Innovative Strukturen im Ṭūrōyo in Deutschland

June 24, 2017 | Author: Viktoria Celik | Category: Semitic languages, Aramaic, Turkey, Minority Languages, Minorities in Turkey, Neo-Aramaic, Tur Abdin, Turoyo, Neo-Aramaic, Tur Abdin, Turoyo
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UNIVERSITÄT REGENSBURG Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur (I:IMSK)

BACHELORARBEIT im Studiengang Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft

INNOVATIVE STRUKTUREN IM ṬŪRŌYO IN DEUTSCHLAND

Viktoria Celik Geboren am: 26.10.1992 in Weiden i. d. OPf. Matrikelnummer: 1566511 Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft 30. März 2015

Erstgutachter: Prof. Dr. Christian Rapold Zweitgutachter: Tobias Weber, MA

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS........................................................................................... 2 VORWORT ................................................................................................................... 3 EINLEITUNG ................................................................................................................. 4 1.

DAS ṬŪRŌYO IM ṬŪR CABDĪN UND SEINE SPRECHER...................................................... 5

2.

SOZIOLINGUISTISCHE ENTWICKLUNGEN IN DER DIASPORA ........................................... 6 2.1 DIE AKTUELLE SPRACHLICHE SITUATION DER ARAMÄER IN DEUTSCHLAND ..................................................6 2.1.1 Bei Kindern und Jugendlichen.............................................................................................. 6 2.1.2 Bei Erwachsenen .................................................................................................................7 2.2 SPRACHKONTAKT – URSACHEN UND FOLGEN ......................................................................................8 2.2.1 Bilingualismus und „Heritage Language” .............................................................................9 2.2.2 Code-Switching als Interferenzmechanismus .....................................................................10

3.

VERÄNDERUNGEN IM SPRACHVERHALTEN - INTERPRETATIONSANSÄTZE ANHAND AUSGEWÄHLTER MERKMALE ...................................................................................... 12 3.1 VORBEMERKUNGEN ....................................................................................................................12 3.2 PHONOLOGIE ............................................................................................................................ 12 3.2.1 Variation von -p- und -f- ....................................................................................................12 3.2.2 Phonemverluste ................................................................................................................13 3.2.3 Betonung ..........................................................................................................................14 3.3 ARAMÄISCHE VERBEN .................................................................................................................16 3.3.1 s-y-m als Hilfsverb .............................................................................................................16 3.3.2 Das Kopulaverb h-w-y........................................................................................................17 3.3.3 kit- und layt- ......................................................................................................................18 3.4 PRONOMINALE PHÄNOMENE ........................................................................................................19 3.4.1 Pluralbildung mit Hilfe von deiktischen Demonstrativsuffixen ...........................................19 3.4.2 Der Gebrauch der Possessivpronomen ..............................................................................20 3.5 DIE VERWENDUNG DER TEMPORA..................................................................................................22 3.5.1 Das Präteritum in der 2. Person Singular ...........................................................................22 3.5.2 Präsensmarkierung mit ko- ................................................................................................23 3.5.3 Das Futur mit ʔ-b-ʕ ............................................................................................................23 3.6 GENUSKONSTRUKTIONEN BEI KARDINALZALEN...................................................................................24 3.7 FRAGESÄTZE..............................................................................................................................24 3.8 AUFFÄLLIGE DEUTSCHE EINFLÜSSE IM SPRACHGEBRAUCH IN DEUTSCHLAND .............................................25 3.8.1 Suffixintegrationen ............................................................................................................25 3.8.2 Genus-Kongruenz zwischen T-und D-Nomina ....................................................................26 3.8.3 Entlehnungen ....................................................................................................................27

4.

FAZIT ......................................................................................................................... 30 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................. 33 .............PRINTQUELLEN ..........................................................................................................................33 .............ONLINEQUELLEN ........................................................................................................................ 36

APPENDIX .................................................................................................................. 37 .............AUSBLICK: ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN DES ṬŪRŌYO ..............................................................................37 .............AUDIODATEIEN ..........................................................................................................................39

PLAGIATSERKLÄRUNG ................................................................................................ 40

Abkürzungsverzeichnis: 

ADV: Adverb



AP: Adjektivphrase



ART: Artikel



C: common/gemeinsam



D: Deutsch



DEM: Demonstrativ



ENA: Eastern Neo Aramaic/Ost Neu-Aramäisch



F: feminin



FUT: Futur



GEN: Genitiv



HL: Heritage Language



HS: Heritage Speaker



INDF: Indefinit



INF: Infinitiv



L1: Erstsprache



L2: Zweitsprache



M: maskulin



NP: Nominalphrase



PERS: Personalpronomen



PL: Plural



POSS: Possessiv



PRÄP: Präposition



PRET: Präteritum



Q: Fragemarker



REFL: Reflexiv



SG: Singular



T: Ṭūrōyo



WNA: Western Neo Aramaic/ West Neu-Aramäisch

2

Vorwort Diese Arbeit beschäftigt sich mit ausgewählten sprachlichen Veränderungen, die sich in der aramäischen Sprache Ṭūrōyo in Deutschland herausgebildet haben. Dabei geht es im Wesentlichen um außer Acht gelassene grammatikalische Elemente und jene, die vom Deutschen in das Ṭūrōyo übernommen wurden. Das Thema habe ich aus einer persönlichen Verbundenheit heraus gewählt: Ich bin selbst Sprecherin des Ṭūrōyo und finde, dass sprachliche Vermischungen und sich daraus ergebende Neuerungen zwischen zwei komplett unterschiedlichen Sprachen, einer alten und einer modernen Sprache, nämlich dem Deutschen, ein sehr interessantes Forschungsgebiet in der Sprachwissenschaft darstellen. Ich selbst gelte als „heritage speaker“: Meine Muttersprache ist Deutsch, das Ṭūrōyo hat mich lediglich „nebenher“ begleitet. Leider kann ich es nicht fließend anwenden, bin jedoch bemüht, es mir immer besser anzueignen. Es ist mir wichtig, dass die Leser meiner Arbeit diesen Aspekt kennen, um so die einzelnen sprachlichen Entdeckungen besser nachvollziehen zu können. Zufällig aufgeschnappte Phänomene habe ich mit der Zeit bewusster wahrgenommen und danach festgestellt, dass viele der Veränderungen und Innovationen auch von mir als Semi-Sprecherin verwendet werden. So entstand die Thematik der Arbeit – Die Untersuchung innovativer linguistischer Strukturen, die sich im in Deutschland gesprochenen Ṭūrōyo bemerkbar gemacht haben – mit der Motivation, diese Abweichungen der Sprecher in Deutschland im Vergleich zur Grammatik, beziehungsweise zu den Sprechern des Ursprungslandes zu analysieren, sowie meine eigenen Erfahrungen miteinzubringen.

3

Einleitung Um die gefundenen Auswirkungen der deutschen Sprache auf das Ṭūrōyo wissenschaftlich zu belegen, wurde auf verschiedene Grammatiken zurückgegriffen: hauptsächlich auf Otto Jastrows Laut-und Formenlehre des neuaramäischen Dialekts von Mīdin im Ṭur c

Abdin (1967 & 1985) und sein Lehrbuch der Ṭuroyo-Sprache (1992). Seine Umschrift

habe ich weitestgehend übernommen. Zwar stammen die eigenen Nachforschungen von Sprechern des Ṭūrōyo aus Mīdins Nachbardorf Bsorino, jedoch handelt es sich dabei um denselben Dorfdialekt. Auch die verwendeten älteren Grammatiken weisen nach eigener Überprüfung kaum Veränderungen zur neueren Literatur auf und sind inhaltlich in fast allen grammatikalischen Aspekten gleich geblieben. Die Beispiele in dieser Arbeit ergaben sich durch teilnehmende Beobachtung: Zum einen erfolgten sie aus dem Gespräch heraus, zum anderen bestand meine Methodik aus gezielten Satz- und Wortabfragen, in denen Vorüberlegungen bestätigt oder widerlegt wurden und geprüft wurde, ob erschlossene Formen wirklich existieren. Daten, bei denen keine Quelle auftaucht, wurden daher von mir selbst gesammelt. Bei jedem Beispiel wurde immer die Sprechweise einer älteren und einer jüngeren aramäischsprachigen Person untersucht. Die Befragten (vier ältere Sprecher, drei jüngere Sprecher) kommen ursprünglich aus dem Ort Bsorino (türk. Haberli). Es handelt sich dabei um Muttersprachler des Aramäischen aus Berlin und Weiden: Meine Eltern, Verwandte und Bekannte, außerdem Cousinen, Cousins und Freunde, die, wie ich, zweisprachig Aramäisch-Deutsch aufgewachsen sind. In der vorliegenden Arbeit zeige ich auf, welche sprachlichen Veränderungen ich im Ṭūrōyo des Alltags beobachten konnte, nicht nur in der Sprechweise anderer Personen, sondern auch in meiner eigenen. Jedoch möchte ich nicht nur die jüngere aramäischsprachige Generation in Deutschland beleuchten, sondern auch den Unterschied zu erwachsenen Immigranten, für die das Ṭūrōyo Muttersprache ist. Wesentliche Gesichtspunkte sind der Sprachkontakt und welche Probleme er in Zukunft für das Ṭūrōyo darstellt, als Folge daraus die Vernachlässigung der aramäischen Grammatik und ebenfalls, wie sich das Deutsche explizit in der alten Sprache ausdrückt. Dabei stütze ich mich unter anderem auf den Text von Shabo Talay: Die Sprache des Tur Abdin, Turoyo, und ihre Zukunftsaussichten in der europäischen Diaspora (2002).

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1. Das Ṭūrōyo im Ṭūr cAbdīn und seine Sprecher

Das semitische Aramäisch gliedert sich in drei historische Phasen: in Alt-, Mittel- und Neu-Aramäisch. Letzteres unterteilt sich in West Neu-Aramäisch (WNA) und Ost NeuAramäisch (ENA), wobei ENA die südöstliche Türkei, den Nordirak und den nordwestlichen Iran umfasst. Ṭūrōyo (oder auch Suroyo/Surayt) als eine Varietät des Aramäischen gehört zum zentralen Neu-Aramäisch und wird in der südöstlichen Türkei im Ṭūr cAbdīn gesprochen (Vgl. Jastrow 2008: 1f), ein circa 1200 m hohes Gebirgsplateau östlich der Provinz Mardin (Vgl. Jastrow 1992: 1, siehe zusätzlich Karte im Anhang). Durch die islamisch-arabische Eroberung im 7. Jahrhundert wurde das Aramäische immer mehr durch das Arabische und das Kurdische verdrängt (Vgl. Talay 2002: 3). Die Christen dort waren gezwungen ihre Heimat zu verlassen, da sie systematisch, unter anderem durch den türkischen Staat, diskriminiert wurden (Vgl. Jastrow 1992: Vorwort). Im Zuge des Völkermordes an den Armeniern im Ersten Weltkrieg wurden viele Christen ermordet und Dörfer im Ṭūr cAbdīn verwüstet (Vgl. Jastrow 1985: Einleitung).

„Mit den Suryoye aus dem Ṭūr cAbdīn kam auch ihre Jahrtausende alte aramäische Sprache nach Europa. Die größte Zahl der Ṭuroye kam nach Deutschland, wo jetzt knapp 50.000 von ihnen leben, andere suchten Zuflucht in Schweden, in den Niederlanden, Belgien, Österreich usw. Insgesamt wird ihre Zahl in Mitteleuropa auf 120.000 - 140.000 geschätzt, über drei Viertel von ihnen sind aramäischsprachig“ (Talay 2002: 5).

Das Aramäische ist seit 3000 Jahren schriftlich bezeugt und gehört daher zu den ältesten noch existierenden Sprachen der Welt (Vgl. Arnold 1994: 241). Die Ṭūrōyo sprechenden Christen aus dem Ṭūr cAbdīn, die der syrisch-orthodoxen Kirche angehören, nennen sich heute zumeist Aramäer (ebd.: 242) oder Ṭuroye, Bewohner des Ṭūr cAbdīn (Jastrow 1992: 1). Betrachtet man den Forschungsstand, kann man sagen, dass die Sprache mittlerweile gut erforscht ist, was vor allem den Untersuchungen der Orientalisten Eugen Prym und Albert Socin zu verdanken ist (Vgl. Prym & Socin 1881). Das Ṭūrōyo ist in Deutschland durchaus verbreitet (Vgl. Jastrow 1992: Vorwort). Dennoch gilt das es als gefährdete Sprache (Vgl. ELDP 2012, Sorosoro 2011).

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2. Soziolinguistische Entwicklungen in der Diaspora 2.1 Die aktuelle sprachliche Situation der Aramäer in Deutschland

2.1.1

Bei Kindern und Jugendlichen

In Deutschland geborene Kinder mit aramäischen Eltern beherrschen ihre Muttersprache meist kaum noch. Zwar wird es noch im Elternhaus gesprochen, jedoch hat sich diese Generation kulturell und sprachlich sehr an Deutschland angepasst. Aramäisch ist für das Kind nur noch zu Hause präsent, das restliche Umfeld wird durch das Deutsche geprägt. Den ersten „richtigen“ Kontakt mit dem Deutschen erlebt das Kind mit dem Eintritt in den Kindergarten und spätestens mit Beginn der Schulzeit. Davor handelt es sich meistens nur um bruchstückhafte Worte der Eltern oder deren neuen deutschen Bekanntschaften. Mit zunehmendem Alter verlernen die meisten Kinder das Aramäische immer mehr durch die ständige Konfrontation mit der deutschen Sprache im Alltag. Sie haben sich schnell in ihr neues Heimatland integriert und sind daher oft nicht-fließende Sprecher ihrer Muttersprache. Ihre L1 ist somit eher Deutsch, ihre L2 Aramäisch. Den Kindern und Jugendlichen ist bewusst, dass sie beide Sprachen zu einem gewissen Grad miteinander vermischen: mit deutschsprachigen Personen wird nur Deutsch gesprochen, da Aramäisch für die Kommunikation nicht verwendet werden kann; mit Aramäern aus ihrer Umgebung in Deutschland können auch gemischte Formen verwendet werden, da diese ebenfalls über Deutschkenntnisse verfügen und sie sich somit sicher sein können, dass sie ihnen trotz sprachlicher „Fehler“ folgen können. Innerhalb der Familie in Deutschland sind also Eigenheiten, die man im Alltag benutzt, verständlich. Zumindest sind sie nachvollziehbar, weil Familienmitglieder, unabhängig davon, ob sie Deutsch als Erst- oder Zweitsprache erlernt haben, über ein gewisses sprachliches Repertoire verfügen und somit gemischte Ausprägungen verstehen. Obwohl die jüngere Generation heute eine multilinguale Generation ist, also noch andere Sprachen sprechen kann, die es im Laufe der Zeit gelernt hat, werden diese nicht zum Mischen mit dem Ṭūrōyo verwendet. Der Grund dafür, dass die dazugelernten Sprachen keine Anwendung im Gespräch finden, ist vermutlich, dass sie nicht so fest integriert sind wie Sprachen, die eine Person von Geburt an begleiten. Mit oder ohne der Dominanz einer Sprache – es ergeben sich so neue Formen, bei denen je nach Gesprächspartner mehr 6

Elemente der einen oder anderen Sprache im Gespräch einfließen. Man spricht auch von einem Variabilitätsproblem: „Unskilled second-language users will exhibit a great deal of nonnativelike elements and structures in their speech. Moreover, they may do so in a variable way, sometimes employing the nativelike variant of a target language element, sometimes not” (Segalowitz 1977: 79)

Das heißt aber nicht, dass ein derartiges Verhalten eine Norm darstellt oder alle aramäischsprachigen Jugendlichen nicht mehr in ihrer Erstsprache kommunizieren können – hier wird nur eine Gruppe herausgegriffen. Die meisten von ihnen können fast alles verstehen, da Aramäisch zu Hause durch den Gebrauch der Eltern präsent bleibt, das Sprechen hingegen fällt ihnen schwer. Wie Interaktion zwischen den beiden Generationen trotzdem funktioniert, wird im Anschluss analysiert.

2.1.2

Bei Erwachsenen

Im Gegensatz zu den jüngeren T-Sprechern ist die L1 der älteren Generation Aramäisch, ihre L2 Deutsch. „The ability to maintain any norms whatever of one’s mother tongue [...] requires that one keep in constant touch with home base, i.e., that one have a chance to test one’s competence against the developing and ever-changing norms of the homeland. For immigrants this would have required either frequent travel to the homeland, which most of them could not afford, or extensive reading of its current literature, for which only a few had the taste. […] it required that the speaker be in touch with a large body of monolinguals among his countrymen, but these would normally be exposed to the same influence as he” (Haugen 1977: 93).

Die Sprachanpassung in Deutschland geschieht nicht nur bei der jüngeren Generation, die dort aufwächst, sondern auch bei den erwachsenen Immigranten, allerdings etwas später. Letztere beherrschen bereits eine Sprache gut und müssen sich in einem fremden Land mit einer neuen zurechtfinden. Im Kindesalter ist man aufnahmefähiger, weshalb Kinder durch den Schulbesuch und der steten Begegnung mit dem Deutschen früher und besser Deutsch sprechen können als ihre Eltern. Im Laufe der Zeit werden Erwachsene allerdings selbst immer nachlässiger bezüglich der Grammatik und Lexik, und sie bauen eine Vielzahl deutscher Elemente in ihrer Sprechweise ein; aus Gründen der Anpassung, der Entfernung zu ihrer Heimat im Ṭūr cAbdīn und aus Bequemlichkeit, auch bei Wörtern, bei denen sie die Entsprechung eigentlich kennen. Damit nähern sie sich nach und nach der Sprache der Jüngeren an und bilden mit ihnen einen gemeinsamen Sprechcode (Vgl. 7

Segalowitz 1977: 79). Sie wechseln sogar oft bewusst von Ṭūrōyo auf Deutsch, damit ihre Kinder im Gespräch mehr verstehen können. Diese Umstellung ist allerdings nicht besonders förderlich, wenn es darum geht, dass Semi-Sprecher ihr Ṭūrōyo verbessern könnten.

2.2 Sprachkontakt – Ursachen und Folgen

Language contact is the use of more than one language in the same place at the same time” (Thomason 2001: 1).

Dass Sprecher einer Sprachgemeinschaft mehrere Sprachen oder Varietäten gleichzeitig verwenden, führt zu Veränderungen in den jeweiligen Sprachsystemen. Sprachkontakt ist daher der Gebrauch von mehr als einer Sprache am gleichen Ort und zur gleichen Zeit (Vgl. ebd.). Im Allgemeinen ist es ein Ergebnis von Mehrsprachigkeit und die wechselseitige Beeinflussung von zwei oder mehreren Sprachen (Vgl. Riehl 2014: 11). Sprachkontakt kann von der dominanten zur untergeordneten Sprache auftreten oder umgekehrt (Vgl. ebd.); diese Studie behandelt den Einfluss des dominanten Deutschen auf das untergeordnete Ṭūrōyo. Ursachen für Sprachkontakt sind sprachliche und außersprachliche, beziehungsweise soziale Faktoren (Vgl. Thomason 2001: 60). Zu den sprachlichen zählen unter anderem inwieweit Merkmale im sprachlichen System integriert sind und die Distanz zwischen Quelle und Nehmersprache. Zu den sozialen Merkmalen gehören die Intensität des Kontaktes, wie gut man die Sprache beherrscht oder gelernt hat, sowie die Einstellung des Sprechers (Vgl. ebd.). „ [...] zwei oder mehr Sprachen [werden] als miteinander in Kontakt stehend bezeichnet, wenn sie von ein- und denselben Personen abwechselnd gebraucht werden. Die die Sprachen gebrauchenden Individuen sind somit der Ort, an dem der Kontakt stattfindet“ (Weinreich 1977: 15).

Sprachkontakt kann Sprachenwechsel mit sich ziehen. Das ist der Übergang von einer Sprache zu einer anderen als der Sprache, die man normalerweise gebraucht (Vgl. Weinreich 1977: 92). In diesem Fall spricht man eher von Sprachbeeinflussung. Abweichungen von Normen der Sprachen sind als Ergebnis von Sprachkontakt anzusehen, sogenannte Interferenzerscheinungen (Vgl. ebd.). Bei Zweitsprachlern werden normalerweise strukturelle Merkmale vor lexikalischen Merkmalen übernommen (Vgl. Thomason 2001: 64). 8

2.2.1

Bilingualismus und „Heritage Language”

In der heutigen Zeit gibt es sehr viele bilinguale Menschen. Den meisten von ihnen ist nicht bewusst, dass sie zu dieser Gruppe gehören. Wer kann überhaupt als bilingual bezeichnet werden? Personen, die zwei Sprachen auf einem ähnlichen Niveau sprechen können. Sei es durch eigenständigen Spracherwerb, durch die Sprache der Eltern und deren Vermittlung oder durch die Verlagerung des eigenen Lebensmittelpunktes in ein anderes Land mit einer anderen Sprache. „Bilingualism is not an all-or-none-property, but is an individual characteristic that may exist to degrees varying from minimal competency to complete mastery of more than one language” (Hornby 1977: 3)

Von Bilingualismus spricht man nicht als eine Eigenschaft, die man besitzt oder nicht, sondern es gibt gewisse Grade bei der Definition. Um als bilinguale Person zu gelten, muss man die Sprachen nicht unbedingt perfekt beherrschen, aber zumindest in ihnen interagieren können. Es existiert eine Vielzahl von Gründen, warum man eine Sprache nicht gut spricht oder sie unvollständig erworben hat. Dabei sollte man nicht außer Acht lassen, dass es zwischen den rhetorischen Normen der Standardsprachen und den tatsächlichen kommunikativen Normen von bilingualen Gemeinschaften einen Unterschied gibt (Vgl. Haugen 1977: 101). „ [...] [A] nonfluent bilingual [is a] second-language user who possesses sufficient skills with a language for successful basic communication but who nevertheless is perceived by others and by himself as not possessing nativelike control of the language” (Segalowitz 1977: 77).

Faktoren, die den Status, beziehungsweise die Stärke eines bilingualen Individuums beeinflussen, sind das Alter, der Ablauf des Spracherwerbs, Kommunikationsmöglichkeiten der Sprecher, deren emotionale Einbindung, die soziale Funktion, sowie der kulturelle Wert einer Sprache (Vgl. Hornby 1977: 4). Von Bedeutung ist zudem, wie gewandt der Sprecher im sprachlichen Ausdruck ist. Er sollte beide Sprachen auseinanderhalten können und in ihnen eine relative sprachliche Leistung aufweisen, sowie sich im Gebrauch auf bestimmte Gesprächsgegenstände und –partner spezialisieren können. Darüber hinaus sind die Art und Weise des Erlernens und die Einstellung, die der Sprecher gegenüber den Sprachen hat, wichtig (Vgl. Weinreich

9

1977: 17f, siehe außerdem Alatis 1985 für detailliertere Ausführungen zu Bilingualismus). Warum ist eine Sprache eigentlich so anfällig gegenüber fremden Einflüssen? Welche Schwächen hat sie? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, ist die Betrachtung von Heritage-Sprechern sinnvoll: Als „heritage speaker“ (HS) bezeichnet man eine bilinguale Person, die seit früher Kindheit auf natürliche Weise eine familiäre Sprache (HL), sowie eine gesellschaftliche Mehrheitssprache erworben hat. Somit würde die HL der L1 entsprechen. Als Kinder von Immigranten oder als gebürtige Staatsbürger treten die meisten Kinder erst mit Beginn des Kindergartens beziehungsweise, wie schon angedeutet, der Schule in Kontakt mit der Hochsprache (L2) (Vgl. Cabo 2012: 1). In einigen grammatikalischen Domänen kann es aber bedeutende Unterschiede geben. Man spricht auch von einem „unvollständigen Erwerb“, das heißt, dass HS ihre HL nicht in vollem Umfang erlernen. Ein weiterer externer Faktor, der die Verlagerung zur Mehrheitssprache (Vgl. ebd.: 2) begünstigt, sind die Medien. Jedoch hängt dies immer auch mit dem Input des Individuums zusammen. Er ist elementar für den weiteren sprachlichen Verlauf und unterscheidet sich von dem einer monolingualen Person: zum Beispiel durch generationenübergreifenden Verschleiß oder anderen Sprachkontakt-Konsequenzen. Man sollte Unterschiede der HS nicht als Defizit sehen, sondern als einzigartige Ergebnisse verschiedenartiger Realisierungen (Vgl. ebd., siehe auch Kit-fong 2002). Dennoch tragen sie erheblich dazu bei, dass Lücken in Sprachen entstehen. 2.2.2

Code-Switching als Interferenzmechanismus

Bei näherer Betrachtung der bisherigen Thematik, kann man bei den meisten ṬūrōyoSprechern in Deutschland den Gebrauch von „Code-Switching“ beobachten, das bedeutet, ein Sprecher benutzt sprachliches Material zweier oder mehrerer Sprachen in einer Konversation mit anderen Gesprächsteilnehmern, die die Sprachen zumindest verstehen, und übernimmt Wörter der einen Sprache, um lexikalische Lücken in der anderen zu füllen (Vgl. Thomason 2001: 132). Die Wahl der Sprache und des Codes ist dabei von situativen Faktoren abhängig, wie dem Formalitätsgrad, dem Thema oder dem Gesprächsteilnehmer (Vgl. Bußmann 2008: 139). Beispiel (1) stammt von Talay 2002 und Beispiel (2) von mir, und war eine von mehreren Antworten darauf, welche Pläne mein Gesprächspartner am nächsten Tag hat. 10

(1) kət-l-an

*so 'ne

*Nebenhalle,

es gibt.PRS-POSS-1PL so eine.ART.INDF Nebenhalle

kib-ā

xdú

*Zimmer-ano

können.PRS-3SG.F wie.PRÄP

Zimmer-dieses.DEM

„Wir haben so eine Nebenhalle, sie ist so groß wie dieses Zimmer.“ (Vgl. Talay 2002: 8)

(2) rámḥəl

gəzz-án(o)

*spielen

morgen gehen.FUT-1PL spielen.INF „Morgen werden wir spielen gehen.“ Das Einfügen des Wortes „Nebenhalle“ in Beispiel (1) ist vorauszusehen, da es schwierig ist, einen guten Ersatz dafür im Aramäischen zu finden. Bei dem Wort „Zimmer“ (odāye → xdí-oday-āθe) handelt es sich jedoch um einen Alltagsbegriff, den man nicht unbedingt ersetzen müsste; ebenso das Wort „spielen“ in Beispielsatz (2). Wahrscheinlich ist die Konjugation dieses Verbs für Semi-Sprecher schwierig (məštāʕ-i-nā). Außerdem wird das Wort gəzz-án(o) „wir werden gehen“ oft auch als *gəzz-ína ausgesprochen. Das könnte eine Anlehnung an die Form der 1. Person Singular sein: g-əzz-í(-no). Dass die Wortstellung im Standard-Ṭūrōyo ebenfalls meistens nach dem Schema SVO beziehungsweise frei abläuft, begünstigt Code-Switching zusätzlich.

Da es zumeist dem Sprecher, dem Beschreibenden oder beiden bekannt ist, zu welcher Sprache eine Äußerung gehört, können die nicht-zugehörigen Elemente als entlehnt oder transferiert ausgesondert werden, was ein Zeichen sprachlicher Interferenz ist (Vgl. Weinreich 1977: 23). Interferenz bedeutet, dass eine Sprache durch Sprachkontakt und Bilingualismus auf eine andere einwirkt, beziehungsweise sie nach dem Muster der anderen verändert – im Individuum und in einer Sprachgemeinschaft (Vgl. Bußmann 2008: 301). Außerdem ist sie mehr durch soziale Faktoren bedingt als durch sprachliche. „ [I]t is the sociolinguistic history of the speakers, and not the structure of their language, that is the primary determinant of the linguistic outcome of language contact. [...] [L]inguistic interference is conditioned in the first instance by social factors, not linguistic ones” (Thomason 1991: 35).

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3. Veränderungen im Sprachverhalten - Interpretationsansätze anhand ausgewählter Merkmale 3.1 Vorbemerkungen

Folgende Aufzeichnungen sind durch beobachtbare Auffälligkeiten im Sprechverhalten von Erstsprachlern und Zweitsprachlern anhand eines Fragenkatalogs und spontanen Unterhaltungen entstanden. Die Veränderungen, die sich ergaben, wurden der grammatikalischen Norm gegenübergestellt, um so sichtbar zu machen, wie das Ṭūrōyo traditionell verwendet wird und wie es heute vom Standard abweicht. Dabei wird zuerst die ursprüngliche Erscheinungsform aufgezeigt und die neue anhand dieser beurteilt. Bei der Untersuchung werden keine allgemeingültigen Regeln aufgestellt, sondern besondere, regelmäßig auftretende Phänomene bei bilingualen Sprechern des Deutschen und Aramäischen beurteilt. Ob folgende Erscheinungen wirklich auftreten, kommt natürlich immer auf die sprachliche Kompetenz und auf die Willkür eines Einzelnen an. Sicher ist aber, dass Semi-Sprecher so einfach wie möglich sprechen möchten. „ [...] contact-induced change always makes the receiving system ‚more natural‘ – that is, less marked overall. The general idea is that contact-induced change leads to simplification, not complication” (Thomason 2001: 64).

3.2 Phonologie 3.2.1

Variation von -p- und -f-

„Charakteristisch für die neuaramäischen Dialekte des Ṭūr cAbdīn ist das Schwanken zwischen p und f, die [...] auf ein einziges Phonem /p/ mit den beiden kombinatorischen Varianten [p] und [f] zurückgehen“ (Jastrow 1967: 23).

Auch heutzutage zeigen sich [p] und [f] -Varianten noch im alltäglichen Gebrauch. Allerdings entscheidet sich ein Sprecher erfahrungsgemäß bei häufiger Benutzung eines Wortes für eine der beiden Aussprachemöglichkeiten. Diese Annahme wurde bestätigt: Bei ein- und demselben Sprecher konnte festgestellt werden, dass [p] und [f] nicht beliebig je nach angenehmerer Aussprache im Kontext gebraucht werden, sondern dass er nur eine Ausspracheform benutzt. Das Festlegen auf eine Variante kommt sehr häufig bei jüngeren Ṭūrōyo-Sprechern vor und baut sprachliche Unregelmäßigkeiten ab.

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Zum Beispiel: p/f aš-ər

(3) ú=talgo

ART.SG.M=Schnee.SG schmelzen.PRET-3SG.M „Der Schnee ist geschmolzen.“

(4) í=kačke

galí p/f -o

əlmú

ART.SG.F=Mädchen.SG springen.PRET-3SG.F über.PRÄP

souʕro Zaun.SG.M „Das Mädchen sprang über den Zaun.“

3.2.2

Phonemverluste

Die interdentalen Spiranten /th/ und /dh/, die sehr typisch für das Ṭūrōyo im Ṭūr cAbdīn sind, werden als Sibilanten /s/ und /z/ ausgesprochen: (5) /tlóθo/ „drei“ → *[‘tlo.so] (6) /díδan/ „unser“ → *[‘di.san] (Vgl. Talay 2002: 7f)

Die stimmhaften pharyngalen Frikative /ʕ/ (7) und /ġ/ (8) werden kaum mehr artikuliert: (7) /ʕíto/ „Kirche“ → *[‘i.tʰo], *[‘ri.tʰo] /drúʕo/ „Arm“ → *[‘dru.so], *[‘dru.ro] (8) /rāġlo/ „Fuß“ → *[‘ra.lo] /šŭġlo/ „Arbeit“ → *[‘ʃur.lo]

Die Beispiele (7) und (8) zeigen, dass die ursprüngliche Aussprache dieser Nomina vernachlässigt wird. Phoneme werden nicht nur weggelassen, sondern sogar ersetzt. Das kommt häufig vor, denn es erleichtert die Artikulation. Bei Verben konnte diese Beobachtung ebenfalls gemacht werden, trat aber seltener auf. Das liegt eher daran, dass die Konjugationen Schwierigkeiten bereiten und man T-Verben direkt durch D-Verben ersetzt (siehe 4.2).

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Erstaunlich ist, dass man als Sprecher des Aramäischen und Deutschen die Phonemsysteme der beiden Sprachen zwar kennt, aber sich Vermischungen dieser nur im Aramäischen, nicht aber im Deutschen zeigen. Im deutschen Sprachgebrauch würden sich semitische Phoneme, wie /ʕ/, /ḥ/ oder /ġ/ sonst unnatürlich anhören und werden deshalb als [∅], [r], [s] oder [h] realisiert. „Als Folge der Einführung zahlreicher Lehnwörter in vollkommen oder auch nur teilweise unangepasster Lautform können Veränderungen unter den Lauten der Empfängersprache eintreten“ (Weinreich 1977: 47).

Erst im Erwachsenenalter werden lautliche Anpassungen bei Lehnwörtern gemacht. Zweisprachige behalten jedoch von der Kindheit an fremde Phoneme in Lehnwörtern bei (Vgl. ebd.: 46) und verfügen sozusagen über eine getreuere, ja muttersprachliche Aussprache des Deutschen. Beobachtungen zeigten zum Beispiel, dass das Wort „Hund“ von erwachsenen Ṭūrōyo–Sprechern teilweise semitischer ausgesprochen wird (ʔnd).

3.2.3

Betonung

Für gewöhnlich liegt die Betonung im Ṭūrōyo auf der vorletzten Silbe, auch bei Gewinn oder Verlust von Silben durch morphologische Prozesse (Vgl. Jastrow 1992: 17): (9) /raḥúqo/ „fern“ – /nafíli/ „sie fielen“ – /nafilína/ „wir fielen“ – /šafíro/ „schön“ – /šáfər/ „schöner“ Bei der Verbalflexion geht der Akzent nicht über die letzte Silbe der Flexionsbasis hinaus. Eine finite Verbform besteht mindestens aus einer Flexionsbasis mit Basissuffix und einem Flexionssuffix. Die Flexionsbasis selbst bildet sich aus der Verbwurzel (Vgl. Jastrow 1967: 124). Beispielsweise: (10)

/daməxno/ „ich (m.) schlief ein“ – /daməxwayno/ „ich (m.) war eingeschlafen“

Singularimperative werden auf der letzten Silbe betont: (11)

/mḥaláq/ – „wirf!“

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Jedoch ist zu beobachten, dass die Betonungsregeln immer mehr missachtet werden. Teils werden sie automatisch korrekt verwendet - vor allem durch die fehlerlose Benutzung der Eltern - teils werden die Wörter schlichtweg willkürlich ausgesprochen. Auffällig ist hierbei, dass Fehler oft bei der Produktion von Phrasen oder Sätzen gemacht werden, seltener jedoch wenn nur einzelne Wörter ausgesprochen werden. Bei dem Wort rúḥā „sich selbst“ (f.) liegt die Betonung standardgemäß auf dem [u] der ersten Silbe, jedoch wechselt sie häufig auf das [a] der zweiten Silbe: (12)

mašər-la

í=kačke

ART.SG.F=Mädchen.SG waschen.PRET-3SG.F

rūḥ-á sich_selbst.POSS-3SG.F „Das Mädchen hat sich (selbst) gewaschen.“

Bei einem glottalen Stopp /ʔ/ werden generell keine Betonungsfehler gemacht. Der Grund dafür könnte sein, dass viele Wörter, die standardmäßig einen solchen Verschlusslaut am Wortanfang besitzen, nicht isoliert, sondern mit einem Artikel ausgesprochen werden oder beispielsweise mit Affixen so verbunden sind, dass sich der Verschlusslaut auflöst. Das zeigt sich hier: ʔæbro „der Bruder“ verbunden mit seinem definiten Artikel wird nicht *ʔú-ʔæbro. Oft tendieren jüngere Sprecher dazu, statt /ʔ/ ein [r] zu sprechen. Das verändert teilweise die Bedeutung eines Wortes. Zum Beispiel würde masʔákle im Beispielsatz (13) demnach zu masrákle „er pinkelte“. (Oftmals gibt es bei der Aussprache beider Generationen der Ṭūrōyo-Sprecher in Deutschland sogenannte „fuzzy edges“, sprich unscharfe Grenzen. In einigen Gesprächen fiel auf, dass sich der glottale Stopp /ʔ/ und der pharyngale Frikativ /ʕ/ sehr ähnlich anhören.)

(13)

hí-ye

masʔák-le

er-PERS.3SG.M schreien-PRET.3SG.M „Er hat geschrien.“

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(14)

í=gamiye

aʔmík-o

taḥta

ART.SG.F=Schiff.SG sinken.PRET-3SG.F unter.PRÄP māye Wasser.PL „Das Schiff sank unter (das) Wasser.“

3.3 Aramäische Verben 3.3.1

s-y-m als Hilfsverb

In semitischen Sprachen werden Verben oft mit drei Wurzelkonsonanten (K1K2K3) dargestellt. Diese Abkürzung wurde hier übernommen. Statt Verben zu konjugieren wird sehr häufig auf das Verb s-y-m „machen“, zusammen mit einem deutschen Verb im Infinitiv zurückgegriffen. Beispiele: (Vgl. Talay 2002: 8)

(15)

ŭʕdo

mər-le-li,

jetzt.ADV sagen-PRET.3SG.M-mir.PERS

ko-sóyem

*Simpsons anschauen

PROG-machen.PRS.3SG.M Simpsons anschauen „Gerade hat er mir gesagt, er schaue die Simpsons an.“

(16)

azzí-no



*Spielplatz

w

gehen.PRET-1SG.C zu.PRÄP Spielplatz und.KONJ

səm-li

*spielen aʕm-

machen.PRET-1SG.C spielen mit.PRÄP

*á-Freunde-zi (=áyδi) den.ART.DEF.PL-Freunde.PL-meine.POSS „Ich ging zum Spielplatz und spielte mit meinen Freunden.“ 16

Auffällig ist, dass die T-Wörter in den Beispielsätzen (15) und (16) keine grammatikalischen Fehler beinhalten. Hier wurden unbekannte Wörter im Ganzen durch deutsche Wörter ersetzt, außer bei *á-Freunde-zi. Doch auch bei dieser Konstruktion wurde das deutsche Wort in einen T-Rahmen eingebettet und nur fehlerhaft ausgesprochen.

3.3.2

Das Kopulaverb h-w-y

Verglichen mit Vollverben, verfügen Kopulaverben hauptsächlich über grammatische Funktionen, insofern sie Beziehungen zwischen Subjekt und Prädikativ schaffen (Vgl. Bußmann 2008: 382). Ein Kopulaverb trägt kaum lexikalisch-semantische Informationen. Diese Aufgabe übernimmt das zugehörige nicht-verbale Prädikat, das Adjektiv/AP oder Nomen/NP sein kann (Vgl. Givón I: 119). Zu den Kopulaverben zählt beispielweise h-w-y „werden“: hāw-íno

ich (m.) wurde

haw-yóno

ich (f.) wurde

hāw-ət

du (m.) wurdest

háw-yat

du (f.) wurdest

hāw-i

er wurde

háw-yo

sie wurde

haw-ína

wir wurden

haw-útu

ihr wurdet

hāw-ən

sie wurden

Tab. 1: Konjugation des irregularen Verbs h-w-y im Präteritum (Vgl. Jastrow 1985: 75)

Da es sich bei h-w-y um ein häufig gebrauchtes Verb handelt, ist die Konjugation für viele Sprecher bekannter als andere Verbkonjugationen. (Vgl. auch Talay 2002: 8). Benutzt die jüngere Generation der Ṭūrōyo-Sprecher in Deutschland h-w-y oder andere Kopulverben (auch s-y-m), wird das Prädikat auf Deutsch ausgedrückt. Das war vor allem dann zu erkennen, wenn die Sprecher über vergangene Ereignisse und Zustände erzählten: (17)

haw-yóno

*verrückt (statt: daywon-íθo (f.))

werden.PRET-1SG.F verrückt „Ich wurde verrückt.“

17

(18)

*zu Teufeln (statt: šiδe)

hāw-ən

werden.PRET-3PL.C zu Teufeln „Sie wurden zu Teufeln.“

Auch ich selbst verwende derartige Konstruktionen. Weshalb das so ist, ist schwer zu erklären. Womöglich fehlen Entsprechungen einiger T-Wörter.

3.3.3

kít- und láyt-

Die Ausdrücke kit(o) „es gibt“ und layt(o) „es gibt nicht“ werden verhältnismäßig oft im heutigen T-Sprachgebrauch verwendet. Jastrow stellt sie unter den Begriff Pseudoverben; das sind Verben, die eine verbale Bedeutung haben und im Ausdruck einer Person variiert werden können (Vgl. Jastrow 1967: 119f).

Präsens

Singular

Plural

„Ich habe“ etc. (kit+l-) kət-li kət-lŭx/lax kət-le/lā kət-lan kət-xu kət-te

„Ich habe nicht“ etc. (layt+l-) lát-li lát-lŭx/lax lát-le/lā lát-lan lát-xu lát-te

„Ich kann“ etc. (kit+b-) kí-bi kí-bŭx/bax kí-be/bā kí-ban kə-pxu kə-ppe

„Ich kann nicht“ etc. (layt+b-) láy-bi láy-bŭx/bax láy-be/bā láy-ban lá-pxu lá-ppe

Tab. 2: Konjugation von kit- und layt-

Obwohl der Gebrauch der kít- und láyt- Formen einfach scheint, gibt es auch hier sprachliche Besonderheiten: Die Konjugationen der Verben „haben“ und „können“ werden oft vertauscht: (19)

ġălăbe

*kə-pxu

ḥawro-ne

können.PRS-2PL.C viel(e).ADV Freund-PL „Ihr habt viele Freunde.“

(20)

*lát-le

róq-əδ

nicht_haben.PRS-3SG.M tanzen-3SG.M „Er kann nicht tanzen.“

18

Statt kət-xu wird in Beispiel (19) kəp-xu benutzt. Das könnte daran liegen, dass beispielsweise beim Alter die Konstruktion kit+b- verwendet wird und man deshalb meinen könnte, solche Strukturen öfter einbauen zu können:

(21)

kí-bi

tré-w-ʕəsri

əšn-e

können.PRS-1SG.C zwei-und.PRÄP-zwanzig Jahr-PL „Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt.“

In Satz (20) wurde lát-le statt láy-be verwendet. Warum das so ist, ist unklar. Möglicherweise könnte man róqəδ auch mit dem deutschen Wort „Rhythmus“ verbinden. Vergleicht man nun dieses Phänomen mit dem Gebrauch der Kopulaverben (siehe 3.3.2) fällt auf, dass zugehörige Prädikate zu kít und láyt nicht ersetzt werden. (Siehe auch Furman 2015: 13 ff für weitere Untersuchungen zu aramäischen Verben.)

3.4 Pronominale Phänomene 3.4.1

Pluralbildung mit Hilfe von deiktischen Demonstrativsuffixen

Demonstrativpronomen oder mit Demonstrativpronomen gebildete Sätze werden benutzt, um auf Dinge, Personen oder Sachverhalte hinzuweisen, und auch, um sie hervorzuheben. So werden sie sowohl im Standard-Ṭūrōyo, als auch im Deutschen verwendet. Im Ṭūrōyo in Deutschland finden sie jedoch sehr häufig Anwendung in normalen Aussagesätzen. Aus grammatikalischer Sicht sind solche Sätze nicht falsch, aber werden dann eingesetzt, wenn man eigentlich keine Demonstrative gebrauchen müsste. Verwendet werden dann eher die unselbstständigen Demonstrativpronomen, die das Nähere beschreiben („dieser/diese“), weniger bis selten dergleichen für das Fernere („jener/jene“). Das liegt wohl daran, dass letztere im alltäglichen Sprachgebrauch nicht oft benutzt werden, auch im Deutschen nicht. Das ist erneut ein Beweis dafür, dass Vereinfachung für den Semi-Sprecher sehr wichtig ist. Nähe -āno – dieser -āθe – diese (sg.f.) -āni – diese (pl.c.)

Ferne -āwo – jener -āye – jene (sg.f.) -ānək – jene (pl.c.)

Tab. 3: Demonstrativsuffixe

19

(Vgl. Jastrow 1967: 39)

(22)

á(n)=noš-áni

maḥsámm-e

ART.PL=Menschen.PL-DEM.PL.C fliehen.PRET.3PL „Diese Menschen flohen.“

(23)

mə(n) obáʕ-wā

aʕm-

was.Q wollen.PRET-3SG.M mit.PRÄP

á

medon-áni?

den.ART.DEF.PL Sache-PL.DEM „Was wollte er mit diesen Sachen?“

Die Beispielsätze (22) und (23) zeigen Kombinationen mit Demonstrativsuffixen. Sie stammen aus einer Geschichte, die ich mir einmal von meiner Großmutter und einmal von meiner Cousine erzählen ließ. Meine Cousine brachte sehr viele Sätze mit Demonstrativpronomen an Stellen ein, in denen man keine Referenzen mit Demonstrativen ziehen konnte. Der Kontext ist also sehr wichtig. Dieses Phänomen kann teilweise darauf zurückzuführen sein, dass man auch im Deutschen und Englischen oft Demonstrativpronomen, die Nähe beschreiben, gebraucht (Vgl. auch Givón I: 452). Im spontanen Gespräch konnte außerdem entdeckt werden, dass hənnək „jene (Pl.)“, eigentlich ein Demonstrativpronomen mit Verweis auf Ferne, jedoch als normales Personalpronomen statt hənne „sie (Pl.)“ benutzt wird. Weshalb das allerdings bei der Bildung des Plurals auftaucht, ist unklar.

3.4.2

Der Gebrauch der Possessivpronomen

Normalerweise unterscheidet man im Ṭūrōyo zwischen alienabler (lat. „veräußerlich“) und inalienabler Possession, jedoch stellte sich heraus, dass diese Differenz kaum mehr gemacht wird. Zu inalienabler, also unveräußerlicher Possession gehören unter anderem Verwandschaftsverhältnisse, Körperteile, sowie Erfahrungen und Zugehörigkeiten (Vgl. Elkady 2001: 35, vgl. Givón I: 66, 98 f, 134f). Bei Nominalgruppen wird sie so ausgedrückt:

20

Inalienable Possession: āḥún-i

mein Bruder

āḥún-ŭx

dein Bruder (m.)

āḥún-ax

dein Bruder (f.)

āḥún-e

sein Bruder

āḥún-ā

ihr Bruder

āḥún-an

unser Bruder

āḥun-áy-xu

euer Bruder

āḥun-áy-ye

ihr Bruder (Pl.)

Tab. 4: Inalienable Possession

Zusammen mit einem definiten Artikel äußert sich jegliche Form von Possession wie folgt: Alienable & Inalienable Possession: ú-šŭġl-áyδ-i

meine Arbeit

ú-šŭġl-áyδ-ŭx

deine Arbeit (m.)

ú-šŭġl-áyδ-ax

deine Arbeit (f.)

ú-šŭġl-áyδ-e

seine Arbeit

ú-šŭġl-áyδ-ā

ihre Arbeit (f.)

ú-šŭġl-áyδ-an

unsere Arbeit

ú-šŭġl-áθ-xu

eure Arbeit

ú-šŭġl-áθ-θe

ihre Arbeit (Pl.)

Tab. 5: Alienable und Inalienable Possession

Aber: Der definite Artikel wird oft weggelassen. (24) Weiterhin

werden

die

ú-bayt-áyδ-i „mein Haus“ → bayt-áyδ-i Regeln

der

beiden

Possessionsarten

oft

vertauscht:

Der Begriff „Haus“ gilt als alienabel, trotzdem wird er inalienabel gebraucht (25). Bei dem inalienablen Wort „Vater“ tendiert man zur ebenfalls möglichen alienablen Benutzung (26). (25)

ú-bayt-áyδ-i „mein Haus“ → báyt-i

(26)

báb-an „unser Vater“ → (ú-)bab-áyδ-an 21

Eine weitere interessante Entdeckung ist, dass Jugendliche, um Possession auszudrücken, Personalpronomen dem Substantiv nachstellen: (27)

ú-bayto díδi/ díδe/ díδa → „mein/sein/ihr Haus“

Höchstwahrscheinlich ist die Benutzung von Personalpronomen (27) für Semi-Sprecher einfacher. Jedoch entspricht das nicht der grammatischen Korrektheit. Richtig wäre der Satz nur, wenn beispielsweise „ist“ benutzt wird: → ú-bayt-āno díδi=yo „Das Haus ist meins/gehört mir“.

3.5 Die Verwendung der Tempora 3.5.1

Das Präteritum in der 2. Person Singular

Das Präteritum im Ṭūrōyo ergibt sich aus dem Verb h-w-y „sein“ (Konjugation s.o.), welhes ohne das initiale „h“ das Vergangenheitspartikel -wa(y)- bildet (Vgl. Jastrow 1967: 34). (ʔóno)

hárke-wáyno

ich war hier

(hát)

hárke-wáyt-at

du warst hier

(híye/híya)

hárke-wa

er/sie war hier

(ʔáḥna)

hárke-wáyna

wir waren hier

(hātu)

hárke-wáytu

ihr wart hier

(hənne)

hárke-wáyne

sie waren hier

Tab. 6: Das Präteritum mit –wa(y)

Im Präteritum der 2. Person Singular wird sowohl bei jüngeren, als auch bei älteren Sprechern in Deutschland fast immer -at angehängt. Nachdem dieses Phänomen auffiel, wurde ein älterer Sprecher bewusst nach der Imperfekt-Konjugation gefragt, ohne davor preiszugeben, was genau untersucht wird. Als diese aufgesagt wurde, war sie grammatikalisch richtig. Die Benutzung von -at erfolgte also unterbewusst und könnte eine Ableitung des Personalpronomens hát „du“ sein.

22

3.5.2

Präsensmarkierung mit ko-

Das Präfix ko- beschreibt Handlungen, die in einem bestimmten Moment passieren. Im Deutschen würde das zum Beispiel der Form „Ich bin am Putzen/Ich putze gerade“ oder etwas deutlicher der englischen „progressive“-Form entsprechen.

(28)

ʔobéno „ich (m.) gebe“ – ko-béno „ich gebe gerade“

(29)

gŭrš-ət „du (m.) ziehst“ – ko-gŭrš-ət „du ziehst gerade“

Die Sätze (28) und (29) zeigen an, wie die Wörter h-y-w „geben“ und g-r-š „ziehen“ im Indikativ Präsens und als progressive Form umgesetzt werden. Statt dem normalen Präsens werden immer öfter ko-Varianten benutzt, da man Verben damit leichter verbinden und auch flüssiger aussprechen kann. Diese Konstruktion kommt am häufigsten in 1SG vor, am zweithäufigsten bei 2SG.C. Dort ist sie oftmals mit einer Frage verbunden:

(30)

ko-ḥózət „du (m.) siehst/ siehst du?“

(31)

ko-mpárčkat „du (f.) zerschmetterst/zerschmetterst du?“

Das Futur mit ʔ-b-ʕ

3.5.3

Das Futur im Ṭūrōyo wird aus der Grundform des Präsens durch das Futurpräfix gebildet. Dabei kann es folgende stellungsbedingte Allomorphe besitzen: g-, k-, gə-, gd-, kt- (Vgl. Jastrow 1976: 148f). Im Gespräch mit älteren und jüngeren Sprechern ist aufgefallen, dass die Futurformen immer durch g- ausgedrückt werden und sie daher sehr sanft klingen. Wenn Jüngeren verbale Formen unbekannt waren, wurden Anzeigewörter eingesetzt, zum Beispiel Wochentage, Monatsnamen oder Feste: → brámšəl „morgen“, ú-eδo rābo „Ostern“ Konnten keine Anzeigewörter eingebaut werden, wurde für 1SG.C das Wort ʔ-b-ʕ „wollen“ benutzt: (32)

k-ob-áʕ-no „ich (m.) will“ ; k-əbʕ-ó-no „ich (f.) will“ 23

3.6 Genuskonstruktionen bei Kardinalzalen Im Ṭūrōyo unterscheidet man maskuline und feminine Formen der Kardinalzahlen, im Deutschen ist das nicht der Fall. Deshalb wird im Aramäischen in Deutschland auch nur eine Geschlechtsform benutzt – und zwar die maskuline Variante. Obwohl älteren Ṭūrōyo-Sprechern in einer Unterhaltung verständlich ist, welche Zahl jemand meint, wenn er zwischen den M-und F-Formen wechselt, halten diese sich noch eher an die Geschlechterunterscheidung als jüngere Generationen.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Maskulin ḥā tre tlóθo árbʕo hámšo əšto šáwʕo tmányo tášʕo ʕáṣro

Feminin ḥδo tárte tlaθ árbaʕ ḥámməš šeθ šwaʕ tmóne čaʕ ḥsár

Tab. 7: Zahlen von 1-10

(33)

həš

kít(o)

*hámšo

noch.ADV es_gibt.PRS fünf.M

šāb-e Woche-PL.F

„Es sind noch fünf Wochen.“

Eigentlich müsste man in Satz (33) die feminine Form der Zahl fünf benutzen (ḥamməš). Dass hauptsächlich maskuline Konstruktionen verwendet werden, liegt wohl daran, dass man im Kleinkindalter gelernt hat, die maskulinen Zahlen von eins bis zehn aufzuzählen und diese im Gedächtnis erhalten geblieben sind – auch bei mir.

3.7 Fragesätze

Um Fragesätze zu bilden, verwendet man im Standard-Ṭūrōyo die üblichen Interrogativpronomen, aber auch Partikel, wie beispielsweise -mā- (Vgl. Jastrow 1992: 43). -mākann am Satzanfang verwendet werden, um Aussagesätze in Fragesätze zu verwandeln, jedoch nicht wenn ein Interrogativpronomen vorhanden ist (Vgl. ebd.). 24

(34)

(mā) lát-lŭx Q

júle?

nicht_haben.PRS-2SG.M Kleidung.PL

„Hast du (denn) keine Kleidung?“ In Deutschland wird -mā- bei jüngeren und älteren Sprechern generell weggelassen; einfache Aussagesätze werden allein durch die Veränderung der Betonung so umgewandelt, dass sie sich wie Fragesätze anhören (siehe auch Beispiele (30) und (31)).

3.8 Auffällige deutsche Einflüsse im Sprachgebrauch in Deutschland

3.8.1

Suffixintegrationen

Wie sich der deutsche Einfluss explizit im Ṭūrōyo zeigt, sieht man im Pluralsuffix: (35)

nóšo „der Mensch (Sg.)“ – nóše „Menschen (Pl.)“ statt á-noše → *á-nošen

Hier wurde die Pluralform *á-nošen mit großer Sicherheit aus dem Deutschen übernommen, da es im Ṭūrōyo kein n-Suffix gibt. Dieses Phänomen konnte ich auch an mir selbst beobachten. Das ist allerdings nur in Kombination mit dem definiten Artikel festzustellen.

(36)

kŭrmānjí „Kurmanji/Kurdisch“ → *kŭrmān-disch

Ob es sich im Beispiel (36) nur um einen Einzelfall handelt, ist nicht sicher. Aber man kann sehen, dass auch hier von dem deutschen Eigennamen kopiert wurde.

Geprüft wurde auch umgekehrt, ob sich aramäische Endungen im Deutschen auffinden lassen, zum Beispiel in der Vergangenheitsform der 1. Person Singular, wie in hul-i „ich gab“. Die Annahme war, dass sich –i eventuell so ausdrücken könnte: *gab-i „ich gab“, *chatt-i „ich chattete“ et cetera. Jedoch lieferte dieser Test keine Ergebnisse. Eher wurden abgeschlossene Handlungen mit s-y-m wiedergegeben, zum Beispiel: səml-i *chatten (siehe auch 3.3.1). Nachgestellte Subjekte im dialektalen Deutschen funktionierten ebenfalls nicht („dann gab ich ihr die Hose“ wurde korrekt übersetzt: žnu huli-la ú-pantron). 25

3.8.2

Genus-Kongruenz zwischen T-und D-Nomina

Um zu überprüfen, ob es Übereinstimmungen zwischen Satzelementen bezüglich ihrer morphosyntaktischen Kategorie gibt (Vgl. Bußmann 2008: 363), hier ob T-Nomina das Genus von D-Nomina annehmen, wurden einige Wörter herausgegriffen, die sich im Genus unterscheiden: T-maskulin

D-feminin

T-feminin

D-maskulin

ú-māqaṣṣ

die Schere

í-qaḥwe

der Kaffee

ú-zənjər

die Kette

í-fəṭnā

der Streit

ú-tarʕo

die Türe

í-ʕăbāye

der Mantel

ú-kewo

die Krankheit

í-šăqāme

der Schlag

Tab. 8: Ausgewählte Nomina mit maskulinem und femininem Genus

Unterhaltungen wurden bewusst in bestimmte Themenrichtungen gelenkt, um jüngere und ältere T-Sprecher dazu zu bringen, die obigen Begriffe im Gespräch anzuwenden. Bei den älteren Sprechern gab es keine negativen Auffälligkeiten, auch die Anpassung von Adjektiven war korrekt. Die jungen Semi-Sprecher benutzten vor allem bei diesen Wörtern den deutschen definiten Artikel: → *í-māqaṣṣ, *í-kewo, *ú-fəṭnā Für den Gebrauch lässt sich keine Regel festmachen, da sowohl feminine, als auch maskuline Formen von Determinanten auftauchen. Es gibt aber Erklärungsansätze: Das Wort zənjər könnte deshalb korrekt verwendet werden, weil die feminine Variante eine kompliziertere Aussprache hätte (*í-zənjər). Die Nomina tarʕo und qaḥwe sind bekannte Alltagsbegriffe, die dermaßen häufig verwendet werden, dass sie im richtigen Genus gebraucht werden. Ansonsten sind die definiten Artikel willkürlich gewählt. Adjektivkongruenz ist meistens nicht vorhanden; es wird fast immer die maskuline Variante verwendet, selbst wenn das Nomen feminin ist:

26

(37)

ú=zənjər

tāmo,

lát-yo

ART.SG.M=Kette.SG nicht_sein.PRS-3SG.M dort.ADV

élo

*ú=ʕăbāye

d-í

aber.ADV ART.SG.M=Mantel.SG von.ADV-ART.SG.F

=píre

šāfír-o=yo

=Frau.SG schön.PRS-M=sein.3SG.M „Die Kette ist nicht dort [...], aber der Mantel der Frau ist schön.“

In Beispiel (37) werden gleich zwei Fehler nominaler Kongruenz deutlich. Anstatt íʕăbāye sagte die junge T-Sprecherin *ú-ʕăbāye. Das Genus des Ṭūrōyo ist also in diesem Fall kongruent mit dem deutschen Genus. Das Adjektiv šāfir-o wäre in diesem Zusammenhang zwar richtig – also maskulines Adjektiv zu maskulinem Nomen – jedoch müsste das Adjektiv šāfər-to heißen, weil ʕăbāye standardmäßig feminin ist.

3.8.3

Entlehnungen

Im Gegensatz zu Code-Switching, bei dem multilinguale Sprecher zwischen verschiedenen Sprachen innerhalb einer Konversation wechseln (Vgl. Bußmann 2008: 139) und nicht nur einzelne Wörter, sondern ganze Sätze umfasst werden können, handelt es sich bei Entlehnungen um Übernahmen von Elementen aus anderen Sprachen, die entweder ein Wort oder eine feste idiomatische Einheit (Vgl. Riehl 2004: 21) darstellen. Sie sind Vorgang und Ergebnis der Übernahme sprachlicher Ausdrücke aus einer Fremd- in die Muttersprache (Vgl. Bußmann 2008: 193). Entlehnungen treten im Allgemeinen nur von einer dominanten zu einer nicht-dominanten Sprache (Vgl. Thomason 1991: 44) auf. „Borrowing is the incorporation of foreign features into a group’s native language by speakers of that language: the native language is maintained but is changed by the addition of the incorporated features” (Thomason 1991: 37).

Zwar kommt es immer auf die Intensität des Kontaktes an, jedoch handelt es sich bei Vokabular-Entlehnungen meist um Wortschatz, der nicht-grundlegend ist. Dabei werden

27

lockere Merkmale viel leichter übernommen als fest integrierte Strukturen (Vgl. Thomason 2001: 69, vgl. zusätzlich „Borrowing Scale“). Lexikalisch gesehen, werden fehlende Wörter aus der Nicht-Alltagssprache, zum Beispiel im Ṭūrōyo landwirtschaftliche Begriffe von Grund auf ersetzt, da sie im alltäglichen Sprachgebrauch kaum Verwendung finden. Derartige Wörter könnten verschwinden, wenn man sie in Deutschland selten benutzt (Vgl. ebd.: 228). Betrachtet man Nomina in diesem Zusammenhang, ist es ihre Funktion, die sie verleihbar macht – nämlich ihre bestimmte, spezifische Bezogenheit (Vgl. Matras 2009: 172). Im Ṭūrōyo werden sie aus dem Deutschen entlehnt, wenn es sich dabei auch um Kompositionen handelt oder kompliziertere Wörter, bei denen es keine hundertprozentige Entsprechung im Ṭūrōyo gibt. Sobald man die Übersetzung eines Wortes kennt und dieses häufiger beim Sprechen benutzt, integriert es sich in den Wortschatz der jeweiligen Person. Beobachtungen haben zudem gezeigt, dass Verben jüngeren Sprechern zwar in der Grundform bekannt sind, allerdings, wie schon erfasst, oft nicht in den verschiedenen Konjugationsformen. In Unterhaltungsrunden wurde das Verb zwar angesetzt, dann aber direkt durch das deutsche Wort ersetzt. Richtig wäre: (38)

sár-a

mabərkó-wa

Haare-PL.POSS.3SG.F leuchten.PRET-SG.F

m-ú=baḥro von.PRÄP-ART.SG.M=Licht.SG „Ihre Haare leuchteten vom Licht.“

Gesagt wurde wörtlich: saráyδā ko-bərk ... hat geleuchtet mú-baḥro. Der Gebrauch deutscher Verben im Ṭūrōyo ist eine schwierige Angelegenheit. Wie bereits erwähnt, werden T-Hilfsverben herangezogen oder Umformulierungen gemacht. (Siehe auch Coghill 2014 für ein Beispiel wie das Ṭūrōyo Elemente einer anderen semitischen Sprache, dem Arabischen, übernommen hat.) Auch deutsche Verbderivationen (zum Beispiel: ver-, zer-, ab-, an-, unter-, her-, weg-) können im Ṭūrōyo nicht produziert werden. Diese werden nicht einmal angesetzt, sondern direkt auf Deutsch ausgesprochen, da sonst zu starke Mischformen entstehen, die zu kompliziert wären. Umgekehrt umso

28

weniger, denn Wörter wie z-b-n „verkaufen“ oder y-b-l „herbringen“ haben feststehende Bedeutungen, die nicht weiter zerlegt werden können.

(39)

húli-le

telifún

geben.PRET.1SG.C-ihm.POSS Telefon.SG.M „Ich habe ihn angerufen/ mit ihm telefoniert.“ Beispiel (39) veranschaulicht, wie ein moderneres Wort, etwa „anrufen/telefonieren“ im Ṭūrōyo übersetzt wird. Wörtlich würde der Satz heißen: „Ich gab ihm Telefon“. Auch hier wird nicht zerlegt, sondern es handelt sich um einen festen Ausdruck, der sich im Laufe der letzten Jahre etabliert hat. Solche festen Ausdrücke sind stabiler und bewahren Semi-Sprecher vor zu vielen Innovationen (siehe weiter unten). Fremdwörter-Adaptationen sind in einem neuen Umfeld üblich. Deutsche Begriffe wie „Arbeitsamt“ oder „Straßenbahn“ werden direkt in den Redefluss eingefügt. Teilweise gibt es auch Übersetzungsversuche, die aber nicht allgemeingültig sind, sondern eher von der innovativen Person selbst oder von Personen in ihrem Umfeld gesprochen und übernommen werden. Zum Beispiel: (40)

ú=dren

d-í=jada

ART.SG.M=Zug.SG der.GEN-ART.SG.F=Straße.SG „Die Straßenbahn“ Weiterhin ist anzumerken, dass es im Ṭūrōyo kein Wort für „bitte“ gibt, daher wird hier bereits das ganze Wort durch die deutsche Entsprechung ersetzt oder mit Gestik und Mimik gearbeitet. Um sich folgerichtig auszudrücken, reicht das Wort „können“: (41)

kíb-ŭx

dobát-li

können.PRS-2SG.M

geben-mir.PERS

í=melḥo? ART.SG.F=Salz.SG „Kannst du mir das Salz geben?“ An dieser Stelle ist ein Entlehnungsbeispiel vom Türkischen in das Ṭūrōyo erwähnenswert: Da Dächer früher in Bsorino, der Heimat der Befragten eine gerade Form hatten,

29

wurde das Wort „Dach“ (góro) auch oft mit dem Begriff „Decke“ übersetzt (sāk). Pyramidenartigen Dächern begegneten sie erst in Deutschland. Heutzutage wird dafür oft das türkische Wort verwendet (çátı). Unveränderbare Wörter bleiben eher bestehen, beispielsweise áydarbo „wie“, ŭʕdo „jetzt“ oder dísāne „wieder“. Auch ausgefallenere Wörter behält man eher bei, wie qáḥfogúlo „Schildkröte“. Bei Kompositionen werden Begriffe entweder sofort auf Deutsch („Haustür“) geäußert, oder man lässt im Ṭūrōyo in Deutschland einen Bestandteil weg (nur tárʕo statt ú-tarʕo dú báyto). Das machen sowohl ältere T-Sprecher, als auch jüngere. Letztere deuten meistens zusätzlich auf die gemeinten Gegenstände. Eine Annahme dafür, warum Entlehnungen passieren, ist Prestige: Sprecher imitieren Elemente einer dominanten Sprache, um unter anderem sozialen Status zu erlangen (Vgl. Matras 2009: 150). Prestige-Entlehnungen haben oft entsprechende Ausdrücke in der Empfängersprache; sie können das lexikalische Inventar dieser Sprache bereichern, aber auch einheimische Ausdrücke ersetzen (Vgl. ebd.). Außersprachliche Faktoren, von denen Entlehnungen insgesamt abhängen, sind die Dauer und die Intensität des kulturellen Kontaktes, die Rollenverteilung und der Status der teilnehmenden Sprachen, Spracheinstellungen und der Grad an institutioneller Unterstützung, den die Sprachen erhalten (Vgl. ebd.: 154). Ob die genannten Entlehnungen das Ṭūrōyo erheblich verändern ist fraglich, denn sie weisen einen hohen Grad an Willkürlichkeit auf und variieren je nach Person. Wörter, die ein Sprecher häufiger benutzt, fallen ihm leichter ein; sie sind stabiler als seltener benutzte Wörter. Diese werden schneller vergessen und demnach eher ersetzt (Vgl. Weinreich 1977: 80). Grammatikalische Entlehnungen treten seltener auf: „the fuller the integration of the morpheme, the less likelihood the transfer“ (Vgl. ebd., vgl. Matras 2009: 155).

4. Fazit Wie diese Arbeit gezeigt hat, lässt sich zusammenfassend sagen, dass es etliche neue Ausprägungen des Ṭūrōyo in Deutschland gibt. Neben den dargestellten Entdeckungen wurde noch eine Vielzahl anderer Annahmen geprüft, allerdings wurden nur die treffsicheren Resultate hier aufgenommen. Im Grunde handelt es sich bei Veränderungen um einen natürlichen Prozess. Man sollte dabei berücksichtigen, dass sie durch den fehlenden

30

Kontakt zur Sprache in der Heimat zu erwarten sind. Natürlich ist es schwierig, die Sprache eines alten Volksstammes zu lernen, ohne am Ort der Sprache zu leben. Wenn die eigenen Eltern nach und nach ebenfalls Ṭūrōyo mit Deutsch vermischen, denkt man, dass es unbedenklich ist und spricht dann eventuell ohne großartiges Zögern mit vielen deutschen Elementen. Das Hören einer Sprache spielt also eine sehr große Rolle, wenn es um Spracherhalt geht. Hat man Kontakt zu aramäischsprachigen Familien, die eine andere aramäische Varietät sprechen, können auch dort durch das zufällige Hören Eigenheiten in das eigene Inventar einfließen, obwohl es sich um einen anderen Dialekt des Ṭūr cAbdīn handelt (siehe Nachbardörfer in der Karte im Anhang, zum Beispiel Mīdin oder Arkah). Dafür muss man diesen nicht unbedingt sprechen, es genügt schon ein leichtes Verständnis davon. Teilweise fühlen sich viele junge Sprecher nicht selbstbewusst genug, Ṭūrōyo zu sprechen, weil sie denken, dass sie es nicht ausreichend beherrschen. Vor allem bei Verwandten oder Bekannten wird dann möglichst Deutsch gesprochen, aus Angst etwas Falsches zu sagen. Im familiären Umfeld werden D und T eher vermischt und drücken sich durch die oben aufgeführten Phänomene aus. „Such people may find social interactions with native speakers in their second language to be a relatively negative experience and may become discouraged from pursuing language practice with native speakers. This could be socially unproductive in societies attempting to promote a majority language among members whose native tongue is a minority one” (Segalowitz 1977: 86).

Durch Kenntnisse in den beiden Sprachen besitzt ein Sprecher ein sprachliches Repertoire, auf das er immer zugreifen kann, vor allem wenn seine Gesprächspartner auch über diese Sprachen verfügen. Schwierig wird Kommunikation beispielsweise bei Großeltern, die noch in der Türkei leben und mit denen man sich nur auf Aramäisch unterhalten kann. Dann versucht man, Interferenz nicht so stark aufkommen zu lassen und tendiert sogar dazu, gewohnte Entlehnungen zu vermeiden. Man spricht auch von Partnerzwang, das heißt, die Notwendigkeit, sich in der gemeinsamen Sprache verständlich zu machen. Ist der Beteiligte hingegen ebenso zweisprachig, gibt es kaum Beschränkungen in der Interferenz. Dabei können beliebige Formen transferiert und unangepasst verwendet werden (Vgl. Weinreich 1977: 108). „Wir alle passen unsere Rede mehr oder minder den Umständen an und richten sie nach den verschiedenen Gesprächspartnern ein“ (Weinreich 1977: 10). 31

Die dargestellten Ergebnisse beweisen, dass Veränderungen nicht unbedingt auf die gemeinsame Struktur von Sprachen zurückzuführen sind, sondern man immer den sozialen Kontext heranziehen muss, der die Richtung und den Interferenzgrad bestimmt (Vgl. Thomason 1991: 19). „ [...] attrition processes [...] sometimes take place in dying languages. These are changes which would have been less likely to happen if it were not for the contact situation that is causing speakers to shift away from the dying language, but which are not themselves a result of direct or indirect influence from the dominant language; they do not make the receiving language more similar to the source language […]” (Thomason 2001: 62).

Im Endeffekt sind die gefundenen Resultate noch nicht so sehr ausgeprägt, dass man behaupten könnte, es hätte das Ṭūrōyo besonders verändert. Es gibt immer noch genügend Sprecher, die Ṭūrōyo fließend sprechen und, wie schon genannt, oft aus Bequemlichkeit deutsche Ersetzungen vornehmen, welche meistens nur lexikalischer Natur sind, und keine grammatischen „Fehler“. Die veranschaulichten innovativen Strukturen, die sich im Ṭūrōyo zeigen, sind nicht unbedingt als eine Auswirkung des Sprachkontaktes mit dem Deutschen zu sehen. Zwar zeigen sich gewisse Einflüsse, wie man bei den Suffixintegrationen, Entlehnungen oder dem Kongruenzverhalten sehen kann, aber hauptsächlich liegen solche sprachlichen Veränderungen am Sprachkontakt selbst, an der Dominanz der Mehrheitssprache und der Distanz zu Sprechern im Heimatland, dass man die Grammatik auf diese Weise vernachlässigt. Phänomene, wie die beobachteten, gibt es mit Sicherheit nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern mit der jeweiligen Landessprache, in die Aramäer ausgewandert sind. Letztendlich bleibt nur zu hoffen, dass Innovationen nicht allzu sehr ausarten und die standardmäßige Grammatik einer Vielzahl von Ṭūrōyo-Sprechern im Gedächtnis bleibt.

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Appendix Ausblick: Zukunftsperspektiven des Ṭūrōyo „ [...] some contact situations are stable and quasi-permanent, others are unstable and short-lived [...] “ (Thomason 2001: 21) Durch die Immigration nach Deutschland bot sich für viele Aramäer dauerhaft eine neue Heimat. Zwar kehrten einige von ihnen nach den größten Unruhen wieder in die Türkei zurück, andere blieben jedoch. Das bringt natürlich sprachliche und kulturelle Veränderungen mit sich. Eine kulturelle Identität lässt sich viel leichter bewahren, als eine sprachliche. Selbst wenn man sich persönlich gegen einen Wandel von Sprache ausspricht, heißt das nicht, dass er sich nicht trotzdem unbewusst vollzieht. Wie man in der Arbeit gesehen hat, vollziehen sich teilweise enorme Ersetzungen von ganzen Wörtern oder Ausdrücken, was nicht zuletzt an der schriftlosen Sprache Ṭūrōyo und an der Isolation der aramäischen Gemeinschaften liegt. Positiv ist aber, dass es die Möglichkeit gibt, seine Aramäisch-Kenntnisse durch die Teilnahme an einem Sprachunterricht aufzubessern oder gar neu zu erlernen (Vgl. Can 2013), allerdings oft nur in Städten mit größeren aramäischen Gemeinden, zum Beispiel in Berlin. Mittlerweile gibt es aber auch ein gutes Wörterbuch von Aziz Bulut und Sabo Hanna, das beim Lernen helfen kann (Bulut & Hanna 2000). Das historische Ereignis – die Unterdrückung der Aramäer in der Türkei – führte zur Auswanderung der aramäischen Volksstämme. Dadurch entstanden eine ungleiche Verteilung der Sprache in einem multilingualem Umfeld, sowie Bilingualismus innerhalb der Mitglieder der Minderheitengruppe, die eine Mehrheitssprache benötigen, um sich in Domänen des alltäglichen Lebens zurechtzufinden (Vgl. Thomason 2001: 225ff). Die Konsequenz der immer größer werdenden Kompetenz in dieser Sprache ist der unvollständige Spracherwerb der jüngeren Generation; sie lernen die aussterbende Sprache nicht mehr als Erstsprache. Das bedeutet aber nicht, dass Eltern ihre Ursprungssprache nicht weitergeben wollen, solche Prozesse passieren unbewusst (Vgl. ebd.). Die Sprache “verschleißt” mehr und mehr (Sprachverschleiß/ engl. Language Attrition) und kann letztendlich den Sprachtod herbeiführen, was dem Ṭūrōyo geschehen könnte. „Attrition is a gradual process in which a language recedes as it loses speakers, domains and ultimately structure; it is the loss of linguistic material that is not replaced by new material” (Vgl. ebd.). 37

Verschleiß ist ein schrittweiser Prozess, bei dem eine Sprache durch den Verlust ihrer Sprecher, Domänen und Strukturen immer weiter zurückgeht. Das verlorene linguistische Material wird nicht durch neues ersetzt (Vgl. ebd.: 227). Sprachverschleiß und Sprachtod sind nicht unbedingt das Verschulden von Entlehnungen, denn diese gibt es in allen Sprachen, auch in vergleichsweise stabilen; charakteristisch dafür sind vor allem Neuerungen von Semi-Sprechern, die die sterbende Sprache als Zweitsprache lernen und neue Merkmale einfließen lassen. Und das ist manchmal nicht unbedingt eine sprachliche Erleichterung, sondern eine Verkomplizierung. Aber auch fließende Sprecher können durch unbewusste innovative Strukturen zu sprachlichem Verschleiß beitragen (Vgl. ebd: 229f). Ein wichtiger Aspekt ist außerdem die Auswirkung auf die Identifikation mit einer Gruppe: Man begegnet etwa im Alltag und Beruf immer dem Deutschen, zuhause, bei Festen oder Familientreffen dem Aramäischen. Sobald man sich von einer Gruppe löst, kann Sprachtod entstehen; das trägt nicht gerade zum Fortbestehen der Sprache bei, kommt jedoch häufig in der jüngeren Generation vor.

„Trotz der großen, auf mehrere Länder verteilten Diaspora hängt das Überleben der ṬūrōyoSprache letztlich von der weiteren Entwicklung im Ṭūr cAbdīn ab. Nur dort, im angestammten geographischen und kulturellen Milieu, kann sich Ṭūrōyo als erste Sprache der Bevölkerung erhalten, während es in der Diaspora einer langsamen Aushöhlung unterliegt, die schließlich zum völligen Aussterben der Sprache führt“ (Jastrow 1985: Einleitung).

Welche Maßnahmen könnten zum Erhalt des Ṭūrōyo beitragen? Dafür gibt es einige Ansätze: Erfahrungsgemäß leben viele Großeltern in der Türkei und sitzen somit am Ursprungsort der Sprache. Regelmäßiger Kontakt könnte helfen, besser sprechen zu können. Auch Eltern müssten versuchen, sich nicht zu sehr vom Deutschen verleiten zu lassen und mehr Aramäisch mit den Kindern zu reden. [...] language revitalization depends fundamentally on the decision of parents [...] to speak the moribund language to the young children in their charge (Spolsky 1991: 139). Allerdings sollten Kinder, Jugendliche oder auch erwachsene Semi-Sprecher des Ṭūrōyo eine offene Einstellung gegenüber dem Erlernen ihrer Ursprungssprache haben. In sozialen Netzwerken, wie Facebook oder Google+, können sich Aramäer aus aller Welt verbinden und miteinander austauschen, um so auch außerhalb des familiären Umfelds aramäischsprachige Menschen kennen zu lernen. Es gibt Jugend-Gemeinschaften, die Treffen organisieren oder Live-Veranstaltungen mit traditioneller Musik anbieten. Eine wei38

tere Möglichkeit, um den Kontakt unter Aramäern und auch das Ṭūrōyo aufrechtzuerhalten, ist der Kirchenbesuch. In einigen größeren Städten finden regelmäßig Gottesdienste statt. Seit einigen Jahren gibt es auch eigene aramäische Fernsehsender (Suroyo SAT, Suroyo TV) und Filme („Holo Malke bi Golutho“), die zum Spracherhalt beitragen können. Schweizer Radiosender versuchten sogar Menschen mit aramäischen Sprachspots zu erreichen und zu ermutigen, sich mit älteren Sprachen auseinanderzusetzen (Schweiz 2014). Das „Endangered Languages Documentation“ - Programm (ELDP) oder Sorosoro versuchen, Minderheitensprachen zu dokumentieren und die Sprachenvielfalt zu schützen. Man kann Textdokumente oder Wissenswertes über die verschiedenen Sprachen hochladen und mit anderen teilen. Zudem findet man online auch Archive mit Sprachaufnahmen (Vgl. Bet 2011).

Karte des Ṭūr cAbdīn:

Audiodateien Soundfiles siehe CD: Beispielsätze von (1)-(41), eingesprochen von Efrem und Viktoria Çelik

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Plagiatserklärung „Ich habe diese Arbeit selbständig verfasst, keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt und bisher keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.“

_Regensburg, den 30.03.2015______________________ Ort, Datum, Unterschrift

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