniew: The alchemy of Michael Sendivogius: his central nitre theory; Ambix, Vol. 40, Part 3, November 1993
French, John, The Art of Distillation, Aldersgate 1651, Buch VI, online z. B. unter: http://www.levity. com/alchemy/jfren_6.html
59
Liebig, Justus: Chemische Briefe, Sechste Auflage, Neuer unveränderter Abdruck der Ausgabe letzter Hand, Leipzig und Heidelberg 1878, S. 40; online unter: http://www.liebig-museum.de/justus_liebig/chemische_briefe/?brief=1#cm
39
Szydło, Zbigniew: Water which does not wet hands. The Alchemy of Michael Sendivogius. Warszawa 1994
40
Hubicki, Włodzimierz: The true life of Michael Sendoivogius, Actes du XI Congres international d’Histoire des Sciences IV, Warszawa 1965, S. 31–35
41
Hubicki, Włodzimierz: Paracelsists in Poland; in: Debus, Allen G. (ed.): Science, Medecine and Society in the Renaissance, Science History Publications New York 1972, Vol 1, S. 167–175
42
siehe z. B. http://www.uni-marburg.de/aktuelles/unijournal/juli2009/12-16
43
Maier, Michael: Symbola aureae mensae duodecim nationum, Frankfurt 1617, S. 553 ff., Reprint Graz 1972
44
Maier, Michael: Symbola aureae mensae duodecim nationum, Frankfurt 1617, S. 555, Reprint Graz 1972
45
Schmieder, K. Chr., Geschichte der Alchemie, Halle 1832, S. 341–346 und 366–375; spätere Auflagen z. B.: Ulm 1959, Langen 1987, Wiesbaden 2005
46
Paulus, Julian, in: Priesner, Claus, Figala, Karin (eds.): Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 335/336
170
60
Fleck, Ludwik, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt 1980,S. 32
61
Liebig, Justus: Chemische Briefe, Sechste Auflage, Neuer unveränderter Abdruck der Ausgabe letzter Hand, Leipzig und Heidelberg 1878, S. 40/41
62
Sendivogius, Michael (Anagramm: Angelus doce mihi ius), Tractatus de sulphure (lateinisch), Köln 1616; deutsch unter dem Titel: Ein Tractat und Gespräch von Schwefel/ dem anderen Hauptstück der Tinctur/ welches die aller haimlichsten Mysterien der Natur entdecket/ und offenbaret, z. B. enthalten in: Tripus Chimicus Sendivogianus, Dreyfaches Chimisches Kleinod, Straßburg 1628
63
Fleck, Ludwik, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt 1980,S. 34
64
Der Autor dankt Herrn Wolfgang Bruckmann, Kassel, für das Durchsehen der Übersetzung
171
Kap. 10 Zweiheit, Dreiheit und Vierheit in der Alchemie des 17. Jahrhunderts Rainer Werthmann
Wann ordneten die Alchemisten des 16. und 17. Jahrhunderts die Erscheinungen der Stoffeswelt nach der Zweiheit, wann nach der Dreiheit, wann nach der Vierheit? In der Originalliteratur der Zeit zeigt sich dazu ein sehr verantwortungsvoller, ernsthafter, tief gefühlter Umgang mit dem Thema, fern ab von leerer Systematik. Von großer Bedeutung ist dabei, ob es um die praktische Einteilung von Krankheitsbildern und Medikamenten geht oder um spirituelle Alchemie, in der im Sinne eines „Wie unten, so oben“ des Hermes Trismegistos die Vorgänge der menschlichen Innenwelt und die chemischen Reaktionen als zwei Seiten derselben Sache gesehen wurden. Philippus Theophrastus Aureolus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493–1541) verdanken wir die drei Prinzipien Sulfur („Schwefel“), Merkur („Quecksilber“) und Sal („Salz“). Diese Dreiheit ist nicht, wie man denken könnte, uraltes alchemistisches Wissen, sondern entstammen der Aufbruchstimmung der Renaissance. Paracelsus war nicht gerade als Traditionalist bekannt, sondern als zuweilen rabiater Neuerer, als „Martin Luther der Medizin“. Zu seiner Zeit erwachte in Europa das menschliche Denken zu einem neuen, unabhängigeren Selbstbewusstsein. Diese Umwälzung erfasste alle Lebensbereiche, unter anderem Religion, Astronomie, Medizin, Pharmazie, Alchemie. Die seelische Distanz zum Beobachtungsobjekt wurde größer, der Blick unabhängiger. Die zwei Prinzipien Sulfur und Merkur waren schon vorher benutzt worden, Paracelsus fügte ihnen das Sal hinzu. Um sich klarzumachen, wie tief die Einfühlung in die Natur damals gewesen sein muss, sei hier versucht, im alchemistischen Sinne die Beobachtungen an der Außenwelt mit seelischen Vorgängen in Verbindung zu bringen. Die drei Prinzipien sind nicht als Substanzen zu verstehen, sondern beschreiben Prozesse, die an den namengebenden Stoffen allerdings besonders deutlich gemacht werden können: Sal – Kristallisation Merkur – Auflösung Sulfur – Verbrennung Abb. 1: Zweiheit, Dreiheit, Vierheit und Einheit in der „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier 1618
(Bild: SLUB Dresden)
172
Vom Experimentellen her sind Merkur und Sal komplementär, die Auflösung ist die Umkehrung der Kristallisation. Sulfur, der Verbrennungsprozess, erscheint als etwas völlig anderes. Fragt man sich, was dem als seelische Vorgänge entspricht, könnte man etwa zu folgenden Eindrücken kommen: Sal/Kristallisation: Aus etwas Ungeformtem, Beweglichem, vielleicht auch ungeordnet Schmutzig-Trübem entsteht etwas Festes von klarer, geometrischer Form. Wie häufig zu beobachten, bleiben die Verunreinigungen draußen – Kristallisation ist ein Reinigungsprozess.
173
Kap. 10 Die Bildung von klaren Salz- oder Gipskristallen in Tonschlamm ist in diesem Sinne immer wieder ein frappierendes Erlebnis. Neben dieser Klärung, Reinigung kann man auch etwas wie eine Geburt erleben: Aus etwas Einheitlichem entsteht zusätzlich ein Zweites, Neues, Andersartiges. Das Geburtserlebnis ist dabei gleichzeitig von etwas wie Trauer begleitet: Das Neue ist jetzt in seine Form gebannt, es bestehen nicht mehr die vielfältigen Möglichkeiten wie vor seiner Schöpfung, das Geborenwerden ist der Anfang eines Sterbens. Das Ringen um Klarheit und eindeutige Form hat seine seelische Parallele in Lern- und Entscheidungsprozessen, bei denen am Ende das Ergebnis „be-greifbar“ vor dem inneren Auge steht.
würde er in einem Extra-Traktat darlegen. Aber diese Abhandlung hat er nie geschrieben. Statt dessen regt er sich im Vorwort späterer Auflagen über Kritiker auf, die ihm gerade dies vorwerfen. Die Erwartung der Leser nutzte nach seinem Tod der nicht mit ihm verwandte Alchemist Johannes Hartprecht, der unter dem Pseudonym „Filius Sendivogii“ („Sohn des Sendivogius“), bekannt wurde mit dem 1656 publizierten Buch: „Der Verlangete Dritte Anfang der mineralischen Dinge oder von dem philosophischen Saltz.“ Warum hat Sendivogius die angekündigte Abhandlung nicht selber geschrieben? Weil er,
Merkur/Auflösung: Kantige, klare, individualisierte Kristalle „geben sich hin“ an das Lösungsmittel, vereinigen sich mit ihm, verlieren ihre Individualität, werden selbst Bestandteil der gemeinsamen Flüssigkeit und teilen ihr gewisse ihrer Eigenschaften mit. Der Kandis im Tee verschwindet als individueller Kristall, aber seine Süße verteilt sich in der Flüssigkeit – Verlust der individuellen Entfaltung der Wirkung in der Gemeinsamkeit, ein sehr sozialer Vorgang! Sulfur/Verbrennung: Auch hier verschwindet der Stoff, aber er wird durch die Verbrennung vollständig umgewandelt und verweht mit dem Wind. Es ist wie ein Opfer, wie Hingabe ohne Gegenleistung. Wir haben hier die in unserer Kultur noch stark empfundene religiöse Symbolik von Kerzen, Weihrauch etc. Schwefel = sulfur hat hierbei die Eigenart der rückstandslosen, aschefreien Verbrennung, die diese Wirkung auf die Seele noch verstärkt. Will man die drei Prozesse in ihren seelischen Wirkungen gruppieren, fällt auf, dass der Experimentator sich mit zweien persönlich identifizieren kann: mit Merkur und Sulfur. Beim Sal bleibt er hingegen Beobachter eines Entstehungsprozesses, auch wenn dieser in ihm selbst abläuft. Wenn die drei Prinzipien eher eine Neuerung als eine Tradition waren, müsste sich das auch in den Reaktionen der Zeitgenossen und der nachfolgenden Generationen von Ärzten und Alchemisten widerspiegeln. Und das tut es. Der bedeutende polnische Alchemist Michał Sędziwój = Michael Sendivogius (1566–1636) wurde 25 Jahre nach dem Tod des Paracelsus geboren. Sein bekanntestes Buch, das unter Titeln wie „Dreifaches chymisches Kleinod“, „Von dem rechten wahren philosophischen Stein“ oder „Novum Lumen Chymicum“ herausgegeben wurde, enthält auch einen Aufsatz über die drei Prinzipien. Kernaussagen sind hier: - Die neueren Autoren kennen drei Prinzipien, die älteren nur zwei. - Eine philosophische Herleitung war bis dahin selten zu haben, er bringt sie in diesem Buch. - Zur eigentlichen Alchemie der Metallumwandlung braucht man ohnehin nur zwei(!). Sendivogius bringt im selben Buch begeisternde und umfassende Abhandlungen über Sulfur und Merkur, sogar angereichert mit Theatersketchen in verteilten Rollen und nicht ohne Humor. Zum Sal-Prinzip erwähnt er häufig, es sei wichtig, und Wesentliches darüber
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Abb. 2: Die Herleitung der drei Prinzipien (= drei Anfänge) nach Sendivogius (Quelle: SLUB Dresden, http://digital.slub-dresden.de/id278316581, S. 18)
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Kap. 10 wie aus seiner Darstellungsweise hervorgeht, das neue, ganz untraditionelle Sal-Prinzip zwar vom Verstand her anerkannt hat, sich aber nicht innerlich mit ihm anfreunden konnte, denn es bietet im Unterschied zu den anderen beiden keine rechten Möglichkeiten zur persönlichen Identifikation. Zur theoretischen Herleitung der drei Prinzipien veröffentlicht Sendivogius in seinem Buch außer dem Text der Abhandlung noch eine Schemazeichnung und sogar ein beschreibendes Gedicht. Danach hat Gott bei der Schöpfung auch die vier klassischen Elemente geschaffen, Erde (= alles Feste), Wasser (= alles Flüssige), Luft (= alles Gasförmige) und Feuer (alle Energie = Licht und Wärme). Dies sind allgemeine Klassifizierungen, die den verschiedenen Kombinationen der Eigenschaften feucht, trocken, kalt und warm entsprechen, wie bereits Aristoteles in seiner Meteorologie schreibt. An der Existenz des allgemeinen Elements Feuer ändert es z. B. nichts, ob das konkrete Feuer im Ofen gerade brennt oder nicht. Gott übergab die Schöpfung der Natur, die sie in seinem Sinne verwaltet. Die Natur wiederum übertrug diese Aufgabe an ihre vier Lehensfürsten, die vier Elemente. Diese fingen sogleich an, ihre Herrschaftsbereiche gegeneinander abzugrenzen, und so entstanden die drei Prinzipien. Ein Prinzip ist also der Prozess der Einwirkung eines der vier Elemente auf ein anderes, die Beeinflussung eines Elementes durch ein anderes. Konkret heißt dies z. B. für die Verbrennung: Das Feuer als reine Energie bringt die Luft, die feinste Materie, dazu, selber Feuer zu entwickeln. Unter Luft sind hier auch brennbare Gase und Dämpfe zu verstehen, Erdgas, Benzin- oder Alkoholdampf, verdampftes Wachs in der Kerzenflamme: Feuer + Luftartiges = mehr Feuer. Ähnlich geht es beim Löseprozess, dem Merkur-Prinzip zu: lösliche feste Substanz, z. B. ein Salz, gibt seine Identität als Feststoff auf und wird Bestandteil der Flüssigkeit: Wässriges + Erdartiges = mehr Wässriges. Das Sal-Prinzip durchbricht das Schema. Aus der Einwirkung von Gasen = Luft auf Wasser = Flüssigkeiten entsteht nicht etwa nur mehr Gasförmiges, sondern gleichzeitig noch etwas Festes: Luftartiges + Flüssiges = mehr Luftartiges + Festes. Warum? Und warum kann nicht die Erde im Sinne eines „vierten Prinzips“ wieder auf das Feuer einwirken? Dies hängt mit den Beziehungen der vier Elemente untereinander zusammen. Die vier Elemente sind nicht gleichartig, sondern stehen in einer Hierarchie der Aktivität. Das Feuer ist das aktivste, die Erde das am wenigsten aktive. Es wirkt immer das aktivere Element auf das weniger aktive. Somit kann die Erde gar nicht auf das Feuer wirken. Und wenn umgekehrt
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das Feuer auf die Erde wirkt, geschieht entweder nichts, oder der Feststoff wandelt sich ganz oder teilweise über den flüssigen Zustand in den gasförmigen um, und es kommen wieder die bereits beschriebenen drei Prinzipien zur Anwendung. Außerdem sind die vier Elemente in zwei Gruppen geteilt, in die zwei aktiveren = „männlichen“ Elemente Feuer und Luft und die zwei passiveren, empfangenderen = „weiblichen“ Elemente Wasser und Erde. Das Sulfur-Prinzip spielt sich ausschließlich innerhalb der beiden männlichen Elemente ab, das Merkur-Prinzip nur innerhalb der beiden weiblichen. Für das Sal-Prinzip hingegen wirken beide Geschlechter aufeinander ein. Da kann es doch nicht zu einer Vereinigung unter völliger Verwischung der ursprünglichen Gegensätze kommen! Wenn sich Männliches und Weibliches vereinigen, geschieht zwar eine gewisse Angleichung, aber aus der ursprünglichen Zweiheit Mann-Frau entsteht die neue Zweiheit Eltern-Kind. Genug Stoff, tief philosophisch darüber nachzudenken! Und die Natur macht es uns vor: Die in der Natur vorkommenden Flüssigkeiten (und das war das, was für den Alchemisten zählte) sind nie völlig rein und haben immer einen mehr oder weniger großen Verdampfungsrückstand. Na bitte! Bei der Zweiheit Eltern-Kind sind wir wieder in derselben Beobachterposition wie oben bei der Wahrnehmung innerer Entscheidungsprozesse: Auch bei noch so viel Elternliebe bleibt das Kind immer ein eigenständiges Wesen. Damit haben wir eine neue Einteilung der drei Prinzipien: Sulfur = Verbrennungsprozess = männliches Prinzip Merkur = Löseprozess = weibliches Prinzip Sal = Schaffung von etwas Neuem = Frucht. Ähnlich wie Sendivogius denken viele seiner Zeitgenossen, z. B. Michael Maier (1569– 1622) in seinem großartigen Emblembuch „Atalanta Fugiens“ von 1617/1618. Die Zweiheit hat dort eine große Bedeutung, er spielt sie in immer neuen Variationen durch. Den Aufbau der Metalle erklärt er im Sinne der Sulfur-Merkur-Theorie als Zusammenspiel von aktivem und passivem Prinzip. Dreiheit und Vierheit werden selten erwähnt. Bezeichnend ist seine Darstellung der Erde, des festen Elementes: sie wird nicht als die wirkliche Mutter, sondern nur als die Amme, die Ernährerin der Metalle betrachtet (s. Abb. in Kap. 11). Erst nach dem dreißigjährigen Krieg, mehr als hundert Jahre nach Paracelsus’ Tod, scheint die wissenschaftliche Gemeinschaft die drei Prinzipien voll akzeptiert zu haben. Erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts gehen Autoren wie Johann Hartprecht, Johann Rudolph Glauber (1604–1670) und insbesondere Glaubers englischer Übersetzer John French (1616–1657) (s. Kap. 9) problemlos und selbstverständlich auch mit dem Sal-Prinzip um.
177
Kap. 11 Sonnenstrahlung im Erdinnern Glauber und die Geowissenschaften Rainer Werthmann
Die Sulfur-Merkur-Theorie Die von der Elementenlehre des Aristoteles ausgehende Sulfur-Merkur-Theorie war zu Glaubers Zeit die vorherrschende Theorie zur Entstehung der Metalle und zur Herleitung ihrer Eigenschaften. Sie ist darauf gegründet, dass die Metalle einerseits in ihrer Schmiedbarkeit eine plastische, flüssigkeitsähnliche Komponente aufweisen, andererseits einen gewissen Energieinhalt, ein verborgenes feuriges Element, das z. B. im Schmelzofen den Erzen bei ihrer Verwandlung in Metalle mitgegeben wird. Aristoteles argumentiert in seinem Werk über die Meteorologie, die Metalle entstünden im Innern der Erde durch die Vermischung einer feuchten mit einer trockenen Ausdünstung, bevor sie sich zum festen Zustand kondensierten 1. Wie im Laufe der Zeiten verschiedene Alchemisten mit diesem Thema bezüglich der Eigenschaften der Metalle umgegangen sind, wird in einem gesonderten Beitrag behandelt.
Abb. 1: Titelblatt von Johann Rudolph Glaubers „Opus Minerale, Teil II“ (Quelle: SLUB Dresden, http:// digital.slub-dresden.de/ id27797433X)
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Gedanken zum Inneren der Erde Glauber stellt seine mit der Sulfur-Merkur-Theorie verknüpften Vorstellungen über die Vorgänge im Inneren der Erde, die Ausbreitung von Energie und die Bildung von Lagerstätten vor allem im zweiten Teil seines Buches „Opus Minerale“ 2 dar. Zur besseren Einschätzung von Glaubers Ausführungen hier zunächst ein paar Anmerkungen zu den Überlegungen seiner Vorgänger: Aristoteles’ Gedanken zu den Verhältnissen im Inneren der Erde sind denkbar allgemein und knapp. Er konstatiert an der erwähnten Stelle in seiner „Meteorologie“ die Existenz einer trockenen und einer feuchten Ausdünstung, sagt aber nicht, wie er sich deren Ursprung vorstellt. Der Alchemist Michael Sendivogius (1566–1636), 38 Jahre älter als Glauber, löst das Problem dadurch, dass er im Innern der Erde einen vom Schöpfer dorthin gesetzten Archæus, eine Urkraft annimmt, die diese Ausdünstungen verursacht. 3 Sendivogius’ Zeitgenosse Michael Maier (1569–1622) nimmt an, von Anfang an habe der Schöpfer eine gewisse Menge Schwefel (für das feurige Element) und Quecksilber (für das wässrige, flüssige Element) im Innern der Erde verborgen, die im Laufe der Zeit aufsteigen und zu den Metallen reagieren. 4 Glauber macht sich sehr viel konkretere Gedanken. Für ihn herrscht im Zentrum der Erde eine große Hitze, entstanden durch die Auswirkung konzentrierter Sonnen- und Sternenstrahlen. Grundlage für diese Denkweise ist ein vom Empfinden her immer noch geozentrisches Weltbild: In der Schöpfung hätten sich nach dem ursprünglichen „verwirrten Chaos“ die klassischen Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer nach ihrer Schwere voneinander getrennt und übereinander angeordnet: zuunterst die Erde, darüber das Wasser, darüber die Luft und ganz oben das Feuer in Form von Sonne, Planeten und Sternen. Auf diese Weise wird der ganze Weltraum mit seinen Sternen der Erde als seinem Zentrum zugeordnet. Bei dieser Zentralperspektive erscheint es dann ganz selbstverständlich, wenn die Strahlen aller Himmelskörper sich im Mittelpunkt der Erde verdichten und eine ungeheure Hitze entsteht
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Kap. 11 wie im Brennpunkt eines Hohlspiegels. Derartige Hohlspiegel aus polierter Arsenbronze hat Glauber selbst hergestellt und wusste genau, wie groß sie sein müssen, um mit dem einfallenden Sonnenlicht welches Metall zu schmelzen. In dem Buch Furni Novi Philosophici, Teil IV, veröffentlicht er genaue Angaben zur Herstellung solcher Spiegel 5, im hier besprochenen Werk Opus Minerale Teil II erwähnt er, welche Temperaturen damit erreichbar sind: Mit einem Spiegel von einer Spanne (ca. 25 cm) Durchmesser könne man brennbare Stoffe wie Holz leicht entzünden, bei zwei Spannen (ca. 50 cm) könne man Blei (Schmelzpunkt 327,5 °C), Zinn (Schmelzpunkt 232,0 °C) oder Bismut (Schmelzpunkt 271,3 °C) schmelzen, bei vier oder fünf Spannen (um 1 m) Kupfer (Schmelzpunkt 1083 °C) und Silber (Schmelzpunkt 961,9 °C) schmelzen sowie Eisen „so weich machen/ dass mans auff einem Amboß schmieden kan“. 6 Wie groß muss dann erst die Hitze im Zentrum sein, wenn praktisch die ganze Erde die Strahlen der Sonne einfängt:
„Was ist aber zehen oder zwanzig Klaffter gegen so viel tausend Meile Wegs/ als die Sonne allein groß seyn soll/ gedenck einmal/ wann ihre Hitz/ wil geschweigen vieler andern grossen Sterne/ nur allein an einem Ort zusammen getrieben wäre/ (wie dann solches im centro terræ geschiehet) was doch für ein unaußsprechliche Hitz daselbst seyn solte? Gewißlich würde nichts so fix seyn/ daß es dargegen bestehen möchte“. 7
Auch dafür, dass die Temperaturen an der Erdoberfläche, also näher an der Sonne, nicht so hoch sind wie im Zentrum der Erde, hat er eine Erklärung. Denn auch wenn man auf hohe Berge steige, also der Sonne entgegen, sinke ja die Temperatur. Das liege daran, dass aus der Sonnenstrahlung umso mehr Wärme entwickelt werde, je dichter ein Medium für die Strahlung sei 8 :
„Daher zu sehen/ daß die Sonnenstralen an denen Orten/ da sie frey und unverhindert mögen dadurchgehen/ keine Hitze/ sondern allein an solchen Orten/ da sie eine harte Materi finden/ und nicht alsbald durchgehen können/ und je härter die Materi/ je grössere Hitze sie verursachen/ und wird ein Holz/ oder ein ander schwämmicht Wesen beyweitem in der Sonne nicht so häiß/ als ein harter Stein/ und ein Stein nicht so häiß als ein Metall werden/ wann sie schon beysammen oder neben-einander in der Sonne gelegen haben ...“
So gebe es irgendwo zwischen der heißen Sonne und der warmen Erde einen kältesten Punkt. Durch die von Luft zu Wasser und weiter zum Gestein zunehmende Dichte sei es dann auf Meeresniveau wärmer als auf den Bergen, und weil die Erde praktisch ganz aus dichtem Gestein bestehe, sei es durch die Aufnahme der Sonnenstrahlung immer wärmer, je tiefer man komme. Zudem sei ja mit zunehmender Tiefe immer weniger Platz vorhanden, daher müsse sich die Sonnenstrahlung im Zentrum der Erde immer enger zusammendrängen und erzeuge so die dort herrschende enorme Hitze. Das Postulat der Erwärmung des Erdinnern durch die auf die Erde fallende Strahlung der Sonne und anderer Himmelskörper beruht auf Glaubers Vorstellung, dass die Wärme sich auch in dichteren Medien wie eine Art Strahlung
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fortpflanzt, also gerichtet („nicht hinter sich, sondern allzeit vor sich“) von der Erdoberfläche bis zum Zentrum durchgeht, sodass sich allein aus der Kugelgeometrie der Erde eine Art „Brennglaseffekt“ ergibt. Entsprechend interpretiert er die Erwärmung eines dicken Blechs durch eine aufgelegte und nach einiger Zeit wieder weggenommene glühende Kohle :
„... laß solches Blech ein wenig ligen/ und fühle darnach wieder auff beyde Seiten/ so wirst du befinden/ daß die Hitze ist fortgangen/ und auff der untersten Seite das Blech viel häisser ist als oben/ darauff die Kole gelegen hat. Also kanst du genugsam spüren und sehen daß es wahr ist/ daß die Hitze nicht hinder sich/ sondern allzeit für sich gehe. Wann deme nun also ist/ so mußt du auch gestehen/ daß solche nicht auff Erden bleibe/ sondern durch dieselbe bis zum centro dringe.“ 9
Das Zentrum der Erde sei hohl, denn nichts könne dieser Temperatur standhalten. Von dort steige die Hitze wieder auf, dringe von unten in ein besonderes, dickes Tiefenwasser ein und erzeuge darin die Erze, zunächst in Form von Schlämmen. Das ungeheuer heiße Zentralfeuer der Erde diskutiert er nachfolgend unter verschiedenen Aspekten: - Seine Beziehung zur Hölle: Hier argumentiert er diplomatisch geschickt, er zweifle zwar nicht an der Existenz der Hölle, wie die Kirche sie lehre, sie könne sich auch durchaus im Zentrum der Erde oder in seiner Nähe befinden. Er halte sich aber aus religiösen Fragen heraus und überlasse das den theologischen Fachgelehrten:
„Diesen Ort, davon ich allhier schreibe/ gibt uns die natürliche Philosophia zu erkennen; jenen aber die H(eilige) Schrifft/ welche ich den Theologis befehle“. 10
- Seine Beziehung zu den Vulkanen: Hier lehnt er eine Verbindung des Zentralfeuers zu den Vulkanen im Allgemeinen ab und lässt nur gewisse Ausnahmen zu. Die Vulkane seien ja nur sporadisch aktiv, während das Zentralfeuer andauernd und so lange brenne, wie die Sonne und die Sterne schienen. Als Wärmequelle der Vulkane nimmt er brennenden Schwefel an, der auch aus dem Inneren der Erde immer weiter nachgeliefert werden könne. Die Geräusche, die man vor einem Ausbruch in der Nähe eines Vulkans hören könne, seien nicht das Heulen verdammter Seelen, sondern würden vom Feuer verursacht,
„welches mit Gewalt durch die enge Gänge und harte Felsen und Klüfften streichet/ und also ein Gethön oder grewlich Geleut machet/ welches die Inwohner geheulet nennen“. 11 Berichte über Geisterbegegnungen in der Nähe von Vulkanen sieht er pragmatisch:
„dann in der Erden sonsten auch vielerhand Geister gefunden und gesehen werden/ welches den Bergleuten nichts frembds oder ein ungewohntes Ding ist“. 12
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Kap. 11 Gedanken zur Lagerstättenbildung Glauber bekennt sich, wie vor ihm auch Sendivogius und Maier, in der Sulfur-Merkur-Theorie zum Konzept des „allgemeinen Samens“. Das heißt, dass er die einzelnen Metalle nicht als unveränderliche Substanzen betrachtet, sondern als graduell ineinander übergehende Entwicklungsstufen ein und desselben allgemeinen Metallischen. Das bedeutet für ihn allerdings nicht, wie es etwa Michael Maier sieht, dass das erste Vorprodukt immer die verschiedenen Erze des Bleis seien 13, des Metalls, das man für das „unterentwickeltste“ hielt. Für Glauber entstanden gleich die Erze der verschiedenen Metalle, je nach dem Ort, an dem die Metallbildung stattfand. Es beginnt nach seiner Ansicht alles im Wässrigen, die Erze zeigen sich zuerst als Schlämme, und mit zunehmender Reife verfestigen sie sich immer mehr und werden metallähnlicher:
„So bald nun ein sulphurischer Geist sich mit dem Wasser vermischt/ so ist es kein gemein Wasser/ sondern allbereit ein Anfang metallischer Gebärung/ und erlanget von den Philosophis den Namen Mercurium, aber nicht solchen zu verstehen, welcher laufft und allbereit metallisch ist/ sondern an Gestalt eines viscosischen Wassers/ von den Bergleuten Gur genant/ welcher/ so er in einem bequemen Ort ligt/ und mit gebührlicher centralischer Wärme und Feuchtigkeit erhalten/ in ein Metall durch lange Zeit geboren wird“. 14 So stellen die verschiedenen Verfestigungsstufen von Erzen die Stadien einer Art „Embryonalentwicklung der Metalle“ dar. Ist die Stufe des Metalls erreicht, ist die Frucht reif und kann geboren werden. Doch genau wie Früchte von Bäumen auch überreif werden können und dann zerfallen, so können auch „reife“ Erze sich wieder zersetzen. Glauber spielt dabei offensichtlich auf die Oxidationszone bzw. Auslaugungszone von Lagerstätten im Grundwasserbereich an. Als „Same“ der Metalle betrachtet Glauber Licht und Wärme, die von der Sonne und den anderen Himmelskörpern auf die Erde strahlen. Etwas weiter ausholend, gibt er dem Leser einen Einblick in die zu seiner Zeit herrschenden Fortpflanzungstheorien 15 : Die höheren Tiere pflanzen sich durch ihren Samen fort. Auch bei den Pflanzen geht die Vermehrung über das, was Samen genannt wird, die Entsprechung zum weiblichen Tier wäre dann allerdings die Erde. Wenn sogar ohne Säen aus der Erde Kräuter sprießen, sei dies
„auß Eigenschafft der Elementen; welche noch Macht haben auß eygener Krafft die leere Erden zu schwängern/ und auß ihr Kräuter herfür zu bringen; Gleichwie sie auch dieselbe von Anfang der Welt durch solche Weiß gezeuget und herfür gebracht hat. Ebener Massen haben auch die animalien zweyerley Herkommen/ als erstlich ihren angebohrnen Saamen/ dardurch sie fortgepflanzet werden/ und gleichwol auch viel kleine Gethierlein durch die Putrefaction (= Fäulnis) ohne Saamen/ und allein durch Wirkung der Elementen/ gleich von den Vegetabilien gesagt“. 16 Analog würden auch die Metalle auf zweierlei Weise entstehen:
„Nemlich die erste allgemeine Schwängerung/ welche im Anfang der Welt durch die Astra (= Sterne) geschehen; die andere aber, welche noch täglich geschiehet.“ 17 Und auch das lässt er nicht gelten, dass man den Samen der Metalle nicht sehen könne:
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der Same der Metalle sei eben geistig, so wie bei der Urzeugung von Pflanzen und Tieren aus den Elementen: „Und ist gleichsam der Geist an statt deß Saamens/ und das subjectum (= Gegenstand)
an statt der Erden oder Mutter/ in welcher der Saame oder Geist zu einem begreiflichen Wesen/ nach seiner Art und Gestalt/ außgebrütet und gezeitiget wird.“ 18
Ein anderer zeitgenössischer Einwand, mit dem er sich auseinandersetzt, lautet: Da die sieben Metalle Silber, Quecksilber, Kupfer, Gold, Eisen, Zinn und Blei den sieben „klassischen Planeten“ Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn zugeordnet sind, könne doch jedes Metall durch die Strahlung des entsprechenden Himmelskörpers entstanden sein und nicht aus einer einheitlichen Strahlung. Dies lehnt Glauber ab, und er hat gleich mehrere Gegenargumente: Es gebe ja außer den klassischen Metallen auch noch das Zink, das Bismut, das Antimon und das Kobalt, und wenn die Theorie stimmte, müsste es ja für diese auch noch Planeten geben – die aber nicht bekannt sind. Außerdem kämen die Metalle in der Erde nur selten ganz alleine, sondern meist in Begleitung anderer Metalle vor:
„Wann dann dem also wäre/ daß ein jedweder Planet sein eigen Metall generirte/ wie kommt dann das ander darzu?“ 19 „...so es also wäre/ daß ein jedweder Planet sein besonder Metall generirte/ er auch ohne zweiffel einen besondern Ort darzu erwehlen/ und nicht leiden würde/ daß ihm ein anderer in sein Nest käme/ und sein Vorhaben verhinderte.“ 20
Glauber fasst zusammen: „Bleibe derhalben darbey/ und sage/ daß alle Metallen/ und halbe Metallen oder Mineralien ihren Ursprung allein auß einem Samen oder Wurzel haben/ und ihre unterschiedliche Arten und Gestalten allein accidentaliter verursachet werden: dann/ wann die Astra ihre Kräffte zusammen in das centrum terrae werffen/ so bleiben sie nicht einsam/ sondern gehen durcheinander vermischt wieder zurück in die Klüffte der Gebirge/ suchen einen Ort da sie Ruhe haben/ und ein corpus an sich nehmen mögen; finden sie dann einen reinen und bequemen Ort/ so wird auch ein rein Metall generiret/ finden sie aber einen unreinen Ort/ so wird auch ein grob unrein Metall: und ist ein solcher Ort/ da sich die syderische Kräffte/ welche von dem centro terrae zurück gehen/ hinbegeben/ einer [Ge]Bärmutter eines Thiers zu vergleichen/ welche den Saamen von dem männlichen Theil empfähet/ und ein corpus darauß formiret/ dasselbe nehret/ und zur Vollkommenheit außbrütet und zeitiget: Die astralische (d. h. den Sternen zugeordnete) Geister aber sind anstatt deß männlichen Saamens/ welcher durch zuthun einer feuchten Erden in den Klüfften/ als seiner matrice, angenommen/ gespeiset/ und in mancherley metallische Gestalten und greiffliches Wesen/ nach Gelegenheit oder Reinigkeit deß Orts formiret werden: und werden also auß einem Saamen accidentaliter vielerley Gestalten der Metallen generiret.“ 21 Die Sonne scheine auch auf die Erdoberfläche, und auch dort würden auf dieselbe Weise Metalle entstehen. Als Beispiel führt er das Gold an, das aus Flüssen und Bächen gewaschen
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Kap. 11 wird. 22 Bei einigen solchen Lagerstätten sei zwar erkennbar, dass das Gold aus dem Gebirge stamme, es gebe aber auch Vorkommen von goldhaltigem Sand auf Hochebenen, zu denen keine Flüsse führten. Als Beispiel erwähnt er Goldlagerstätten bei den „Indianern“, aus denen das von der niederländischen ostindischen Kompanie gehandelte Gold stamme. 23 Hier komme nur die Sonne als Urheber der Metalle in Frage. Auch das Salz werde durch die Sonne im Wasser erzeugt 24, als erste zarte Bildung von gelöstem Feststoff. Das Meer im kalten Nordeuropa (er meint wohl die Ostsee) sei schließlich relativ salzarm, das Meer im Süden schon salzreicher, am salzreichsten sei das Meer bei Indien, wo am Ufer Salz aufgesammelt werden könne. 25 Schließlich werde auch die Bildung des Torfs in der Erde von der Sonne bewirkt, dieses Heizmaterial enthält schließlich Energie. Der oberflächennahe Torf gebe dabei mehr Wärme als der in größerer Tiefe gestochene, nach Glaubers Ansicht wieder ein Hinweis auf die Wirkung der Sonne.
auß gehen/ welche dünner seyn/ und wieder dünnere von sich geben/ und also biß zu den allerkleinsten Sprösslein oder Aederlein einem Baum gleich sich zerspreiten und außtheilen; also auch die Metallen in der Erden thun: Dann nach dem die syderische Kräfften von oben herab durch den ganzen Erdboden unsichtbarer Weise biß zu dem centro kommen/ und wegen der grawsamen Hitze daselbsten nicht bleiben können/ brellen sie zurück/ und gehen auß dem leeren Ort/ da nichts ruhen oder bleiben kan/ in die circumferenz/ und machen daselbst auß einer bequemen Feuchtigkeit ein solidum und compactum corpus metallicum, auß welchem dann unzehlich viel Gewächse/ den BlutAdern oder Bäumen gleich/ rings herumb außschiessen/ fortwachsen und sich durch den ganzen Erdboden außbreiten/ also dass auch die eusserste Gipffel solcher Metallischen Bäumen oder Gewächsen bißweilen biß in das öberste Theil der Erden sich erstrecken/ da sie sich dann den Menschen offenbahren“. 26
Die Erde als Gesamtorganismus Glauber betrachtet die Erde als eine Art Lebewesen, von Pflanzen und Tieren nicht grundsätzlich unterschieden, sondern nur dadurch, dass alle Lebensvorgänge sehr viel langsamer abliefen:
„Nemblich daß der ganze Erdboden anders nichts ist/ als ein grosses Thier/ wie er dann von den alten und jüngern philosophis allzeit magnum animal ist genennet worden; und hat solches grosse Thier/ welches auch macrocosmus genennet/ eine Vergleichung mit dem Menschen oder microcosmo; Dann alles was in dem Menschen oder kleinen Welt befunden/ lässt sich auch in der grossen Welt sehen ... In einem Menschen befinden sich erstlich sieben Haupt-Glieder, Als Herz/ Hirn/ Leber/ Lung etc. auch Blut und Senadern, harte und weiche Bein und vielerhand musculen und ligamenten ...; außwendig ist er mit Haar bewachsen/ darinn sich kleine Thierlein/ als Läuß und Flöhe auffhalten; welche Glieder dann in dem Erdboden (wann er ein grosses Thier seyn soll) ebener massen seyn müssen ... dann das centralische Fewer in dem Erdboden/ welches von dem öbern Gestirn hinunter gewircket und angezündet wird/ ist wie das Herz in einem Thiere zu rechnen/ welches auch allzeit warm ist/ und durch seine warme und lebendig machende spiritus den ganzen Leib erhält; Und gleich wie sich in einem Thier das Blut in Adern durch den ganzen Leib hin und her außtheilet/ solchen zu erhalten: Also auch die Metallen in der Erden: dann wann das centralische Herz-Fewer in der Erden nicht solche kräfftige warme Geister von sich gebe/ und den Erdboden damit erwärmete/ so würde alles todt und unfruchtbar seyn/ und ganz nichts drauff wachsen können; Nun aber solches geschiehet/ so ist die Erde fruchtbar/ und bringet Bäume und Hecken/ Kraut und Graß/ zu Erhaltung der Thier/ reichlich herfür; und sind also die vegetabilia, mit all den Thieren/ welche sich darvon nehren/ nur dem eussersten und geringsten Theil des grossen Thiers oder ganzen Erdbodens/ die Metallen aber dem besten Geblüt desselben/ zuvergleichen: Dann eben also und auff solche Gestalt/ wie die Blut-Adern in deß Menschen Leib sich außtheilen/ zu unterst einen dicken Stamm haben/ von welchem andere Stämme neben
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Abb. 2: Mutter Erde, Emblem II aus dem Buch „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier (Quelle: SLUB Dresden)
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Kap. 11 Einschätzung aus heutiger Sicht Wir lächeln vielleicht angesichts Glaubers Beschreibung der Erde als eines Gesamtorganismus, aufgebaut analog einem Menschen oder einem höheren Tier, bis hinein in Details wie den Läusen, die beim Menschen zwischen den Haaren umherwandern wie die Tiere auf der Erde zwischen den Bäumen. Doch im heutigen Zeitalter der Ökologie, in dem man sich immer mehr bewusst ist, wie sehr alles mit allem verbunden ist, nehmen solche Vorstellungen auf anderer Ebene wieder Gestalt an. Wir wissen, dass die Lebewelten der Erde miteinander sowie mit der Wärmeverteilung und anderen Klimafaktoren in vielfältiger Hinsicht verflochten sind. Dieser Organismus Erde als ganzer zeigt Verhaltensweisen, die mit Lebensprozessen verglichen werden können. Die Lebensprozesse wie die geologischen und Mineralbildungsprozesse werden durchflutet und bewegt von Energieströmen. Und wenn wir auch nach dem heutigen Stand der Geologie wissen, dass die Wärme des Erdinneren nicht von der heutigen Strahlung der Sonne kommt, so ist doch für Glauber wie für uns die Sonne das große Sinnbild für Licht und Wärme. In den Details der Einzelfakten hat die Menschheit seit Glauber sich einen großen wissenschaftlichen Schatz hinzu erobert. Seinen damaligen Gesamtüberblick, der auch das Gemüt mit einschließt, müssen wir heute hingegen erst wieder lernen.
1
Aristoteles, Meteorologie, z. B. herausgegeben von Paul Gohlke, Schöningh Paderborn 1955, S. 136/137
2
Glauber, Johann Rudolph: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 337–365
3
Von dem Rechten wahren Philosophischen Stein: Zwölff Tractätlin in einem Wercklin verfasset und begriffen … Straßburg 1613, S. 14–16
4
Maier, Michael, „Memoriale“ an Landgraf Moritz den Gelehrten, Kassel, Murhardsche Bibliothek, Handschriftensammlung, Signatur 2° MS Chem 19, Blatt 279/2
5
Glauber, Johann Rudolph: Continuatio Miraculi Mundi, in: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 231–237
6
Glauber, Johann Rudolph: Operis Mineralis Ander Theil, in: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 341/342
7
ebd. S. 342
8
ebd. S. 344
9
ebd. S. 342
10
ebd. S. 345
11
ebd. S. 346
12
ebd. S. 346
13
siehe auch Maier, Michael, „Memoriale“ an Landgraf Moritz den Gelehrten, Kassel, Murhardsche Bibliothek, Handschriftensammlung, Signatur 2° MS Chem 19, Blatt 279/2
14
Glauber, Johann Rudolph: Operis Mineralis Ander Theil, in: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 357
186
15
ebd. S. 349/350
16
ebd. S. 349
17
ebd. S. 349/350
18
ebd. S. 349
19
ebd. S. 353
20
ebd. S. 354
21
ebd. S. 354/355
22
Zinnschlacke war für Glauber ein Ausgangsstoff für die Goldgewinnung. Der Prozess baute darauf auf, dass das Gold „nachwuchs“.
23
ebd. S. 358
24
Glauber, Johann Rudolph: De Natura Salium, in: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 460/461
25
ebd., S. 444/445
26
ebd., S. 350–352
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Kap. 12 Johann Rudolph Glauber und die Veredelung der Metalle Rainer Werthmann
Glauber – Chemiker oder Alchemist? Johann Rudolph Glauber wird allgemein als der erste moderne Chemiker angesehen. Mit den vielen konkreten und häufig gut nacharbeitbaren Versuchsbeschreibungen in seinen Büchern wie „Furni Novi Philosophici“ oder „Pharmacopoea Spagyrica“ liefert er umfangreiches Material, das diese Auffassung untermauert. Vor allem die ältere Glauber-Forschung 1,2,3,4,5,6 betont Glaubers „moderne“ Seite, und auch der Autor selbst hat in früheren Publikationen 7,8,9,10,11 herausgestellt, wie sehr Glaubers Sichtweisen denen der heutigen Chemiker nahe kommen. Doch das ist nicht alles, und eine Beschränkung auf diese Seite würde weder der Persönlichkeit Glauber, noch seiner Zeit gerecht werden. Denn es ist ebenso zutreffend, dass Glauber ganz selbstverständlich mit den damals anerkannten alchemistischen Theorien gearbeitet hat. Allerdings hat er sie auf der Grundlage seiner Beobachtungen ausgestaltet und auch kritisch hinterfragt. Im Unterschied zu den häufig eher allgemein-philosophischen Hinweisen auf die Goldherstellung in der ihm zugänglichen alchemistischen Literatur, die er etwa bei Isaacus Hollandus 12 kritisiert, behandelt Glauber nach entsprechenden theoretischen Betrachtungen auch dieses Thema sehr konkret-laborpraktisch. Er gibt damit einen nachvollziehbaren Einblick in die Prozesse, die er in Versuchen zur Goldherstellung selber angewandt hat.
Goldmachen
Abb. 1: Abscheidung von metallischem Kupfer aus kupferhaltigen Grubenwässern auf einem eisernen Geländer, Grube Wilhelm, Marsberg (Foto: Michael Straßburger)
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Das Goldmachen war viele Jahrhunderte hindurch ein wesentliches Thema der Alchemie. Die Grundlage zu der Annahme, Gold sei aus unedlen Metallen durch chemische Operationen herstellbar, liefert die damals weit verbreitete und auf die Elementenlehre des Aristoteles gegründete Sulfur-Merkur-Theorie (vergl. Kap. 9). Auch Glauber erarbeitete in „Opus Minerale Teil II“ seine eigene Version dieser Theorie (vergl. Kap. 11). Gold galt als die vollkommenste, ausgewogenste Mischung der vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer. Der polnische Alchemist Michael Sendivogius (1566–1636) setzt den Zustand dieses Metalls dem des Menschen vor der Vertreibung aus dem Paradies gleich. Damals sei der Mensch unsterblich gewesen, so wie heute noch das Gold unzerstörbar sei. Erst nach der Vertreibung habe der Mensch die vier Elemente in unausgewogenem Verhältnis aufgenommen und sei dadurch sterblich geworden. Aufgrund dieser Analogie zwischen dem Menschen als Mikro- und der Natur als Makrokosmos sei das Goldmachen auch im höchsten, philosophisch-religiösen Sinne eine lohnende Arbeit. 13 Im Laufe der Geschichte war allerdings nicht jeder Naturforscher gleichermaßen davon überzeugt, man könne unedle Metalle in vollwertiges Gold verwandeln. So arbeitete der aus
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Kap. 12 Usbekistan stammende und im Iran wirkende Arzt Abū Alī al-Husayn ibn Abdullāh ibn Sīnā 14, 15, 16 (980–1037), dessen Werke im 12. Jahrhundert unter dem Namen Avicenna (latinisiert aus ibn Sīnā) ins Lateinische übersetzt wurden, zwar mit der Sulfur-Merkur-Theorie auf der Grundlage der Elementenlehre des Aristoteles, hielt aber die Metalle in der Variationsbreite ihrer Eigenschaften für so eingegrenzt, dass er eine Umwandlung des einen in das andere ausschloss. Bekannt ist sein Ausspruch: „Die Alchemisten mögen wissen, dass die Arten der Metalle nicht verwandelt werden können.“ Viele lateinische alchemische Werke beginnen daher mit einer Zurückweisung dieses Dictums. 17 Die Nachwelt konnte er nicht dauerhaft überzeugen; nach seinem Tod erschienen unter seinem Namen alchemische Schriften, in denen erklärt wurde, er habe seine Meinung geändert. 18 Das Thema blieb seit Avicennas Zeiten für etwa 700 Jahre in der Diskussion. Der große Theologe Thomas von Aquin 19 (1225–1274) beschäftigte sich etwa mit der moralischen Frage, ob synthetisch hergestelltes Gold, das in allen Eigenschaften dem natürlichen gleiche, auch zum Preis des natürlichen Goldes verkauft werden dürfe. Das bereits war für manche spätere Autoren der Anlass, ihm auch alchemistische Schriften zuzuschreiben. Heute betrachten wir Gold als ein chemisches Element. Chemische Elemente sind per definitionem 20 durch chemische Reaktionen nicht veränderbar, können dadurch also weder erzeugt noch vernichtet werden. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war jedoch das sichtbare Phänomen die Richtschnur chemischen Experimentierens. Was goldähnlicher oder auch nur metallischer aussah als der Ausgangsstoff, galt schon als einen Schritt weiter in Richtung Gold. Alle Metalle sind sich durch ihre physikalischen Eigenschaften, den gemeinsamen Metallcharakter, untereinander sehr ähnlich, während ihre Verbindungen, die doch dasselbe chemische Element enthalten, meist völlig andere Eigenschaften haben. Wer die Stoffe nach den Phänomenen einteilt, nach ihren äußeren Eigenschaften, wird eine gegenseitige Verwandlung ineinander zumindest nicht von vornherein ausschließen. Eine Bestätigung erhielt diese Theorie durch die seit der Antike vorhandene Erfahrung, dass metallglänzende, aber spröde Erze wie Bleiglanz oder Kupferkies sich in der Tat durch metallurgische Verfahren in die geschmeidigen Metalle verwandeln, also „verbessern“ lassen. Es war auch bekannt, dass man aus den meisten Bleierzen eine kleine Menge Silber gewinnen kann, warum dann nicht auch Kupfer aus Eisen und Gold aus Silber? Dies wurde als ganz ernst zu nehmender Forschungsansatz betrachtet. Dabei kam es dem seriösen Alchemisten nicht auf die Bereicherung, sondern auf die Erkenntnis an. Glaubers älterer Zeitgenosse Sendivogius schreibt:
„... wer ... einiges geringes Metall/ es beschehe gleich mit oder ohne gewin/ würcklich/ und in allen Proben beständig/ auff die farb Solis oder auch Lunae tingiren (d. h. in Gold oder Silber umwandeln) kan/ Von dem mag ich billich melden/ das ihme die Thüre der Natur geöffnet seye/ mehrern und höhern Geheimnussen nachzutrachten/ und durch Göttlichen segen zu denselben zugelangen“. 21
Der Alchemist, Pfalzgraf und kaiserliche Leibarzt Michael Maier (1569–1622) äußert sich in einer Abhandlung an Landgraf Moritz den Gelehrten von Hessen-Kassel voller Überzeugung:
„Die Grundlagen sind, wie woanders von weisen Männern und von mir an verschie-
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denen Orten bis zum Erbrechen vorgeführt worden ist, dass das gewöhnliche, natürliche Gold in einem ganz normalen natürlichen Prozess aus dem Silber entsteht, das Silber in der Tat aus den unvollkommenen [Metallen], insbesondere Saturn (= Blei) und Venus (= Kupfer)“. 22 Dass diese Schlussfolgerung zumindest nahe lag, illustriert in Tabelle 1 ein Ausschnitt aus Analysen des Kupfers, das für die 1717 fertiggestellte Herkulesstatue im Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe verwendet wurde. 23 Auch für die Analytik der damaligen Zeit waren solche Gold- und Silbergehalte nachweisbar, und da man geologische Prozesse als Lebensvorgänge der Erde begriff, fiel es nicht schwer anzunehmen, die Edelmetalle hätten sich im Laufe langer Zeiten durch Reifungsprozesse aus dem Kupfer entwickelt. Elementkonzentrationen
Herkulesstatue, linkes Knie
Herkulesstatue, rechter Fuß
heutiges Elektrolysekupfer
Kupfer [%]
98,5
99,0
99,99
Silber [mg/kg]
578
691
4,79
Gold [mg/ kg]
7,70
1,89
< 1,7
Eisen [mg/kg]
4846
200
15,1
3,45
3,52
0,477
3595
3144
0,592
137
38,4
1,30
Quecksilber [mg/kg] Blei [mg/kg] Zinn [mg/kg]
Tabelle 1 Konzentrationen an den sieben „klassischen“ Metallen in dem Kupfer der Kasseler Herkulesstatue von 1717, zum Vergleich Kupfer aus neuzeitlicher Produktion von Reparaturarbeiten an der Statue
Im 17. Jahrhundert wurde es geradezu zum Kennzeichen ehrlicher Wahrheitssucher, zwar mit der Umwandlung der Metalle voranzukommen, aber dabei so viel Aufwand zu haben, dass kein Gewinn übrigblieb. Von der vollständigen Umwandlung unedler Metalle in edle, die „Gradirung“ oder „Universal-Verbesserung“ genannt wurde, unterschied man die „Particular- Verbesserung“, das heißt die nur oberflächliche Abscheidung edlerer Metalle. Hierzu schreibt Glauber: „Ich verläugne nicht/ daß die Metallische Solutiones (= Lösungen) auff etlichen Me-
tallen sich anschlagen/ dieselben vergülden/ versilbern/ und verküpffern/ aber darumb nicht gradiren (= zu Besserem umwandeln); Wie dann bekannt genug ist/ wann man Eysen in ein Vitriolisch Wasser legt/ solches von dem Vitriol-Wasser nicht zu Kupffer wird/ sondern nur das Kupffer auß dem Vitriol zu sich ziehet; davon allhier nicht disputiret wird/ sondern angezeyget/ daß es möglich sey/ die Metallen durch einen durchdringenden tingirenden Geist zuverändern“. 24
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Kap. 12 Eine derartige, für das eigentliche Goldmachen nicht interessante Partikular-Verbesserung unter Zuhilfenahme von Abfallsäuren und Eisenschrott empfiehlt Glauber in großem Umfang, um auch aus Erzen mit niedrigen Kupfergehalten noch das Metall gewinnen zu können (vergl. Kap. 5). Dieses Verfahren wird unter dem Namen „Kessellaugung“ heute noch praktiziert.
Betrügerisches Goldmachen Neben den ernsthaften wissenschaftlichen Bemühungen gab es viele vergebliche oder betrügerische Versuche, Gold zu machen. Ein Stück „Gold“ aus dem Nachlass des wegen Betrugs hingerichteten Goldmachers Domenico Manuel Caetano (1670–1709), das im AstronomischPhysikalischen Kabinett der Museumslandschaft Hessen Kassel aufbewahrt wird, erwies sich z. B. als feuervergoldetes Kupfer. 25 Bei seriösen Alchemisten wie Johann Rudolph Glauber, Michael Maier oder Michael Sendivogius spürt man derartige Erfahrungen immer im Hintergrund. Da sie aber selber an die Möglichkeit der Metallverwandlung glauben, versuchen sie sich davon abzusetzen und den Betrügern Fehler nachzuweisen. Michael Maier argumentiert in seinem „Viatorium“ seitenweise gegen seiner Meinung nach unsinnige Methoden des Goldmachens. 26 Glauber wettert auf Goldmacher, die vom chemischen Verhalten der Stoffe und vom Erkenntnisstreben nichts verstünden und versuchten, mit einzelnen spektakulären Tricks Geld zu machen. 27 Er beklagt, dass es immer noch Menschen gebe, die sich aus Gewinnsucht davon blenden ließen. Er selbst forscht in Kitzingen im Geheimen über Metallumwandlung, betreibt aber gleichzeitig im technischen Maßstab die Aufarbeitung von Weinhefe (vergl. Kap. 5). Weil er
„...den Goldmachers Nahmen nicht haben will/ also habe ich ein solch Werck auß der Heffen (pro forma zu thun) vorgenommen gehabt/ und doch gleichwol in Metallicis etwas in Stille thun können …“ 28 Goldmachen in Glaubers Schriften
Man kann Glauber abnehmen, dass er von der Umwandelbarkeit der Metalle überzeugt war. Er bewegte sich damit innerhalb der anerkannten Theorien seiner Zeit und zitiert dazu u. a. Paracelsus, Sendivogius und Basilius Valentinus. Sein Werk ist, selbst an Stellen, wo man es nicht erwartet hätte, durchzogen von Anleitungen zu Versuchen, die im Labormaßstab eine geglückte Umwandlung nahe legen. Insbesondere sind zu nennen: Opus Minerale Teil II und III, Miraculi Mundi Continuatio, Furni Novi Philosophici Teil IV, De Natura Salium, Des Teutschlandes Wohlfahrt, sowie Reicher Schatz- und Sammel-Kasten. Andererseits vertraute er seinen eigenen Entdeckungen anscheinend nie so weit, dass er selbst das Geld zur Durchführung großtechnischer Metallumwandlungen investiert hat. In „Opus Minerale“ von 1651 sagt er:
„Wie ich dann selber (der ich doch niemaln Hand an ein solch wichtig Werck geschlagen) solches in rerum natura zu seyn bekenne und unzweiffelhafftig glaube ...“. 29
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Glaubers Opus Minerale Besonders viel über das Goldmachen erfährt man in Glaubers Buch Opus Minerale. Während Teil I praktische Gesichtspunkte bei der Reinigung von Metallen, insbesondere Blei und Antimon, und die Herstellung antimonhaltiger Arzneimittel behandelt, entwickelt er in Teil II seine Gedanken über die Entstehung der Metalle in der Erde in Form seiner eigenen Variante der Sulfur-MerkurTheorie. Teil III schließlich behandelt und kommentiert darauf aufbauend die Schrift „Coelum Philosophorum, sive Liber Vexationum“ (Der Himmel der Weisen oder das Buch der Irreführungen) Philippi Theophrasti Paracelsi. Kunst und Natur der Alchimey/ und was darauff zu halten sey“. 30 Glaubers Einführung enthält eine aufrichtige und feurige Verteidigung des Paracelsus. So dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass er davon ausgeht, ein authentisches Werk des Hohenheimers vor sich zu haben. Die heutige chemiegeschichtliche Forschung neigt eher zu der Ansicht, dass der Herausgeber Adam von Bodenstein der eigentliche Autor ist. 31 Kapitelweise, im Druck hervorgehoben, druckt Glauber das ganze „Liber Vexationum“ ab, dazwischen kommen jeweils seine eigenen Kommentare. Immer wieder sind ganze Kapitel Glaubers eingeschoben, die über eine Interpretation weit hinausgehen und einzelne Aspekte näher erläutern. „Paracelsus“ stellt allgemeine Regeln auf und behandelt die sieben klassischen Planetenmetalle Silber, Quecksilber, Kupfer, Gold, Eisen, Zinn und Blei im Hinblick auf ihre Transmutation zu Gold. Glauber ist nicht immer völlig Abb. 2: Johann Rudolph Glauber, konform mit ihm, was wohl auch mit der unterschiedli- Opus Minerale Teil III (Quelle: SLUB chen Zielrichtung der beiden Autoren zusammenhängt. Dresden, persistente URL: http://digi„Paracelsus“ kommt es mehr auf die übergeordneten, tal.slub-dresden.de/id277690579) philosophischen Gesichtspunkte an, und gelegentlich bekommt der Leser Zweifel, ob er die beschriebenen Versuche überhaupt erfolgreich selber durchgeführt hat. Glauber legt hingegen besonderen Wert darauf, seine eigenen Beobachtungen und konkreten Rezepturen darzustellen. Und wenn er auch manchmal zugeben muss, dass ihm bei „Paracelsus“ nicht alle Einzelheiten klar sind, so lässt er doch keinen Zweifel daran, dass er in allem Wesentlichen mit ihm übereinstimmt. Die gesamte Abhandlung ist für den heutigen Leser schon allein aus ihrer Struktur heraus
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Kap. 12 nicht einfach zu verstehen. Glauber wiederholt in seiner Interpretation mehr oder weniger wörtlich den „Paracelsus“-Text, auch die eigenen Kommentare werden an späterer Stelle oft mit geringen Variationen erneut angebracht. Allgemeine Grundsätze wechseln ab mit speziellen Beobachtungen. Eine detailgetreue Nacherzählung wäre daher ebenso verwirrend wie das Original. Auch eine kritische Betrachtung des „Paracelsus“-Textes würde den hier gesteckten Rahmen sprengen. So könnte sich in der Tat die Frage stellen, ob dieser nicht zumindest in Teilen sogar satirisch gemeint war.
Die „Eltern“ der Metalle Grundlage von Glaubers Ansichten über die Metallverwandlung ist die Sulfur-MerkurTheorie. Metalle haben danach zwei wesentliche Eigenschaften, die sie von gewöhnlichen Steinen unterscheiden: etwas Flüssigkeitsähnliches, das die Plastizität = Schmiedbarkeit der Metalle bewirkt, und etwas Energieartiges, das z. B. im Schmelzofen zugefügt werden muss, um aus Erzen Metalle zu machen und das deshalb in den Metallen unsichtbar enthalten ist. Nach der Elementenlehre des Aristoteles hat die Plastizität mit dem Element Wasser zu tun, der Energieinhalt mit dem Element Feuer. Das erdartig-feste Element wird am wenigsten beachtet, es ist sozusagen die Folge davon, dass alle Untersuchungsobjekte Bestandteile der festen Erde sind. Wenn man nun, wie die meisten Alchemisten, abweichend von Avicenna der Meinung ist, nicht jedes Metall sei eine Substanz für sich, sondern es gebe ein allgemeines Metallisches, das nur mehr oder weniger vollkommen sein kann, folgt daraus zwangsläufig der Gedanke, die Umwandlung eines Metalls in ein anderes sei möglich. Die sieben „klassischen“ Metalle wurden in eine Reihenfolge der Vollkommenheit gebracht: Gold ist das vollkommenste, dann folgen Silber, Kupfer, Eisen, Zinn und Blei; Quecksilber hat wegen seines flüssigen Zustandes meistens eine Sonderrolle. Je vollkommener ein Metall ist, desto mehr von dem erwähnten Energieaspekt enthält es. Diese „materialisierte Energie“ wird Seele der Metalle oder fixer Sulfur genannt. Nach heutigem Verständnis wäre er die der Substanz innewohnende Neigung, in den metallischen Zustand überzugehen bzw. ihn beizubehalten. „Die Gütigkeit der Metalle“ rühre „von ihrer anima (= Seele), und nicht dem corpore (= Körper)“ her, sagt Glauber. Das flüssig-plastische Element, das sich in der Verformbarkeit und Schmiedbarkeit der Metalle zeigt, nennt Glauber auch „humidum radicale“, das „grundlegende Flüssige“. Dieser Begriff hat in der Medizin seit der Antike eine lange Tradition. Indem er die Plastizität der Metalle mit diesem Begriff belegt, betont er die Parallele zwischen dem Menschen und dem Metall. Konzentrierter fixer Sulphur und konzentriertes humidum radicale sind beide im Gold am meisten enthalten. In allen anderen Metallen ist weniger fixer Sulphur vorhanden. Man dürfe also nicht erwarten, dass bei der Umwandlung etwa die ganze Masse des Eisens zu Gold würde. So viel edler das Gold gegenüber Eisen sei, so wenig Gold könne aus Eisen gewonnen werden. 32 Der Rest sei nur eine „unachtsame Erde“ oder Schlacke, des metallischen Flusses (= Schmelzbarkeit) beraubt.
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„Darumb man allezeit wol überlegen soll/ wann man das Gold aus den unvollkommenen/ geringen Metallen scheidet/ ob es auch so viel werth sey/ als das Metall/ und andere requisita, welche zum Außziehen desselbigen gebraucht/ gekostet haben“. 33 Der Prozess wird mit der Herstellung von Butter aus Milch verglichen. Milch ist etwas in sich Einheitliches, Vollwertiges, ergibt aber nur eine geringe Menge Butter (die jedoch in verborgener Form vorher schon darin enthalten war). Ebenso ergibt auch ein vollwertiger Wein nach der Destillation nur eine beschränkte Menge Weingeist. Die „Seele“ braucht einen Träger, eine Substanz, um sichtbar zu werden. Aus dieser Vorstellung heraus hält Glauber es für wesentlich, bei der Verbesserung der unedlen Metalle, also der Konzentrierung des Wesentlichen der Metalle, Silber hinzuzufügen,
„daß es die animam derselben/ welche unsichtlich in ihnen weit zertheilet ist/ empfahe/ sammle/ und dieselbe sichtlich/ empfindlich und corporalisch mache/ und also auß beyden/ nemlich dem Silber und der unvollkommenen Metallen anima eine Vermischung werde/ und den Namen Gold erlange“. 34 Der „überflüssige Schwefel“ Außer dem fixen Sulphur und dem humidum radicale, sowie der soeben erwähnten „unachtsamen Erde“ enthalten nur die unedlen Metalle einen überflüssigen, ätzenden, vitriolischen Sulphur. Er muss ausgetrieben werden. Beim Silber sei er so fest gebunden, dass er erst bei hohen Temperaturen entweiche, bei Eisen sogar so fest, dass sich das Metall ohne Probleme schmelzen lasse, ohne dass er entweicht. Der überflüssige Sulphur sei deshalb so fest gebunden, weil er eine Nährmutter darstelle, die für den Embryo des Goldes darin notwendig sei. Alles Eisen entwickele sich im Laufe langer Zeiten zu Gold, und der Bergmann, der Eisenerz abbaue, befinde sich in derselben Situation wie der Fischer, der einen gefangenen kleinen Fisch behält, statt ihn ins Wasser zurückzuwerfen und zu warten, bis er ausgewachsen ist. 35 Während der edle, fixe Sulphur mit einer Art Energieinhalt zu tun hat, den das Metall bei der Reduktion im Schmelzofen aus der Kohle erhält oder als Edelmetall bereits besitzt, umfasst der überflüssige Sulphur nach der heutigen chemischen Sichtweise Schwefel und andere Verunreinigungen von Arsen, Phosphor, Antimon etc. Sie können unsichtbar im Metall enthalten sein und verändern seine Eigenschaften wie Farbe oder Sprödigkeit. Hier zeigt die Erfahrung, dass spröde, wenig glänzende Metalle durch teilweise Verbrennungsprozesse gereinigt werden können, um „vollkommener“ zu werden, das innewohnende Metallische besser zur Wirkung zu bringen. Auch in der heutigen Metallurgie gibt es solche Prozesse, bei denen „analytische Augen“ nur die Abnahme von chemisch nachweisbaren Verunreinigungen registrieren, der „Blick auf die Phänomene“ jedoch zweifelsfrei feststellt, dass das Metall mehr „Metallcharakter“ und damit Goldähnlichkeit bekommen hat. Bei der Stahlherstellung wird Luft durch flüssiges Roheisen geblasen. Kohlenstoff, der für die Sprödigkeit des Gusseisens verantwortlich ist, wird im Bessemer- Konverter oxidiert und entfernt – das Eisen ist
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Kap. 12 schmiedbarer = plastischer und damit „metallischer“ geworden. Enthielt das Erz Phosphor, versprödet das Roheisen noch stärker – im analogen Thomas- Prozess wird es auch vom Phosphor befreit. 36 Beim Blick auf die metallisch glänzenden Erze wie Bleiglanz oder Kupferkies, die fast wie Metalle aussehen, nur noch spröder sind als Gusseisen, werden die Unterschiede noch eindrücklicher. Diese Erze sind meist Sulfide, und die Oxidation erbringt hier die Erzeugung des schmiedbaren Metalls und eine erhebliche Entwicklung übelriechender und ätzender Schwefeldioxid-Dämpfe – der „überflüssige verbrennliche Schwefel“ entweicht. Auch die von Glauber erwähnte Massenverminderung ist hier eindrucksvoll: Kupferkies = Chalkopyrit, eine Kupfer- Eisen- Schwefel- Verbindung, ist ein metallisch glänzendes Erz, das wie mattes, sprödes Gold aussieht, ein „unterentwickeltes Metall“. Im Volksmund wird es wie der ähnlich aussehende Pyrit „Katzengold“ genannt. Bei seiner Verhüttung entsteht, durch Verbrennen des Schwefels und die Verschlackung des enthaltenen Eisens, aus dem spröden Mineral ein Drittel der ursprünglichen Masse an hoch glänzendem und gut schmiedbarem Kupfer – eine „Verbesserung der Metalle“ auf ganz konventionelle Art, die den in Phänomenen denkenden Alchemisten Mut zu Versuchen machte, das „innewohnende Gold“ noch weiter zu konzentrieren. In dem von Glauber zitierten „Paracelsus“-Text heißt es dazu:
„Noch ist das zu melden/ was die metallischen Geister anfänglich in ihrer Geburt/ so sie erstlich von des Himmels Einfluß zu der Erden kommend für ein Matery an sich nehmen/ nemlich ein armes Koht/ ein Stein: dann so kommt der Bergmann oder Knapp/ der zerschlägt und zerbricht den Leib deß Metall-Geists/ der Schmelzer zerstöret und tödtet diesen Leib gar mit dem Feuer: dann so nimbt der metallisch Geist in solcher Tödtung einen andern bessern Leib an sich/ der gediegen/ nicht brüchich/ sondern geschmeidig ist: dann so kommt der Alchimist/ und zerstört/ tödtet und bereitet solchen metallischen Leib künstlich (= kunstvoll): so nimbt dann der metallisch Leibgeist abermals einen andern edlern und vollkommenern Leib an sich/ der sich äusserlich erzeiget/ es sey dann Sol (Gold) oder Luna (Silber), alsdann sind beyde[,] metallische Leib und Geist[,] vollkommlich vereint/ und vor dem zerstörlichen Element deß Feuers wol sicher/ und unverzehrlich darinn“. 37 Dementsprechend wird in den meisten Versuchsanleitungen in Opus Minerale Teil III angestrebt, durch einen Verbrennungs- oder Verschlackungsprozess, d. h. in heutiger Ausdrucksweise durch Oxidation, etwaige flüchtige Anteile zu vertreiben und das solchermaßen „fixierte“ (d. h. in Verbindungsform, meist Oxide überführte) Metall „mit einem anderen Sulphur“, z. B. mit einer reinen Kohle, wieder zum Metall zu machen. Diese Vorschriften machen zumindest teilweise auch nach der heutigen Chemie Sinn und werden durchaus sogar Gold und Silber erbracht haben, wenn die Ausgangsstoffe es denn in verborgener Form bereits enthalten haben. Wie die oben angeführte Analyse des Kupfers der Kasseler Herkules-Statue zeigt, war dies bei den damals üblichen, wenig raffinierten Metallen auch häufig der Fall. Wir denken dabei heute nur an Spurenelemente und Nebenbestandteile aus dem Erz, Glauber dachte zusätzlich an die Konzentrierung der Seele des Metallischen aus einer größeren Menge unedlen Metalls zu einer kleinen Menge Gold. Er schlägt sogar ausdrücklich vor, bei-
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de Effekte zu kombinieren und gering edelmetallhaltige Zuschlagstoffe zu verwenden. Dies kann z. B. Zinnsteinkonzentrat aus Flussablagerungen sein, in dem tatsächlich manchmal Gold enthalten ist. Glauber beschreibt dies in Opus Minerale Teil II, allerdings hält er die Sonneneinstrahlung auf das Gewässer für die Quelle des Goldes. Des Weiteren empfiehlt er, Blei mit geringen, auf andere Weise nicht gewinnbaren Silbergehalten (Bleiglanz mit üblicherweise einigen Zehntelprozenten Silber ist das verbreitetste Silbererz) einzusetzen, ja sogar Erze hinzuzufügen, die schwierig zu verarbeiten, aber für ihren Edelmetallgehalt bekannt sind. Dies kann goldhaltiger Arsenkies sein, Kobalterze („Kobolt“) und Arsenik (Oberbegriff für Arsenminerale, im Erzgebirge mit Silber vergesellschaftet), Antimonium = damals Antimonit, in manchen Lagerstätten wie z. B. Fichtelgebirge und Siebenbürgen Begleiter von Golderzen.
Weitere Bilder zu Aufbau und Verwandlung der Metalle Um die Entstehung von Gold aus unedlen Metallen zu veranschaulichen, wurde mit vielerlei Bildern gearbeitet. Der Vergleich mit der Butter in der Milch oder dem Weingeist im Wein wurde schon erwähnt. Ein anderes Bild ist der Vergleich mit einer siebenteiligen Pflanze und ihren Lebens- und Absterbeprozessen. In seinem Buch „Trost der Seefahrenden“ schreibt Glauber:
„Dieweil dann an dem metallischen Baum das Gold der gelbe/ runde Saamen/ die Luna (das Silber) die weisse Lili-Blüt/ Kupfer die grüne[n] Blätter/ Eisen der braune/ harte Stamm/ Zinn die grawe Rinde umb den Stamm/ Quecksilber der klare weisse Safft/ so zwischen der Rinden und dem Stamm auffsteigt/ und die Nahrung gibt/ Blei die schwarze Wurzel deß Baums [darstellen]/ und weder Wurzel/ Stamm/ Blätter noch Blumen deß Baums/ wann sie gleich verfaulen/ oder in die Erden gesäet werden/ sich multipliciren können/ sondern allein der Saame solches thun muß; so wäre es frembd nicht/ wann man das verfaulte Gold von den Excrementen zu scheiden wüste/ daß dasselbige durch die Kunst in die Multiplication hernacher zu bringen“. 38 Silber ist etwas reaktionsfähiger als Gold sowie spezifisch wesentlich leichter. So ist es verständlich, dass es mit der Blüte gleichgesetzt wird. Die Schwere und geringe Reaktionsneigung des Goldes lässt sich hingegen mit der Härte und Abgeschlossenheit eines Samens vergleichen. Und wie es bei den Pflanzen immer mehr grobes Kraut gebe als Blüten und mehr Blüten als Samen, so sei es auch bei den mineralischen Gewächsen, und das sei auch in Ordnung so:
„Dann wann die Natur lauter Blumen und Samen wolte herfürbringen/ und kein grob Gras/ womit solte man der Kuh den Bauch stopffen/ dadurch sie dem Bauersmann Mist machen könnte/ den Acker zu tüngen/ seinen Saamen/ zur Fortpflanzung deß Gewächses/ darein zu säen“. 39 In andern Worten: die unedlen Metalle sind notwendig, um nach ihrer Zerstörung zur Vermehrung des Goldes beizutragen.
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Kap. 12 Der klassische alchemistische Prozess beginnt mit der Faulung (putrefactio), gefolgt von der Herstellung einer prima materia, die zu einem neuen Stoff mit neuen Möglichkeiten wird. Daher vergleicht Glauber die Verbesserung der Metalle auch mit der Tätigkeit des Landwirts. Die Chymici sollten von den Handwerksleuten und Bauern lernen. Der Bauer achtet vor der Saat auf den Boden, dass er wohl gegraben und gemistet ist. Der Same verfault in der Erde, verliert zunächst seine Gestalt, wird zu nichts, während die Pflanze entsteht und letztlich in der Ernte eine Vervielfachung des Samens erbringt. Nach der Reife muss der Bauer dreschen und mit der Wurfschaufel das Schwere vom Leichten trennen. Genauso gehe es mit den Metallen.
„Ein Metall deß andern Acker sein kann/ darinn es verfaulet/ und einen andern und bessern Leib darauß an sich nimmt“. 40 Und der neue Leib muss von den übrigen Pflanzenteilen gereinigt werden „durch des Vulcan Wurfschaufel“, d. h. das Feuer.
In einem der von Glauber zitierten Kapitel des „Liber vexationum“ vertritt „Paracelsus“ die These, in jedem der sieben Metalle seien die anderen sechs bereits geistlich verborgen, zeigten sich aber in seinen Eigenschaften. Als Beispiel erwähnt er das Gold: es sei reines Feuer, und die fünf „kalten“ Metalle gäben ihm seine Festigkeit, Quecksilber seine Schmelzbarkeit. Bei Silber ist die Erklärung am ausführlichsten. Zu jedem der sechs verborgenen Planeten setzt er noch je zwei Tierkreiszeichen, um damit insgesamt zwölf Eigenschaften zu erklären: - Quecksilber: Merkur, Wassermann und Fische: Fluß = Schmelzbarkeit und seinen lichten weißen Glanz - Zinn: Jupiter, Schütze und Stier: die weiße Farbe und eine große Beständigkeit gegen das Feuer - Eisen: Mars, Krebs und Widder: die „Härtigkeit“ und seinen guten Klang - Kupfer: Venus, Zwillinge und Waage: die „Mas der coagulation und Geschmeidigkeit“ - Blei: Saturn, Steinbock und Skorpion: „den gediegen Leib mit der Schwerichkeit“ - Gold: Sonne, Löwe und Jungfrau: „die lautere Reinigkeit und große Beständigkeit wider die Macht des Feuers“. Bei der Umwandlung komme es darauf an, das offensichtliche Metall zurücktreten zu lassen und die geistlich vorhandenen hervorzuholen. Zum praktischen Vorgehen ist „Paracelsus“ der Meinung, eine Verbesserung der Metalle könne nicht dadurch geschehen, dass sie nur körperlich miteinander legiert würden. Ihre Vereinigung und Verbesserung müsse in geistlicher Gestalt versucht werden. Für das Mineralreich klingen hier Gedanken an, die sich am Christlich-Religiösen orientieren, an Tod und Auferstehung. Glauber schreibt dazu in seinem Kommentar:
„Wann aber ein Metall allein/ oder derselben etliche zusammen zerstöret/ ein zeitlang das Feuer zu leiden eingesetzt werden/ so kann es nicht fehlen/ es muß eine Verbesserung folgen. So lang das Metall noch eine metallische Gestalt behält/ so lang ist ihme nicht zu helffen/ es muß ihm sein harter Leib zerbrochen/ und gleichsam zu Nichts gemacht
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werden/ wann eine Scheidung des Reinen von dem Unreinen folgen soll. Es muß nach rechter Chymischer Art/ ohne corrosiv (= ätzende Stoffe), mit seines Gleichen auffgelöset/ und weit voneinander zertheilt werden/ auff dass sich die bessere und reinere Theile samlen/ und die Unreinere abscheiden“. 41 „Dann auß Nichts wird Nichts, ... so man aber durch Kunst etwas zu Nichts machet/ das schon ein Ichts gewesen ist/ alsdann kann solches Nichts wieder zu Ichts werden/ und sonsten gar nicht“. 42 Und weiter: „Weil dann der unvollkommenen Metallen gröster Theil ein unnützer/ verbrennlicher/ und den Metallen schädlicher Sulphur ist/ welcher noch niemaln ein Metall gewesen/ sondern denselben nur anhanget/ und im Feuer ihr humidum radicale verbrennet und zu Schlacken macht/ welches humidum radicale dann allein nach der Zerstörung/ und nicht die ganze massa deß Metalls/ oder Sulphur superfluum zugleich/ wieder zu Ichts leiblich und lebendig/ durch den Geist des Saturni Himmels/ kann gemacht werden. Der Sulphur superfluum aber/ gleich wie er vor der Zerstörung ein Nichts gewesen/ also er auch darnach ein Nichts seyn und bleiben muß“. 43 Alle unvollkommenen Metalle werden durch die Gewalt des Feuers zerstört, Gold und Silber aber sammeln sich und werden nicht zerstört, so wie beim Gefrieren von Fässern mit Wein oder Bier das Edelste des Getränks, der Alkohol, sich ins Innere zurückzieht und konzentriert 44. „Paracelsus“ gibt gleich in seiner Einleitung ein praktisches Rezept an und wiederholt es auch später im Text. Es muss allen, die im Umgang mit Metallen Erfahrung hatten, wie ein Schlag ins Gesicht erschienen sein: „Nimb Antimonium,, laß fliessen (= schmelzen) mit Salnitter (Salpeter) und Weinstein: dessen nimb 1. Loht/ Gold 1. Loht/ Zinn 3. Quintlein/ Schlich (= fein gemahlenes Erz) 1. Quintlein/ Schwebel (= Schwefel) 2. Loht/ Vitriol 2. Loht: laß mit Silber im Scherben cum Arsenico fliessen“. 45 Nach Glaubers Erfahrung verursacht dieser Prozess eher die Zerstörung und Verschlackung von Gold und Silber als ihre Herstellung. Er kann daher nur dann einen Sinn darin sehen, wenn damit die Zerstörung vor der Umwandlung in eine gänzlich neue Form gemeint sein soll. Diese Zerstörung soll – und darin sind sich „Paracelsus“ und Glauber mit anderen Alchemisten wie Michael Maier (1569–1622) und Michael Sendivogius (1566–1636) einig – nicht durch Corrosiva, d. h. Säuren geschehen, und es soll auch nicht mit Destillation („über den Helm treiben“) und in – damals als neumodisch geltenden – Glasgefäßen gearbeitet werden. Dadurch verderbe man die Metalle eher, statt sie zu verbessern. Die richtige Methode sei das ganz traditionelle Arbeiten im Schmelztiegel mit Zusätzen. Sendivogius etwa gibt zur Begründung an, ein in Säuren gelöstes Metall sei ein totes Metall, das keinen edlen Samen mehr habe, den es weitergeben könne“. 46
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Kap. 12 Aussagen über die Natur des Goldes In einem von „Paracelsus“ übernommenen Kapitel finden sich aufschlussreiche Vorstellungen zur Natur des Goldes. Gold sei nicht allein verwandt mit Feuer, sondern in gewissem Sinne mit ihm identisch. Es werde von Feuer deshalb nicht verbrannt, weil es derselben Natur sei. Gold existiere in drei Zuständen: - „himmlisch“: aufgelöst (resolvirt), d. h. als weit verteiltes Licht und weit verteilte Wärme - „elementisch“: flüssig, d.h. es gehört dem Element des Flüssigen zu, indem es als Metall die Eigenschaft der Plastizität, der Schmiedbarkeit hat - „metallisch“: leiblich, „coagulirt“, d. h. als feste Substanz. 47 Damit liegt hier ein ganz anderer Substanzbegriff vor als in der heutigen Chemie. Wir definieren heute jedes chemische Element auf der Grundlage seiner materiellen Eigenschaften. Wer aber Sonnenlicht und Edelmetall gleichsetzt, sieht als Gemeinsamkeit und wesentliches Kennzeichen den Erlebniseindruck, den seine Wahrnehmungen auf ihn machen. Glauber scheint sich hingegen wohler zu fühlen mit dem Bild vom Gold als dem Samen einer metallischen Pflanze. Er sei das Endergebnis einer Entwicklung und nicht mehr weiterentwickelbar. Reife Samen aller Art könnten zu zwei Dingen gebraucht werden: zur menschlichen Ernährung oder zur Fortpflanzung und Vermehrung derselben Pflanze. Ebenso könne man aus Gold entweder eine Medizin machen oder man setze es als metallischen Samen in ein entsprechendes „metallisches Erdreich“. Abb. 3: Aussagen von „Paracelsus“ über die Natur des Goldes, zitiert bei Glauber (Quelle: SLUB Dresden, persis- Darin verfaule es, vermehre sich, und tente URL: http://digital.slub-dresden.de/id277690579, könne endlich ein metallisches Gewächs S. 100) ergeben. Glauber spricht im Hinblick auf das Gold sogar die leise Hoffnung aus,
„dass auch auß ihm sein innerste wachsende Krafft und reinester Theil/ nach Ablegung seiner Hülsen/ darmit es noch bekleidet ist/ durch die Geschicklichkeit eines erfahrnen Naturkündigers der Metallen könne separiret und zur plusquamperfection (mehr als Vollkommenheit) gebracht werden ...“, 48
das heißt, dass durch geschickte weitere Reinigung des Goldes der Stein der Weisen entstehen könne.
Praktisches Vorgehen Nach den vorhergehenden Ausführungen sind Gold und Silber nach Glauber aus unedlen Metallen so herzustellen, dass zunächst der Sulphur superfluum, der „überflüssige verbrennliche Schwefel“, die Quelle aller Unreinheit und Unentwickeltheit, verbrannt wird. Die Verbrennungsprodukte gehen entweder als Gase ins Abgas oder reichern sich in einer Schlacke
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an. Dabei geht das vorliegende unedle Metall nahezu vollständig ebenfalls in die Schlacke. Als nichtmetallische Hilfsmittel dienen Salzschmelzen aus Pottasche = Kaliumcarbonat oder Salpeter = Kaliumnitrat. Die „Seele des Metalls“ denkt sich Glauber im kleinen Rest des Metalls aufkonzentriert, der damit zu Silber oder Gold werden soll. Zusätzlich soll Silber hinzugegeben werden, um die fein verteilte „Metallseele“ aufzufangen, zu fixieren und dadurch als Gold zu „binden“. Nach der „Pflanzentheorie“ vom Aufbau der Metalle empfehle sich auch die Zugabe von etwas Gold, weil nur Gold als Same wirken könne, um aus den zerstörten und sozusagen kompostierten Resten des unedlen Metalls sich selbst zu vermehren. Nach dem Ende des Prozesses werden nach bekannten Methoden die Edelmetalle abgetrennt, und die Schlacke wird mit Kohle zum ursprünglich eingesetzten Metall reduziert. Der Prozess kann jetzt wiederholt werden, und wenn die zugrundeliegende Theorie stimmt, kann immer wieder neu die „Seele des Metalls“ konzentriert werden, kann also immer weiter Gold gewonnen werden. Zur Bedeutung der Astrologie bei der Laborarbeit zitiert Glauber „Paracelsus“ mit den Worten:
„Es ist auch nicht von nöhten/ eine Rechnung oder Wissenheit zu haben/ wie das Gestirn der zwölff Zeichen und sieben Planeten gehen und regiren: auch nicht achten/ was für Zeit/ Tag oder Stund der oder dieses Planeten gut oder bös sey: dann solches gibt oder nimbt nichts/ es fürdert ... oder hindert nichts in der natürlichen Kunst der Alchimey: So du anders sonst die Warheit und die Müglichkeit recht hast/ so arbeite und thue es/ wann es dir gelegen ist unn gefällig. Fehlets aber an dir oder deinem Verstand/ und Wercken/ so fehlen auch daran alle Planeten/ Gestirn und Zeichen“. 49 Zur Abtrennung der Edelmetalle wendet Glauber insbesondere den Treibprozess 50 an, der heute noch in der Edelmetallanalytik zum Einsatz kommt. Geschmolzenes Blei mit Gehalten an Silber und Gold wird durch Schmelzen mit Salzen von Begleitelementen wie Arsen oder Antimon gereinigt. Dann wird es mit oxidierender Flamme in schmelzflüssiges Bleioxid verwandelt. Als Unterlage werden besondere Tiegel verwendet, die „Treibscherben“ oder „Kupelle“ genannt werden und weitgehend mit einem gestampften, feinpulverigen, saugfähigen Material gefüllt sind, z. B. Knochenasche. Dieses saugt die Bleioxidschmelze auf. Das verbleibende, an Masse stetig abnehmende Metall wird immer silber- und goldreicher, bis das letzte Blei oxidiert, „abgetrieben“ ist, Abb. 4: Aschenkupelle mit Metallkorn aus dem Alchedas letzte Oxidhäutchen zerreißt und mistenlabor in Oberstockstall/ Kirchberg am Wagram, ein reines Edelmetallkorn übrigbleibt. Österreich (Foto: V. Riedel, Coswig)
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Kap. 12 Detaillierte Angaben über Art und Anwendung derartiger Laborgeräte wurden von Sigrid von Osten 51 sowie von Soukup und Mayer 52 anhand des Fundmaterials aus dem Alchemistenlabor in Oberstockstall/Kirchberg am Wagram in Österreich publiziert. Dieses Raffinieren und letztliche „Abtreiben“ des Bleis wurde mit dem Wäschewaschen im Haushalt verglichen. Wie Blei das Waschwasser für die anderen Metalle sei, so könne es selbst durch Salzschmelzen gewaschen werden. Abb. 5: Hausfrauenarbeit als Sinnbild für die Tätigkeit des AlcheIn einer Analogie beschreibt misten, Michael Maier (1569–1622), Atalanta Fugiens, Emblem Glauber zunächst, wie Frauen WäXXII (Bild: SLUB Dresden) sche waschen, wenn sie sehr sauber werden soll: Sie kochen sie zuerst in einer scharfen Lauge, z. B. aus ausgelaugter Holzasche. Wenn eine Lauge schmutzig ist, wird sie durch frische ersetzt. Dann waschen sie die Wäsche mit der Hand mit Seife, spülen mit reinem Wasser aus, legen sie an die Sonne zum Bleichen und befeuchten sie ab und zu mit Wasser. 53 Es liegt nahe, dass als erste „Waschlauge“ zum Entfernen der gröbsten Unreinheiten Blei gemeint ist. Die feinere Seifenlauge entspricht dann einer Salzschmelze aus Salpeter (Kaliumnitrat KNO₃) oder geglühtem Weinstein (Kaliumcarbonat K₂CO₃). Das wiederholte Befeuchten bei der Bleiche der Wäsche entspricht dem Incerieren, dem Zufügen frischen Salzes, wenn ein Teil bei dem Prozess verdampft ist. Kochen und Wäschewaschen als Analogie zu Bleiraffination und Edelmetallgewinnung waren zu Glaubers Zeit weit verbreitete Bilder. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch Glaubers älterer Zeitgenosse Michael Maier sie in seinem Buch „Atalanta Fugiens“ benutzt.
Konkrete Goldmacher-Rezepturen bei Glauber Es folgen einige der von Glauber wiedergegebenen Rezepte, die die erläuterten grundlegenden Überlegungen illustrieren. Sie unterscheiden sich in der Art der beteiligten Metalle und in der Wahl des Verschlackungsmittels. Glauber befasst sich vor allem mit Antimon und Blei als „Reinigungsmittel“ für die Edelmetalle, weiterhin konzentriert er sich auf Prozesse, in denen Zinn eine Rolle spielt. Alle drei gelten als „wenig entwickelte“ Metalle. „Paracelsus“ gibt im „Liber vexationum“ folgendes verschlüsselte Rezept:
„Das ist die Kunst: Wann du den Himmel oder Sphaeram Saturni mit dem Leben
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lauffen machst auff Erden/ so setz die Planeten darein alle/ oder welche du wilt: doch daß der Luna nicht zuviel/ sondern der kleinste und wenigest darinn sey; und also laß es alles lauffen so lang/ biß der Himmel deß Saturni gar verschwindt/ so bleiben die Planeten allein stehen/ und sind gestorben mit ihren alten zerstörlichen Cörpern/ und haben einen neuen/ vollkommenen/ unzerstörlichen Leib an sich genommen: Derselbe Leib ist der Geist deß Himmels/ von dem die Planeten wieder leiblich 6: Wäschewaschen als Bild für das Reinigen von Edelmeund lebendig werden/ wie vor. Abb. tallen mit Hilfe von flüssigem Blei und Salzschmelzen, Michael Denselben neuen Leib nimb von Maier (1569–1622), Atalanta Fugiens, Emblem III dem Leben/ und auß der Erden/ (Bild: SLUB Dresden) und behalt ihn/ der ist Sol und Luna. Also hast du die Kunst gar geöffnet/ und beyeinander. Ob du es noch nicht verstehest noch kanst/ das ist recht: Dann also soll es bleiben/ und nicht gemein gekündt seyn“. 54 Dies ist formuliert in der üblichen „verblümten“ Ausdrucksweise alchemistischer Publikationen. Nach Glaubers Interpretation 55 bedeuten: - die „Planeten“ die ihnen traditionell zugeordneten Metalle; - der „Himmel“ oder die „Sphaera Saturni“ das Metall Antimon (regulus antimonii), weil es als dem Blei verwandt gilt und unter bestimmten Herstellungsbedingungen eine sternförmige Kristallanordnung zeigt; - das „Leben“ ein „weißfärbendes Salz“, welches seine Bewegung vom Feuer hat, wahrscheinlich geschmolzener Salpeter, der in Salpeterplantagen (vergl. Kap. 5) durch Zersetzung biologischen Materials gewonnen wird und beim Erhitzen unter Schäumen Sauerstoff abgibt; - die „Erde“ der irdene Tiegel, in dem die Reaktion stattfindet. Glauber gibt dazu als weitere Erklärungen: - Mit Blei statt Antimon funktioniere dieser Prozess nicht. - Man möge den Prozeß drei-, vier- oder fünfmal wiederholen, die Metalle auf diese Weise zu „töten und wieder lebendig zu machen“, „auf daß die Verbesserung umso größer/ und in der Scheidung desto mehr Silber und Gold heraußkomme“. 56
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Kap. 12 Glauber fügt ein weiteres Rezept hinzu, diesmal mit Blei als Grundlage: „Erstlich soll man den Saturn (Blei) auff einer Scheiben wol treiben lassen/ und darnach Jupiter (Zinn) und Venus (Kupfer) nach rechtem Gewicht darein tragen/ und darunter schmelzen lassen/ so wird alsbald der Jupiter (Zinn) und Mars (Eisen) den Saturn (Blei) zerstören/ und zu einer Schlacken/ einer gelben Erden gleich/ machen/ welche man
reduciren soll/ so erlanget man das Bley und Kupffer zum theil wieder/ das Zinn und Eisen aber bleibt als ein schwarze Schlacken unreducirt/ welche man zurück legen und bewahren soll: das küpfferich Bley aber soll man wiederumb treiben lassen/ und wieder Zinn und Eisen darein tragen/ und zu einer Schlacken werden lassen/ darnach reduciren/ und solche Arbeit mit verschlacken und reduciren so offt wiederholen/ daß von 100. Pfunden Bley kaum 1. oder 2. Pfund überbleiben/ welches man abtreiben soll/ so findet sich das Silber und Gold zum theil/ welches die Metallen in der Arbeit von sich geben haben. Die Schlacke aber/ welche sich nicht hat wollen reduciren lassen/ soll in einem besondern Ofen etliche Tage lang mit Feuer wol geglühet werden/ so wird dieselbe fix/ und gibt in der reduction ein silber- und goldhaltig Blei/ welches man auch soll abtreiben/ auff daß das übrige Gold und Silber/ welches die Schlacken in sich gezogen/ auch heraußkomme/ und zu recht gebracht werde“. 57
Prozesse mit Zinn Für die Gewinnung von Gold und Silber aus Zinn beschreibt Glauber mehrere Prozesse, die alle dem oben beschriebenen Prinzip folgen, das Metall unter besonderen Bedingungen großenteils zu zerstören und dadurch zu versuchen, die Metalleigenschaft im verbleibenden Rest zu konzentrieren. Das Zinn ist „ein rein/ doch unzeitig/ mit vielem anzündlichen und verbrennlichen
Sulphur umbgebenes Metall/ davon es seinen leichten Fluß und Zerstörlichkeit im Feuer hat/ welches/ so ihm derselbe genommen (wie es dann gar leichtlich durch ein klein Feuer geschehen kan) so hat es seinen metallischen Fluß verloren/ und ist einer unschmelzlichen Aschen gleich; doch so man derselben einen andern Sulphur geben kann/ dadurch solche Aschen wieder zu einem Metall wird/ und solches Metall wieder zu einer Aschen macht/ und reducirt/ und solche Arbeit so offt wiederholt/ biß daß dem Zin all sein anzündlicher Sulphur verbrennet ist/ und sich nicht wieder zu einer Aschen will calciniren lassen; so lässt es sich hernach abtreiben/ und gibt sein Gold oder Silber gern von sich“. 58
Glaubers “Unternehmung” oder Angebot käuflicher alchemistischer Geheimnisse, undatiert Gethane prob über das Bleÿ Erz aus Engelland. Erstlich das Erz, nach dem kleinen Zentner-gewicht versucht, gibt der Zentner wan es genaw gesucht wird uber 60 lb bleÿ doch nicht recht geschmeÿdig, So mans aber so genaw nicht außschmelzt, so gibt der Zentner 50 biß auff 56 lb geschmeÿdig vnd gutt bleÿ, vnd der Zentner von diesem Bleÿ hält 6 Loth Silber So man aber diß Erz zuevorn cimentirt oder figiert so gibt der Zentner Erz 48 oder 50 lb Bleÿ, 5 loth Silber vnd ein halb Loth Goltt. Die vnkosten so auff dießes Stößen oder figirn an kolen vnd zuesaz erfordert werden, kommen auff j (1) zentner vngefähr 2 oder auffs höchste dreÿ gülden. vnd läst solche figirung sich so groß thun als man will. Vnd wans figiert ist auch so leichtlich schmelzen in großer quantitet gleich ein Iedweder gemein Bleÿ Erz. Vnd so es begehrt wird soll eine prob oder etliche so viel nötig sein wird von 10, 20 oder mehr pfunden dauon gemacht werden Fur die communication derselben wißenschafft soll mir ein Tausend ducaten bezahlt werden
Prob vber die Zinnschlacken * Wan solche schlacken mit einem guten fluß reducirt wird so gibt der Zentner zue 25 biß auff 30 lb vnartig, brüchig, schwarzlicht oder vnsauber Zinn. So man aber zuevorn dieselbe schlacken figiret (welches innerhalb 3 oder 4 tagen geschehen kan) vnd der Zentner vngefähr 10 oder 12 gulden vnkosten dazue von nöthen hatt,) So gibt Er hernach im schmelzen kein vnartig Zinn mehr sondern zue 2 biß auff 2 1/2 Loth gutt Goltt. Vnd wan alle angewandte Kosten, auffs figirn, schmelzen vnd abtreiben von den 2 1/2 Loth goltt abgezogen sein So bleibt reichlich von Iedwederem Zentner j (1) Loth goltt welches fur gewin gerechnet wird. Vnd läst so woll das figiren als schmelzen vnd abtreiben sich im großen thun mit viel Zentnern zuegleich also das es reiche außbeut geben kan. Darfur Ich begehre 2 Tausend Ducaten wan Ich solche Kunst ins große zue thun gezaiget hab. Iohan: Rudolph: Glauber 59
Großtechnische Anwendung Glauber ließ es nicht bei solchen allgemeineren Angaben bewenden. Die hier zitierten Darstellungen aus „Opus Minerale III“ wurden 1651 veröffentlicht. Detailliertere Anweisungen zur Herstellung von Gold und Silber aus Bleierz oder Gold aus Zinnschlacke muss er für viel Geld angeboten haben. Im Nachlass von Samuel Hartlib (um 1600–1662) finden sich als undatierte Abschriften folgende zwei Angebote :
204
Das letztere Rezept enthält die Kernaussage, das in der Zinnschlacke enthaltene (oder nach Glaubers Ansicht entstandene) Gold könne nicht gewonnen werden, indem aus ihr, etwa mit Kohle, einfach das Metall reduziert wird, sondern erst nach einer speziellen Vorbehandlung, die Glauber „figieren“ (= fixieren) nennt. Was damit gemeint sein könnte, geht schon aus dem
205
Kap. 12 „Noch auf eine andere Weis durch den Saturn auß den unvollkommenen Metallen gut Gold und Silber zu seigern“
in Opus Minerale Teil III erwähnten Prozess hervor, den er mit bezeichnet:
„Die Schlacke aber/ welche sich nicht hat wollen reduciren lassen/ soll in einem besondern Ofen etliche Tage lang mit Feuer wol geglühet werden/ so wird dieselbe fix/ und gibt in der reduction ein silber- und goldhaltig Blei/ welches man auch soll abtreiben/ auff daß das übrige Gold und Silber/ welches die Schlacken in sich gezogen/ auch heraußkomme/ und zu recht gebracht werde“. 60 Er fährt dann mit einem Hinweis auf die großtechnische Umsetzbarkeit fort:
„Dieser Proceß (wiewohl ich solchen noch niemaln ins grosse anzustellen Gelegenheit gehabt) sollte/ wie ich mir einbilde/ in grosser Menge wol thun lassen/ stehet einem jedweden frey/ solches zu versuchen/ und seine Rechnung zu machen/ wie viel er ein Jahr damit gewinnen möge“. 61 Dieses oder ein ähnliches Rezept muß Glauber um 1650 seinem aus Nürnberg stammenden Amsterdamer Freund Johann Moriaen (1591–1668) verkauft haben. 62 Moriaen gründete eine Gesellschaft zusammen mit dem in Augsburg geborenen Amsterdamer Gold- und Silberschmied Anthonie Grill (1607–1675) 63. Dafür ließ Grill 1651 sechs Laborräume bauen. Die ersten Versuche müssen so vielversprechend gewesen sein, dass Anthonie Grill 1653 auch mit seinem Bruder Andries Grill, Gold- und Silberschmied in Den Haag, eine lebenslange Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Goldmachens einging. Später allerdings verloren er und auch Moriaen dabei viel Geld. Anthonie Grill verließ Amsterdam 1659 und zog mit seiner Familie nach Schweden. Sein Anwesen mit den sechs Laborräumen ließ er von einem Treuhänder verwalten, der es 1660 an Glauber vermietete. Vieles spricht dafür, dass Glauber für diese Produktionen in Amsterdam (für Parallelversuche in England sollten englische Materialien verwendet werden) Zinnschlacke aus seiner fränkischen Heimat beschaffte, aus Wunsiedel, damals ein Zentrum der Zinngewinnung und von europäischer Bedeutung auf dem Gebiet der Herstellung von Weißblech, d. h. verzinntem Eisenblech. Er erwähnt den dortigen Bergbau ausführlich in „Des Teutschlandes Wohlfahrt, Dritter Theil“. 64 In Wunsiedel wurde ganz überwiegend Seifenzinn gewonnen, d. h. es wurde zinnsteinhaltiges Schwermineralkonzentrat aus Bächen gewaschen. Und da in der Nähe auch Gold gewaschen wurde, kann das Erzkonzentrat sehr wohl gewisse Goldgehalte enthalten haben, wovon auch einiges beim Verhüttungsprozess in die Schlacke gewandert sein muss. Glauber war dies bewusst, allerdings glaubte er, dass das Gold in den Bächen von den Strahlen der Sonne andauernd erzeugt würde. In Opus Minerale Teil II schreibt er:
Die in Glaubers Angebot erwähnte Ausbeute von 2 bis 2,5 Lot Gold pro Zentner Zinnschlacke (1 Zentner = 100 Pfund zu je 32 Lot) entspricht etwa 0,06 bis 0,08 %, also 600 bis 800 g/t. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Glaubers Verfahren mit frischer Schlacke durchaus funktioniert hat und er dadurch die Investoren überzeugen konnte. Nur das postulierte „Nachwachsen“ des Goldes nach einer der hier dargelegten Theorien muss sich als schwierig erwiesen haben. Doch dass es versucht wurde, zeigt, dass die Denkweise den Zeitgenossen plausibel war! Im vierten Teil seiner „Furni Novi Philosophici“ von 1651 vertritt Glauber wie in „Opus Minerale“ die Meinung, er habe Transmutationen im Labormaßstab durchgeführt, niemals aber großtechnisch, glaube jedoch daran, dass es prinzipiell möglich sei. Über die schwierige Reproduzierbarkeit der Versuche zum Goldmachen sagt er:
„...mir selber wiederfahren ist/ dass ich ein nützliches Werck gefunden/ und solches nicht für mich allein behalten/ sondern einem andern auch habe zeigen wollen/ dass ich hernach solches nicht allein jenem nicht habe weisen/ sondern auch selber hernach niemalen thun können“. 66
Es hört sich, kurz nach dem wahrscheinlichen Verkauf des Rezeptes zum Goldmachen aus Zinnschlacke und Glaubers Wegzug nach Deutschland, wie eine Art Haftungsausschluss an. Doch das Streben nach Metallumwandlung hat ihn auch danach nicht losgelassen. Im Staatsarchiv Würzburg befindet sich ein Brief Philipp Erwein von Schönborns an seinen Bruder, den Kurfürsten und Würzburger Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn, in dem er über eine Reise zu Glauber nach Amsterdam im Jahre 1659 erzählt und über eine gelungene Transmutation berichtet. Es heißt da unter anderem:
„Hochwürdigster Ertzbischoff unndt Churfürst, Genedigster Herr, Ich habe… (um) gründtlich zu hören, wass der Glauber vor wissenschafft hatt, … eine Reihs nacher Amsterdam gethan, haben in allem 3 wochen undt 2 dag darmitt zue gepracht … Ehr hat uns auch … gezeigt … einen process wie ehr mitt grossem nuttzen durch vermischung zins antimony kupffer und bleyhs, silber und gollt heraus scheiden will, wann es in allen proben tuht wie er uns gezeigt hatt, wehre es nicht zu verwerffen, hatt ein stuck von etwans so pfunt … so zimlich golt und sillber hillte, er vermeint man sollte yemandt schicken so es mitt allen handtgriffen recht bey ihm lehrnen mögte“. 67
„Und noch heutiges tags bey den Zin-Seiffenwercken/ da die Zin-Kraupen oder körnichter Zwitter gewaschen wird/ welche nicht in der Tieffe/ sondern sich umb das Gebirge herumbschlingen/ auch Goldkörner gefunden/ und mit unter das Zin geschmelzet werden; daher solches Seiffenzin gemeiniglich sehr reich von Gold pflegt zu seyn/ wie ich solches vielmal erfahren/ und in der Prob befunden habe“. 65
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207
Kap. 12 1 2
auch den Aufsatz über die Sulfur-Merkur-Theorie
Brieger, W.: Johann Rudolph Glauber als Sprengstoffchemiker; Zeitschrift f. d. gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen 12 (1917), 305
23
Brieger, W.: Zur Lebensgeschichte Johann Rudolph Glaubers; Geschichtsblätter für Technik und Industrie 5 (1918), S. 53–70
Werthmann, R., unveröffentlicht; der Autor dankt dem K+S-Forschungsinstitut der K+S Aktiengesellschaft, Kassel, für die Anfertigung der Analysen
24
Glauber, Johann Rudolph, Philosophischer Oefen Vierdter Theil, in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1659, S. 216, Reprint Hildesheim 2004
3
Walden, P.: Glauber, in: Das Buch der großen Chemiker Band I, Berlin 1929, S. 151–172
4
Gugel, Kurt F., Johann Rudolph Glauber 1604–1670 Leben und Werk; Freunde mainfränkischer Kunst und Geschichte e.V., Würzburg 1955
25
Pietsch, Erich, Johann Rudolph Glauber: Der Mensch, sein Werk und seine Zeit; Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte, 24. Jahrgang 1956, Heft 1
Werthmann, R., unveröffentlicht; der Autor dankt dem K+S-Forschungsinstitut der K+S Aktiengesellschaft, Kassel, für die Anfertigung der Analysen
26
Greenaway, F.: Johann Rudolph Glauber und die Anfänge der chemischen Industrie; Endeavor Bd. 29 (1970), 107, S. 67–70
Maier, Michael, Viatorium, hoc est, de montibus planetarum septem seu Metallorum“, Frankfurt 1618, S. 38–40
27
Glauber, Johann Rudolph: De tribus Lapidibus Ignium Secretorum Oder Von den drey Alleredelsten Gesteinen/ so durch drey Secrete Fewer gebohren werden, Amsterdam 1667, S. 24/25
28
Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Redivivus; Das ist: Der von falschen und Gifftigen Zungen ermordte/ und mit Lügen und Lästermäulern gleichsam begrabene/ nun aber durch Hülff und Zeugnuß der Warheit wieder auffgestandene Johann Rudolff Glauber …, Frankfurt 1656, S. 75
29
„Philosophischer Öfen Vierdter Theil“ (= Furni Novi Philosophici, Teil IV, Kapitel „Was von dem Lapide Philos(ophorum) zu halten“, in Continuatio Operum Chymicorum, Frankfurt 1659, S. 220–222
30
Original: von Bodenstein, Adam (Herausgeber), Liber Vexationum. D. Phil. Theophrasti Paracelsi. Kunst und Natur der Alchimia und was darauff zu halten sey ... , Basel 1567
31
Nummedal, Tara E., Alchemy and authority in the Holy Roman Empire, Chicago 2007, S. 24
32
Paulus, Julian, in: Priesner, Claus, Figala, Karin (eds.): Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 181
Glauber, Johann Rudolph, Operis Mineralis Dritter Theil, in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1658, S. 391
33
ebd. S. 391
Sendivogius, Michael: Vom Schwefel/ dem andern Anfang der Mineralischen dingen, in: Tripus Chimicus Sendivogianus, Dreyfaches Chimisches Kleinod ... Straßburg 1628, S. 131
34
ebd. S. 431
35
ebd. S. 389
5 6 7
8 9
Vom Barbier zum Alchemisten, 400 Jahre Johann Rudolph Glauber 1604–1670, CD zur Ausstellung, Gießen 2005, erhältlich über: Institut für Didaktik der Chemie, Justus-Liebig-Universität Gießen, Heinrich-Buff-Ring 58, 35392 Gießen Werthmann, R.: Johann Rudolph Glauber, der „technische Alchemist“, in: Hermes, Mitteilungsblatt des Forschungskreises Alchemie e.V., Heft Nr. 30, 1. 11. 2006 Zycie i działalność Johanna Rudolpha Glaubera, Chemia w Szkole, S. 22–28 (poln.)
10
Porzellanimitation und Lüsterglasuren bei Johann Rudolph Glauber (1604–1670), vergessene Keramikrezepturen eines Alchemisten der Barockzeit; Neue Keramik 4/ 2006, S. 34–35
11
Neue Erkenntnisse über den Alchemisten Johann Rudolph Glauber (1604–1670) und sein Verwandtschaftsverhältnis zum Maler Johannes Glauber (1646–1726), Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte, Band 27, 2010, S. 1–14
12 13 14
Ruska, Julius, Die Alchemie des Avicenna. Isis 21, 1934, pp. 14–51
36
siehe z. B. Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 3. Auflage, München-Berlin 1955, Band 6, S. 363–376
15
Über die dem Avicenna zugeschriebenen alchemistischen Abhandlungen. Forsch. u. Fortschr. 10, 1934, pp. 293
37
16
Avicennas Verhältnis zur Alchemie. Fortschr. d. Medizin 52, 1934, pp. 836-837
Glauber, Johann Rudolph, Operis Mineralis Dritter Theil, in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1658, S. 403
17
Schütt, Hans-Werner: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Die Geschichte der Alchemie, München 2000, S. 223/ 224, 310–312
38
ebd. S. 562
39
ebd. S. 405
Newman, William R., in: Priesner, Claus, Figala, Karin: Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 67
40
ebd. S. 397
41
Newman, William R., in: Priesner, Claus, Figala, Karin: Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 359/360
ebd. S. 396
42
ebd. S. 416/417
43
ebd. S. 417
44
ebd. S. 376
45
ebd. S. 371
46
Sendivogius, Michael, Von dem Rechten wahren Philosophischen Stein: Zwölff Tractätlin in einem Wercklin verfasset vnnd begriffen … Straßburg 1613, S. 26; s. auch Kap. 9
18 19 20 21 22
siehe gängige Lehrbücher der Chemie, z. B. Hollemann-Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie, Berlin 1971, S. 905 Sendivogius, Michael, Tripus Chimicus Sendivogianus, Dreyfaches Chimisches Kleinod ... Straßburg 1628, nicht numerierte fünfte Seite der „Vorrede an den Leser“ Maier, Michael, „Memoriale“ an Landgraf Moritz den Gelehrten, Kassel, Murhardsche Bibliothek, Handschriftensammlung, Signatur 2° MS Chem 19, Blatt 279–282; zur deutschen Übersetzung siehe
208
209
Kap. 12 47
Glauber, Johann Rudolph, Operis Mineralis Dritter Theil, in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1658, S. 407
48
ebd. S. 408
49
ebd. S. 422
50
siehe z. B. Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 3. Auflage, München-Berlin 1964, Band 15, S. 641–644
51
von Osten, Sigrid: Das Alchemistenlaboratorium Oberstockstall: ein Fundkomplex des 16. Jahrhunderts aus Niederösterreich, Innsbruck 1998
52
Soukup, R. W., Mayer, H.: Alchemistisches Gold - Paracelsistische Pharmaka, Laboratoriumstechnik im 16. Jahrhundert, Chemiegeschichtliche und archäometrische Untersuchungen am Inventar des Laboratoriums von Oberstockstall/ Kirchberg am Wagram, Wien, Köln, Weimar 1997
53
Glauber, Johann Rudolph, Operis Mineralis Dritter Theil, in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1658, S. 433
54
ebd. S. 413
55
ebd. S. 413–416
56
ebd. S. 431
57
ebd. S. 432
58
ebd. S. 383
59
Young, J.T.: Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy, Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle: Aldershot, Hampshire, 1998, S. 256, online unter: http://www.newtonproject. sussex.ac.uk/view/texts/normalized/OTHE00068
60
Glauber, Johann Rudolph, Operis Mineralis Dritter Theil, in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1658, S. 432
61
ebd., S. 432
62
Young, J.T.: Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy, Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle: Aldershot, Hampshire, 1998, S. 226, online unter: http://www.newtonproject. sussex.ac.uk/view/texts/normalized/OTHE00064
63
Lambour, Ruud : De alchemistische wereld van Galenus Abrahamsz (1622 – 1706), Doopsgezinde Bijdragen 31, Amsterdam 2005, S. 93–168, hier: S. 116–118
64
Glauber, Johann Rudolph, Des Teutschlandes Wohlfahrt, Dritter Theil, Cap. IX., in: Glauber, Johann Rudolph: Glauberus Concentratus oder Kern der Glauberischen Schrifften, Leipzig und Breßlau 1715, S. 448/449
65
Glauber, Johann Rudolph, Operis Mineralis Dritter Theil, in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Frankfurt 1658, S. 358
66
Glauber, Johann Rudolph, Philosophischer Oefen Vierdter Theil, in: Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Bücher und Schrifften, so viel deren von ihme bisshero an Tag gegeben worden, Band II, Frankfurt 1659, S. 215
67
Staatsarchiv Würzburg: 30. September 1659, StAWÜ Korr. JP 2779
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Kap. 13 Die Erlebnisqualität chemischer Reaktionen
Können Elemente aus der Alchemie im modernen Chemieunterricht helfen? Rainer Werthmann
Methodisches
Abb. 1: Der chemische Garten nach Johann Rudolph Glauber (Foto: Heiko Barth)
Obwohl beide die Stoffeswelt zum Thema haben, unterscheidet sich die heutige Chemie deutlich von ihrer Vorgängerwissenschaft Alchemie. Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Methodik. Eines der Paradigmen der aufgeklärten Naturwissenschaft ist es, Materielles nur durch Materielles zu erklären. Dadurch fallen die Entsprechungen zwischen Naturphänomenen und menschlichem Leben weg, die im Sinne eines „wie unten, so oben“ den Kern der alchemistischen Welterklärung ausgemacht hatten. Diese Parallelen waren nicht intellektuell konstruiert, sondern gefühlt. In demselben Sinne sieht der Psychologe Carl Gustav Jung als Grundlage der alchemistischen Betrachtungsweise nicht so sehr philosophische Anschauungen, sondern die Erlebnisse des einzelnen Forschers: „Nicht weil der Alchemist aus theoretischen Gründen an eine Entsprechung glaubt, betreibt er seine Kunst, sondern vielmehr hat er eine Theorie der Entsprechungen, weil er die Gegenwart der Idee in der Physis erlebt.“ 1 Das Erlebnis dieser Entsprechungen führte zu einer tief gefühlten Verbindung des Experimentators mit der im Experiment beobachteten Natur. Diese zusätzliche Komponente der inneren Verbundenheit kann – in zeitgemäßer Weise – auch heute noch wahrgenommen und in der Schule genutzt werden, um das Interesse an chemischen Zusammenhängen stärker zu wecken sowie das Beobachtungsvermögen und die Beziehung zu der uns umgebenden Natur zu fördern. Durch Beschäftigung mit Alchemie im direkten Vergleich mit der heutigen Chemie wird darüber hinaus das Denken beweglicher. Denn wenn der Schüler lernt, ein und dieselbe Beobachtung vor dem Hintergrund verschiedener Theoriesysteme verschieden zu interpretieren, kann er diese Fähigkeit des Standpunktwechsels auch auf anderen Gebieten anwenden. Wesentliche Fortschritte in den Naturwissenschaften wurden häufig dadurch bewirkt, dass bekannte Phänomene ganz anders interpretiert wurden – man denke nur an die Entwicklung der Quantenphysik. Naturwissenschaft ist nicht etwa, wie man annehmen könnte, das stückweise Entdecken bereits fertig vorliegender Wahrheiten, sondern ein kreativer Prozess, bei dem, wie in der Kunst, auch persönliche und kulturelle Faktoren einen Einfluss haben 2, 3 . Rationalität und logische Strenge sind zwar gefragt beim Auswerten von Experimenten. Kreativität, Flexibilität und bildhaftes Denken sind jedoch notwendig beim Entwerfen der Hypothesen, die durch die Experimente erst überprüft werden sollen.
Klassische Elemente versus Osmose Ein gutes Beispiel für eine andersartige Versuchsinterpretation bei Anwendung eines unterschiedlichen Theoriesystems bietet der Demonstrationsversuch „Der chemische Garten“ von Johann Rudolph Glauber (1604–1670), der auch heute noch Bestandteil der Chemieausbildung ist: Bröckchen fester, wasserlöslicher Schwermetallsalze werden in eine verdünnte
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Kap. 13 Lösung von Natron- oder Kaliwasserglas, d. h. wasserlöslichen Natrium- bzw. Kaliumsilikaten, gelegt. An der Grenzfläche der Bröckchen zur Lösung entsteht eine Ausfällung von Schwermetallsilikaten, die ein zusammenhängendes Häutchen bildet. Dieses ist zwar durchlässig für das Lösungsmittel Wasser, nicht aber für die gelösten Stoffe. Also dringt reines Wasser ein und bildet eine hochkonzentrierte Lösung des vorliegenden Metallsalzes. Durch die Volumenzunahme platzt das Häutchen, etwas Lösung tritt aus, und an seiner Grenzfläche zur Silikatlösung bildet sich sofort ein neues Häutchen. Derselbe Vorgang wiederholt sich viele Male, und es entstehen in ruckartigem „Wachstum“ pflanzenartige Gebilde in für das jeweilige Schwermetallsalz charakteristischen Farben. Der Stofftransport durch semipermeable Membranen, also Häutchen, die zwar für ein Lösungsmittel, nicht aber für das darin Gelöste durchlässig sind, findet ebenso statt, etwa beim Quellen und anschließenden Aufplatzen von reifen Kirschen im Regen. Die moderne Naturwissenschaft erklärt an diesem Versuch die Vorgänge der Osmose, die Ausbildung eines osmotischen Druckes und seine Beziehung zur molaren Löslichkeit der Stoffe.
Abb. 2, 3: Der chemische Garten nach Johann Rudolph Glauber (Fotos: Heiko Barth)
Dasselbe Experiment interpretiert der Alchemist Glauber ganz anders. Er denkt in den Kategorien der vier klassischen Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer. Ihr äußerer Aspekt sind die heutigen drei Aggregatzustände fest, flüssig, gasförmig sowie die Energie. Aber sie hatten damals noch eine seelische Bedeutung, die direkt empfunden wurde: Das Feste war das Tote, in aller Beweglichkeit eingeschränkt, zu Ende gekommen; das Flüssige war der Inbegriff des Lebens, anpassungsfähig und veränderlich. Das Gasförmige war ein Bild für die Welt der Gedanken und Emotionen, kraftvoll bewegt, aber flüchtig, und das Feurige = Licht und Wärme war verwandt mit Initiative, Schöpferkraft und Bewegung im aufbauenden wie im zerstörenden Sinne. Was tut z. B. noch heute ein Chemiker in vielen Fällen, wenn er eine Reaktion in Gang bringen will? Er erhitzt. Originaldarstellungen zur alchemistischen Interpretation der klassischen Elementenlehre findet man etwa bei Michael Sendivogius 4, psychologische Interpretationen dieser Denkweise bei C. G. Jung 5 und Julius Evola 6.
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Der Versuch des Chemischen Gartens stellt sich aus alchemistischer Sicht folgendermaßen dar: Die Silikatlösung entsteht durch Schmelzen von gepulverten Quarzkieselsteinen mit Pottasche, dem wasserlöslichen Anteil der Holzasche. Etwa gemäß K₂CO₃ + 4 SiO₂ → K₂Si₄O₉ + CO₂ entsteht dabei Kaliumsilikat. Alkalisilikate haben die besondere Eigenschaft, wasserlöslich zu sein. Daher kann man die erkaltete und gepulverte Schmelze vorsichtig in Wasser lösen, oder man läßt sie, wie Glauber empfiehlt, einfach an einem feuchten Ort offen liegen und durch Anziehen von Feuchtigkeit aus der Luft zu einem Sirup zerfliessen. Die für den Versuch benötigten Schwermetallsalze entstehen durch Auflösen der harten und festen Metalle in Säuren und Eindunsten zum wasserlöslichen Salz, z. B. gemäß Fe + H₂SO₄ + 7 H₂O → FeSO₄ ‧ 7 H₂O + H₂ In beiden Fällen ist durch die Tätigkeit des Alchemisten das Feste = Tote wasserlöslich = lebendig gemacht worden. Und wenn man „wiederbelebte Kieselsteine“ mit „wiederbelebten Metallen“ zur Reaktion bringt, dann ist es doch einleuchtend, dass man Lebensprozesse wahrnimmt! Glauber betrachtete seinen Versuch als bedeutsam, beschrieb ihn detailreich an verschiedenen Stellen seines Werkes und sah in ihm eine Demonstration der Lebensprozesse der Erde während der Entstehung der Erze. 7 Als Ursprungsversuch zur Begründung einer experimentellen Geochemie ist dies ein guter Ansatz. In der Tat laufen in der Geochemie viele Reaktionen in wässrigen Systemen ab, wenn auch bei Temperaturen und Drücken, die nicht an der Erdoberfläche herrschen. Und warum sollte man nicht nur biochemische Reaktionen, sondern auch die Vorgänge im Innern der Erde als einen Anklang an eine Art Stoffwechsel betrachten? Dies schult den Blick darauf, die Vorgänge in der Erde im Zusammenhang im Bewusstsein zu halten.
Das Schicksal menschlicher Figuren zur Veranschaulichung von chemischen Reaktionen Weiteres geeignetes Material für Übungen zur Flexibilisierung des Denkens liefert das Emblembuch „Atalanta Fugiens“ 8 von Michael Maier (1569–1622). Maier war Leibarzt bei Kaiser Rudolf II. und später Mitglied des Alchemistenkreises um den hessischen Landgrafen Moritz den Gelehrten in Kassel. Das Buch wurde in lateinischer Sprache erstmals 1617 herausgegeben, eine deutsche Übersetzung folgte 1708, fast hundert Jahre später. Die Abbildungen stammen von einem der besten Kupferstecher der Zeit, Matthäus Merian dem Älteren (1593– 1650). Man findet zumindest einige davon heute in fast jedem Werk über Alchemie. Das Buch hat 50 Kapitel. Zu jedem gehören: eine Überschrift, ein Bild, ein Gedicht, eine zweiseitige Erläuterung und – ein dreistimmiges Musikstück! Im Untertitel heißt es, die Beschäftigung
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Kap. 13 mit diesem Buche sei „nicht ohne ein einzigartiges Vergnügen im Sehen, Lesen, Meditieren, Erkennen, Unterscheiden, Singen und Hören.“ So hoch war damals der Anspruch an ein Chemiebuch für gebildete Laien! Bunt durch die Welt der Alchemie werden 50 Themen behandelt, versehen mit informativen und auch unterhaltsamen Erläuterungen, mit Zitaten aus den gängigen großen Alchemiewerken der Geschichte, aber auch aus der Bibel und den Schriften der antiken Autoren, dabei immer etwas geheimnisvoll, sodass man sich erarbeiten muss, worum es sich wirklich handelt, und sich der Sinn erst bei mehrmaligem Lesen erschließt. Geübt wird dabei auch die Fähigkeit, die Bilder vorbehaltlos auf sich wirken zu lassen und im Sinne der Verknüpfung von Innen- und Außenwelt: „wie unten, so oben“ die dargestellten Szenen mit chemischen Phänomenen zu verbinden. Einige davon stellen in Bildsprache ganz konkrete chemische Vorgänge dar, und die sollen uns hier vor allem interessieren.
Beginnen wir mit Emblem XXXIV. Der Ort der Handlung ist eine Höhle, in der eine Flüssigkeit hüfthoch steht. Darin stehen, in Umarmung begriffen, ein Mann mit Sonnengesicht und eine Frau mit Mondgesicht – DAS Männliche, Aktive, Gebende, Schöpferische, vereint mit DEM Weiblichen, Empfangenden, Lebenserhaltenden, Anpassungsfähigen. Sie sind Partner, ja: Reaktions-Partner. Im Hintergrund steigt eine Figur aus der Flüssigkeit, in den sich mächtig auftürmenden Wolken sieht man ein Kind. Wir sehen hier eine chemische Reaktion mit nachfolgender Destillation, nur verlegt in eine mythologische Landschaft. Die Höhle ist die Retorte, und das Reaktionsprodukt destilliert ab und kondensiert wieder.
Abb. 4: Emblem XXXIV aus der Atalanta Fugiens von Michael Maier (Bild: SLUB Dresden)
Abb. 5: Emblem XXIV aus der Atalanta Fugiens von Michael Maier (Bild: SLUB Dresden)
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Kap. 13 Emblem XXIV zeigt einen erschöpften, vielleicht sogar toten König, der von einem Wolf gefressen wird. Im Hintergrund verbrennt der Wolf im Feuer, während der König geschmückt und lebendig wieder herauskommt. Jeder Laborant wusste damals, dass das Mineral Grauspießglanz = Antimonit Sb₂S₃ als „Wolf der Metalle“ bezeichnet und zum Reinigen von Gold benutzt wurde. Der bekannte Bergbau- und Hüttentechniker Georgius Agricola (1494– 1555) erwähnt den Prozess in seinem Buch „De Re Metallica“, und Glauber beschreibt ihn ausführlich in seinem Buch Opus Minerale Teil I unter der Überschrift: „Wie man unrein Abb. 6: Links metallisches = „lebendiges“ Eisen, Gold durch das Antimonium rechts „totes“ = verbranntes Eisen = Roteisenerz (Foto: Heiko Barth) giessen/ seigern und fein machen soll“. 9 Der König ist ein beliebtes Bild für Metalle, insbesondere Gold. Noch heute heißt ein im Schmelztiegel erzeugter, erstarrter Metalltropfen Regulus = kleiner König, die Verkleinerungsform des lateinischen Wortes rex = König. Werden Goldlegierungen mit dem graumetallisch glänzenden Antimonit unter Zugabe von Eisenfeilspänen geschmolzen, lösen sie sich darin auf, verlieren ihre Identität, werden „aufgefressen“. Es scheidet sich eine Gold-Antimon-Legierung ab: „Der König ist im Wolf“. Wird diese Legierung im Feuer mit viel Luft in Berührung gebracht, verwandelt sich das Antimon in eine oxidische Schlacke, verliert seine Identität = „stirbt“, und das Gold bleibt als Regulus = kleiner König gereinigt zurück. Emblem XLIV behandelt den ägyptischen Osiris-Mythos. Ein unbestimmter Orientbezug wird durch den von manchen der Personen getragenen Turban verdeutlicht, ansonsten sind die Szenen mit gewissen Anklängen an die klassische Antike in den europäischen Kulturkreis des Autors versetzt. Rechts im Hintergrund ist der „König“ Osiris lebend dargestellt, links hinten wird er in Gegenwart seiner Gattin Isis ermordet und zerstückelt. Isis sammelt die Teile, setzt sie wieder zusammen, und Osiris wird wieder lebendig. Mit der Symbolik König = Metall haben wir hier den Prozess der Oxidation von unedlen Metallen vor uns, z. B. Blei oder Eisen. Bei der Oxidation = Verbrennung verliert ein Metall alle metallischen Eigenschaften, es ist nicht mehr glänzend, nicht mehr schmiedbar, es wird zu einer „unachtsamen Erden“, wie J. R. Glauber sich ausdrückte. Speziell das Oxid des dreiwertigen Eisens, in der Natur vorkommend als Roteisenerz, hatte den Beinamen „caput mortuum“ = Totenkopf, mit einem kleinen gezeichneten Totenkopf (ohne gekreuzte Knochen) als alchemistischem Symbol. In einer allgemeineren Bedeutung bezeichnete dieser Name alle wenig reaktiven mineralischen Rückstände. Und aus dieser toten Materie konnte im Schmelzofen das schmiedbare, glänzende, technisch einsetzbare Metall wieder zurückgewonnen werden, ein wahres Wunder an Auferstehung! Mit Blei kann man besonders einfach einen derartigen Demonstrationsversuch
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Abb. 7: Emblem XLIV aus der Atalanta Fugiens von Michael Maier (Bild: SLUB Dresden)
Abb. 8: Entstehung von metallischem Blei durch Erhitzen von Bleioxid und Weizenkörnern (Foto: Heiko Barth)
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Kap. 13
Abb. 9: Emblem XXVIII aus der Atalanta Fugiens von Michael Maier (Bild: SLUB Dresden) Abb. 11: Verwitterung des Minerals Markasit FeS₂ zu Eisenvitriol FeSO₄‧7 H₂O: Markasit (links und rechts oben), sein Verwitterungsprodukt Eisenvitriol (rechts unten) und die unansehnliche Zwischenstufe, der „König mit dem Hautausschlag“ (limks unten) (Fotos: H. Barth, R. Werthmann, F. Bretthauer)
Abb. 10: Epigramm zu Emblem XXVIII aus der Atalanta Fugiens von Michael Maier (Quelle: SLUB Dresden, persistente URL: http://digital.slub-dresden.de/id278941222, S. 120)
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Kap. 13
Abb. 12: Emblem XXXVII aus der Atalanta Fugiens von Michael Maier (Bild: SLUB Dresden)
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Abb. 13: Herstellung von Schwefelsäure H₂SO₄ durch Erhitzen von Eisenvitriol FeSO₄ ‧ 7 H₂O, etwa gemäß: 2 FeSO₄ ‧ 7 H₂O = H₂SO₄ („weißer Rauch, Feuer ohne Flamme“) + SO₂ („stinkendes Wasser“) + Fe₂O₃ („zurückbleibende Erde“) + 6 H₂O Eisenvitriol geglüht ergibt Eisenoxid „caput mortuum“, Schwefelsäure und schweflige Säure (Bilder: H. Barth, F. Bretthauer, J. R. Glauber, Opera Chymica Band II, Frankfurt 1659
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Kap. 13 durchführen. Solche Versuche sollen in der Antike in Tempeln vorgeführt worden sein. Flüssiges Blei verwandelt sich bei Luftzutritt in Bleioxid: 2 Pb + O₂ → 2 PbO Dies ist ein gelbes bis rotes Pulver, das keine metallischen Eigenschaften mehr zeigt. Erhitzt man es zusammen mit organischer Substanz – das kann Holzkohle sein, aber auch z. B. Weizenkörner – entsteht wieder metallisch glänzendes Blei 10: 2 PbO + C → 2 Pb + CO₂ Die Weizenkörner haben ihre „Lebenskraft“ (in Form von Reduktionspotential) an das „gestorbene“ Metall abgegeben und es „wiederbelebt“.
In Emblem XXVIII geht es wieder um einen König, der diesmal an einer Hautkrankheit leidet, und um seine Heilung. Hier handelt sich nicht um ein vollkommenes Metall, sondern „nur“ um ein metallisch glänzendes Mineral, das damals marcasites genannt wurde. Darunter verstand man unter anderem das heutige Mineral Markasit FeS₂, es konnten aber auch die ebenfalls goldglänzenden Minerale Pyrit (ebenfalls FeS₂) und Kupferkies (CuFeS₂) gemeint sein. Im vorliegenden Beispiel dürfte es sich wohl um den heutigen Markasit handeln, der in Form goldglänzender Knollen z. B. in Tonen und in Kreideformationen vorkommt. An der Luft verwittert er – zum Leidwesen von Mineraliensammlern – leicht zu Eisensulfaten, in den Anfangsstadien sieht dies tatsächlich aus, als hätte er eine Hautkrankheit, „Ausschlag“. Im Laufe der Zeit zerfällt er immer mehr zu unansehnlichen salzartigen, sauer und schweflig riechenden, teils rostfarbenen Reaktionsprodukten. Zwei der möglichen Reaktionsgleichungen lauten: 2 FeS₂ + 7 O₂ + 16 H₂O → 2 H₂SO₄ + 2 FeSO₄ ‧ 7 H₂O 3 FeS₂ + 11 O₂ + 24 H₂O → 2 H₂SO₄ + Fe₃[SO₄]₄ ‧ 22 H₂O Diese Zerfallsprodukte waren bei den Alchemisten ein begehrter Rohstoff. Aus ihnen wurde durch Auslaugen mit Wasser und nachfolgende Kristallisation das schöne grüne Salz Eisenvitriol FeSO₄ ‧ 7 H₂O, mit Mineralnamen Melanterit, gewonnen, ein wichtiger Rohstoff zur Herstellung von Schwefelsäure. Hatte der Verwitterungsprozess einmal eingesetzt, wurde durch Auskochen mit Wasser das Salz gewonnen, gleichzeitig wurde dadurch der Zerfallsprozess beschleunigt. Das zugehörige Epigramm = Gedicht gibt Hinweise, um die Analogie zwischen Bild und chemischer Reaktion besser erraten zu können: Der König mit Namen Duenech wird darin von Anfang an mit dem grünen Löwen in Ver-
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bindung gebracht (in einer anderen Version des zugehörigen Epigramms heißt es. „… dem grünen Löwen gleichend“), d. h. mit dem Reaktionsprodukt Eisenvitriol. Die Gallen-Sucht ist eine Anspielung auf das Eisen (traditionell ist die Galle das Organ des Mars, dem das Eisen zugeordnet ist), die harte Schwellung beschreibt den Zustand, in den der Markasit beim Verwittern kommt. Das Dampfbad und die wiederholte Wäsche beziehen sich auf den oben erwähnten Produktionsprozess des Vitriols, wie ihn auch Glauber ausgehend von Markasit aus Großalmerode bei Kassel erwähnt. 11 Die Sage vom König Duenech und dem Arzt Pharut ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert: Es scheint eine ausschließlich für chemische Zwecke entwickelte Geschichte zu sein. 12 Das Word dueneg geht dabei auf die arabische Bezeichnung für Vitriol zurück. In Übereinstimmung mit dem nur Metall-ähnlichen Charakter von Markasit und verwandten Mineralien heißt es dort sogar, Duenech sei der geringste unter den Königen. Emblem XXXVII befasst sich eingehender mit dem grünen Löwen, dem schon erwähnten, aus verwittertem Markasit hergestellten Eisenvitriol FeSO₄ ‧ 7 H₂O. Hier geht es um die nächste Produktionsstufe, die Herstellung der auch für den Alchemisten wie für den heutigen Chemiker unentbehrlichen Grundchemikalie Schwefelsäure. Eisenvitriol wird in einer Retorte auf Temperaturen zwischen 600 und 800 °C erhitzt. Dabei entstehen neben Schwefelsäure auch Schwefeldioxid und Eisen(III)-oxid, z. B. gemäß 2 FeSO₄ ‧7 H₂O → H₂SO₄ + SO₂ + Fe₂O₃ + 13 H₂O In der Überschrift, d. h. dem Motto des Emblems, sowie später im Erläuterungstext wird von verschiedenen Stoffen gesprochen: - philosophisches Erz = Rohstoff zur Gewinnung von (chemischer) Erkenntnis = Eisenvitriol FeSO₄ ‧ 7 H₂O - „weisser Rauch das ist Wasser“: Dass Dampf weiß ist, ist allen bekannt; wenn aber hier ausdrücklich die weiße Farbe betont wird sowie von „weißem Rauch“ gesprochen wird, kann es sich nur um den wesentlich dichteren und schwerer zu kondensierenden Nebel aus Schwefelsäure handeln, sowie um Schwefeltrioxid SO₃, das bei der Schwefelsäureherstellung entsteht. - „das stinckende Wasser“: Hier handelt es sich sehr wahrscheinlich um schweflige Säure, eine Lösung von Schwefeldioxid SO₂ in Wasser, die ausgesprochen stark und unangenehm riecht. Werden die Abgase der Vitrioldestillation, wie Johann Rudolf Glauber in seinem Buch „Furni Novi Philosophici“ 13 beschreibt, in mehreren nacheinander geschalteten Gefäßen aufgefangen, kann neben der hochsiedenden Schwefelsäure auch die leichter flüchtige schweflige Säure aufgefangen werden. - „Feuer ohne Flamme“: Konzentrierte Schwefelsäure kann organischer Materie wie Holz oder Zucker das Wasser entziehen. Zurück bleibt Kohlenstoff. Vom Phänomen her bewirkt die Schwefelsäure hier dieselben Veränderungen wie das Feuer, nur ohne Flamme. Bei der Produktion der Schwefelsäure wurde das Feuer gleichsam in der Substanz gespeichert.
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Kap. 13 - „zurückbleibende Erde“: Nach beendeter Destillation bleibt ein erdiges, rotbraunes Pulver zurück, Eisen(III)-oxid Fe₂O₃, genannt „caput mortuum“ = Totenkopf. Die verschiedenen Elemente „weißer Rauch“, „stinkendes Wasser“, Erde und der grüne Löwe sind auf dem Bild vertreten, als eine Art Reigen von Phänomenen rund um das Eisenvitriol. Der Löwe trägt den Lorbeerkranz des Siegers als Zeichen der Bedeutung der Chemikalie, für die er steht.
Weiterführende Gedanken Die hier gezeigten Beispiele aus der Alchemie – und es gibt noch viele weitere – sind unmittelbar auf die experimentelle Chemie übertragbar. Der Betrachter lernt, zunächst ohne die Abstraktion durch die heutige Formelschreibweise, in Bildern und Phänomenen zu denken. Er bildet dadurch Fähigkeiten aus, die helfen können, mit zukünftigen Wahrnehmungen aus der Welt der chemischen Erscheinungen kreativ umzugehen.
1
Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie, Olten 1972, S. 284/285
2
Fleck, Ludwik, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Frankfurt 1980
3
Fischer, Ernst Peter, Die aufschimmernde Nachtseite – Kreativität und Offenbarung in den Naturwissenschaften, Lengwil 2003
4
Sendivogius, Michael (Anagramm: Angelus doce mihi ius), Tractatus de sulphure (lateinisch), Köln 1616; deutsch unter dem Titel: Ein Tractat und Gespräch von Schwefel/ dem anderen Hauptstück der Tinctur/ welches die aller haimlichsten Mysterien der Natur entdecket/ und offenbaret, z. B. enthalten in: Tripus Chimicus Sendivogianus, Dreyfaches Chimisches Kleinod, Straßburg 1628
5
Jung, Carl Gustav: Psychologie und Alchemie, Olten 1972, S. 285; 322/323
6
Evola, J(ulius): La Tradizione ermetica, Bari 1931
7
Glauber, Johann Rudolph: Opera Chymica, Band II, Frankfurt am Main 1659, S. 131/132
8
Maier, Michael: Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618; deutschsprachige Ausgabe: Chymisches Cabinet, Frankfurt 1708; Reprint in: Hofmeier, Thomas: Michael Maiers Chymisches Cabinet, Berlin und Basel 2007
9
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 306–308
10
Video des Demonstrationsversuches in: Gebelein, Helmut, Werthmann, Rainer, Vom Barbier zum Alchemisten, CD zur Ausstellung, Gießen 2005 ff., erhältlich über das Städtische Museum Kitzingen
11
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Frankfurt am Main 1659, S. 60/61
12
De Jong, H. M. E., Michael Maier’s Atalanta Fugiens, Janus, revue internationale de l’histoire des sciences …, Suppléments Volume VIII, Leiden 1969, S. 213
13
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Band II, Frankfurt am Main 1659, S, 48/49
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Kap. 14 Vom Kieselsaft zum Glauberporzellan
Glaubers Beitrag zur Nacharbeitung des chinesischen Porzellans Rainer Werthmann
Alkalisilikate in der Alchemie
Abb. 1: Gefäß aus Glauber-Porzellan, hergestellt von Guido Sengle, Kassel; der porzellanartig-durchscheinende Charakter ist gut zu sehen (Foto: Gebelein)
Die Silikate der Alkalimetalle sind als Feststoffe häufig Gläser. Im Unterschied etwa zu Fensterglas sind sie allerdings wasserlöslich, daher die populäre Bezeichnung „Wasserglas“. Diese Eigenschaft hat Alchemisten lange Zeit fasziniert. Denn nach den Vorstellungen von den vier klassischen Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer hatte das Element Erde, d. h. alles Feste, mit dem Toten zu tun, das Element Wasser, d. h. alles Flüssige, hingegen mit dem Leben. Und wenn die festen und nach Augenschein wasserunlöslichen Kieselsteine durch die Kunst des Laboranten durch Schmelzen mit Pottasche in wasserlösliches Kaliumsilikat = Kaliwasserglas verwandelt werden konnten, so kam dies einer symbolischen Wiederbelebung gleich. Die aus dieser Lösung hergestellte gefällte Kieselsäure wurde „jungfräuliche Erde“ genannt, auch „Prima Materia“, die erste, ursprüngliche Materie der Mineralwelt. Der Übergang etwa des geformten Bergkristalls in eine derartige ungeformte „zarte unbegreiffliche schneeweisse Erde“ (Glauber, s. u.) wurde gesehen als weitgehender Verlust der der Materie aufgeprägten Form. Zugrunde liegt hier die Substanzlehre des Aristoteles, nach der jede Substanz aus Materie und Form besteht. Die Herstellung der oder zumindest die Annäherung an die ungeformte Materie war in der Alchemie gleichzeitig mit der Hoffnung verbunden, der Materie eine neue, vielleicht ganz andere Form aufprägen und sie dadurch verwandeln zu können. 1 Diese jungfräuliche Erde muß auch Glaubers älterer Zeitgenosse Michael Maier (1569–1622) im Sinn gehabt haben, als er im sechsten Emblem seines Buches „Atalanta fugiens“ mit Bezug auf die Vermehrung des Goldes eine Analogie aus der Landwirtschaft bringt und schreibt: „Säet euer Gold in die weiß-geblätterte Erde“. 2
Abb. 2: Michael Maier, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem VI mit dem Titel: “Säet euer Gold in die weiß geblätterte Erde” (Bild: SLUB Dresden)
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Kap. 14 Glaubers Arbeiten mit Kaliwasserglas Auch Glauber befasste sich ausführlich mit Kaliwasserglas. In Philosophischer Öfen Ander Theil, CAP. LXXIX, beschreibt er die Herstellungsmethode:
„Wie durch Hülff eines reinen Sandes oder Kißlings/ auß Sale Tartari ein kräfftiger Spiritus kann erlanget werden. .... Mache dir von gebrandtem Weinstein/ durch solviren (Auflösen)/, filtriren und coaguliren (hier: Auskristallisieren) ein schön weiß Salz/ pulverisire solches in einem warm gemachten Mörsel (Mörser)/ und setze ihme ¼ theil klein pulverisierten Crystall (Bergkristall)/ Kißling (Kiesel) oder nur rein gewaschenen kleinen Sand zu/ mische es wol untereinander/ und trage davon auff einmal einen Eßlöffel voll in dein glüend Geschirr (welches von Erden gemacht seyn soll) und decke zu/ so wird die mixtur, so bald sie ist glüend worden/ auffsteigen und kochen/ gleich wie ein gemeiner Alaun thut/ wann er in gählinge Hitz kommet/ und einen dicken und schweren weißen Spiritum von sich geben/ wann solches auffhöret zu gehen/ und sich die mixtur, welche im glüen hochsteiget/ gesetzet hat/ so wirff wiederumb einen Löffel voll hinein ... und wann nun kein Spiritus mehr gehet/ so hebe den Deckel von dem distillir Gefäs/ und greiffe mit einem reinen eysern löffel hinein/ und hebe das zurück gebliebene (weilen es noch glüend und weich ist/ und einem durchsichtigen/ klaren/ weissen, flüssigem Glas gleich seyn wird / herauß/ und verwahre solches vor der Lufft/ … Wann man solches in einem warmen Mörsel (Mörser) klein pulverisiret/ und an ein feuchte Lufft leget/ so zerfleußt es in ein dick und fett Oleum, und läßt etliche feces oder Unreinigkeiten zurück. Dieses fette Oleum oder Liquor Silicum (Kieselsaft, -flüssigkeit), Arenæ (Sandflüssigkeit) vel Crystallorum (Kristallflüssigkeit) kan …die Mineralien und Metallen … per artem Chymicam (durch die chymische Kunst) zu verwandeln/ gebrauchet werden“. 3 Auch der junge Goethe experimentierte mit Wasserglas und schrieb über seine Arbeiten aus dem Jahre 1769:
„Was mich aber eine ganze Weile am meisten beschäftigte, war der sogenannte Liquor Silicum (Kieselsaft), welcher entsteht, wenn man reine Quarzkiesel mit einem gehörigen Anteil Alkali schmilzt, woraus ein durchsichtiges Glas entspringt, welches an der Luft zerschmilzt und eine schöne klare Flüssigkeit darstellt. Wer dieses einmal selbst verfertigt und mit Augen gesehen hat, der wird diejenigen nicht tadeln, welche an eine jungfräuliche Erde und an die Möglichkeit glauben, auf und durch dieselbe weiter zu wirken“. 4 Eine für Glauber wichtige Anwendung ist der Chemische Garten, erwähnt in Philosophischer Öfen Ander Theil, CAP. LXXXV. Glauber maß diesem Vorführversuch große Bedeutung bei, weil er darin eine Demonstration der Erzbildeprozesse im Inneren der Erde sah. Dieser Versuch hat Literaturgeschichte geschrieben. Goethe erwähnt ihn unter dem Namen „Marsbaum“ 5 nach der Vorschrift von Nicolas Lémery (1645–1715), Thomas Mann im „Zauberberg“. Auch in der heutigen Zeit gehört er zur Ausbildung des Chemikers, wenn auch eher als De-
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Abb. 3: Chemischer Garten nach Glauber (Foto: Heiko Barth)
monstration der Vorgänge der Osmose (vergl. auch Kap. 13). Man legt Stücke von Schwermetallsalzen wie Eisenchlorid, Kupfersulfat etc. in ein Glasgefäß mit verdünnter Natron- oder Kaliwasserglaslösung. Was dann geschieht und was daraus gefolgert werden kann, beschreibt Glauber folgendermaßen:
„Wie man in disem Liquore von allen Metallen in wenig Stunden Bäume mit Farben soll wachsen machen. … Und muß das Glas an einem stillen Ort unbeweglich hingestellet werden/ so wird alsobalden das Metall darinn auffschwellen/ und einen oder etliche Stämme außstossen/ von welchen wieder andere kleine Nebenzweige außgewachsen/ also artlich/ daß man sich darüber zu verwundern hat/ und darff ihm niemand eynbilden/ als wann dieses wachsen nur allein einen Lust daran zu sehen angezeiget were/ ganz nicht/ dann etwas sonderlichs darunder verborgen ist/ dann ein jedweder Sand oder Kißling/ ob er schon ganz weiß ist/ eine verborgene Tinctur oder güldische Sulphur unsichtbarlich bey sich führet/ welches niemand ohne Erfahrung wol wird glauben können/ … Deßgleichen beweißt er auch seine verbesserende Krafft/ wann die Metallen darinn wachsen/ und eine Zeitlang damit digeriret werden. Dann man augenscheinlich mer-
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Kap. 14 cken kan/ daß die Metallen im wachsen sich auß dem Liquore vermehren/ und dasjenige/ was ihnen dienet/ zu sich ziehen/ welches auch daran kan gespüret werden/ wann einer Erbsengros darinn wächset/ so wird wol 2. oder dreymal mehr darauß/ welches Nachdenckens werth ist/ auch seyn die Kißlingstein oder Sandstein natürliche matrices (Entstehungsorte) der Metallen/ da dann zwischen denselben ein grosse sympathia gespüret wird/ insonderheit zwischen den unzeitigen (unreifen)/ gleich als wann die Natur sagen wolte/ zu solchen unaußgekochten Metallen/ gehe wieder in deiner Mutter Leib/ und verbleibe deine behörliche Zeit darinnen/ bis daß du deine vollkömliche Reiffe darinnen erlanget hast/ dann du viel zu früh darauß mit Gewalt gegen meinen Willen genommen bist“. 6 Nachfolgend erwähnt Glauber einige Anwendungen für die Wasserglaslösung, am Schluss die Herstellung eines porzellanartigen Materials: „... Weiters kan auß diesem Liquore (dieser Flüssigkeit) ein guter Borras (Flussmittel)
die Metallen damit zu reduciren gemacht werden. Auch kan man schöne/ glasurte und beständige Farben auff irdene Geschirr/ dem Porcellan gleich/ damit machen. Wie auch mit Wasser durch kochen/ ein zart unbegreiffliche schneeweisse Erden darauß niedergeschlagen wird/ auß welchem Geschirre dem natürlichen Porcellan nicht sehr ungleich können formiret werden“. 7
Abb. 4: Schmelzdiagramm des Systems K₂O – SiO₂ Bild: Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie
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Abb. 5: Schmelzdiagramm des Systems Na₂O – SiO₂ Bild: Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie
Nacharbeitung von Glaubers Angaben Die durch Kochen von verdünnter Wasserglaslösung erhaltene „zarte Erden“ ist wasserhaltige gefällte Kieselsäure, SiO₂ ‧ aq. Will man sie rein erhalten, muss der Niederschlag vor dem Trocknen immer wieder mit Wasser ausgewaschen und erneut abfiltriert werden. Völlig reines, gefälltes SiO₂ ‧ aq. ergibt natürlich nach Formen und Brennen bei für Glauber zugänglichen Temperaturen keine formstabilen keramischen Körper, sondern nichts anderes als pulverförmiges SiO₂. Es ist aber anzunehmen, dass Glauber die anhaftende alkalische Lösung nicht vollständig auswusch, sondern ein Produkt erhielt, das noch gewisse Alkaligehalte aufwies. Diese „unreine gefällte Kieselsäure“ ergibt beim Brennen eine durchscheinende glaskeramische Masse, ein Alkalisilikat Abb. 6: Ehemalige Platte aus gefällter Kieselsäure mit wenig Natronwasserglaslösung bemit niedrigem Alkaligehalt. Handelsübliches festes feuchtet, aufgeschäumt nach dem Brand bei Kaliwasserglas hat K₂O-Gehalte um die 30 %, ei- 900 °C. Auf der Bruchfläche wird die poröse nen Schmelzpunkt von 750–800 °C und zerfällt an Struktur sichtbar (Foto: Guido Sengle, Kassel) feuchter Luft unter Bildung von Kaliumcarbonat K₂CO₃. Mit Glaubers Methode hingegen lässt sich problemlos etwa ein Material mit etwa 10 % K₂O und einem Schmelzpunkt von ca. 1500 °C erzeugen, das stabil gegen feuchte Luft ist. Bei niedrigeren Brenntemperaturen und erst recht bei noch niedrigeren Alkaligehalten schmilzt der Werkstoffl nur teilweise. Dann ist ungeschmolzenes, festes SiO₂ als Strukturmaterial in eine die Poren mehr oder weniger ausfüllende Glasmasse eingebettet.
Abb. 7a, b: Platte aus der Rohstoffmischung für Glauberporzellan, zur Dekoration mit Kupferdraht umwickelt, vor und nach dem ersten Brand (Foto: Guido Sengle, Kassel)
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Kap. 14 besaß. 12 Interessant ist hierbei, dass diese Bemühungen nicht auf Europa beschränkt waren, sondern sich auch auf andere Gebiete westlich von China bezogen. Ein hervorragendes Beispiel ist das iranische Semiporzellan, auf das weiter unten Bezug genommen wird. Der erste europäische Versuch, chinesisches Porzellan zu kopieren, war das Medici-Porzellan, hergestellt in einer 1575 durch Francesco I. de Medici in den Boboli- Gärten in Florenz errichtete Porzellanmanufaktur. Von der Zusammensetzung her ähnelt es dem späteren französischen Frittenporzellan. Etwa 50 Objekte davon sind noch erhalten.
Abb. 8: Links die ungebrannte Pulvermischung, rechts bei zunehmender Temperatur gebrannte Prüfplättchen (Foto: Monika Gass)
In Zusammenarbeit mit dem Kasseler Keramiker Guido Sengle wurde in Anlehnung an Glaubers Vorschrift dieses Material nachgearbeitet. Anstatt große Mengen verdünnter Wasserglaslösung zu kochen und abzufiltrieren, um genügend Ausgangsmaterial für Versuche zu haben, wurde handelsübliche reine gefällte Kieselsäure10 mit verdünnter Natronwasserglaslösung angefeuchtet, geformt und gebrannt. Ein erstes Zwischenprodukt zeigte ausgesprochen viele Gasbläschen, es ging beim Brennen auf wie Hefeteig. Wurde Abb. 9: Nahaufnahme des hoch gebrannten, teilgeschmolzenen Werkstoffs dieses gemahlen, wieder geformt und erneut ge(Foto: Monika Gass) brannt, ergab sich ein durchscheinendes Material von großer äußerer Ähnlichkeit mit echtem Porzellan. 11 Aus diesem Werkstoff konnten auch Gefäße geformt und gebrannt werden. Das Bestechende an dieser Keramik ist das Durchscheinen im Licht, verursacht durch eine alkalireichere Teilschmelze, aufgesaugt in einem Gerüst aus noch ungeschmolzenem SiO₂. Damit ist der optische Eindruck genau wie bei Porzellan, nur die chemische Zusammensetzung ist eine völlig andere.
Verwandte Forschungsbemühungen Glaubers Vorschlag kam gerade zur richtigen Zeit. Die europäischen Forschungen zur Nacharbeitung des seit einigen Jahrzehnten über den Seeweg in großem Umfang importierten chinesischen Porzellans waren in vollem Gange. Dabei wurde versucht, einen Werkstoff zu entwickeln, der zu der chinesischen Importware eine möglichst große äußere Ähnlichkeit
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Vor allem in den Niederlanden wurde Porzellan auch durch Fayence = Steingut mit weißer, zinnoxidgetrübter Glasur imitiert. Als um 1657 wegen eines Bürgerkriegs in China die Lieferungen von echtem chinesischem Porzellan unterbrochen waren, nutzten die Delfter Fayencetöpfereien die Gunst der Stunde und produzierten Fayence mit kobaltblauen Mustern in einem chinesisch-europäischen Stil, genannt Delfter Porzellan. In Frankreich wurde 1673 in Rouen erstmals ein Privileg für die Herstellung von Frittenporzellan erteilt, in den darauf folgenden Jahren begann die Produktion auch an anderen Orten, z. B. ab 1677 in Saint-Cloud. Die Ausgangsmischung bestand hier aus einem gepulverten Sinterprodukt (Fritte) von der ungefähren Zusammensetzung eines Kalknatronglases, versetzt mit Kalk- und Mergelmehl, z. B. 75 Teile Fritte, 17 Teile Mergel und 8 Teile Kreide. 13 In der Porzellanmanufaktur in Sèvres bei Paris wurde Frittenporzellan bis mindestens 1769 hergestellt. Für England ist vor allem das um 1750 erfundene Knochenporzellan aus 20–45 % Kaolin, 7–30 % Pegmatit und 30–60 % Knochenasche zu erwähnen. 14 Glaubers Beteiligung an den europaweiten Forschungen einer Nacharbeitung des chinesischen Porzellans ist in diesem Zusammenhang gut zu verstehen. Er veröffentlichte seine Erfindung eines porzellanartigen keramischen Materials auf der Basis von hochschmelzendem Kaliumsilikat 1646 im zweiten Teil seines Buches „Furni Novi Philosophici“. Nach einer strengen, nur an der chemischen Zusammensetzung orientierten Nomenklatur würden nur das chinesische und das in Sachsen entwickelte europäische Hartporzellan die Bezeichnung „Porzellan“ verdienen. Da aber auch die anderen Materialien von unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung, jedoch ähnlichen Aussehens, wie Frittenporzellan, Knochenporzellan etc. so genannt werden, wurde vorgeschlagen, den von Glauber entwickelten Werkstoff als „Glauberporzellan“ 15 zu bezeichnen.
Kurze Geschichte der Quarzkeramik Glaubers porzellanartiges Produkt hat, wohl ohne dass er es wusste, von der Substanzseite her einen Jahrtausende alten Vorläufer: die Quarzkeramik. Sie ist unter vielen Namen bekannt, die teils austauschbar benutzt werden, teils verschiedene Varianten mit unterschiedlichem Glasanteil darstellen: Quarzkeramik, Kieselkeramik 16, SiO₂ - Keramik, Quarzfrittekeramik, Ägyptische Fayence, Glassy Fayence und andere. Sie hat eine lange Tradition in der ägyptischen, vorder- und südasiatischen sowie europäischen Kulturgeschichte. Als NichtTon-Keramik ist sie ein faszinierendes Material mit besonderen Möglichkeiten, aber auch
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Kap. 14 technischen Herausforderungen. In Ägypten ist sie seit der Badari-Kultur im 4. Jahrtausend v. Chr. nachweisbar 17, in Vorderasien 18 seit dem 4. Jahrtausend v. Chr., am Indus 19,20 mindestens seit dem 3. Jahrtausend v. Chr.. Auch in der griechisch-römischen Welt 21 war das Material verbreitet. Quarzkeramik wird auf der Basis von Quarzmehl und Soda oder Salzpflanzenasche hergestellt und entweder durch eine alkalisilikatische Glasur auf der Oberfläche zusammengehalten, oder sie enthält zusätzlich zwischen den Quarzpartikeln mehr oder weniger alkalisilikatische Glasmasse als Bindemittel, die z. B. aus einem Zusatz von Soda in die Masse vor dem Brennprozess entsteht. Bei hohen Glasgehalten heißt das Material Glassy Fayence; sie gilt als historische Vorstufe des Glases. 22 Eine Besonderheit ist eine spezielle Glasiertechnik aus der Gasphase, bei der Objekte ohne Aufstandsfläche rundum glasiert werden können. Die dabei ablaufenden Prozesse wurden aufgeklärt von Berger 23,24 und Brandt. 25 Verwandte Prozesse laufen ab bei der Bildung von Glasuren auf Ofensteinen bei der bronzezeitlichen Kupferverhüttung. 26,27 Aus der Antike sind aus Ägyptischer Fayence nicht nur Gefäße bekannt, sondern auch eine große Vielfalt anderer Objekte: Perlen und andere Schmuckstücke, Statuetten und Votivgaben bis hin zu mehrfarbig glasierten Wandreliefplatten im Palast von Persepolis. Wenn Quarzkeramik aus dem Mehl von ausgesucht reinen, weißen Quarzkieselsteinen hergestellt wird, hat sie eine strahlend weiße Farbe, die die von Objekten aus weißem Ton an Reinheit übertrifft. Als Beispiele für Kleinobjekte aus besonders glasreicher Quarzkeramikmasse (Glassy Fayence) sind ägyptische Skarabäen aus der Sammlung des Museums Liebieghaus in Frankfurt abgebildet.
Abb. 10a, b, c: Ägyptische Skarabäen, Museum Liebieghaus, Frankfurt; hellgrün: späte Ramessidenzeit bis dritte Zwischenzeit (INV.-NR. 2012, 1,8 x 1,4 x 0,9 cm); dunkelgrün: Thutmosis III. bis Ende 18. Dynastie (INV. NR. 2037, 1,4 x 1,00 x 0,7 cm) (Fotos: Heiko Barth)
Für den islamischen Kulturkreis 28 hatte die Produktion von Quarzkeramik ihren ersten Schwerpunkt in Ägypten und kam, zusammen mit dem Wissen über die Lüstertechnik (siehe Kap. 15), um 1075 nach Syrien und in den Iran, in das Herrschaftsgebiet der Seldschuken. Das Material wurde vor allem für Luxuskeramiken verwendet. In beiden Ländern findet sich Lüsterbemalung nur auf Quarzkeramik. Einen ersten Höhepunkt bildete im Iran dünnwandige
Feinkeramik mit z. T. transparentem Scherben aus dem 11. und 12. Jh., sehr hart und weiß, von farbloser oder türkisfarbener Glasur bedeckt, im Englischen soft-paste porcelain genannt. Von chinesischen Porzellanen aus der T’ang- und Sung-Zeit inspiriert, die auf dem Landweg über die Seidenstraße in den Iran kamen, folgte es manchmal auch in Form und Dekor dem chinesischen Vorbild. Im 11. Jahrhundert ist erstmals eine Durchbruchtechnik bekannt, u .a. aus Nishapur, die diesmal im Kulturaustausch von West nach Ost das Vorbild für das spätere Reiskornporzellan in China abgegeben hat. 29 Im 12. bis 14. Jahrhundert entstand auf Quarzkeramik in Syrien echte Unterglasurmalerei. Am Ende des 16. Jahrhunderts wurde ein weißer Scherben entwickelt, der besonders viel glasartige Substanz enthielt. „Damit gelang es, dem begehrten chinesischen Blau-Weiß-Porzellan sehr nahe zu kommen. Die europäischen Bewunderer bezeichneten diese Feinkeramiken dementsprechend als persisches Porzellan oder Semi-Porzellan. Die meisten dieser Gefäße wurden denn auch nach chinesischem Vorbild blau bemalt... Auch in der Form folgt ein Teil dieser Gefäße dem chinesischen Vorbild, ebenso in der Musterwahl. ... Bei einer anderen [Gruppe] lebte die alte Technik des Durchbruchs oder Durchstichs des Scherbens und Abdeckung der Öffnungen durch die Glasur wieder auf. Die Anregung dazu kam aber diesmal sicher vom chinesischen Reisporzellan“. 30 Die Arbeit mit Quarzkeramik hat sich im Iran bis heute erhalten. 31 Mit SiO₂-Keramik in verschiedenen Abwandlungen arbeiten heute auch eine Reihe europäischer Künstler. 32,33
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Kap. 14
Abb. 13: Schale mit durchbrochener Wandung, Quarz-Fritte-Keramik, islamisch, Safawiden im Iran, 1700– 1800, Berlin, SMPK Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. I. 18/ 65 (Foto: SMPK Museum für Islamische Kunst)
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Abb. 14: Transparenter Becher mit Schrift im Durchlicht, Quarz-Fritte-Keramik, islamisch, Seldschuken im Iran, 1000–1200, Berlin, SMPK Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. I. 56/ 65 (Foto: SMPK Museum für Islamische Kunst)
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Kap. 14 Glaubers Gedankenweg zum Glauberporzellan Der Herstellungsprozess ist bei Glauber ein wesentlich anderer als bei den Keramikern der Antike und der arabischen Kultur. Während diese die in der Natur vorkommenden Rohstoffen Quarz und Soda bzw. Salzpflanzenasche verwendeten und durch Mahlen, Mischen, Formen und Brennen bearbeiteten, ist Glaubers Werkstoff ein Produkt eines mehrstufigen, zum Teil nasschemischen Laborprozesses, der einem Keramiker zunächst nicht nahe liegt: - Herstellung reiner Pottasche, z. B. durch Glühen von Weinstein - Schmelzen der Pottasche mit Quarzmehl zu einem glasartigen Schmelzfluss - Lösen der abgekühlten Schmelze in Wasser - Kochen der verdünnten Lösung - Abfiltrieren des Niederschlags, Trocknen und Weiterverarbeiten zum keramischen Produkt. Glauber hat damit, sehr wahrscheinlich ohne die historischen Wurzeln zu kennen und auch ohne ein Vorbild zu haben, einen alten Werkstoff wiederentdeckt, aber auf völlig neuem Wege hergestellt. Und dieser neue, originär „unkeramische“ Weg lässt sich erklären als Nebenprodukt der alchemistischen Beschäftigung mit der ungeformten Ursprungsmaterie der Gesteine, der Prima Materia.
Praktisches Gibt es noch historische, zu Glaubers Lebzeiten hergestellte Objekte aus Glauber-Porzellan? Dem Autor sind bisher keine bekannt. Chemisch dürften sie allerdings stabil genug sein, die Zeiten zu überdauern, denn abgesehen von Herstellungsprozess und Feinstruktur ähneln sie von der Substanz her sehr dem iranischen Semi-Porzellan, von dem sich historische Stücke erhalten haben und das auch heute noch produziert wird.
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1
Schütt, Hans-Werner: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Die Geschichte der Alchemie. München 2000, S. 66 ff.
2
Maier, Michael: Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem 6, S. 73; deutschsprachige Ausgabe: Chymisches Cabinet, Frankfurt 1708; Reprint in: Hofmeier, Thomas: Michael Maiers Chymisches Cabinet, Berlin & Basel 2007
3
Glauber, Johann Rudolph: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1659, S. 121/122, Reprint Band 2, Hildesheim 2004
4
Goethe, Johann Wolfgang, Weimarer Ausgabe I.27, S. 206/207
5
Krätz, Otto: Goethe und die Naturwissenschaften, München 1998, S. 24
6
Glauber, Johann Rudolph: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1659, S. 131/132, Reprint Band 2, Hildesheim 2004
7
ebd. S. 132
8
Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 3. Auflage, München-Berlin 1964, Bd. 15, S. 734
9
ebd. S. 734
10
hier: Degussa Sipernat 350; der Autor dankt der Firma Evonik Degussa GmbH für das Versuchsmaterial
11
Werthmann, Rainer: Porzellanimitation und Lüsterglasuren bei Johann Rudolph Glauber (1604–1670), vergessene Keramikrezepturen eines Alchemisten der Barockzeit, in: Neue Keramik 4/2006, 34–35
12
Werthmann, Rainer: Die Erd’ steigt empor zum Himmel – 300 Jahre Meissener Porzellan, in: Das Goetheanum Nr. 4, 2010, S. 11–12
13
Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 3. Auflage, München-Berlin 1964, Bd. 17, S. 534
14
Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 3. Auflage, München-Berlin 1964, Bd. 17, S. 542
15
Werthmann, Rainer: Porzellanimitation und Lüsterglasuren bei Johann Rudolph Glauber (1604–1670), vergessene Keramikrezepturen eines Alchemisten der Barockzeit, in: Neue Keramik 4/2006, 34–35
16
Kühne, Klaus: Antike kieselkeramische Sinterwerkstoffe, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 104–110
17
Schlick-Nolte, Birgit: Ägyptische Fayence und Ägyptisch Blau im Alten Ägypten, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 12–51
18
Wartke, Ralf-Bernhard: Quarzkeramik in Vorderasien, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 52–65
19
Barthélemy de Saizieu, Blanche, Bouquillon, Anne: Faience Beads of the third Millenium B. C. in the Indus, in: Taddei, M.(ed.): South Asian Archaeology, Rom 1997
20
Barthélemy de Saizieu, B. : Emergence et évolution des matériaux vitrifiés dans la région de l‘Indus du 5è au 3è millénaire (Mergarh-Nausharo) (avec la collaboration d‘A. Bouquillon). Paléorient, 26/2 (2001): 93–111
21
Scheunert, Volker: Fayence in der griechisch-römischen Welt, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 66–71
22
Lilyquist, Ch., Brill, R. H.: Studies in Early Egyptian Glass, New York 1993
241
23
Berger, Iris: Historische Zementationsglasuren – wo liegen ihre Grenzen? in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 111–113 24
Berger, Iris und Brandt, Jochen: Die Entschlüsselung einer iranischen Glasurtechnik, Teil I. Beobachtungen und Experimente, Teil II. Analysen und Deutungen, Keramische Zeitschrift 49 (1997), S. 806–812 und 1053–1060
25
Brandt, Jochen: Khar-More – die Entschlüsselung einer iranischen Glasurtechnik und ihre Bezüge zur Ägyptischen Fayence, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 170–187
26
Hauptmann, A., Busz, R., Klein, S., Vettel, A., Werthmann, R.: The Roots of Glazing Techniques: Copper Metallurgy? In: Paléorient XXVI/2–2000, S. 113–129
27
Werthmann, Rainer: – Glass Coatings on Stones of Bronze Age Copper Smelting Furnaces and their Relation to Egyptian Faience, in: Glass technology: European Journal of Glass Science and technolo‑ gy, Part A, 2012, in Vorbereitung 28 Helmecke, Gisela: Lüster- und Quarzkeramik in der islamischen Welt, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 84–92 29
ebd. S. 91
30
ebd. S. 92
31
Edalatian, Khosrow, Khar-More – die antiken blauen Perlen des Iran, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 188–191
32
Busz, Ralf und Sengle, Guido: Zur Kieselkeramik – Begriffe, Werkstoffe und Verfahren, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 192–219
33
Karger, Wilfried: Ein Gespräch mit Keramikkünstlern, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 222–228
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Kap. 15 „...daß es anzusehen/ als wann es Gold, Silber, Kupfer ... wäre/ und gleichwol Glas(ur) ist“ Johann Rudolph Glauber und die Lüsterkeramik Rainer Werthmann
Einführung Lüsterkeramik ist eine Keramik mit metallisch glänzender Oberfläche, ganzflächig oder in Form von Ornamenten. Diese Schicht entsteht während des Brennprozesses unter reduzierenden Bedingungen und bei meist recht niedriger Temperatur aus Vorstufen in der Glasur. Häufig in diesen Glasuren eingesetzte Metalle sind Gold, Silber und Kupfer, die Farben der Lüsteroberflächen entsprechen aber nicht immer der Farbe des reinen Metalls. Lüsterkeramik war eine begehrte Luxusware, die hohe handwerkliche Anforderungen an den Keramiker stellte, über Jahrhunderte hinweg nur in wenigen Zentren hergestellt und über große Entfernungen gehandelt wurde. 1 Ihr Ursprung liegt im islamischen Kulturkreis, und es dauerte fast tausend Jahre, bis ihre Herstellungstechnik nördlich der Alpen angekommen war. Hinter das Produktionsgeheimnis dieses Materials zu kommen, war für den Naturforscher und Technologen des 17. Jahrhunderts eine ebensolche Herausforderung wie die Entschlüsselung des „Arkanums“ des chinesischen Porzellans. Zu beiden Gebieten hat Johann Rudolph Glauber seinen Beitrag geleistet. 2
Die ältesten bekannten Lüsterkeramiken stammen aus dem Irak aus der Zeit ab etwa 800. Eines der Herstellungszentren war Basra. Damals herrschte in Bagdad der Kalif Harun al-Raschid (um 763–809), ein Zeitgenosse Karls des Großen (748–814). Ab etwa 975 scheint die Lüstermalerei im Irak aufgegeben und nach Ägypten verlagert worden zu sein. Zentrum war hier die Keramikersiedlung al-Fustat auf dem Gebiet des heutigen Kairo. Ab etwa 1075 treten erste Lüsterkeramiken in Syrien und im Iran auf. Im Iran erlebt die Technik ihre größte Blüte bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Eine zweite Blütezeit erfolgt ab dem 16. Jahrhundert. Im 18. und 19. Jahrhundert ist europäischer Einfluss sichtbar. Auch in Spanien, das seit dem 8. Jahrhundert bis zum Abschluss der Reconquista im 15. Jahrhundert teilweise zum arabischen Reich gehörte, wurde Lüsterkeramik hergestellt. Die eigene Produktion begann im 13. Jahrhundert. Malaga war das erste Zentrum, später kam der Raum um Valencia mit den Orten Manises, Paterna und Mislana hinzu, exportiert wurde ins übrige Europa und in die islamische Welt. Noch unter arabischer Herrschaft wurden in Spanien auch Auftragsarbeiten mit christlichen Motiven gefertigt, und die Produktion ging auch nach der Reconquista weiter. Im 16. Jahrhundert verschwanden die maurischen Stilelemente ganz. Ab dem 17. Jahrhundert wurden nur noch kupferfarbene Lüster produziert. Im
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Kap. 15 19. und 20. Jahrhundert erfolgte eine Rückbesinnung auf maurisches Erbe. Auch Italien hatte, etwa in den Ortschaften Gubbio, Deruta und Gualdo in Umbrien, im 15. und 16. Jahrhundert seine Zentren der Lüsterkeramik. Die Produktion wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts eingestellt. Die Abbildungen 1 bis 7 zeigen Lüsterkeramik von verschiedenen Herstellungsorten und aus verschiedenen Zeiten.
Kap. 15 Nördlich der Alpen war Lüsterkeramik ein begehrtes Importgut. Selbst in den Überresten der 1362 bei einer Sturmflut untergegangenen Ortschaft Rungholt im nordfriesischen Wattenmeer fand man eine Lüstervase mit arabischem Dekor. Sie befindet sich heute im NordseeMuseum in Husum. In Mitteleuropa entstanden Produktionsstätten erst sehr spät. So stammt die früheste in den Niederlanden hergestellte Lüsterkeramik wahrscheinlich erst aus dem 18. Jahrhundert.
Das Herstellungsverfahren Lüstermalerei wird üblicherweise auf eine fertig gebrannte Keramik aufgebracht. Dies war im islamischen Raum meist Quarzkeramik, in Europa häufig Tonkeramik, etwa Majolika. Als Unterlage werden meist opake, zinngetrübte Blei- Alkaliglasuren oder auch transparente bleilose Alkali-Kalk-Glasuren verwendet. Darauf wird mit Lüsterpaste, die das entsprechende Lüstermetall Kupfer, Silber oder Gold enthält, das Motiv aufgetragen, Andickungsmittel ist häufig Ockerpulver. So werden Flächen abgedeckt, aber auch Ornamente und figürliche Darstellungen gemalt. „Die Farbe des Lüsters ist ein komplexes Zusammenspiel von Zusammensetzung, Größe und Konzentration der niedergeschlagenen Partikel. In hoher Konzentration geben Kupferlüster einen dunkleren, rötlich-goldenen und kupfrigen Schein. ... Silber wird einfacher reduziert als Kupfer und begünstigt eine mehr gelbe, goldene Farbe“. 4 Der Brennprozess erfolgt in einem Töpferofen besonderer Bauart, in dem die Luftzirkulation besonders wichtig ist. Die Brennbedingungen sind reduzierend. Dazu werden kohlenstoffreiche Stoffe im Ofenraum verschwelt. Das kann Sägemehl sein, aber auch Buschwerk und anderes. Es entwickelten sich ungewöhnliche Geheimrezepte wie z. B. die dosierte Zugabe von einzelnen Pinienzapfen in den Ofen. Die Brenntemperaturen liegen um 600 °C, also bei knapper Rotglut. Der Brennprozess ist schwierig zu regulieren. Charakteristisch ist die Abb. 8: Lüsterbrand bei Piccolpasso, aus: Piccolpasso, Cipriano di Michele: I Tre Libri del Arte Vasaiao
252
Empfindlichkeit des Prozesses, eine kleine Abweichung von der richtigen Temperatur oder Brennzeit kann zu einem völlig unansehnlichen Ergebnis führen. Einmal gebildete Lüsterschichten können wieder verbrennen, sodass die Töpfer häufig gezwungen waren, in kurzen Zeitabständen in den Ofen zu schauen, die Entwicklung der Glasur zu kontrollieren und am optimalen Punkt den Brennprozess abzubrechen und abzukühlen. Die wohl ältesten schriftliche Angaben über den Lüsterbrand finden sich in dem „Buch der Gemahlinnen, welche die Edelsteine und Düfte sind“ von Abu’l-Qasim (Abo l-Qasem) aus Kaschan (Kashan), Iran, aus dem Jahre 1301. 5, 6 Abu’l-Qasim erwähnt auch den Brand in rauchiger, reduzierender Ofenatmosphäre und die Entnahme von Probestücken. Außerdem betrachtet er seine Arbeit als alchemistische Tätigkeit, als „eine Disziplin des Elixirs“. 7 Beispiele meisterlicher Lüsterarbeiten aus Kashan aus der Zeit Abu’l-Qasims sind auf den Abbildungen 2 bis 4 zu sehen. Detaillierte Angaben aus Europa finden sich in dem Buch „Die drei Bücher von der Kunst der Töpferei“ von Cipriano di Michele Piccolpasso 8 (1524–1579). Eine Abbildung aus diesem Buch (Abb. 8) stellt die Verhältnisse realistisch dar: Man sieht die starke Rauchentwicklung beim Reduktionsbrand sowie das Überwachen des Brennprozesses durch Entnahme von Probestücken mit einer Zange. Ein hervorragender Lüsterkeramiker der heutigen Zeit ist Alan Caiger-Smith. Sein Buch zu Geschichte und Technik der Lüsterkeramik 9 gilt als Standardwerk.
Glaubers Beitrag Glauber formuliert in „Explicatio Miraculi Mundi“ von 1656 folgende Arbeitsvorschrift:
„Die Glasierung der irdnen Geschirren/ daß sie werden und anzusehen seyn gleich einem natürlichen Metall/ ist eine schöne Wissenschafft/ aber glücket nicht allzeit/ dann man leichtlich die Farben verbrennen/ und durch zu starcke Hitze solche verderben kann/ dass keine metallische Glasur erscheinet: Sollen derohalben die Geschirr nicht in einem gemeinen Hafners-/ sondern in einem besondern darzu gemachten Ofen (daß man zum öfftern darzu sehen kan) glasuret werden. Wann die Glasur dem Gold oder Kupfer gleich seyn soll/ so muß man auch Gold/ Silber oder Kupfer darzu nehmen/ auff diese Weis: Nimb ein Theil Gold/ Silber oder Kupfer/ darzu Regul(i) Antim(onii) (= Antimon-Metall) 3 oder 4 Theil/ schmelz den Regul. Antim. unter das Metall/ pulverisire solches in einem stählern Mörsel/ und mische gleich so schwer guten Salpeter darunter/ lasse diese Mixtur in einem Tiegel verpuffen/ mit welcher Mixtur man das Erdengeschirr anstreichen/ und in dem darzu gemachten Ofen brennen soll; gehet man recht darmit umb/ so erlangt man ein überauß-schöne Glasur/ natürlich als wann das Erdengeschirr mit Gold/ Silber oder Kupfer überzogen wäre; gehet nicht ab/ und ist viel schöner als güldene/ silberne oder küpfferne Geschirr/ welche mit der Zeit/ wann sie gebraucht werden/ den Glanz verlieren/ diese aber nimmer/ so lang ein Stück daran ist“. 10 In der abgekürzten Fassung, die bereits 1653 in „Miraculum Mundi“ veröffentlicht wurde,
253
Kap. 15 heißt es dazu noch erläuternd:
„... daß man ein Erdengeschirr glasuren kan/ daß es anzusehen/ als wann es Sol.
(= Gold) Lun.(a) (= Silber) Ven.(us) (= Kupfer) oder ein ander Metall wäre/ und gleichwol
Glas ist/ das nicht abgehet; grossen Herren ihre Tafel zu zieren. Ist eine Rarität/ und bißhero noch unbekandtes Secretum“. 11
Glauber ist sich also der besonderen, historisch belegten Rolle dieser Keramik bewusst. Auch dass er diese Technik als ein zu seiner Zeit in Deutschland und den Niederlanden unbekanntes Secretum = Geheimnis bezeichnet, entspricht unserem heutigen Kenntnisstand. In der Arbeitsvorschrift beschreibt Glauber alle Einzelheiten richtig: den besonderen Ofen, die dauernde Überwachung, die niedrige Brenntemperatur, die Empfindlichkeit des Prozesses, den dauerhaften, vor Korrosion geschützten Glanz, ja selbst die Tatsache, dass man mit Silber üblicherweise gerade keinen Silberglanz erhält, sondern einen eher goldfarbenen Eindruck. In die Glasur-Rezepturen hat er aber wohl keinen Einblick bekommen, denn die von ihm vorgeschlagene Zusammensetzung ist völlig unüblich. Anstelle der sonst verwendeten Bleiglasuren entwickelte er eine von der Zusammensetzung her ungewöhnliche Kaliumantimonat-Glasur, die er noch dazu nach einem Verfahren herstellte, das einem Keramiker fremd sein müsste. Das Besondere ist nur: sie funktioniert!
Nacharbeitung von Glaubers Vorschlägen Der Keramiker Martin Kröger aus Höhr-Grenzhausen hat es dankenswerter Weise übernommen, Glaubers Glasur einzusetzen und nach dem in seiner Werkstatt üblichen Lüsterverfahren zu brennen. Pottasche, Antimonoxid und Kupferoxid wurden in dem von Glauber angegebenen Verhältnis gemischt, Probescherben mit der Mischung bestrichen und das Ganze unter Lüsterbedingungen gebrannt. Auf die besondere Herstellung der Mischung durch Verpuffung ausgehend von den Metallen und Kalisalpeter wurde verzichtet. Außer von der Brenntemperatur, wie zu erwarten, war der Erfolg der Glasur wesentlich von der Schichtdicke abhängig: In nicht zu dicker Schicht aufgetragen, löste sie den keramischen Untergrund etwas an und änderte damit ihre Zusammensetzung so, dass sie glatt aufschmolz und einen schönen Kupfer-Lüstereffekt zeigte: metallische Reflexe auf rötlichbraunem Untergrund.
ge Glasurmischung zur medizinischen Nutzung herzustellen. 12 Weiterhin empfiehlt Glauber in „Operis Mineralis Teil III“, eine Mischung aus Zinnpulver, Sägemehl, Schwefel und Salpeter zu entzünden und danach aus der Asche mit Hilfe von Kohle das Zinn zurückzugewinnen, dann werde es etwas mehr Gold enthalten als vorher. 13 In demselben Sinne schreibt der durch sein Buch „Atalanta Fugiens“ bekannte Alchemist Michael Maier (1569–1622) in seinem „Memoriale“ 14 an Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, um Gold zu machen, müsse man es nur schaffen, dauerhaft etwas mehr chemische Energie (er sagte damals „fixer Sulfur“) in ein Metall hineinzubekommen. Das könnte auch Glaubers Vorstellung gewesen sein. Er folgt den Arbeitsmethoden, die er im Labor gewöhnt ist, und den Gedankengängen, die versprechen, in der schönen Glasur vielleicht noch ein bisschen mehr Edelmetall herauszubekommen, als er hineingesteckt hat.
Abb. 9: Lüsterglasur nach J. R. Glauber auf einem Probescherben, Martin Kröger, Höhr-Grenzhausen (Foto: Monika Gass)
Mögliche Herkunft von Glaubers Ideen Doch was hat Glauber bewogen, nicht von den üblichen Oxiden und Carbonaten, sondern von den extra hergestellten Metallen auszugehen und das merkwürdige Verpuffungsverfahren anzuwenden, bei dem vor allem metallisches Antimon und Salpeter nach Art eines Funkenregens beim Feuerwerk miteinander reagieren? Glauber dachte hier sicher nicht wie ein Keramiker. Derartige Reaktionen waren zu seiner Zeit im Alchemistenlabor jedoch nicht ungewöhnlich. Im Buch „Furni Novi Philosophici, Teil V“ verwendet er diese Methode z. B., um aus Antimonium crudum = Antimonsulfid Sb₂S₃ und Kalisalpeter eine kaliumantimonathalti-
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Abb. 10: Lüsterglasur nach J. R. Glauber in künstlerischer Gestaltung, Martin Kröger, Höhr-Grenzhausen (Foto: Monika Gass)
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Kap. 15 1
Helmecke, Gisela: Lüster- und Quarzkeramik in der islamischen Welt, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 84–92
2
Werthmann, Rainer: Porzellanimitation und Lüsterglasuren bei Johann Rudolph Glauber (1604–1670), vergessene Keramikrezepturen eines Alchemisten der Barockzeit, in: Neue Keramik 4/2006, 34–35
3
kurz gefasst nach: Helmecke, Gisela: Lüster- und Quarzkeramik in der islamischen Welt, in: R. Busz und P. Gercke (ed.): Türkis und Azur – Quarzkeramik in Orient und Okzident, Wolfratshausen 1999, S. 84–92
4
Kingery, W. D., Vandiver, P. B.: Ceramic Masterpieces: Art, Structure and Technology; New York/London 1986
5
Ritter, H., Ruska, J., Winderlich, R.: Eine persische Beschreibung der Fayencetechnik von Kaschan aus dem Jahre 700h/1301AD. Istanbuler Mitteilungen 3, 16–56 (1935)
Michaud, R. u. S., Barry, M. : Farben des Himmels: Zauber orientalischer Fayencen, Paris 1995; deutsche Übersetzung Stuttgart und Zürich 1996, S. 266
8
Piccolpasso, Cipriano di Michele: I Tre Libri del Arte Vasaiao (The Three Books of the Potter‘s Art), übersetzt von A. Caiger-Smith und R. Lightbown, Scolar Press 1980
9
Caiger-Smith, Alan: Lustre Pottery: Technique, Tradition and Innovation in Islam and the Western World; Faber and Faber, London/Boston 1985
10
Glauber, Johann Rudolph: Explicatio Miraculi Mundi, in: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 190/191
11
Glauber, Johann Rudolph: Miraculum Mundi, in: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 148
12
Glauber, Johann Rudolph: Furni Novi Philosophici, Philosophischer Oefen Fünffter Theil, in: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1659, S. 270. Da antimonhaltige Heilmittel bei zu hoher Dosierung giftig wirken, war Glaubers Anweisung, kleine keramische Becher mit antimonhaltiger Glasur herzustellen, eine hervorragende Dosierungshilfe: Sie wurden über Nacht mit (saurem) Wein gefüllt, der bis zum Morgen so viel Antimon aus der Glasur herauslöste, dass er zwar das gewünschte therapeutische Erbrechen verursachte, weitere Schädigungen abergering blieben.
13
Glauber, Johann Rudolph: Operis Mineralis Dritter Theil, in: Opera Chymica, Frankfurt am Main 1658, S. 383/384
14
Maier, Michael, „Memoriale“ an Landgraf Moritz von Hessen-Kassel, Kassel, Murhardsche Bibliothek, Handschriftensammlung, Signatur 2° MS Chem 19, Blatt 279–282
256
257
Kap. 16 Das Rot aus dem Gold – das Gold aus dem Rot Glauber und das Goldrubinglas Rainer Werthmann
Der Stein der Weisen Welche Eigenschaften müsste der Stein der Weisen haben, wenn es ihn denn gäbe? Das wusste man zu Glaubers Zeiten sehr genau. Blutrot musste er sein, unangreifbar durch das Feuer, eindringend in geschmolzene Metalle, durchscheinend wie farbiges Glas, und dabei hämmerbar wie ein Metall. Nachschlagen kann man das z. B. in dem Buch „Atalanta Fugiens“ von Michael Maier (1569–1622), Emblem Nr. 29 1, wo der Stein der Weisen als das im Feuer lebende mythische Wesen Salamander allegorisch abgebildet wird. Man stellte sich den Stein der Weisen als dasjenige in konzentrierter Form vor, was ein Metall erst zu Gold macht, den „Extrakt“, die „Tinktur“ (= farbige Flüssigkeit) oder auch die „Seele“ des Goldes, was daher unedle Metalle in Gold verwandeln, aber auch aus Gold gewonnen werden konnte. Gold war sozusagen eine winzige Menge vom Stein der Weisen, verdünnt mit Silber, so wie eine Prise des in reinem Zustand roten Gewürzes Safran etwa eine ganze Mahlzeit Reis goldgelb färben kann. 2 Allerdings wurde diese besondere Substanz als nahezu nicht materiell gedacht, als beinahe reine Energie, beinahe reine Farbe, „belastet“ nur mit einem bißchen Materie. Daraus erklärt sich etwa die Feststellung des französischen Alchemisten Jean d’Espagnet (1564–1637), der Stein der Weisen sei eine Lagerstätte des Feuers, „une minière de feu“ 3, oder auch Michael Maiers Illustration als Feuerwesen Salamander.
Abb. 1: Der Stein der Weisen als das feuerfeste Fabelwesen Salamander, Michael Maier, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem XXIX (Bild: SLUB Dresden)
258
Glauber waren diese Aussagen über den Stein der Weisen bekannt. Er war Pragmatiker genug, um sich nicht ohne konkrete Erfolgsaussichten in das unsichere und kostspielige Abenteuer seiner Herstellung zu stürzen, zumal auch bei seinen Zeitgenossen kontrovers diskutiert wurde, ob diese Substanz überhaupt jemals erhalten werden könnte. Daher schreibt Glauber in seinem Buch „Philosophischer Öfen Vierdter Theil“ (= Furni Novi Philosophici Teil IV) unter der Kapitelüberschrift „Was von dem Lapide Philos(ophorum) zu halten“, über den Stein der Weisen sei seit 1000 Jahren so viel geschrieben worden, dass er dem nichts hinzuzufügen brauche. Er habe zwar viel darüber gelesen, Verlässliches und weniger Verlässliches, aber „mich niemalen darumb bekümmert oder bemühet/ ein solch grosses Werck unter die Hände zu nehmen/ und zu verfertigen“. 4 Die genauen Vorstellungen vom Stein der Weisen basierten auf Schlussfolgerungen aus der damals allgemein üblichen, auf Beobachtungen gestützten und auf Aristoteles zurückgeführten Theorie der Metalle, der Sulfur-Merkur-Theorie. Hiermit arbeitete Glauber erfolgreich, und so kam er immer wieder an den Punkt, an dem sich ihm die Frage stellte, ob er nicht vielleicht doch gerade den Stein der Weisen oder zumindest eine Vorstufe davon in Händen hielte. Er berichtet dann auch in dem oben erwähnten Buch, er habe viele Jahre lang viel Zeit, Mühe und Kosten darauf verwendet, dem Gold seine Tinktur und Seele zu extrahieren, weil immerhin eine gute Medizin daraus zu machen sei.
259
Kap. 16 Goldrubinglas Einige dieser Versuche führten in der Tat zu roten goldhaltigen Lösungen und Gläsern. In ihnen liegt nach heutigem Verständnis metallisches Gold in so feinen Partikeln vor, dass sie in der Größenordnung der Wellenlänge des Lichtes liegen und unter anderem völlig veränderte optische Eigenschaften haben. Systeme, in denen ein Stoff von derart geringer Teilchengröße verteilt ist, heißen Kolloide. 5 Auch Goldrubinglas erhält seine Farbe durch kolloidales Gold. Glauber beschreibt im zweiten Teil von „Furni Novi Philosophici“, Kapitel LXXXII, wie er ausgehend von einer Lösung von Gold in Königswasser zu roten Produkten kommt 6 : Aus der Goldlösung wird mit Kaliwasserglaslösung ein gelber Niederschlag gefällt, gewaschen und getrocknet. Das entstehende Pulver ähnele einer gelben Erde. Wenn man es in einem Tiegel erhitze, verwandele sich das Gelb in die allerschönste Purpurfarbe, bei zu langem Erhitzen werde das Pulver aber braun und ziegelfarben. Trocknet man gemäß der Vorschrift in „Furni Novi Philosophici“, vierter Teil, Kapitel XII den zunächst erhaltenen gelben Niederschlag nicht, sondern kocht ihn ein paar Stunden in der ihm noch anhaftenden Lösung, entwickelt sich die rote Farbe ebenfalls, lässt sich sogar von der Kieselsubstanz abtrennen und mit Alkohol extrahieren. 7 Mischt man gemäß „Furni Novi Philosophici“, Kapitel LXXXIII hingegen in einem Schmelztiegel einen Teil des gelben Niederschlags mit drei oder vier Teilen der ursprünglichen Wasserglaslösung und dampft das Wasser ab, indem der Tiegel langsam bis zum Glühen erhitzt wird, steigert dann noch einmal etwa eine Stunde lang das Feuer, so dass der Tiegelinhalt dünnflüssig wird wie Wasser, so entsteht eine Schmelze, die „einem durchsichtigen schönen Rubin gleich“ geworden ist. 8 Das so erhaltene GoldrubinAbb. 2: Goldrubinglas nach Glauber, nachglas verarbeitet Glauber aber nicht zu Glasgegengearbeitet von W. Scheld, Justus-LiebigUniversität Gießen (Foto: Heiko Barth) ständen wie einige Jahrzehnte später sein Alchemistenkollege Johannes Kunckel, sondern er pulverisiert es, extrahiert es mit Weingeist und verwendet es als Medizin, als aurum potabile = trinkbares Gold. Die Abbildung zeigt eine nach diesem Rezept nachgearbeitete Probe Goldrubinglas.
Vorstellungen von der Natur der Metalle Nach heutigem chemischem Verständnis entwickelt sich aus dem Niederschlag aus Goldhydroxid bzw. -silicat durch längeres mildes Erhitzen feinst verteiltes Gold von roter Farbe. Glauber brachte die Farbe zwar auch mit dem Gold in Verbindung, zog aber ganz andere Schlüsse. Für ihn war die rote Substanz zumindest ein Kandidat für die „Seele des Goldes“, Goldeigenschaft in konzentrierter Form, also so etwas wie der Stein der Weisen. Daher waren
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für ihn auch gleich zwei andere Fragen wichtig: Bleibt beim Auflösen des Goldes ein blasses, „entseeltes“ Metall zurück, und kann man mit dem roten Stoff Silber wieder golden färben? Interessant ist, mit welchen Argumenten er sein Forschungsergebnis diskutiert:
„Möchte jemand fragen/ ob dann nun diese Medicin für ein wahre Tinctur auri anzunehmen/ oder noch eine bessere zu finden sey? Darauff ich antworte/ daß zwar solches von vielen dafür gehalten/ und auch allhier von mir also genennet wird/ kan aber nicht dafür bestehen, dann ob schon dem Gold durch solche Weiß etwas von seiner Krafft entzogen wird/ so behält gleichwol dasselbe noch sein Leben (= seinen metallischen Zustand)/ ob es schon schwach und bleich worden ist/ weilen es seine vorige gesunde Farbe von einem unachtsamen (= unauffälligen) Mineral leichtlich wider erlangen kan/ so sein wahre Tinctur oder Anima von ihme gewichen were/ fürwar ein geringes Mineral würde dasselbe nicht wieder lebendig machen können/ sondern müste durch etwas geschehen/ welches nit allein nur so viel Leben bey sich hat/ als es selbsten vonnöten/ sondern müste überflüssige (= überschüssige) macht haben andern toden Dingen das Leben zu geben. ... Also kan es auch mit dem Gold verstanden werden/ wann nemblich ihme sein schöne Farb entzogen/ und doch das Leben gelassen wird/ so kan dieselbe hernach gar leichtlich ihme durch das Antimonium, als sein Medicin/ wie auch durch Eysen und Kupffer wiederumb geben und erstattet werden/ also daß es sein vorige schöne Farb wiederumb erlanget/ daß man auch im geringsten daran nicht sehen kan/ daß ihme etwas zuvorn gemangelt hätte. So aber ihme sein Leben gänzlich von dem Cörper geschieden wird/ so ist es unmöglich/ daß es ihme durch gemeine Metallen oder Mineralien wiederumb gegeben kann werden/ sondern muß durch etwas geschehen/ welches mehr ist/ als das Gold selbsten gewesen. ... Gleich wie nun gehöret/ daß gleich seinem gleichen nicht helffen könne/ sondern derjenige/ der helffen soll/ mehr seyn müsse/ als dieser der Hülffe von ihm suchet/ darauß zu mercken ist/ daß ein solche Tinctur, dessen hinderbleibende corpus, (davon dieselbe gezogen) noch Gold ist/ kein vera Tinctura seyn kan“. 9 „Deßgleichen wann dem Kupfer seine wahre Tinctur benommen wird/ so ist das übrige kein Metall mehr/ kan mit keiner Kunst oder Gewalt des Fewers wiederumb in ein metallisch Wesen gebracht werden. NB. So ihme aber etwas Tinctur gelassen wird/ so kann es in ein brüchig grau corpus reducirt werden/ dem Eysen gleich/ doch brüchig“. 10 Daraus lässt sich geradezu die chemische Gleichung entwickeln: Erdartiger Stoff + „Seele des Goldes“ = Gold.
Rote Farbe aus anderen Quellen Der rote Stoff aus Gold war nach Glaubers Ansicht also keinesfalls fein verteiltes Gold, auch nicht eine goldverwandte Substanz, sondern nahezu reine Energie. Von dieser Denkweise rühren auch seine Überlegungen an anderer Stelle, das wahre, wirksamste trinkbare Gold könne auch farblos sein, denn auf die Substanz komme es gar nicht mehr an. Wenn aber die
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Kap. 16 Essenz nahezu reine Energie sein soll, dann muss man sie auch aus anderen Stoffen als Gold machen können. Einen erst auf den zweiten Blick genialen Versuch dazu beschreibt Glauber in seinem Buch „Johannis Rudolphi Glauberi, Reichen Schatz- und Sammel-Kastens. Oder Appendicis Generalis Zweite Centuria“ 11. Hier geht es nach heutiger Lesart um die Herstellung von Natriumpolysulfid aus seinem geliebten Sal mirabile, dem Glaubersalz. Schmilzt man wasserfreies Natriumsulfat und fügt Holzkohle hinzu, wird das Sulfat zu Sulfid und Polysulfid reduziert. Die erkaltete Schmelze ist eine braunrote (!) Substanz, ähnliche Stoffe werden wegen ihrer leberbraunen Farbe heute noch Schwefelleber genannt. In Wasser löst sich das Produkt mit grüner Farbe auf. Nach ein paar Stunden an der Luft wird die Flüssigkeit zunächst weißlich-trüb, bei längerem Stehen gelb. Silber wird von der Lösung oberflächlich gelb (!) gefärbt. Bei Zugabe von Säure fällt Schwefel aus, „in allen Abb. 3: Schwefel (links) sowie Natriumpolysulfid (rechts), das Dingen dem Mineralischen gleich“. durch Schmelzen von entwässertem Glaubersalz mit Kohle Glauber weist darauf hin, dass hergestellt wurde (Foto: Heiko Barth) diese Reaktion nicht nur mit Holzkohle funktioniere, sondern mit allen Pflanzenteilen. Der wunderbar reine Schwefel sei in der Kohle bzw. den Pflanzenteilen enthalten gewesen. An dieser Stelle stutzt der heutige Chemiker. Denn Glauber hat vorher mit keinem Wort erwähnt, dass er besonders schwefelhaltige Kohle ausgewählt hätte, zumal gerade Holzkohle keinen hohen Schwefelgehalt hat. Doch genau wie bei seiner Beschreibung metallurgischer Versuche der „verbrennliche Schwefel“ (gewöhnlicher, meist aus Erzen stammender Schwefel) und der „fixe Schwefel“ (dem Metall innewohnende Energie, die bei der Korrosion verloren geht und im Schmelzofen wieder zugeführt werden kann) mit demselben Wort bezeichnet werden, so auch in diesem Text. Wenn Kohle selbst als „ein Schwefel“ tituliert wird, liegt es nahe, dass Glauber hier nicht die Substanz, sondern die übertragene Energie, das übertragene Reduktionspotential meint. Und das ist auch nach heutigem Verständnis das einzige, was von der Kohle in den Schwefel gelangt ist. Vereinfacht kann man formulieren: Reduktionsmittel Kohlenstoff C + Oxidationsmittel Glaubersalz Na₂SO₄ → Reduktionsmittel Schwefel S + Oxidationsmittel Natriumcarbonat Na₂CO₃ + Oxidationsmittel Kohlendioxid CO₂
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Innewohnende Energie in Form von Brennbarkeit = gespeichertes Element Feuer, genau das, was Glauber als wesentliches Kennzeichen des Goldes vermutet, hat er von der Kohle auf Schwefelverbindungen übertragen. Das Reaktionsprodukt ist dazu beinahe rot und färbt Silber ein bisschen golden – eine hoffnungsvolle Perspektive, demnächst doch noch den Stein der Weisen zu finden. Ein weiteres Argument für diese Lesart liefert Glauber, indem er zur Erläuterung seines Versuchs auf eine Stelle in der Abhandlung über den Sulfur12 (lat. für Schwefel) von Michael Sendivogius (1566 - 1636) verweist. Hierin geht es überwiegend nicht um Schwefel als Substanz, sondern um Sulfur als eines der drei alchemistischen Prinzipien Sulfur, Merkur und Sal. Sulfur ist dabei das Prinzip des Brennbaren und der innewohnenden Energie. Sendivogius macht dazu im Text u. a. folgende Aussagen: Der wahre Sulfur als mächtiges Prinzip ist nicht unmittelbar sichtbar, sondern nur in seinen Wirkungen. Er ist verborgen, gleichsam in einem dunklen Gefängnis gefangen. Seine Wirksamkeit zeigt sich überall in der lebendigen und blühenden Natur. Ein Alchemist, der den Begriff Sulfur nur auf die Substanz, etwa in Form von „Schwefelkerzlein“ zum Ausräuchern von Fässern, einengen will, ist nach Sendivogius’ Auffassung ein ungebildeter, naiver Dummkopf. So gesehen enthalten auch Kohle und alle Pflanzenteile Sulfur im Sinne von Brennbarkeit, und der wunderbare Charakter von Natriumsulfat, Glaubers Sal mirabile = Wundersalz, zeigt sich darin, dass es diesen verborgenen Sulfur als sichtbaren Schwefel zu zeigen vermag.
Trinkbares Gold Auch auf diesen Natriumsulfat-Prozess scheint Glauber die Herstellung einer Variante des trinkbaren Goldes aufgebaut zu haben. Glauber verkaufte trinkbares Gold zu hohen Preisen. Was bei dieser Rezeptur 13 zuerst auffällt, ist die für Glauber sonst recht unübliche „verblümte“ Sprache, mit der vor allem Alchemisten der vorhergehenden Epochen ihre Forschungen beschrieben haben:
„Nimb ein Theil lebendig Gold/ und drey Theile lebendigen Mercurium, doch nicht des gemeynen/ sondern dessen/ welchen die Philosophi kennen und lieb haben/ auch allenthalben ohne Mühe und Kosten zu bekommen ist. (Man kan auch so viel als des Goldes ist/ lebendig Silber dazu nehmen/ ist besser als Gold allein/ und erzeygen sich alle Farben/ schöner als wann Gold allein genommen wird/ welches die Vermischung Mannes und Weibes verursacht ...) setze solche zusammen in Vase Philosophico zu solviren/ so wird der Mercurius das Gold und Silber in einer viertel Stund radicaliter auffschliessen/ und auß beyden eine Purpurfarbe solution werden/ so solches vernommen/ so stärcke das Fewer noch ein wenig/ so wird sich die Purpurfarb alsobalden in die allerschönste Grüne verwandelen/ diese nimb auß/ gieß ein Aquam roris (= Wasser aus Tau) darauff zu solviren/ welches in einer halben Stund geschehen kann/ und las die Solution durch ein filtrier Papier lauffen/ thue solche in einen gläsern Kolben/ setze einen Helm darauff/ und abstrahire in Balneo das Wasser davon/ gieß solches oder ein anders wiederumb darauff/ ziehe es abermahlen davon/ solches thue dreymal/ unter dessen wird sich die Grüne noch einmal entschliessen/ kohlschwartz werden als Schreibdinten/ und einen grossen
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Kap. 16 Gestanck von sich geben/ ärger als ein Cadaver, darfür man sich hüten muß/ und muß das Wasser zu etlich malen/ wann es davon abstrahiret ist/ wiederumb darauff geschütt/ und digeriret werden/ so wird sich endlich die Schwärtze und Gestanck innerhalb vierzig Stunden gantz und gantz verlieren/ und ein weisse Liquor daraus werden/ schöner als ein Milch/ daran im geringsten kein Gestanck mehr gespüret wird. So solches geschehen/ muß man alle Feuchtigkeit davon ziehen/ so wird eine weisse truckene Massa zurück bleiben/ welche sich dann in wenig Stunden in linder Wärme/ (nach Erscheinung vieler schönen Farben) wiederumb in eine Grüne verwandlen wird/ die der Ersten an Schöne weit vorgehet und übertrifft. Auff solche Grüne muß man einen reinen dephlegmirten Spiritum Vini giessen/ also daß er zwey oder drey zwerg Finger darüber stehe/ und in einem Glas mit einem langen Hals/ auff eine gelinde Wärme stellen/ so wird das wol auffgeschlossen/ und bereyte grüne Gold den Spiritum Vini alsobalden wegen grosser Liebe und Freundschafft zu sich ziehen/ gleich als ein truckner Schwamm gemeyn Wasser/ und sein allerbeste Essentz oder Seele/ als ein blutrote Farb ihme einverleiben/ dardurch also der Grüne seine lebendigmachende Tinctur und wachsende Krafft entzogen/ und in eine Röte verwandelt wird. Das übrige Corpus aber/ welches nicht Tinctur ist/ bleibt als ein Aschenfarbes Pulver zurück ligen. Den tingirten Spiritum muß man abgiessen/ filtriren, und im Balneo in einem gläsern Kolben von der Farb abstrahiren, so wird sein fewrige Essentz sich mit der Tinctura Auri conjungiren und verbinden/ also daß nur ein Feuchtigkeit gleich als ein ungeschmack Wasser übergehet/ die Krafft aber desselben sampt der Tinctura Solis als ein blutrothes/ fewriges/ flüssiges/ und flüchtiges Saltz zurück bleiben. Dessen rothen Löwen ein einiges Gran ein gantze Untz Spiritus Vini, oder andern Liquoris Blutrot machen kann/ dann es solvirt sich in allen Feuchtigkeiten gar gern/ und kan also in forma liquida als ein Panacea, in vielen langwürigen/ und von den Medicis verlassenen Kranckheiten mit Ehren gebraucht werden.“ Immerhin ist aus dem Text Folgendes zu entnehmen: - Das Lösungsmittel für Gold ist nicht Quecksilber, sondern eine absichtlich nicht näher bezeichnete andere Flüssigkeit. (Kurz vorher legt Glauber in derselben Abhandlung nahe, diese Flüssigkeit sei nicht durch Destillation gewonnen:
-
„...sondern die Natur hat ihnen ein ander Wasser dargegeben freywillig ohne Zwang der distillation“.) 14
Auch die Art des Reaktionsgefäßes wird im Dunkeln gehalten. Am Ende der Reaktion ist das Produkt zunächst purpurfarben, dann grün. Es wird mit Tauwasser versetzt, filtriert und destilliert. Das Destillat wird dreimal wieder auf das Produkt gegossen und nochmals abdestilliert, dabei wird es schwarz und stinkt „ärger als ein Cadaver“. - Nach vielfacher Wiederholung des Aufgießens und Abdestillierens während vierzig Stunden wird das Produkt weiß und „schöner als ein Milch“. - Das Wasser wird abdestilliert und der zurückbleibende weiße Niederschlag mit Weingeist versetzt.
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- Es entsteht eine rote Lösung, von dieser wird nach Filtration der Weingeist abdestilliert. - Zurück bleibt „ein blutrothes/ fewriges/ flüssiges/ und flüchtiges Saltz“. Dies ist das eigentliche Endprodukt. Einer von Glaubers Kritikern mit dem Pseudonym C.D.M.A.S. veröffentlichte in seiner Schrift „Gründliche Widerlegung etlicher Johann Rudolff Glaubers zu Amsterdam herausgegebener Schriften“ 15, wie nach seiner Meinung Glauber bei der Herstellung seines Aurum potabile tatsächlich vorgegangen sei. Die Aussagen polemischer Schriften sind bezüglich ihres Wahrheitsgehaltes zwar immer mit Vorsicht zu behandeln. C.D.M.A.S. könnte in diesem Falle aber richtig liegen, denn seine Angaben führen den erfahrenen Chemiker von heute nicht nur zu einer plausiblen Interpretation der meisten von Glauber beschriebenen Phänomene, sondern basieren darüber hinaus auf Reaktionen, die Glauber in einer späteren Schrift mit weit weniger Geheimnistuerei selbst veröffentlicht hat. Dort erwähnt er einen ganz ähnlichen Prozess, nur ohne Goldzugabe16, bei dem bereits eine ganze Reihe der beschriebenen Phänomene auftritt und von dessen Endprodukt er schreibt: „...so erlangt man ein uberaus herliche Medicin, einem Auro Potabili nicht viel bevor gebende ...“. 17 Ein paar Seiten weiter erwännt er sogar, wie dabei auch eine kleine Menge Gold mit aufgelöst werden kann. 18 Glauber dürfte also mit seiner späteren Veröffentlichung C.D.M.A.S. selbst auf die Spur geführt haben, sein Aurum potabile zu entzaubern! Danach war das „Vas philosophicum“ wohl ein gewöhnlicher Schmelztiegel. Das geheimnisvolle, nicht durch Destillation gewonnene Lösungsmittel war eine mit Kohle versetzte Natriumsulfatschmelze, also die oben erwähnte braunrote Schmelze aus Natriumsulfid und Natriumpolysulfid. Bei Behandeln der erkalteten Schmelze mit Wasser entsteht eine grüne Lösung, aus der die im Anfang zugegebenen Edelmetalle als Metalle oder Sulfide als dunkler Niederschlag ausfallen. Selbstverständlich stinkt diese Lösung „ärger als ein Cadaver“, nämlich nach dem bei der Hydrolyse entstehenden Schwefelwasserstoff! Von dem danach beschriebenen Destillationsprozess kann man erwarten, dass durch Hydrolyse und langsame Luftoxidation ein weißer bis hellgelber Niederschlag von Schwefel, Polythionsäuren etc. ausfällt, der den ursprünglichen, bereits abgesetzten dunklen Niederschlag überdeckt. Beim Eindampfen zur Trockne bleibt nicht nur der Schwefel zurück, sondern auch alle Salze wie Natriumsulfid, Natriumpolysulfid und das durch die lange Destillationsprozedur daraus entstandene Natriumhydroxid und -carbonat. Was sich im darauf gegossenen Weingeist löst und beim Abdestillieren des Alkohols zurückbleibt, muss noch geklärt werden – vielleicht sind es Spuren von unzersetztem Natriumpolysulfid. Glauber erhielt jedenfalls gemäß der späteren Veröffentlichung eine rote Lösung auch ohne Goldzugabe. Eine Nacharbeitung dieser Vorschriften im Labor ist geplant. Für einen Menschen, der mit den traditionellen Stufen des alchemistischen Großen Werkes 19 vertraut ist – und das dürfte damals mehr oder weniger zur Allgemeinbildung gehört haben – hat Glaubers Beschreibung einen durchaus suggestiven Charakter. Danach muss
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Kap. 16 eine Substanz zunächst schwarz werden und gleichsam sterben und verfaulen. Dies ist die Stufe der nigredo = Schwärze, der Zerstörung der bisherigen Struktur. Man nennt sie auch putrefactio = Faulung. In Glaubers Prozess fällt nicht nur ein schwarzer Niederschlag aus, sondern die Substanz entwickelt dazu noch den fäulnishaft riechenden Schwefelwasserstoff. Durch die häufig wiederholte Destillation entsteht ein weißer Niederschlag. Im Großen Werk ist die albedo = Weiße, Weißheit die Stufe des Neubeginns. Danach sollte sich das frisch entstandene Neue zu derjenigen konzentrierten Substanz formen, die die „Seele des Goldes“ darstellt und die Fähigkeit hat, unedle Metalle in Gold zu verwandeln. Dazu muss sich eine rote Färbung entwickeln. Auch bei Glaubers Reaktionsverlauf bildet sich am Ende eine rote Substanz. Im Rezept für die goldfreie Zubereitung ist er sich der Symbolwirkung der Farben sehr wohl bewusst und schreibt:
„Kombt also auß dem abgetödtetem Holz ... des Holzes oder Krauteß Grüne/ und nach der Extraction per Spiritum Vini seine schöne rothe Farb/ und anmutiger Vegetabilischer Geruch wiederumb vor den Tag/ welche in der schwarzen Koelen verborgen waren. ... Und wird also der schwarze Todte/ ... wiederumb lebendig unnd Grünend“. 20
Und wenn am Schluss wirklich, wie der moderne Chemiker vermutet, überwiegend rötliche Schwefelverbindungen herausgekommen sind, so ist deren Entstehung doch sehr wirksam und bildkräftig inszeniert worden. Hier stellt sich die Frage: War Glauber ein Betrüger und Scharlatan, wie C.D.M.A.S. es ihm vorwirft, oder hat er selber daran geglaubt, die „Seele des Goldes“ in der Hand zu haben? Aus der in diesem Fall besonders blumigen Beschreibung von Reaktionen, die er an anderem Ort auch sehr viel nüchterner darstellen konnte, lässt sich schließen, dass er, quasi als „Marketingmaßnahme“, bei seinen Kunden Vorstellungen erweckt hat, an die er in diesem Ausmaß selbst nicht geglaubt hat. Viele Stellen in seinen Büchern deuten aber darauf hin, dass er es immer für möglich gehalten hat, vielleicht doch noch die Essenz des Goldes zu finden, und es auch der Mühe wert fand, darauf hinzuarbeiten. Die unten wiedergegebene, nüchterne Ansicht des 26 Jahre jüngeren Kunckel hätte er bestimmt nicht geteilt.
Rote Gläser Über farbige Gläser, Amausen genannt, schreibt Glauber in der 1. Centurie seines „Appendix Generalis“. Er ist hier der Ansicht, dass das Wesen der Metalle, die innewohnende Energie, ihre Seele, als Farbe in glasartigen Stoffen gefasst werden könne. Zum Herausholen dieser konzentrierten Energie unter gleichzeitiger Veredelung der Metalle sei es nötig, ein Lösungsmittel zu finden, das nicht das ganze Glas auflöst, sondern das so energieverwandt ist, dass es nur die Farbe zu extrahieren vermag. Diese Vorstellung fasziniert Glauber, er gibt aber zu, das besondere Lösungsmittel noch nicht gefunden zu haben: „So viel mir bewußt/ hat kein Skribent (= Schreiber, Autor) klarer davon geschrieben/
als Isacus Hollandus21 in einem Capitel de Amausis. Da er lehret/ wann jemand so weit kommen/ daß er die Metallen in durchsichtige Gläser mit ihren Farben zu bringen wisse/
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daß er weit gekommen sey. Gibt ein Gleichnuß von der Menschen Clarificirten Leibern nach diesem absterben/ und sagt: Die Seelen der Metallen leuchten auß ihren Amausis oder Clarificirten Leibern mit ihren schönen Farben/ gleich wie die Seelen der Menschen in jener Welt/ auß ihren Clarificirten Leibern einmal leuchten werden. Und sagt weiters: Wann solche Amausae wieder Corporalisch (= zu Körpern, Substanzen) gemacht werden/ daß die Amausen von Kupfer und Eisen fix seyn/ von Silber aber Gold/ und von Gold ein Tinctur seyn würden. Wie aber solches geschehen müsse/ sagt er nicht klar/ und lehret auch nicht weiters darmit zu Procediren. Aber nach meiner/ doch unmaßgeblicher Meinung solte dieses der nächste weg seyn/ der Metallen Seelen/ oder reine Sulphura zu erlangen/ wann nemblich dieselbe erstlich in Amausa, oder durchsichtige Gläser bereitet würden/ auß welchen Gläsern dann ihre Seelen leichter/ als aus den groben Leibern zu extrahiren. Es gehört aber ein solches Menstruum (= Lösungsmittel) zu solcher Extraction, welches das ganze Corpus nicht angreifft und solviret, sondern nur die Farb und reinsten Sulphur deß Metals darauß extrahiret, und den todten Leib weis (= weiß) liegen läst. ... Und soll aber das Menstruum solche Metallische Gläser zu extrahiren, also genaturt seyn/ daß es nicht solvire (= löse), sondern bloß und allein den Sulphur, oder reine Animam (= Seele) der Metallischen Gläser extrahire. Von welcher Art Menstruis auch Paracelsus gedacht/ daß man dardurch einem blawen Saphir, rothen Rubin, grünen Schmaragd, oder gelben Hiacinthen, ihre Farben extrahiren, dass die Steine weiß liegen bleiben ...“. 22 Rote Minerale Die Darstellung von braunrotem Natriumpolysulfid mit Hilfe der energiereichen Substanz Holzkohle wird Glauber sicher als erfolgversprechenden Schritt auf dem Weg zum Stein der Weisen verbucht haben. Warum sollte man da nicht auch rote Naturstoffe untersuchen, die versprachen, die „Seele des Goldes“ bereits in sich zu tragen? Es bieten sich da die Edelsteine und Halbedelsteine an: Rubin, Jaspis und vor allem Granat. Hierzu macht Glauber in seinen Büchern eine ganze Reihe von Angaben, z. B.: „Es ist gewiß/ daß alle Granaten, roth/ schwarz/ graw (= grau) oder braun/ wie sie
gleich Farben haben/ oder wo sie auch gefunden werden ... allzeit viel Gold halten/ aber wegen ihrer Glaßachtigen (= glasartigen) Natur, mit starcken wassern/ unmüglich zu extrahiren, und auch wegen ihrer hartflüssigkeit mit dem Blei nicht können angesotten und geschmolzen werden: Darumb biß dato von denselben kein Gold mit Nutzen ist gezogen/ sondern als unwürdige Bergarten (= Gesteine) seynd verworfen worden/ da doch mit geringer Mühe und Arbeit viel Gold darauß zu erlangen/ müglich“. 23
Dass er mit diesen Mineralien Versuche gemacht hat, darauf deutet auch ein Quelle ganz anderer Art: 1668, zwei Jahre vor seinem Tod, löste er aus Krankheitsgründen sein Labor auf und veröffentlichte in dem Buch „Glauberus concentratus Laboratorium Glauberianum“ eine Liste von Büchern, Laborgeräten, Produkten und auch Rohstoffen zum Verkauf, darunter eine auffällig große Menge verschiedener Granate, z. B. von einer Sorte „12 Pfund“, von einer ande-
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Kap. 16 ren „etliche Pfunden“. Sie stammten nach seinen Angaben von mehreren europäischen Fundorten und sogar aus den englischen und französischen Kolonien Nordamerikas. 24 Weitere Kandidaten für die goldmachende Tinktur sind bei Glauber Manganerze, mit heutigen Mineralnamen etwa Pyrolusit MnO₂, Manganit Mn₂O₃, Hausmannit Mn₃O₄, Braunit Mn₇O₈SiO₄, Psilomelan K(Mn4+,Mn2+)₈O₁₆ und Hollandit Ba(Mn4+,Mn2+)₈O₁₆. Er nannte sie „Magnesia saturnina“. Was ihn hier faszinierte, war die tiefviolette Farbe, die beim Schmelzen der gepulverten Erze mit Salpeter erhalten werden konnte, sowie die „Purpur- oder Amethisten-Farb“, die Manganerze Glasflüssen verleihen können. In seinem Buch „Des Teutschlandts Wohlfahrt“, dritter Teil, Kapitel IV, beschreibt er minutiös die beobachteten Farbumschläge, die später auch Goethe im Zusammenhang mit seiner Farbenlehre beschäftigt haben und die dem Mangan schließlich den Namen „Mineralisches Chamäleon“ eintrugen. 25 Glauber untersuchte Manganerze verschiedener Herkunft, unter anderem solches aus dem Piemont – sehr wahrscheinlich aus der Grube Praborna 26. Er fand es nur schade, dass die rote, an Goldrubin erinnernde Farbe so wenig dauerhaft zu machen war.
Abb. 4: Ausschnitt aus einer Liste zu verkaufender Mineralien und Rohstoffe aus Johann Rudolph Glauber, „Glauberus concentratus Laboratorium Glauberianum“, Amsterdam 1668, darunter 6 verschiedene Sorten Granate, teils aus den amerikanischen Kolonien von England und Frankreich. Weiter erwähnt er Rubine und Saphire sowie Manganerz = Magnesia saturnina
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Abb. 5: Verschiedene Granatkristalle aus dem Deutschen Edelsteinmuseum Idar-Oberstein (Foto: Monika Gass)
Abb. 6: Heutiges Goldrubinglas, Glasfachschule Zwiesel (Foto: Mark Brooks)
Abb. 8: Das historische Manganbergwerk von Praborna im Aostatal, Piemont, das seit mindestens 1415 besteht und vor allem im 16. und 17. Jahrhundert die Glashütten von Venedig mit eisenarmen Manganerzen beliefert hat (Foto: Werthmann)
Johannes Kunckel (um 1630–1702/3), aus einer Alchemisten- und Glasbläserfamilie stammend, ist ein Vierteljahrhundert nach Glauber geboren und gehörte zu einer Naturforschergeneration mit neuen, aus heutiger Sicht viel sachlicheren Vorstellungen. Er stellte aus Goldrubinglas hervorragende Kunst- und Gebrauchsgegenstände her und verbreitete damit dessen Herstellung in Deutschland. In dem nach seinem Tod erschienenen Buch „Vollständiges Laboratorium Chymicum, worinnen von den wahren Principiis in der Natur, der Erzeugung, den Eigenschaften und der Scheidung der Vegetabilien, Mineralien und Metalle, wie auch von Verbesserung der Metalle gehandelt wird“ erwähnt er als einen seiner wissenschaftlichen Vorgänger den Arzt Andreas Cassius den Älteren (1605–1673), der kolloidales Gold aus Lösungen herstellte und dieses Wissen wohl von Glauber übernommen habe. Ihm sei es aber nicht gelungen, das Gold ins Glas zu bringen. Das habe erst er, Kunckel, bis zur technischen Reife umgesetzt 27, 28 : „Es war ein Doctor Medicinae, mit Namen Cassius, welcher die Praecipitationem Solis cum Jove (= Fällung des Goldes mit Zinn) erfand, worzu vielleicht Glauber Anlaß gegeben mag. Dieser itztbemeldte Doctor Cassius versuchte es ins Glas zu bringen ... Als ich dieses erfuhr, legte ich unverzüglich Hand an; aber was ich vor Mühe hatte, die Composition zu treffen und zu finden, wie man es beständig roth kriegen sollte, das weis ich am besten.“ Zum Themenkreis Seele / Essenz / Sulfur des Goldes hat Kunckel eine ganz andere Auffassung als Glauber. Er glaubt nicht, dass Gold vollständig zerstört, „aus seinem Wesen gesetzt“ werden könne, und dass die Essenz des Goldes getrennt von der Substanz des Goldes zu gewinnen sei, wie Glauber behauptet. „... ich habe in allen Aufschließungen, die mir je-
Abb. 9: Manganerz aus Praborna, Aostatal, Piemont; mit Erzen aus diesem Bergwerk hat Glauber sehr wahrscheinlich experimentiert. Neben dem graumetallischen Braunit Mn₇O₈SiO₄, der eigentlichen „Magnesia Saturnina“, sieht man das „rotweinfarbene“ Mineral Piemontit Ca₂(Al, Mn, Fe)₃(SiO₄)₃(OH), das Glauber als rötlichen Löserückstand erwähnt und das ihn gewiss in seiner Annahme bestärkt hat, hier die „Seele des Goldes“ zu finden (Foto: Mark Brooks)
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mals vorgekommen sind, allemal das Gold körperlich wieder heraus gebracht, wie ich mir denn noch nicht vorstellen kann, daß ein Menstruum (= Lösungsmittel) zu finden sey, daß, wenn Gold darinnen aufgelöset oder mit Spiritu vini (= Weingeist) extrahiret würde, solches Macht haben sollte, selbiges aus seinem Wesen zu setzen“. 29
Im dem Buch „Nützliche Observationes oder Anmerckungen ...“ schreibt Kunckel im 7. Kapitel unter der Überschrift „Vom Gold/ darinnen etliche Fragen und Antworten enthalten“:
„Ob man den Sulphur Solis extrahiren, und ein Aurum potabile, darauß das Gold nicht wieder zu reduciren wäre/ bereiten könne? .... Wieviel aber haben gemeinet/ der Venus (= Kupfer) ihr rothes Kleid (= die rote Farbe) auszuziehen/ auch geschlossen/ das Corpus muste weiß bleiben? Ist wohl gezielet/ aber übel getroffen/ meine derowegen nicht/ daß die Farbe des Goldes so bloß allein liege/ daß man sie nur so extrahire; ... Dann Color (= Farbe) ist Lusus natura, und kan mir dieser vermeinter Sulphur Solis so unmüglich Cörperlich vorgestellet werden/ als ich die Seele des Menschen nicht vorstellen kan/ und ist nur ein Schwefel ₍etwa: eine unsichtbare Energie₎/ den ich mit der Vernunfft begreiffen oder selbige gefangen geben muß. ... Zwar glaube ich wohl und weiß es gewiß daß man eine Tinctur aus dem Golde machen kan/ die nicht allein Zehen sondern mehr Theil Silber oder Quecksilber tingiren kan/ aber mit der Colör Solis wird es allein nicht außgerichtet/ man braucht noch wohl das ganze Corpus“. 30
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Kap. 16 Hier wird klar: Kunckel glaubt zwar durchaus, dass eine Goldtinktur unedle Metalle in Gold verwandeln könne. Er schreibt diese Fähigkeit aber der Substanz Gold zu und nicht einer vom Gold abtrennbar gedachten Energie. Außerdem hat er kein Verständnis mehr dafür, Farbe und Energie als etwas von der Substanz körperlich Trennbares zu denken. Damit verlässt er – nach eigener Aussage gegen zu erwartende äußere und auch nach Überwindung großer innere Widerstände – das von Glauber und vor ihm von Michael Maier, Michael Sendivogius und anderen vertretene Konzept des „allgemeinen Saamens“ der Metalle und wendet sich einem Substanzbegriff zu, der im 18. Jahrhundert zu den heute noch gültigen Vorstellungen über die chemischen Elemente führt. Von Glaubers Kritiker C.D.M.A.S. ist außer seiner Streitschrift aus dem Jahre 1661 (und der Abschrift eines ihm zugeschriebenen Briefes, in dem er zugibt, darin etwas dick aufgetragen zu haben) 31 kaum etwas bekannt. Vieles spricht dafür, dass die vollständige Abkürzung für Charles de Montendon, Altenburgensis Studiosus 32 steht. Damit lässt sich vorsichtig abschätzen, dass er wesentlich jünger gewesen sein dürfte als Glauber, vielleicht im Alter von Johannes Kunckel. Seine Sicht auf das aurum potabile ist ähnlich nüchtern. So ist die Frage, ob Glauber mit seinem aurum potabile bewusst betrügen wollte oder selber daran geglaubt hat, auch eine Frage der Sichtweise verschiedener Generationen.
Abb. 10: Goldrubinglas, Potsdam um 1720 in der Nachfolge von Johann Kunckel, Museum Kunstpalast Düsseldorf, Glasmuseum Hentrich, Inv. Nr. P 1940-135 (Foto: Studio Fuis Photographie, Köln)
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Kap. 16 1 2
3
Maier, Michael, Atalanta Fugiens, Oppenheim 1618, Emblem 29, S. 125
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ebd. S. 87/ 88
siehe z. B. Kunckel, Johannes, Johann Kunckels/ Churfürstl. Sächs. Geheimen Kammerdieners und Chimici Nützliche Observationes oder Anmerckungen/ Von den Fixen und flüchtigen Salzen/ Auro und Argento potabili, Spiritu Mundi und dergleichen…, Hamburg 1676 , S. 73/74
24
Glauber, Johann Rudolph, Glauberus concentratus Oder Laboratorium Glauberianum, Amsterdam 1668, S. 45–47
25
Glauber, Johann Rudolph, Des Teutschlandts Wohlfahrt, 3. Teil, Amsterdam 1659; gekürzt enthalten in: Glauber, Johann Rudolph, Glauberus Concentratus, Leipzig und Breslau 1715, S. 425/426
26
Dissertation Tumiati, S., Paris 2005, http://www.socminpet.it/Uploads/AbstractPlinius/Tumiati.pdf
27
Kunckel, Johannes , Johann Kunkels von Löwenstern Vollständiges Laboratorium Chymicum, worinnen von den wahren Principiis in der Natur, der Erzeugung, den Eigenschaften und der Scheidung der Vegetabilien, Mineralien und Metalle, wie auch von Verbesserung der Metalle gehandelt wird, Berlin 1767, S. 596
zitiert nach: Pernety, Antoine-Josephe, Les Fables égyptiennes et grecques dévoilées et réduites au même principe …, Band I, Paris 1786, S. 273
4
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Frankfurt am Main 1659, S. 220–222, Reprint Hildesheim 2004
5
Zur Definition von Kolloiden siehe auch Lehrbücher der Chemie, z. B. Hofmann, Ulrich, Rüdorff, Walter (eds.), Anorganische Chemie, Braunschweig 1969, S. 389–392
6
Glauber, Johann Rudolph, Opera Chymica, Frankfurt am Main 1659, S. 125 ff., Reprint Hildesheim 2004
28
ausführliche Informationen über historische Goldrubingläser in: von Kerssenbrock-Krosigk, Dedo: Rubinglas des ausgehenden 17. und des18. Jahrhunderts, Mainz 2001
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ebd. S. 220
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ebd. S. 268
8
ebd. S. 128
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9
ebd. S. 126/127
Kunckel, Johannes, Johann Kunckels/ Churfürstl. Sächs. Geheimen Kammerdieners und Chimici Nützliche Observationes oder Anmerckungen/ Von den Fixen und flüchtigen Salzen/ Auro und Argento potabili, Spiritu Mundi und dergleichen…, Hamburg 1676 , S. 71–87
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ebd. S. 128
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31
Glauber, Johann Rudolph, Johannis Rudolphi Glauberi Reichen Schatz- und Sammel-Kastens. Oder Appendicis Generalis Zweite Centuria, Amsterdam 1660, S. 89 ff.
Young, J.T.: Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy, Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle: Aldershot, Hampshire, 1998, S. 255/256
12
32
Sendivogius, Michael (Anagramm: Angelus doce mihi ius), Tractatus de sulphure (lateinisch), Köln 1616; deutsch unter dem Titel: Ein Tractat und Gespräch von Schwefel/ dem anderen Hauptstück der Tinctur/ welches die aller haimlichsten Mysterien der Natur entdecket/ und offenbaret, z. B. enthalten in: Tripus Chimicus Sendivogianus, Dreyfaches Chimisches Kleinod, Straßburg 1628
Young, J.T.: Faith, Medical Alchemy and Natural Philosophy, Johann Moriaen, Reformed Intelligencer, and the Hartlib Circle: Aldershot, Hampshire, 1998, S. 204
13
Glauber, Johann Rudolph: Continuatio Operum Chymicorum, Frankfurt 1659, S. 333, Reprint Hildesheim 2004
14
ebd, S. 329
15
Zitiert bei:Clement, Ad, Johnsson, J. W. S., Briefwechsel zwischen J. R. Glauber und Otto Sperling, Janus 29, S. 212–214, Leyden 1925; hier finden sich auch Angaben über den Preis, zu dem Glauber sein Aurum potabile verkauft hat.
16
Glauber, Johann Rudolph: Johannis Rudolphi Glauberi Reichen Schatz- und Sammel-Kastens. Oder Appendicis Generalis Zweite Centuria, Amsterdam 1660, S. 92–94
17
ebd. S. 93
18
ebd. S. 106
19
siehe z. B. Schütt, Hans-Werner, Auf der Suche nach dem Stein der Weisen, München 2000, S. 300–307
20
Glauber, Johann Rudolph: Johannis Rudolphi Glauberi Reichen Schatz- und Sammel-Kastens. Oder Appendicis Generalis Zweite Centuria, Amsterdam 1660, S. 93/94
21
Isaacus Hollandus, alchemistischer Autor, genaue Lebensdaten nicht bekannt, früheste Handschriften stammen aus der Zeit um 1560, gedruckt ab 1572, siehe auch: Paulus, Julian, in Priesner, Claus, Figala, Karin (eds.): Alchemie, Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S. 181
22
Glauber, Johann Rudolph, Johannis Rudolphi Glauberi Reicher Schatz- und Sammelkasten oder Appendix Generalis, Amsterdam 1660, S. 110–113
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275
Kap. 17 Glauber der Spagyriker Helmut Gebelein
Glauber war ein Paracelsist, also ein Anhänger des Paracelsus (1493–1541). Der Chemiehistoriker Ferdinand Hoefer bezeichnete ihn sogar als „Paracelsus seiner Epoche“.1 Paracelsus war tatsächlich ein Vorbild für Glauber. Seine Bewunderung für Paracelsus ist auch daraus zu ersehen, dass er den Leitspruch des Paracelsus, der lautete: „Sei keinem anderen Knecht, wenn du dein eigener Herr sein kannst. (Alterius non sit qui suus esse podest)“ 2 fast unverändert zitiert:
„Wer seine Sachen will gethan haben recht, muss selbsten Herr seyn und Knecht.“ 3
Abb. 1: Paracelsus. Sogenanntes „Rosenkreuzer-Bildnis“ von Franz Hogenberg , Meteorum, Köln, 1566
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Abb. 2: Grabmal des Paracelsus in der Vorhalles der St. Sebastiankirche. Der untere Teil enthält die Grabplatte. Die Inschrift lautet übersetzt: „Hier ist beigesetzt Philippus Theophrastus, der überragende Doktor der Medizin, der auch grauenhafte Wunden, Aussatz, Gicht, Wassersucht und andere unheilbare Krankheiten des Leibes mit wunderbarer Kunst heilte und all sein Gut unter die Armen verteilte. Im Jahr 1541 am 24. Tag des Septembers, hat er das Leben mit dem Tod vertauscht.“ 5 (Foto: Gebelein)
Auf seiner Wanderung durch Europa hat Glauber auch das Grab des Paracelsus in Salzburg im Sebaldusfriedhof besucht. Paracelsus war Arzt und Naturphilosoph. In Ferrara wurde er in den beiden medizinischen Fächern, der inneren Medizin und der Chirurgie promoviert. Er forderte, dass die Ärzte sich mehr Kenntnisse der Chemie oder Alchemie aneignen sollten. Auch Glauber meinte, dass die Ärzte zu geringe Kenntnisse der Alchemie hätten. Denn für die Herstellung und die Anwendung der Arzneien bräuchten sie Kenntnisse der Alchemie, die daher auch bei Paracelsus zu den 4 Säulen der Heilkunst gehört. „Darum lerne die Alchemie oder Spagyrie: Die lehrt das Falsche vom Echten scheiden“ 4, schrieb er. In der Nachfolge des Arztes und Alchemisten Paracelsus wird daher der Begriff Spagyrik – zumindest im deutschen Sprachraum – für die Herstellung von Heilmitteln auf alchemistische Weise verwendet, so auch bei Johann Rudolph Glauber. Er gibt in seiner Pharmacopoeiae Spagyricae eine detaillierte Beschreibung der spagyrischen Aufbereitung für Pflanzen, Tiere, Mineralien und Metalle an. Medizin und Alchemie sind seit alters her miteinander verbunden. Der Name des Hermes Trismegistos, dem legendären Urvater der Alchemie in Ägypten, erscheint in den ältesten medizinischen Schriften. Der Papyrus Ebers (15. Jh. v. Chr.), eine von ihnen, wird als das „Hermetische Buch über die Heilmittel der Ägypter“ 6 bezeichnet. In ihm finden sich neben Zaubersprüchen, die bei der Heilung helfen sollen, auch viele Heilmittel und Abb. 3: Papyrus Ebers, Ägyptisches Museum Leipzig Heilpflanzen für verschiedene Krankheiten. 7
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Kap. 17 Im Corpus Hermeticum, einer Sammlung der Schriften, die Hermes Trismegistos zugeschrieben werden – sie stammen aus der Zeit um Christi Geburt – finden sich verschiedene Traktate über Medizin. Hermann Schreiber schreibt über den Arzt Claudius Galen (129–216): „Galenos lebt uns vor, daß der pflichtbewußte Arzt, der Mediziner, der seinen Beruf als wahre Sendung verstand, vom ersten Augenblick an im Grunde ein Alchemist war.“ 8 Jede Zubereitung eines Mittels, und sei es eine so einfache wie die Bereitung eines Tees, ist schon ein alchemistisch-chemisches Verfahren. Für die Verbindung von Alchemie und Medizin ist eine der herausragenden Personen Paracelsus, der als Vater der pharmazeutischen Chemie gilt. Er war allerdings Alchemist, denn zu seiner Zeit war die Alchemie die Wissenschaft von der Veränderung der Stoffe. Nun sind die Werke des Paracelsus nicht einfach zu lesen. Schon Andreas Libavius schrieb in seiner Alchemia aus dem Jahre 1597, dem ersten systematischen Lehrbuch der Alchemie:
„Die paracelsischen Beschreibungen sind für Neulinge sehr dunkel. Wenn jemand nicht zu folgen vermag, kann er auf folgende Weise vorgehen. Wir wollen nämlich nicht Paracelsisches interpretieren, um nicht unzuverlässigen Menschen Gelegenheit zum Streiten zu geben, gewissermaßen als hätten wir dem Autor nicht folgen können, den jedoch auch [die Paracelsisten] selbst teils so, teils anders ausdeuten, und ich weiß nicht, was für Geheimnisse ein jeder hinter den Worten jenes Mannes sucht....“ 9 Und bei „Erhöhte Tinktur von Gold nach Paracelsus, Chriug. Mag.“ ist zu lesen:
„Diese Vorschrift ist obskur.“ 10
Auch Glauber hatte damit Schwierigkeiten. Er versucht aber in Opera Mineralis III Paracelsus zu erklären:
„Die Ursache, daß ich mir vorgenommen, so Gott Leben und Gesundheit giebt, etliche der fürnehmsten Bücher Paracelsi zu expliciren, und mit seinem Libro Vexationum den Anfang zu machen, ist, weil dieses theuren im Licht der Natur hocherfahrnen, und frommen Mannes Schrifften sehr obscur, und deßwegen von den Unerfahrnen verachtet und verspottet, auch gelästert werden, als ob es lauter Unwahrheiten, da sie doch vielmehr voller Geheimnissen, woraus abzunehmen, daß er in wahrer Philosophia, Medicina und Alchymia was ungemeines gewesen, welches auch seine Grabinschrift zu Salzburg im Spital zu St. Sebastian sattsam an den Tag leget, und ich mit Augen gesehen habe.“ 11 Auch stellt Glauber fest, dass Paracelsus durchaus falsche Aussagen macht. In Expliatio oder Auslegung über die Worte Salomonis schreibt er:
„Last uns nun auch besehen/ was für Kräfften in den Steinen verborgen/ dann Salomon nichts davon geschrieben/ wann er nicht gewüst/ was darhinter verborgen währ. Von der Krafft/ und Tugend der Steien. Paracelsus zu ende seines Coeli Philosophorum schreibet/ den Steinen/ und sonderlich Edelgesteinen/ viel tugenden zu/ aber mehr von höhren sagen/ oder lesen anderer Schriff-
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ten als von Experiens/ darunter grosse fehler begrieffen. Unter andern schreibt er/ daß Smaragdus den Augen und Gedächtnis guth sey/ erhalte die Keuschheit/ wann sie aber gebrochen/ so breche er auch/ seind nuhr Fabulen und ist kein Wahrheit dahinder. Adamas sey ein schwarzer Crystal, werde ins gemein Diamant genandt/ lasse sich in Bocks-bluth solviren/ ist auch nicht wahr/ er mag es irgends gelesen haben/ ist aber weiter gefehlet als Himmel und Erden von ein ander; Sie schreiben auch dem Diamant zu/ daß er so hart sey/ daß man/ wann er auff einen Amboß geleget/ mit einem schwehren Hammer darauff schlage/ das er dennoch gantz bleibe/ ist auch nicht wahr/ dann man solchen in einen Mörsel gahr leichtlich klein stossen/ und zu einem zarten Pulver machen kan .... Solche und dergleichen ungereimten Dingen seind der alten Bücher voll/ da schreibt immer der eine dem andern seine träume nach/ solte aber nicht also sein/ sondern viel besser stehen/ wann niemand mehrers schriebe als was er selber erfahren. Sonsten schreibt Paracelsus sehr wohl von den Edel-gesteinen/ daß sie viel reiner in ihrem innersten/ als das fixe Gold selbsten/ welches dann auch wahr befunden. Wo seindt aber diejenigen/ welche den Edel-gesteinen ihre kräfftigen Tincturen extrhiren können? Fürwahr sehr schwer zu finden: Dann das aller gröste Corrosiv nichts darauf außrichten kan. Wer aber dieselbige ohne Corrosiv in ein klahr wasser zu bringen weiß/ derselbe kan hernach nuhr mit einem Spiritus Vini die Farben unnd edelste Kräfften herauß ziehen und anders gantz nicht; Wan man dan die Farben der Edel-gesteinen herauß gezogen und solcher eine ingres zu geben weiß/ so hat man eine Tinctur die Metallen darmit zu tingiren. Es ist aber sehr weit gesucht/ dann sehr wenig Farbe in den Edel-steinen verborgen. Außgenommen einige steine welche nicht durchsichtig und voller Tinctur stecken/ als der Jaspis und andere mehr ungeachtete steine. Dann ein gantzes Pfund Rubin/ Smaragd/ Turckois/ Saphir oder dergleichen kein halb quintlein Tinctur in sich hat. Welches ich durch die Experientz erfahren/ und dahero auch davon auß dem Grunde reden und schreiben kan. Solches wahr zu sein man also erfahren kan: Man mische unter ein pfund rein Glaß ungefehr ein quintlein Kupffer-aschen/ und schmelze solches mit starkem Feuer zusammen/ so wird man ein grün Glaß finden.“ 12 Lesen wir zunächst einiges über Paracelsus. Auf der Abbildung trägt er einen Stock, auf dessen Knauf Sie das Wort „AZOTH” erkennen können. Dies ist ein Deckname des Steins der Weisen, ist dieses Wort doch zusammengesetzt aus den Anfangs- und Endbuchstaben der drei damals bekannten und bedeutenden Alphabete, dem lateinischen „A“ und „Z“, dem griechischen „Alpha“ und „Omega“ und dem hebräischen „Aleph“ und „Thot“ und umschließt daher alles Wissen. Es wurde auch kolportiert, Paracelsus habe den Stein der Weisen besessen, ja wegen dieses Besitzes sei er umgebracht worden. Paracelsus wurde 1493 in Einsiedeln in der Schweiz geboren. Sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt. Wir wissen nur, dass er am 24. September 1541 vor seinem 47. Geburtstag gestorben ist. Er muss daher zwischen September 1493 und Frühjahr 1494 geboren worden sein. Genauere Daten, die gelegentlich zu finden sind, haben keine vernünftige Basis.
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Kap. 17 Da Paracelsus der Luther der Medizin genannt wurde, gab man ihm auch dessen Geburtstag, den 10. November 1483 13, da das Jahr nicht stimmen kann, übernahm man einfach nur den Tag, seither geistert der 10. November als Geburtstag des Paracelsus durch die Literatur. Er hat möglicherweise bis zu 20000 Seiten geschrieben. Kaum glaublich, denn er wurde nur 47 Jahre alt. Er war dauernd unterwegs, nirgends konnte er lange bleiben. Mit seiner Art des Umgangs mit Kollegen machte er sich überall unbeliebt. So war er dauernd auf Reisen. Er starb in Salzburg, 3 Tage nachdem er sein Testament gemacht hatte und ist auch dort auf dem Friedhof von St. Sebastian begraben. Dort hat Glauber sein Grab besucht. Bei ihm finden wir die Vorstellung des Archäus, der Lebenskraft, die er auch den inneren Alchemisten nennt. 14 Dieser innere Alchemist, das innere Feuer verwandelt, transmutiert Abb. 4: Einsiedeln 1577. Im Vordergrund die Teufelsbrücke. In dem Haus neben der Brücke soll Paracelsus geboren die Stoffe, die der Mensch als Nahrung worden sein. zu sich genommen hat, in Fleisch, Blut und Knochen. Dabei entstehen im Körper ja tatsächlich neue Stoffe, die nicht in der Nahrung enthalten waren, wie z. B. der Zahnschmelz. „Dieser Alchemist hat im Magen seinen Sitz,” lesen wir im Buch Paramirum, „der sein
Instrument ist, worin er kocht und arbeitet. Das ist so zu verstehen, daß der Mensch, welcher Fleisch ißt, darin Giftiges und Gutes aufnimmt. Aber er hält die ganze Speise beim Essen für gut, wenn auch unter dem Guten das Gift verborgen liegt und das Böse nichts Gutes enthält. Wenn also die Speise, in unserem Beispiel das Fleisch, in den Magen kommt, alsbald ist der Alchemist da und scheidet aus. Was nicht zur Gesundheit dient, wirft er an einen besonderen Ort, das Gute kommt auf seine Stelle, wo es hingehört. So ist der Wille des Schöpfers. So wird der Leib davor bewahrt, daß ihm von dem Gifte, das er genießt, etwas Böses widerfahre, denn dieses wird vom Alchemisten ausgeschieden, ohne dem Menschen schaden zu können. So wirkt die vorzügliche Fähigkeit und Kraft
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des Alchemisten im Menschen.” Und weiter: „In einem jeden Ding ist eine Essenz und ein Gift. Essentia ist das, was den Menschen am Leben erhält, Gift, das, was ihm Krankheit zufügt.” 15 Paracelsus: „Vor allem muß der Arzt wissen, daß der Mensch aus 3 Substanzen besteht. Der Mensch ist zwar aus dem Nichts erschaffen worden, aber er ist doch aus etwas geschaffen. Dieses Etwas zerfallt in 3 Teile.” und weiter: „Ohne Anwendung des Feuers kann man über die Qualitäten der Substanzen noch keinerlei Aussagen machen. Das Feuer erprobt alle Dinge. Wenn also das unreine entfernt wird, sind 3 Substanzen übrig.” 16 Es sind die drei Prinzipien, Sal, Sulfur und Merkur aus denen alles Geschaffene besteht. Diese Prinzipien werden durch die Stoffe Salz, Schwefel und Quecksilber nur am besten repräsentiert, sie sind sie aber nicht. Und nochmals Paracelsus: „ ... durch das Feuer wächst der Arzt ... Darum lerne die Alchemie oder Spagyrie” 17. Auf diese Stelle beziehen sich diejenigen, die später den Begriff Spagyrik für die Bereitung von Heilmitteln benutzt haben. Das Wort Spagyrik leitet sich vom griechischen Spao, ich trenne und ageirao, ich vereinige ab. Ich möchte doch darauf hinweisen, daß Goethe in Dichtung und Wahrheit über seine Heilung durch den spagyrischen Arzt Dr. Metz berichtet.18 Bei dem Wundermittel des Dr. Metz dürfte es sich um Glaubersalz gehandelt haben. Im Menschen sind aber auch die einzelnen Körperregionen den Planeten zugeordnet. Bei Glauber lesen wir:
„Der Spiritus ardens von Gold (Sonne) nun dienet in specie dem Hertzen, der vom Silber (Luna) dem Gehirn, der von Zinn (Jupiter) der Lungen, der von Eisen (Mars) der Leber, der vom Blei (Saturn) der Miltz, dern von Quecksilber (Merkur) den Nieren, der von Kupfer (Venus) den Gebuhrts-Gliedern...“ 19 Glauber akzeptiert noch die Vorstellung, die Organe seien von den Gestirnen abhängig. Die Astrologie, die noch nicht von der Astronomie getrennt war, war zu seiner Zeit eine anerkannte Wissenschaft. Auch Johannes Kepler (1571–1630) schrieb noch Horoskope. Die Ärzte stellten ihre Arzneien häufig selbst her, die Apotheker waren dazu gar nicht immer in der Lage und griffen Paracelsus an, er antwortete darauf:
„Die Apotheker sind mir auch feind, sagen, ich sei seltsam, wunderlich, niemand könne es mir recht tun ... Ich schreibe kurze Rezepte, wenige und selten, nicht mit vierzig oder sechzig Ingredenzien; ich leere ihnen ihre Büchsen nicht und schaffe ihnen nicht viel Geld ins Haus ... Wem habe ich als ein Doktor geschworen? Dem Apotheker den Handel anzutreiben? Oder dem Kranken zu seinem Nutzen zu verhelfen?” 20 Es ist wahrscheinlich, dass auch Glauber ähnliche Erfahrungen gemacht haben dürfte. Glauber hat selbst Arzneimittel hergestellt, durfte sie aber nicht verkaufen, da er kein Apotheker war. Er bezeichnet sich zwar selbst in der Taufakte seines ersten Sohnes als Hofapotheker,
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Kap. 17 doch später hat er sich nie darum bemüht als Apotheker akzeptiert zu werden, es ist unklar ob er überhaupt eine Ausbildung als Apotheker hatte. Seine Mittel gab er daher kostenlos ab und überließ es den Patienten, ob sie etwas in einen Kasten im Vorhaus geben wollten. Das gängigste Heilmittel war für lange Zeit der Theriak, auch Himmelsarznei genannt, der aus bis zu 70 Zutaten enthielt, darunter solche die keine Heilwirkung besaßen, die aber teuer waren und die zugesetzt wurden um den Preis hochzutreiben. Theriak war tatsächlich wirksam, da eine der Hauptkomponenten Opium war, das darin befindliche Alkaloid Morphin ist beruhigend und schmerzstillend. Vom persischen Teriak, das Wort bezeichnet die aus dem Mohn erhaltenen Stoffe, also Opium, leitet sich wahrscheinlich der Name ab. Die geringen Kenntnisse der Alchemie bei den Ärzten und dem daher rührenden Unkenntnis der Heilmittel, die von den Alchemisten zubereitet wurden wurde von Paracelsus beklagt. Und auch Glauber ist der Meinung, dass ein Arzt die Alchemie kennen muss, er schreibt:
dem Animalischen Reich besonders traktieret werden: als da sind aus dem Menschen, vierfüßigen und kriechenden Tieren, Gewürm, Vögeln und Fischen. Im dritten Teil werde ich meine zuvor beschriebene mineralische Medicamenten verteidigen, und beweisen, daß dieselben im geringsten nicht zu scheuen, wann sie rechtmäßig bereitet, und gebraucht werden, denen vegetabilischen und animalischen weit vorzuziehen. Daneben ich noch neuere mineralische Arzneien eröffnen werde.“ 23
Nach der Vorstellung des Paracelsus trennt der Alchemist im Magen bei einem gesunden Menschen das Gute von dem Schlechten. Ist der Mensch krank, kann er dies nicht mehr. In diesem Fall muss der äußere Alchemist die Trennung von Gutem und Schlechtem leisten. Alle Heilmittel müssen alchemistisch aufbereitet werden um das Gute abzutrennen, denn die Natur ist nicht von sich aus gut, die Natur hat den Sündenfall mitgemacht und daher sind alle Mittel ohne die Arbeit des Alchemisten nicht zu gebrauchen. Die Ausgangsstoffe, die in der Natur zu finden sind, sind in die Prinzipien Sal, Sulfur und Merkur zu trennen, zu reinigen – von den Schlacken zu befreien – und dann wieder zu vereinigen. Erst auf diese Weise erhält man ein Heilmittel. Diese Heilmittel haben, so weit bekannt, keine Nebenwirkungen. Unter Sal ist der Körper, die Physis, die stoffliche Basis, unter Sulfur die Seele, die spezifische Heilkraft und unter Merkur der Geist, eine unspezifische Heilkraft, zu verstehen. Salz ist der Repräsentant des Prinzips Sal, des vom Feuer nicht veränderbaren, Schwefel des Prinzips Sulfur, des Brennbaren und Merkur des Beweglichen. Der Heilpraktiker Jürgen Bauer vergleicht die Prinzipien mit dem Bau eines Hauses. Dafür sind Steine – Sal, ein Plan – Sulfur und Handwerker – Merkur, nötig. Alle drei sind nötig, sonst kann man kein Haus bauen. 22 Diese Herstellungsweise wird von Glauber ausführlich und nachvollziehbar beschrieben. In „Pharmacopoeia Spagyricae oder Gründliche Beschreibung, wie man aus den Vegetabilen, Animalien, und Mineralien, auf eine besondere und leichtere Manier, gute, kräftige, und durchdringende Arzneyen zurichten und bereiten soll.“ finden sich seine Vorschriften. Sie beginnt mit folgenden Sätzen:
„Bereitung der Vegetabilischen Abb. 5: Titelblatt Pharmacopoeia Essentien Recipe ein von allem Unrath gereinigtes Kraut mit Wurtzeln, Stengel, Bättrer und Samen ... übergiesse es klein gehackt mit Wasser, eine kupferne vesicam, biß auf auf eine gute queres Hand angefüllt, und ziemlich warm getrieben, so gehet ein klar und stark riechendes Wasser, mit etwas Öl herüber, welches man durch ein Tritorium scheidet, und verwahrt ... alsdann giesse das destillierte Wasser wieder auf die destillierte Kräuter, und menge 1. oder 2. Löffel Biergest drunter, laß es in einem höltzernen verdeckten Geschirr 3. oder 4. Tage jähren, biß sich das Kraut senckt ... Nun rühre alles wohl unter einander im Faß, thue es in die Blasen und destilliere gantz gemach durch ein Refrigeratorium, daß das Kraut nicht anbrenne, biß das insipium phlegma kommet, dann höre auf, wann nun alles merkurialische herüber ... Nun machet aus dem Kraut Ballen, die trocknet man an der Sonne oder Feuer, verbrennt sie zu Aschen und extrahirt mit seinem phlegmate das Sal, coagulierts, solvirts und coagulirts noch einmal mit frischem Wasser, so ist es rein. Auf dessen 1. p. giesse des rectitficierten Spiritus 2. p. und abstrahire es im Bade fein gelinde. So ziehet der Spiritus so viel ihm nöthig vom Sal fixo zu sich ... Das Sal wird wieder ausgeglühet, ist so gut, als vor. Zu diesem gantz subtil concentrirten Spiritus nun schütte die Helffte, oder das dritte Theil seines oben geschiedenen Öl, wohl unter einander agitiert, so wird der Spiritus en moment dasselbe in sich schlucken, und eine klare, kräfftige und liebliche Essentia werden, darin des Krauts Sal und Sulfur volatile mit der Sal fixo conjugirt ist...“ 24
„Ein rechter Philosophus muß Astronomiam, Alchymiam und Medicinam recht zu connectiren wissen, weil immer eine aus der andern fliesset, und wieder eine andere machet.“ 21
„Günstiger Leser! Ich werde diese Pharmacie teilen in drei Teile. Im ersten werde ich dartun, daß mir die Kräften der Vegetabilen und ihre wahre fundamentale Anatomie, wodurch sie in heilsame Arzneien bereitet werden, auch bekannt sind, und diese zwar ohne einigen Zusatz animalisch- oder mineralischer Dinge. Im anderen Teil werden die Arzneien aus
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Zur Wirksamkeit schreibt er:
„Die Kräfften nun belangend, so thut eine solche Essentia eben dieselbe Würckung, aber in viel geringerer dosi 1000mal kräfftiger, als das Kraut oder vegetabile selbst thut,
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Kap. 17 solches aber ist an der Signatur des vegetabilis vornehmlich, und dann auch aus guten herbariis zu nehmen, wozu es dient.“ 25 Für die Vegetabilen, also die Arzneien aus dem Pflanzenreich entsprechen seine Vorschriften prinzipiell denen, die als Zimpel-Mittel im Homöopathischen Arzneimittelbuch (HAB) beschrieben sind und wie sie auch heute noch hergestellt werden. Es gibt nur einen Unterschied, bei den Zimpelmitteln wird noch Alkohol hinzugefügt, während Glauber nur den Alkohol aus der Gärung verwendet. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass es in der Nachfolge von Paracelsus verschiedene Varianten zur Herstellung von Spagyrika gibt. Durch Carl Friedrich Zimpel (1801– 1879) wurde die Spagyrik im 19. Jahrhundert wieder in die Heilkunde eingeführt. Zimpel wurde in Sprottau/Niederschlesien geboren und war zunächst Ingenieur in Preußen, wanderte später nach Amerika aus und wurde dort reich. Bei Abb. 6: Die linke Seite zeigt das Prinzip einer vollständieinem Börsenkrach büßte er sein Vermögen spagyrischen Aufbereitung von Pflanzen. Auf der rechten Seite ist eine vereinfachte Methode dargestellt, gen wieder fast völlig ein. 1837 kehrte er die bei Pflanzen ohne ätherische Öle verwendet wird. nach Deutschland zurück und arbeitete (Zeichnung: Gebelein) als Eisenbahn-Ingenieur. 1846 begann er Medizin und Philosophie in Jena zu studieren, schon 1849 promovierte er in beiden Fächern. Daneben erwarb er ein homöopathisches Arzt-Diplom. Die nächsten Jahre reiste er viel. London, Palästina, Syrien, Italien waren einige der Stationen. Angeregt durch die Elektrohomöopathie des Italieners Cesare Mattei (1809–1896) begann er sich mit Spagyrik zu beschäftigen, arbeitete aber weiterhin auch als Arzt und Homöopath. 1879 ist er in Pozzuoli bei Neapel gestorben. Sein Grab existiert nicht mehr. Der Leiter der homöopathischen Zentralapotheke in Göppingen, Prof. Mauch, hatte alle Schriften von Zimpel gekauft und begann nach dessen Vorschriften Heilmittel herzustellen. Zimpel-Mittel werden immer noch von der Staufen Pharma hergestellt und vertrieben. 26 Spagyrische Aufbereitung tierischer, mineralischer und metallischer Stoffe sind im HAB nicht beschrieben. Einige Firmen stellen solche Mittel, meist nach eigenen Vorschriften her. In
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der Nachfolge des Paracelsus und des Glaubers gibt es immer noch – meist kleine – Firmen, in u. a. Deutschland, Österreich und der Schweiz die Spagyrika herstellen. Wie lange diese noch im Handel sein werden, ist auf Grund der Gesetzeslage nicht klar. 27 In der Nachfolge von Paracelsus ist auch bei den Vorschriften zur Herstellung der spagyrischen Heilmittel keine Einheitlichkeit zu finden. Die Mittel, die Paracelsus und die Paracelsisten hergestellt haben und die heute hergestellt werden, sind bisher leider kaum systematisch untersucht worden. Vieles bleibt daher noch offen. Selbst wenn chemische Analysenmethoden nur auf der materiellen Ebene Ergebnisse erbringen und damit subtilere Wirkungen nicht erfasst werden können, so sind solche Arbeiten doch nicht überflüssig, können sie doch dazu beitragen, die Hemmschwelle zur Anerkennung spagyrischer Heilmittel herabzusetzen. Leider sind für solche Arbeiten kaum jemals Forschungsmittel zu erhalten. Bei den Untersuchungen wäre auch zu unterscheiden zwischen einer pharmakopischen und einer therapeutischen Wirkung. Ein pharmakopisch wirkendes Mittel z. B. gegen Bluthochdruck wirkt immer. Auch bei gesunden Menschen wird es den Blutdruck senken, ein therapeutisch wirksames dagegen nur bei Bluthochdruckpatienten, dann aber – nach einer längeren Einnahmezeit, wie sie bei spagyrischen Mitteln angezeigt ist – auch für längere Zeit, es kommt dann zu einer Regulation im Körper. Von einem der Hersteller spagyrischer Mittel, Phönix Laboratorium in Bondorf, sind einige klinische Studien vorhanden. Phönix arbeitet nach Rezepten, die der Theosoph, Chemiker und Heilpraktiker Conrad Johann Glückselig entwickelt hat. Er hat auch mit Alexander von Bernus, einem der bekanntesten Alchemisten des 20 Jahrhunderts, gearbeitet. Auch Glückselig beruft sich auf Paracelsus, allerdings ist es nicht bekannt, wo er bei Paracelsus seine Anregungen fand. Die Mittel basieren auf einem Komplex aus fünf Komponenten als spagyrischem Basis-Konzept, dem weitere Stoffe zugesetzt werden, die dann die spezifische Wirkung bestimmen. Von W. Steger stammt eine Arbeit: „Phönix Plumbum 024 A zur Bekämpfung von Colon irritabile und Gallenwegdyskinesien.“ 28 Es ist dies die einzige mir bekannte randomisierte Doppelblindstudie für spagyrische Heilmittel. Ich zitiere aus der Zusammenfassung: „Im Rahmen einer klinischen, randomisierten Doppelblindstudie mit Vergleich einer Verumund Placebogruppe,” - das Placebo war eine 30 %ige alkoholische Lösung - „wurde an 40 Patienten mit den Indikationen Colon irritabile und Gallenwegdyskinesien die therapeutische Wirkung des Phythotherapeutikums Phönix Plumbum 024 A geprüft. Die Behandlung bestand in der vierwöchigen Einnahme von 4 mal 20 Tropfen Phönix Plumbum bzw. Placebo. Die erhobenen Daten wurden nach üblichen statistischen Verfahren ausgewertet. Schmerzen und Symptome besserten sich in der Phönix Plumbum-Gruppe nach 4 wöchiger Behandlung statistisch hochsignifikant (P
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Report "Johann Rudolph Glauber - Alchemistische Denkweise, neue Forschungsergebnisse und Spuren in Kitzingen, Schriftenreihe des Städtischen Museums Kitzingen, Band 4 (Kitzingen 2009) "