Ins Meer gebettet. Einblicke in die nachpalastzeitlichen Bestattungssitten Kretas. In: A. Berner/J.-M. Henke/A. Lichtenberger/B. Morstadt/A. Riedel (Hrsg.), Das Mittelmeer und der Tod. Mediterrane Mobilität und Sakralkultur. Paderborn: Fink/Schönigh, 2016, 447-472.
Constance von Rüden Ins Meer gebettet Einblicke in die nachpalastzeitlichen Bestattungssitten Kretas
Zusammenfassung In der kretischen Nachpalastzeit tauchen im Osten der Insel nicht nur wie sonst üblich Larnakes mit Meeresbezug im Allgemeinen, sondern vermehrt Wannenlarnakes mit Darstellungen von Unterwasserlandschaften im Inneren auf. Sie werfen die Frage auf, was die dort lebenden Menschen dazu brachte, ihre Sarkophage auf diese Weise zu gestalten und damit ihre Verstorbenen quasi ins Meer zu betten. Der Artikel versucht den Bewegnissen dieser Menschen nachzugehen, indem er die Bestattungssitten von mehreren Seiten betrachtet: Sowohl von der Perspektive der Affordanz dieser Larnakes, der in Ostkreta vorherrschenden Bestattungspraktiken und deren Bezug zur Vergangenheit als auch der nachpalastzeitlichen Ikonographie wird sich dieser Sitte im Folgenden angenähert.
Ostkretische Larnakes oder die Frage nach dem Fisch in der Wanne Im Umland der heutigen Stadt Sitia an der Nordostküste Kretas (Abb. 1) wurden drei äußerst ähnliche nachpalastzeitliche Larnakes aus dem Ende des 2. Jt. v. u. Z.1 geborgen, die Athanasia Kanta schon 1980 derselben Werkstatt zugeordnet hat;2 eine Idee, die 1997 Metaxia Tsipopoulou und Lucia Vagnetti erneut aufgriffen und erweiterten.3 In allen drei Fällen handelt es sich um Wannensarkophage, die sich während der Nachpalastzeit (vom 14. bis zum 12. Jh. v. u. Z., vor allem SM IIIB und SM IIIC)4 in Ostkreta ganz besonderer Beliebtheit erfreuten. Ihre Form ist mit einer klein geratenen Badewanne durchaus vergleichbar 1
Pini 1968, 52. Kanta 1980, 292. 3 Tsipopoulou et al. 1997, 474–474; Kanta 1980, Abb. 55, 9. 56, 2 (von Pacheia Ammos). 63, 6 (von Episkopi-Ierapetra) sowie ein sekundär genutztes Beispiel aus Kavousi-Kastro, das Tsipopoulou und Vagnetti durch eine persönliche Kommunikation mit William Coulson anführen konnten. Mit der Werkstatt in Verbindung stehen könnte auch eine Larnax, die irgendwo im Stadtbereich von Sitia gefunden wurde (Tsipopoulou et al. 1997, 474). 4 Tonlarnakes der Nachpalastzeit im Allgemeinen werden in SM IIIA2 bis IIIC, also vom Ende des 14. bis ins 12. Jh. v. u. Z., datiert (Watrous 1991, 289). 2
Abb. 1: Verbreitungskarte Bestattungsbehältnisse nach Preston 2004, 191, Abb. 8. Abdruck mit frdl. Genehmigung des Oxford Journal of Archaeology, John Wiley & Sons Ltd.
Abb. 2: Wannenlarnax aus Petras, Tsipopoulou et al. 1997, 181 a–c.
Abb. 3: Wannenlarnax aus Piskokephalo, Tsipopoulou et al. 1997, 182 a–c.
und auch manch domestischer Kontext ließ Archäolog_innen eine solche Funktion annehmen,5 was ihnen schließlich im Englischen auch die etwas lapidare Bezeichnung bathtubs einbrachte. Daneben verbindet sie vor allem die sowohl motivisch als auch stilistisch vergleichbare Bemalung: Die Wandungsaußenseiten der Funde aus den Gebieten Petras östlich des Stadtkerns6 und Tourtouli südlich davon7 werden vollständig von einem stilisierten Oktopus mit großen Augen aus konzentrischen Kreisen und zwei Reihen wellenförmiger Tentakeln gefüllt (Abb. 2a).8 Dasselbe Motiv scheint auf der Larnax aus Piskokephalo nur verkürzt wiedergegeben worden zu sein (Abb. 3a).9 Man beschränkte sich hier nur auf die Wellenbänder und überließ es wohl der Phantasie der Betrachter_innen, sich den zugehörigen Oktopus vorzustellen. Für uns von zentraler Bedeutung ist aber ihre Bemalung mit Meeresszenen im Inneren und somit an einem Ort, der für die Bestattungsgemeinschaft nur unter gewissen Umständen sichtbar gewesen sein kann – eine Eigenheit, die bei den wesentlich weiter verbreiteten Truhenlarnakes nicht anzutreffen ist.10 In allen drei bekannten Fällen ziert der Körper eines nach oben gebogenen, wohl im Sprung begriffenen Fischs oder Delphins im sogenannten free field style und damit ohne Rahmungen und Begrenzungen die inneren Langseiten der Wandungen (Abb. 2b. 3b). Darüber verläuft ein mit mehreren Konturlinien versehenes Wellenband, das wohl entsprechend der in dieser Zeitstellung üblichen Darstellungskonvention die das Tier einbettende Unterwasserlandschaft andeutet. Auch die Böden sind im Inneren mit feineren Wel5
Einige Behältnisse dieser Form wurden auch in domestischen Kontexten gefunden (z. B. Palaikastro und Knossos) und dort zum Teil auch wirklich als Badewannen angesprochen (Pini 1968, 54). Aufgrund ihrer spezifischen Bemalung und ihrer Ausflusslöcher – eine Installation, die für Larnakes verschiedener Formen gut bekannt ist – muss man hier zwar von einer typologischen Verwandtschaft ausgehen, aber wohl von einer spezifisch für Bestattungen produzierten Form (Pini 1968, 54, Anm. 624, gerade auch hinsichtlich der Bemalung eines später zu nennenden Beispiels aus Pachyammos). 6 Kanta gibt dieses Beispiel als von Praesos stammend an (Kanta 1980, 177, Abb. 73, 8–10), dies wird aber von Tsipopoulou et al. in ihrem Artikel von 1997 berichtigt. 7 In Tourtouloi-Volakas wurden mehrere LMIII Gräber geplündert. Yannis Sakellarakis hat ein Teil ihres Inhaltes sichergestellt, darunter auch zwei Wannensarkophage, jedoch stellt Kanta keinen Bezug zu dem Sarkophag her, der für Piskokephala als Parallele genannt wird (Kanta 1980, 177–178). 8 Ein weiteres Exemplar mit unbekannter Herkunft befindet sich im Museum von Sitia (6883) und ist das einzige dieser Gruppe, das auf jeder Seite die in der Natur anzutreffende Anzahl von vier Tentakeln darstellt, Tsipopoulou et al. 1997, 476. 9 Kanta 1908, 177, Abb. 66, 1–2. Aufgrund der ikonographischen Ähnlichkeiten mit einem Sarkophag aus Kritsa im östlichen Hinterland des Golfes von Mirabello, der anhand der vergesellschafteten Keramik von Tsipopoulou und Vagnetti in eine frühe Phase von Spätminoisch IIIC datiert wird, müsste das Beispiel aus Piskokephalo in denselben Rahmen eingeordnet werden, s. Tsipopoulou et al. 1997, 476 Punkt 4. 10 Eine Ausnahme bildet eine leider aus dem Schweizer Kunsthandel stammende kistenförmige Larnax mit der Abbildung eines Bootes im Inneren direkt unterhalb des Randes, die erstmals bei Dorothea Gray (1970/1971, 47, Abb. 11) später bei Robert Laffineur (1991, Taf. 61 b) abgebildet ist.
lenbändern verziert: Die Larnax aus Petras schmücken zahlreiche länglich laufende Wellenbänder, während die beiden aus Piskokephalo und von Tourtouloi sternförmig arrangiert sind. Letzteres könnte nach Watrous Seegras darstellen,11 während im Falle des ersteren durchaus auch an die wellenförmige Struktur eines sandigen Meeresbodens gedacht werden könnte. Vergleichbare Beispiele sind auch andernorts zu finden und wurden auch schon von Tsipopoulou und Vagnetti in Anbetracht ihrer möglichen Relation zu der von ihnen postulierten Werkstatt ins Feld geführt. Darunter fallen insbesondere die Stücke, deren Außenwandungen von einer vergleichbaren Oktopusdarstellung ausgefüllt wird, während aber ihre Innengestaltungen eine deutlich größere Variabilität aufweisen. Das Innere einer vom Musée d’Art et d’Histoire in Genf 1980 erworbenen Larnax (leider ohne Angaben zum Fundort oder Herkunft)12 ist den Beispielen aus Sitia stilistisch sehr ähnlich, jedoch werden hier vier statt zwei Fische abgebildet.13 Zwei weitere Larnakes aus Kritsa im östlichen Hinterland des Golfes von Mirabello,14 die anhand der damit vergesellschafteten Keramik in Spätminoisch IIIC (also etwa ins 12. Jh. v. u. Z.) datiert werden,15 bieten zwei weitere Varianten: In einem Fall birgt das Innere einen von Wellenbändern, vermutlich Oktopustentakeln, gerahmten Fisch, während die andere eine ganze Unterwasserlandschaft mit mehreren schlangenartig stilisierten Fischen und einem Wasservogel aufweist (Abb. 4).16 Aus einem Grab bei Alatsomouri in Pachyammos17 stammt eine weitere Larnax mit Oktopoden auf der Außenseite, nun aber in Registereinteilung arrangiert.18 Ihr Innendesign ist in der Thematik jedoch durchaus vergleichbar und setzt sich aus drei sorgsam gruppierten, in dieselbe Richtung schwimmenden Fischen zusammen, die nahezu wie das Zitat eines Fischschwarms wirken (Abb. 5).19 Das motivische Spektrum wird durch eine weitere Larnax unbekannter Herkunft aus dem Museum von Sitia erweitert. Auch in diesem Fall ist wieder die Außenseite in vertikale Register unterteilt und mit einem Wellenband/Tentakel (?) und geometrischen Mustern versehen, aber im Inneren schwimmen anstatt der üblichen Fische sechs länglich ovale Körper mit kleinen Köpfchen und je vier winzigen Beinen oder Flossen frei schwebend über der Wandung und werden m. E. zu Recht von Tsipopoulou und Vagnetti als Wasserschildkröten ange11
Watrous 1991, 289. Mottier 1982. 13 Tsipopoulou et al. 1997, 474, Taf. 184 a–b. 14 Auch wenn die Anzahl der Tentakeln zum Teil variiert, s. Tsipopoulou et al. 1997, 476, Taf. 186 a–c. 15 Tsipopoulou et al. 1997, 476 Punkt 4. 16 Tsipopoulou et al. 1997, 476, Taf. 185 c; 187 a–b. 17 Aus dem Grab wurden insgesamt drei Larnakes geborgen, Alexiou 1954, 399–412. 18 Kanta 180, Taf. 56, 4–5, Museum von Heraklion Nr. 9499 (Alexiou 1954, Taf. E), 9500 (Alexiou 1954, Taf. ST, 1). 19 Kanta 1980, Abb. 56, 3, Museum von Heraklion Nr. 9499 (Alexiou 1954, Taf. E). 12
Abb. 6: Wannenlarnax, Museum Sitia, Tsipopoulou et al. 1997, 188.
sprochen (Abb. 6).20 Ebenso wurden auch Argonauten auf die Innenseite von Wannensarkophagen gemalt, wie ein Beispiel aus einem Grab bei Papoures am Hafen von Sitia zeigt.21 Dass sich die Funde solcher Larnakes nicht auf die beiden Regionen um Sitia und den Golf von Ierapetra konzentrieren, sondern auch die ganze dazwischen befindliche Region betreffen, zeigt ein weiterer Fund aus einer ins 12. Jh. v. u. Z. (SM IIIC) datierenden Tholos aus Mouliana, auf halbem Weg von Pachyammos nach Sitia: Ihr Äußeres wurde durch Tentakel und Schachbrettmuster, ihr Inneres mit Fischen dekoriert.22 Aus der Nähe von Milatos und damit schon auf dem Weg nach Zentralkreta wurden ebenfalls zwei sehr ungewöhnliche Wannensarkophage geborgen. Ein sehr aufwändiges und anhand der ikonographischen Merkmale als besonders früh einzuordnendes Exemplar (SM IIIA) stammt aus dem Felskammergrab 1 der Nekropole (Abb. 7).23 Die Außenseite ist fast vollständig mit einem engen Netz aus vierblättrigen Rosetten versehen, während im 20
Tsipopoulou et al. 1997, 476. Leider ohne Abbildung, die Larnax wurde mit zwei weiteren bei einer Notgrabung geborgen (Kanta 1908, 176–177). 22 Xanthouides 1904; Kanta 1980, 175, Abb. 61, 5–6; 114, 2. 23 Das Stück wurde bereits am Ende des 19. Jh. vom dortigen Bischof an das Museum von Heraklion gegeben. Kanta 1980, 125, Abb. 52, 5. 21
Inneren eine komplexe Unterwasserszenerie mit kleinen, in nahezu natürlicher Weise angeordneten Fischen oberhalb eines mehrfach konturierten Wellenbands präsentiert wird. Nach oben hin abgeschlossen wird das Ganze durch ein von Bändern gerahmtes Muschelfries.24 1910 wurde dort ein weiteres Felskammergrab gefunden, aus dem eine etwas spätere wannenförmige Larnax geborgen wurde (SM IIIB), die sowohl außen als auch innen mit Papyruspflanzen bemalt ist. Für uns von Interesse ist aber, dass auf der Außenseite zusätzlich kleine Fische zwischen den Pflanzen schwimmen (Abb. 8). Ungewöhnlicherweise bediente sich der/die Handwerker_in auf der Außenseite des sogenannten free field style, während das Innere in Paneele unterteilt ist und keine Fische aufweist.25 Unweigerlich stellt sich natürlich die Frage, was die Menschen in Ostkreta dazu brachte, ihre Sarkophage nicht nur außen,26 sondern gerade eben auch im Inneren mit Meereswesen und regelrechten Unterwasserszenen zu gestalten und damit ihre Toten quasi ins Meer zu betten. Welche Aspekte der Bestattungspraktiken werden hier durch die materielle Kultur zum Ausdruck gebracht, und wie stehen diese vielleicht in Zusammenhang mit Jenseitsvorstellungen oder der Konstruktion von Identitäten in den jeweiligen Gemeinschaften? Ellen Davis formulierte in dieser Hinsicht einmal die These, dass sich in diesen Darstellungen die frühere palastzeitliche Sitte, die Toten zur See zu bestatten, widerspiegelt. Eine sehr inspirierende Idee, die nicht nur die zahlreichen Meerestierdarstellungen auf Larnakes erklären könnte, sondern auch die viel zu geringe Anzahl von Gräbern aus der Palastzeit.27 Bis auf diese wenigen knappen Verweise zur Ikonographie und zu den darin vermuteten Jenseitsvorstellungen konzentrierte sich 24
Watrous interpretiert dies als stilisierte Version eines Seegrases (Watrous 1991, Taf. 85 f.). Kanta 1980, 128, Abb. 52, 6; 133, 2. 26 Natürlich sind in dieser Region Kretas noch weitere interessante Wannensarkophage mit Meeresbezug bekannt. Häufig wird aber nur auf ihre Außenseite Bezug genommen, während es über eine etwaige Bemalung der Innenseite leider oft keine eindeutigen Angaben gibt. Darunter fallen mehrere Exemplare mit Oktopusdarstellungen aus dem Gräberfeld von Episkopi bei Ierapetra, weiterhin eine Larnax aus einer 1906 von Seager ergrabenen Tholos, deren Form aber nicht genannt wird (Seager 1906, 130), sowie zwei Wannensarkophage aus einem 1919 bei Bauarbeiten gefundenen Kammergrab mit einem seitlich und einem vertikal arrangierten Oktopus (Archaeologikon Deltion 1920–1921, 157–162; Kanta 1908, 150, Abb. 63, 6: Heraklionmuseum Nr. 7623). Eine weitere wird von Kanta aus der Ierapetrasammlung erwähnt, aber ohne Inventarnummer oder Abbildung (Kanta 1908, 158). Zu dieser Gruppe des Isthmus von Ierapetra kommt wohl ein sekundär genutztes Beispiel aus Kavousi-Kastro hinzu, das Tsipopoulou und Vagnetti durch eine persönliche Kommunikation mit W. Coulson anführen konnten, sowie ein weiteres Beispiel aus einer rechteckigen Tholos von Arfanoperivolia bei Praesos (Tholos B: Kanta 1908, 179; Bosanquet 1901–1902, 245–248). 27 Die Idee von Ellen Davis wird 1997 von Nanno Marinatos in einem Aufsatz zitiert (Marinatos 1997, 282), die den Gedanken etwas weiterführt und eine unpublizierte Larnax von Pigi bei Rethymnon mit Aufbahrungsszene hinzuzieht, die mit einem Wellenband übermalt wurde: Marinatos interpretiert dies als Seebestattung und damit als Bestätigung dieser These, jedoch lässt sich diese Darstellung aufgrund der Publikationslage leider immer noch nicht überprüfen (Kanta 1980, 296; Marinatos 1997, 282). 25
die bisherige Forschung zu den genannten Larnakes meist auf die Suche nach deren Produktionsort und den damit einhergehenden Herstellungsumständen.28 Zweifellos muss dies als wichtiger Ansatz zum Verständnis ostkretischer Handwerksnetzwerke gelten, für die Auseinandersetzung mit ihrem funerären Kontext, den Bestattungspraktiken und ihrer Zusammenhänge mit dieser auffälligen Ikonographie ist er aber eher von sekundärer Bedeutung. Dass letztere Fragen gerade hinsichtlich der Wannenlarnakes bisher nur am Rande behandelt wurden, mag auf verschiedene forschungsgeschichtliche Aspekte zurückzuführen sein. Ein Problem liegt sicherlich in der unzureichenden Publikationslage und der damit einhergehenden schlechten Kenntnis der Fundkontexte der zumeist früh ausgegrabenen Stücke. Außerdem kam ihnen in der Forschungsgeschichte im Gegensatz zu den gleichzeitigen Truhenlarnakes und deren Skeuomorphismus einer hölzernen Materialität keine besondere Rolle bei der Verbreitung bestimmter Bestattungssitten zu,29 so dass sie in dieser Hinsicht keine allzu große Aufmerksamkeit genossen. Zentral für die Marginalisierung wannenförmiger Larnakes ist aber sicherlich, dass im Vergleich zu den truhenförmigen häufig eine etwas einfachere Gestaltung gewählt wurde.30 Den Darstellungen auf den berühmten Truhensarkophagen aus Agia Triada und Episkopi wird zumeist eine komplexe Narration zugeschrieben, so dass ihre ikonographische Bearbeitung und Diskussion eine besondere Anziehungskraft auf Archäologen und Archäologinnen auszuüben scheint.31 Mit dem vorliegenden Versuch sollen nun eben gerade die Besonderheiten der Bestattung in einer Wannenlarnax und deren ganz spezifischer Bezug zum Meer ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden und damit dieses Desiderat der Erforschung nachpalastzeitlicher Bestattungspraktiken zumindest angegangen werden.
Die Affordanz eines ostkretischen Designs Bei einer eingehenderen Betrachtung der Wannensarkophage ergeben sich allein aus ihrer Form heraus einige wichtige Aspekte, die zeigen, dass sie gerade im Gegensatz zu den gleichzeitigen Truhensarkophagen eine ganz spezifische Affordanz32, einen Angebotscharakter, besitzen. Schon bei der Betrachtung ihres längsovalen Grundrisses und ihrer darauf aufbauenden, leicht ausladenden Wandung (Abb. 2–8) wird ein zentraler Aspekt ihres Designs deutlich: Diese grundsätzlichen Aspekte ihrer Form resultieren in einer eckenlosen Wandung, die sich als ideale Fläche für eine umlaufende und damit endlos erscheinende Ikonographie 28
S. v. a. Tsipopoulou et al. 1997, 476–477. Z. B. Pini 1968, 53; Rutowski 1968; Hägg et al. 1982. S. auch Preston 2004, 178. 31 S. beispielsweise die berühmten Sarkophage von Episkopi oder Agia Triada, Watrous 1991, 290–291. 302; Marinatos 1993, 236–239. 32 Gibson 1977.
Abb. 9: Truhenlarnax aus Palaikastro, Watrous 1991, Taf. 82 b.
anbietet.33 Dass diese Möglichkeit auch genutzt wurde, zeigen sowohl das oben bereits mehrfach beschriebene umlaufende Oktopusmotiv als auch die das Innere schmückende Unterwasserlandschaften. Die darin deutlich werdende Neigung zum sogenannten free field style ist ein zentraler Unterschied zu den Bildfeldern der Truhensarkophage und ihren häufig zumindest emblematisch wirkenden Darstellungsweisen. Zwar sind auch dort Meerestiere ein wichtiger Bestandteil der Ikonographie, nur sind ganze Unterwasserszenen oder -landschaften eher selten. Es ist vielleicht kein Zufall, dass eine Ausnahme gerade aus Palaikastro ganz im Osten Kretas stammt (Abb. 9). Trotz des geringen Platzes zeigt eines der Paneele einen von sternförmigen Gebilden (Seeigel?) und wellenförmiger Landschaftsangabe umgebenen Fisch. Dasselbe Prinzip wurde auch in den benachbarten Bildfeldern mit weiteren Tieren und Pflanzen angewandt.34 Es schien hier wohl relevant gewesen zu sein, die Lebewesen in ihrem natürlichen Kontext darzustellen, 33
Wie auch oben schon genannt, wird in einigen Fällen auch die gerundete Wandung der Wannenlarnakes in einzelne Register unterteilt. 34 Mavriyannaki 1972, Taf. 12; Watrous 1991, Taf. 82 b.
so dass trotz der Platzschwierigkeiten keine Verkürzungen der Szene vorkamen. Ähnliches gilt auch für eine weitere Ausnahme, einen Larnaxdeckel mit Fischen in einer Unterwasserlandschaft aus Messi in Westkreta.35 Ansonsten beschränkte man sich gewöhnlich bei Truhenlarnakes auf die separierten Darstellungen von Meerestieren wie Oktopoden oder Fischen, die manchmal geradezu in die rechteckigen Bildfelder gezwängt wurden.36 Damit setzen sich die meisten Darstellungen auf Truhenlarnakes deutlich von den eher raumgreifenden und umfassenden Oktopoden und Unterwasserszenerien der Wannensarkophage ab. Während sich die gerundete Wandung der Wannenlarnakes anscheinend für ein umlaufendes und damit unbegrenzt wirkendes ikonographisches Konzept anbot, behinderten der Skeuomorphimus der Truhensarkophage und die sich daraus ergebenden Bildfeldbegrenzungen eine solche Darstellungsweise. Dennoch scheint man in West- und Zentralkreta sowie zu Teilen auch im Osten der Insel diesem Typus den Vorzug gegeben zu haben. Der beobachteten unterschiedlichen Verwendung der oftmals selben Motive muss also nicht unbedingt ein vollkommen unterschiedliches Bildverständnis zugrunde liegen, sondern dies kann auch auf die Potentiale des jeweiligen Mediums zurückgeführt werden. Interessanterweise treffen wir in Ostkreta nun auf die Verwendung beider Larnaxformen, und dies zum Teil sogar in denselben Gräbern. Unweigerlich stellt sich also die Frage, wann man wohl dem einen und wann dem anderen Typus den Vorzug gab und ob für eine solche Wahl nicht auch der Wunsch einer umlaufenden Ausgestaltung ausschlaggebend gewesen sein kann. Vielleicht war es für einige Menschen in Ostkreta, insbesondere zwischen dem Golf von Ierapetra und Sitia, eben gerade von großer Bedeutung, manchen Toten in die Tentakel eines Oktopus zu geben oder in eine Unterwasserlandschaft mit Fischen, Argonauten und Schildkröten zu betten.37 Die leicht ausladende Wandung einer Wannenlarnax wird nach oben hin durch eine breitere Lippe begrenzt. Dort finden sich gewöhnlich aber keine Anzeichen für eine Deckelfalz, und bisher konnte auch nur in Ausnahmefällen ein Deckel für diesen Typus nachgewiesen werden.38 Dies setzt sie erneut in Kontrast zu dem truhenförmigen Typus mit seinen walmdachförmigen Bedeckungen. Für uns stellt sich vielmehr die Frage, ob es bei der Wahl einer verschließbaren Larnax um den Wunsch der Bestattungsgemeinschaft ging, den oder die Tote(n) den Blicken der Lebenden zu entziehen? Sollte man im Gegenzug den Leichnam in einer Wannenlarnax während der Bestattung und vielleicht auch bei nachfolgen35
Marinatos 1993, 231, Abb. 235. Watrous 1991, Taf. 83 b (Rethymnon Museum), Taf. 85 e (aus Adele), Taf. 86 a–b (aus Maroula, Rethymnon Museum), Taf. 87 a (Rethymnon Museum), Taf. 90 e–f (Gazi, Heraklion Museum). 37 Dennoch muss angemerkt werden, dass die Einteilung in Bildfelder anhand einer Registereinteilung zum Teil auch auf Wannenlarnakes übergreift, dort aber lediglich gemalt wurde und nicht den starren Vorgaben der Truhe folgt. 38 Preston 2004, 183.
den Ritualen eben gerade sehen können? War dieser Leichnam, vielleicht auch gerade gebettet in die sich im Inneren befindliche Unterwasserlandschaft, ein ganz unmittelbarer Bezug für die Bestattungsgemeinschaft? Sollte er vielleicht sogar nicht nur visuell, sondern auch haptisch und olfaktorisch wahrgenommen werden können? Abschließend ist zudem anzumerken, dass Wannenlarnakes gewöhnlich in der Mitte der Längs- und Schmalseiten über gegenüberliegende Horizontalhenkel verfügen. Die kräftigen Henkel erlauben es einer Hand problemlos hineinzugreifen, so dass der Sarg im Zuge seiner Niederlegung in der Grabkammer vergleichsweise leicht von vier Personen getragen werden konnte. Truhenlarnakes hingegen verfügen häufig nur über kleine, vertikale Henkel oder manchmal auch nur Löcher in der Wandung, die wohl in erster Linie zur Befestigung ihrer Deckel dienten. Das Design der letzteren war also weniger zum Tragen geeignet, ermöglichte dafür aber ein leichtes Verschließen, während hingegen die wannenförmigen Larnakes getragen werden konnten, aber gewöhnlich keine explizite Vorrichtung zum Verschließen hatten.
Das Meer und der Tod Eine Annäherung an die Bestattungspraktiken Ostkretas Die eingehende Betrachtung der Affordanz einer Wannenlarnax soll im nun folgenden Abschnitt in die Bestattungspraktiken Ostkretas eingebettet werden. Die Publikationslage erlaubt leider vielfach keine Mikrostudien einzelner Gräber, so dass unter Annahme einer gewissen regionalen Vergleichbarkeit die Informationen aus verschiedenen Gräberfeldern zusammengetragen werden müssen. Nach der späteren Palastzeit, in der Bestattungen auf Kreta kaum zu fassen sind,39 verbreiten sich zu Beginn der Nachpalastzeit (SM IIIA) neue Grabformen über nahezu die gesamte Insel. Wohl inspiriert durch die im Gebiet um Knossos schon längere Zeit beheimateten Sitten, scheinen nun auch die Bewohner Ostkretas Aspekte davon in ihre Bestattungspraktiken einzubetten. Neben den zum Teil weiter bestehenden Bestattungen in Felsspalten und Abris40 beginnen sie nun, ihre Toten auch in Felskammergräbern und gelegentlich Tholoi niederzulegen.41 Beide Arten von Kammergräbern waren meist über einen Dro39
Wenige aus SM IA und keine aus SM IB, Watrous 1991, 286; Preston 2004, 179–180. Wie auch Preston bereits formuliert, mag dieser Anschein eines extremen Rückgangs noch durch schwer einzuordnende, da beigabenlose Gräber und durch in den Gräbern gewöhnlich fehlende Keramikleitformen von SM IB verstärkt werden (s. dazu auch Driessen et al. 1997a, 241). Trotzdem bleibt diese Lücke kaum zu schließen, und wir können bisher nur Vermutungen anstellen, was in der späteren Palastzeit, einer Phase äußerst dichter Besiedlung, mit einem Großteil der Toten passierte. 40 Wie beispielsweise in Gournia und Palaikastro (s. dazu Pini 1968, 36; Kanta 1980, 140). 41 Preston 2004, 187; s. dazu auch das oben genannte Tholosgrab aus Mouliana.
Abb. 10: Kammergrab von Pachyammos, Alexiou 1954, Abb. 1.
459
Abb. 11: Kammergrab von Gypsades, Hood et al. 1958–1959, 203, Abb. 5.
mos zugänglich, dessen Öffnung nach der Bestattung durch Steinanhäufungen verschlossen wurde (Abb. 10. 11).42 Gewöhnlich handelt es sich in Ostkreta dabei um Gräber mit Mehrfachbelegungen, deren Bestattungsweise aber keineswegs einheitlich ist. Die Toten wurden mal in ausgestreckter Lage auf dem Boden der Kammer oder des Dromos, seltener auch in Gruben gebettet oder eben als Hocker in Bestattungsbehältnissen wie Pithoi und Larnakes untergebracht. Die genannten Bestattungsbehältnisse müssen sicherlich als ein zentraler Aspekt einer Bestattung betrachtet werden. Durch ihre enge physische Verbindung mit dem Körper des/r Verstorbenen bilden sie nicht nur ein zentrales Utensil im Ablauf einer Bestattung, sondern auch ihren emotionalen Fokus.43 Im Zuge der immer wiederkehrenden Bestattungsrituale werden sie mit einer Bedeutung aufgeladen und somit zum materialisierten Ausdruck der gemeinschaftlichen Praktiken und damit der Haltung einer Gemeinschaft zum Tod. Trotz ihrer im Vergleich zu den Kistensarkophagen (476) weit geringeren Gesamtzahl von 58 Exemplaren, sind wannenförmige Larnakes im östlichsten Abschnitt der Insel das häufigere Bestattungsbehältnis (Abb. 1 und 12. 13 Tabellen nach Preston).44 Bei einer intraregionalen Betrachtung wirkt diese Vorliebe wenig aussagekräftig, da sich in Ostkreta der Anteil aller drei Behältnistypen weitgehend die Waage hält 42
S. Alexiou 1954, 400, Abb. 1, zum Verschließen des Stomion s. beispielsweise Grab 4 in Gypsades, Hood et al. 1958–1959, 203, Abb. 5. 43 Preston 2004, 178. 44 Preston 2004, 186.
Abb. 12: Relative Nutzung der verschiedenen Bestattungsbehältnisse, Preston 2004, 189, Abb. 6. Abdruck mit frdl. Genehmigung des Oxford Journal of Archaeology, John Wiley & Sons Ltd.
Abb. 13: Relative Nutzung der verschiedenen Bestattungsbehältnisse nach Regionen, Preston 2004, 190, Abb. 7. Abdruck mit frdl. Genehmigung des Oxford Journal of Archaeology, John Wiley & Sons Ltd.
und darüber hinaus auch einfache Inhumationen mehr als ein Drittel aller Bestattungen ausmachen.45 Der Versuch, die in Ostkreta so beliebte Wannenlarnax zur Rekonstruktion einer Regionalidentität heranzuziehen, muss also scheitern.46 Zudem sprechen die wenigen anthropologischen Daten aus Mochlos gegen eine Auswahl der Bestattungsweise nach Alter oder biologischem Geschlecht.47 Auch die Überlegung, auf individueller Ebene einen Zusammenhang zwischen der Bestattungsweise in einer Wannenlarnax und der dem Verstorbenen zugewiesenen Identität zu konstruieren, birgt zahlreiche Fallstricke. Auch wenn ein persönlicher Bezug des/der Verstorbenen zur Unterwasserwelt – mag es in der Tendenz eher profan oder kultisch sein – denkbar ist, macht uns der archäologische Befund deutlich, dass eine Larnax und ihre Benutzung nicht unbedingt an einen bestimmten Verstorbenen gebunden war. Zwar kann in manchen Fällen jedem Bestattungsbehältnis eine einzelne Bestattung zugeordnet werden,48 jedoch gibt es auch Beispiele von bis zu fünf Körperbestattungen in nur einer einzigen Larnax,49 und auch die Kombination einer Körperbestattung mit einer Brandbestattung in einem Sarkophag ist aus den späteren Phasen (SM IIIC) belegt.50 45
Vgl. hierzu die Tabellen in Preston 2004, 188, Abb. 5, zur relativen Häufigkeit von Bestattungen mit oder ohne Behältnis, geordnet nach Regionen, mit Preston 2004, 190, Abb. 7, zur relativen Popularität der Bestattungsbehältnisse im äußersten Osten Kretas. 46 S. dazu auch Preston 2004, 186. 47 Soles et al. 1996; Preston 2004, 193. 48 Zum Beispiel in Kateri Koumos bei Pachyammos (Kanta 1980, 144). 49 S. z. B. das Kammergrab bei Adrymyloi, Kentemi Kefali (Kanta 1980, 185). 50 Ein Grab bei Praesos, in dem in einer Larnax auf eine schon bestehende Körperbestattung
Abb. 14: Delphin in Meereslandschaft auf einem Gefäß der Nekropole von Pachyammos, Seager 1916, Taf. 8 unten. 9. 14.
Ebenso wurden Larnakes vollkommen leer geborgen, vielleicht ausgeräumt im Zuge einer Sekundärbestattung, oder auch gefüllt mit Knochen sekundärer Bestattungen und damit als Ossuarien dienend.51 Ein Zusammenhang zwischen der individuellen Identität einer Person und des für ihre Bestattung verwendeten Sarkophags ist also eher unwahrscheinlich und könnte höchstens für die allererste Bestattung in Betracht gezogen werden. Insgesamt macht es einem die Heterogenität der Nutzungsweisen sehr schwer, ein Schema zu finden, das sich mit der Identität einer Bestattungsgemeinschaft, einer spezifischen Gruppe oder gar von Individuen in Einklang bringen ließe. Vieles lässt einen vermuten, dass es sich hier ebenso wie bei den früheren Bestattungspraktiken auf Kreta52 um eine Abfolge von Primär- und Sekundärbestattungen handelt und damit ein potentieller Bezug der Larnax zu einer spezifischen Person spätestens im Zuge der späteren Rituale aufgelöst wird. Diese heterogene Larnaxnutzung macht es besonders interessant, dass es sich gerade eben bei den Bestattungen in Pithoi und Larnakes nicht um eine absolute Neuheit in Ostkreta handelt, sondern vielmehr um ein Wiederaufleben vereine Brandbestattung in einer Pyxis auf den Füßen niedergelegt wurde (Kanta 1980, 181). Auf eine vollkommen leere Larnax aus Pachyammos verweist Ingo Pini (Pini 1968, 60), ebenso auf den Fund einer Larnax aus Palaikastro, in der nur Arm- und Beinknochen geborgen werden konnten, sowie zwei weitere Wannenlarnakes aus derselben Region, innerhalb derer und in ihrem direkten Umfeld nicht weniger als 20 Tote festgestellt werden konnten, und die wohl im Sinne eines Ossuariums verwendet wurden (Pini 1968, 60). 52 Panagiotopoulos 2001; Panagiotopoulos 2001/2002. 51
gangener Bestattungsformen,53 die in ähnlicher Weise bereits in den nahegelegenen palastzeitlichen Gräberfelder von Pachyammos oder Sphoungaras zu finden sind.54 Als eine Art Neuerfindung alter Praktiken, vielleicht sogar Traditionen, ist dieser Rückgriff gerade in dieser Phase umfassender politischer und sozialer Veränderungen auf Kreta als ein möglicher Aspekt einer Erinnerungskultur von besonderer Relevanz. Ein Hinweis darauf mag vielleicht gerade auch die Ikonographie dieser früheren Bestattungen liefern. Unter den großen Gefäßen und Pithoi des Gräberfeldes von Pachyammos sind zwar nur sehr wenige Beispiele mit figürlicher Bemalung zu finden, darunter aber vier bisher einzigartige Gefäße: Drei davon zeigen aufwändig gestaltete springende Delphine in einer Unterwasserlandschaft (Abb. 14)55 und einen Oktopus, dessen Tentakel eine gesamte Gefäßhälfte einnehmen.56 Leider wird auf ihre genaue Fundlage und Verwendung in der Publikation nicht Bezug genommen, aber aufgrund ihrer anzunehmenden Größe57 ist es sehr wahrscheinlich, dass sie als Bestattungsgefäße fungierten. Es scheint, als wären demnach wenigstens einige Verstorbene des palastzeitlichen Pachyammos in Meeresszenen und Unterwasserlandschaften gebettet worden. Dass das Gräberfeld von Pachyammos tatsächlich direkt am sandigen Strand angelegt wurde,58 kann vielleicht als eine vergleichbare Einbettung der Toten in eine tatsächliche Küstenlandschaft gewertet werden.59 Diese tatsächliche als auch ikonographische Einbettung der Toten in Meereslandschaften scheint nun in der Nachpalastzeit in etwas standardisierter Form in den Wannenlarnakes wieder aufzukommen – inwieweit es sich um einen bewussten Rückgriff und Neuerfindung oder um eine eher habitualisierte Fortsetzung dieses Meeresbezugs handelt, lässt sich bisher kaum herausarbeiten. Zu Beginn der Nachpalastzeit scheint auf der Ebene der Bestattungen und des Umgangs mit den Toten in Ostkreta ein Aushandlungsprozess initiiert worden zu sein. Verschiedene aus der Vergangenheit inspirierte Bestattungsweisen ver53
Rutowski 1968, 223, Abb. 1. 3–7; Preston 2004, 186. In Pachyammos konnten insgesamt 213 Pithosbestattungen und sechs Larnakes geborgen werden, und ein ähnliches Bild ergibt sich in Sphoungaras (Seager 1916, 9). Insgesamt sind diese früheren Larnakes wesentlich einfacher gestaltet und selten mit Bemalung, aber gerade die ovalen Beispiele (Seager 1916, Taf. 5. 7. 12) können durchaus als Vorgänger der Wannenlarnakes betrachtet werden. 55 Seager 1916, Taf. 8 unten. 9. 14. 56 Seager 1916, Taf. 13 unten. 57 Leider ohne Angaben und Maßstab. 58 Seager 1916, 8. 59 Andere Bezüge zur Vergangenheit könnten auch in der Nutzungsweise der Sarkophage erkannt werden. Im Falle der Pithoi der palastzeitlichen Gräber wurden die Toten kopfüber in diese Gefäße geschoben und letztere dann mit dem Boden nach oben in der Erde deponiert (Seager 1916, 11). Eigenartigerweise passierte dasselbe mit den länglicheren Sarkophagen, die ebenfalls umgekehrt deponiert wurden (Seager 1916, 13) – ein Aspekt, der auch an einzelnen Fundplätzen der Nachpalastzeit beobachtet werden kann und vielleicht ebenfalls als Rückgriff oder Neuerfindung einer lokalen Tradition verstanden werden muss.
binden sich mit den neuen Grabformen der Felskammer- und Tholosgräber zu einer neuen Bestattungspraxis. Larnakes scheinen dabei neben Niederlegungen in ausgestreckter Rückenlage auf dem Kammerboden sowohl bei primären Hockerbestattungen als auch bei Sekundärbestattungen eine Rolle gespielt zu haben. Aufgrund der Heterogenität und der vermuteten Abfolge aus Primär- und Sekundärbestattungen kann ein Zusammenhang zwischen der Wahl der Begräbnisweise und den potentiellen Identitätszuweisungen der Bestattungsgemeinschaft nur schwer aufgezeigt werden, und dabei muss man sich natürlich die Frage stellen, ob dieser überhaupt gewünscht war. Inwiefern ist es vielleicht nicht wahrscheinlicher, dass die Auswahl der Larnax und ihre bildliche Ausgestaltung ihre Ursache vielmehr in der Ritualpraxis als in der Konstruktion von Identitäten in den Gemeinschaften der (Über)Lebenden hatte?
Die Unterwasserwelten der Nachpalastzeit als rituelles Medium Meerestiere und -szenen fanden Eingang in ganz unterschiedliche Bereiche nachpalastzeitlicher Lebenswelten, aber sicherlich in ganz besonderem Maße in Darstellungen auf Larnakes. Es ist daher sehr naheliegend, ihnen einen direkten Bezug zu den nachpalastzeitlichen Bestattungspraktiken und Jenseitsvorstellungen zu unterstellen. Dahingegen lenkt ein Vorschlag von Robert Laffineur unsere Aufmerksamkeit auf die regenerativen Fähigkeiten von Oktopoden, deren Fangarme bei einer Verletzung oder beim gezielten Abwerfen in Gefahr nachwachsen. Diese Fähigkeit könnte nach Laffineur im Sinne einer symbolischen Überhöhung als Garant für ein Leben im Jenseits stehen.60 Eine sicherlich sehr spannende Vorstellung, jedoch müssen wir uns dabei die Frage stellen, ob diese faszinierende Fähigkeit der Kopffüßler wirklich so leicht zu beobachten war, wie es Robert Laffineur annimmt. Ohne Zweifel kann beim Jagen, Fischen oder Tauchen festgestellt werden, dass einem solchen Tier hin und wieder ein Arm fehlt. Jedoch ist es ungemein schwieriger daraus auch zu schließen, dass dieser wieder nachwächst. Dafür ist eine langfristige Beobachtung nötig, wie sie heutzutage Aquarien ermöglichen, die in freier Wildbahn aber nur selten gemacht werden kann. Selbst wenn einem das Habitat eines Oktopus bekannt ist und man diesen dort über einen längeren Zeitraum hinweg aufsucht, gelingt es einem nur selten, das Tier mit ausgebreiteten Fangarme aufzufinden; meist trifft man es lediglich gut versteckt in den Höhlen der Felsen an und somit einer genaueren Inspektion weitgehend entzogen. Natürlich ist es nicht auszuschließen, dass diese Beobachtung dennoch gemacht wurde, aber es muss darauf hingewiesen werden, welch intime Kenntnis es hinsichtlich seiner Lebensweise bedürfte. So etwas wäre eventuell bei Gruppen wie Schwammtauchern oder Speerfischern zu erwarten, die 60
immer wieder in einem spezifischen Revier aktiv sind. Als Grundvoraussetzung zur Interpretation des Motivs auf Larnakes eignet es sich nur schwer. Auf Truhenlarnakes sind in erster Linie eher emblematisch wirkende Meerestierdarstellungen zu finden.61 Dennoch wird immer wieder auf einige wenige komplexere Kompositionen Bezug genommen, von denen man sich Aufschluss über Jenseitsvorstellungen und den potentiellen Zusammenhang von Tod und Meer erhofft. Auf für unsere Sehgewohnheiten eher unerwartete Weise werden hier Meereswesen in weitreichendere Szenen integriert. Auf einem Beispiel aus Armenoi wird am unteren Rand einer terrestrischen Jagdszene ein Argonaut gezeigt (Abb. 15),62 und eine vergleichbare Anordnung ist bei anderen Larnakes desselben Fundortes zu beobachten.63 Für uns vielleicht noch unerwarteter ist die Langseite einer Larnax aus Kavrochori, auf der ebenfalls terrestrische und marine Aspekte vermengt werden.64 In einem einzigen Bildfeld werden ein Fisch und ein Argonaut unterhalb eines in Draufsicht dargestellten Wagens gezeigt, während links davon ein Vogel auf einer Palme sitzt. Eine in ihrer motivischen Syntax vergleichbare Komposition von Motiven findet sich auch auf der Vorderseite der viel diskutierten Larnax von Episkopi (Abb. 16),65 auf der ein Oktopus unterhalb von drei im Wagen befindlichen Männern abgebildet wird. Die gängigste Interpretation dieser außergewöhnlichen Kombinationen ist, die Meereswesen selbst als Symbol für das Meer und damit als eine Art Chiffre zu verstehen.66 In den Beispielen aus Armenoi wäre dies demnach ein Verweis darauf, dass sich eine Szene auf der anderen Seite des Meeres in einer Art paradiesischem Jenseits abspielt,67 während es in den beiden letzteren Fällen die Überfahrt des Toten über das Meer in ein weit entferntes Jenseits andeuten soll.68 Ingo Pini diskutierte die Möglichkeit einer Jenseitsvorstellung auf der anderen Seite des Meeres bereits 1968 in Anlehnung an ägyptische Vorstellungen,69 eine Idee, die später immer wieder aufgegriffen wurde.70 Dazu bemerkte er aber schon damals, dass man in einem solchen Falle wohl mit mehr Bootsdarstellungen oder -modellen in Gräbern rechnen müsste. Auch nach dem heutigen Publikationsstand ist die Ausbeute diesbezüglich vergleichsweise gering und geht über die berühmte Schiffsdarstellung auf einer Larnax von Gazi71 und der Abbildung eines Bootes im Inneren einer 61
Vgl. beispielsweise Watrous 1991, Taf. 83 d; 85 e; 86 b; 87 a. Larnax 1 von Grab 24 in Armenoi, Watrous 1991, 294, Taf. 87 f. 63 S. z. B. Watrous 1991, Taf. 87 e. 64 Watrous 1991, Taf. 89 c; Marinatos 1993, 233, Abb. 238. 65 Marinatos 1993, 236, Abb. 242. 66 Rutowski 1968, 226–227; Watrous 1991, 294. 299; Marinatos 1993, 236. 67 Watrous 1991, 294 „the argonaut tells us that this scene (…) takes place across the sea, in the Afterworld“. 68 Marinatos 1993, 236. 69 Pini 1968, 74. 70 S. u. a. Laffineur 1991, 234. 71 Watrous 1991, Taf. 90 e. 62
Larnax aus dem Kunsthandel kaum hinaus.72 Wenn man aber in der damaligen Vorstellung das Meer nicht in einem Boot, sondern tatsächlich auf einem Wagen überqueren musste – wie man dies ja aus den beiden genannten ikonographischen Beispielen lesen könnte, stellt sich ebenso wie bei den Booten die Frage nach der geringen Anzahl der Wagenmodelle und -darstellungen in den Gräbern dieser Phase. Den Wagen wie bei Homer als einen Hinweis auf ein Bestattungsritual oder den tatsächlichen Transport der ‚Seele‘ ins Jenseits zu betrachten wie dies Watrous73 und Marinatos74 vorschlagen, ist sicherlich verführerisch, aber aus denselben Gründen schwierig. Eine Anlehnung an ägyptische oder homerische Narrationen ist sicherlich methodisch ein nicht ganz einfaches Unterfangen, und wir müssen uns vielleicht eingestehen, dass anhand dieser wenigen Beispiele eine Annäherung an die Ikonologie der Bilder kaum zu erreichen ist. In einem weiteren Sinne ist aber vorstellbar, dass ein solch prestigeträchtiges Vehikel auch im Sinne einer Selbstdarstellung Eingang in die Bestattungspraktiken einer Elite finden kann. Trotz all dieser Ausführungen, die um diese wenigen Beispiele kreisen, bleibt es weiterhin verwunderlich, warum hier Meereswesen als angebliche Chiffre für das Meer dienen sollen75 und nicht eines der zahlreichen Wassermotive, die Watrous so akribisch für die nachpalastzeitlichen Larnakes herausgearbeitet hat.76 Warum ging es darum, eben nicht die Wasseroberfläche, die mit Hilfe von Spiralen oder Wellenbändern viel leichter hätte dargestellt werden können, sondern die sich im Wasser befindlichen Lebewesen zu zeigen? Bei aller Konzentration auf Bezüge zum Meer darf an dieser Stelle nicht vergessen werden, dass Unterwasserszenarien nicht die einzigen Darstellungen auf Larnakes sind. Darüber hinaus sind es gerade terrestrische Landschaften, ob mit einem ‚exotischen Nilbezug‘ oder nicht, die ein weiteres zentrales Thema bilden. Für unsere Seegewohnheiten ungewohnt werden vielfach auch beide Themen vermengt, wie im Fall der Larnax von Vasilika Anogia (Abb. 17)77 oder auch bei der bereits besprochenen Wannenlarnax aus Milatos, auf der kleine Fische zwischen den Papyruspflanzen schwimmen (S. 453 Abb. 8)78 – eine Beobachtung, die von Nanno Marinatos vielleicht treffend als „Octopus Garden“ angesprochen wird.79 Egal ob über oder unter Wasser sind es immer wieder Landschaften, die eine zentrale Rolle spielen, und in dieser Hinsicht scheint sich die Neupalastzeit von 72
Gray 1974, 47, Abb. 11. Watrous 1991, 301. 74 Marinatos 1993, 234, folgt dabei der Interpretation von Rethymniotakis 1979, 252. 257–58. 75 Beispielsweise Marinatos 1993, 236 „Beneath the vehicle is an octopus, the significance of which is symbolic; I would suggest that the octopus acts as a sign suggesting the sea and the beyond“. 76 Watrous 1991, 289–290. 77 Marinatos 1993, 232, Abb. 237. 78 Kanta 1980, 128, Abb. 52, 6; 133, 2. 79 Marinatos 1997, 288. 73
Abb. 17: Larnax aus Anogia, Marinatos 1993, 232, Abb. 237.
der Nachpalastzeit nicht allzu sehr zu unterscheiden. Die Beobachtung, dass sowohl die stilistische Ausführung als auch die Motivauswahl der Pflanzen- und Tierdarstelllungen auf den nachpalastzeitlichen Larnakes eng mit der Palaststilund Meeresstilkeramik in Verbindung stehen,80 spricht trotz der unterschiedlichen Medien ebenfalls für gewisse Kontinuitäten sowohl im Handwerk als auch in der Konsumption dieser Bilder. Diese beschränken sich in der Nachpalastzeit nicht nur auf den Bereich der Bestattungssitten, sondern werden in verkürzter Darstellungsweise auch auf Keramik abgebildet und finden somit eine weite Verbreitung in die unterschiedlichsten Lebensbereiche. Dies macht es sehr wahrscheinlich, dass Meereswesen und Unterwasserlandschaften nicht exklusiv dem Tod oder dessen Kontext zugewiesen wurden, sondern sie in einem weiteren Zusammenhang verstanden werden müssen. Werfen wir deshalb abschließend einen kurzen Blick auf eines der spannendsten Beispiele nachpalastzeitlicher Ikonographie, das uns zwar vielleicht nicht die Bedeutung, aber der Wahrnehmung von Unterwasserszenerien etwas näher bringen kann: der Fußboden des Schreins von Agia Triada (Abb. 18).81 Der komplette Boden des kleinen nachpalastzeitlichen Schreins zeigt eine Unterwasserlandschaft mit Fischen, Delphinen und einem großen Oktopus. Die präzisen Darstellungen dieser Unterwasserszenerie und ihrer Lebewesen lädt den/die Betrach80 81
Watrous 1991, 303. Zum Schrein selbst: la Rosa 1991, 256–257, Abb. 8; zum Freskofußboden: Militello 1998, Taf. 13.
Abb. 18: Fußboden des Schreins von Agia Triada, Militello 1998, Taf. 13.
ter_in ein, direkt unter die Wasseroberfläche zu blicken und nicht auf der Oberfläche zu verharren. Sie evozieren weniger das Gefühl, über das Wasser hinwegzufahren – mag dies nun in einem Boot oder einem Wagen sein –, sondern vermitteln vielmehr den Eindruck, beim Betreten des Schreins direkt in das Medium einzutauchen und schon bald vollkommen davon umgeben zu sein. Aber warum hat man sich hier das Meer in die Siedlung „geholt“? Zu welchen Anlässen und wem mag das Eintreten erlaubt gewesen sein? Welche Rituale fanden in diesem Schrein – oder sollte man vielleicht besser sagen in diesem „Meer“ – statt? Ein Vergleich mit den ostkretischen Wannenlarnakes liegt hier natürlich nahe: In Agia Triada wurde eine Unterwasserlandschaft in den architektonischen Kontext eines Schreins integriert und in Ostkreta auf sehr ähnliche Weise in die beschrie-
benen wannenförmigen Larnakes. Tim Ingold weist zurecht darauf hin, dass solche Darstellungen hier nicht im Sinne einer modernen Kunstbetrachtung als eine Reflektion auf einem symbolischen Niveau verstanden werden sollten, nicht im Sinne eines bewussten, kartesischen Lösens von einer gelebten Erfahrung, sondern als tieferes Eintauchen in diese Erfahrung, um deren darin liegende Bedeutung zu erfassen.82 Während die PriesterInnen oder die AdorantInnen der Gottheit sich beim Eintreten ins Meer begeben, wird der/die Verstorbene Ostkretas ins Meer gebettet. In beiden Fällen spricht die Darstellungsweise, die einbettende Art ihrer Kompositionen, weniger für eine externalisierte, intellektuelle Reflektion eines Symbols, sondern eher für eine sinnliche und damit unmittelbare Erfahrung im Kontext dieser Rituale. Die Meereswesen können aus dieser Perspektive keine Chiffre, kein symbolischer Verweis auf etwas anderes, nicht unmittelbar Greifbares sein, wie dies so oft gedeutet wird. Sie sind kein Symbol für das Meer, sondern als Teil einer Unterwasserlandschaft sind sie das Meer.
Fazit In der ostkretischen Nachpalastzeit verbinden sich einige wohl als Rückgriff auf vergangene Zeiten zu verstehende Bestattungspraktiken mit den sich verbreitenden Kammergräbern zu einer neuen Grabsitte, die sich aber gerade durch ihre Heterogenität in den Bestattungsweisen auszeichnen. Dies macht es schwer oder gar unmöglich, einen Zusammenhang zwischen der Wahl des Bestattungsbehältnisses und einer potentiellen Identitätszuweisung der Bestattungsgemeinschaft herauszuarbeiten, wirft aber zugleich die Frage auf, inwiefern eine solche Zuweisung von den Gemeinschaften dieser Region überhaupt intendiert war. Vielleicht sollte die Bestattung beispielsweise in einer Wannenlarnax eben nicht in erster Linie eine Funktion in der Gemeinschaft der Überlebenden haben, nicht dem/der Verstorbenen oder seiner/ihrer Familie eine Rolle oder ein Status in der Gemeinschaft zuordnen, sondern eine ganz andere rituelle Erfahrung evozieren. Dass es trotz der gravierenden Neuerungen gerade die Pithoi und Wannenlarnakes samt ihrer ikonographischen Gestaltung mit Unterwasserszenarien sind, die als Rückgriff verstanden werden können, ist unter Anbetracht ihrer engen physischen Verbundenheit mit dem Leichnam und der daraus resultierenden Bedeutung als emotionaler Fokus eines Begräbnisses vielleicht nicht verwunderlich. Trotz all der einhergehenden Veränderungen im Ort ihrer Niederlegung erlaubten die eingangs beschrieben Wannenlarnakes weiterhin eine Bettung der Toten in eine Unterwasserlandschaft. Die Bettung der Verstorbenen im Meer und das Tragen der Larnax in die Kammer war sicherlich ein zentraler Bestandteil des Begräbnisrituals, das unter den Augen der Bestattungsgemeinschaft performiert 82
Abb. 19: Lage einer Hockerbestattung in einer Larnax, Pini 1968, Abb. 113.
wurde. Aufgrund der fehlenden Deckel der Wannenlarnakes war es dabei immer auch möglich, den Toten im Meer zu sehen, denn die Hockerlage erlaubt es durchaus, zwischen Beinen und Kopf einen Blick auf die Fische, Schildkröten und Delphine zu erhaschen, in deren Gesellschaft der/die Tote sich befand (Abb. 19). Die Lage des/der Toten in einer Larnax zeigt, dass im Falle eines offenen Sarkophages während der Bestattungsriten die auf der Wandung befindlichen Unterwasserdarstellungen gut sichtbar waren. Ob es sich dabei um einen Widerhall früherer Seebestattungen handelt, wie Ellen Davis dies bereits als These formuliert hat,83 ist schwer zu beweisen. Sicherlich ging es dabei aber nicht um einen entrückten symbolischen Bezug zum Meer, sondern um das unmittelbare Evozieren einer sinnlichen Erfahrung, wie sie auch im Falle des Schreins von Agia Triada nachvollzogen werden kann. Dem Meer kann in der Nachpalastzeit vielleicht kein exklusiver Bezug zum Tod konstatiert werden, aber eine Rolle als zentrales Medium in den Kultpraktiken der damaligen Gemeinschaften.
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Report "Ins Meer gebettet. Einblicke in die nachpalastzeitlichen Bestattungssitten Kretas. In: A. Berner/J.-M. Henke/A. Lichtenberger/B. Morstadt/A. Riedel (Hrsg.), Das Mittelmeer und der Tod. Mediterrane Mobilität und Sakralkultur. Paderborn: Fink/Schönigh, 2016, 447-472. "