Danté Hendrickx
BA1: Taal- en Letterkunde Engels-Duits
Studentennummer: 20131458
Identitätsverlust in "Über Zwang und Unmöglichkeit Jude zu sein"
Ein Essay über "Über Zwang und Unmöglichkeit Jude zu sein" von Jean Améry
Im Rahmen der Vorlesungen zu Deutsche Texte I: Deutsche Literatur und der Holocaust wurden sehr viele verschiedene Autoren und Autorinnen behandelt, darunter Nelly Sachs, Ruth Klüger, Viktor Klemperer und Gertrud Kolmar. Bei jedem Autor und jeder Autorin traten viele wichtige Themen in Bezug auf den Holocaust in den Vordergrund. Die Frage ist gar nicht "Wie war es möglich?", sondern "Wie geht es nun weiter?". Das Unwesen des Holocausts führte bei vielen Opfern zu Identitätsverlust, existenziellen Gewissensfragen und Zeugnisdilemma. Diese drei Themen kommen, meiner Meinung nach, am besten zur Geltung bei Jean Améry. Deshalb möchte ich mit Ihnen gerne meine Erfahrungen in Bezug auf Jean Améry und sein Werk "Über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein" teilen.
Zunächst eine kurze Einführung zu Jean Améry. Am 31. Oktober 1912 wurde er als "Hans Mayer" in Wien, Österreich, geboren. Sein Vater war jüdisch, aber er wurde katholisch erzogen, weil seine Mutter katholisch war. 1943 wurde er während des Zweiten Weltkrieges nach Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen abtransportiert, aber er überlebte die Konzentrationslager. Nach dem Krieg, 1955, änderte er seinen Namen in dessen Anagramm "Jean Améry" und fing an, Bücher über das Unwesen des Holocausts zu schreiben. Diese Bücher handeln hauptsächlich von dem großen Identitätsverlust und der Vernichtung der Individualität.
Améry sah den Sturm schon kommen. 1935 studierte er die Nürnberger Gesetze und er konstatierte etwas Beunruhigendes. Er schrieb: "Ich [...] konnte schon gewahr werden, daß sie auf mich zutrafen." Von diesem Moment an wusste er, dass ihn, aufgrund seines jüdischen Hintergrundes, etwas Schreckliches erwartete. Améry war ganz enttäuscht und beleidigt. Meiner Meinung nach gibt es einige Gründe dafür, die ich Ihnen gerne vorstellen möchte.
Erstens müssen wir ganz zurück in die Vergangenheit. Paul Mayer, sein Vater, hat während des Ersten Weltkrieges in der deutschen Armee gedient. Améry schrieb darüber: […] er bliebt dort, wohin sein Kaiser ihn geschickt hatte und sein Vaterland ihn am sichersten aufgehoben wußte […]". Sein Vater war immer bereit gewesen sein Land, Deutschland, zu verteidigen, selbst wenn andere "katholische", deutsche Soldaten schon lange geflohen waren. Aber von einem Moment auf den anderen traf das alles nicht mehr zu. Der größte Fehler, durch den man wieder in die Barbarei verfallen ist, war die Vermischung von Staat und Religion. Für die Nationalsozialisten waren nur "katholische" Deutsche die wahre Deutschen. "Jüdische" Deutsche wurden als Juden abgestempelt und sie waren in keinerlei Hinsicht Teil des nationalsozialistischen Deutschlands. Améry fasste dieses mit den Worten: "Jude ist, wer von den anderen als Jude angesehen wird." treffend zusammen.
Anschließend möchte ich gerne auf Amérys eigene Jugend verweisen. Wie bereits erwähnt wurde er katholisch erzogen und er feierte die gleichen katholischen Feste wie alle anderen Katholiken auch. Er wusste nichts über jüdische Kultur. Er schrieb: "Ich glaube nicht an den Gott Israels. Ich weiß sehr wenig von jüdischer Kultur [...] Ich war neunzehn Jahre alt, als ich von der Existenz einer jiddischen Sprache vernahm […]". Nichtsdestotrotz wurde Améry als ein Jude angesehen. In Bezug auf die Nürnberger Gesetze schrieb er: "Ich war, als ich die Nürnberger Gesetze gelesen hatte, nicht jüdischer als eine halbe Stunde zuvor". Ich kann mir fast nicht vorstellen, wie Améry sich gefühlt haben muss. Ein junger Mann, der eine ganz normale "katholische" Erziehung genoss, wird plötzlich der größte Feind des Staates.
Der letzte und vielleicht wichtigste Punkt ist seine Unfähigkeit die jüdische Identität zu akzeptieren. Er sagte: "[…] weil ich kein Jude sein will: nur weil ich es nicht sein kann". Diese Aussage veranschaulicht sehr deutlich, wie es zu Amérys späteren Identitätsproblemen kommen konnte. Juden sind durch eine gemeinsame Religion verbunden, die eine Bindung schafft. Sie feiern die gleichen Feste und haben die gleiche Sprache. Améry war keineswegs ein Jude. Er befand sich zwischen zwei Unmöglichkeiten. Einerseits zwang ihn der Nationalsozialismus die jüdische Identität anzunehmen. Andererseits wurde er in der jüdischen Gesellschaft nicht akzeptiert, weil er eigentlich gar kein Jude war. Er nannte diese neue "Art" von Juden "Katastrophejuden". Sie hatten diese Identität nicht gewählt, trotzdem wurde ihnen ein kleiner Davidsstern auf ihre Kleidung genäht.
Aber die wichtigste Frage ist "Wie geht es weiter?" Wie schon gesagt überlebte Améry den Holocaust, aber damit hatte seine immer anwesende Furcht nicht aufgehört. Améry und viele andere Opfer hatten auch danach immer noch Angst, dass der Nationalsozialismus nach dem Krieg weitergeführt werden würde. Wir können uns heutzutage unmöglich vorstellen wie es ist, jede Nacht mit der Angst, dass alles wieder passieren könnte, einzuschlafen. Dadurch verloren viele Menschen, wie zum Beispiel Jean Améry, das Vertrauen in die Gesellschaft.
Die Rolle von Jean Améry als Holocaustautor kann man sehr kurz zusammenfassen. Als überraschendes Ende probierten nach dem Krieg viele Länder, darunter auch Österreich, der Schuld zu entgehen. Österreich, das die gleichen antisemitischen Ideen hatte wie Deutschland, bemühte sich, sich selbst als "ein Opfer" darzustellen. Obwohl Österreich sich freiwillig Deutschland anschloss hatte, probierte man vorzugeben, dass man durch Deutschland eingenommen worden war. Aber Améry war ihnen hinter die Schliche gekommen. Deshalb ist es das Ziel von Amérys Holocaustliteratur die wahre Rolle Österreichs zur Sprache zu bringen, damit das niemals vergessen wird.
Es ist eindeutig, dass Jean Améry eine wichtige Rolle in der Holocaustliteratur spielte. Angesichts seiner wichtigen Aussagen über diese spezielle Art des Identitätsverlusts kann niemand gleichgültig bleiben. Jean Améry ist für mich ein Autor, an den ich mich noch lange erinnern werde, "damit das niemals vergessen wird".
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