FORSCHUNGEN ZUR ANTIKEN SKLAVEREI BEGRÜNDET VON JOSEPH VOGT, FORTGEFÜHRT VON HEINZ BELLEN IM AUFTRAG DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR HERAUSGEGEBEN VON HEINZ HEINEN † BEIHEFT 5 ________________________________________________________________________________
HANDWÖRTERBUCH DER ANTIKEN SKLAVEREI IM AUFTRAG DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN UND DER LITERATUR, MAINZ
herausgegeben von HEINZ HEINEN † in Verbindung mit ULRICH EIGLER, PETER GRÖSCHLER, ELISABETH HERRMANN-OTTO, HENNER VON HESBERG, HARTMUT LEPPIN, HANS-ALBERT RUPPRECHT, WINFRIED SCHMITZ, INGOMAR WEILER und BERNHARD ZIMMERMANN Redaktion JOHANNES DEISSLER
in Zusammenarbeit mit Andrea Binsfeld und mit dem Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier Gefördert mit Mitteln der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, Köln LIEFERUNG I-V
FRANZ STEINER VERLAG · STUTTGART 2014
Prostitution IV. IKONOGRAPHIE A. GRIECHENLAND Darstellungen von Prostituierten finden sich vor allem in Gelage- und Komosszenen auf attischem Trinkgeschirr: Gemäß den zeitgenössischen Schriftquellen, dass sich ehrbare Frauen nicht an Symposien beteiligten [Demosth. or. 59,28; dazu 3, 112. 6, 89f.], lassen sich die Teilnehmerinnen als Hetären identifizieren, die gemeinsam mit ihren Freiern dem Trinkgenuss frönen und ihre Liebesdienste anbieten. Allerdings lässt sich den Bildern meist nicht entnehmen, ob es sich um freie oder unfreie Hetären bzw. Prostituierte handelt. Allein bei einigen kruden Sexszenen auf Trinkgeschirr des späten 6. und frühen 5. Jhs. ist eine Identifikation als Sklavin naheliegend: Die in aller Drastik bei Gruppensex, Fellatio, Anal- und Vaginalkoitus zur Schau gestellten Frauen werden durch kurze Haare, Gesichtsfalten und hängende Brüste eindeutig vom weiblichen Ideal abgesetzt und visuell zur unfreien Dirne degradiert [6, 119] (Abb.1). Solche eindeutigen Charakterisierungen sind jedoch vergleichsweise selten und werden um 470 v.Chr. schließlich aufgegeben [5, 197]. Neben der Teilnahme am Gelage werden u.a. auch Nacktheit, musische Darbietungen (akroámata), das Hantieren mit Phalloi sowie die Annahme von Geldgeschenken als bildliche Kennzeichen für Prostituierte genannt [vollständige Auflistung: 2, 147-180. 3, 101-112]. Allerdings sind diese Merkmale nur eingeschränkt als hinreichende Kriterien für die Identität einer Prostituierten, geschweige denn einer Sklavin zu werten. So gehört Nacktheit zum festen Bestandteil von Darstellungen weiblicher Körperpflege. Handelt es sich in der frühen Vasenmalerei noch um Mädchen und Frauen von unbestimmtem Status, wird ab ca. 430 v.Chr. das Motiv der sich waschenden Braut beliebt – weibliche Nacktheit avanciert damit zur geeigneten Repräsentationsform von freien Bürgerinnen [3, 101f. 4, 19,34]. Ein weiterer Grenzfall sind Tanzmädchen und Flötenspielerinnen, die auf zahlreichen Vasenbildern ihre musischen Künste zur Schau stellen [6, 93-98]: Ihre meist kinnlangen Haare und die leichte Bekleidung können, in Kombination mit der jugendlichen Gestalt, gleichermaßen als ikonographisches Merkmal einer Sklavin oder eines jungen Mädchens vor der Pubertät gedeutet werden.
Einzig die Anwesenheit männlicher Zuschauer, die manchmal mit Geldbeuteln ausgestattet sind oder gar zudringlich werden, verweist auf den Status einer unfreien Prostituierten [4, 19-21] (Abb.2). Auch der Umgang mit phallischen Objekten lässt nicht zwangsläufig auf den Status der dargestellten Figur schließen: Bei nackten Frauen, die mit einem ledernen Olisbos tanzen oder ihn gar einführen, handelt es sich sicher um Hetären; im Fall einer pejorativen Physiognomie können diese sogar als Sklavinnen benannt werden [5, 44f.] (Abb.3). Bei voll bekleideten Frauen, die den Phallos lediglich herumtragen oder wie eine Pflanze hegen, ist jedoch eher an einen Fruchtbarkeitsritus zu denken [2, 163169]. Das Bildthema der „spinnenden Hetäre“ ist ebenfalls ambivalent [Diskussion: 7, 347-364], verbindet es doch das Motiv des Geldbeutel schwingenden Mannes mit der äußerst sittsamen weiblichen Tätigkeit der Textilherstellung; auch hier ist eine klare Zuschreibung nur bedingt möglich. Noch schwieriger gestaltet sich der Nachweis männlicher Prostitution in den Bildern: Die in zahlreichen Gelageszenen anwesenden Sklavenknaben (paídes) konnten laut schriftlichen Quellen zwar auch für sexuelle Dienste in Anspruch genommen werden; ihre Hauptaufgabe bestand aber zunächst in der Unterhaltung und Bewirtung der Symposiasten [6, 201-212]. Die unscharfe Darstellungsweise griechischer Vasenbilder schlägt sich auch im Forschungsdiskurs nieder. Der ehrenwerte Versuch, eindeutige Kriterien zu entwickeln [5. 6], führte zu teilweise extremen Positionen: So beharren Einige auf einer radikalen Dichotomie zwischen Bürgerin und Hetäre [1], während sich andere gegen jedwede Unterscheidbarkeit von weiblichen Statusklassen aussprechen [2, 180]. Inzwischen wird die Ambivalenz der Bilder jedoch von den meisten Forschern als absichtsvolle Strategie verstanden [3, 129. 4, 19]: Es scheint, als hätte die griechische Bilderwelt bewusst auf eindeutige Unterscheidungsmerkmale verzichtet, um die Deutung der erotischen Szenen der Phantasie der Betrachter zu überlassen. (1) KEULS, E.: The Hetaera and the Housewife. The Splitting of the Female Psyche in Greek Art. In: Mededelingen van het Nederlands Instituut te Rome 44 (1983) 23-40. --- (2) KREILINGER, U.: Anständige Nacktheit. Körperpflege, Reinigungsriten und das Phänomen weiblicher Nacktheit im archaisch-klassischen
Athen. Rahden 2007. --- (3) LEWIS, S.: The Athenian Woman. An Iconographic Handbook. London 2002, 91129. --- (4) MORAW, S.: Schönheit und Sophrosyne. Zum Verhältnis von weiblicher Nacktheit und bürgerlichem Status in der attischen Vasenmalerei. In: JdI 118 (2003) 147. --- (5) PESCHEL, I.: Die Hetäre bei Symposion und Komos in der attisch-rotfigurigen Vasenmalerei des 6.-4. Jahrh. v. Chr. Frankfurt/M. 1987. --- (6) REINSBERG, C.: Ehe, Hetärentum und Knabenliebe im antiken Griechenland. München 1989. --- (7) SUTTON, R. F.: The Interaction Between Men and Women Portrayed on Attic Red-Figure Pottery. Ann Arbor 1982, 73-144.
Abb.2: Tanzmädchen Attisch-rotfigurige Kylix, um 480 v.Chr. London, British Museum E68 (© Trustees of the British Museum).
Abb.3: Phallostanz Attisch-rotfigurige Kylix, 510-500 v.Chr. London, British Museum E815 (© Trustees of the British Museum).
Abb.1: Orgie mit Prostituierten. Attisch-rotfigurige Kylix, 490-480 v.Chr. Florenz, Museo Archeologico 3921 [nach 6, 102 Abb.51a].
B. ROM In römischer Zeit sind erotische Darstellungen vor allem im Medium der Wandmalerei zu finden. Allerdings sind hier keinerlei ikonographische Statusmerkmale für Prostituierte nachweisbar, und so lassen sich Darstellungen von käuflicher Liebe meist nur mit Hilfe des Kontextes ermitteln. Als Hauptquelle für Darstellungen von Prostituierten sind die Malereien pompeijanischer Bordelle (lupanaria) anzusehen. So haben sich etwa aus dem Lupanar des Africanus (VII 12, 18-20) zahlreiche Bildfelder erhalten, welche über den Türstürzen der einzelnen Kammern angebracht waren, um die körperlichen oder akrobatischen Vorzüge der dort zur Verfügung stehenden Damen anzupreisen [1, 8388. 2, 196-206. 3, 73-78] (Abb.4). Daneben konnten auch Thermen und Privathäuser mit erotischen und bisweilen pornographischen Szenen ausgestattet werden. Bis auf die bessere künstlerische Ausführung unterscheiden sie sich kaum von den Bordellszenen [4, 141]. Allerdings sind die am Liebesspiel beteiligten Frauen hier nicht zwangsläufig als (unfreie) Prostituierte aufzufassen, da die Bilder auch von ehrbaren Römerinnen betrachtet wurden [2, 278. 3, 61-66. 4, 141f.]. Gleiches gilt für die zahlreichen Erotika auf Spiegeln, Öllämpchen und Schmuckdosen:
Hauptsächlich von Frauen genutzt, könnten sie eine sowohl animierende als auch didaktische Funktion erfüllt haben [4, 142,146]. Aufgrund der enorm häufigen Wiedergabe bestimmter Bildmotive und Stellungen (figurae veneris) liegt es außerdem nahe, eine gemeinsame Vorlage für die erotischen Bilder anzunehmen, etwa Illustrationen in erotischen Handbüchern [4, 148]. (1) CANTARELLA, E.: Pompeji. Liebe und Erotik in einer römischen Stadt. Darmstadt 1999 (= Pompei. I volti dell’amore. Milano 1998). --- (2) CLARKE, J. R.: Looking at Lovemaking. Constructions of Sexuality in Roman Art 100 B.C.-A.D. 250. Berkeley 1998. --- (3) DIERICHS, A.: Erotik in der römischen Kunst. Mainz 1997. --- (4) MYEROWITZ, M.: The Domestication of Desire. Ovid’s Parva Tabella and the Theater of Love. In: A. Richlin (Ed.): Pornography and Representation in Greece and Rome. New York 1992, 131-157.
Viktoria Räuchle
Abb.4: Wandfresko aus dem Lupanar des Africanus (VII 12, 18-20). Pompeji, 1. Jh. n. Chr. [nach 1, 89].
Das Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) ist ein Projekt des Mainzer Akademievorhabens Forschungen zur antiken Sklaverei (http://www.sklaven.adwmainz.de/). Es soll die Ergebnisse der internationalen Sklavereiforschung erfassen, auswerten, konzise darlegen und der Fachwissenschaft für spätere Untersuchungen ein bisher fehlendes Grundlagenwerk für den alltäglichen Gebrauch bereitstellen. Als alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk wird es ca. 1.000 Stichwörter (Personen, Sachen und Begriffe) in unterschiedlicher Gewichtung beinhalten, der Gesamtumfang ist auf ca. 840.000 Wörter angelegt. Neben den klassischen Formen der Sklaverei werden auch andere Arten der Unfreiheit, die übrigen Kulturen des Mittelmeerraumes (Alter Orient, Ägypten, Karthago etc.) sowie Abhängigkeitszustände in außereuropäischen Zivilisationen (Indien, China etc.) Berücksichtigung finden – allerdings nur zum Zwecke des Vergleichs und nicht als eigenständige Schwerpunkte. Beiträge zur Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte runden das HAS ab. Die Beiträge werden zunächst elektronisch in fünf CD-ROMLieferungen veröffentlicht, wodurch eine rasche, zitierfähige und urheberrechtlich geschützte Präsentation gewährleistet ist. Nach Vorliegen aller Artikel und der Aktualisierung älterer Beiträge ist eine herkömmliche Buchversion (2.400 Spalten) geplant. Publikationssprache ist in erster Linie Deutsch, Artikel in englischer, französischer und italienischer Sprache sind ebenfalls vertreten.
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Zitiervorschlag: Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) hrsg. von Heinz Heinen † in Verbindung mit Ulrich Eigler, Peter Gröschler, Elisabeth Herrmann-Otto, Henner von Hesberg, Hartmut Leppin, HansAlbert Rupprecht, Winfried Schmitz, Ingomar Weiler und Bernhard Zimmermann. Redaktion: Johannes Deissler. Lieferung I-V. Stuttgart: Franz Steiner 2014, s.v. „xxx“ (N.N.) Kurzform: Handwörterbuch der antiken Sklaverei (HAS) I-V (2014), s.v. „xxx“ (N.N.)