Händel im Stadion? Zadok the Priest und die UEFA Champions League Hymne

May 23, 2017 | Author: Arnold Jacobshagen | Category: Music, Musicology, Theatre Studies, Football (soccer), Economics of Football (soccer), Sports Management, Soccer, G F Handel, 18th Century Music History, Sports marketing, National Anthems, Sports Management, Soccer, G F Handel, 18th Century Music History, Sports marketing, National Anthems
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Arnold Jacobshagen, Köln Händel im Stadion? Zadok the Priest und die UEFA Champions League Hymne Der Mythos Georg Friedrich Händels als „populärer“ Komponist findet heute nicht zuletzt im Massenphänomen des Fußballs seine Bestätigung. Die Spiele der Champions League werden weltweit in mehr als 200 Ländern übertragen, das Finale verfolgen jährlich mehrere hundert Millionen Menschen live im Fernsehen. Unmittelbar vor Beginn eines jeden Spiels des seit 1992 ausgetragenen Wettbewerbs erklingt die UEFA Champions League Hymne, eine Komposition von Tony Britten in Anlehnung an Händels Coronation Anthem Zadok the Priest. Händels Klänge sind heute also auf der ganzen Welt bekannt – allerdings nicht in ihrer ursprünglichen Funktion als Krönungsmusik der englischen Könige, sondern in einer zeitgemäßen Bearbeitung als Einstimmung zur Ermittlung der Könige des Fußballs.1 Der Funktions- und Rezeptionswandel gerade dieses Coronation Anthems setzte freilich nicht erst mit dessen Vereinnahmung durch die Populärkultur ein.2 Zwar erklang Zadok the Priest bei allen englischen Krönungszeremonien seit 1727, es ist jedoch zugleich daran zu erinnern, dass seit 1953 kein solcher Anlass mehr gegeben war.3 Abgesehen von Großbritannien finden in den übrigen europäischen Monarchien, also in Spanien, Belgien, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern keine Krönungszeremonien statt, und auch das Tragen einer Krone ist in diesen Königreichen unüblich. Auch die letzte Krönung eines Papstes – diejenige Pauls VI. im Jahre 1963 – liegt ebenfalls schon mehr als fünfzig Jahre zurück. Bekanntlich handelt es sich bei Zadok the priest um eine Übersetzung der Antiphon Unxerunt Salomonem. Der Text entstammt dem ersten Kapitel des ersten Bu1 Genau in diesem Sinne interpretierte auch Lorin Maazel das Werk, als er Teile daraus in einem von Matthias Ambrosius und Thomas Berg arrangierten Potpourri anlässlich des Finaleinzugs des FC Bayern München im Sommer 2013 in der Philharmonie am Gasteig für das Fernsehen einspielte. Vgl. Die Münchner Philharmoniker: Champions League Finale 2013 [HQ] Hymne für den FC Bayern. Das vollständige Video findet sich im Internet unter: https://www.youtube.com/ watch?v=wvFk_E8PfFg (29.6.2016). 2 Vgl. Arnold Jacobshagen, Held und Antiheld der Populärkultur, in ders.: Händel im Pantheon. Der Komponist und seine Inszenierung, Sinzig 2009, S. 71–82. Zu Händels Vertonung vgl. u. a. Sabine Henze-Döhring, Händels Coronation Anthems, in: Händel-Jahrbuch 49 (2003), S. 105– 113; Lieselotte Bense, Händels Anthems für die Krönung Georgs II. und seiner Gemahlin Königin Caroline in der Westminster-Abtei am 11. Oktober 1727, in: ebd., S. 307–326. 3 Zur Tradition der britischen Krönungsmusiken vgl. Matthias Range, Music and Ceremonial at British Coronations. From James I to Elizabeth II, Cambridge 2012, hier S. 4. 199

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ches der Könige und hat die Salbung Salomons durch den Priester Zadok und den Propheten Nathan zum Gegenstand. Die enge Verbindung des Stückes mit der Idee des Königtums, die vor allem im Mittelteil mit seinem jubilierendem „God save the King“ zum Ausdruck kommt, prädestiniert Zadok the Priest auch zur Verwendung bei anderen royalen Zeremonien außerhalb des Vereinigten Königreiches.4 Zadok the Priest zählt seit langem zu jenen Werken Händels, die nicht nur bei Staatsakten und offiziellen Feierlichkeiten, sondern bei Open-Air-Veranstaltungen, den berühmten Londoner Promenadenkonzertserien („Proms“) und anderen populären Konzertformen überaus beliebt sind. Bereits im 19. Jahrhundert wurde es auf den großen Musikfesten in der englischen Provinz regelmäßig aufgeführt und dabei – ähnlich wie der Halleluja-Chor aus dem Messiah – häufig als Abschlussstück gewählt.5 Angesichts ihrer außerordentlichen Popularität nimmt es nicht Wunder, dass Händels Komposition besonders häufig auch in der Kino- und Fernsehwerbung Verwendung findet. Die königlichen Assoziationen, die Zadok the Priest wachruft, dienen dabei regelmäßig der Funktion der Statuserhöhung für das beworbene Produkt durch Image-Transfer. Eine solche Nobilitierung von Waren mithilfe von Musik zählt zu den besonders bewährten und wirkungsvollen Strategien im Bereich des Marketings.6 Vergleichbare Mechanismen der Nobilitierung greifen auch im Falle der UEFA Champions League, wobei durchaus komplexe ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Faktoren zusammenspielen, die einer eingehenden Analyse bedürfen. Hierzu zählt auch die Tatsache, dass anstelle von Händels Originalmusik eine eigens komponierte Hymne erklingt, die lediglich bestimmte Elemente der Vorlage aufgreift und so zugleich die musikalische Markenidentität, das „Audio-Branding“ der Champions League gewährleistet. Im Folgenden sollen vor allem drei Aspekte des Themas aufgegriffen werden. Zunächst soll kurz der Kulturwandel des Fußballsports skizziert werden, der mit der Einführung der Champions League im Jahre 1992 einherging. Sodann steht der Komponist Tony Britten im Fokus, den ich im 4 So etwa bei der Hochzeit des dänischen Kronprinzen Frederik mit der schottisch-stämmigen Australierin Mary Elizabeth Donaldson am 14. Mai 2004 in Kopenhagen. Vgl. https://www. youtube.com/watch?v=iL9ZlVwgnUU sowie https://www.youtube.com/watch?v=h476Q0r7t_4 (29.6.2016). 5 Vgl. Pippa Drummond, The Provincial Music Festival in England, 1784–1914, Farnham 2011, S. 40, 49. 6 Ein Beispiel aus der jüngeren TV-Werbung weist diesbezüglich bemerkenswerte Parallelen zur Verwendung von Händels Musik im Fußballstadion auf. Die Botschaft dieses Werbespots ist eindeutig: Ein Fast-Food-Produkt wird durch seine luxuriöse Inszenierung und erhabene musikalische Untermalung seiner üblichen Assoziationen und Kontexte entkleidet: https://www. youtube.com/watch?v=oCJFUljjh7M sowie (29.6.2016). 200

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Mai 2016 in London zu seiner Komposition befragen konnte. Und schließlich sollen Händels Zadok the Priest und die UEFA Champions League Hymne von Tony Britten einander vergleichend gegenübergestellt werden. Die Einführung der Champions League im Jahre 1992 markiert insofern einen Kulturwandel, als damit der Versuch einherging, eine vor allem als proletarisches Massenvergnügen geltende Sportart zum vornehmen Glamour-Event der Superlative zu erheben. Dieser neue „erhabene“ Status sollte nicht zuletzt mithilfe der an Georg Friedrich Händel ausgerichteten Musik inszeniert werden. Zum besseren Verständnis dieses Kulturwandels seien zunächst einige Elemente der Vorgeschichte und die Gründe für die damals seitens des Europäischen Fußballverbandes UEFA getroffenen Entscheidungen rekapituliert. Selten war das Image des Fußballsports so schlecht wie gegen Ende der 1980er Jahre. Gewalttätige Ausschreitungen insbesondere britischer Hooligans und marode Stadien in zahlreichen europäischen Ländern waren verantwortlich für beispiellose Katastrophen. Beim Europapokalfinale 1985 in Brüssel zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool starben 39 zumeist italienische Zuschauer unter den Trümmern einer eingestürzten Stadionmauer. Als Konsequenz aus dieser von randalierenden Liverpool-Fans ausgelösten Tragödie wurden alle englischen Vereine für fünf Jahre aus dem Europapokal ausgeschlossen. Vier Jahre später sollte es noch schlimmer kommen: Bei der Stadion-Katastrophe im englischen Hillsborough kamen 1989 insgesamt 96 Menschen ums Leben, fast 800 wurden verletzt. Die auf Grund dieser Ereignisse notwendige Erhöhung der Sicherheitsbestimmungen hatte umfassende Stadion-Um- und Neubauten in ganz Europa zur Folge. Zugleich versuchte man, eine andere, gehobene Stadionkultur zu begründen. In der architektonischen Gestaltung und Ausstattung vieler neuer Stadien schlugen sich gesteigerte gesellschaftliche Ansprüche nieder, internationale Stararchitekten wie Renzo Piano (Bari 1987–1990) oder Santiago Calatrava (Athen 2002–2004) schufen moderne Tempel des Sports. Ihre Stadionbauten wurden zum Ausdruck der breiten gesellschaftlichen Akzeptanz, die der Fußball mittlerweile erreicht hatte, und der damit einhergehenden Kommerzialisierung. […] Ausgedehnte Zonen für Merchandising, Logen für zahlungskräftiges Publikum sowie die weitgehende Überdachung aller Tribünenbereiche7

7 Christoph Randl, Das Fußballstadion. Ein Typus der modernen Architektur, in: Fußball als Kulturphänomen. Kunst-Kult-Kommerz, hrsg. von Markwart Herzog, Stuttgart 2002, S. 179–196, hier S. 187. 201

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und deren vollständige Bestuhlung führten freilich auch zu einer Explosion der Eintrittspreise und somit gleichsam zu einem „Ausschluss des Volkes“ aus dem Stadion. Die neuen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Herausforderungen betrafen den wichtigsten Vereinswettbewerb des internationalen Fußballs, den Europapokal der Landesmeister an vorderster Stelle.8 Anfang der 1990er Jahre hatten der Aufstieg des Privatfernsehens sowie die neuen digitalen und satellitenbasierten Übertragungstechnologien zu einem enormen Zuwachs an finanziellen Gewinnmöglichkeiten im Spitzensport geführt. Auch insofern lag es nahe, den Austragungsmodus des Europapokal-Wettbewerbs auf den Prüfstand zu stellen. Das bisherige K.O.-System bedeutete für die Vereine ebenso wie für die Fernsehanstalten wegen der Gefahr eines frühzeitigen Ausscheidens und der damit verbundenen finanziellen Mindereinnahmen ein unkalkulierbares Risiko. Entscheidend für den Systemwechsel zur europäischen Liga der tatsächlich leistungsstärksten Teams war der Wunsch sowohl der großen Clubs als auch der Fernsehanstalten, mit einer wesentlich größeren Zahl garantierter Spiele und damit sicherer Einnahmen kalkulieren zu können. Auf Betreiben des italienischen Medienunternehmers Silvio Berlusconi, damals zugleich Präsident des AC Mailand, kam es seit Anfang der 1990er Jahre zu einem informellen Zusammenschluss der europäischen Spitzenclubs mit dem Ziel, sich von der UEFA zu emanzipieren.9 Diesen separatistischen Bestrebungen wollte der Verband durch die Etablierung eines optimierten europäischen Vereinswettbewerbs mit maximalen Fernseheinnahmen für die Clubs wie auch für den Verband entgegentreten: die Champions League. Durch die Einführung einer Qualifikations- und einer Gruppenphase wurde der Wettbewerb sportlich und wirtschaftlich wesentlich attraktiver gestaltet. Gemeinsam mit der Agentur TEAM Marketing aus Luzern wurde ein zentralisiertes Markenkonzept für eine gewinn- und prestigemaximierte Champions League entwickelt, das die Urheber folgendermaßen charakterisieren: 8 Dieser Wettbewerb wurde seit 1955 in nahezu unveränderter Gestalt ausgetragen. Ein Strukturproblem lag in seinem Austragungsmodus: Alle Landesmeister wurden gleich behandelt, auch die Färöer-Inseln oder Luxemburg hatte automatisch einen Startplatz. Die Landesmeister mussten in mehreren Runden jeweils mit Hin- und Rückspiel im K.O.-System gegeneinander antreten. Die Interessen der großen Vereine standen in Konflikt mit jenen des europäischen Fußballverbandes UEFA, der darauf bedacht sein musste, sämtliche Mitgliedsverbände zu berücksichtigen, sondern auch seine eigenen wirtschaftlichen Ziele zu realisieren. 9 Zunächst fanden sich acht Top-Vereine zusammen, die jeweils mindestens fünfmal einen Europapokal gewonnen hatten: AC Mailand, Real Madrid, Ajax Amsterdam, Bayern München, FC Barcelona, FC Liverpool, Inter Mailand, Juventus Turin. Aus diesem Zusammenschluss sollte 1998 die so genannte G-14 hervorgehen, ein europäischer Zusammenschluss, der im Jahre 2002 auf 18 Vereine erweitert wurde, ehe er sich 2008 auflöste. 202

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The first priority for the new marketing concept was to have a strongly branded product that would clearly stand out and be unique in the busy sports world. First a name for the competition had to be found. It was decided to use ‘UEFA Champions League’ as it was a league composed of champion clubs. A logo was created that was composed of 8 stars formed in a sphere like a football. The stars represented the ‘star’ football clubs of Europe. A choral-classical musical anthem was also developed from a theme of Handel’s. This simple yet striking new logo, combined with the classical musical theme, gave the new competition an elevated image and prestigious feel. The Champions League was born!10 Sämtliche Elemente der Markendefinition der UEFA Champions League sind in einem „Brand Manual“ niedergelegt, das bis heute als ein Musterbeispiel erfolgreichen Sportmarketings gilt. Als Vision des Wettbewerbs wird dort angegeben: „To create the ultimate stage for Europe’s club championship”, die Mission sei „to give fans the best club football competition in the world.“11 Dieses Streben nach Superlativen durchzieht alle Aspekte der Markendefinition, deren Essenz in der Formel „The best of the best – on the ultimate stage“12 zum Ausdruck kommt. Als Markenwerte werden genannt: Leidenschaft, Authentizität, Respekt für das Spiel und seine Traditionen, Inspiration für Vereine, Spieler und Fans und vor allem eine allumfassende Exzellenz, „striving for the highest standards in everything we do“.13 Bekanntlich hat sich die Wendung „in der Champions League spielen“ heute auch in der Alltagssprache durchgesetzt. Diese Exzellenz auf allen Ebenen wiederum soll sich in einer „Markenpersönlichkeit“ spiegeln, die gleichermaßen „prestigious“ und „exciting“ sein müsse.14 Der Markenkern wird durch eine verbindliche Festlegung sämtlicher visueller und akustischer Merkmale definiert, darunter natürlich auch die Musik.15 Diesen Zielen sollte auch das „Audio Branding“, d. h. die musikalische Markengestaltung

10 Craig Thompson und Ems Magnus, The UEFA Champions League Marketing, in: FIBA Assist Magazine, 02/2003, S. 49f., hier S. 50. 11 UEFA Champions League Brand Manual 2015–18, Hrsg. UEFA / TEAM Marketing, Nyon 2015, S. 10. 12 Ebd., S. 6f. 13 Ebd., S. 7. 14 Ebd., S. 8f. 15 Im Jahre 2015 wurde das überarbeitete Markenkonzept auch in einem Werbefilm vorgestellt: http://www.uclbrandsupport.com/videos/ucl/mp4/brandfilm.mp4 (6.2.2017). 203

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des Wettbewerbs verpflichtet sein.16 Daher beauftragte der Europäische Fußballverband UEFA durch seinen Marketing-Partner TEAM Marketing anlässlich der Begründung der Champions League 1992 den britischen Komponisten Tony Britten damit, eine Hymne für Chor und Orchester in Anlehnung an klassische Chorwerke zu schreiben.17 Wesentlich sollte es dabei sein, dass die Musik auch auf das Logo und die sonstige visuelle Gestaltung abgestimmt war. Je nach Einsatzart wurden zahlreiche unterschiedliche autorisierte Fassungen dieser Hymne entwickelt: Neben der vom Royal Philharmonic Orchestra und dem Chor der Academy of St. Martins-inthe Fields eingespielten Full version mit einer Länge von drei Minuten, welche die Zeremonie vor jedem Spiel begleitet und zu Beginn und am Ende aller Fernsehübertragungen dieses Wettbewerbs erklingt, gibt es Ausschnitte hieraus mit Längen von 15 Sekunden bis zu einer Minute, die sich vor allem auf den Refrain konzentrieren. Darüber hinaus sind „General Edits“ im Umfang zwischen 6 und 16 Sekunden sowie „Stings“ von 1 bis 12 und „Breakbumpers“ von jeweils 4 Sekunden Länge für den Radio- und Fernsehgebrauch erhältlich.18 Der Komponist Anthony Britten (geboren 1955) – er ist mit Benjamin Britten nicht verwandt – begann seine musikalische Laufbahn als Knabensopran im Trinity Boys Choir der Trinity School of John Whitgift im Londoner Stadtteil Croyden. Der Trinity Boys Choir gilt als einer der besten Knabenchöre weltweit. Britten hatte so schon in seiner Kindheit oftmals Gelegenheit, Zadok the Priest im Chor zu singen. Einen Höhepunkt seiner Sängerlaufbahn bezeichnet sein Auftritt als vierzehnjähriger Darsteller des Yniold in der Covent-Garden-Produktion von Claude Debussys Pelléas et Mélisande in der Inszenierung von Vaclav Kaslik und Josef Svoboda unter der musikalischen Leitung von Pierre Boulez im Jahre 1969. Bis heute stellt die Tonträgereinspielung dieser Produktion eine der Referenzaufnahmen des Werkes dar. Nach seinem Musikstudium am Royal College of Music in London und wirkte er als Musikdirektor und Arrangeur an verschiedenen Londoner Musical-Theatern, insbesondere für den Theaterproduzenten Cameron Mackintosh. Heute liegt sein 16 Stefan Strötgen hat eine enge und eine weite Definition von Audio-Branding vorgeschlagen. In der engen Definition befasst sich Audio-Branding mit der „Schaffung akustischer Markenzeichen im Sinne von für die Marke typischen, konkreten Klängen“, in der weiten Definition „mit akustischer Markenkommunikation, im Sinne eines zielgerichteten Managements sämtlicher Klangverbindungen einer Marke“. Vgl. Stefan Strötgen, Markenmusik, Würzburg 2014, S. 63. 17 Hierzu vgl. http://www.uefa.com/uefachampionsleague/season=2017/music/index.html (9.2.2017), sowie http://www.11freunde.de/interview/wie-schreibt-man-die-championsleague-hymne-tony-britten (9.2.2017). 18 UEFA Champions League Brand Manual 2015–18(wie Anm.11), S. 28. 204

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beruflicher Schwerpunkt im Filmgeschäft, wo er als Komponist, Arrangeur, Autor, Regisseur und Produzent tätig ist. Er ist Eigentümer der Produktionsgesellschaft Capriol Films, die er nicht zuletzt dank seiner regelmäßigen Einnahmen aus der UEFA Champions League Hymne finanziert. Zu seinen jüngsten auch musikalisch bedeutsamen Filmen zählt die Dokumentation Benjamin Britten – Peace and Conflict aus dem Jahre 2013, die er in Personalunion als Autor, Regisseur und Produzent verantwortet hat. An zahlreichen Spielfilmproduktionen hat er als Komponist und Dirigent mitgewirkt.19 Unter den Fernsehfilmen, die er als Regisseur oder Produzent geleitet hat, überwiegen solche mit musikspezifischen Themen, darunter die TV-Fassungen von fünf Opernproduktionen: Falstaff, La Bohème, The Mariage of Figaro, The Magic Flute und Cosi fan tutte, jeweils in englischer Sprache und eigenen Übersetzungen von Britten, darüber hinaus teilweise auch in eigenen musikalischen Arrangements in reduzierter Besetzung. Bei Falstaff und La Bohème hat Britten selbst Regie geführt, wobei er die Handlung jeweils in ein gegenwärtiges Ambiente versetzt hat. Diese Filme dokumentieren die erfolgreichsten von insgesamt mehr als einem Dutzend Opernproduktionen, an denen Britten in den 1990er Jahren am Music Theatre London in leitender Funktion beteiligt war. Die Oper The Poisoned Chalice (1994) hat Britten für das Music Theatre London selbst komponiert. Als Regisseur hat er neben Falstaff und La Bohème auch Die Fledermaus (Johann Strauss), Eugene Onegin (Tschaikowsky) und Susanna’s Secret (Wolf-Ferrari) an diesem Theater in Szene gesetzt. Als der Europäische Fußballverband UEFA anlässlich der Begründung der Champions League 1992 durch seinen Marketing-Partner TEAM Marketing den Auftrag erteilte, eine Hymne für Chor und Orchester in Anlehnung an klassische Chorwerke zu schreiben, stellte Britten zunächst eine aus „Temp Tracks“ bestehende Vorschlagsliste zusammen, die neben dem Coronation Anthem Zadok the Priest auch andere Kompositionen Händels, u. a. aus dem Messiah, sowie Edward Elgars Dream of Gerontius enthielt.20 In einer offiziellen Videodokumentation der UEFA hat sich Britten hierzu folgendermaßen geäußert: Meine Agentin schickte unsere Ideen an TEAM Marketing, die für den Wettbewerb verantwortlich waren, und an die UEFA. Alles, was sie damals wussten, 19 Filme: Draw on Sweet Night: Writer, Executive Producer, Director, Composer. – ChickLit: Writer, Executive Producer, Director, Composer. – Benjamin Britten. Peace and Conflict: Writer, Executive Producer, Director. – In Love with Alma Cogan: Writer, Executive Producer, Director, Composer. – Burndown: Composer. – Joyriders: Composer. – Robocop: Conductor. – Wetherby: Arranger/conductor. Quelle: Tony Britten, C.V. May 2016 (Manuskript). 20 Mitteilung Tony Brittens im Gespräch mit dem Verfasser am 10. Mai 2016 in London. 205

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war, dass sie etwas Hymnisches, Heroisches haben wollten, etwas mit Würde und Kraft. So hat sie ihnen viele Melodien vorgespielt, und sie haben sich schließlich für Georg Friedrich Händel entschieden. […] Das musste alles sehr schnell gehen, und zwischen dem Moment, wo die Jungs von der UEFA sagten, Oh! Die Idee einer Händelschen Hymne gefällt uns, und der Fertigstellung sind vielleicht gerade mal sechs Wochen vergangen.21 Offenbar herrschte hinsichtlich der Frage, ob es sich beim UEFA Champions League Anthem lediglich um ein Arrangement von Händels Werk oder aber um eine Originalkomposition unter Verwendung einzelner Elemente aus der Vorlage handeln sollte, zunächst Uneinigkeit. Die vergleichende Analyse beider Kompositionen zeigt zweifellos, dass es sich um eine eigenständige Komposition Brittens unter starker Anlehnung an Händel handelt. In diesem Sinne hat sich auch Britten klar geäußert: Es ist eine interessante Idee, so ein Stück umzuschreiben. In diesem Fall war es Zadok der Priester von Händel. Das kann [aber] auch ein Problem sein. Es ist ein bisschen, wie eine Musik zu einem Film zu machen, bei dem die Produzenten schon ein bisschen mit der Musik herumexperimentiert haben. Dann kommen sie zu dir und sagen: Du sollst die Musik schreiben. Wenn du dann das getan hast und es ihnen vorlegst, sagen sie: Naja, das klingt ja nicht unbedingt so, wie das, was wir vorher hatten. – Ist doch klar, sage ich dann, es klingt so wie mein Stück.22 Die Bezeichnung „Hymne“ ist hinsichtlich der literarischen Struktur sicherlich ein Euphemismus, denn der Text besteht lediglich aus Versatzstücken, die der bloßen Beschreibung des Sportereignisses in den drei offiziellen Sprachen der UEFA (Französisch, Englisch, Deutsch) dienen. Tony Britten hat diesen Text mithilfe eines Übersetzers primär nach musikalischen Gesichtspunkten selbst zusammengestellt. Dabei ergibt sich eine sehr klare Struktur aus zwei „Strophen“ mit „Refrains“, deren zweiter durch variierte Wiederholungen verlängert wird und das Stück in dieser besonders für Popsongs charakteristischen Weise beschließt.

21 UEFA.com, The Anthem, https://www.youtube.com/watch?v=vnXXNm9qPKg (6.2.2017), deutsche Synchronfassung, zitierter Ausschnitt bei 1:42 bis 2:40. 22 UEFA.com, The Anthem, https://www.youtube.com/watch?v=vnXXNm9qPKg (6.2.2017), deutsche Synchronfassung, zitierter Ausschnitt bei 2:52 bis 3:22. 206

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Strophe 1 Ce sont les meilleures équipes. Es sind die allerbesten Mannschaften. The main event. Refrain 1 Die Meister. Die Besten. Les grandes équipes. The champions!

Strophe 2 Une grande réunion. Eine große sportliche Veranstaltung. The main event. Refrain 2 Ils sont les meilleurs. Sie sind die Besten. These are the champions. Die Meister. Die Besten. Les grandes équipes. The champions!

Bereits aus dieser Anlage des Textes ergibt sich, dass die Komposition formal nichts mit der Krönungshymne Händels zu tun hat. Diese ist musikalisch bekanntlich dreiteilig angelegt, wobei auf die ersten beiden Abschnitte jeweils eine Textzeile entfällt, der dritte Abschnitt hingegen drei Textzeilen umfasst. 1.

Zadok the Priest, and Nathan the Prophet anointed Solomon King.

Andante maestoso

2.

And all the people rejoiced, and said:

Allegro

3.

God save the King! Long live the King! May the King live for ever, Amen, Allelujah.

A tempo ordinario (Allegro moderato)

Die Ähnlichkeiten zwischen der UEFA Champions League Hymne und der Kompositionen Händels beschränken sich fast ausschließlich auf den ersten Abschnitt von Zadok the Priest. In der bereits zitierten UEFA-Dokumentation über die Hymne hat Britten angegeben, dass lediglich ein Element in seiner Komposition von Händel stamme: In Wirklichkeit gibt es nur eine Passage, die wirklich nach Händel klingt, ganz am Anfang, die ansteigende Phrase. Der Rest war, naja, reine Inspiration. Diese Art von Musik hatte ich schon länger im Kopf. Ich habe mich nicht hingesetzt und gesagt: Jetzt klaue ich einfach hier oder dort etwas.23 23 Ebd., deutsche Synchronfassung, zitierter Ausschnitt bei 3:26 bis 3:42. 207

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Notenbeispiel 1 Britten, UEFA Champions League Hymne, Beginn (Klavierauszug)

Die von Britten verwendete Streicherfigur ist indes durchaus nicht identisch mit derjenigen Händels. Anstelle aufsteigender Dreiklangsbrechungen in Sechzehntelnoten wählt der Komponist der UEFA Champions League Hymne eine Achtelfigur mit Binnenwiederholungen der jeweils zweiten und vierten Note. Berücksichtigt man zudem den zwar in einzelnen Wendungen sehr ähnlichen, aber insgesamt keineswegs übereinstimmenden harmonischen Verlauf, so fallen vor allem die systematisch eingeführten Abweichungen vom Händelschen Modell ins Auge. In dem Interview, das ich mit Tony Britten am 10. Mai 2016 in London führte, hat der Komponist ein zweites Element erwähnt, das er aus Händels Komposition entlehnt habe, nämlich die Soli der drei Trompeten: And then I thought: OK, what are the other elements which to an unmusical ear would probably be the most obvious? It’s the B trumpets. [Britten singt die Melodie der Trompetenstimme aus dem zweiten Abschnitt von ‘Zadok the Priest’]. Three B trumpets, brilliant writing! And it’s so exciting. Even if you hate classical music, you can’t hate that!24 Die Besetzung mit Trompeten und Pauken und die Tonart D-Dur sind der zeremoniellen Funktion beider Kompositionen geschuldet. Im Unterschied zu Händel, dessen Bläserbesetzung darüber hinaus je zwei Oboen und Fagotte umfasst, verwendet Britten zu Beginn der Hymne auch ein Hornsolo und lässt das Streichorchester 24 Interview mit dem Verfasser am 10. Mai 2016 in London. 208

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durch Harfe und Synthesizer verstärken. Auch hinsichtlich der Trompetensoli, die Britten als Steigerungselement im zweiten Refrain zum Einsatz bringt, findet sich keine identische Übernahme der von Händel verwendeten Motive. Zudem stammen die analogen Figuren aus dem zweiten Teil von Zadok the Priest, der ansonsten keinen Eingang in die UEFA Champions League Hymne gefunden hat. Die solistischen Trompeten illustrieren hierbei den Jubel des Volkes („And all the people rejoiced”). Notenbeispiel 2 Händel, Zadok the Priest, Choreintritt (Klavierauszug)

Notenbeispiel 3 Britten, UEFA Champions League Hymne, Refrain 1 (Klavierauszug)

Entscheidend für die Wahrnehmung der UEFA Champions League Hymne als Händel-Bearbeitung dürften aber weder allein die genannten Streicher- noch die Bläserfiguren sein. Eine dritte und besonders ohrenfällige Analogie findet sich in der harmonischen Struktur. Der auf das lange Orchestervorspiel folgende Chorein-

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tritt „Zadok the Priest“ (vgl. Notenbeispiel 2) und der Refrain der UEFA Champions League Hymne (Notenbeispiel 3) basieren jeweils auf der charakteristischen Abfolge von D-Dur (Tonika), e-Mollseptakkord (2. Umkehrung bzw. Quintsextakkord) und a-Mollseptakkord (3. Umkehrung bzw. Terzquartakkord). Hierauf folgt jedoch bei Britten eine überraschende Wendung von a-Moll nach F-Dur, die den Zitatcharakter der vorangegangenen Akkordverbindungen zu nivellieren scheint. Konfrontiert man die UEFA Champions League Hymne mit Händels Zadok the Priest, so erweist sich Brittens Komposition als ein hybrides Werk. Die Anlehnung an das Modell Händels ist nicht zu überhören, die Abweichungen sind aber zugleich so systematisch disponiert und die Gesamtanlage so eigenständig gestaltet, dass der Anspruch des Auftraggebers auf eine authentische und unverwechselbare Markenidentität vollauf erfüllt scheint. Damit würde sich auch die Frage, ob Händels Musik mehr als diejenige anderer Komponisten popularisierbar bzw. kommerzialisierbar ist, gleichsam von selbst übrigen. Ihre besondere Eignung hierzu verdankt sich freilich einer Ästhetik des Erhabenen, deren kollektive Erfahrung sich im Falle der UEFA Champions League Hymne bei Spielern und Zuschauern regelmäßig in der Aussage der niederschlägt, diese Musik würde eine Gänsehaut erzeugen.25 Vermutlich war dies bei der Krönungszeremonie in der Westminster Abbey im Jahre 1727 nicht anders, als Zadok the Priest zum ersten Mal erklang.

25 Vgl. hierzu Arnold Jacobshagen, Händel im Pantheon, S. 82, sowie die offizielle Video-Dokumentation der UEFA, http://www.uefa.com/uefachampionsleague/video/stars-of-ucl/videoid=2340421.html?autoplay=true (9.2.2017). 210

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