Hausarbeit
Crowdsourcing/Crowdfunding als Chance für die Touristik Angefertigt an der Hochschule Harz Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Studiengang Tourismus Management
Vorgelegt von:
Angefertigt bei:
Daniel Koblischke
Herr Volker Böttcher
6. Fachsemester Matrikel-Nr.: 21067
Berufsfeldorientierung Touristikmanagement Lehrveranstaltung Veranstaltermanagement II
Friedrichstr. 57-59 WH3, 310 38855 Wernigerode
Kontakt:
[email protected]
Eingereicht am: 21.06.2016
Sommersemester 2016
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2
2 Hauptteil
2.1
Crowdfunding
4
2.1.1 Anwendungsfelder, Stakeholder und Beispiele
6
2.1.2 Risiken und Chancen
9
2.1.3 Weitere Anwendungsfelder Touristik
13
2.2
14
Crowdsourcing
2.2.1 Anwendungsfelder, Stakeholder und Beispiele
15
2.2.2 Risiken und Chancen
16
3 Fazit/Ausblick
17
Literaturverzeichnis
18
Abbildungsverzeichnis
19
Eigenständigkeitserklärung
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Einleitung Crowdfunding ist keinesfalls eine moderne Erfindung, vielmehr das zweckdienliche Resultat der Überlegungen von Herrn Josef Pulizter, der in seiner Zeitung „The New York World“ von 1885 die städtische Bevölkerung dazu aufrief Spenden jeglicher Höhe zusammenzutragen, um somit den Sockel für die Freiheitsstatue errichten zu können. Die Spender wurden namentlich in der Zeitung genannt, womit Transparenz und Wertschätzung gegenüber der Öffentlichkeit garantiert wurden (vgl. www.crowdfunding.de). Der Rest ist Geschichte. In den vergangenen 131 Jahren hat die Menschheit viele Entwicklungsstufen durchlaufen, das Industriezeitalter hinter sich gebracht und das Internet geschaffen; Letzteres ist für diese Hausarbeit unerlässlich, da mit dessen Hilfe und durch es das Thema und dessen Bearbeitung ermöglicht werden. Global betrachtet hat das Internet zu intensivem Austausch von Ideen, Gütern und Dienstleistungen angeregt, den Transformationsprozess einer Industriegesellschaft hin zu einer Informationsgesellschaft beflügelt und geografisch große Distanzen durch wenige Flugstunden reduziert. Viele für uns heute als selbstverständlich geltenden Dinge wie Smartfones, Suchmaschinen wie bspw. Google oder die nächste Urlaubsreise in einem CO2-ausgeglichenen EcoResort mit Zug zum Flug, 5-Sterne-Rundumsorglos-Paket und All Inclusive mit internationaler Küche und WiFi am Strand auf Madagaskar wären ohne Internet nicht denkbar gewesen. Menschen, die im digitalen Zeitalter aufwachsen, haben i.d.R. eine andere Selbstwahrnehmung und Bewertung von digitalen Vorgängen und Entwicklungen, da sie Zusammenhänge intuitiv aufnehmen und sich der „Online Crowd“ von Beginn an verbunden fühlen. Wird der „social“ Gedanke um die ökonomische Dimension erweitert, entstehen hier Synergieeffekte und Finanzierungsfragen, die sich nicht mehr zwangsläufig an der klassischen, kreditgedeckten Kapitalbeschaffung orientieren können oder wollen. Der Begriff der Sharing Economy findet von Nachfrager- als auch von Anbieterseite her immer mehr Für-Redner. An dieser Stelle gilt es, das Potenzial des Crowdfunding und Crowdsourcing für die Touristik herauszustellen. Generell ist eine der Kernproblematiken der Branche, dass sie einen sehr hohen anlagefinanzierungsbedingten Kapitalbedarf haben wie bspw. für Flugzeug- und Hotelfinanzierungen und auch im Bereich Crowdsourcing bietet die Touristik heute schon viele Möglichkeiten der Implementierung entsprechender Aktivitäten.
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Ziel dieser Hausarbeit ist es, den aktuellen, wissenschaftlichen Forschungsstand darzulegen, die Chancen beider Geschäftsfelder zu erörtern und gleichzeitig deren Risiken herauszustellen. Hierbei dienen klassische Risiken-Chancen-Analysen und Gegenüberstellungen als Vergleichsmethode, wobei der Schwerpunkt auf den sich ergebenden Möglichkeiten und Chancen für die Tourismusbranche und ihrer Stakeholder durch Crowdsourcing und Crowdfunding liegt. Eine begriffliche und inhaltliche Abgrenzung beider Begriffe ist zu Beginn des jeweiligen Kapitels gegeben, sodass ein Basisverständnis gewährleistet wird. Zum Ende dieser Hausarbeit soll der Leser einen Überblick über die aktuelle Lage von Crowdfunding und Crowdsourcing sowie einen Überblick der Chancen für die Touristik erhalten.
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2.1 Crowdfunding Der Begriff des Crowdfunding ist weltweit nicht abschließend und eindeutig festgelegt, was eine einheitliche Definition erschwert. Allgemein kann es als Subtyp des Crowdsourcing (dt. „Schwarm-Beschaffung“) verstanden werden und wird im Crowdfunding Industry Report 2012 (www.crowdsourcing.org) in vier Merkmalsausprägungen unterschieden (in Anlehnung an Sixt.E, Schwarmökonomie und Crowdfunding, 2014, S. 56-57): Equity-based crowdfunding:
Investoren erhalten für ihren Beitrag am CrowdfundingProjekt
eine
Eigenkapital
finanzielle oder
eine
Beteiligung
am
Gewinnbeteiligung.
Synonym: Crowdinvesting Lending-based crowdfunding:
Kreditgeber erheben Zinssatz, der über den üblichen Bankenzinssätzen liegt, jedoch den seitens Kreditnehmern geforderten Überziehungszins nicht übersteigt. Soz. ein Kurzfristkredit unter Ausschaltung klassischer Bankenbeteiligung von Privatpersonen(gruppen) zu Privatpersonen
Reward-based crowdfunding:
Förderer bzw. Unterstützer erhalten materielle Gegenleistung, die in monetärem und/oder ideellem Wert variieren kann
Donation-based crowdfunding:
Spender gewährt finanzielle Unterstützung ohne Erwartung einer Gegenleistung (hauptsächlich im sozialen Bereich, Nonprofit-Orientierung)
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Mittlerweile werden mehr als 7 Subtypen des Crowdfundings unterschieden und Hybridformen entstehen. Das spiegelt den alternativen, dynamischen Charakter dieser neuen Finanzierungsform wieder – der entgegen klassischer Finanzierungswege vermehrt auf Social Media und Web 2.0 d.h. Interaktion zwischen Informationsproduzent und Informationskonsument setzt, somit auch eine Neuordnung der Rollenverteilung ermöglicht. Dies ist ein Charaktermerkmal des Crowdfunding und gleichzeitig Erfolgskriterium für die Idee des Kollektivs. Das Internet wird dabei als sowohl unkompliziertes Kommunikationsmittel als auch Multiplikator genutzt. Alte Top-Down-Hierarchien, wie sie in Banken zu finden sind, reagieren bereits auf den Trend und mischen Angebote unter die entsprechenden Online-Plattformen. Eine leichte Konsolidierung der bis 2012 über 450 existenten und aktiven Crowdfunding Plattformen hin zu bekannteren Vertretern wie Kickstarter (USA), Indigogo (USA) oder EcoCrowd (DE) ist zu beobachten, jedoch verzeichnet die Branche ein konstantes Wachstum. So wurden 2011 in den USA über 532.000 und in Europa über 650.000 Kampagnen erfolgreich durchgeführt. Erfolgreich dabei heißt, dass das Kampagnenziel erreicht wurde, nicht jedoch, ob das Unternehmen / Projekt danach weiterhin erfolgreich war bzw. heute noch existiert. In der weiteren Betrachtung nutze ich den Begriff des Crowdfunding verallgemeinernd, ohne bei jedem Beispiel auf die detailgetreue Definition einzugehen. Das Augenmerk soll auf der Idee liegen, über eine große Masse von Unterstützern eine Idee mit vielen kleinen Micropayments (dt. Mikro-Zahlungen, Zahlungen unter 20 EUR) zur Realisierung zu bringen.
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2.1.1 Anwendungsfelder, Stakeholder und Beispiele Der große Vorteil des Crowdfundings liegt in dessen Struktur und Organisation – klassische Finanzierungsmodelle über Kredite und Mischbeteiligungen bleiben bei dieser Betrachtung weitestgehend unbeachtet. Entlang der kompletten touristischen Wertschöpfungskette kann mit diesem dynamischen, partizipativen Finanzierungsweg gearbeitet werden, da jeder teilnehmen kann. Die Vorreiter-Crowdfundingplatform Kickstarter veröffentlicht in ihren Statistiken, dass seit Gründung bereits über 2,4 Billionen US Dollar an Förderbeiträgen bei ca. 107.539 erfolgreich finanzierten Projekten aufgebracht wurden und auch die Entwicklung in Deutschland (Abb. 1) verläuft exponentiell positiv, wenn man die eingesammelten Fördergelder betrachtet. Dieser Trend ist vor allem in den USA und Europa zu erkennen, wie der CFI 2012 in Abb. 2 ersichtlich macht. Klassischerweise sind die Beteiligten einer Crowdfundingaktion der Projektinitiator (Einzelperson oder Personenzusammenschluss), die Plattform als provisionierter Mittler und die Crowd bzw. die Projektförderer. In Sonderfällen wie beim Crowdinvesting in Immobilien sind oft Banken und Finanzinstitute involviert. Über dessen Relevanz berichtet www.crowdfunding.net: „Bei der Finanzierung von Immobilienprojekten erwarten Banken, dass das Projekt mit mindestens 20% Eigenkapital ausgestattet ist. Crowdinvesting bieten den Projektentwicklern die Möglichkeit über die Crowd – per Nachrangdarlehen – sogenanntes Mezzanine-Kapital einzuwerben. Dies stellt eine Mischform aus Eigenkapital und Fremdkapital dar. Aus Sicht der Bank zählt das Crowdkapital zum Eigenkapital und bedeutet damit eine zusätzliche Sicherheit, da ihre Forderungen Vorrang vor den Forderungen der Crowdinvestoren haben.” Dass die Touristik eine anlageintensive Branche ist, wurde bereits dargestellt. Nun gilt es die touristisch relevanten Bereiche zu identifizieren, die vom Crowdfunding profitieren. Hierzu gibt Abbildung 3 eine relativ repräsentative Aussage, nämlich dass der Großteil (62.185) der erfolgreich finanzierten Projekte via Kickstarter zum einen im Bereich zwischen 1 – 9.999 US Dollar und zum anderen in den Kategorien „Film“, „Video“ und „Musik“ ergo im Kreativbereich gemessen an der Projektanzahl liegt. Dieses Kreative Potenzial, welches zwischen Crowd und Ideengeber steckt, ist bedeutend im Hinblick auf touristische
Produkte
mit
Augenmerk
auf -6-
Crowdfunding
sowie
-sourcing.
Laut Ben West sei es 2015 dem Luxusresort Weissenhaus bei Hamburg gelungen, über 6,3 Mio. EUR von über 1400 Geldgebern für einen Erweiterungsbau einzusammeln (vgl. Ben West, www.travelnew.ch). Ähnliche Meldungen häufen sich seit wenigen Jahren. Darüber hinaus seien sich Experten sicher, dass gerade Boutique-Hotels und kleiner Bauten mit Charme und verschiedenen Themenschwerpunkten bei der Crowd im Trend liegen, da viele reiseerfahrene Menschen ebendiese Produkte wertschätzen und fördern würden; zumal die Hotellerie im allgemeinen zwar Produktdesign und -diversifikation sowie -variationen vorantreibt, sich jedoch immer im Massengeschäft befindet und auf ein Produkt baut, das ein möglichst breites Spektrum von Nachfragergruppen bedient. Individualisierung findet nur oberflächlich statt – die Chance für Crowdfunding, denn dabei wirken Nachfrager aktiv – entweder durch Mitentscheiden während des Schaffensprozesses oder durch monetäres Unterstützen spezieller Projekte ohne Gestaltungsspielraum – mit, was positive Wirkungen haben kann, denkt man beispielsweise an Faktoren wie Loyalität und andere Psychologische Aspekte wie Selbstverwirklichung oder das Streben nach Kollektiverfahrungen etc. Im Bereich der Reiseveranstalter hat sich parallel zum Modell des Crowdfunding in den letzten 5 Jahren eine neue Gründerszene etabliert: Reise Start-Ups die über beispielsweise EcoCrowd – ein Projekt der Deutschen Umweltstiftung für nachhaltige Crowdfunding Projektideen – treten an die Öffentlichkeit mit vielen Ideen, die man bei etablierten Reiseveranstaltern mitunter vergeblich sucht. Hier öffnet und bereitet sich ein neuer Teilmarkt auf eine neue Gruppe von „grünen“ Nachfragern vor. Alternative Reiseangebote mit außergewöhnlichem Programm oder Themenreisen wie Yoga-Reisen mit möglichst geringen Umweltfolgeschäden finden durch Trichter- oder Filtersysteme wie Crowdfunding Plattformen die passenden Nachfrager, die gleichzeitig und im besten Fall auch Projektförderer werden. So kann ich von einer persönlichen Reiseerfahrung aus genau diesem Segment berichten:
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Aufmerksam auf die sog. EcoVentureCamps Andalusien wurde ich über die App für Mobiltelefone der „EcoCrowd“, wo 2015 noch wenige Tausend Euro gesammelt wurden, um in den andalusischen Bergen ein Basiscamp mit Kochstelle unter freiem Himmel zu bauen. Neben Wildnis Camping, täglichem Yoga, Tagestouren mit Pferden, Kletterausflügen mit Einheimischen, Quellwasser und ohne Elektrizität wurde hier eine einzigartige Erfahrung für eine kleine, heterogene Reisegruppe, die nach Re-Orientierung und ReNaturalisierung sucht, geschaffen. An dieser Stelle wird deutlich, dass unterschiedliche Zielabsichten von etablierten Touristikkonzernen wie TUI, Thomas Cook oder DER Touristik nicht diese „neue“ Art der Nachfrage bedienen können bzw. wollen, da diese vom Massengeschäft der Pauschalreise leben und entsprechende Nachfrage bedienen müssen. Aus der Menge der neu entstehenden touristischen Kleinanbieter mit oft nur einem bis wenigen Produkten kann sich unter positiven Wachstumsumständen eine Masse derer etablieren, die wiederum für etablierte Veranstalter ab einer gewissen Marktabdeckung und/oder –Bedeutung (Stichwort: Trendforschung) interessant ist. Somit kann die neue Gründerszene als Vorreiter für alternative, kreative und neue Reisekonzepte dienen, was in diesem Sinne einer kostenlosen Zuarbeit gegenüber der etablierten Reiseanbieter bzw. der gesamten Reiseanbieterbranche entspricht.
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2.1.2 Risiken und Chancen Risiken: In diesem Kapitel werden etwaige Risiken verbunden mit Crowdfunding identifiziert, da jede Finanzierungsfrage mit Ausfallrisiken und sonstigen Risiken verbunden ist. Jedes Crowdfunding Projekt startet entweder mit einem Zeit Ziel, bei dem ein fixes Datum in der Zukunft das Ende der Beteiligungsaktion bestimmt oder einem Geld Ziel, nach Erreichen dessen das Projekt umgesetzt wird. Mitunter wird letzteres auch dynamisch gestaltet, indem Projektteilschritte an Finanzierungsplateaus gekoppelt werden, somit Teilentwicklungen angestoßen werden noch bevor das finale Geld Ziel erreicht ist. Zunächst werden die projektbezogenen Risiken herausgestellt. Scheitern vor Ziel: Investment Rückerstattung. Alle (Teil-)Zahlungen werden auf einem treu händischen Konto als Sammelposten zwischengelagert, bis es zur Ausschüttung nach Projekterfolg kommt. Scheitert das Projekt terminzielbezogen oder geldzielbezogen, so werden sämtliche erhaltene Zahlungen an die Förderer zurückgezahlt. Scheitern nach Ziel: Wurde das Projektziel erreicht und eingegangene Finanzmittel darin investiert, garantiert dies keineswegs den weiteren Erfolg. Gerade nach erfolgreicher Projektumsetzung stehen problematische Dinge wie eine Anschlussfinanzierung oder die Bewährungsprobe unter Marktverhältnissen an, die die Unternehmung bzw. das Projekt nach der Finanzierungsphase scheitern lassen können. In diesem Fall ist das investierte Geld verloren und kann durch keine Rechtsgrundlage zurückgefordert werden. Ideenklau
Ideen sind nicht schützbar – können während dem sehr transparenten Entwicklungsprozess bzw. Förderzeitraums von Dritten aufgegriffen und ggf. schneller realisiert werden, wenn entsprechende Liquidität vorherrscht.
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Weitere, allgemeine Risiken Gewährleistung
Bei Produkten gilt in Deutschland die gesetzliche Gewährleistungspflicht von 2 Jahren. Dies kann zu Produktrückrufen im Mängelfall und weiteren verbraucherrechtlichen Pflichten des Produzenten führen, die die Unternehmung für zwei Jahre finanziell belasten und Erlöse schmälern kann.
Scheitern
Imageschaden bei Unterstützern, Investoren und Plattformen, der individuell geartet ein erneutes Projekt verhindern kann. Oftmals zeigt sich im Umgang mit dem Scheitern, ob der Projektinitiator das Vertrauen der Crowd zurück gewinnen kann. Viele Gründer sind nicht im ersten Anlauf erfolgreich.
Transaktionskosten Crowdfunding Plattformen erheben i.d.R. eine Erfolgsbeteiligung von 5-10 % des gesammelten Kapitals. Zuzüglich anfallender Gebühren für zwischengeschaltete Zahlungsdienstleister wie bspw. PayPal von bis zu 5 % entstehen somit bis zu 15 % Geldabfluss durch Transaktionskosten und Erlösbeteiligung. (vgl. Schwarmökonomie und Crowdfunding, S. 207)
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Chancen: Die vermeintlich offensichtlichste Chance ist die sogenannte Co-Creation und beschreibt den Aspekt des gemeinsamen Schaffens und wirkt sich auf das Geschäftsverhältnis von Förderer (Crowd) und Projektinitiator aus. Das Boutiquehotels von Amberlair (vgl. www.amberlair.com), bei dem die Crowd nicht nur Finanzier sondern auch Ideengeber für beispielsweise die Hotel Location bis hin zum Design der Handtücher ist, lässt einen neuen, dynamischen und äußerst potenten Schaffensprozess entstehen, der im Nachhinein auch das Machtverhältnis von (touristischen) Anbietern und Nachfragern mehr auf Augenhöhe rücken lässt. Dies fördert die emotionale Bindung zum Produkt auf beiden Seiten und reduziert Disharmonie zwischen der Gästewahrnehmung und dem kommunizierten Image des jeweiligen Hotels, das im Vergleich bei vielen internationalen Hotelketten und –Kooperationen standardisiert und unpersönlich wirkt. Eine weitere Chance liegt in der Reflektion über das eigene Produkt und die Zielgruppen sowie Produktorientierung an authentischen Nachfrager-Merkmalen, denn je genauere und reflektiertere Erkenntnis über beide Faktoren vorliegen, desto wahrscheinlicher deren Synergie und nachhaltige Gewinnaussichten. Generell ist zu beobachten, dass durch Crowdfunding mehr Ideen zur Realisierung kommen, die von Banken meist nicht unterstützt werden: „Ein klassischer Bankkredit ist in der Regel keine Option für Startups in der Frühphase ohne bestehende Umsätze, da Banken das Risiko neuartiger Geschäftskonzepte schlecht abschätzen können und sich daher oftmals vor deren Finanzierung scheuen […] Außerdem ist die Zinsbelastung in einer so frühen Phase oftmals ein Problem für junge Unternehmen.“ (Schramm, D. M., Carstens, Jakob: Startup-Crowdfunding und Crowdinvesting. 2014, S. 45). Eine weitere Chance, die aus dem Crowdfunding entwächst ist eine Veränderung im kundenseitigen Bezahlverhalten; wie bereits erwähnt, findet eine Verschiebung bzw. Reduktion der Distanz zwischen Anbieter und Nachfrager statt und begründet eine Rollenveränderung
zwischen
Produzent
und
Konsument.
Der Konsument wurde jahrzehntelang branchenübergreifend als reiner Güter-Rezipient und Geld-Donator gesehen worden, mehr Funktionen – mit Ausnahme von Reklamationen - wurden ihm nicht zugestanden.
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Mit dem Einzug des Internets und dem Etablieren eines „Web 2.0“ in dem Nutzer vom eindimensionierten Informationsempfänger zum interaktiven Informations-Emittent wird, dessen Meinung gerade bei Themen wie Schwarmfinanzierung oder Schwarmintelligenz immer wichtiger, weil zentraler wird. Ein von etablierten Branchenvertretern kommunizierte Slogan einer kundenzentrischen Unternehmensausrichtung findet beim Crowdfunding/Crowdsourcing ihre weitestgehende Komplettierung. Auch sollte man die Crowd genau analysieren, da mitunter sogenannte „Influencer“ darunter sind, die gerade in sozialen Netzwerken eine immense Bedeutung, weil Reichweite haben. Mundpropaganda gehört weiterhin zu den effizientesten Marketingmaßnahmen – damals wie heute. Als weitere Chance kann das Scheitern des Crowdfunding Projekts selbst sein – genauer gesagt im Lernprozess und der nachgelagerten Fehleranalyse. Zwar droht immer die Gefahr eines Imageschadens, dennoch obliegt es den Projektinitiatoren durch ihr Management und Kommunikationsverhalten, die Schadensdimension positiv zu beeinflussen und aus möglichst vielen Fehlern und kontextuellen Ableitungen zu lernen. Langfristig betrachtet ist Crowdfunding eine Chance für die neue, globale und regionale Gründerszene. Nachdem sich die rechtlichen, offenen Fragestellungen konsolidiert haben und Banken die neue Finanzierungsform als Konkurrent zu eigenen Finanzlösungen bewerten, wird es sich als Erweiterung eines jeden Finanzierungsportfolios etabliert haben.
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2.1.3 Weitere Anwendungsfelder in der Touristik
In der Touristik finden sich über diverse Leistungsträger hinweg vereinzelte Crowdfunding Projekte, die national und/oder international für Aufmerksamkeit gesorgt haben. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit praktischen Anwendungsbeispielen aus der Touristik. Flug
Odyssey Airlines sammelte 2014-2015 über 9 Mio. USD von benötigten 100 Mio USD via Equity-based Crowdfunding, um London mit der amerikanischen Ostküste zu verbinden (vgl. www.flyody.com).
Nischenveranstalter Start-Up “EcoVentureCamps Andalusien” sammelte über 1.000 EUR in 3 Monaten ein, um naturnahen, nachhaltigen und CO²-neutralen Aktivurlaub für Kleingruppen mit Basiscamp in den andalusischen Bergen anzubieten. 2016 erfolgte die erste Produktdifferenzierung bei steigender Teilnehmerzahl. (vgl. www.ecocrowd.de). Unterkunft
Ortnerhof in Hohe Tauern, Österreich sammelte bis dato über 11.000 EUR für Erweiterungsinvestitionen, um die gewachsene Nachfrage bedienen zu können (vgl. www.hotel-crowdfunding.com).
Destination
Mobile Solarkraftwerke Afrika ist ein Projekt von www.bettervest.de, bei dem ausklappbare Solarpanels in einem Container abgelegene Dörfer in Afrika mit Strom und Investoren mit Renditen von über 7 p. a. versorgen. Dies hilft ungemein, die Hygieneverhältnisse zu verbessern und sichert die Selbstversorgung mit Strom, schafft Arbeitsplätze und ermöglicht benötigte LED-Lichtquellen.
Sonstiges
Reiseführer, Themenausflüge und -führungen, Shows, etc.
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2.2
Crowdsourcing
Der Begriff des Crowdsourcing (dt. Schwarm-Beschaffung oder Schwarm-Schöpfung) hat aufgrund der kurzen, historischen Entwicklung ebenfalls keine universelle, wissenschaftliche Definition, sodass nach einem Vergleich der gängigsten Versionen die Folgende genutzt wird: „Crowdsourcing ist eine Strategie des Auslagerns einer üblicherweise von Erwerbstätigen entgeltlich erbrachte Leistung durch eine Organisation oder Privatperson mittels eines öffentlichen Aufrufes an eine Masse von unbekannten Akteuren, bei dem der Crowdsourcer und/oder die Crowdsourcees frei verwertbare und direkte wirtschaftliche Vorteile erlangen…“ (Christian Papsdorf, 2009, S. 69) Crowdsourcing ist eine neue Erscheinungsform der Schwarmintelligenz. In dieser Wissensmanufaktur treten Personen, Personengruppen oder Unternehmen mit einer konkreten Fragestellung oder einem Problem entweder direkt oder indirekt an die Crowd, eine dynamisch konstituierte Gruppe von Menschen, heran, um aus der Masse von Einzelmeinungen und Ideen die besten, stärksten oder passendsten Antworten, Beiträge und Ideen heraus zu filtern, ergo um die eigene Wissensbasis durch kostenlose Mithilfe vieler, anderer Mitmenschen zu erweitern. Dieser interaktive, dynamische Prozess wird so lange fortgesetzt, bis ein Zeit-Ziel – beispielsweise für eine Marketingaktion – oder ein Projektziel – bis die passende Antwort auf die Fragestellung gefunden ist – erreicht ist. In der Ausführung ist Crowdsourcing formfrei, jedoch ist eine deutliche Onlineaffinität der Thematik zu beobachten, seit soziale Netzwerke wie Facebook zu digitalen Tauschbörsen für Ideen werden und die Interaktivität des Web 2.0 das Hauptmerkmal des Crowdsourcing darstellt. Die Schwarm-Intelligenz stellt eine enorme Bereicherung für länderübergreifenden Wissenstransfer dar und bietet den Menschen eine zeitgemäße Möglichkeit des Sammelns und Tauschens (von Ideen und Informationen), was im besten Fall unsere Zivilisation verbessert, im schlimmsten Fall jedoch mindestens bereichert.
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2.2.1 Anwendungsfelder, Stakeholder und Beispiele
In der Touristik finden sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für Crowdsourcing, da es einen stark partizipativen Ansatz ermöglicht. Gemeinsam Ideen entwickeln, die allen nützen. Neben Online Crowdsourcing Plattformen nutzen Unternehmen das Internet und eigene Homepages etc. Bekannte Branchenvertreter sind Wikipedia und Tripadvisor. Für die Touristik steckt im Bereich des Marketings das größte Potential für kreative Co-Creation, wie beispielsweise ein inhouse produziertes TV-Werbevideo von DER Touristik aus dem Jahr 2015 zeigt. DER rief in einer unternehmensinternen Rundmail dazu auf, die persönlich besten Urlaubsvideos zur genannten Terminfrist einzuschicken und bastelte daraus das Werbevideo. Die Eingrenzung der Crowd auf Arbeitnehmer garantierte keine lizenzrechtlichen Geltungsansprüche aus der Crowd, womit ist es eine Win-Win-Situation darstellt, da die Gewinnervideos im finalen Clip mit einem inhose Reisegutschein belohnt wurden und selbst kaum Produktionskosten anfielen. Auch im Bereich der touristischen Urlaubs-Apps ist die Implementierung von Crowdsourcing nicht mehr wegzudenken. Die Tripwolf Travel App kombiniert klassischen Content basierend auf professionellen Reiseführern und Reisetipps von zahllosen Reisenden aus der Tripwolf Gemeinschaft. Somit wird ein aktueller, inhaltlicher Mehrwert durch und für die Crowd gewährt bei gleichzeitiger Grundvalidität seitens Reiseführerangaben. Die Anwendungsmöglichkeiten und –Bereiche sind vielfältigst verfügbar, bedürfen nur weniger monetärer Mittel und durch die Interaktionsbereitschaft der Internetcommunity ist qualitativer und quantitativer Content gewährleistet. Eine Rückentwicklung hin zu Reiseveranstaltern als Informationsmonopole und Abkehr von Interaktivität ist undenkbar, da Menschen ihre neu hinzugewonnene Relevanz und Wertschätzung als Konsument, gleichzeitig aber auch als Produzent, nicht abtreten werden. Somit gilt es für die Tourismusbranche den Trend aufzugreifen und in strategische Überlegungen miteinzubeziehen, sonst droht die Branche auf dem digitalen Ast weiter abzusteigen getreu dem Motto „If we don’t take care of our customer, somebody else will“ – gesehen bei DER Touristik Frankfurt am Main.
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2.2.2 Risiken und Chancen
Risiken Eine grundlegende Problematik ist die des Ideenklaus. Wie beim Crowdfunding besteht hier jedoch ein vergleichbar geringes finanzielles Risiko, dass besonders innovative Ideen und Projekte noch während der Ideensammelphase von Mitbewerbern kopiert werden. Das wohl bedeutendste Risiko ist ein mögliches Überangebot an Ideen, die in Zeiten von Informationsflut und Multioptionalität schnell in Erschöpfung und Überforderung übergehen können, was den Rückzug der Crowd oder Einzelner aus dem Projekt folgern kann. Im Informationszeitalter ist „Ignorieren“ eine Option, die es zu vermeiden gilt. Chancen Wichtig ist es, dem Zeitgeist zu folgen. Die Touristik sollte die Möglichkeit ergreifen, die verpasste Digitalisierung der Branche nun durch Aufgreifen des Crowdsourcing Gedanken zu kompensieren, um nicht völlig als „Dinosaurier“ zu gelten und junge Kundengruppen zu gewinnen statt zu verprellen. Influencer sind wichtige Einheiten der Crowd, die aufgrund ihres Bekanntheitsstatus ggü. der Crowd als Multiplikator fungieren und Orientierung für weitere Personen geben. Mundpropaganda ist durch den partizipatorischen Ansatz von entscheidender Bedeutung. Seitens Anbieter muss das Potenzial der Crowd und Kunden wertgeschätzt werden, geschieht dies nicht oder unzureichend, riskiert man Einbußen bei Kundenbindung und Wiederholern. Dies kann in verschiedenen Formen kommuniziert werden, gängig ist jedoch ein Newsletter oder auch E-Mail. Deutlich wird, dass gerade beim Crowdsourcing die Chancen die Risiken eindeutig übersteigen, sodass die Rentabilität letztendlich gewährleistet ist, jedoch nur schwer – über die Qualität des Contents - quantifiziert werden kann.
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2.2.2 Fazit
Auf der gesamten Welt werden seit Einführung des Internets Stimmen lauter, die nach Partizipation und Emanzipation verlangen – unabhängig vom Themengebiet, sei es das Streben nach direkter Demokratie oder Schwellenländer, die sich am globalen Geschehen beteiligen, usw. Das Internet hat vieles verändert und wird die konstante Determinante sein, die am Ende über Erfolg oder Misserfolg einer Unternehmung im digitalen Zeitalter entscheidet, denn die Kunden von morgen sind bereits heute kritischer, weil informierter denn je. Dieses Potential muss beachtet und aufgegriffen werden. Für die Touristik ist dies besonders relevant, da hier immaterielle Güter und Dienstleistungen verkauft werden, die neben kalkulatorischen Preiskämpfen mit emotionalen Appellen um die Aufmerksamkeit des Kunden werben. Crowdsourcing und Crowdfunding können hierbei Brückentechniken sein, um den Spagat zwischen Altbewährtem und – wie es Bundeskanzerlin Fr. Dr. Merkel beschrieb – Neuland zu schaffen. Zwar überwiegen die Chancen die Risiken, jedoch braucht es nur ein wenig kriminelle Energie und technisches Know-how, um z.B. gesammeltes Kapital zu stehlen, gerade wenn es um digitale Währungen wie Bitcoin geht. Eine Weiterentwicklung der Branche, Konsolidierung und Rechtssicherheit werden von Nöten sein, um von einer Salonfähigkeit zur globalen Anerkennung des Crowdfunding zu gelangen. Die bisherige Entwicklung der Szene zeigt viele Gewinner und Verlierer; Die Touristik und ihre Teilbereiche sollte neu entstandene Synergieeffekte nutzen, weil sie große Spielräume bzgl. Gestaltungsfragen und Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager hat und darüber hinaus mit einem emotional aufgeladenen Thema, dem Urlaub – der besten Zeit des Jahres – arbeitet. Wie aktuelle Neurowissenschaftler berichten, speichern Menschen vorzugsweise Erinnerungen mit emotionalen Verknüpfungen im Neokortex ab. Je mehr positive Assoziationen der Mensch zu einem Thema hat, umso wahrscheinlicher die entsprechende Kaufentscheidung, gerade in Zeiten der digitalen Informationsflut ist dies von besonderer Bedeutung. Crowdsourcing ist eine neue Form der Gestaltung des Marktes, erreicht große Menschenmassen und verbindet Individuen mit dem Kollektiv. Letztendlich fördert es Bewusstsein und Identifikation mit einem so umweltsensiblen Thema wie Urlaub auf einfache Weise – heute wie auch zukünftig. - 17 -
Literaturverzeichnis
Online https://www.bettervest.com/projekt/solarcontainer-fuer-djoliba-mali (20.06.2016; 18:32) http://www.crowdfunding.de/portfolio-items/statue-of-liberty-new-york (14.06.2016; 18:34) http://www.crowdfunding.de/mit-crowdinvesting-in-immobilien-investieren (17.06.2016; 18:43) http://www.flyody.com/news/2014/october/17/upstart-odyssey-airlines-raises-funds-throughcrowdsourcing.aspx (19.06.2016; 19:44) https://www.hotel-crowdfunding.com/startup/ortnerhof/ (19.06.2016; 20:19) https://www.travelnews.ch/tourismuswelt/1852-crowdfunding-eine-chance-fuer-die-reiseindustrie.html (15.06.2016; 20:35) http://www.tripwolf.com/de/ (20.06.2016; 17:05)
Literatur Egger, R., Jooss, M.: mTourism. Mobile Dienste im Tourismus. Wiesbaden, 2010. Pelzer, C., Burgard, N.: Co-Economy: Wertschöpfung im digitalen Zeitalter. Netzwerke und agile Organisationsstrukturen erfolgreich nutzen. Wiesbaden, 2014. Schramm, D. M., Carstens, Jakob: Startup-Crowdfunding und Crowdinvesting: Ein Guide für Gründer. Mit Kapital aus der Crowd junge Unternehmen online finanzieren. Wiesbaden, 2014. Sixt, Elfride: Schwarmökonomie und Crowdfunding. Webbasierte Finanzierungssysteme im Rahmen realwirtschaftlicher Bedingungen. Bisamberg (AT), 2014.
PDF: Massolution. Abridged Crowd-Funding Industry Report 2012
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Crowdfundingvolumen in Deutschland Q1/11 bis Q1/15
Abb. 2 Anzahl Crowdfunding Plattformen weltweit 2012
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Abb. 3 Kickstarter: Verteilung erfolgreich durchgeführter Crowdfunding Projekte gesamt
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Eigenständigkeitserklärung Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und gelieferte Datensätze selbständig erstellt habe. Ich habe keine anderen Quellen als die angegebenen benutzt und habe die Stellen der Arbeit, die anderen Werken entnommen sind in jedem einzelnen Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht.
Wernigerode, den 21.16.2016
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