Hans Alberts Weiterentwicklung des Popperschen kritischen Rationalismus (Hans Albert\'s Development of Critical Rationalism of Karl Popper)

May 23, 2017 | Author: Jitka Paitlová | Category: Karl Popper, Critical Rationalism, Hans Albert
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Mgr. Jitka Paitlová, Ph.D. (Pilsen)

Hans Alberts Weiterentwicklung des Popperschen Kritischen Rationalismus 1. Die Ausgangspunkte der Popperschen Konzeption1 Den ersten Teil dieses Aufsatzes widme ich den markanten Problemen, die Karl R. Popper in seinem Buch Logik der Forschung (1934) behandelt hat. Seine kritisch-rationalistische Position basiert in diesem Buch auf der strikten Ablehnung des Induktionsprinzips, der Verifikationsmethode und der Eliminierung des Psychologismusproblems aus der sogenannten Logik der Wissenschaft. Ausgangspunkt ist die Ablehnung des Induktionsprinzips inklusive aller seiner Wahrscheinlichkeitsvarianten. Anknüpfend an Hume konstatiert Popper, dass man – in logischer Hinsicht – aus vielen gültigen besonderen Sätzen keinen allgemein gültigen Satz ableiten kann, denn „bekanntlich berechtigen uns noch so viele Beobachtungen von weißen Schwänen nicht zu dem Satz, dass alle Schwäne weiß sind.“ (Popper 2005, 3) Es geht um die Frage, „ob und wann induktive Schlüsse berechtigt sind“ (ebd.) – in diesem Sinne spricht Popper später vom sogenannten logischen Induktionsproblem (vgl. Popper 1993, 7-8). Daneben stellt er das psychologische Induktionsproblem, das mit unseren angeborenen Erwartungen der Regelmäßigkeit in der Welt zusammenhängt (vgl. Popper 1993, 26-27). Nach Popper kann man die induktive Inferenz nicht logisch begründen, „Theorien sind somit niemals empirisch verifizierbar“ (Popper 2005, 17), das heißt, dass man Theorien im Sinne der Verifikation oder positiven Konfirmation, bzw. Wahr18

scheinlichkeit nicht definitiv justifizieren kann. Ferner deutet er darauf hin, dass mit der Induktion, die aus der Formulierung der beobachteten Fakten ausgeht, darüber hinaus das Psychologismusproblem verbunden ist: „Das induktionslogische Vorurteil hängt nämlich eng mit einer Vermengung von psychologischen und erkenntnistheoretischen Feststellungen zusammen.“ (Popper 2005, 6) Damit ist gemeint die Vermengung des Entdeckungszusammenhanges, den er später in das Gebiet der Psychologie abschiebt, und des Begründungszusammenhanges, der Gegenstand seiner logischen Analyse wird, wobei seine hypothetisch-deduktive Methode der Falsifikation zur Geltung kommt (basiert auf dem modus tollens der klassischen Logik). Seine vorgeschlagene Alternative – die Falsifikationsmethode – geht von der deduktiven Prüfung der vorgelegten Hypothesen und von der sogenannten Asymmetrie zwischen Verifikation und Falsifikation aus.2 Falsifikation ist eine Methode, die aus der Wahrheit von vielen besonderen Sätzen nicht die Wahrheit, bzw. den Wahrscheinlichkeitsgrad der allgemeinen Satzes ableitet (wie es die Verifikationsmethode tut), sondern aus der Falschheit eines besonderen Satzes auf die Falschheit eines allgemeinen Satzes schließt: „Durch rein deduktive Schlüsse kann man daher von besonderen Sätzen auf die ‚Falschheit‘ allgemeiner Sätze schließen.“ (Popper 2005, 18) Auf Grund dessen „kann es in der Wissenschaft keine ‚absolut letzten‘ Sätze geben“ (Popper 2005, 24), und deshalb ist Aufklärung und Kritik 1/2017

nach Popper die Falsifikation die einzig mögliche Methode, die im Gegensatz (oder Asymmetrie) zur induktiven Verifikation nicht zum Dogmatismus und der Wissensstagnation, sondern zum Erkenntnisfortschritt und zum Erkenntniswachstum führt. Ich will hier keineswegs Poppers mutige, dynamische und sehr gut durchdachte Konzeption der kritisch-rationalen Methodologie der Wissenschaft bestreiten. Ich vermute aber, dass man das Problem der Induktion, der Verifikation und des Psychologismus aus der Erkenntnis- wie auch der Wissenschaftstheorie niemals ganz eliminieren kann – und das eben in kritisch-rationaler Hinsicht: Sonst würde seine Konzeption selbst in Dogmatismus abgleiten und ihre Explikationskraft schwächen. Darüber hinaus will ich hier auf die Tatsache hinweisen, dass die Poppersche Konzeption alle diese Phänomene in gewisser (wenn auch abgeschwächter) Form beinhaltet. 1.1. Das Induktionsproblem Ich beginne mit dem Induktionsproblem und zwar vor allem mit seiner psychologischen Form (das logische Induktionsproblem hängt mit der Verifikation zusammen und wird später untersucht). Das psychologische Induktionsproblem betrifft den Entdeckungszusammenhang der Wissenschaft. Ich muss wiederholen und betonen, dass Popper, weil er diesem Problem ausweichen will, in der Logik der Forschung den Entdeckungszusammenhang aus seiner Wissenschaftsmethodologie eliminiert, und ihn in den Bereich der Psychologie abschiebt (die Elimination kritisiere ich später). In seinen späteren Arbeiten löst Popper aber das psychologische Induktionsproblem im Rahmen seiner Konzeption der Evolutionsepistemologie. Es handelt sich um das Problem, woAufklärung und Kritik 1/2017

mit die Erkenntnis beginnt, und das – in diesem Fall – in kritisch-rationaler Hinsicht. Popper behauptet, dass die Erkenntnis „auch nicht von der Beobachtung ausgehen kann“, und gleichzeitig, dass der Fortschritt unserer Erkenntnis vor allem auf „der Modifikation des früheren Wissens“ beruht (Popper 2009, 43), was (wie sich später zeigt) zum Widerspruch führt. Nach Popper haben wir die angeborene Tendenz, überall Gesetzmäßigkeiten zu erwarten, wobei diese Tendenz „zu dem psychologischen Phänomen des dogmatischen Denkens“ führt (Popper (2009, 73). Ihr stellt er „eine kritische Haltung“ gegenüber, „die zur Modifikation von Ansichten bereit ist, Zweifel zuläßt und Überprüfungen fordert, und auf eine weniger starke Überzeugung schließen läßt“ (Popper 2009, 74). So unterscheidet Popper zwischen einer dogmatischen und einer kritischen Phase des Lehrens, bzw. der Erkenntnis und sagt, dass „es keine kritische Phase geben kann ohne vorausgehende dogmatische Phase“ (Popper 2006, 68) – in der dogmatischen (vorwissenschaftlichen) Phase wird etwas (z.B. Erwartungen) formuliert, aufgrund dessen dann im Begründungszusammenhang die kritische Eliminierung der Fehler beginnen kann. Frau Parusniková weist darauf hin, dass einerseits die Verbindung zwischen Induktion und Dogmatismus „ein grundsätzliches ideologisches Thema der Popperschen Philosophie ist“, und andererseits das starke Bedürfnis nach Regelmäßigkeit „eine induktive Disposition“ (Parusniková 2003, 61). Dies aber führt in der Popperschen evolutionären Auffassung der Epistemologie zum Widerspruch, denn auch in historischwissenschaftlicher Hinsicht stehen laut Popper am Anfang der Erkenntnis unbe19

wusste angeborene Erwartungen, die aber schon ihrer Definition nach induktiven Charakter haben, weil es sich um Erwartungen der Regelmäßigkeit auf Grund der Übertragung der vergangenen Erfahrung in die Zukunft handelt. Popper behauptet explizit, dass eine dogmatische Phase (also eine Erkenntnis, die auf Induktion basiert, bzw. auf Erwartungen, die einen induktiven Charakter haben) immer einer kritischen Phase vorausgeht. Er stellt das in historisch-wissenschaftlicher Hinsicht fest (es handelt sich dabei um eine vorwissenschaftliche und eine wissenschaftliche Phase), aber man könnte dies auch in methodologischer Hinsicht begreifen (als Entdeckungszusammenhang und als Begründungszusammenhang wissenschaftlicher Theorien). Und dadurch bezieht Popper die Induktion eigentlich implizit in seine Theorie ein.3 Zwar wird hiermit die Poppersche Konzeption, in der er gleich am Anfang den Entdeckungszusammenhang eliminiert, nicht bedroht, aber seine strikte Abweisung der Induktion wird damit geschwächt. Es zeigt sich nämlich, dass diese Abweisung der Induktion als Methode, die logisch widersprüchlich ist, vielleicht aus der Wissenschaftslogik ausgeschlossen werden kann, nicht aber aus der sonstigen wissenschaftlichen bzw. der menschlichen Erkenntnispraxis. 1.2. Das Verifikationsproblem Nun komme ich zum Verifikationsproblem und dem mit ihm verbundenen logischen Induktionsproblem. Einige Autoren (z.B. Salmon4 ) kritisieren Popper, weil nach ihrer Meinung im Begründungszusammenhang Falsifikation nicht möglich ist ohne vorherige Verifikation von Beobachtungen, die die vorgelegte Hypothese widerlegen soll. In diesem Kontext möchte ich dar20

auf hinweisen, dass Popper diese Tatsache im ersten Kapitel seiner Logik der Forschung zugibt, indem er die deduktive Prüfung der Theorien beschreibt: Aus der vorgelegten Theorie (Hypothese) leiten wir eine singuläre Behauptung ab und nachfolgend müssen wir über diese Folgerungen aufgrund des Vergleichs mit den Ergebnissen der Experimente entscheiden. Weiter schreibt Popper explizit: „Fällt die Entscheidung positiv aus, werden die singulären Folgerungen anerkannt, verifiziert, so hat das System die Prüfung vorläufig bestanden.“ (Popper 2005, 9) Eine solche Theorie hat sich vorläufig bewährt, was Popper „Bewährung“ nennt (vgl. Popper 2005, 9/31/63). Er ist sich also des Problems von Anfang an bewusst. Eine bestimmte Art von Verifikation (auf der niedrigsten Stufe der Prüfung) gibt er zu, aber er bemerkt, dass die von ihm entworfene Prozedur nichts beinhaltet, was der induktiven Logik ähnlich wäre, denn aus der Wahrheit des singulären Satzes schließt er nicht auf die Wahrheit, sondern auf die Falschheit der Theorie (Hypothese) – dieses Phänomen nennt er „eine Asymmetrie zwischen Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit“ (Popper 2005, 18). In diesem Sinne vermute ich deswegen, dass Popper im Begründungszusammenhang tatsächlich dem logischen Induktionsproblem ausweicht, solange dies als Ableitung der Wahrheit der Universalsätze aus der Wahrheit der Singularsätze definiert wird.5 1.3. Das Psychologismusproblem Und schließlich kurz zum Psychologismusproblem. Popper lehnt zwar, wie schon oben gesagt wurde, den Psychologismus mittels Eliminierung des Entdeckungszusammenhanges ab, aber ich meine, dass Aufklärung und Kritik 1/2017

nicht einmal er im Begründungszusammenhang diese Psychologismusreminiszenzen vermeiden konnte. Ich denke an die oben erwähnte „Entscheidung“ hinsichtlich der Wahrheit durch Experimente vermittelter Grundaussagen. Laut Popper liegt die Objektivität der wissenschaftlichen Sätze darin, „dass sie intersubjektiv nachprüfbar sein müssen“ (Popper 2005, 21). Entscheidungen über Grundsätze sollten also aus dem intersubjektiven Konsensus hervorgehen – dasselbe könnten allerdings auch Neopositivisten über das empirisch Gegebene sagen. Diesem Problem kann man nur schwerlich ausweichen, wenigstens so lange die Wissenschaft „nur“ von Menschen gemacht wird. Zum Abschluss des Popper gewidmeten Teiles möchte ich betonen, soweit er im Rahmen seines kritischen Rationalismus ganz und definitiv, das heißt: ein für allemal ein Phänomen (Induktion, Verifikation, Psychologismus usw.) eliminieren würde, würde er sich selbst gegen die kritisch-rationalistische Forderung des bloßen Entwurfscharakters und der Vorläufigkeit aller Beschlüsse stellen, und damit in den von ihm so vehement abgelehnt Dogmatismus abgleiten. Obwohl er seine Theorie bloß auf den Begründungszusammenhang reduziert hatte, würde er auch in diesem reduzierten Rahmen bestimmten Problemen nicht ausweichen können (siehe Verifikationsproblem und Psychologismusproblem). Durch diese Reduktion (vor allem durch Eliminierung des Entdeckungszusammenhanges) vermindert er darüber hinaus die Explikationskraft seiner Theorie, auf die er doch so stolz ist. Er müsste auch zugeben, dass die Wissenschaft kein rein logisches Verfahren ist, sondern eine hoch komplizierte Art der menschlichen Praxis, auf die sich der Fallibilismus noch strenAufklärung und Kritik 1/2017

ger beziehen muss, als auf weniger komplizierte menschliche Tätigkeiten. Und eben dies betont und behandelt detailliert Poppers Nachfolger im deutschsprachigen Raum, der Philosoph und Soziologe Hans Albert (vgl. z.B. Albert 1978). Albert wurde für seine Lösungen dieser Probleme von Popper gelobt. 6 Ich behandle jetzt näher die Vorschläge Alberts. 2. Die Albertsche Ausarbeitung der Popperschen Probleme und Auffassungen Ich hatte schon angedeutet, dass ich es aus der Sicht des kritischen Rationalismus nicht für richtig halte, dass Popper in seinem Buch Logik der Forschung den Entdeckungszusammenhang aus der Erkenntnistheorie ausgeschlossen hat, da für ihn die Erkenntnistheorie ein Teil der Wissenschaftslogik ist. Mit der Bemühung um die Elimination des Psychologismus bestimmte er als Gegenstand der Erkenntnistheorie, bzw. der logischen Analyse der Wissenschaft, bloß den Begründungszusammenhang, während er den Entdeckungszusammenhang gänzlich zur Seite (ins Gebiet der Psychologie) schob. Wenn er aber die Erkenntnislehre („oder Erkenntnislogik“) nur mit den „Methoden und Ergebnissen seiner logischen Diskussion“ der Wissenschaftstheorie gleichsetzte (Popper 2005, 7), handelt es sich nach meiner Meinung um eine szientistische Reduktion, die die Erkenntnislehre auf bloße Logik reduziert und sich hiermit in diesem Sinne auf das selbe Niveau stellt, wie der von Popper so oft kritisierte Neopositivismus, dessen Ziel nicht die logische Analyse der Wissenschaftsmethode, sondern die logische Analyse der Wissenschaftssprache ist. Beide aber bleiben auf der Ebene der Logik. 21

So glaube ich, scheiterte der Neopositivismus am Psychologismus des empirisch Gegebenen, das durch das empirische Sinnkriterium (die sogenannte Verifizierbarkeit) ganz im Gegenteil zu gänzlich objektiver Erkenntnis führen sollte. Popper weicht zwar einerseits durch Eliminierung des Entdeckungszusammenhanges diesem Problem aus, andererseits aber reduziert er gleichzeitig das Interessengebiet der Erkenntnistheorie und die Explikationskraft der eigenen Konzeption. Wenn wir dagegen die Konzeption des kritischen Rationalismus von Hans Albert betrachten, können wir die wesentliche Verschiebung sehen, die Albert bei der Lösung ähnlicher (nicht aber gleicher) Probleme vollbrachte. Meiner Meinung nach handelt es sich dabei vor allem um das Letztbegründungsproblem der Erkenntnis und um die Überbrückung der Kluft zwischen Entscheidung und Erkenntnis (und damit auch zwischen Entdeckungs- und Begründungszusammenhang). Man muss betonen, dass die Entfaltung dieser Probleme bei Albert stets im Rahmen des kritischen Rationalismus bleibt, wie ihn Popper festgelegt hat, allerdings mit unübersehbarem Überhang. Albert selbst grenzt sich Popper gegenüber nie explizit, etwa „im Gegensatz zu Popper“ ab. 7 Trotzdem sind in seinen Werken viele Themen behandelt, die Popper nur thematisierte, aber nicht befriedigend lösen konnte. Schon in seinem Traktat über kritische Vernunft (1968) nimmt er die Entscheidung in die Erkenntnistheorie auf, womit er (wie oben angedeutet) nicht nur die neopositivistische, sondern auch die Poppersche Kluft zwischen Erkenntnis und Entscheidung überwindet und de facto den Entdeckungszusammenhang in die Erkenntnislehre eingliedert. 22

Weiter macht er das von Popper erwähnte Friessche Trilemma, das den Begründungszusammenhang betrifft, zum sogenannten Münchhausen-Trilemma. 2.1. Der Entdeckungszusammenhang Albert gibt nicht nur zu, „dass hinter aller Erkenntnis letzten Endes Entscheidungen stehen“ (Albert 1991, 71), darüber hinaus ist er auch nicht bereit, Entscheidungen aus der Erkenntnistheorie zu eliminieren (wie es Popper tat), sondern er fordert die Eingliederung der Entscheidung (bzw. der Pragmatik und der menschlichen Möglichkeiten überhaupt) in die Erkenntnistheorie. Er konzentriert sich nämlich nicht nur auf die logische Wissenschaftsanalyse, sondern auf das allgemeine Rationalitätsproblem, das nicht nur ein formales Problem, sondern auch ein pragmatisches Problem ist. Zum Beispiel ist nach Albert schon die Wahl zwischen dem Letztbegründungsprinzip (typisch für klassische Erkenntnistheorien) und dem Prinzip der kritischen Prüfung (charakteristisch für den kritischen Rationalismus), das heißt die Annahme einer bestimmten Methode, eine Wahl auf dem Gebiet der Pragmatik (vgl. Albert 1991, 71-74). Die Eingliederung der Pragmatik bedeutet allerdings nicht die Billigung eines naturalistischen Fehlschlusses, sondern nur die Berücksichtigung menschlicher Möglichkeiten in der Methodologie der menschlichen Erkenntnis überhaupt – aufgrund des sogenannten Realisierbarkeits- und Kongruenzpostulats. Das Realisierbarkeitspostulat ist die Forderung der Berücksichtigung menschlicher Erkennens- und Handlungsmöglichkeiten. Das Kongruenzpostulat ist die Forderung der Übereinstimmung unserer Theorien mit der wissenschaftlichen Weltanschauung. Beide Postulate Aufklärung und Kritik 1/2017

haben zum Ziel vor allem die Überbrückung der Kluft zwischen Erkenntnis und Entscheidung, weil nach Albert die Unterscheidung zwischen dem Entdeckungsund Begründungszusammenhang nicht relevant ist (vgl. Albert 1991, 49). Ähnlich irrelevant ist für ihn das von Popper so betonte Demarkationskriterium, worauf z.B. Wetterstein hinweist (vgl. Wetterstein 1996). Sehen wir uns nun das Problem der Überbrückung von Erkenntnis und Entscheidung mittels des Realisierbarkeits- und des Kongruenzpostulats näher an. Im 20. Jahrhundert waren es die Neopositivisten, die die Wissenschaft von der Metaphysik (d.i. von der spekulativen Philosophie und von nicht verifizierbaren Sätzen überhaupt) scharf getrennt haben, wobei das Ziel der Wissenschaft eine objektive Erkenntnis des empirisch Gegebenen sein sollte. (In diesem neopositivistischen Ansatz war die Philosophie reduziert und transformiert in die Methode der logischen Sprachanalyse.) Und auch die Existenzialisten hatten solch eine formelle und wertfreie wissenschaftliche Erkenntnis wegen ihrer Oberflächlichkeit beiseitegeschoben und ihre Aufmerksamkeit auf eine „tiefere“ philosophische Einsicht in die menschliche Existenz konzentriert, die durch subjektive und engagierte existenzielle Entscheidung vermittelt werden sollte (vgl. Albert 1991, 70). Nach Albert haben – trotz aller Unterschiede – Neopositivisten und Existenzialisten letzten Endes die Kluft zwischen Erkenntnis und Entscheidung (d.h. zwischen objektiv-rationaler Vernunft und subjektiv-existenzieller Entscheidung, zwischen Sein und Sollen, zwischen der Sachanalyse und Werturteil) vertieft. Albert sagt dazu, dass „die Dichotomie von rationaler Erkenntnis und irrationaler Aufklärung und Kritik 1/2017

Entscheidung inadäquat ist, und zwar schon deshalb, weil hinter jeder Erkenntnis – bewußt oder unbewußt – Entscheidungen stehen“ (Albert 1991, 73). Sehr eng hängt dies mit einem Problem zusammen, auf das schon Hume hingewiesen hat. Albert hält zwar das Hummesche Gesetz – von deskriptiven Aussagen kann man keine normativen Aussagen ableiten – für gültig. Aber das bedeutet für ihn nicht, dass sachlich-analytische Erkenntnis keine Wirkungen für wert-normative Ansichten haben kann (vgl. Albert 2000, 44). Und gerade deshalb führt er sogenannte Überbrückungsprinzipien ein. Das erste Überbrückungsprinzip ist das Realisierbarkeitspostulat, das Albert als die These „Sollen impliziert Können“ formuliert (vgl. Albert 1991, 91-92). Das bedeutet, dass die Pflicht, also das, was wir idealerweise machen „sollten“, abhängig von der Möglichkeit dessen ist, was wir realerweise machen „können“. Deswegen wird dieses Postulat als Realisierbarkeitspostulat bezeichnet, denn es geht darum, was für uns realisierbar ist, das heißt, was wir in unserer konkreten Situation tun können. Albert sagt dazu: „Der Grundsatz ‚Sollen impliziert Können‘ dient der Kritik unrealisierbarer Forderungen in allen Bereichen, auch zum Beispiel im Bereich der Erkenntnis.“ (Zimmer & Morgenstern 2011, 41) Das zweite Überbrückungsprinzip ist das Kongruenzpostulat, das von uns fordert, dass unsere theoretischen Konstruktionen (d.h. Hypothesen und Theorien) mit dem wissenschaftlichen Weltbild übereinstimmen sollen. Man sollte aufgrund dieses Postulates alle Theorien ablehnen, die die Existenz irgendwelches transzendentalen oder metaphysischen Wesens „an sich“ voraussetzen. Bei jedem solchen Wesen, 23

das einen von der Realität unabhängigen Sonderstatus fordert, handelt es sich – in wissenschaftlicher Hinsicht – um unerkennbare, unnachweisbare, also „unüberprüfbare“ Entitäten. Deswegen bezieht sich dieses Postulat auf eine Grundvoraussetzung des Albertschen kritischen Rationalismus: auf den kritischen Realismus, wonach nur eine Realität existiert, die von unserem Denken unabhängig, aber gleichzeitig für uns erkennbar ist und es möglich macht, dass unsere Theorien an der Realität scheitern können. Ein wesentliches Faktum, das zum großen Teil die Berechtigung für das Kongruenzpostulat liefert, ist, dass diese von uns unabhängige Realität am erfolgreichsten mittels der Wissenschaft erkannt werden kann. Die Haupttriebkraft des Fortschritts der Erkenntnis in den Wissenschaften bildet das Interesse an unvoreingenommener Wahrheitssuche, „das Interesse an der Erkenntnis wirklicher Zusammenhänge, an der Verbesserung unseres Wissens über die Realität, zu der wir selbst als Erkennende und Handelnde gehören“ (Albert 1987, 166). Das zeigt, warum Albert die scharfe Demarkation zwischen Erkenntnis und Entscheidung nicht akzeptiert, denn er hält sie für zwei komplementäre Prozesse: Entscheidung (oder Wertung) ist deshalb ein Teil der Erkenntnis und gleichzeitig rationalerweise kritisierbar. Weder die Erkenntnistheorie selbst noch die Wissenschaftstheorie können nach Albert völlig wertfrei sein: „Man kann jedenfalls Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre als denjenigen Teil der Wertlehre ansehen, in dem es darum geht, Gesichtspunkte für die Förderung der Rationalität unseres Problemlösungsverhaltens im Erkenntnisbereich zu entwickeln.“ (Albert 1991, 73) 24

2.2. Der Begründungszusammenhang Betrachten wir nun das weitere Problem, das sich auf das Thema der Justifikation der Theorien bezieht und das von Popper als das logische Induktionsproblem im Rahmen des Begründungszusammenhanges gelöst wurde. Albert versteht es in einem breiteren Sinne und sagt dazu (wie auch Popper), dass es im Rahmen des kritischen Rationalismus „nicht um die Rechtfertigung von Aussagen und Aussagensystemen, sondern um ihre kritische Untersuchung und Beurteilung“ geht (Albert 1991, 46). Darüber hinaus entwickelt er das von Popper erwähnte Friessche Trilemma8 weiter. Das Albertsche Münchhausen-Trilemma behandelt das Letztbegründungsproblem der Erkenntnis, d.h. die Suche nach einem sicheren Grund und ihre vollkommene Begründung, also die Suche nach dem sogenannten Archimedischen Punkt der Erkenntnis (vgl. Albert 1991, 10). In diesem Kontext erwähnt Albert das bekannte Axiom aus den „Lehrbüchern der Logik“, den Satz des zureichenden Begründung (principium rationis sufficientis), der zwar aus den Logiklehrbüchern verschwunden ist, aber weiter überdauert als „allgemeines Postulat der klassischen Methodologie des rationalen Denkens […]: Suche stets nach einer zureichenden Begründung aller deiner Überzeugungen“ (Albert 1991, 11). Auf den ersten Blick scheint dieses Postulat „unschuldig“ und evident zu sein. Albert versucht dieses Postulat im Rahmen der formalen Logik als ein Problem der logischen Ableitung zu analysieren. Er zeigt drei Tatsachen auf: erstens, dass „durch logische Folgerung niemals Gehalt gewonnen werden kann“; zweitens, dass „ein gültiges deduktives Argument nichts über die Wahrheit seiner Komponenten sagt“, sonAufklärung und Kritik 1/2017

dern lediglich den Transfer des positiven Wahrheitswertes und den Rücktransfer des negativen Wahrheitswertes garantiert; und drittens, dass „ein ungültiges deduktives Argument einen Fehlschluß liefert, bei dem keine solche Garantie gegeben ist“ (Albert 1991, 13-14). Albert räumt ein, dass der Gedanke der Überzeugungsbegründung durch den Rekurs auf sichere Fundamente – „dass sich alle Komponenten der betreffenden Aussagen-Menge aus dieser Grundlage durch logische Folgerungen ergeben“ (Albert 1991, 14-15) – sehr verlockend ist. Aber er fügt gleichzeitig hinzu, dass, solange man dieses Prinzip ernst nehmen würde, es unausweichlich zu einem ernsten Problem führen würde: „Wenn man für alles eine Begründung verlangt, muß man auch für die Erkenntnisse, auf die man jeweils die zu begründende Auffassung zurückgeführt hat, wieder eine Begründung verlangen.“ (Albert 1991, 15) Dies führt zum sogenannten Münchhausen-Trilemma, also zu einer paradoxen Situation, deren Lösung drei (unakzeptable) Alternativen haben kann. Die erste Alternative ist ein unendlicher Regress, bei dem die Begründungsforderung bei der Suche nach sicherer Grundlage endlos zurückgeht. Nach jeder Begründungsantwort folgt hier die nächste Frage „und warum?“ und so würde es unendlich weiter gehen. Auf diese Weise ist die Suche nach der Letztbegründung des festen Archimedischen Punktes offenbar nicht durchführbar. Die zweite Alternative ist ein logischer Zirkel, wobei man sich im Rahmen des Begründungsverfahrens immer auf Aussagen bezieht, die schon früher selbst eine Begründung gebraucht hatten. Einfach gesagt, handelt es sich hier um ein ähnliches Problem wie Aufklärung und Kritik 1/2017

bei der bekannten, aber nicht lösbaren Frage: Was war früher – Henne oder Ei? Das Begründungsverfahren dreht sich in diesem Falle im Kreise und ist nicht entscheidbar. Die letzte, dritte Alternative ist ein Abbruch des Begründungsverfahrens an einem bestimmten Punkt und die Erklärung dieses Punktes zum gesuchten Archimedischen Punkt. Dieses Verfahren kann man am leichtesten durchführen und es wird nach Albert in klassischen Erkenntnistheorien gewöhnlich angewandt. Ein bestimmter Punkt (z.B. cogito oder das empirisch Gegebene) wird zur sicheren Erkenntnisgrundlage erklärt, die keine weitere Begründung verlangt und auf der jede weitere Erkenntnis fußt. Allerdings weist Albert darauf hin, dass ein solcher Abbruch de facto zur Suspendierung des Letztbegründungsprinzips führt (vgl. Albert (1991, 16). Für den Abbruch des Begründungsverfahrens wird meistens auf die Selbstevidenz rekrutiert, auf die „sichere“ Wahrheit, die weitere Begründung überflüssig macht. Aber Albert bezeichnet diesen Vorschlag als Resignationslösung und vor allem als „Dogmatismus“, der aus kritisch-rationalistischer Sicht unannehmbar ist (vgl. Albert 1991, 17).9 Er betont nämlich, dass jegliche Berufung auf die Selbstevidenz und ähnliche „Sicherheiten“ eine bloße Ausrede ist, und dass die Schlüsselrolle beim Abbruch des Begründungsverfahrens einfach unsere Entscheidung spielt. Und er fügt hinzu, dass diese Abbruchentscheidung den „Charakter der Willkür“ hat, und behauptet kompromisslos, dass „alle Sicherheiten in der Erkenntnis selbstfabriziert und damit für die Erfassung der Wirklichkeit wertlos“ sind (Albert 1991, 36). Darüber hinaus deutet er auf die Tatsache hin, dass ein 25

solcher Dogmatismus mit der Immunisierung angeblich „unbezweifelbarer“ Prinzipien verbunden ist, die damit künstlich vor jeder Kritik geschützt sind, was zu einer nichtgewollten Erkenntnisstagnation führt. Und weiter kritisiert er die Verbindung der Bemühungen um die Sicherheit mit der Wahrheitssuche, was für ihn im Rahmen des kritischen Rationalismus (der den konsequenten Fallibilismus involviert) unakzeptabel ist. Statt autofabrizierter „allerletzter“ Sicherheiten in der Erkenntnis fordert Albert die Konstruktion von Hypothesen und die folgende Kritik in gedanklichen und realen Experimenten. Er behauptet: „Setzt man dagegen an die Stelle der Begründungsidee die Idee der kritischen Prüfung, der kritischen Diskussion aller in Frage kommenden Aussagen mit Hilfe rationaler Argumente, dann verzichtet man zwar auf selbstproduzierte Gewißheiten, hat aber die Aussicht, durch Versuch und Irrtum […] der Wahrheit näher zu kommen.“ (Albert 1991, 42) Und eben dies ist die Konsequenz der Ablehnung der Forderung nach einer Letztbegründung der Erkenntnis: einerseits die Ungewissheit, und anderseits die Möglichkeit einer besseren Approximation an die Wahrheit. Meiner Meinung nach ist dabei sehr wichtig, dass die Ablösung der Forderung nach Letztbegründung durch die Forderung nach konsequenter Kritik nicht zur Skepsis führt, wie es auf den ersten Blick scheint, sondern im Gegenteil zum Fortschritt der Erkenntnis. Die Kritik bemüht sich zwar um direkte Konfrontation mit Fehlern, zeigt aber auf mehr oder weniger offensichtliche Widersprüche hin, wodurch sie bisher akzeptierte Lösungen widerlegt, die sich schon dank der Kritik oft als unhaltbar zeigen. 26

Solch eine Kritik ist also kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, wie man Fehler in relativ unerschütterlichen Erkenntnissen, Positionen und Verhaltensweisen auffindet und – was das wichtigste ist – eliminiert. Es handelt sich also nicht um eine skeptische oder destruktive Kritik, sondern um eine konstruktive Kritik, die im Sinne einer rationalen Heuristik zum Erkenntnisfortschritt führen soll. – „Die Erkenntnis bewegt sich also zwischen Konstruktion und Kritik; sie ist ein Teil der menschlichen Praxis, in der laufend Entscheidungen getroffen werden müssen.“ (Albert 1991, 65) Damit kehre ich wieder zum Problem der Kluft zwischen Entscheidung und Erkenntnis, bzw. zwischen Entdeckungs- und Begründungszusammenhang zurück. Aus den oben erwähnten Gründen stellt Albert fest: „Die seit einiger Zeit übliche Unterscheidung zwischen Entdeckungs- und Begründungszusammenhang in der Erkenntnis und die daran anknüpfende Dichotomie zwischen Wissenschaftslogik einerseits und Geschichte, Soziologie und Psychologie der Wissenschaften andererseits läßt sich angesichts der tatsächlichen Beschaffenheit der Erkenntnissituation kaum in der überlieferten Weise durchhalten.“ (Albert 1978, 49) In diesem Teil habe ich also die interessante Albertsche Ausarbeitung des Letztbegründungsproblems, die mehr oder weniger mit dem Popperschen Begriff des Begründungszusammenhanges kongruent ist, vorgestellt. In gewissem Sinne kann man die Albertsche These, dass hinter jeder Erkenntnis Entscheidungen stehen, auch bei Popper finden, aber im Entdeckungszusammenhang schiebt Popper im Rahmen seiner Konzeption der Wissenschaftslogik dieses Problem beiseite. Aufklärung und Kritik 1/2017

Weiter wurde gezeigt, dass Albert sich nicht bloß auf die Wissenschaftslogik beschränkt, sondern dass er sich um die Entwicklung einer komplexen Erkenntnisund Wissenschaftstheorie bemüht, die auch die Praxis involviert. Daher kann er die scharfe Demarkation zwischen dem Entdeckungs- und Begründungszusammenhang als für die Wissenspraxis irrelevant ablehnen. Gerade in diesem Gebiet überholt Albert die Poppersche Konzeption, was ich im folgenden Teil zeigen möchte. 3. Die Albertsche Weiterentwicklung der Popperschen Konzeption Es wurde schon mehrmals betont, dass die Poppersche Konzeption des kritischen Rationalismus so, wie sie vor allem in der Logik der Forschung vorgestellt wurde, in erster Linie auf Wissenschaftslogik konzentriert ist (wie schon vom Titel her zu erkennen ist). Er behandelt hauptsächlich zwei Probleme: das Induktionsproblem und das Demarkationsproblem, und zwar nur im Rahmen des Begründungszusammenhanges, wobei er bemüht ist, sich gegen die neopositivistische Verifikationsmethode, die auf dem Induktionsprinzip gründet, und gegen die neopositivistische Ablehnung der Metaphysik abzugrenzen.10 Wir haben gesehen, dass Albert in seinem Traktat über kritische Vernunft einige Probleme behandelt, die Popper nur skizziert hat (z.B. das Letztbegründungsproblem). Und gleichzeitig geht er in vieler Hinsicht weiter (z.B. im Entdeckungszusammenhang). Andere Probleme (z.B. das Demarkationsproblem) lässt er mehr oder weniger beiseite, wobei nicht sicher ist, ob er das deswegen tat, weil er glaubt, dass diese von Popper gelöst wurden, oder deshalb, weil sie für ihn nicht von Belang waren. Aufklärung und Kritik 1/2017

Was das Demarkationsproblem betrifft, so setze ich voraus, dass es Albert nicht für relevant hielt. Meiner Meinung nach bemüht er sich, alle scharfen (und mehr oder weniger künstlichen) Demarkationen zu überwinden. Ich erwähnte schon das Kongruenz- und das Realisierbarkeitspostulat, zu denen noch die Annahme des theoretischen Pluralismus und die konstruktive Metaphysik kommen. Zunächst erkläre ich kurz diese Albertschen Annahmen. Theoretischer Pluralismus heißt „nach Alternativen zu suchen, nach anderen Theorien, die möglicherweise besser sind, weil sie größere Erklärungskraft haben, bestimmte Irrtümer vermeiden oder überhaupt Schwierigkeiten irgendwelcher Art überwinden, die von bisherigen Theorien nicht bewältigt werden“ (Albert 1991, 59). Alternative Theorien können nämlich zu Experimenten führen, die die bisherige Theorie in Frage stellen und andere Hypothesen unterstützen, was zum Erkenntnisfortschritt beitragen kann. Konstruktive Metaphysik ist Metaphysik im Sinne einer theoretischen Alternative, die auf die radikale Umwandlung des gegenwärtigen Zustandes der Erkenntnis abzielt, womit sie zum Erkenntnisfortschritt beitragen könnte. Um die bisherigen Konzeptionen zu überwinden, ist nach Albert „ein radikaler Wandel des metaphysischen Bezugsrahmens“ notwendig (Albert 1991, 60). Metaphysik im Sinne einer alternativen Hypothese kann „Unmögliches behaupten, daß heißt: Möglichkeiten entwerfen, die nach dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft nicht gegeben sind, ohne daß ein Grund besteht, sie deshalb von vornherein zu verwerfen“ (Albert 1991, 6061).

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3.1. Eine reale Basis der Wissenschaft Kommen wir nun zur Albertschen Forderung nach einer Einheitsmethode der Wissenschaft. Es handelt sich um die Frage, was es rechtfertigt, um ein bestimmtes Aussagensystem als „Wissenschaft“ zu bezeichnen. In diesem Kontext stellt Albert die Forderung, dass die Methoden aller Wissenschaften (sowohl der Natur- als auch der Sozialwissenschaften) von der gleichen allgemein-methodologischen realen Basis ausgehen (vgl. Albert 1982, 27). Weil das Ziel aller Wissenschaften die Approximation der Wahrheit oder der Realität sein sollte, müsste auch ihre Methode von einer realen Basis ausgehen. In dieser Hinsicht darf man laut Albert keinen Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften machen. Deswegen kritisiert er scharf vor allem die Heideggersche Fundamentalontologie und die an diese anknüpfende Universalhermeneutik Gadamers wegen der Aufstellung besonderer ontologischer und epistemologischer Forderungen. Die universale Hermeneutik fordert nämlich für alle Wissenschaften (also nicht nur für die Geisteswissenschaften, wie es die ältere Hermeneutik tat) eine besondere Methode des Verstehens, die eine tiefere Einsicht in die Realität (als die Methode der bloßen nomologischen Erklärung naturwissenschaftlicher Art) vormitteln soll. Laut Albert führt das zur „Relativierung der Erkenntnisweisen auf die angeblich hinter ihnen stehenden Interessen“ (Albert 2011, 45). Weiter weist er auf das Problem hin, dass die methodologischen Forderungen, die die Hermeneutik erhoben hat, mit der instrumentalistischen Interpretation, der Abwertung und sogar der Entwertung des naturwissenschaftlichen Denkens verbunden sind. 28

Albert lehnt solche hermeneutischen Ansprüche, die mit subjektiver Entscheidung verbunden sind, ab. So scheint er auf den ersten Blick ein Szientist zu sein. Aber wie Popper, setzt auch er nicht voraus, dass die wissenschaftliche Methode gänzlich von Metaphysik und Entscheidung freigehalten werden sollte. Und wir wissen schon, dass er mit der scharfen Abgrenzung zwischen der („rationalen“ oder „objektiven“) Erkenntnis und der („irrationalen“ oder „subjektiven“) Entscheidung nicht einverstanden ist, weil „hinter jeder Erkenntnis – bewußt oder unbewßt – Entscheidungen stehen“ (Albert (991, 73). Was die „Entwertung“ betrifft, wissen wir schon, dass, obwohl Albert die Gültigkeit des Humeschen Gesetzes anerkennt, das für ihn keineswegs bedeutet, dass „die Erkenntnis bestimmter sachlicher Zusammenhänge keine Konsequenzen für normative Überzeugungen haben kann“ (Albert 2000, 44). Hiermit komme ich zum Problem der Wertfreiheit der Wissenschaft. Den Albertschen Entwurf der Lösung dieses Problems finde ich interessant und halte ihn für einen originellen kritisch-rationalistischen Beitrag zur Wissenschaftstheorie. 3.2. Das Problem der Wertfreiheit der Wissenschaft Das Problem der Wertfreiheit der Wissenschaft löst Albert dadurch, dass er drei Ebenen unterscheidet: 1) die Ebene der Metasprache (d.h. die Ebene der Wertbasis der Wissenschaft), 2) die Ebene der Gegenstände der Wissenschaft und 3) die Ebene der Objektsprache (der wissenschaftlichen Aussagen über diese Gegenstände). (vgl. Albert 1991, 76-77) (1) Auf der Ebene der Metasprache taucht die Frage auf, inwieweit die Aussagen der Aufklärung und Kritik 1/2017

Wissenschaften auf Werturteile gegründet werden müssen. Hier sieht Albert keine Schwierigkeit, denn es ist ja selbstverständlich, dass die Forschungspraxis aller Wissenschaften, also jede wissenschaftliche Tätigkeit, von Wertgesichtspunkten und verschiedenen Arten von Werturteilen (z.B. Entscheidung bei der Wahl der Probleme, der Methoden usw.) abhängig ist. (2) Zweitens taucht die Frage auf, inwieweit die Wissenschaften die Wertungen zum Objekt ihrer Aussagen machen müssen. Darin sieht Albert auch kein Problem, denn die Sozialwissenschaften müssen üblicherweise die Wertungen der Menschen zum Gegenstand ihrer Aussagen machen – diese Aussagen informieren lediglich über die Wertungen der konkreten Personen und sind daher keine Werturteile, sondern kognitive Aussagen, die einen informativen Charakter haben (genau wie die Aussagen über die Gegenstände der Naturwissenschaften). (3) Der Kern des Wertfreiheitsproblems der Wissenschaft liegt nach Albert in der dritten Ebene: der Ebene der Objektsprache, wo die Frage entsteht, inwieweit die wissenschaftlichen Aussagen selbst den Charakter von Werturteilen haben müssen. Die Antwort heißt, dass keine Wissenschaft genötigt ist, Werturteile über ihre Objekte in ihr Aussagensystem aufzunehmen. Die Albertsche Lösung liegt also in der Behauptung, dass die Wissenschaft in der Ebene der Objektsprache wertfrei sein sollte. Ebenso wie in den Naturwissenschaften, so auch in den Sozialwissenschaften, sind rein informative Theorien „technologischen“ Charakters erfolgreich praktisch anwendbar, was aber keineswegs ihre Normativierung nötig macht. Deswegen ist es nach Albert nötig, strikt zwischen der informativ-theoretischen Aufklärung und Kritik 1/2017

Technologie, also einem Aussagensystem, und der praktisch-anwendbaren Technik, also der Anwendung eines bestimmten Aussagensystems im praktischen Leben zu unterscheiden. Darum darf man die Relevanz technologischer Systeme für die Lösung bestimmter Probleme mit der Legitimation für ihre praktische Anwendung nicht verwechseln. Technologische Systeme haben nämlich keinen normativen Charakter. Sie antworten nicht auf die Frage Was sollen wir tun?, sondern nur auf die Frage, Was können wir tun, wenn wir diese oder jene Probleme lösen wollen? Technologische Systeme beinhalten nämlich keine Vorschriften, sondern nur Informationen über die Möglichkeiten des menschlichen Denkens, Handelns oder Wirkens – und gerade darin liegt nach Albert ihre praktische Bedeutung (vgl. Albert 2000, 52). 3.3. Der Wirkungszusammenhang Eine rein informative Theorie (Technologie) ist also oft in der Praxis anwendbar, wobei für ihre Anwendung der Informationsgehalt und die Relevanz für die Lösung bestimmter Probleme entscheidend sind. Diese Relevanz kann uns eine konsequente rationale Kritik ermöglichen. Dabei möchte ich betonen, dass man den technologischen Charakter der wissenschaftlichen Theorien im Albertschen Sinne als nur informative (das heißt: nichtnormative) Empfehlung für die Praxis begreifen kann. Damit unterscheidet er sich von Popper, der strikt darauf hinweist, dass wissenschaftliche Theorien nur Verbotscharakter haben können.11 Dabei kommt es nicht darauf an, „den Status quo in den Wissenschaften zu legitimieren, also: bestehende Grenzen, Wissensbereiche, Verfahrensweisen und Pro29

blemlösungen zu rechtfertigen, sondern zur Verbesserung der Erkenntnispraxis in den Wissenschaften beizutragen“ (Albert 2011, 56). In der allgemeinen methodologischen Basis wäre deswegen das vereinigende Interesse aller Wissenschaften das Interesse an der unvoreingenommenen Wahrheitssuche, d.h. das Interesse am Erkennen der realen Zusammenhänge, an der Verbesserung unserer Erkenntnis der Realität. Die oben erwähnten Postulate der Kongruenz und der Realisierbarkeit und die Forderung der Einheitsmethode der Wissenschaften zusammen mit den Voraussetzungen des theoretischen Pluralismus und der konstruktiven Metaphysik ermöglichen es darüber hinaus, das Poppersche und das neopositivistische Haften am Demarkationskriterium zu überwinden. Bei Albert bleibt für die Wissenschaften nur die Forderung der Wertfreiheit im Bereich der wissenschaftlichen Objektsprache. Dazu kommt die Albertsche Spezifizierung, dass es sich im Falle wissenschaftlicher Theorien nicht um bloße Verbote (wie bei Popper), sondern um Empfehlungen handelt, wie man in der Praxis voranschreiten kann. Darüber hinaus ist das allgemeine kritisch-rationale Prinzip der kritischen Prüfung nicht nur in den Wissenschaften, sondern in allen Bereichen der menschlichen Probleme gültig (auch in der Ethik, Politik, Ökonomie, Religion usw.). Obwohl Albert, soweit ich weiß, dies nirgendwo explizit erwähnt, bezieht sich seine Lösung des Status der wissenschaftlichen Theorie und Methodologie auf das Problem des dritten möglichen „Zusammenhanges“: nämlich des Wirkungszusammenhangs wissenschaftlicher Theorien. Einige Autoren (z.B. Gadenne 2012) 30

fügen diese Problematik in den Entdeckungszusammenhang ein, womit ich aber nicht einverstanden bin. Albert unterscheidet Technologie (d.i. wertfreies Aussagensystem, das zum Begründungszusammenhang gehört) von der Technik (d.i. Verwendung des betreffenden Aussagensystems im praktischen Leben, was den sogenannten Wirkungszusammenhang thematisiert). Am Ende möchte ich nicht vergessen, die spezifische Albertsche Auffassung des kritischen Rationalismus als den Entwurf einer Lebensweise zu erwähnen. 3.4. Ein Entwurf einer Lebensweise Schon Popper in seiner Logik der Forschung betont den Vorschlagscharakter jeder Behauptung, „so kann es in der Wissenschaft keine ‚absolut letzten‘ Sätze geben“ (Popper 2005, s. 24). Es ist wichtig, dass das nicht nur für die Wissenschaftstheorien gilt, sondern auch für die Falsifikationsmethode, die Popper lediglich „als einen Vorschlag für eine Festsetzung“ bezeichnet (Popper 2005, s. 13). Dies halte ich für den relevantesten Charakterzug des kritischen Rationalismus überhaupt. Auch nach Albert sind die Grundlagen des kritizistischen Ansatzes die Vorläufigkeit und lediglich der Vorschlagscharakter aller (nicht nur der wissenschaftlichen) Aussagen und Theorien. Das gilt sowohl im „horizontalen“ Sinne, also im Bereich der Behauptungen, die durch den kritischen Rationalismus geprüft werden, als auch im „vertikalen“ Sinne, das heißt im Rahmen der methodologischen Ausgangspunkte des kritischen Rationalismus selbst. Deswegen gibt Albert (wie Popper) explizit zu, dass der kritische Rationalismus nur eine philosophische Hypothese ist, die „der kritischen Argumentation offen steht Aufklärung und Kritik 1/2017

und keinerlei Sicherheit für sich in Anspruch nehmen kann“ (Albert 1991, s. 224). Wesentlich ist, dass Albert schon in seinem Traktat über kritische Vernunft über den kritischen Rationalismus als einen „Entwurf einer Lebensweise“ spricht (Albert 1991, s. 94). Die Konsequenzen der Annahme des kritischen Rationalismus für unser Leben sind demnach folgende: Wir lassen die eigene Fehlbarkeit zu, zugleich aber reflektieren wir sie und bemühen uns im Sinne des Realisierbarkeitspostulats nicht um das Unmögliche. Weiter akzeptieren wir die permanente Ungewissheit unserer „rationalen Entscheidungen“. Aber trotzdem können wir uns aufgrund des Kongruenzpostulats, d.h. aufgrund des wissenschaftlichen Weltbildes erfolgreich in der Welt orientieren. Gleichzeitig haben wir zwar keine existenzielle (z.B. von Gott gegebene) Sicherheit über den „Sinn“ unseres endlichen Lebens, aber wir haben die Möglichkeit, selbst frei zu entscheiden, worin wir diesen Sinn sehen möchten. Nach kritisch-rationalem Appell sollten wir vor allem unsere Erkenntnis und konsequenterweise auch unser Handeln (inkl. der moralischen Dimension) durch Eliminierung unserer Irrtümer zu verbessern versuchen. Wenn Albert fragt, ob das Leben im Rahmen des kritischen Rationalismus, also ein Leben in der permanenten Ungewissheit, ohne die Voraussetzung der Existenz Gottes und eiber damit verbundenen Hoffnung auf die Unsterblichkeit zufriedenstellend und sinnvoll sein kann, dann schlägt er folgende – auf den ersten Blick sehr pessimistische – Antwort vor: „Eine Garantie dafür, daß unser endliches Leben auf dieser Erde sinnvoll ist, kann es nicht geben.“ (Albert 2000, s. 186) Und das schon desAufklärung und Kritik 1/2017

wegen, weil der Mensch nicht alle Bedingungen für sein Leben beeinflussen kann. Aber es gibt noch eine zweite – optimistische – Antwort: „Jeder kann (und muß) selbst darüber entscheiden, „ob er imstande ist, sein Leben so mit Sinn zu erfüllen, daß es ihm lebenswert erscheint“ (ebd.). Und selbstverständlich ist es jedermanns Sache, ob er den Sinn in Gott, im kritischen Denken oder ganz anderswo sieht. Vielleicht klingt es trivial. Zur spezifischen Albertschen Weiterentwicklung Poppers gehört aber auch eine alltägliche und – aus philosophischer Sicht – „triviale“ Dimension. Die (pessimistische) Herausforderung des kritischen Rationalismus zur permanenten Kritik ist untrennbar verbunden mit der permanenten (optimistischen) Bemühung um Verbesserung unserer Erkenntnis, unseres Handelns und der Bedingungen unseres Lebens überhaupt. Und das gilt sowohl im Rahmen der nach unfehlbarer Präzision strebenden und höchst spezialisierten Wissenschaften, als auch im Rahmen unseres fehlbaren und gewöhnlichen Lebens. Schlusswort Aufgrund der vorangegangenen Erklärungen glaube ich, dass die Albertsche Lösung des Entdeckung-, Begründungs- und Wirkungszusammenhanges adäquater ist als die Eliminierungslösung von Popper. Zu den bedeutendsten Leistungen Alberts zähle ich vor allem die sogenannte Überbrückung der Kluft zwischen Erkenntnis und Entscheidung, d.h. die scharfe Abgrenzung der zwei bzw. drei Zusammenhänge mittels der oben erwähnten Realisierbarkeits- und Kongruenzpostulate. Zusammen mit der Forderung nach der Einheitsmethode der Wissenschaften und und mit den Voraussetzungen des theore31

tischen Pluralismus und der konstruktiven Metaphysik wird es möglich, die Forderung nach einem scharfen Demarkationskriterium zu überwinden. Das Prinzip der kritischen Prüfung ist nach Albert nicht nur die methodologische Basis aller Wissenschaften, sondern darüber hinaus auch die Basis aller menschlichen Problemlösungen. Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass Logik und Naturwissenschaften die zentralen Interessen Poppers waren. Dagegen hat Albert Sozialwissenschaften studiert und ist Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre gewesen. Dazu kommt die deutsche philosophische „Umgebung“, mit der er sich zwar auseinandergesetzt hat, von der er aber ausgegangen ist und während seines ganzen Lebens stark geprägt wurde. Einige Autoren (z.B. Zeman 2009, 98) meinen, dass Albert außerhalb des deutschen philosophischen Establishments steht. Damit bin ich aber nur im allgemeinen Rahmen einverstanden: nämlich wenn es die langjährigen Auseinandersetzungen Alberts mit etablierten Vertretern der deutschen Philosophie (wie Heidegger, Gadamer, Küng, Appel, Adorno, Habermas) und Theologie (Ebeling, Küng, Ratzinger) betrifft. Aber im engeren Rahmen des kritischen Rationalismus trägt, meiner Meinung nach, die „deutsche Prägung“ Alberts, zusammen mit seiner sozialwissenschaftlichen Ausbildung zur Weiterentwicklung der Popperschen Konzeption bei. Und deshalb wird Hans Alberts kritischer Rationalismus als ein interessanter Entwurf einer solchen Konzeption neben ihren angelsächsischen Varianten (von Agassi, Musgrave, Bartley, Miller) bestehen.12

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Anmerkungen: Ich möchte mich herzlich bedanken bei Herrn F. Stepanek für die Hilfe bei der Übersetzung dieses Aufsatzes ins Deutsche, sodann bei Herrn Prof. H. Rott für die Diskussion meines Aufsatzes auf dem Forschungskolloquium an der Universität Regensburg, und schließlich bei Herrn Prof. H. Albert für weitere Korrekturen. In meinem Aufsatz gehe ich hier von Poppers Logik der Forschung aus, die sein erstes veröffentlichtes Buch (1934) ist. Im früher geschriebenen, aber viele Jahre später (erst 1979) veröffentlichten Buch Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie erfasst Popper die Erkenntnislehre viel breiter (vor allem im Kontext der Kantischen Erkenntnislehre) als solche und damit vor allem auch als Logik der Forschung. Das Problem der Logik der Forschung ist, dass sie eng wissenschaftsphilosophisch fokussiert ist, und dass sie den Entdeckungszusammenhang nicht involviert. Dies wird hier im Teil 1.3. erörtert. Z.B. Preston (1994, s. 314-315) zeigt, dass Popper die Erkenntnislehre mit der Theorie der empirischen Methode identifiziert, bzw. mit der 1

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Theorie der Erfahrung, der Logik der Forschung, der Theorie der Theorien (theory of theories) und der Methodologie. Preston argumentiert, dass diese Poppersche Auffassung der Erkenntnislehre und Methodologie „sehr verwirrend“ ist. 2 Vgl. Popper (2005, 18). Diese Asymmetrie hängt „mit der logischen Form der allgemeinen Sätze“ zusammen: „diese sind nämlich nie aus besonderen Sätzen ableitbar, können aber mit besonderen Sätzen in Widerspruch stehen“. 3 Nach Parusniková (2008, 65) gilt dies eindeutig bei der Phylogenese (also in historisch-wissenschaftlicher Hinsicht), während man bei der Ontogenese (in methodologischer Hinsicht) die Poppersche Position akzeptieren kann: „Wissen ist phylogenetisch a posteriori, aber ontologisch a priori.“ 4 Salmon (1968, 28) sagt, daß Modus tollens mit Koroboration (Bewährung) de facto Induktion ist. 5 Vgl. Popper (2005, 3): „Als induktiven Schluß oder Induktionsschluß pflegt man einen Schluß von besonderen Sätzen, die z.B. Beobachtungen, Experimente usw. beschreiben, auf allgemeine Sätze, auf Hypothesen oder Theorien zu bezeichnen.“ 6 Vgl. Stellungnahme Poppers zum Albertschen Traktat über kritische Vernunft: „[…] das Buch ist wunderschön, […] ich hätte dieses Buch nie schreiben können, […] ich bin zu einer solchen zusammenhängende Darstellung völlig unfähig.“ Morgenstern & Zimmer (2005, 109-110). 7 Albert hat nur nebenbei erwähnt (aber erst lange nach Poppers Tod), dass er mit der Popperschen Konzeption der Welt-3 nicht einverstanden ist. Vgl. z.B. Zimmer & Morgenstern (2010, 43 u. 53), Albert (2011, 2). 8 Vgl. Popper (2005, 70): „Dogmatismus vs. unendlicher Regreß vs. psychologische Basis“. 9 Vgl. Albert (1991, 17). Vgl. auch den gleichen Akzent auf Wahrheit und Verzicht auf Gewissheit bei David Miller (1994, 1), der gegenwärtig der bekannteste Nachfolger Poppers im angelsächsischen Sprachraum ist. 10 Vgl. aber z.B. die originelle Auffassung des Positivismus bei dem tschechischen Philosophen Josef Tvrdý, der in seiner positivistischen Denkart die Metaphysik nicht ablehnt. Siehe Kratochvíl (2014, 115-119). 11 Vgl. Popper (2005, 18): „Nicht umsonst heißen die Naturgesetze ‚Gesetze‘: Sie sagen umso mehr, je mehr sie verbieten.“

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Dieser Aufsatz wurde durch das Zuschuss-System der Westböhmischen Universität im Rahmen des Projekts Nummer SGS-2015-057 unterstützt. 12

Zur Autorin: Dr. Jitka Paitlová (*1988) ist Fachassistentin am Lehrstuhl für Philosophie der Westböhmischen Universität in Pilsen. Sie beschäftigt sich mit der Erkenntnistheorie und Wissenschaftsphilosophie. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der Kritische Rationalismus.

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