Herrschaft, Widerstand, Gehorsam: Rom und das Judentum in Iudaea/Palaestina, in: „…betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden…“. Jüdische Lebenswelten. Von der Antike bis zur Gegenwart, hg. E. Baltrusch – U. Puschner, Frankfurt 2016, 31-52
Herrschaft, Widerstand, Kooperation: Rom und das Judentum in Judaea/Palaestina vor dem 4. Jh. n. Chr. Im Jahr 638 n. Chr. fiel Jerusalem in die Hände der muslimischen Araber; damit ging eine lange Epoche zu Ende. Judaea hatte bis zu diesem Zeitpunkt mehr als 700 Jahre unter der Herrschaft Roms gestanden. 63 v. Chr. war Gnaeus Pompeius, der später das Cognomen Magnus erhielt, im Osten des Mittelmeers erschienen, wo er fast wie ein Autokrat agieren konnte. Er gliederte das hasmonäische Königreich in das römische Imperium ein, allerdings noch nicht als direkt beherrschten Raum; die Familie der Hasmonäer behielt die Macht in ihrer Hand, doch sie und das Volk waren dem Willen Roms unterworfen. Die Herrschaft Roms endete erst mit der Eroberung von Caesarea Maritima, dem zweiten zentralen Ort der gesamten Region, im Jahr 640 n. Chr. Das Land kehrte nie mehr unter die Herrschaft von Konstantinopel, dem Neuen Rom im Osten, zurück. Diese 700 Jahre waren geprägt von langem heftigem Widerstand vieler Juden gegen die römische Herrschaft, von offener Rebellion und schließlich der späten, aber klaren Einsicht, dass es möglich war, innerhalb des politischen System des Imperium Romanum als Juden nicht nur zu überleben, sondern sogar mit Rom letztendlich zu kooperieren.1 Die Präsenz Roms in Judaea begann als eine indirekte. Denn die unmittelbare Herrschaft Roms im nahen Osten beschränkte sich seit 63 v. Chr. zunächst auf die Provinz Syrien, also den Raum nördlich von Judaea; von dort aus konnte man den 1
Die Literatur zur Thematik Rom und Judaea ist enorm. Hier werden nur einige wenige Werke angeführt, die dem Verfasser im gegebenen Kontext wichtig erscheinen: Emil Schürer: The history of the Jewish people in the age of Jesus Christ, Bd. 1., durchges. u. überarb. v. Geza Vermes, Fergus Millar u. Martin Black, Edinburg 1973; Fergus Millar: The Roman Near East 31 BC - AD 337, Cambridge Mass. 1993; Fergus Millar: The Greek World, the Jews and the East (= Rome, The Greek World and the East, Bd. 3), hrsg. v. Hannah M. Cotton u. Guy M. Rogers, Chapel Hill 2006; Benjamin Isaac: The Near East under Roman Rule. Selected Papers, Leiden 1997; Markus Sasse: Geschichte Israels in der Zeit des Zweiten Tempels. Historische Ereignisse, Archäologie, Sozialgeschichte, Religions- und Geistesgeschichte, Neukirchen-Vluyn 2004; Martin Goodman: Rome and Jerusalem: The Clash of Ancient Civilizations, New York 2007; Klaus Bringmann: Geschichte der Juden im Altertum. Vom babylonischen Exil bis zur arabischen Eroberung, Stuttgart 2005; Werner Eck: Rom und Judaea. Fünf Vorträge zur römischen Herrschaft in Palaestina, Tübingen 2007; Ders.: Judäa - Syria Palästina. Die Auseinandersetzung einer Provinz mit römischer Politik und Kultur, Tübingen 2014.
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hasmonäischen Herrschaftsraum überwachen. Dem alten hasmönäischen Herrschergeschlecht verblieb noch die lokale Macht. Erst 40 v. Chr. übernahm Herodes als von Rom ernannter und abhängiger König die Macht; er war eine herausragende Herrschergestalt, der allerdings immer wusste, wem er sein Königtum verdankte.2 Er vermied es peinlich, mit Rom in Konflikt zu kommen. Sein Sohn Archelaus, der 4 v. Chr. nach Herodes Tod sein Nachfolger wurde, nicht mehr als König, sondern nur noch als Ethnarch, beherrschte diese Kunst nicht mehr. So dauerte die formale Unabhängigkeit des Landes nach Herodes Tod nicht mehr lange: 6 n. Chr. wurde Archelaus von Augustus ins Exil gesandt, nachdem mehrere Gesandtschaften von Juden aus seiner Ethnarchie massiv über ihn geklagt und seine Absetzung erbeten hatten.3 Sie hofften offensichtlich, Rom würde weiterhin nur indirekt präsent sein, es werde den führenden Familien des jüdischen Ethnos die innere Autonomie überlassen, ohne direkte Einflussnahme eines römischen Vertreters vor Ort. Dabei erlagen sie freilich einem großen Irrtum. Vermutlich hatten Augustus und seine engsten politischen Berater die Erkenntnis gewonnen, dass solche Autonomie wegen der vielen konträren Interessen innerhalb des Landes, wo nicht nur Juden lebten, sondern auch nicht wenige hellenistisch geprägte Poleis lagen, nur Anlass für politische Unruhe sein würde. Zu Augustus’ Beratern dürften im Jahre 6 mehrere ehemalige syrische Statthalter gehört haben, darunter auch Quinctilius Varus. Er hatte von 7-4 v. Chr. dort amtiert und hatte dabei den schwierigen Übergang von Herodes zu Archelaus meistern müssen. Nur durch massiven Einsatz des ihm unterstehenden Heeres und durch die Kreuzigung von 2000 Juden hatte er in Judaea die Ruhe wieder herstellen können.4 Ihm wie anderen mochte die direkte Übernahme der Herrschaft als die leichtere Variante erschienen sein, um den inneren Frieden auch für die Zukunft zu gewährleisten. Das war freilich auf etwas längere Sicht eine unzutreffende Einschätzung der Situation. Zunächst aber ließ sich die direkte Übernahme der inneren Kontrolle erfreulich an. Dazu trug vor allem bei, dass in der ehemaligen Ethnarchie des Archelaus, einem nicht allzu großen Territorium, die römische Präsenz nicht besonders stark fühlbar wurde. Judaea wurde ja keine eigene Provinz, vielmehr wurde es ein Teil der Provinz Syrien – es wurde an Syrien angegliedert, wie der jüdische Historiker Josephus schrieb.5 Judaea war also Der Statthalter der Provinz Syrien, der legatus Augusti provinciae Syriae, war auch für Judaea als Teil seines Provinzialgebiets zuständig. Das Zentrum der gesamten Provinz lag im Norden, etwa im Nordteil des heu2
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Auch zu Herodes ist die Literatur zahlreich, im Detail braucht sie hier nicht angeführt zu werden. Siehe zuletzt Ernst Baltrusch: „Herodes“. König im Heiligen Land. Eine Biographie, München 2012 (mit reichen Literaturangaben). Josephus, Ant. Iud. 17, 342ff. Josephus, Ant. Iud. 17, 250ff. Josephus, Ant. Iud. 18, 1f.; dazu: Eck 2007 (wie Anm. 1), Kap. 1.
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tigen Libanon und im heutigen Syrien. Dort waren auch die vier Legionen stationiert, die vornehmlich die Aufgabe hatten, den Osten des Imperiums gegen die Parther zu schützen; sie waren die einzige Großmacht im Osten, die Rom nicht unter seine Herrschaft gebracht hatte. Keine dieser vier Legionen wurde in den seit 6 n. Chr. nun südlichsten Teil der Provinz, nach Judaea, verlegt,6 obwohl einzelne Soldaten dieser Einheiten dort eingesetzt wurden. Was sich dort änderte, war zunächst relativ wenig, da die Selbstverwaltung der Siedlungen, auch der jüdischen, nicht aufgehoben wurde.7 Von römischer Seite erhielt Judaea nun jedoch einen direkten Repräsentanten vor Ort.8 Es war nicht ein sogenannter Prokurator, wie lange Zeit allgemein angenommen wurde;9 ein Prokurator wäre ein in seiner Provinz unabhängiger Statthalter gewesen. Augustus bestimmte vielmehr einen Funktionsträger mit der Bezeichnung praefectus, was anzeigte, dass er einem anderen untergeordnet war; in diesem Fall war es der Statthalter von Syrien, zu dessen Provinz Judaea gehörte. Der Präfekt war eine Art Unterstatthalter, der einerseits innerhalb des ihm zugewiesenen Gebiets eine umfassende Kompetenz besaß, einschließlich der Verhängung der Kapitalstrafe. Andererseits aber war er vom Legaten der Provinz abhängig, der ihn im Konfliktfall sogar nach Rom zurücksenden konnte.10 An den Legaten konnten sich auch die Bevölkerung von Judaea und insbesondere die jüdische Aristokratie wenden, wenn man mit dem Präfekten nicht klar kam. Und das geschah in den Jahrzehnten seit 6 n. Chr. gar nicht so selten. Dabei ist es von erheblicher Bedeutung, dass der Präfekt innerhalb der sozio-politischen Struktur der römischen Gesellschaft nur dem zweiten ordo angehörte. Er war nur Ritter, der zudem in seiner Karriere eher am Anfang stand und damit noch über wenig Einfluss in Rom selbst verfügte. Demgegenüber war der Legat der Provinz ein Senator, gehörte also dem höchsten ordo, dem ordo senatorius an; zudem war er Konsular, das heißt, er hatte fast das Ende einer langen Laufbahn erreicht. Im Alter von rund 50-55 Jahren gehörten diese Legaten zu den elder statesmen und verfügten über beträchtlichen Einfluss in der römischen Führungs-
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Zu Syrien und seinen Statthaltern siehe Edward Dąbrowa: The Governors of Roman Syria from Augustus to Septimius Severus, Bonn 1998. Hannah M. Cotton: Some Aspects of the Roman Administration of Judaea/Syria Palaestina, in: Werner Eck (Hrsg): Lokale Autonomie und römische Ordnungsmacht in den kaiserzeitlichen Provinzen, München 1999, S. 75-91. Dazu insbesondere: Eck 2007 (wie Anm. 1), S. 24ff. Dies beruhte vor allem auch auf dem Zeugnis des Tacitus, Annalen 15, 44, 3: auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio adfectus erat. Dies geschah z.B. in Fall des Pontius Pilatus, den der Statthalter, damals Lucius Vitellius, nach Rom zurückbeorderte, damit dort die Klagen der jüdischen Bevölkerung gegen ihn vom Kaiser untersucht würden; siehe Josephus, Ant. Iud. 18, 85ff.
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schicht.11 Allein deswegen war das hierarchische Verhältnis zwischen den Legaten und den Präfekten von Judaea für alle klar, am meisten für die beiden selbst. Objektiv, d.h. unter den gegebenen Umständen betrachtet, waren die Präfekten, zu denen auch der allbekannte Pontius Pilatus gehörte, somit eher unbedeutende Figuren. Doch der Umstand, dass sie in Judaea präsent waren, während der eigentliche Statthalter, der gleichzeitig ihr Vorgesetzter war, seinen Sitz weitab in Antiochia am Orontes hatte, schuf den Präfekten im Allgemeinen einen großen Freiraum. Die Präfekten hatten ihren Sitz in Caesarea Maritima, der Gründung des Herodes; von dort oder von Jerusalem war bis Antiochia (in Luftlinie) eine Distanz von rund 300 römischen Meilen zurückzulegen, in der Realität war das noch deutlich mehr. Das minderte die Möglichkeit einer kontinuierlichen Kontrolle. Das sollen zumindest manche der Präfekten ohne jedes Bedenken ausgenutzt haben. Das ist jedenfalls der Eindruck, den uns die Quellen vermitteln. Über sie ist deshalb kurz zu sprechen. Gerade für Judaea in seiner frühen Phase als Teil des römischen Provinzreiches haben wir eine außergewöhnlich breite Überlieferung, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln das Geschehen überliefert.12 Der römische Historiker Tacitus berichtet in seinen Annalen und besonders am Anfang des 5. Buches seiner Historien13 in den ersten Jahrzehnten des 2. Jh. über das, was sich zwischen 6 und 66/70 n. Chr. in Judaea abspielte, freilich schon in einer deutlichen zeitlichen Distanz unter teilweise gewandelten Umständen. Seine Sicht auf Judaea ist die des skeptischen, auch von Stereotypen geprägten römischen Politikers und Intellektuellen. Sympathie empfand er nicht für dieses aufsässige Volk der Juden, das zudem Gebräuchen anhing, die er wie viele andere als abstoßend empfand. Er selbst war nie in Judaea gewesen, war also weitgehend von Berichten anderer abhängig, was das Verständnis nicht erleichterte. Noch weiter entfernt ist der Historiker Cassius Dio, ebenfalls Senator, der in den ersten Jahrzehnten des 3. Jh. sein Geschichtswerk schrieb; was er über Judaea berichtete, schrieb er in Kenntnis dreier großer Aufstände gegen Rom in dieser Provinz. Auf ihn ist zurückzukommen. Diesen beiden römischen Historikern stehen zwei jüdische Autoren gegenüber, Philo von Alexandrien und Josephus, die beide Zeitgenossen waren, Josephus selbst sogar Handelnder während des großen Aufstandes zwischen 66 und 70 n. Chr. Josephus schreibt freilich nach dem Aufstand, nachdem er auf die römische Seite hatte wechseln müssen, um sein Leben zu retten. Er ist der wichtigste Zeuge über die Zeit bis zum Ausbruch des Aufstandes, aber auch der problematischste, 11 12 13
Zu den einzelnen Legaten von Syrien bis zum Jahr 66 siehe: Dąbrowa 1998 (wie Anm. 6). Siehe dazu vor allem: Schürer 1973 (wie Anm. 1), S. 6f.; ferner: Menahem Stern (Hrsg): Greek and Latin authors on Jews and Judaism, Bd. 1, Jerusalem 1974. Dazu etwa René S. Bloch: Antike Vorstellungen vom Judentum. Der Judenexkurs des Tacitus im Rahmen der griechisch-römischen Ethnographie, Stuttgart 2002.
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jedenfalls was seine Urteile betrifft. Bei ihm darf man nie vergessen, dass er Partei ist, sowohl in Hinsicht auf sein Volk und seine Führer, als auch im Hinblick auf Rom, vor allem das flavische Kaiserhaus. Rücksichtnahme auf dessen Interessen und Sichtweise waren zwingend. Philo von Alexandrien, der noch vor dem Aufstand schrieb, stand ebenfalls deutlich auf der Seite seines Volkes; er ist aber noch nicht beeinflusst von dessen Katastrophe durch die Rebellion von 66-70 n. Chr. Dagegen sind die Evangelien des Neuen Testaments, jedenfalls in der Form, in der sie uns vorliegen, größtenteils nach dem Aufstand geschrieben; wenn sie von Prophezeiungen berichten, Jerusalem werde zerstört werden, wussten die Autoren, was geschehen war. Die Zerstörung Jerusalems im September 70 stand am Ende des Aufstandes, der 66 begonnen hatte. Warum es dazu kam, ist von essentieller Bedeutung und entsprechend oft und kontrovers in der Forschung diskutiert worden. Das kann hier nicht umfassend gezeigt werden, doch ist vor allem auf die römischen Repräsentanten in Judaea, die Präfekten einzugehen; denn durch sie wurde am ehesten die römische Herrschaft für die Juden spürbar.14 Josephus, dem wir die detailreichste Schilderung verdanken, erwähnt alle Präfekten zwischen 6 und 66 n.Chr., als die Rebellion begann. Fast alle erscheinen bei ihm in einem negativen Licht. Sie sind bestechlich, schlagen sich bei Konflikten auf die Seite derjenigen, die ihnen größere Vorteile in Aussicht stellen, auch auf die Seite einzelner jüdischer Gruppen, sie nehmen keine Rücksicht auf die religiösen Gefühle der jüdischen Bevölkerung im Lande. Typisch ist eine Geschichte, die der Historiker über Pontius Pilatus berichtet.15 Er habe, als er zum Pessachfest eine Truppe nach Jerusalem verlegte, die dort die Ordnung aufrecht erhalten sollte, den Befehl gegeben, die Truppe solle ihre Feldzeichen, an denen Kaiserbilder angebracht waren, mit in die heilige Stadt nehmen. Denn Abbildungen von Menschen waren jüdischem Gesetz entsprechend verboten. Selbst ein König Herodes hat sich daran weitgehend gehalten; in seiner Festung Masada hat er bei allem Komfort auf diese Form der Repräsentation verzichtet; nur in seiner Festung Herodion hat er, wie die neuesten Ergebnisse der Archäologie zeigen, solche Bilder zugelassen. Dieser Befehl des Pilatus aber habe, so Josephus, dazu gedient, die Juden zu provozieren. Gleichzeitig berichtet er jedoch auch, Pilatus habe die Truppe in der Dunkelheit der Nacht in die Stadt einrücken lassen und er habe befohlen, die Feldzeichen 14
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Werner Eck: Die römischen Repräsentanten in Judaea: Provokateure oder Vertreter der römischen Macht?, in: Mladen Popović (Hrsg.): The Jewish Revolt against Rome. Interdisciplinary Perspectives, Leiden 2011, S. 45-68; Siehe auch Gilbert Labbé: L’affirmation de la puissance romaine en Judée (63 avant J.-C.-136 après J.-C.), Paris 2012, S. 155ff. (mit umfassender Literatur). Josephus, Bell. Iud. 2, 169ff.; Ant. Iud. 18, 55ff.
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zu verhüllen, damit niemand die Bilder sehen konnte. Josephus’ dezidierte Aussage, der Präfekt habe die Absicht gehabt, die Juden zu provozieren, kann also kaum stimmen; denn gerade das sollte durch das Einrücken in der Nacht und das Verhüllen der Kaiserbilder vermieden werden. Somit muss man schließen, dass Josephus dem Pilatus diese Absicht lediglich unterstellt. Eine ähnliche Voreingenommenheit finden wir bei Philo.16 Pilatus habe, so schreibt er, am Tempel in Jerusalem Schilde anbringen lassen, auf denen kein Bild gezeigt worden sei noch sonst etwas, was (nach jüdischen Vorstellungen) verboten gewesen sei; auf den Schilden habe lediglich die kürzest mögliche Inschrift gestanden, nämlich der Name des Geehrten, also des Tiberius, und der Name des Pilatus als des Dedikanten. Doch bevor Philo den Vorfall überhaupt beschreibt, schickt er schon sein vernichtendes Urteil über Pilatus voraus; er habe dies weniger getan, um Tiberius zu ehren als vielmehr, um die Juden zu ärgern. Diese Absicht des Pilatus konnte Philo gar nicht kennen, er konnte sie höchstens vermuten oder einfach voraussetzen. Doch seine Vermutung, die als Faktum daherkommt, wird durch seine nachfolgende Aussage, die Schilde hätten nichts Provokantes gezeigt, desavouiert.17 Wenn die Schilde und die Inschrift für Philo keine sachlichen Probleme schufen und nichts zeigten, was (nach jüdischen Vorstellungen) verboten war, wie hat dann Pilatus die Möglichkeit sehen können, damit die jüdische Bevölkerung zu provozieren? Dann aber stellt sich die weitere Frage, warum es dennoch zu massiven Protesten kam, als die Schilde sichtbar wurden? Wer hatte an Unruhen Interesse? Davon spricht Philo nicht, obwohl sich diese Schlussfolgerung auf Grund seiner eigenen Schilderung geradezu aufdrängt. Als einen Beweis für ein provokatives Verhalten des Präfekten Pilatus darf jedenfalls seine Beschreibung nicht genommen werden, genau so wenig wie die Behauptung von Josephus bei den Kaiserbildern.18
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Philo, Legatio ad Gaium 299ff. Zum möglichen Text der Inschrift siehe Julia Wilker: Für Rom und Jerusalem. Die herodianische Dynastie im 1. Jahrhundert n. Chr., Frankfurt 2007, S. 95f.; Monika Bernett: Der Kaiserkult in Judaea unter den Herodiern und Römern. Untersuchungen zur politischen und religiösen Geschichte Judaeas von 30 v. bis 66 n. Chr., Tübingen 2007, S. 199ff.; Eck 2007 (wie Anm. 1), S. 59, Anm. 8; siehe auch Hannah M. Cotton, Leah di Segni, Werner Eck, Benjamin Isaac, Alla Kushnir-Stein, Haggai Misgav, Jonathan Price, Israel Roll, Ada Yardeni (Hrsg.): Corpus Inscriptionum Iudaeae/Palaestinae (CIIP). A multi-lingual corpus of the inscriptions from Alexander to Muhammad, Bd. 1: Jerusalem, 1. Teilbd., Berlin 2010, S. 61, Nr. 14. Siehe Eck 2011 (wie Anm. 14); Ders.: Kommunikation durch Herrschaftszeichen: Römische Amtsträger in den Provinzen, in: Oliver Hekster, Sebastian Schmidt-Hofner u. Christian Witschel (Hrsg.): Ritual Dynamics and Religious Change in the Roman empire. Proceedings of the Eigths Workshop of the International Network Impact of the Empire (Heidelberg, July 5-7, 2007), Leiden 2009, S. 213-235.
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Diese Hinweise sollen nur zeigen, wie schwierig es ist, trotz der außergewöhnlich breiten Überlieferung, zu sehen, weshalb es im Jahr 66 n. Chr. zu der kriegerischen Rebellion in Judaea gegen Rom gekommen ist. Die Gründe, die direkt oder indirekt aus den Quellen genommen werden, sind vielfältig.19 Sie reichen von massiven sozialen Spannungen zwischen Großgrundbesitzern und verarmten Bauern, auch im Kontext der Besteuerung durch den römischen Finanzprokurator der Provinz (Syrien),20 über messianische Vorstellungen recht unterschiedlicher Art bis zur Meinung, das jüdische Gemeinwesen sei grundsätzlich mit der Herrschaft Roms nicht vereinbar gewesen.21 Und bei kaum einem Forscher fehlt der Hinweis auf die römischen Präfekten der Periode von 6-66 n. Chr. insgesamt und insbesondere die späten, denen eine gehörige Portion, wenn nicht sogar manchmal die Hauptverantwortung für den Ausbruch der Revolte und den anschließenden langjährigen Krieg mit seinen massiven Folgen angelastet wird.22 Berichte in den Quellen, speziell bei Josephus, wie die eben erwähnten über Pontius Pilatus spielen dabei eine wesentliche Rolle. Dabei ist nicht zu leugnen, dass Vertreter Roms auf verschiedenen Ebenen immer wieder einen deutlichen Mangel an Sensibilität gegenüber den religiösen Vorstellungen jüdischer Gruppen, partiell auch der Mehrheit des Volkes gezeigt haben. Kaiser Caligulas Anordnung im Jahr 39/40, seine Statue im Tempel in Jerusalem aufzustellen, ist nicht der einzige Fall dieser Art, wenn auch der eklatanteste. Wäre der Kaiser nicht ermordet worden, bevor er seine Absicht durchsetzen konnte, wäre wohl schon damals die Situation bis zum Krieg eskaliert. Es ist ganz evident, dass bei nüchterner Betrachtung solche, auch aus römischer Sicht sinnlose Missachtung grundlegender jüdischer Vorstellungen über die Art ihrer Gottesverehrung bei manchen Gruppen, vor allem den Frommen eine tief sitzende Abneigung, ja Hass gegen die fremde und noch dazu von Paganen getragene Herrschaft erzeugen musste. Doch ist andererseits nicht zu vergessen, dass, wenn man 19
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Siehe zusammenfassend etwa Per Bilde: The Causes of the Jewish War according to Josephus, in: Journal for the Study of the Historical Jesus (JSJ), 10 (1979), S. 79-202; Ders.: Flavius Josephus between Jerusalem and Rome: His Life, his Works and their Importance, Sheffield 1988; Martin Goodman: Current Scholarship on the First Revolt, in: Andrea M. Berlin u. J. Andrew Overman (Hrsg.): The First Jewish Revolt. Archaeology, History and Ideology, London u. New York 2002, S. 15-24. Heinz Kreissig: Die sozialen Zusammenhänge des judäischen Krieges, Berlin 1970. Ernst Baltrusch: Die Juden und das Römische Reich. Geschichte einer konfliktreichen Beziehung, Darmstadt 2002; Konträr dazu Goodman 2007 (wie Anm. 1), der erst die Politik der römischen Kaiser seit Vespasian als den Ausgangspunkt für die „Unverträglichkeit“ beider Lebensweisen in der Zukunft ansieht. Siehe z.B. Schürer 1973 (wie Anm. 1), S. 470, 485; Shaye J. D. Cohen: Josephus in Galilee and Rome. His Vita and Development as a Historian, Leiden 1979, S. 234, 241; Tessa Rajak: Josephus. The Historian and His Society, London 1983, S. 78; Goodman 2007 (wie Anm. 1), S. 397 ff, 411: „poor Roman government“, 580.
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von Pompeius absieht, der im Jahr 63 v. Chr. sogar das Allerheiligste des Tempels betreten hatte, römische Vertreter über die gesamte Periode hinweg die Unverletzlichkeit des Tempelbezirks in solchem Maß anerkannt, dass sie die unmittelbare Tötung eines Paganen, wenn er die vorgeschriebene Grenze überschritt, durch die jüdischen Autoritäten akzeptiert hatten. Nicht umsonst war das Verbot für Nichtjuden nicht nur auf Griechisch, sondern auch in lateinischer Sprache publiziert worden.23 Warum unter den beiden letzten Präfekten, Lucceius Albinus und Gessius Florus die Spannungen gegenüber der Zeit vorher in solchem Maß zunahmen, dass sie schließlich zu einem bewaffneten Aufstand führten, wird aus den Quellen nicht wirklich klar. Josephus beschuldigt beide Präfekten in unterschiedlicher Weise der Komplizenschaft mit verschiedenen jüdischen Gruppen; dabei wird vor allem bei Lucceius Albinus nicht klar, ob er aus eigenem Antrieb handelte oder sich nicht vielmehr zum Vollstrecker der Wünsche des Hohepriesters gemacht hatte. Denn dessen Sohn war in die Hände der sogenannten sicarii gefallen, einer fanatischen Gruppe von Juden, die wegen ihrer Dolche so genannt wurden; sie agierten zunächst mit Terror mehr gegen ihre eigenen Landsleute als gegen die Römer. Um den Sohn des Hohepriesters zu retten, soll Albinus viele der, wie Josephus sagt, zu Recht zum Tod verurteilten Juden aus dem Gefängnis entlassen haben.24 Vor allem aber beschuldigt Josephus Gessius Florus, den letzten Präfekten; er habe, nachdem er für seine eigenen Zwecke Geld aus dem Tempelschatz erzwungen und Judaeas Bevölkerung systematisch ausgeplündert hatte, aus Furcht vor einer Anklage vor dem Kaiser, systematisch die Juden in den Krieg getrieben.25 Dieser Vorwurf ist eher grob gestrickt, zumal das Geld aus dem Tempelschatz wohl als der Beitrag Judaeas zum Wiederaufbau des im Jahr 64 niedergebrannten Roms anzusehen ist.26 Und ein Vertreter Roms, der einen Krieg gegen das Imperium nicht zu verhindern wusste, hatte eher keine Zukunft. Somit kann der Vorwurf, zumindest als kausale Aussage, kaum zutreffen. Sicher ist jedenfalls, dass die Spannungen innerhalb der jüdischen Gesellschaft bis zu den 60er Jahren des 1. Jh. n. Chr. in gefährlicher Weise zugenommen hatten; die internen Kämpfe zwischen den verschiedenen Faktionen nach Ausbruch der Revolte zeigen dies überdeutlich.27 Selbst während der Belagerung Jerusalems, als die äußere Bedrohung schon längst existenzbedrohend war, endeten diese Kämpfe nicht. Es drückten sich darin tief verwurzelte Antagonismen religiöser, sozialer und 23 24 25 26 27
Josephus, Bell. Iud. 5, 194; Ant. Iud. 15, 417; CIIP 1,1 (wie Anm. 17), Nr. 2. Josephus, Bell. Iud. 2, 272ff. 277; Ant. Iud. 20, 204 u. 215. Josephus, Bell. Iud. 2, 277ff.; Ant. Iud. 20, 255ff. Siehe Eck 2011 (wie Anm. 14), S. 63. Siehe die Schilderungen in Bell. Iud. Buch 3-7, dazu Jonathan J. Price: Jerusalem Under Siege: The Collapse of the Jewish State 66-70 C.E., Leiden 1992.
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machtpolitischer Art innerhalb des palästinensischen Judentums aus. Josephus schildert nicht umsonst die Gruppen der Pharisäer, Sadduzäer und Essener mit solchem Nachdruck, obwohl die Linien im innerjüdischen Kampf nicht entlang der Grenzlinien zwischen diesen Fraktionen verliefen. Diese inneren Spannungen aber wurden durch die römische Präsenz verstärkt, zunächst einfach durch die Tatsache der Fremdherrschaft durch eine pagane Macht, sodann aber auch durch die differierende Haltung der jüdischen Gruppen Rom gegenüber. Während manche mit der Besatzungsmacht kooperierten, entweder aus Eigennutz oder aus politischem Realitätssinn, sahen andere in Rom die Macht, die den heiligen Boden von EretzIsrael entweihte. Sie aus dem Land zu vertreiben, schien geradezu göttliches Gebot zu sein. Dass es möglich war, eine Großmacht zu besiegen, kannte man schließlich aus den Kämpfen der Hasmonäer gegen die Seleukiden und ihre Helfer. Die Makkabäerbücher berichten über diese Heldentaten gegenüber der hellenistischen Großmacht; das lag noch nicht so lange zurück. Heliodors Vertreibung aus dem Tempel durch einen Engel, wie es Raffael zu Beginn des 16. Jh. in den Stanzen dargestellt hat, war eine lebendige Vorstellung für die Juden der spätneronischen Zeit.28 Warum sollte sich das militärische Wunder nicht wiederholen? Im Verlauf des Jahres 66 gelang es den ersten aufständischen Gruppen, Cestius Gallus, den syrischen Legaten, vor Jerusalem zu einem schmählichen Rückzug mit großen Verlusten für die legio XII Fulminata zu zwingen; auch der Adler der Legion ging verloren.29 Dieser temporäre militärische Erfolg gegen Rom schien den Glauben derer zu bestätigen, die meinten, mit Hilfe ihres Gottes Rom völlig zum Rückzug aus dem Land zwingen zu können. König Agrippa II., ein Nachkomme des großen Herodes, demonstrierte dem Volk eindrücklich, es sei eine tödliche Illusion zu glauben, Rom besiegen zu können. Das vermittelt zumindest eine Rede, die Josephus ihn in Jerusalem halten lässt.30 Doch sein Wort drang in dieser siegestrunkenen Situation nicht mehr durch. Selbst Kräfte, die bisher stets die Verständigung mit Rom gesucht hatten, schlossen sich der Aufstandsbewegung an. Einige wenige 28
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Zu diesem Heliodorus siehe nun auch Hannah M. Cotton u. Michael Wörrle: Seleukos IV to Heliodoros: A new dossier of royal correspondence from Israel, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik (ZPE), 159, 2007, 191ff. Zu Cestius Gallus siehe Dąbrowa 1998 (wie Anm. 6), S. 56f. Josephus, Bell. Iud. 2, 345-404. Ob man mit Menahem Stern: Josephus and the Roman Empire as reflected in the Jewish War, in: Louis Harry Feldman u. Gohei Hata (Hrsg.): Josephus, Judaism and Christianity, Leiden 1987, S. 71-80, bes. 74ff. auf Grund dieser Rede von Agrippa im Jahr 66 n. Chr. sagen darf, Josephus sei in seinen Vorstellungen insgesamt gegen Rom eingestellt gewesen, die Rede Agrippas reflektiere „no awareness of the benefits of the ,Imperial Peace‘“ (S. 76), erscheint mir mehr als zweifelhaft. Schließlich ist die Rede in ihrer Funktion im Kontext der Vorgeschichte des Jüdischen Krieges zu sehen; dort aber von den ‚Segnungen‘ des römischen Friedens zu sprechen, wäre kontraproduktiv gewesen. Vgl. Eck 2011 (wie Anm. 14), S. 48.
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Gruppen, darunter judenchristliche, suchten sich herauszuhalten; die Judenchristen entzogen sich dem Krieg, indem sie nach Pella jenseits des Jordan auswanderten.31 Vespasian, dem Nero das Kommando in Judaea übertragen hatte, wurde ab Mitte des Jahres 68 wegen des römischen Bürgerkrieges von einem konsequenten Kampf gegen die Aufständischen abgehalten; so zogen sich die Kämpfe hin. Erst nach der innerrömischen Entscheidung Ende 69 wurde der Kampf gegen die jüdischen Rebellen durch Vespasians Sohn Titus wieder ernsthaft aufgenommen. Im September 70 fiel Jerusalem, der Tempel wurde zerstört, danach die gesamte Stadt. Die letzten Aufständischen wurden im April 73 oder 74 auf Masada von den römischen Truppen unter Flavius Silva besiegt.32 Das Ergebnis des Krieges war ein Desaster. Man hatte die römische Herrschaft nicht abschütteln können, sie wurde vielmehr straffer und direkter. Vor allem hatte man das Zentrum des Judentums verloren, die Stadt Jerusalem und insbesondere den Tempel. Viele Hunderttausende Juden waren vor und während der Belagerung Jerusalems umgekommen, nicht nur durch die Römer, sondern mindestens in gleichem Maß in Kämpfen zwischen den jüdischen Gruppen. Josephus gibt schauderhafte Beispiele für den innerjüdischen Hass. Titus ließ Tausende von Juden in den Festspielen zur Feier des Sieges über Judaea abschlachten. Die Siegesbeute landete in Rom und finanzierte dort das Amphitheatrum Flavium, das Kolosseum; auf einer Inschrift über dem Eingang stand, es sei ex manubis erbaut worden, aus der jüdischen Beute.33 Und die heiligsten Gegenstände aus dem Tempel, darunter eine prachtvolle Menorah, wurde im templum Pacis wie in einem Museum als Siegesbeute der römischen Bevölkerung präsentiert.34 Emotional wurde die Unterwerfung für alle Juden dadurch besonders schmerzhaft fühlbar und jährlich erneut allen eingeprägt, weil jeder Jude, und jetzt auch die Frauen, den halben Silberschekel, die man vorher an den Gott des eigenen Volkes nach Jerusalem gesandt hatte, nunmehr dem Iupiter Optimus Maximus Capitolinus im Wert von zwei Silberdenaren bezahlen musste, nicht nur in Judaea, sondern überall in der römischen Welt. Eine eigene Kasse, der fiscus Iudaicus wurde dafür eingerichtet.35 Man finanzierte auf diese Weise 31 32
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Eusebius, Historia ecclesiastica 3,5. Werner Eck: Die Eroberung von Masada und eine neue Inschrift des L. Flavius Silva Nonius Bassus, in: Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft (ZNTW) 60 (1969), S. 282-289. Géza Alföldy: Eine Bauinschrift aus dem Colosseum, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik (ZPE) 109 (1995), S. 195-226 = CIL VI 40454a1-2. Filippo Coarelli: Lexicon Topographicum Urbis Romae, Bd. IV, S. 67ff. Peter Schäfer: Judeophobia: Attitudes toward the Jews in the Ancient World, Cambridge 1998, S. XX; Martin Goodman: The Fiscus Iudaicus and Gentile Attitudes to Judaism in Flavian Rome, in: Jonathan Edmondson, Steve Mason u. James Rives (Hrsg.): Flavius Josephus and Flavian Rome, Oxford 2005, S. 167-177; Marius Heemstra: The Fiscus Judaicus and the Parting of the Ways, Tübingen 2010; Labbé 2012 (wie Anm. 14), S. 428ff.
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den Wiederaufbau des im Dezember 69 n. Chr. auf dem Kapitol in Rom vernichteten Tempels des höchsten römischen Gottes. Die Demütigung hätte nicht größer sein können. Judaea wurde nun von dem siegreichen neuen Kaiser Vespasian zu einer eigenen Provinz gemacht.36 Die römischen Reichsmünzen verkündeten in einer ganz unüblichen Dichte und durch die gesamte flavische Regierungszeit hindurch: Iudaea capta – Judaea ist besiegt.37 Damit ein vergleichbarer Aufstand sich nicht wiederholen sollte, wurde die Militärpräsenz massiv verstärkt. Bis zum Jahr 66 n.Chr. lagen lediglich fünf bis sechs Auxiliareinheiten in Judaea, also maximal 3000 Mann; jetzt wurde die Zahl der Alen und Kohorten auf neun erhöht,38 vor allem wurde eine Bürgerlegion, die legio X Fretensis nach Judaea verlegt; sie wurde aus der syrischen Armee ausgegliedert. Zusammen waren das nunmehr rund 10.000 Soldaten, nicht wenig für eine so kleine Provinz. Die Legion erhielt ihr Lager in Jerusalem: Das römische Lager trat an die Stelle der jüdischen Stadt Jerusalem. Wenn es im NT Lucas 21, 6 in der Prophezeiung aus dem Mund Jesu heißt: Kein Stein wird auf dem anderen bleiben, dann hat die moderne archäologische Forschung nachgewiesen, wie zutreffend diese Aussage ist. Von den vielen Bauinschriften des jüdischen Jerusalem sind nur jämmerlichste Fragmente erhalten geblieben.39 Nur die grandiosen Grundmauern des herodianischen Tempels wurden nicht zerstört; sie sind noch heute das Ziel aller Juden, die dort ihre Gebete verrichten. Jerusalem als Stadt existierte nicht mehr. Doch nördlich davon, im heutigen Giv’at Shaul (Ramallah-Shu’afat-Road), in einem deutlichen Abstand zur zerstörten
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Aus dem Text einer Münze Nervas: Fisci Iudaici calumnia sublata, wollte man immer wieder das Ende dieses Fiskalinstrumentes ableiten. Doch der Text sagt schlicht, die Böswilligkeit bei der Eintreibung sei beseitigt worden, nicht die Steuer selbst. Klarer kann eine Aussage eigentlich nicht sein. Im Übrigen richtet sich diese Münze nicht an die jüdische Bevölkerung, sondern an Mitglieder der römischen Senatsaristokratie, denen von Domitian in diesem Kontext übel mitgespielt worden war. Siehe dazu Eck 2007 (wie Anm. 1), S. 50f.; Labbé 2012 (wie Anm. 14), S. 367ff. Gegenüber der von Gil Gambash, Haim Gitler u. Hannah M. Cotton: Iudaea Recepta, in: Israel Numismatic Research 8 (2013), S. 89ff. publizierten Goldmünze mit der Aufschrift Iudaea recepta bleibt eine deutliche Skepsis. Es scheint noch nicht sicher, ob die Münze echt ist; zumindest aber bestehen erhebliche Zweifel an der vorgelegten Interpretation. Dazu Hannah M. Cotton, Werner Eck u. Benjamin Isaac: A Newly Discovered Governor of Judaea in a Military Diploma from 90 CE, in: Israel Museum Studies in Archaeology 2 (2003), S. 17.31; Werner Eck u. Andreas Pangerl: Neue Militärdiplome für die Provinzen Syria und Iudaea/Syria Palaestina, in: Scripta Classica Israelica (SCI) 24 (2005), S. 101-118; Werner Eck u. Peter Weiß: Eine Konstitution für die Truppen Iudaeas aus dem Jahr 87, in: ZPE 170 (2009), S. 201-206; Werner Eck: A Second Constitution for the Auxiliary Troops in Iudaea in 86 AD, in: SCI 29 (2010), S. 21-31. Siehe CIIP 1,1 (wie Anm. 17), Nr. 2-13.
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Stadt, entstand eine neue Siedlung, deren alter Name aber nicht bekannt ist.40 Dort lebten Juden, wie die Funde zeigen, vielleicht Teile der jüdischen Bevölkerung, die sich nicht massiv gegen die Römer gestellt hatten. Eine solche Siedlung aber konnte kein Ersatz sein für das religiöse und gesellschaftliche Zentrum; dieses war verloren. Niemand in Rom dachte daran, etwas Ähnliches erneut entstehen zu lassen. Man hatte dort erkannt, welche Energie und Strahlkraft von dem zentralen Heiligtum ausgegangen war. Doch ansonsten hat man das jüdische religiöse und geistige Leben in der Provinz offensichtlich nicht grundsätzlich behindert. In Yavne entwickelte sich ein neues Zentrum, wo Rabbinen die religiöse und rechtliche Lehre des Judentums weiterentwickelten, wobei sich gegen Ende des 1. Jh. n.Chr. die Familie Gamaliel führend hervortat, aus der sich dann der jüdische Patriarchat als Führungsinstitution entwickelte, die bis zum Jahr 429 n. Chr. bestand.41 Ob dieses Zentrum durch römische Einwirkung entstanden ist, etwa durch Anordnung Vespasians, muss freilich offen bleiben; denn die Überlieferung, die solches erschließen ließe, fußt ausschließlich auf Aussagen von Mischna und Talmud. Doch gerade deren Brauchbarkeit als Quelle für historische Vorgänge ist hoch umstritten.42 Immerhin kann man aus der Überlieferung, die in diesem Kontext keine feindliche Einstellung Rom gegenüber erkennen lässt, schließen, dass die römischen Vertreter nicht gegen dieses Zentrum eingeschritten sind. Man hat aber ganz selbstverständlich dort nicht versucht, einen neuen Tempel zu errichten; dies war nur in Jerusalem möglich. Da der Tempel fehlte, entfielen auch die täglichen Opfer, was weiterhin zur Folge hatte, dass die priesterlichen Familien, die Jahrhunderte lang ganz entscheidend für das Volk und seine Geschicke gewesen sind, ihre Funktion und damit weitgehend ihren Einfluss verloren. An ihre Stelle traten die Rabbinen, Weise, sages, wie sie in der englischen Literatur genannt werden, deren Metier vor allem die Lehre war, insbesondere die mündliche Lehre. Die Aufzeichnung ihrer Erkenntnisse, die stets in der Auseinandersetzung mit anderen Rabbinen geschah, erfolgte erst wesentlich später. Welchen konkreten Einfluss diese Rabbinen wirklich hatten, ist hoch umstritten. Von Bedeutung ist dabei die These von Seth Schwartz, die er in einem provokativen Buch von 2005 entwickelt hat: Die zentrale Stellung der Rabbinen und der Synagogen als Zentren jüdischen Lebens habe nicht vor dem 4. Jh. begonnen.43 Darauf ist nochmals kurz zurückzukommen. 40
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Siehe dazu Hannah M. Cotton: The administrative Background to the new settlement recently discovered near Giv‘at Shaul, Ramallah-Shu‘afat road, in: Joseph Patrich u. David Amit (Hrsg.): New Studies in the Archaeology of Jerusalem, Bd. 1, Jerusalem 2007, S. 12-18. Aharon Oppenheimer: Between Rome and Babylon. Studies in Jewish Leadership and Society, hrsg. v. Aharon u. Nili Oppenheimer, Tübingen 2005, S. 13ff., 47ff. Es genügt im Kontext dieser Überlegungen auf die grundsätzlichen Aussagen von Günter Stemberger: Die römische Herrschaft im Urteil der Juden, Darmstadt 1983; Ders.: Einleitung in Talmud und Midrasch, 9. Aufl. München 2011 hinzuweisen. Seth Schwartz: Imperialism and Jewish Society: 200 B.C.E. to 640 C.E., Princeton 2005.
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Über die innere Entwicklung des jüdischen Bevölkerungsteils in der Provinz sowie über das Verhältnis zwischen den römischen Repräsentanten und den Juden ist für die nächsten Jahrzehnte in direkter Form nichts bekannt. Vespasian hatte Judaea zu einer selbstständigen Provinz gemacht mit einem senatorischen Statthalter prätorischen Ranges, dem gleichzeitig die Legion in Jerusalem unterstand, während er seinen Sitz in Caesarea Maritima, der Gründung des Herodes hatte; die Stadt war von Vespasian zur ersten römischen Kolonie in der Provinz erhoben worden.44 Der Rang des Statthalters und die nur eine Legion, die ihm unterstand, zeigten klar, dass für Vespasian Judaea im Kreis der Provinzen keine außergewöhnliche Rolle spielte, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der militärischen Gefährdung. Neben dem Statthalter hatte auch der Finanzprokurator seinen Sitz in Caesarea, nahe am Hafen. Sondersteuern wurden, außer den zwei Silberdenaren, die an den fiscus Iudaicus gingen, nicht erhoben. Wie unsicher dennoch die Gesamtsituation in Judaea blieb und wie ablehnend, ja feindlich sich Gruppen innerhalb des Judentums gegenüber Rom verhielten, zeigte der sogenannte Diasporaaufstand der Jahre 115-117. Er brach aus, als große Teile der römischen Armee im Kampf gegen die Parther in Mesopotamien standen, also außerhalb des gesicherten römischen Territoriums.45 Auf Cypern, in Nordsyrien, in Ägypten und in der Cyrenaica mussten größere Heeresverbände eingesetzt werden, um die aufständischen Juden zu besiegen. In Ägypten kam es zu gewaltigen Schlachten; es war ein voll entbrannter Krieg, der am Ende von Marcius Turbo siegreich beendet wurde.46 Einer der römischen Heerführer, der bereits ein Kommando gegen die Aufständischen in Mesopotamien geführt hatte, ein gewisser Lusius Quietus, wurde schließlich im Jahr 116, spätestens 117, Statthalter in Judaea. In die jüdische Überlieferung ging seine Tätigkeit mit der Bezeichnung: Krieg des Qitus ein. Das allein lässt schon darauf schließen, dass es auch in Judaea selbst zu kriegerischen Explosionen gekommen sein muss.47 Spätestens im Jahr 117, viel44
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Siehe zuletzt die Einleitung von Benjamin Isaac zu CIIP, Bd. 2: Caesarea and the Middle Coast (wie Anm. 17), S. 17ff.; Joseph Patrich: Studies in the Archaeology and History of Caesarea Maritima. Caput Judaeae, Metropolis Palaestinae, Leiden 2011, passim. Siehe dazu zusammenfassend Karl Strobel: Kaiser Traian. Eine Epoche der Weltgeschichte, Regensburg 2010, S. 348ff. (mit Literatur). Zuletzt Ioan Piso: Zum Judenkrieg des Q. Marcius Turbo, in: ZPE 187 (2013), S. 255-262. Eine neue Inschrift aus Vasio Vocontiorum in der Provinz Narbonensis zeigt, dass ein M. Titius Lustricus Bruttianus, consul suffectus in 108, später [legatus] pro pr(aetore) Imp(eratoris) Caes(aris) Traiani Hadriani Aug(usti) exercit(uum) Iudaici et Arabici wurde; siehe J.-M. Mignon, D. Lavergne u. B. Rossignol, Un nouveau cursus sénatorial de l’époque de Trajan et d’Hadrien découvert à Vaison-la-Romaine, in: Cahiers du Centre G. Glotz (CCGG) 24 (2013), S. 294; diese Zusammenfassung beider Heere unter einem Kommando ist wohl nur in einer kriegerischen Situation möglich gewesen; zeitlich müsste das unmittelbar an den Anfang der hadrianischen Zeit gehören.
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leicht aber auch schon vorher, wurde der Rang dieses Statthalters erhöht: Nunmehr führte ein Konsular das Kommando, dem eine zweite Legion unterstand; diese wurde durch weitere Auxilien verstärkt. Insgesamt lagen spätestens seit 117 zwei Legionen und 15 Auxiliareinheiten in der Provinz, annähernd 20.000 Mann. Es gab im gesamten Imperium keine Provinz, die im Verhältnis zu ihrer Größe stärker militarisiert war als Judaea. Denn diese Provinz umfasste damals kaum mehr als 10.000 km², und auch später, als der Negev hinzukam, waren es weniger als 20.000 km;² in der Provinz Britannien stand damals zwar ein deutlich stärkeres Heer als in Judaea, sicher nicht weniger als 40.000 Mann, es war aber fast siebenmal so groß wie Judaea. Rom muss also erkannt haben, dass diese Provinz im Osten ein explosiver Unruheherd war. Da die zweite Legion im Norden der Provinz, in der JezreelEbene bei Caparcotna stationiert wurde, liegt es nahe zu vermuten, dass während des Qitus-Krieges die Unruhen zumindest auch Galiläa ereichten, wenn sie sich nicht sogar in diesem Gebiet konzentrierten. Jedenfalls wollte bereits Kaiser Traian, nicht erst Kaiser Hadrian, durch diese militärische Verstärkung einer zweiten Explosion vorbeugen.48 Und doch geschah genau dies im Jahr 132. Im August dieses Jahres sah es für einen Moment so aus, als ob die Provinz verloren sei. Der Aufstand eines Teils der jüdischen Bevölkerung im Zentrum des Landes südlich von Jerusalem schuf ein romfreies jüdisches Herrschaftsgebiet.49 Eine römische Legion scheint damals völ48
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Dass bereits Traian die Legion in die Provinz verlegt hat, ergibt sich zwingend aus dem konsularen Status von Lusius Quietus. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Verlegung der zweiten Legion nicht erst am Ende seiner Regierungszeit, sondern bereits im Kontext der Annexion Arabiens im Jahr 105/6 n. Chr. erfolgte. Siehe W. Eck: Position and Authority of the Provincial Legate and the Financial Procurator in Judaea from 70-136 A.D., in: J.J. Schwartz – P. J. Tomson (Hrsg.): Jews and Christians in the First and Second Centuries: The Interbellum 70-132 CE (im Druck). Die Literatur zu dieser letzten großen Erhebung ist in den vergangenen Jahrzehnten, vor allem durch die vielen Funde von archäologischen, papyrologischen, numismatischen und epigraphischen Zeugnissen, gewaltig angewachsen. Hier können deshalb nur wenige Hinweise gegeben werden: zusammenfassend Hanan Eshel: The Bar Kochba Revolt 132-135, in: William David Davies, Louis Finkelstein u. Steven T. Katz (Hrsg.): The Cambridge History of Judaism, Bd. 4: The late Roman-Rabbinic Period, Cambridge 2006, S. 105-127. (mit erstaunlichen Fehlinterpretationen); Peter Schäfer (Hrsg.): The Bar Kokhba War Reconsidered. New Perspectives on the Second Jewish Revolt against Rome, Tübingen 2003 (mit verschiedenen einschlägigen Beiträgen); Werner Eck: The Bar Kokhba Revolt. The Roman Point of View, in: The Journal of Roman Studies (JRS) 89 (1999), S. 76-89; Ders.: Rom herausfordern: Bar Kochba im Kampf gegen das Imperium Romanum. Das Bild des Bar Kochba-Aufstandes im Spiegel der neuen epigraphischen Überlieferung, Rom 2007; Ders.: Der Bar Kochba-Aufstand der Jahre 132-136 und seine Folgen für die Provinz Judaea/Syria Palaestina, in: Gianpaolo Urso (Hrsg.): Iudaea socia - Iudaea capta, Atti del convegno internazionale Cividale del Friuli, 22-24 settembre 2011, Pisa 2012, S. 249-265.
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lig vernichtet worden zu sein; vielleicht war es die legio XXII Deiotariana. Die legio X Fretensis, also die Jerusalemer Legion, erlitt dramatische Verluste. Mindestens die Hälfte der Legionäre war auf einen Schlag ausgelöscht, vermutlich deshalb, weil sie in kleineren Lagern über das Land stationiert waren; diese konnten von den aufständischen Juden, die das Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatten, schnell erobert werden.50 Wie dramatisch die Situation war, ersieht man daran, dass Hadrian kurz nach dem Ausbruch der Revolte persönlich in die Provinz eilte. Als er in dieser Zeit an den Senat einen Bericht schrieb, fehlte dort die traditionelle Formel: „Wenn ihr und eure Kinder gesund seid, dann ist es gut; ich und die Legionen fühlen uns gesund. “51 Alle römischen Feldherren haben diese Formel verwendet; wenn Hadrian sie vermied, zeigt dies den Ernst der Lage. Tatsächlich wissen wir auch durch einen Papyrus, der in Ägypten gefunden wurde, und durch sogenannte Militärdiplome, dass 132/133 mehrere tausend Soldaten der Flotte von Misenum am Golf von Neapel nach Judaea in die legio X Fretensis versetzt wurden.52 Dies war eine Maßnahme, die nur durch eine extreme Gefährdung erklärlich ist; denn diese Flottensoldaten waren keine römischen Bürger, konnten also rechtlich gar nicht in einer Legion dienen. Deshalb musste Hadrian sie in einer Notaktion schnell zu römischen Bürgern machen. Denn die Legion mit Rekruten aufzufüllen, hätte diese über lange Zeit kaum einsatzfähig gemacht. Auch in Italien, in dem man seit fast einem Jahrhundert nicht mehr rekrutiert hatte, wurden damals Aushebungen durchgeführt, und zwar nicht auf Freiwilligenbasis, sondern durch eine Zwangsaushebung.53 Dazu wurden Truppen aus den Nachbarprovinzen Syrien und Arabien in Marsch gesetzt. Inschriften aus Ancyra, dem heutigen Ankara, berichten, dass damals der Statthalter von Syrien wegen des jüdischen Aufstandes nicht in seiner Provinz weilte.54 Aus dem Donauraum wurden Einheiten nach dem Osten verlegt; und sogar aus dem fernen Britannien wurde offensichtlich eine Abteilung der legio VI Victrix in Marsch gesetzt,55 vermutlich zusammen mit Sex. Iulius Severus; 50
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Werner Eck u. Andreas Pangerl: Die Konstitution für die classis Misenensis aus dem Jahr 160 und der Krieg gegen Bar Kochba unter Hadrian, in: ZPE 155 (2006), S. 239-252; Eck 2007 (wie Anm. 46), S. 30ff. sowie Beitrage in Eck, Judäa - Syria Palästina (wie Anm. 1). Cassius Dio 69, 14, 2. Siehe Anm. 50. Das ergibt sich aus den Laufbahninschriften von Senatoren, die diesen dilectus durchführen mussten: AE 1986, 686 = Inschriften von Perge 154: Q(uintum) Voconium Saxam … curatorem viae Valeriae Tiburtinae qui et per eundem tractum dilectu[m e]git; CIL VIII 7036 = ILAlg II 1, 623 = Dessau 1068: T(ito) Caesernio Statio … Quintio Stat[ia]no Memmio Macrino … misso ad dilec[tu]m iuniorum a divo Hadriano in r[e]gionem Transpadanam. IGR III 174. 175 = The Greek and Latin Inscriptions of Ankara (Ancyra), Bd. I: From Augustus to the end of the third century AD, München 2012, Nr. 74-76. Siehe Boaz Zissu, Avner Ecker: A Roman Military Fort North of Bet Guvrin/Eleutheropolis?, in: ZPE 188 (2014), S. 293-312.
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er war Hadrians fähigster Militär, der bis zum Jahr 133 Statthalter in Britannien gewesen war; ihm wurde damals, gegen alle sonstigen Regeln des Avancements innerhalb einer senatorischen Laufbahn, das Kommando in Judaea anvertraut.56 Schließlich waren rund 50-60.000 Mann in Judaea konzentriert. Erst nach dreieinhalb Jahren gelang es schließlich Severus und den Statthaltern der Nachbarprovinzen Syria und Arabia mit diesem massiven Militäraufgebot die Revolte niederzuschlagen. Wie konnte der Aufstand die römische Militärmaschine in dieser Weise überraschen und dann so lange binden? Was waren die Motive, die hinter den Aufständischen standen? Ihr Ziel ist klar: Unabhängigkeit von Rom, ein unabhängiges Gemeinwesen. Deutliches Zeichen dafür ist die Prägung eigener Münzen.57 Doch über die unmittelbaren Motive und die Ursachen für den Aufstand wissen wir nur sehr wenig. Denn im Unterschied zur ersten großen Revolte haben wir keinen Josephus, der einen Insiderbericht darüber verfasst hat. Fast die gesamte, allerdings äußerst fragmentarische literarische Überlieferung kommt von der römischen Seite, und viele Quellen stammen aus späteren Jahrhunderten. Zwar gibt es auch späte Nachrichten von jüdischer Seite, sie stammen aus Mischna und Talmud, doch sie sind mehr als punktuell und dazu äußerst widersprüchlich.58 Auf der einen Seite wird dort der Aufstand als heroischer Freiheitskampf geschildert, doch gleichzeitig wird gerade der Anführer als derjenige gesehen, der schlimmstes Unglück über das jüdische Volk gebracht hatte. Eine Überlieferung, die von Martin Goodman als zutreffend angesehen wird, besagt, man habe im Judentum immer noch geglaubt, dass einst der Tempel wieder errichtet werden könne. Angeblich habe Hadrian dies sogar versprochen. Doch als dann die kaiserliche Anordnung bekannt wurde, an der Stelle von Jerusalem die römische Kolonie Aelia Capitolina zu errichten, da sei klar geworden, dass diese Hoffnung begraben werden müsse. M.E. ist es ausgeschlossen, dass Hadrian jemals ein solches Versprechen gegeben hatte.59 Dass bei jüdi56 57
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Eck 1999 (wie Anm. 49), S. 83; Ders. 2007 (wie Anm. 49), S. 42f.; Anthony R. Birley: The Roman Government of Britain, Oxford 2005, 129ff. Leo Mildenberg: Bar Kokhba Coins and Documents, in: Harvard Studies in Classical Philology 84 (1980), S. 311-335; Ders.: The Coinage of the Bar Kokhba War, Aarau, Frankfurt a. M. u. Salzburg 1984. Peter Schäfer: Der Bar Kokhba-Aufstand: Studien zum zweiten jüdischen Krieg gegen Rom, Tübingen 1981; Ders. 2003 (wie Anm. 49); Benjamin Isaac u. Aharon Oppenheimer: The revolt of Bar Kokhba: ideology and modern scholarship, in: Journal of Jewish Studies (JJS) 36 (1985), S. 33-60; Isaac 1997 (wie Anm. 1), S. 220ff; Oppenheimer 2005 (wie Anm. 41), S. 197ff. Goodman 2007 (wie Anm. 1), S. 449: „in the context of normal practice in the Roman empire, the Jews’ hopes should not have been idle”. Auf welche Beispiele hätten sich die Juden in der Zeit nach der Zerstörung des Tempels berufen können. M.E. unterschiebt dies den damals lebenden Juden totale Realitätsblindheit.
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schen Gruppen die Hoffnung bestand, den Tempel wieder aufbauen zu können, ist andererseits nicht unwahrscheinlich. Doch für ihre Hoffnung war die Gründung der Kolonie das Todesurteil. Tatsächlich geht man heute auch weitgehend davon aus, dass diese Anordnung Hadrians der endgültige Auslöser für den Aufstand war, vermutlich aber verbunden mit einer weitverbreiteten messianischen Hoffnung auf Erlösung Israels. Mehr lässt sich zu den Ursachen kaum erkennen. Andererseits haben wir heute, auch dank vieler epigraphischer, papyrologischer und archäologischer Neufunde der letzten 50 Jahre, einen bedeutend besseren Einblick in das, was zu Beginn und während des Aufstandes geschah, ebenso auch über die Folgen für das Land und das jüdische Volk.60 Ein ganz entscheidender Faktor für den relativ lang andauernden Erfolg der Erhebung ist die offensichtlich monokratische Führung des Aufstandes. Diese Führungsstruktur ist ein zentraler Unterschied zum Aufstand von 66-70 n. Chr., in dem wegen der vielen „Anführer“ der Kampf untereinander oft wichtiger erschien als der gemeinsame Kampf gegen Rom. Benannt wird der Aufstand nach Bar Kochba; sein richtiger Name Schim'on ben Kosiba ist aus den Briefen bekannt, die in der judäischen Wüste gefunden wurden; sein traditioneller Name wird dennoch generell weiterverwendet.61 Er scheint der unumstrittene, von allen anerkannte Führer gewesen zu sein, der eine harte Autorität ausübte. Er muss bereits an der Vorbereitung des Aufstandes beteiligt gewesen sein, da er von Anfang an als der Führer auftrat. Der römische Historiker Cassius Dio berichtet, den Juden seien von der römischen Provinzführung, vermutlich vom Finanzprokurator, der Auftrag zur Herstellung von Waffen, vor allem Schwertern, gegeben worden, doch hätten sie bewusst schlechte Ware abgeliefert, die zurückgewiesen worden sei. Auf diese Weise hätten die Juden unbemerkt von den Römern ein Waffenarsenal anlegen können.62 Ob diese Geschichte zutrifft, lässt sich nicht erkennen, doch passt sie zu anderen Beobachtungen. Denn im jüdischen Kerngebiet sind von den israelischen Archäologen Hunderte von sogenannten hiding places entdeckt worden, d.h. unterirdische Verstecke, die generell mit kleineren oder größeren Siedlungen verbunden waren. Es sind teilweise hochkomplexe Tunnelsysteme mit Zugang zu Wasser und mit Vorratsräumen, außerdem ausgestattet mit Anlagen, um Teile des Tunnelsystems abzublocken, falls ein Feind sich Zugang verschafft hat. Diese zurzeit mehr als 400 bekannten hiding places können kaum erst während des Aufstandes angelegt worden sein, vielmehr spricht der Befund für eine vorausgehende Planung.63 60 61 62 63
Siehe zu den Quellen oben S. XX. Siehe die Quellen in PIR2 S 746. Cassius Dio 69, 12, 2. Amos Kloner u. Boaz Zissu: Hiding Complexes in Judaea: An Archaeological and Geographical Update on the Area of the Bar Kokhba Revolt, in: Schäfer 2003 (wie Anm. 49),
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Diese intensive Vorbereitung brachte zunächst großen Erfolg. Innerhalb der Provinz Judaea lässt sich durch den Fund von Münzen, die von der Administration Bar Kochbas geprägt wurden, relativ klar ein Gebiet erkennen, in dem eine unabhängige jüdische Herrschaft existierte.64 Als man im Jahr 1960 die Briefe Bar Kochbas gefunden hatte, konnte Ben-Gurion, der erste Ministerpräsident Israels, dieses Gemeinwesen als den letzten unabhängigen jüdischen Staat bezeichnen. Es lässt sich eine rudimentäre Administration erkennen, die auf die Kriegsbedürfnisse ausgerichtet war. Man erhielt sogar Unterstützung aus umliegenden Provinzen; Nabatäer, deren Land durch Rom im Jahr 105/6 annektiert worden war, sahen offensichtlich die Chance, zusammen mit der jüdischen Rebellion ebenfalls die Unabhängigkeit zu erreichen.65 Ein ganz zentrales Ziel, das auf den Münzen mit dem Slogan: „Freiheit Jerusalems“ verkündet wurde, erreichte der Aufstand von Anfang an nicht: Jerusalem wurde nicht zurückgewonnen, das dortige Legionslager fiel nicht in ihre Hände. Doch nachdem Rom seine Militärmacht verstärkt hatte, wurden die Rebellen immer mehr eingeschnürt, zuletzt soll Bar Kochba in Beitar südlich von Jerusalem belagert gewesen sein, wo er auch umgekommen sein soll. Andere jüdische Gruppen wurden in den Höhlen der judäischen Wüste langsam ausgehungert; von ihnen überlebte wohl kaum jemand. In den Höhlen des Wadi Ṇahal Ḥever hat man ihre Überreste gefunden, vor allem auch die Archive zweier Jüdinnen, Babatha und Salome Komaise, die uns wertvollste Einblicke in das Leben ihrer Familien unmittelbar vor dem Aufstand geben.66 Wenn in der späteren Überlieferung Bar Kochba auch als großes Unglück für das Volk Israel gesehen wird, ist das nicht überraschend. Denn das Ergebnis war für das Judentum gravierender als das des ersten Aufstandes. Nach Cassius Dio, den römischen Historiker zu Beginn des 3. Jh., kamen mehr als 580.000 Menschen
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S.181-214; vgl. auch Aharon Oppenheimer: Subterranean Hideouts in the Judaean Shephelah. The Evidence of the Sources, in: ders. 2005 (wie Anm. 41), S. 256ff.; Boaz Zissu u. Amir Ganor: Horvat ‘Ethri – A Jewish Village from the Second Temple Period and the Bar Kokhba Revolt in the Judean Foothills, in: JJS 60 (2009), S. 90-136. Boaz Zissu u. Hanan Eshel: The Geographical Distribution of Coins from the Bar Kokhba War, in: Israel Numismatic Journal 14 (2002), S. 157-167; zusammenfassend auch Isaac u. Oppenheimer 1985 (wie Anm. 58); Oppenheimer 2005 (wie Anm. 41), S. 197ff. Hannah M. Cotton: The Bar Kokhba Revolt and the Documents from the Judaean Desert: Nabataean Participation in the Revolt (P. Yadin 52), in: Schäfer 2003 (wie Anm. 49), S. 133-152; vgl. auch G. Bowersock: The Tel Shalem Arch and P. Nahal Hever/Seiyal 8, in: Schäfer 2003 (wie Anm. 49), S. 177ff. Naphtali Lewis: Documents from the Bar-Kokhba Period in the Cave of Letters. Greek Papyri, Jerusalem 1989; Yigael Yadin, Ada Yardeni, Baruch Levine u. Jonas C. Greenfield: Documents from the Bar Kokhba Period in the Cave of Letters: Hebrew, Aramic and Nabatean, Jerusalem 2002 (zum Archiv von Babatha); Hannah M. Cotton u. Ada Yardeni: Aramaic, Hebrew and Greek documentary texts from Nahal Hever and other sites, Oxford 1997 (zum Archiv der Salome Komaise unter der Bezeichnung P. Hev/Se ).
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während des Aufstandes um;67 die Zahl scheint nicht übertrieben zu sein. Die Städte und Siedlungen im Kerngebiet des Judentums waren ohne Ausnahme zerstört; es ist das Gebiet, in dem sich die Masse der hiding places befinden. Die Archäologie konnte zeigen, dass in diesem Gebiet die Besiedlung bis zum Ende des 2. Jh. völlig unterbrochen war. Jerusalem dagegen wurde von Hadrian als römische colonia Aelia Capitolina aufgebaut und Tempel für die kapitolinische Trias und für Venus/Aphrodite errichtet.68 Wenn tatsächlich, wie es scheint, der Befehl zur Errichtung der colonia den Aufstand ausgelöst hat, dann war diese Gründung das fortdauernde Zeichen für das Scheitern. Das zentrale Gebiet des Judentums mit zahlreichen Orten, die in der Geschichte Israels hohe Bedeutung erlangt hatten, war auf Dauer verloren. Die Provinz verlor auch ihren Namen Iudaea, sie hieß fortan Syria Palaestina, später überhaupt nur noch Palaestina; allerdings kam die Anregung für diese Änderung wohl von den nichtjüdischen Bewohnern der Provinz; sie wollten nicht kontinuierlich mit dem rebellischen Volk assoziiert werden.69 Wenn das Verbot der Beschneidung, das Hadrian wohl als Strafe verhängte, von seinem Nachfolger Antoninus Pius nicht aufgehoben worden wäre, wäre dies ein bleibender Anlass zu politischer Unruhe gewesen.70 Dass die Diaspora, vor allem in Mesopotamien, massiv verstärkt wurde, ist nicht zu bezweifeln. Der Verlust des Kerngebiets bedeutete jedoch nicht das Ende des Judentums in der Provinz. Vereinfacht formuliert verlagerte sich das Zentrum nach dem Norden, nach Galiläa. Allerdings ist das Bild, das man sich von diesem Leben in der Provinz während der zweiten Hälfte des 2. und dem 3. Jh. machen darf, sehr davon abhängig, wie man das einschätzt, was wir aus Mischna und Talmud über das Judentum gewinnen können. Die Mischna ist die Sammlung der mündlichen Lehrsätze der jüdischen Gelehrten des 1. und 2. Jh. zu allen Fragen, wie das Leben der Juden gelebt werden müsse. Der Talmud ist deren Fortsetzung in den folgenden Jahrhunderten. Geht man von dieser jüdischen literarischen Tradition aus, dann muss man zu der Ansicht gelangen, dass die Rabbinen und ihre Lehren das jüdische Leben in den Städten und Siedlungen dominierten, sogar mit einem eigenen, hierarchisch gegliederten Gerichtssystem. Vor allem soll dabei die Patriarchenfamilie Gamaliel, die in Yavne eine besondere Rolle erworben hatte, eine zentrale Stellung einge67 68 69
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Cassius Dio 69, 14, 1. Siehe jetzt die Einleitung von Benjamin Isaac zu CIIP I (wie Anm. 17), S. 18ff. Erstes Zeugnis mit der Änderung des Namens ist eine Inschrift für Sex. Iulius Severus aus Aequum in der Provinz Dalmatien: AE 1904, 9 = ILJug II 1957; Eck 1999 (wie Anm. 49); S. 89 mit Anm. 98. Zuletzt zu diesem Verbot Aharon Oppenheimer: The Ban of Circumcision as a Cause of the Revolt: A Reconsideration, in: Schäfer 2003 (wie Anm. 49), S. 55-69; Ra‘anan Abusch: Negotiating Difference: Genital Mutilation in Roman Slave Law and the History of the Bar Kochba Revolt, in: Schäfer 2003 (wie Anm. 49), S. 71-9; zur Aufhebung durch Pius siehe Digesten 48, 8, 11, 1.
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nommen haben. Sie siedelte nach dem Norden über, zunächst nach Uschi, später nach Beth Shearim und schließlich nach Sepphoris. Dort hat vor allem Jehuda haNasi (hebr. )הדוהי אישנה, Juda I. oder Rabbi, wie er oft einfachhin genannt wurde, seit Ende des 2. bis ins zweite Jahrzehnt des 3. Jh. einen entscheidenden Einfluss ausgeübt, vor allem durch die schriftliche Fixierung der Mischna.71 Von ihm sind Geschichten überliefert, dass er mit dem römischen Kaiser Antoninus, womit Kaiser Caracalla gemeint sein müsste, eine besondere Beziehung aufgebaut habe. Dieser soll ihn sogar ständig um Rat gefragt haben. Das geht so weit, dass erzählt wird, es habe einen unterirdischen Gang gegeben durch den Caracalla Rabbi besuchen konnte.72 Das alles sind Legenden ohne konkreten historischen Kern, obwohl manches davon immer noch von manchen für möglich gehalten wird. Was diese Geschichten aber zeigen – und insoweit steht eine historische Erfahrung hinter den Erzählungen – ist die frappierende Tatsache, dass man – nach den furchtbaren Erfahrungen der Aufstände gegen die römische Herrschaft – nunmehr in den Kreisen des rabbinisch dominierten Judentums seinen Frieden mit Rom gemacht hatte. Man akzeptierte die römische Herrschaft, die ihrerseits das Judentum nicht als Feind betrachtete. Überraschenderweise waren ja auch nach den beiden Aufständen die bereits auf die Zeit Caesars zurückgehenden Privilegien der Juden, die auf der Anerkennung ihrer Religion beruhten, nie aufgehoben worden. Doch ob tatsächlich schon im 2. Jh. das Judentum in Syria Palaestina bereits rabbinisch dominiert war, ist zweifelhaft. Vor allem Seth Schwartz hat gute Gründe dafür angeführt, dass in Wirklichkeit das, was uns in Mischna und Talmud für das 2. und 3. Jh. entgegentritt, nur auf enge Zirkel von Juden um die Rabbinen zutrifft, während die Mehrheit der Juden, gerade auch in Galiläa, sich in die allgemeine griechisch-römisch geprägte Kultur eingefügt hat, darin also nicht die Gegenwelt sah, gegen die man sich abzugrenzen hatte.73 Darauf weisen auch viele archäologische Funde aus Siedlungen und Städten dieser Zeit hin. Auf den Münzen etwa von Tiberias oder Sepphoris, beides Städte mit einer sehr starken jüdischen Bevölkerung, erscheinen schon seit dem Beginn des 2. Jh. mehr und mehr die Bilder von Kaisern, schließlich auch von Tempeln und Göttern.74 Man könnte das zwar so deuten, dass Juden jeden Einfluss auf die städtische Organisation verloren hätten. Doch das ist nicht so einfach anzunehmen. Denn wir kennen auch einen Erlass von Septimius Severus und Caracalla, nach dem es Juden erlaubt wurde, in den Rat einer nicht-jüdischen Stadt einzutreten, wobei sie alle damit verbundenen Verpflichtungen übernehmen mussten, außer denen, die mit ihrer Religion nicht vereinbar war-
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Allgemein dazu Michael Avi-Yonah: The Jews of Palestine, New York 1976, S. 35ff. Siehe Samuel Krauss: Antoninus und Rabbi, Wien 1910. Schwartz, Seth: Imperialism and Jewish Society, 200 BCE - 640 CE, Princeton 2001. Eck 2007 (wie Anm. 1), Kap. 5.
Herrschaft, Widerstand, Kooperation
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en.75 D.h. diese Juden waren keineswegs Apostaten, sie wollten in den griechischrömischen Städten keine Randexistenz führen, sondern gleichberechtigte Bürger sein – unter Bewahrung ihres Judentums. Juden dieser Denkart haben vermutlich in den Städten der Diaspora gelebt, doch man sollte sie noch weit mehr in Palaestina vermuten, wo sie in vielen Städten eine deutliche Minderheit ausmachten. Warum sollten sie der Meinung sein, von jeder Mitbestimmung ausgeschlossen zu bleiben? Mit den Regeln einer rabbinisch gesteuerten Gemeinde wäre allerdings eine Beteiligung am normalen bürgerlichen Leben griechisch-römischer Städte nicht vereinbar gewesen. Gleichgültig aber, ob man der einen oder anderen Sichtweise folgt, klar wird in jedem Fall, dass das Judentum in Syria Palaestina nicht mehr Lehren oder Leuten folgte, die notwendigerweise einen Konflikt mit Rom zur Folge haben mussten. Die Lektionen waren zu brutal gewesen. Dass Rom niemanden, der einmal zu seinem Herrschaftsbereich gehört hatte, daraus entließ, sondern alle solche Versuche mit Waffengewalt niederschlagen konnte, das hatte man gelernt. Man hatte zu einem modus vivendi gefunden, der notwendigerweise weitgehend auf der griechischrömischen Kultur, konzentriert in den urbanen Zentren, beruhte. Zu diesem modus vivendi trug auch bei, dass sich gerade der Norden von Syria Palaestina, also vor allem Galiläa, ökonomisch außergewöhnlich entwickelte,76 trotz aller Steuerpflicht, die ja auch in anderen Provinzen geleistet werden musste. Nur kam in dieser kleinen Provinz hinzu, dass durch die massive Präsenz der römischen Truppen jährlich eine Menge an Geld für deren Sold aus den Steuereinahmen anderer Provinzen importiert werden musste; die Einnahmen der eigenen Provinz reichten dafür nicht aus. So war die römische militärische Präsenz eine indirekte Wirtschaftsförderung. David Ben-Gurion, der erste Ministerpräsident des modernen Staates Israel hat den Satz formuliert: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Wer im Jahr 136 n. Chr., als bei Tel Shalem ein gewaltiger Siegesbogen für Hadrian errichtet wurde,77 vorausgesagt hätte, dass die große Mehrheit der überlebenden Juden Palästinas in den kommenden Jahrhunderten ein friedliches Auskommen mit Rom finden würde, wäre wohl als realitätsferner Prophet verlacht worden. Dennoch trat 75
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Ulpian, Liber tertius de officio proconsulis, Digesten 50, 2, 3, 3: Eis, qui Iudaicam superstitionem sequuntur, divi Severus et Antoninus honores adipisci permiserunt, sed et necessitates eis imposuerunt, qui superstitionem eorum non laederent = „Denen, die dem jüdischen Glauben folgen, haben die vergöttlichten Severus und Antoninus erlaubt, Ehrenämter zu übernehmen, aber sie haben ihnen damit auch alle Notwendigkeiten aufgeladen, die ihren Glauben nicht verletzen.“ Daniel Sperber: Roman Palestine 200-400. The Land: Crisis and change in agrarian society as reflected in rabbinic sources, Ramat Gan 1980. Werner Eck u. Gideon Foerster: Ein Triumphbogen für Hadrian im Tal von Beth Shean bei Tel Shalem, in: Journal of Roman Archaeology (JRA) 12 (1999), S. 294-313; Werner Eck: Hadrian, the Bar Kokhba Revolt and the Epigraphic Transmission, in: Schäfer 2003 (wie Anm. 49), S. 153-170.
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dieses „Wunder“ ein; letztlich aber war es Realitätssinn, den das jüdische Volk ebenso lernen musste wie viele andere Völker im Imperium Romanum. Der Weg dorthin war freilich lang und bedrückend.
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Report "Herrschaft, Widerstand, Gehorsam: Rom und das Judentum in Iudaea/Palaestina, in: „…betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden…“. Jüdische Lebenswelten. Von der Antike bis zur Gegenwart, hg. E. Baltrusch – U. Puschner, Frankfurt 2016, 31-52 "