Sonderdruck aus:
Christine Reinle (Hg.)
Stand und Perspektiven der Sozial- und Verfassungsgeschichte zum römisch-deutschen Reich Der Forschungseinfluss Peter Moraws auf die deutsche Mediävistik
Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters Herausgegeben von Andreas Bihrer, Cordula Nolte und Jörg Rogge BAND 10
Didymos-Verlag
Gedruckt mit Unterstützung aus Mitteln des an der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz angesiedelten Vorhabens »Regesta Imperii (Quellen zur Reichsgeschichte), Regesten Friedrichs III.«, das von der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Rheinland-Pfalz gefördert wird der Gießener Hochschulgesellschaft e. V.
der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen
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Inhalt
Stefan Tebruck Zum Tod von Prof. Dr. phil. Dr. h. c. Peter Moraw († 8. April 2013) . . . . . . . . . . . . . 11 Claudia Märtl Peter Moraw als Zentraldirektor der Monumenta Germaniae Historica. . . . . . . . . . . 15 Paul-Joachim Heinig »Mittelfristig sollten alle RI-Dateien verknüpft sein, so daß man neue Fragen stellen kann«. Die konzeptionelle Bedeutung der »Regesta Imperii« für Peter Moraw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Werner Paravicini Residenz, Hof, Dynastie. Peter Moraw in der Arbeit der Residenzen-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Thomas Zotz Peter Moraw und der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Christian Hesse Das Repertorium Academicum Germanicum (RAG). Perspektiven zur Erforschung der Gelehrten, ihrer Netzwerke und ihres Wirkens im Alten Reich (1250−1550) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Bernd Schneidmüller Peter Moraw – Von Heidelberg zur Zeitschrift für Historische Forschung . . . . . . . . . 65 Michail A. Bojcov Elemente der akuten politischen Retrospektion in der Goldenen Bulle von 1356 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Martin Bauch Hegemoniales Königtum jenseits von Politik- und Verfassungsgeschichte. Zur sakralen Herrschaftspraxis Karls IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Julia Burkhardt Vom Hoftag zur Reichsversammlung. Formen, Verfahren und Bedeutung politischer Versammlungen in Mitteleuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
J. Friedrich Battenberg Peter Moraw und die Rechtsgeschichte des römisch-deutschen Reichs. . . . . . . . . . . . 133 Oliver Auge Kleine Könige und mindermächtige Fürsten? Peter Moraw und das Phänomen »starker Herrschaft« im Spätmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Gabriel Zeilinger Anwesenheit und Abwesenheit. Hoffeste, Kriege und die »Verdichtung« des Reichs im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Georg Schmidt »Gestaltete Verdichtung« – sechs Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Petr Elbel Personenforschung zum Hof Kaiser Sigismunds am Beispiel der böhmischen Höflinge und Parteigänger Sigismunds. Vorstellung eines Forschungsvorhabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Matthias Asche Peter Moraw und die Anfänge der deutschen Forschungen zur Sozialgeschichte der Universität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Christine Reinle Landesgeschichte und Reichsgeschichte als komplementäre Perspektiven auf die deutsche Geschichte. Peter Moraws Verständnis von Landesgeschichte . . . . . . . . 221 Enno Bünz »Begegnung von Kirche und Welt« – Peter Moraw und die Erforschung des weltlichen Kollegiatstifts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Martin Bauch
Hegemoniales Königtum jenseits von Politik- und Verfassungsgeschichte Zur sakralen Herrschaftspraxis Karls IV.
Es klang zumindest so, als wäre Johann von Neumarkt außer sich gewesen: »Sie weisen die kaiserliche Autorität zurück und wollen nicht, dass er [Karl IV.] als Friedensbringer wirkt. Sie gehören zu den barbarischen Völkern, die die kaiserliche Majestät und das geschriebene Recht ablehnen«1. In einem Brief vom 24. März 1357 an den Großmeister des Deutschen Ordens, Winrich von Kniprode, ließ der Kanzler Kaiser Karls IV. kein gutes Haar an seinen polnischen Gesprächspartnern. Besonders empört verwies er auf Aussagen des Verhandlungsführers Spycimir z Tarnowa. Dieser gelte zwar als gelehrtester Mann im Dienst König Kasimirs, sei aber rüde und ungebildet und stelle alle Anordnungen früherer Kaiser in Frage2. Es kam noch schlimmer: »Was ist Euer Kaiser?« habe er unverfroren gesagt, »unser Nachbar, aber unserem König gleich«3. Die daraufhin folgende juristische Belehrung durch Johann von Neumarkt verpuffte ohne Effekt, wie auch der Verweis auf die enge Bindung Polens ans Reich seit Kaiser Otto III.4 Der undiplomatische Gesandte legte nach: »Wo ist Rom, in wessen Hand ist es? Antworte! Euer Kaiser ist dem Papst untertan und leistet ihm einen Eid, unser König empfängt Schwert und Krone von Gott; und die von seinen Ahnen übernommenen Gesetze zieht er denen des Kaiserreichs vor«5. Dem indignierten Johann von Neumarkt blieb nichts als der Wunsch, dass die Polen Unterordnung unter die imperiale Autorität erfahren sollten6.
1 Respuunt illi authoritatem Imperatoriam ut eum et pacificatorem esse nolunt. Pertinent illi ad barbaras gentes,
quae et Majestatem Imperatoris, et jus scriptum recusant (Dzieła Tadeusza Czackiego [Das Werk des Tadeusz Czacki], Bd. 3, hg. von Edward Raczyński, Poznań 1845, S. 112). 2 Fuit Spytko de Melstin ambassiator dicti Regis rudis et ignarus, etiamsi dicit, quod doctior illo [S. 113] nullus penes Regem est. Incusavit ille omnia, quae divus Fridericus et alii vestro ordini fecerunt (Ebd., S. 112 f.). 3 Quid inquam, dicit miser, vester est Imperator? Nobis vicinus, sed Regi nostro aequalis (Ebd. S. 113). 4 Cum legem Regium ei exposuimus de plenitudine potestatis Imperatoriae, et nexus cum Imperio, et beneficia Divi Ottonis in Poloniam recordavimus (Ebd.). 5 Ubi est Roma, in cujus est manu, responde? Vester Imperator est inferior Papae, praestat ei juramentum, noster Rex tenet coronam et gladium a Deo, suas leges et tradita majorum praefert legibus Imperii (Ebd.). 6 Proh dolor! Quid eis sanctum. Quaerendum est tempus ut eorum cervices subdantur authoritati (Ebd.).
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Die Darstellung im Brief an den Hochmeister des Deutschen Ordens wirft verschiedene Fragen auf. Nicht nur ist die Überlieferung unklar7, die konfrontative Begebenheit passt auch gar nicht zu dem, was über die Beziehungen zwischen dem Reichsoberhaupt und Kasimir dem Großen Mitte der 1350er Jahre bekannt ist: Das Verhältnis zu Polen war in den Jahren zuvor eigentlich ausgesprochen entspannt gewesen. Im Mai 1356 hatte Kasimir Karl IV. in Prag besucht und ein Freundschaftsbündnis abgeschlossen8. Zweifel entstehen auch durch die Verweise auf die Person des polnischen Gesandten. Der auch als Spytko z Melsztyna bekannte Kastellan von Krakau, eine wichtige Figur am polnischen Königshof der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, starb vermutlich zwischen 1352 und 13549. Gegenüber dem Deutschordensmeister wärmte Johann von Neumarkt also mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Anekdote auf, die sich – wenn sie ein tatsächliches Ereignis beschrieb – vor Jahren abgespielt hatte und keineswegs den zeitgenössischen Blick der Polen auf das Reich wiedergab. Erklärbar ist dies im Hinblick auf den Adressaten des Briefs: Seit der Kaiserkrönung hatte sich Karls Verhältnis zum Deutschen Orden entspannt10. Im Dezember 1356 hatte er Privilegien Friedrichs II. für den Orden bestätigt11, auf die in der Anekdote ja ausdrücklich Bezug genommen wurde. Der Höhepunkt der Annäherung zwischen Kaiser und Deutschorden ist wohl im Besuch Karls IV. in Marburg im Mai 1357 zu sehen12. Im Vorfeld dieser Annäherung war es wohl opportun, 7 Die eher provisorische Edition des 19. Jahrhunderts durch Czacki macht nicht klar, auf welchen Manu-
skriptbefund sie sich stützt. In die Auswahledition von Briefen Johanns von Neumarkt durch Paul Piur ist dieser Brief nicht aufgenommen, wenn auch zwei andere Briefe vorliegen, die der karolinische Kanzler möglicherweise an Winrich von Kniprode geschrieben hat, vgl. Briefe Johanns von Neumarkt, gesammelt, hg. und erläutert von Paul Piur (Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung 8), Berlin 1937, S. 120 f., 353. Dass der Hochmeister häufiger Empfänger kaiserlicher Schreiben war, legt auch die Aufnahme seines Namens in die Adressatenliste der imperialen Kanzlei nahe, vgl. Summa Cancellariae (Cancellaria Caroli IV.). Formulář král. kanceláře české XIV. století, hg. von Ferdinand Tadra (Historický archiv 6), Praha 1895, Nr. 240. 8 Vgl. Regesta Imperii, Bd. 8. Die Regesten des Kaiserreichs unter Kaiser Karl IV. 1346–1378, bearb. von Alfons Huber, Innsbruck 1877 (künftig zit.: RI 8), Nr. 2451–2453; Monumenta Germaniae Historica. Legum sectio IV. Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. 11: Dokumente zur Geschichte des Deutschen Reichs und seiner Verfassung 1354–1356, hg. von Wolfgang Dietrich Fritz, Weimar 1978– 1992, Nr. 757, 760 (künftig zit.: MGH Const. 11); zum Verhältnis zwischen den Luxemburgern und Polen mit einem Schwerpunkt auf der ersten Hälfte des 14. Jahrhundert siehe Otfrid Pustejovsky, Schlesien und Polen – Ausgleich und Gleichgewicht, in: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand Seibt, München 1978, S. 173–182, hier S. 182. 9 Vgl. Spycimir z Tarnowa, Melsztyna i Piasku, in: Internetowa encyklopedia PWN (http://encyklopedia. pwn.pl/haslo/Spycimir-z-Tarnowa-Melsztyna-i-Piasku;3978620.html; letzter Zugriff: 14.04.2015); Błażej Śliwiński, Kasztelan krakowski Spycimir z Tarnowa i jego związki genealogiczne z możnowładztwem małopolskim w I połowie XIV w. [Der Krakauer Kastellan Spycimir von Tarnow und seine genealogischen Verbindungen mit dem kleinpolnischen Hochadel in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts], in: Acta Universitatis Nicolai Copernici. Nauki Humanistyczno-Społeczne. Historia 26/240 (1992), S. 105–113. Für Hilfe in dieser Frage danke ich sehr herzlich Dr. Julia Burkhardt (Heidelberg). 10 Udo Arnold, Karl IV. und der Deutsche Orden, in: Seibt, Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen (wie Anm. 8), S. 167–173, hier S. 170. 11 Vgl. RI VIII (wie Anm. 8), Nrr. 2341 f.; Urkundenbuch der Deutschordens-Ballei Hessen, Bd. 2: Von 1300–1359, bearb. v. Arthur Wyss (Publikationen aus den Königlich-preußischen Staatsarchiven 19), Leipzig 1884, Nr. 925. 12 Vgl. Hans-Walter Stork, Der pilgernde Kaiser: Karl IV. am Schrein der heiligen Elisabeth, in: Elisabethvon Thüringen und die neue Frömmigkeit in Europa, hg. von Christa Bertelsmeier-Kierst (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und zur Frühen Neuzeit 1), Frankfurt/M.-Berlin-BernBruxelles-New York-Oxford-Wien 2008, S. 150–170; Peter Wörster, Überlegungen zur Pilgerfahrt Kaiser
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dass gegenüber Winrich von Kniprode betont wurde, wie schlecht man am Kaiserhof über den politischen Konkurrenten der Deutschordensritter dachte. Trotzdem wird man die rüden Worte des polnischen Gesandten – deren Faktizität natürlich ungesichert bleiben muss, die aber doch plausibel genug waren, als Argument in politischer Korrespondenz zu erscheinen – insofern ernst nehmen müssen, als dass sich in ihnen die klaren Grenzen der Anerkennung imperialer Überordnung zeigten. Dies widerspricht durchaus dem Bild, das Peter Moraw von Karl IV. als vielleicht wichtigster Herrscherfigur des Spätmittelalters gezeichnet hat: »Der König-Kaiser war erstmals seit hundert Jahren wieder seinen Hauptpartnern, dem Papst und den Nachbarkönigen, wirklich gewachsen; er galt schließlich als erste Respektsperson des christlichen Europa«13. Diese neue Lage, von Moraw als »hegemoniales Königtum« charakterisiert, beruhte auf »dem Erwerb des seit der Stauferzeit ersten unbestrittenen Kaisertums von langer Dauer. Seine Autorität konnte in Deutschland und Europa zur Geltung gebracht werden14.« Tatsächlich findet man einen universalen Herrschaftsanspruch immer wieder in den Formulierungen der königlichen und später der kaiserlichen Kanzlei, etwa in einem Brief an den byzantinischen Kaiser kurz nach der Krönung in Rom 1355, in der die absolute Macht des Luxemburgers über große Teile des Abendlandes behauptet wird15. In einem weiteren Brief an die noch heidnischen Litauerfürsten vom 21. April 1358 forderte Karl IV. diese zur Bekehrung zum christlichen Glauben auf und bezeichnet sich dabei als mundi monarcha16. Noch etwas häufiger sind Belege eines universalen Machtanspruchs17 in einem »reichsinternen« Kontext, etwa der Goldenen Bulle18 oder in der Bezeichnung Prags als Sitz der Kaiserherrschaft über den Erdkreis19. In Belehnungsakten durchaus regionalen Charakters wurde die weltweite Karls IV. nach Marburg 1357, in: St. Elisabeth – Kult, Kirche, Konfessionen. Ausstellung der Universitäts bibliothek Marburg, bearb. v. Uwe Bredehorn und Herwig Gödeke (700 Jahre Elisabethkirche Marburg 7), Marburg 1983, S. 27–34; Arnold, Karl IV. und der Deutsche Orden (wie Anm. 10), S. 170. 13 Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490 (Propyläen-Geschichte Deutschlands 3), Berlin-Frankfurt/M. 1989, S. 240. 14 Ebd., S. 247. 15 Italie, Gallie et Germanie partibus et aliis terris […] absoluta potencia dominamur, vgl. Bernd-Ulrich Hergemöller, Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 7), Warendorf 1999, S. 358. 16 Vgl. ebd., S. 364 f. Eine Rückführung auf die Goldene Bulle von Rimini Friedrichs II. ist keineswegs zwingend und auch die Bezeichnung nicht so einzigartig, wie Hergemöller vermutet. Ähnlich definiert Karl sich und den Papst in seinem Kommentar von 1360 zum Privilegium maius als mundi monarche, vgl. Samuel Steinherz, Karl IV. und die österreichischen Freiheitsbriefe, in: MIÖG 9 (1888), S. 63–81, hier S. 79, Nr. 22. 17 In der Arenga eines Formulars für einen Brief an einen Herzog heißt es: eterni regis disposicio ineffabilis cuncta recte disponens nos quamquam immeritos ad tocius orbis regimen evocavit, vgl. Tadra, Summa Cancellariae (wie Anm. 7), Nr. 156, S. 106. Im Privileg für das studium generale in Perugia, das Karl IV. im Mai 1355 ausstellte, präsentierte er sich als Monarch cunctarum urbium et totius orbis, vgl. MGH Const. 11 (wie Anm. 8), S. 243 f., Nr. 429. 18 In der Goldenen Bulle (Kap. 2, § 3) wird der Kaiser als temporale caput mundi [seu] populi christiani bezeichnet, vgl. Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356, bearb. v. Wolfgang Fritz (MGH Fontesiuris 11), Weimar 1972, S. 54; MGH Const. 11 (wie Anm. 8), S. 576. 19 Im Begleitschreiben zur Übersendung der gesammelten Reliquien aus Pisa an das Prager Domkapitel von 1355 geht es auch um Böhmen, in cuius aula regali magnifica sedem sibi elegit excellens imperium orbis terre, vgl. Tadra, Summa Cancellariae (wie Anm. 7), Nr. 58, S. 35; Regesta diplomatica nec non epistolaria Bohemiae et Moraviae. Ps. 5: 1346–1355. Fasc. 4: 1352–1355, hg. von Jiří Spěváček, Praha 2004, S. 874, Nr. 1990.
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Wirksamkeit des Kaisertums20 ebenso betont wie in anderen Urkunden die imperiale Überlegenheit gegenüber den übrigen Reichen21. Und auch wenn nur die vier Kinder des Markgrafen von Meißen in ihre Rechte wieder eingesetzt wurden, geschah dies nicht ohne Verweis auf Gott, der die kaiserliche Macht über alle Reiche und Könige der Welt gesetzt habe22. Nun hat Michael Lindner gezeigt, was auch schon Peter Moraw vermutet hat: Dass die Verlautbarungen in Urkunden der karolinischen Kanzlei in einer Wechselwirkung zur Realität standen und zumindest geeignet waren, das Bild des Kaisertums zu beeinflussen sowie Konflikte unsichtbar zu machen23. Daher können diese Formulierungen nicht ohne weiteres als Topoi abgetan werden – auf sie wird zurückzukommen sein. Auch außerhalb der Kanzlei spielten universalistische Andeutungen eine Rolle, etwa in hofnaher Panegyrik24. Sind diese Beispiele auch klare pro-karolinische Propaganda25, lassen sich universa listische Interpretationen des Kaisertums doch ebenfalls außerhalb der dem Luxemburger freundlich gesinnten Kreise feststellen. So bezeichnete Heinrich von Herford, ein scharfer Kritiker Karls IV. vom Ende der 1340er Jahre, unter anderem gubernatio, pacificatio, salus et protectio totius orbis terrarum als Aufgaben des Kaisers26. Die behauptete Weltherrschaft des 20 Belehnung der Herren von Guastalla vom 17.07.1347: per hoc universus orbis, cuius Romanus princeps
est dominus, vgl. Monumenta Germaniae Historica. Legum sectio IV. Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. 8. Inde ab a. MCCCXLV usque ad a. MCCCXLVIII, hg. von Karl Zeumer und Richard Salomon, Hannover 1910–1926, Nr. 245, S. 293 (künftig zit.: MGH Const. 8); Belehnung des Abtes von Weißenburg mit Münze, Zoll sowie einer Burg am 24.11.1356: nostrum pre ceteris mundi principibus solium magnificencius erexit celestis providencia, vgl. MGH Const. 11 (wie Anm. 8), Nr. 835, S. 466. 21 Urkunde für Walram II. v. Luxemburg-Ligny vom 16.01.1348: Romanum regnum et imperium ceteris mundi potestatibus sublimius estimamus, vgl. MGH Const. 8, Nr. 690, S. 696. 22 Urkunde für die Wettiner vom 16.02.1350: Hac equidem consideratione laudanda imperialis potestatis monarchiam super omnes mundi reges et regna extollere censuit, vgl. Monumenta Germaniae Historica. Legum sectio IV. Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, Bd. 10: Dokumente zur Geschichte des Deutschen Reichs und seiner Verfassung 1350–1353, bearb. v. Margarete Kühn (MGH Const. 10), Weimar 1979–1991, Nr. 35, S. 25. 23 Michael Lindner, War das Medium schon die Botschaft? Mediale Form, Inhalt und Funktion mittelalterlicher Herrscherurkunden, in: Diplomatische Forschungen in Mitteldeutschland, hg. von Tom Graber (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde 12), Leipzig 2005, S. 11–29; Ders., Verstecken durch Zeigen. Die mittelalterliche Königsurkunde als Metaphernmaschine, in: Turbata per aequora mundi. Dankes gabe an Eckhard Müller-Mertens, hg. von Olaf B. Rader (MGH. Studien und Texte 29), Hannover 2001, S. 191–206; Peter Moraw, Grundzüge einer Kanzleigeschichte Karls IV., in: ZHF 12 (1985), S. 11–42, hier S. 11 f. 24 Im allegorischen Gedicht Der meide kranz heißt es über den Herrscher: des helt sin hant der werlde rich, vgl. Heinrich von Mügeln, Der meide kranz. A commentary, hg. von Annette Volfing (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 111), Tübingen 1997, V. 98; vgl. auch Hubert Herkommer, Kritik und Panegyrik. Zum literarischen Bild Karls IV. (1346–1378), in: Rheinische Vierteljahrsblätter 81 (1980), S. 68–116, hier S. 106 f.). Im sog. Alanus-Brief Johanns von Neumarkt an den Kaiser wird auch vom inuictissimus Cesar, mundi monarcha gesprochen, vgl. Piur, Briefe Johanns von Neumarkt (wie Anm. 7), Nr. 48, S. 79–83, hier S. 82. In der Nürnberger Frauenkirche wurde zu Gunsten des Kaisers als Verbreiter des Glaubens und Kämpfers gegen die Heiden gebetet, vgl. Martin Bauch, Divina favente clemencia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 36), Köln-Weimar-Wien 2015, S. 398, zu Gebeten für den Kaiser generell ebd., S. 99–102. 25 Zum schwierigen Propagandabegriff für das Spätmittelalter vgl. Birgit Studt, Geplante Öffentlichkeiten: Propaganda, in: Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter, hg. von Martin Kintzinger (VuF 75), Ostfildern 2011, S. 203–236, bes. S. 203–214; Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit (11.–16. Jahrhundert), hg. von Karel Hruza (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 6), Wien 2002. 26 Vgl. Heinrich von Herford, Liber de rebus memorabilioribus sive Chronicon, hg. von August Potthast, Göttingen 1859, S. 275; MGH Const. 8 (wie Anm. 20), Nr. 63–72, S. 90.
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Luxemburgers wurde noch über seinen Tod hinaus formuliert: Bischof Dietrich von Dorpat trauerte um den toten Herrscher als presidiatorem orbis27; Johann von Neumarkt verstieg sich zu der Aussage, der Tote habe alle Weltgegenden befriedet28. In der Leichenrede des Johann von Jenstein wurde behauptet, Karl IV. habe dem ganzen Erdkreis vorgestanden29. Diese Zuschreibungen fanden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch sichtbar an Karls Sarkophag in der Inschrift: Karolus augustus […] princeps mundique monarcha30. Dass wie beobachtet der universale Anspruch des Kaisertums vor allem gegenüber weit entfernten Korrespondenzpartnern und klar Untergeordneten sowie innerhalb des geschützten Bereichs von Kanzlei und Hof formuliert wurde, ist vermutlich bezeichnend für die strikte Ablehnung jeglicher auch nur symbolischer Hegemonieansprüche des Kaisertums durch die unmittelbaren Nachbarn. Dafür ist nicht nur der zu Beginn vorgestellte Zwischenfall mit dem polnischen Gesandten ein einschlägiger Beleg. Wohlbekannt ist auch, dass der französische König die Ausübung jeglicher zeremonieller Vorrechte des Kaisers bei Karls IV. Reise nach Paris 1377/78 unterband31. Nun hat Peter Moraw die postulierte karolinische Hegemonie kaum mit verbalen Herrschaftsansprüchen begründet und auch nicht mit Demonstrationen zeremoniellen Vorrangs. Allerdings muss überwiegend implizit erschlossen werden, was genau das »hegemoniale Königtum« Karls IV. – bei dieser Begrifflichkeit bleibt Moraw trotz erfolgter Kaiserkrönung 1355 – eigentlich ausmachte. Wichtige Elemente sind die unzweifelhafte Expansion der luxemburgischen Territorien, die Schaffung des Mittelpunkts Prag sowie die kostspielige Sohnesfolge auf dem römisch-deutschen Thron32. Damit im Zusammenhang steht das Wirken 27 Tadra, Summa Cancellariae (wie Anm. 7), Nr. 360, S. 207. 28 […] qui pro curacione pacis et comodi universorum Christifidelium tocius orbis climata tranquillabat, vgl.
Piur, Briefe Johanns von Neumarkt (wie Anm. 7), Nr. 49, S. 84.
29 Vgl. Řeč arcibiskupa Pražského Jana Očka z Vlašimi [Rede des Prager Erzbischofs Johann Očko von
Vlaším], in: Prameny Dějin Českých. T. 3, hg. von Josef Emler (Fontes rerum bohemicarum 3), Praha 1882, S. 423–432, hier S. 427. 30 Annales Veterocellenses, in: Annales aevi suevici, hg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 16), Hannover 1859, S. 41–47, hier S. 45 f. Anm. g. 31 Vgl. Claudia Garnier, Die Ordnung des Reiches. Kaiser und Reich zur Zeit der Goldenen Bulle, in: Die Goldene Bulle. Politik – Wahrnehmung – Rezeption, hg. von Ulrike Hohensee, Mathias Lawo, Michael Lindner und Olaf B. Rader (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berichte und Abhandlungen, Sonderbd. 12), Berlin 2009, hier Bd. 1, S. 169–195, hier S. 212 f.; Gerald Schwedler, Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen – Rituale – Wirkungen (Mittelalter-Forschungen 21), Ost fildern 2007, S. 365–367; Martin Kintzinger, Der weiße Reiter. Formen internationaler Politik im Spätmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 315–353. 32 Zu Moraws Beschreibung des hegemonialen Königtums Karls IV. vgl. die folgenden Zitate: »Das hegemoniale Königtum, das ein Königtum schrittweise geschaffener territorialer Tatsachen war«, so Moraw, Von offener Verfassung (wie Anm. 13), S. 248. – »[D]ie Grenze zwischen Domäne, Reichsgut, Erbländern und hegemonialem Bereich [verwischte,] […] man könnte von hegemonialer Einschmelzung sprechen«, ebd., S. 251. – »Ein Wesenszug des hegemonialen Königtums bestand darin, daß es ältere Ansätze zu reichstagsähnlichem Verhalten zunichte machte«, ebd., 249. – »Zum hegemonialen Königtum gehörte wenigstens im Ansatz das Bestreben, das oberdeutsche und das niederdeutsche Geldsystem am Hof zusammenzuführen. […] Solche für deutsche Verhältnisse recht erstaunlichen Querverbindungen waren Zeichen der äußersten Anstrengung hegemonialer Herrschaft«, ebd., S. 251. – »Wahl und gleich darauf folgende Krönung [Wenzels IV.] waren bedeutende Erfolge des Kaisers. Sie wurden gegen die Lebensinteressen aller größeren Mitspieler im Reich verwirklicht, gegen diejenigen des Papstes, der Kurfürsten und der rivalisierenden großenDynastien«, ebd., S. 253. Die Rolle Prags wird ausführlich charakterisiert in: Peter Moraw, Zur Mittelpunktfunktion Prags im Zeitalter Karls IV., in: Europa slavica – Europa orientalis. Festschrift für
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des Herrschers in königsnahe und -offene Landschaften hinein, wie es Moraw besonders am Beispiel der Urkundenvergabe, aber auch an der personellen Zusammensetzung der Kanzlei und des Hofes deutlich gemacht hat33. Immer wieder rekurriert er auf eine »französische Lösung«, die vor allem in den 1360er Jahren als Weiterentwicklung der Hegemonie der luxemburgischen Großdynastie denkbar gewesen sei34. Moraws Verzicht auf eine explizite Definition der karolinischen Hegemonie führt zweifellos zu einer gewissen Unschärfe im analytischen Gebrauch, subsummiert er doch darunter verschiedenste Zentralisierungs- und Vorherrschaftsbemühungen Karls IV. ausschließlich in politischer, territorialer und ökonomischer Hinsicht, die meist auf personengeschichtlicher Basis rekonstruiert werden. Dies ist auch stimmig, selbst wenn der Hegemonie-Begriff der politischen Theorie und der Internationalen Beziehungen eine politisch-militärische, kulturelle oder ökonomische Überlegenheit eines Staates beschreibt, und nicht die eines inner- oder überstaatlichen Protagonisten wie des römisch-deutschen Königs und Kaisers. Andere Akteure haben nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich gegenüber dem Hegemon zu behaupten35. Zumindest verbal korrespondiert dies durchaus mit dem, was die kaiserliche Kanzlei und der Hof bezüglich der Rolle des Imperiums und seiner universalen Sendung sowie in Bezug auf den Kaiser verlautbarten. Insofern wirkt Moraws »hegemoniales Königtum« unvollständig, wenn es die Ebene der Herrschaftsansprüche ausklammert. In Anlehnung an einen jüngeren Aufsatz von Karl-Heinz Spieß kann der Hegemoniebegriff noch weiterentwickelt werden. Spieß untersuchte am Beispiel der spätmittelalterlichen Pfalzgrafen bei Rhein deren Versuch, »hegemoniale Strukturen mit Hilfe der höfischen Repräsentation sichtbar [zu] machen«36. Dies geschieht ohne Rekurs auf das »hegemoniale Königtum«, und doch findet sich Peter Moraw auch hier37. Entscheidend ist an Spieß’ Beitrag aber, dass er den Hegemonie-Begriff u. a. auf die »weichen Faktoren« von Herrschaft hin erweitert: Repräsentation, Ritual, Kunst und Architektur. Eine deutlich weiter gefasste Definition von Hegemonie – »Zustand eines
Herbert Ludat zum 70. Geburtstag, hg. von Klaus-Detlev Grothusen und Klaus Zernack (Osteuropastudien der Hochschulen des Landes Hessen. Reihe 1. Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 100), Berlin 1980, S. 445–489, z. B. so: »Der hegemoniale Raum war ein Faktum der praktischen Politik, hingegen war er im Hinblick auf das Rechtsgefüge des Zeitalters eher verschleiert«, ebd., S. 465. Siehe auch Peter Moraw, Über den Hof Kaiser Karls IV., in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. von Dems. (VuF 48), Stuttgart 2002, S. 77–104, hier S. 92–95. 33 »Karls IV. Hof nun bietet [im Spätmittelalter] das Höchstmaß akkumulierter Anstrengung und akkumulierter Erfolge«, vgl. Moraw, Über den Hof (wie Anm. 32), S. 84. Zur Zusammensetzung der Kanzlei durch Patronage vgl. ebd., S. 88 f., zur Rolle, Zusammensetzung und regionalen Herkunft der Angehörigen des Rates ebd., S. 95–100. 34 Ebd., S. 87, 93, 97; Moraw, Von offener Verfassung (wie Anm. 13), S. 241. 35 Vgl. Otto Kallscheuer, Hegemonie, in: Lexikon der Politik, Bd. 1: Politische Theorien, hg. von Dieter Nohlen und Rainer-Olaf Schultze, München 1995, S. 174–180. 36 Karl-Heinz Spiess, Hegemonie und Repräsentation. Die Kurpfalz im späteren Mittelalter, in: Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?, hg. von Jörg Peltzer, Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter und Alfried Wieczorek, Regensburg 2013, S. 365–394, hier S. 367. 37 Und zwar etwas versteckt im Anmerkungsapparat: S. 367, Anm. 9 und S. 394, Anm. 110 in Bezug auf Peter Moraw, Die kurfürstliche Politik der Pfalzgrafschaft im Spätmittelalter, vornehmlich im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 9 (1983), S. 75–97.
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sozialen Systems, in dem ein oder mehrere Akteure eine dominante Stellung einnehmen«38 – eröffnet Untersuchungsmöglichkeiten auf Feldern, die für Peter Moraw eher nachrangig waren. In einem zweiten Teil soll also das Deutungsmuster »Hegemonie« auf die sakral fundierte Herrschaftspraxis Karls IV. angewendet werden. Dabei verweist der Autor immer wieder auf Befunde, die hier nur summarisch wiedergegeben werden, weil sie in seiner Dissertation oder anderen Veröffentlichungen ausführlich dargestellt worden sind39. Im Hinblick auf die sakralen Elemente der karolinischen Herrschaftspraxis ist festzustellen, dass sie sich dadurch auszeichnete, dass der Luxemburger systematisch, wenn auch kontrolliert und vorsichtig in den Bereich vorstieß, der kanonisch klar den Inhabern höherer Weihen vorbehalten war40. Hierbei ist natürlich nicht an Heilsvermittlung durch Sakramentenspende zu denken, sondern an Graubereiche, in denen Karl IV. priesterähnlich handelte und dadurch eine herausgehobene Stellung einnahm, die ihn zwischen Laien und Klerikern in einer eigentümlichen Zwischenstellung positionierte. Als erstes ist der von Hermann Heimpel so benannte Weihnachtsdienst zu nennen, das Singen der siebten Lectio der Weihnachtsmette durch den Kaiser41. Dieses in Basel am 25. Dezember 1347 erstmals praktizierte Ritual modifizierte eine zuvor in Avignon praktizierte Zeremonie ganz zugunsten des römisch-deutschen Herrschers: In Abwesenheit des Papstes übernahm der König/Kaiser eine liturgische Funktion und trug mindestens das Schwert als imperiales Herrschaftszeichen. Einiges spricht dafür, dass es Karl IV. erst mit der Kaiserkrönung wagen konnte, die (Reichs-)Krone beim Weihnachtsdienst auf dem Kopf zu behalten – was eine weitere symbolische Hervorhebung des Imperators bedeutet hätte42. Der Kommentar Konrads von Megenberg zum Weihnachtsdienst ist eindeutig: Legit ergo Karolus ewangelium non de iure, sed pocius de facto43. 38 Miloš Vec, Hegemonie, in: HRG² Bd. 2, Sp. 865 f., hier Sp. 865. 39 Nur selten wird in diesem Aufsatz Raum sein, auf die zahlreichen wertvollen Vorarbeiten und ähn-
lichen Untersuchungen von Kolleginnen und Kollegen hinzuweisen. Dies ist nicht als Missachtung von deren Arbeit und Überschätzung der eigenen Ergebnisse zu verstehen. An den Stellen der eigenen Arbeiten, auf die ich wiederholt verweise, wird die Leistung anderer angemessen und breit gewürdigt. 40 Vgl. komprimiert dazu auch Martin Bauch, Nicht heilig, aber auserwählt – Spezifik und Dynamik eines sakralen Herrschaftsstils Kaiser Karls IV., in: Sakralität und Devianz, hg. von Klaus Herbers und Larissa Düchting (Beiträge zur Hagiographie 16), Stuttgart 2015, S. 85–103. 41 Dazu immer noch grundlegend Hermann Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: DA 39 (1983), S. 131–206; zum Ritual in größerem Detail und mit weiteren möglichen Vorbildern Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 87–94. 42 Die Krone wird das erste Mal 1356 in Metz erwähnt. Es ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen, ob sie zuvor stillschweigend dem königlichen Ornat zugeordnet, aber nicht eigens erwähnt wurde. Die wertvolle Bemerkung Benesch von Weitmühls, dass der Weihnachtsdienst jährlich stattfand, erfolgte mit Bezug auf das Jahr 1373 leider so spät, dass sich daraus keine Annahmen für die 1350er Jahre treffen lassen: Ipso anno [1373] dominus imperator celebravit festum Nativitatis Domini in Praga, sed quia in pedibus paciebatur, evangelium: Exiit edictum etc. in apparatu imperiali, ut moris est, ipso die legere non potuit, vgl. Benesch von Weitmühl, Kronika Beneše z Weitmile, in: Prameny Dějin Českých. T. 4/1, hg. von Josef Emler (Fontes rerum bohemicarum 4/1), Praha 1882, S. 459–548, S. 548. Doch darf man dem Kommentar unterstellen, dass in apparatu imperiali sicher auch heißt, dass der Herrscher die Krone aufgesetzt hatte; wie auch das ut moris est ebenso für die regelmäßige Wiederholung des Rituals spricht wie seine relativ dichte Überlieferung in den Jahren 1356, 1368, 1373 und 1377, vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 91. 43 Konrad v. Megenberg, Ökonomik (Buch II), hg. von Sabine Krüger (MGH Staatsschriften 3/2), Stuttgart 1977, S. 85.
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Eine Erklärung für den Weihnachtsdienst ist im Umfeld der ersten Durchführung 1347 zu suchen, und nicht etwa in mutmaßlichen Abgrenzungen vom französischen König oder vom Papst während des Metzer Hoftages 1356, wie Peter Moraw und andere meinten44. Allerdings sollte nicht nur auf die unmittelbare Situation in Basel eingegangen werden: Über die Rechte des Elekten, im Rahmen der Kaiserkrönung in Rom more subdiacono tätig zu werden, wusste Karl IV. durch den ihm übersandten Ordo seit Mitte 1346 Bescheid45. Im Herrscherornat mit Insignien hatte der Luxemburger bereits im März 1347 in Trient am Palmsonntagsgottesdienst teilgenommen46. Diese Erfahrung mochte ein halbes Jahr später, gut zwei Monate nach dem Tod Ludwigs IV., den Luxemburger bestärkt haben, während der Weihnachtsmesse noch einen entscheidenden Schritt weiter zu gehen. Nur kurz zuvor, im November 1347, lässt sich zum ersten Mal eine königliche Goldbulle an einem Privileg nachweisen, die den Herrscher mit der gekreuzten priesterlichen Stola darstellte. Noch Ludwig der Bayer hatte damit bis zur Kaiserkrönung gewartet47. Dies spricht dafür, dass Karl im Lauf des Jahres nach einer sakral konnotierten Ausdrucksform seiner Präeminenz suchte, mit der er sich eine herausgehobene, quasi-priesterliche Position verschaffte, die ihn von allen anderen Monarchen abhob: Semi-sazerdotale Hegemonie, zeremoniell an Weihnachten umgesetzt und konstant über Siegelbilder transportiert. Ähnliche Beobachtungen sind beim Umgang des Luxemburgers mit den Reliquien der Heiligen zu machen: Karl IV. hat Heiltum nicht nur im großen Stil akquiriert, er berührte es eigenhändig und beschriftete reliquiare Objekte gelegentlich sogar mit seinem Namen48. Kirchenrechtlich waren nur Subdiakone oder Inhaber der höheren Weihen befugt, Reliquien mit ihren eigenen Händen zu berühren. Vielleicht existierte nach Konrad von Megenberg ein nicht überlieferter Dispens für den Laien Karl, analog zur dienenden Rolle des Kaisers more subdiacono während seiner Krönung49. Nicht in jedem Fall gelang dieser von Karl immer angestrebte direkte Zugriff, so hielt der französische König seinen kaiserlichen Onkel 1378 in 44 »Augustus regierte schon, als Christus geboren wurde; das Reich war älter als die Kirche. Das Reich
war nicht nur römisch und christlich, es war auch das Weltreich«, vgl. Moraw, Von offener Verfassung (wie Anm. 13), S. 149; ähnlich Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst (wie Anm. 43), S. 140, 159 f. und Achim-Thomas Hack, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 18), Köln-Weimar-Wien 1999, S. 567 f.). 45 Vgl. Codex diplomaticus dominii temporalis sancti s. sedis. Recueil de documents pour servir à l’histoire du gouvernement temporel des états du saint-siège. Tome second 1335–1389, Extraits des archives du Vatican, hg. von Augustin Theiner, Roma 1862, Nr. 291, S. 283 f. 46 Vgl. Chronicon Estense cum additamentis usque ad annum 1498, hg. von Giulio Bertoni und Emilio Paolo Vicini, [RIS², 15/3], Città di Castello 1908, S. 145. 47 Vgl. dazu vertiefend Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 83–85. 48 Vgl. zum Umgang des Herrschers mit Heiltum im Detail ebd., S. 233–239; zu Unterschriften des Luxemburgers auf dem Autographen des Markus-Evangeliums vgl. Martin Bauch, Et hec scripsi manu mea propria – Known and unknown autographs of Emperor Charles IV as testimony of self image and intellectualprofile, in: Ruling the script: formal aspects of written communication in the Middle Ages, hg. von Sébastien Barret, Dominique Stutzmann und Georg Vogeler (Utrecht Studies in Medieval Literacy), Turnhout 2016 [im Druck], S. 25–46. 49 Quamvis laicus teneatur sacra vasa revereri, ut ea nuda manu non tangat, sicut facit ad idem officium consecrates. Cum imperatoria tamen dignitate super huiusmodi modico poterit sedes apostolica ex speciali gracia dispensare, vgl. Konrad v. Megenberg, Ökonomik (wie Anm. 43), S. 84.
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Reims auf Abstand, als diesem lokales Heiltum überreicht wurde50. Tatsächlich deutet sich sogar ein Prärogativ an, was den Zugriff auf Reliquien mit der Anerkennung königlicher Herrschaft bzw. einer korrekten Krönung verband51. Außerdem fällt auf, dass Karl Reliquien im Reich kaum aus seinen Hausmachtterritorien, wohl aber aus den königsnahen und -offenen Landschaften wie Schwaben, dem Elsass und Franken heraus erlangte52. Nach den alten Erzstühlen im Westen des Reichs wie Mainz und Trier sowie Aachen in seiner besonderen Rolle für das römisch-deutsche Königtum waren die reichsunmittelbaren Kanonissenstifte und alten Benediktinerabteien des Südwestens einerseits besonders reich an alten Heiltümern, andererseits in meist sehr prekärer politischer und ökonomischer Verfassung und dem Zugriff des Herrschers damit leicht zugänglich. Außerdem machte Karl IV. imperiale Vorrechte geltend und achtete sehr genau darauf, dass der Zwangscharakter der Herausgabe von Reliquien nirgends offensichtlich wurde53. Verschlossen blieben dem reliquiensammelnden Luxemburger de facto die Domänen der konkurrierenden Großdynastien Wittelsbach und Habsburg (vgl. Karte 1), solange er von Angehörigen dieser Geschlechter keine unmittelbare Unterstützung erfuhr – insgesamt eine klare Parallele zur Praxis der Urkundenvergabe der luxemburgischen Kanzlei, wie von Peter Moraw untersucht54. Hegemonial konnte der Kaiser dort auftreten, wo sein Gegenüber schwach, hilfsbedürftig und ihm häufig bereits rechtlich untergeordnet war. Hier setzte er sich erfolgreich auch über die kirchenrechtlichen Beschränkung des eigenhändigen Umgangs mit Reliquien hinweg. Ähnlich wie beim Weihnachtsdienst wurde diese kontrollierte Grenzüberschreitung nie von klerikaler Seite moniert. Eine unmittelbare Einbindung des Herrschers und eine eigenhändige Weisung zumindest von Teilen der Reichsinsignien durch Karl IV. kann auch für die bekannte ostensio reliquiarum glaubhaft gemacht werden: Seit 1355 wurden hochrangigste Reliquien, darunter die Heilige Lanze, auf dem Viehmarkt der Prager Neustadt am Freitag nach Quasimodogeniti einem großen Publikum zugänglich gemacht. Eine detailgenaue Analyse von Schrift- und Bildquellen zur Prager Heiltumsweisung und parallelen Beispielen unter Beteiligung Karls IV. machen wahrscheinlich, dass der Kaiser im Fall seiner örtlichen Anwesenheit zumindest den reliquiaren Teil der Reichsinsignien – Schwert, Krone und zeremonielle Kleidung des Kaisers, die direkt mit dem als Heiligen verehrten Karl dem Großen assoziiert wurden – eigenhändig dem Publikum wies55. In der Person des das Heiltum nicht nur nach Prag bringenden, sondern dort sehr wahrscheinlich auch weisenden, auf jeden Fall im Zug der Ostension präsenten Imperators kulminierte die sakrale Tradition des Reiches. Eine stärkere Hervorhebung und damit auch
50 Vgl. Patrick Demouy, L’empereur Charles IV et les reliques de saint Nicaise, in: Annales de l’Est 32/2 (1980), S. 115–132, hier v. a. S. 129 f. 51 Vgl. Martin Bauch, Der Kaiser und die Stadtpatrone: Karl IV. und die Schutzheiligen der Städte im Reich, in: Städtische Kulte im Mittelalter, hg. von Susanne Ehrich und Jörg Oberste (Forum MittelalterStudien 6), Regensburg 2010, S. 169–188, hier S. 181–184. 52 Vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 198 f. 53 Vgl. zur Schwäche der Reliquiengeber, aber auch zu den geltend gemachten Ansprüchen des Kaisers sowie der peinlich genauen Vermeidung jedes Anscheins von (finanziellen) Gegenleistungen ebd., S. 200– 203, 265–267, 271 f. 54 Vgl. Moraw, Grundzüge einer Kanzleigeschichte (wie Anm. 23), S. 23–25. 55 Vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 365–378.
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implizite Überordnung des römisch-deutschen sowie böhmischen Königs in seiner imperialen Rolle ist kaum vorstellbar. Zu dieser Überblendung von Karl dem Großen und Karl IV. in einem spektakulären Zeremoniell wie der ostensio reliquiarum passt auch die Gesamtanlage der Prager Neustadt. Anders als ältere Interpretationen der Prager Stadterweiterung, die darin Anklänge an Jerusalem sehen wollten, hat der Autor vorgeschlagen, die Neustadt samt Vyšehrad als Nachbau des Reichs in seinen Patrozinien, Liturgien und Reliquien zu sehen56. Die ganz anders akzentuierte Mittelpunktfunktion Prags, die Peter Moraw konstatierte57, kann also auch unter dem Aspekt sakral konnotierter Herrschaftspraxis gesehen werden58. Hier ist zudem auf die Sakralisierung anderer Herrschaftszentren des Reichs und der luxemburgischen Lande zu verweisen, die sich vielfach durch eine kultische Rückbindung an Prag auszeichnete, etwa durch die Förderung des Wenzels- und Sigismundkultes, durch Reliquienschenkungen und architektonische Umgestaltung nach Prager Vorbild59. Im Kontext der Ostension begegnet auch ein weiterer Aspekt kontrollierter, ja sogar päpstlich legitimierter Grenzüberschreitung, den ein kaum beachteter Unterpunkt der Stiftungsbulle für das Lanzenfest von 1354 illustriert. Darin wurde neben dem Ablass für die Verehrung der Lanze jedem Teilnehmer einer Messe oder von Stundengebeten in Gegenwart des Königs ein Ablass von 100 Tagen zusätzlich in Aussicht gestellt. 1364 gewährte Urban V. dem Kaiser auf dessen Supplik hin eine noch weitergehende Vergünstigung. Allen Teilnehmern feierlicher Messen mit Predigt und Evangelienlesung in Präsenz des Herrschers wurde ein Ablass von 100 Tagen gewährt60.
56 Vgl. ebd., S. 383. Zoë Opačić ergänzt wertvolle Aspekte, in dem sie auf das Rom-bezogene Patrozi-
nium von Mariä Schnee in der Neustadt verweist, andererseits die architektonischen Bezüge der Kirche zur Sainte-Chapelle unterstreicht, vgl. Zoë Opačić, The Sacred Topography of Medieval Prague, in: Sacred Sites and Holy Places. Exploring the Sacralization of Landscape through Time and Space, hg. von Sæbjørg Walaker Nordeide und Stefan Brink (Studies in the Early Middle Ages 11), Turnhout 2013, S. 253–281, hier S. 261. Die Interpretation des Vyšehrads als Prager Pendant des Vatikanhügels unterstreicht erneut Petr Kubín, Vyšehrad: la Roma boema, in: Roma – Praga. Praha – Řím. Omaggio a Zdeňka Hledíková, hg. von Kateřína Bobková-Valentová, Eva Doležalová, Eva Chodějovská, Zdeněk Hojda und Martin Svatoš (Bollettino dell’Istituto Storico Cecco di Roma. Supplemento 2008), Praha 2009, S. 49–55. Zu St. Apollinaris ist darüber hinaus zu ergänzen, dass die Kollegiatskirche in ihrem Patrozinium auf Ravenna verwies, waren doch Reliquien des dortigen Bischof gleichen Namens im Besitz der Prager Kathedralkirche; über ihre konkrete Verwendung ist allerdings nichts bekannt, vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 606, Rel.-Nr. 59. 57 Moraw, Zur Mittelpunktfunktion Prags (wie Anm. 32), passim. 58 Das Überblenden, ja die Ineinssetzung von Reich und Kaiser sah ja auch Moraw – wenn auch im Bezug zur Goldenen Bulle – als wesentlich für das hegemoniale Königtum an, vgl. Moraw, Von offener Verfassung (wie Anm. 13), S. 249. 59 Vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 396–429; Ders., Einbinden, belohnen, stärken. Über echte und vermeintliche Reliquienschenkungen Karls IV., in: Soziale Bindungen und gesellschaftliche Strukturen im späten Mittelalter (14.–16. Jahrhundert). Tagungsband der 3. interdisziplinären deutsch-tschechischen Austauschtagung, hg. von Hubertus Seibert und Eva Schlotheuber (Veröffent lichungen des Collegium Carolinum 132), Göttingen-Bristol/Conn. 2013, S. 79–111. 60 Vgl. im Detail Bauch, Nicht heilig, aber auserwählt (wie Anm. 40), S. 94–96 und Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 94–97.
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Zentral für die Frage, ob all dieses Herrscherhandeln in einem sakralen Kontext als hege moniales Bestreben des Luxemburgers klassifiziert werden kann, ist die Frage nach der Reaktion der Zeitgenossen. Dabei geht es weniger um die Bewertung durch Chronisten oder den Erfolg der Förderung einzelner Heiligenkulte bei den Gläubigen61. Entscheidend ist, ob die Gruppen, die am ehesten hegemoniale Ambitionen des Reichsoberhaupts als störend, ja als Angriff hätten empfinden können – also der hohe Adel in Böhmen und die Kurfürsten sowie die konkurrierenden Großdynastien Habsburg und Wittelsbach – auf das Handeln des Kaisers reagierten. Tatsächlich lassen sich solche Reaktionen finden: Für die südböhmischen Magnaten aus der Familie der Rosenberger etwa ist bekannt, dass sie eine Urkunde von 1354 vorwiesen, die eine größere Reliquienschenkung von Karl IV. dokumentiert. In der Konsequenz etablierte sich eine Heiltumsweisung im Hauptort der Rosenberger, Český Krumlov, die Ende des 14. Jahrhunderts ausgesprochen erfolgreich war. Diese Weisung, deren Ursprünge noch in der Lebenszeit Karls IV. liegen, folgte bis ins Detail dem Prager Vorbild.62 Die Schenkungsurkunde ist hingegen mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Fälschung, die nach dem Tod des Kaisers angefertigt wurde63. Das Musterbeispiel für Reaktion aus dem Kreis der Reichsfürsten ist wenig überraschend mit dem Habsburger Rudolf IV. verbunden, dem immer wieder eine Imitation seines kaiserlichen Schwiegervaters zugeschrieben wurde64. Dieses allzu einfache Deutungsmuster wurde jüngst und wiederholt mit überzeugenden Argumenten von Lukas Wolfinger in Frage gestellt65. Festzuhalten bleibt aber doch, dass Rudolf, der 1353 noch als Jugendlicher seinen Schwiegervater auf einer vor allem auf Reliquienerwerb fokussierten Reise durch das Reich begleitete, in den Jahren 1357/58 massive Anstrengungen unternahm, in St. Stephan in Wien einen dem karolinischen vergleichbaren Heiltumsschatz zusammenzutragen. Dazu besorgte er sich explizit Reliquien der gleichen Heiligen aus denselben elsässischen Klöstern, die 1353 schon von Karl heimgesucht worden waren66. Und vor diesem Hintergrund wird ein scharfer Brief des Kaisers an die zuständigen Bischöfe von Straßburg und Konstanz, aber auch an den Mainzer Metropoliten verständlich. Darin beklagt der Luxemburger augenscheinlich die laxe
61 Ebd., S. 436–440. 62 Vgl. Opačić, Sacred topography (wie Anm. 56), S. 274 f.; Kateřína Horníčková, In Heaven and on
Earth. Church Treasures in Late Medieval Bohemia, Dissertation. Department of Medieval Studies. Central European University, Budapest 2009, S. 127–132. 63 Vgl. Bauch, Einbinden – belohnen – stärken (wie Anm. 59), S. 103–108. 64 Vgl. stellvertretend auch für neuere Publikationen Rupert Feuchtmüller, Die »Imitatio« Karls IV. in den Stiftungen der Habsburger, in: Seibt, Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen (wie Anm. 8), S. 378–386. 65 Vgl. Lukas Wolfinger, Die Stephanskirche zu Wien als Bühne und Medium fürstlicher Selbstdarstellung unter Herzog Rudolf IV. von Österreich (1358–1365), in: Ecclesia als Kommunikationsraum in Mittel europa (13.–16. Jahrhundert), hg. von Eva Doležalová, München 2011, S. 119–145; Lukas Wolfinger, Fürst und Ablass. Zu Heilsvermittlung und Heilsfürsorge als Faktoren herrschaftlicher Bindung im Spätmittelalter, in: Soziale Bindungen, hg. von Seibert/Schlotheuber (wie Anm. 59), S. 79–111; vor allem ist aber auf die erscheinende Dissertation zu verweisen: Lukas Wolfinger, Die Herrschaftsinszenierung Rudolfs IV. von Österreich (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne 4), Köln 2016. 66 Vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 442–446.
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Disziplin in namentlich genannten Damenstiften wie Erstein, Andlau und Hohenburg, deren Äbtissinnen an den Höfen anderer Fürsten tanzen würden67. Zeitlich überschneidet sich diese scheinbar fromme Sorge des Herrschers mit dem tatsächlichen Treffen Rudolfs IV. und der genannten Äbtissinnen in Breisach, wo sie ihm die gewünschten Reliquien überreichten. Karl ging es also keineswegs um monastische Disziplin, sondern um die hegemoniale Stellung seines Reliquienschatzes und die indirekte Bekämpfung der Ambitionen seines Schwiegersohnes. Der Erfolg von Karls Intervention ist ungewiss, wuchs der Wiener Schatz doch in den nächsten Jahren weiter. In den 1360ern, vor allem nach dem Tod des Habsburgers, ist auf direktere Maßnahmen zu verweisen, die mindestens auf Veranlassung des Luxemburgers die sakrale Hebung Wiens rückgängig machen sollten68. Wie Peter Moraw es mit anderem Bezug formulierte: »Auch im Reich gelang die Kontrolle der Kurfürsten und Fürsten offenbar nur mit einem Höchstmaß persönlicher Anstrengung und Autoritätsausübung des König-Kaisers«69. Ein besseres Beispiel für erfolgreich geübte Hegemonie im Bereich sakraler Herrschaftspraxis als der Habsburger waren die die Herzöge von Sachsen-Wittenberg, die politisch lange im Kielwasser des Kaisers fuhren und auch im sakralen Bereich davon profitierten: Die Grundlagen der Wittenberger Schlosskapelle, und des zugehörigen, noch recht bescheidenen Reliquienschatzes wurde in der Zeit Karls IV. gelegt70. Ein wesentlicher Teil des Heiltums, im Einzelfall auch der Reliquiare stammte wohl aus Prag, wie der Autor an anderer Stelle zu zeigen versucht hat71. Zugleich ist festzustellen, dass es in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an vielen wichtigen Fürstenhöfen im Reich zur Gründung von Kollegiatstiften samt zugehöriger Heiltumssammlung kam72. Dies als Reflex auf die karolinische Herrschaftspraxis zu interpretieren, muss aber jenseits der Beispiele Wien und Wittenberg noch handfest gemacht werden. Und doch könnten die Beobachtungen Moraws über die Anwesenheit »hegemonial gebundener«, aber auch unabhängiger Reichs- und Kurfürsten – ausdrücklich die Askanier, die Pfalzgrafen, Habsburger und Wittelsbacher nennend – als Besucher, ja sogar in eigenen Niederlassungen in Prag in diesem Kontext wichtig sein73. 67 Vgl. RI 8 (wie Anm. 8), Nr. 2777, S. 227; ähnliche Schreiben im März 1359 an das Domkapitel von Konstanz (vgl. ebd., Nr. 2919) und den Erzbischof von Mainz (vgl. ebd., Nr. 2920). 68 Vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 445. 69 Moraw, Von offener Verfassung (wie Anm. 13), S. 241. 70 Vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 441 f. 71 Vgl. Bauch, Einbinden – belohnen – stärken (wie Anm. 59), S. 93–97. 72 Vgl. Carola Fey, Ablässe und Reliquien. Fürstliche Förderung des religiösen Lebens in Kirchen und Kapellen, in: Adel und Bauern in der Gesellschaft des Mittelalters. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von Werner Rösener, hg. von Ders. und Steffen Krieb, Korb 2012, S. 203–222; Dies., Beobachtungen zu Reliquienschätzen deutscher Fürsten im Spätmittelalter, in: »Ich armer sundiger mensch«. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hg. von Andreas Tacke, Göttingen 2006, S. 11–36; Dies., Reliquien, in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, 4 Tle. in 7 Bden., bearbeitet von Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer, Teil 4 auch bearb. von Anna Paulina Orlowska (Residenzenforschung 15), Ostfildern 2003– 2012, hier Tl. 2, Teilbd. 1: Begriffe, hg. von Werner Paravicini, Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer (Residenzenforschung, 15/2,1), Stuttgart 2005, S. 355–358; ein knapper Überblick auch bei Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 440 f. 73 Vgl. Moraw, Zur Mittelpunktfunktion Prags (wie Anm. 32), S. 460–468, Zitat S. 463. An anderer Stelle hat Moraw die enge Verknüpfung von habsburgischer und luxemburgischer Herrschaft betont, die die Suche nach gegenseitig inspiriertem Herrscherhandeln angezeigt erscheinen lasse, vgl. Peter Moraw,
Hegemoniales Königtum jenseits von Politik- und Verfassungsgeschichte 109
Im Resümee ist festzuhalten, dass sich in der sakralen Herrschaftspraxis Karls IV. zahlreiche Aspekte finden lassen, die auf eine religiös-symbolische Überordnung des Kaisers abzielten und die ihn deutlich auch von höchsten Reichsfürsten und den Angehörigen der konkurrierenden Großdynastien abheben sollten. Die anachronistisch, ja haltlos anmutenden Äußerungen der Kanzlei und des Hofs über die universale Rolle des Kaisers finden hier also eine gelegentlich auch performativ umgesetzte Entsprechung. Man wird darin durchaus eine Sichtbarmachung hegemonialer Strukturen im Sinne von Spieß sehen können, oder vorsichtiger zumindest den Versuch erkennen, eine solche Hegemonie auf sakralem Gebiet zu etablieren. Dass die sakral fundierte Herrschaftspraxis des Kaisers für die hochadelige Führungsschicht attraktiv und bedrohlich zugleich war, legen die Reaktionen der Reichsfürsten nahe, die hier nur angedeutet werden konnten und die auch weiterer Erforschung bedürfen. Nun hat Peter Moraw wiederholt betont, dass das von ihm so genannte »hegemoniale Königtum« seinen Höhepunkt, ja seine eigentliche Ausprägung vor allem in den Jahren um 1360 erfahren habe.74 Präziser wird er kaum, und die Aufgabe, eine genaue Chronologie hegemonialer Ambitionen des Kaisers zu entwerfen, steht für die von Moraw bearbeiteten Felder – mit Ausnahme der Kanzlei – noch aus. Der Autor hat hingegen die Dynamik der s akralen Herrschaftspraxis Karl IV. betont und verschiedene Entwicklungsstufen herausgearbeitet, wobei die Jahre 1347, 1350 und die Kaiserkrönung 1355 zentrale Etappen darstellten.75 Ergebnis dieser Weiterentwicklung war übrigens, dass das »französische Modell« sakralmonarchischer Herrschaftspraxis schon ab 1347 überwunden wurde und sich bis spätestens 1355 eine spezifisch imperial-karolinische Ausprägung herauskristallisierte. Ob also das Referenzmodell Frankreich, auf das Moraw als quasi natürlicher Endpunkt des hegemonialen Königtums (s. o.) immer wieder zu sprechen kommt, die einzig denkbare Möglichkeit ist, sei dahingestellt: »Die engere karolinische Hofkultur war exklusiv-inselhaft und ohne Nachwirkung.«76 Dieses Diktum Peter Moraws ist angesichts der obigen Befunde nicht nur für die Kunstgeschichte mit dem »imperialen Stil« (J. Fajt)77 fragwürdig geworden.
Vom Raumgefüge einer spätmittelalterlichen Königsherrschaft. Karl IV. im nordalpinen Reich, in: Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Historica, hg. von Michael Lindner, Eckhard Müller-Mertens und Olaf B. Rader (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berichte und Abhandlungen Sonderbd. 2), Berlin 1997, S. 61–81. 74 Vgl. Moraw, Von offener Verfassung (wie Anm. 13), S. 241. 75 Vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 473–475. Ganz anders in der Wertung und vielleicht in der Sache auch übers Ziel hinausschießend: »Karl IV. wankte konzeptionell eher in seine Zukunft hinein, als einer Vision zu folgen«, vgl. Michael Menzel, Die Zeit der Entwürfe 1273–1347 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 7a), Stuttgart 2012, S. 286. Aber ist es nicht zu viel erwartet – auch von anderen römisch-deutschen Herrschern des 14. Jahrhunderts –, von Beginn einer Herrschaft an »Konzepte« und »Visionen« zu verlangen? 76 Moraw, Von offener Verfassung [wie Anm. 13], S. 247. 77 Vgl. u. a. Jiří Fajt, Was ist karolinisch an der Hofkunst Karls IV.?, in: Die Goldene Bulle, hg. von Hohensee u. a., Bd. 1 (wie Anm. 31), S. 349–368.
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Nach wie vor überzeugend bleibt, dass auch der sakrale Teilaspekt karolinischer »Hegemonie« stark auf die Person des Monarchen zugeschnitten war, wie der weitgehende Traditionsabbruch in der Zeit Wenzels IV. und das nur zögerliche Wiederaufgreifen von Einzelelementen in der Zeit Sigismunds zeigt78. Das Fundament des hegemonialen König- und Kaisertums – die vom Herrscher geprägte und auch sakral umgeformte Stadt Prag und die starken ostluxemburgischen Hausmachtterritorien – zerbrach spätestens mit den Wirren der Hussitenkriege. Dies gilt nicht weniger für die ostensio reliquiarum, den Weihnachtsdienst, den aktiven Umgang des Herrschers mit Reliquien, die beziehungsreiche Sakraltopographie der Prager Städte. Ob allerdings gerade mit den Kollegiatstiften und Heiltumsweisungen in den sich ausbildenden Residenzen der Reichsfürsten ein Element karolinischer »Hegemonie« in den Verdichtungsprozess des 15. Jahrhunderts gerettet werden konnte, wäre weitere Untersuchungen wert.
78 Vgl. Bauch, Divina favente clemencia (wie Anm. 24), S. 42–44, 478 f.
Karte 1 Karte Mitteleuropas mit den Herkunftsorten der von Karl IV. zusammengetragenen Reliquien. Die Größe der roten Kreise korrespondiert mit der Zahl der dem jeweiligen Ort entstammenden Reliquien. Die Einfärbung der Territorien entspricht nur annähernd den häufig wechselnden Herrschaftsverhältnissen und dient nur der groben Orientierung (Karte basierend auf einer Vorlage aus Wikimedia-Commons, CC BY-SA 3.0; Bearbeitung: Martin Bauch)