1. Ermitteln und Vermitteln. Grundentscheidungen bei der Konzeption einer Theologie des Alten Testaments
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� Sünde als Verhängnis
Gen 6,1-4 im Rahmen der Urgeschichte des Jahwisten
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}�Ist Gen 15,6 ein Beleg für die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit?
9
49
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63
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77
(�) Der Glaube Abrahams. Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 zur Zeit des zweiten Tempels
5. Der Kultstier aus goldenen Ohrringen (Ex 32,2f.). Erwägungen zur theologischen Programmatik des goldenen Kalbes
„.„„„„„„.„„„„„„„„.„„„„„„ „„
6. Gottes Offenbarung „von hinten" (Ex 33,24). Erwägungen zu einem wenig beachteten Aspekt des alttestamentlichen Offenbarungsverständnisses
„ „„„„„„„.
93
109
7. „Du sollst nichts hinzufügen und nichts wegnehmen" (Dtn 13,1)-Altorien talische Ursprünge und biblische Funktionen der sogenannten Kanonformel „„„„ 12 1 8. „Du sollst nicht abweichen -weder zur Rechten noch zur Linken!" (Dtn 17,11). Erwägungen zu Struktur und Geschichte einer alttestamentlichen Formel . 139 9. „Ich habe einen Greis gegessen". Kannibalismus und Autophagie als Topos der Kriegsnotschilderung in der Kilamuwa-Inschrift, Z. 5-8, im Alten Orient und im Alten Testament
153
10. Die Eroberung Jerusalems durch David in deuteronomistischer und chronistischer Darstellung (II Sam 5,6-9 und I Chr 11,4-8). Ein Beitrag zur narrativen Theologie der beiden Geschichtswerke
165
11. Naboth, der Jesreeliter. Untersuchungen zu den theologischen Motiven der Überlieferungsgeschichte von 1 Reg 21
181
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\i� „Fürwahr, er trug unsere Krankheit" (Jes 53,4). Die Bedeutung der alttesta mentlichen Vorstellungen von Sünde und Sündenvergebung für das Verständnis der neutestamentlichen Abendmahlstraditionen
197
13. Gericht Gottes und Geschicke der Völker nach Zef 3, 1-13. Exegetische und systematische Erwägungen zur Frage: In welchem Sinne ist der kanonische Endtext normativ?
16. Gott und der Schlaf. Erwägungen zu einem Aspekt des alttestmnentlichen Redens von Gott
261
„„.„„„„.„ „ „.„ „„„„„.„.„„.„.„ „ „ „„„ „„„„„.„„
17. Von der Angelologie zur Christologie? Zur Bedeutung der zwischentesta mentlichen Literatur für den christlich-jüdischen Dialog am Beispiel des Tobitbuches . . . . . .. . . . . . 273 ...„............ „..
Gottes Offenbarung „von hinten" (Ex 33,24) Erwägungen zu einem wenig beachteten Aspekt des alttestamentlichen Of fenbarungsverständnisses „Gerade im Glauben werden wir sagen müssen, daß unsere Erkenntnis Gottes allen Ernstes beginnt mit der Erkenntnis der Verborgenheit Gottes:' K. Barth, Kirchliche Dogmatik 1111, 205
1. Die Dialektik der alttestamentlichen Offenbarungskonzeptionen Das Alte Testament scheint eine besonders einfache, ja geradezu primitive Vorstellung davon zu haben, wie Gott sich den Menschen offenbart: Wie ein Mensch ruft der im Paradiesgarten herumspazierende Jahwe: „Adam, wo bist du?" (Gen 3,9), läßt seine Stimme erschallen: „Wo ist dein Bruder Abel?" (Gen 4,9), handelt mit Abraham wie ein Marketender um das Leben der Gerechten (Gen 18,20-33) oder redet mit Mose „von Angesicht zu Angesicht" (Dtn 34,10). Entgegen diesen massiven Anthropomorphismen bietet das Alte Testament zahlreiche Aussagen, welche die strenge Unterscheidung von Gott und Mensch einschärfen: „Nicht ein Mensch ist Gott" (Num 23,19; 1 Sam 15,29; Hos 11,9; vgl. Jes 31,3; Ez 28,2; Ijob 33,12 u.ö.). Gott entzieht sich vielmehr der menschlichen Anschauung: „Jahwe hat gesagt, er will im Dunkel wohnen" (1 Kön 8,12), „Wolken und Dunkel sind um ihn her" (Ps 97,2, vgl. Ps 18,12). Das Schauen Gottes wird sogar als unmög lich angesehen; wer Gott sieht, muß sterben.1 Selbst bei der engsten kultischen Begeg nung, wenn der Hohepriester am Jom Kippur hinter den Vorhang des Allerheiligsten treten darf, muß eine dichte Rauchwolke erzeugt werden, „daß die Wolke vom Räu cherwerk den Gnadenthron bedecke, der auf der Lade mit dem Gesetz ist, damit er (der Hohepriester) nicht sterbe." (Lev 16,13). Wie sind diese sich logisch ausschließenden Vorstellungen von der direkten Unmittel barkeit einerseits und der notwendigen Indirektheit, ja Verborgenheit Gottes anderer seits zusammenzudenken? In der Forschung wird vielfach eine Entwicklungslinie an genommen, wonach sich das konkrete, fast primitive Offenbarungsverständnis im Lau fe der Zeit stark zum Abstrakten hin gewandelt habe; Israel habe im Verlauf seiner Religionsgeschichte immer transzendentere Vorstellungen ausgebildet.2 In den alten Überlieferungen, etwa dem Jahwisten (10./9. Jh.), sei Jahwe wie ein Mensch erschie nen; spätere Tradenten hätten unter dem Druck der geänderten theologischen Gesamt sicht diese schroffen Anthropomorphismen abzumildern gesucht, indem sie etwa das Offenbarungsgeschehen in Naturgewalten wie Regen und Feuer (so z.B. die Eliatradi tionen des 9. Jh.s), in den Traum (so der Elohist im 8. Jh.) oder in prophetische Visio nen verlagert hätten (so Arnos und Jesaja im 8. Jh.). Diese Tendenz zur Spiritualisie-
2
Vgl. dazu Ch. Dohmen, „Nicht sieht mich der Mensch und lebt" (Ex 33,20). Aspekte der Got tesschau im Alten Testament, JBTh 13 (1998) 31-51. Vgl. HD. Preuß, Theologie des Alten Testaments, Band I, 228-258, Literatur bis 1981 Anm. 458.
' 1
GOTTES OFFENBARUNG
110
rung und Transzendentalisierung habe sich in der Spätzeit und schließlich im zwi schentestamentlichen Judentum weiter verstärkt.3 Rudolf Bultmann etwa versteht die Verkündigung Jesu primär als Protest gegen diese Tendenz zur Abrückung Gottes von der Welt: Zwar „unterscheidet sich Jesu Gottesgedanke nicht grundsätzlich von dem des Alten Testaments und Judentums. In der Frömmigkeit des Judentums ist freilich die Kraft des Schöpfungsglaubens„. geschwächt; Gott ist in die Ferne gerückt als der jenseitige himmlische König, und man vermag sein Walten in der Gegenwart kaum noch zu spüren. Für Jesus ist Gott wieder ein Gott in der Nähe geworden."4 . • Eine solche Entwicklungslinie ist aber unwahrscheinlich und in solcher Emdeut!gkeit gewiß nicht zutreffend, sowohl was die zeitlichen Anfänge als auch was das Ende die ser vermeintlichen Geschichte der Offenbarungskonzeptionen anlangt. Die Gegeben heiten waren - wie meist in der wirklichen Historie -komplex. Sowohl in der Frühzeit als auch in der Spätzeit stehen anthropomorphe wie auch spiritualisierende Vorstellun gen in mannigfacher Variation direkt nebeneinander!5 D.h. Gott wird durch die gesamte israelitische Religionsgeschichte hindurch als plas tisch und konkret in der Geschichte wirksam vorgestellt; gleichzeitig gilt Jahwe aber auch von Anfang an als völlig unanschaulich, transzendent und weit weg von der Erde und ihrer Geschichte.6 Schon in der vorstaatlichen Zeit scheinen nomadische Elemente des späteren Großis rael eine anikonische Gottesvorstellung gekannt zu haben, die sich spätestens im 9. Jh. mit der Jahwe-allein-Bewegung breitere Geltung verschafft hat und bei Hosea schon Begründung der Gerichtsansage sein kann. Daß umgekehrt das spätere zwischentesta mentliche Israel bis zur Zeit des Neuen Testaments nicht nur den Gott in der Feme kannte sondern auch sehr direkt von Gottes Offenbarung sprechen konnte, ja geradezu einen Hang zur Inkarnation7 des Handelns Gottes hat, wird z.B. aus der sich stark ent wickelnden Angelologie deutlich. 8 Im Gebet und im Kult wird Jahwe als der deus praesens erfahren. . . . Gewiß darf man nicht jeden Widerspruch als Dialektik bezeichnen, aber m diesem Fal le scheint der Begriff durchaus angemessen. Dialektik bezeichnet die Logik des Glau bens, der um die gleichzeitige Gültigkeit eines logischen Widerspruchs (A und non-A sind beide zugleich wahr) weiß. . . Mit den nachfolgenden Überlegungen, die Horst-Georg Pöhlmann als mehrjähngen lieben Kollegen zu seinem 65. Geburtstag grüßen und ihm Gottes Segen wünschen wollen, möchte ich einige Gedanken zu einer Eigentümlichkei� der Offenbarungsvor stellung entwickeln, die bisher in der Forschung offenbar so mcht gesehen wurde. Es handelt sich dabei um die Verknüpfung der dialektischen Offenbarungsvorstellungen •
.
3 4 5
6 7
Besonders stark wird dieser angebliche Wandel z.B. von W. Bousset/H Greßmann, Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter, Tübingen 1926, 302-320 betont. 6 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1968, 23f. 8 Vgl. u.a. W.H Schmidt, Alttestamentlicher Gl�ube, Neuki�·chen-y luyn 1996, 34-3? (Gott der . . Väter) sowie 410-417 (Gott in der Apokalyptik); B.S. Chzlds, Die Theologie der einen Bibel, Band 2, Freiburg u.a. 1996, 14-26: Die I?entität Go�es. . . z.B. muß Jahwe nach Gen 11 „herabsteigen", damit er den vermemthch so hohen Turm zu Babel überhaupt erkennen kann. . So nennt M Wyschogrod, Inkarnation aus jüdischer Sicht, EvTh 55 (1995) 13-28, die „�orstel lung daß Gott in die Welt der Menschen eintritt, daß er an bestimmten Orten erscheint und dort w�hnt so daß sie dadurch heilig werden", „inkarnatorisch" (22)! Vgl. M O;ming, Von der Angelologie zur Christologie, in diesem Band. „.
8
GOTTES OFFENBARUNG
111
mit einer bestimmten Präposition. Während das Neue Testament häufig davon spre chen kann, daß der glaubende Mensch „in Christus" (76 x kv XpwtQ) ist, betont das Alte Testament im Verhältnis zu Gott eher die bleibende Differenz, was die Unter- und Hinterordnung des Menschen impliziert. Mystik hat im Alten Testament wenig An satzpunkte: Gott wird nicht in etwas erfahren,9 schon gar nicht kommt der Glaubende etwa im Sinne einer unio mystica - durch die Offenbarung 'in Jahwe hinein'. Gott bleibt selbst im Himmel hinter einem Vorhang; er wird nicht einmal von vorne ge schaut, sondern - und diesem Aspekt soll unsere Aufmerksamkeit gelten - nur 'von hinten' ! Mehrfach sind Offenbarungsaussagen mit der Präposition ')J:)� verbunden. Schon die sehr häufige dtn-dtr Wendung „hinter anderen Göttern hergehen" (Dtn 4,3; 6,14; 8,19; 11,28; 13,3 u.ö.) bzw. die seltener belegte Wendung „Jahwe/Gott treu nachfolgen" ('JJ:)� l'?i\) (1 Kön 14,8) weist darauf hin, welche Stellung der Glaubende im Verhältnis zu Gott einzunehmen hat. Im allgemeinen wird der Ausdruck folgen dermaßen erklärt: „Durch 'iMK werden verschiedenartige Verhältnisbestimmungen bezeichnet: das Verhältnis zwischen dem Knecht und seinem Herrn (Jes 45,14; Ps 45,15; 49,18), dem Kriegsheer und seinem Feldherrn (Ri 3,28; 2 Sam 2,10; 15,13; 20,2.11.13.14; 1 Kön 1,35.40; 2,28; 12,20; l6,21f; 2 Kön 9,18f.; 11,15; 2 Chr 11, 16; Ps 94,15), dem Jünger und seinem Meister (1 Kön 19,20f.), der Frau und dem Mann (Gen 24,5.8.39.61; 1 Sam 25,42; Ruth 3,10; Hld 1,4). In allen Fällen handelt es sich um ein Abhängigkeits- oder Eigentumsverhältnis, in dem der Nachfolgende dem Vo rausgehenden Gehorsam schuldet."10 Auch wenn üblicherweise die Herkunft aus dem Traditionszusammenhang des Heiligen Krieges betont wird, wonach ursprünglich das 11 Volk Gottes hinter dem Kriegssymbol (etwa der Lade als Kriegspalladium) herzog, so scheint doch an wenigstens vier Stellen (Gen 16,13; Ex 33,23; Sach 2,12; Ps 73,24) die vielleicht zunächst erstaunliche Besonderheit belegt zu sein, daß Gott sich prinzi piell „von hinten" offenbart. Das „hinter Jahwe (oder anderen Göttern) gehen" würde von solchen Stellen her zu einer offenbarungstheologisch sehr grundsätzlichen Aussa ge werden. Der Mensch kann immer nur ex post, post festem, post eventum Gottes Ge genwart begreifen. Die einschlägigen Texte sollen zunächst ein wenig näher beleuchtet werden, bevor abschließend eine systematisierende Auswertung versucht wird. Gemäß der alten und bewährten hermeneutischen Regel, daß man von den klaren zu den unklaren Stellen voranschreiten soll, beginne ich mit der Offenbarung Gottes am Sinai. „.
2. Theologie der Präpositionen: Gott von „hinten" 2.1.
Ex 33,23
In einem relativ jungen, quellenmäßig nicht zuzuordnenden Text12, der am Ort der Of fenbarung par excellence, dem Gottesberg Sinai spielt, wird narrativ das Problem ent9 10 11 12
Vgl. z.B. J Kön 19,l Jf„ wo Gott nicht in dem Wind, nicht in dem Erdbeben und nicht in dem Feuer war. F.J. Helfmeyer, ''.)!'.)�,ThW AT I (1973) 220-224, hier 221. F.J. Helfmeyer, Die Nachfolge Gottes im Alten Testament (BBB 29), Bonn 1968. M Noth, Das zweite Buch Mose (ATD 5), Göttingen 1959, 204, nimmt plausibel an,daß es sich um einen späteren „Nachtrag" handelt, ohne sich genauer festzulegen. Vermutlich ist die Vor stellung von der „Herrlichkeit Jahwes" priesterschriftliche Vorgabe, so daß man mit dem in sich
1 f
1 12
GOTTES OFFENBARUNG
faltet wie weit der Mensch das Wesen Gottes erfassen und erkennen kann. Auf den
�
drin enden Wunsch Moses, Gottes Herrlichkeit schauen zu dürfen, der letztlich mit
dem Wunsch nach vollständigem Offenbarwerden Gottes identisch ist, beordert Jahwe
Mose in eine Felsspalte, gewährt ihm aber nur eine Teilerfüllung seiner Bitte: Zwar
will er an ihm vorüberziehen (anthropomorph), ihm dabei jedoch die Augen bedeckt halten (transzendent), bis er vorbeigezogen ist. „Dann will ich meine Hand von dir tun,
und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen" (Lu
ther) bzw. „Dann ziehe ich meine Hand zurück, und du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht aber kann niemand sehen" (Einheitsübersetzung).
Die hebräische Grundlage der hervorgehobenen Übersetzungen lautet delt sich dabei um ein aus einer Präposition gebildetes Nomen:
')hlff'l\::).
'iMK I illK
Es han
bedeutet
zumeist temporal, aber auch lokal: „hinter", „nach". Ganz wörtlich könnte man über
setzen:
GOTTES OFFENBARUNG
113
Vorbeigehen schon tun? E. Levinas hat von seinen philosophischen Prämissen her die
sen Gedanken vertieft, indem er ·�h� mit „Spur" übersetzt und das Geschehen am Sinai
ins Fundamentalontologische, d.h. für ihn zu einer Aussage über den Menschen als
Ebenbild Gottes, wendet: „Der Gott, der vorbeigegangen ist, ist nicht das Urbild, von
dem das Antlitz das Abbild wäre. Nach dem Bilde Gottes sein heißt nicht, Ikone Got
tes sein, sondern sich in seiner Spur befinden. Der geoffenbai1e Gott unserer jüdisch
christlichen Spiritualität bewahrt die ganze Unendlichkeit seiner Abwesenheit, die in
der personalen Ordnung selbst ist. Er zeigt sich nur in seiner Spur, wie in Kapitel 33
des Exodus. Zu ihm hingehen heißt nicht, dieser Spur, die kein Zeichen ist, folgen, 19 sondern auf die Anderen zugehen, die sich in der Spur halten." Aber auch in dieser
Exegese steckt eine massive Umdeutung.
Häufiger noch wird in der jüdischen Exegese als Gegenbegriff zu „Angesicht" (')9) 2 „Hinterkopf' übersetzt.20 Nach Raschi 1 sieht Mose, als er hinter Gott herschaut, die
Knoten der Gebetsriemen am Kopf Jahwes. Welch ein massiver Anthropomorphis „Und ich werde meine Hand wegnehmen, und du wirst „mein Hintertei1"13 se
hen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen."
mus! So wie Menschen die Tefillin mit den einschlägigen Erinnerungstexten laut Ex
13,9 und Dtn 6,8 als Merkzeichen anlegen sollen, um sich der Gebote Gottes zu erin
nern, so soll Gott selbst solche schriftlichen Erinnerungszeichen auf seinem Kopf tra
1 Aufgrund der bewußten Opposition zu „Angesicht" 4 im Schlußteil des Verses muß
man wohl sogar so verstehen. LXX bietet sehr wörtlich: ta onlac.u µou. Vulgata �her 1 trägt posteriora mea. Diese (zunächst) sehr anstößige Aussage 5 ist durch viele Ube� setzungen (wie die genannten deutschen) abgemildert worden. In der jüdischen Tradi
tion begegnet gelegentlich die Deutung, daß ')h� entsprechend der zeitlichen Grund bedeutung der Präposition16 die ferne Zukunft meine,_ ')9 dagegen das, was vor Augen 17 ist, die Gegenwart. Aber wieso kann niemand die Gegenwart sehen? Oder man deu
tet den Ausdruck als Umschreibung der göttlichen Handlungsarten: „Nous ne pouvons
?
gen. Durch die Heilige Schrift in den Kapseln bringt sich Gott seinen Bund mit Israel
stets in Erinnerung, so wie Israel sich dadurch seinen Bund mit Jahwe ins Gedächtnis
ruft; Jahwe soll an der Erinnerungskultur Israels partizipieren. Jedoch sind alle solche
verständlichen Versuche der Umdeutung doch wohl ebenso anstößig wie die Aussa
gen, deren Anstoß sie beseitigen wollten. Steckt in der Aussage, daß Gott Mose - so
gar Mose - sein „Hinterteil" zeigt, nicht auch wörtlich verstanden tiefer theologischer
Sinn? Mose, der so gerne Gott vollständig geschaut hätte, muß erfahren, daß sich Gott, obgleich er unmittelbar - zum Anfassen nahe - an ihm vorübergeht, ihn sogar berührt,
indem er ihm die Augen zuhält, dem Menschen in solcher ersehnten Fülle doch nicht
[sie! ohne pas] nous faire une image de Dieu par la connaissance de s n tre, mais ? uniquement par !es actes qu' il accomplit dans la nature et dans 1 , h1stoire. Cette
erschließen kann. Der Mensch würde sterben, vermutlich, weil Gott zu groß für ihn ist;
tituent les principes de base du gouvernement divin, ils seront releves a Moise sur sa
will be able to perceive only My works and to discern from them some of My attrib utes, but you will be unable to comprehend My essential nature".22 Eine nicht geringe
connaissance a un charactere a posteriori et etant donne que les 'treize attributs' cons
demande. Il possedera ainsi la cle qui lui permettra d'acceder a la connaissance 'des
voies divines' dans toute la mesure humainement possible."18 Aber was soll Gott im
er würde zerbersten. „Here it is obvious that figurative expressions are being used: you
Ironie schwingt wohl mit, wenn uns gesagt wird, daß Gott den Menschen, selbst Mose,
nur den „Hintern" zeigt; sie fungiert als eine drastische Kritik der menschlichen Ver nunft, die das Eigentliche eben nicht ergreifen kann. Darf man es wagen, hier eine nar
rative Form von erkenntnistheoretischem Platonismus im Alten Testament zu vermu
offenbar nochmals geschichteten Abschnitt Ex 33,18-23 wohl ins 5./4. Jahrhundert käme vgl. .' HJ. Hermisson, Gottes Volk auf dem Weg durch die Wüste (2. Mose 33,12-23), ThBe�tr 24 (1993) 169-174. J.M Vincent, 1\spekte der Begegnung mit Gott im Alten Testament: Dte Er . fahrung der göttlichen Gegenwart tm Schauen Gottes, RevBtb 103 (1996) 5-39. Im Neuhebräischen lautet der Ausdruck heute exakt so, vgl. J. Levy, Taschenwörterbuch Deutsch-Hebräisch/Hebräisch-Deutsch, Berlin/München 1991, 172 bzw. 8. M Noth, a.a.O. rechnet damit, daß '19 hier „Vorderseite" bedeutet. B.S. Childs, The Book of Exodus, Loµisville 1974, 596, nennt den Ausdrnck „a tremendous anthropomorphism". Vgl. E. Jenni, 'inK, THAT I, München 1971, 1 lOf. . , In den Rabbot des Rabbi Nathan, Kap. 25, z.B. „ 'face' is referred to 'thts world , and back to the 'world to come"' (B.S. Childs, a.a.0. 599). . . E. Munk, La voix de la Thora. L'Exode, Paris 1988, 39? „Wir kön�en uns ket� B�ld �on Gott machen durch die Erkenntnis seines Seins, sondern allem durch seme Taten, dte st�h m �atur . . und Geschichte vollziehen. Diese Erkenntnis ist ausgezeichnet durch em a poster�ort und 'st so . gegeben, wie die ,dreizehn Attribute', die die Grundlage �er gö�lichen Wel�regterung bilden. . . Sie sind Mose auf seine Bitte hin offenbart worden. Er besitzt dann den Schlusse!, der thm den
ten? Was Platon im Höhlengleichnis mythisch ausdrückte, faßt Ex 33 in eine theologi sche Erzählung: Das Ding an sich (die „Idee" Gottes) ist menschlichem Erfassen ent-
-
13 14 15 16 17 18
,
19 20
,
21 22
Zugang zur Erkenntnis der ,göttlichen Stimmen' ermöglicht, soweit diese mit menschlichen Kategorien Oberhaupt zu erfassen sind." (vgl. auch Anm. 19). E. Levinas, Die Spur des Anderen, in: ders„ Die Spur des Anderen (übersetzt von W.N. Krewa ni), Freiburg/München 21987, 209-235, hier 235. . . . . . B. Jakob deutet: ,Wenn meine Erscheinung vorüber ist, dann wirst du thr wenigstens nachbli cken und nachde�ken und daraus auf mein panim, mein Wesen, mittelbar schließen dürfen" (B. Jakob, Das Buch Exodus, Stuttgart 1997, 962). Ein deutscher Rabbiner des 19. Jh. deutet noch stärker abstrahierend: „die Spuren von mir in mei�en Waltungen kannst und sollst du sehen" (S.R. Hirsch, Der Pentateuch (2) Exodus, Frankfurt 1911, 492. Raschi-Kommentar zum Pentateuch (hrsg. v. S. Bamberger), Basel 3 1975, 267f. U. Cassuto, A Commentary of the Book of Exodus, Jerusalem 1967, 436 (Hervorhebung M.O.; die in dieser Paraphrase involvierte erleichternde Deutung von „Hintetieil" auf „(zurückgelas sene) Werke" möchte ich freilich nicht übernehmen).
114
GOTTES OFFENBARUNG
zogen, unsere Vernunft muß sich mit der Rückansicht, der schattenhaften Erscheinung begnügen?
115
GOTTES OFFENBARUNG
fahrnis nicht nur an diesem Ort und nicht nur dieses eine Mal zuteil geworden ist, son dern einen grundlegenden Sachverhalt darstellt. Ihr Leben vollzieht sich unter den Au
gen des Gottes, der auch auf sie, die Sklavin, auch in ihrem Elend, ein wachendes Au ge wirft. Aber erst post eventum wird ihr offenbar,
wer
ihr in der Not zur Seite stand
2. 2. Gen 16,13
und steht. Im Wort der Hagar schwingt also schon die später in Ex 33 entfaltete Ein
Gen 16,13b gilt als sehr schwieriger Text, was u.a. eine längere Diskussion in der Teitschrift Vetus Testamentum2 3 verdeutlicht. Vielleicht gewinnt der m.E. alte Text24
paraphrasiert ganz in diesem Sinne: „ich habe hinter dem hersehen dürfen (Ex 3323), der mich, mein Elend sah, sich meiner annahm"28 •
an Plausibilität, wenn man erkennt, daß in dem
'�'i ''.!IJ�
die im jüngeren Text Ex 33
erkannte Vorstellung von der „Rückseite" Gottes steckt. Meine Übersetzung versucht
zunächst, ohne irgendeinen Eingriff in den hebräischen Konsonantentext auszukom men.25
(
=
„der Gott, der nach mir schaut")".
„Habe ich nicht auch hier die Rückseite (das Hinterteil)26 dessen geschaut, der
nach mir schaut?"
Hagar bekennt, daß die menschliche Gestalt, die ihr in der notvollen Situation der
Flucht vor Sara begegnete, der rettende Gott selbst in Gestalt eines Jahweboten war (i1,1i1,' 1t::7�).27 In dem „auch hier" klingt das Bekenntnis an, daß ihr ein solches Wider-
23
24 25
Psalm 73 gehört nicht notwendig in die Spätzeit der Weisheit Israels; denn die soge
die mancherlei offensichtlichen Gegenbeispiele gegen einen mechanistischen Tun Ergehen-Zusammenhang sind dem weisheitlichen Denken von vornherein immanent29; dennoch ist eine Spätdatierung wahrscheinlich. Entgegen verbreiteten Darstellungen3 0
der zu ihr gesprochen hatte, „DU bist El-Rol
2.3. Ps 73,24 nannte „Krise" der Weisheit als Reflexion auf die Grenzen des eigenen Ansatzes und
Da rief sie als Namen Jahwes,
Denn sie sagte:
sicht mit, daß Gott immer nur von der Rückseite her geschaut werden kann. B. Jacob
Vgl. H Seebass, Zum Text von Gen XVI 13B,VT 21 (1971) 254-256; Th. Booij, Hagar's Word in Genesis XVI 13B, VT 30 (1980) 1-7; A. Schoors, A Tiqqun Sopherim in Genesis XVI 13B?, VT 32 (1982) 494f.; K. Koenen, Wer sieht wen? Zur Textgeschichte von Gen XVI 13, VT 38 (1988) 468-474. Zuletzt hat H Seebass (Genesis II/I. Vätergeschichte I (11,27-22,24), Neukir chen 1997, 84.90 seine Konjektur von 1970 verteidigt: „Da gab sie Jahwe, der mit ihre (sie!) re dete, einen Namen: 'Du bist EI Ro'i', denn sie ergänzte: 'Zum Leben war es, daß ich hinter dem hersah, der mich ersah '". Sehr zu recht hat ihn Seebass wieder dem Jahwisten zugeordnet (den er ins 8 Jh. (herab)datiert [vgl. ders„ Pentateuch, TRE 26 (1996)); ich würde mindestens 100 Jahre hinaufgehen). Die Septuaginta bietet KIXL yixp EVWlT\OV Elöov ocjl9EV1a µol ( „und zwar habe ich die Rückseite dessen gesehen, der mich sieht"); die Vulgata liest profecto hie vidi posteriora videntis me (= „fürwahr, hier habe ich die Rückseite dessen gesehen, der mich sieht") und entspricht meiner Übersetzung fast vollständig: lediglich das He interrogativum wird von der Vulgata als rhetorische Frage mit der Funktion der Verstärkung gedeutet, was aber sachlich überhaupt keinen Unterschied macht. Die stehend freihändigen Konjekturen älterer Ausleger sind m.E. unnötig, so z.B. auch diejenige des großen J. Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, 324, Anm. ( „habe ich die Gottheit geschaut und bin am Leben erhalten nach meinem Schauen?"), auch wenn sie jetzt wieder von Ch. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen 1993, 1 SO als zutreffend deklariert wurde. Die Übersetzung stützt sich auf J. Lindblom, Theophanies in Holy Places in Hebrew Religion, HUCA 32 ( 1961) 91-106, hier 102, der ''.JQ� wohl zu Recht als Substantiv versteht und dafür auf 2 Sam 2,23 verweisen kann, wo mit der gleichen Vokabel das „hintere Ende des Speeres" be zeichnet wird. A. Schoors (s. Anm. 23) hat in der Sache recht, wenn er den Ausdruck als Ver meidung von „Angesicht" Gottes versteht; jedoch geht diese Ausdrucksweise nicht erst auf die theologische Arbeit der Masoreten zurück, sondern hat - wie schon die LXX beweist - wohl doch ein weit höheres Alter. Ähnliche Vorstellungen von der Erscheinung Jahwes in Gestalt eines Gesandten finden sich in Gen 28,16 („Fürwahr, Jahwe ist an dieser Stätte, und ich wußte es nicht!"), Ex 3 (wo sich der Engel des Herrn als Jahwe „vorstellt") oder Ri 6 (wo Gideon mit dem Engel des Herrn redet und Angst hat, daß er nunmehr sterben müsse, vgl. Tob 12,16f.).
steht die Problemlösung von Ps 73 nicht in besonderer Nähe zum Hiobbuch. Seine
Lösung des nicht nur für weisheitliches Denken quälenden Problems, wieso der
Schurke Erfolg hat, der Gerechte aber leiden muß, vollzieht sich sehr viel simpler als im Hiobbuch in „orthodox" weisheitlichen Bahnen:31 Der Ausgang des Lebens der Ungerechten3 2 wird grausam sein (vgl. V. 17-19); genau dies hatten Hiobs Freunde
28 29
=
=
26
27
30
31
32
B. Jacob, Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin 1934, 414.
Am pointie1iesten haben HD. Preuß (Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur (UT 383), Stuttgart 1987, 172-198) und A.HJ. Gunneweg (Biblische Theologie des Alten Tes taments, Stuttgart 1993, 234-243) die These vertreten, daß die Weisheit notwendigerweise in die Krise geraten mußte, weil sie mit dem Wesen des Jahweglaubens nicht vereinbar sei, und daß ihr von daher ein legitimer Ort in der christlichen Theologie verweigert werden müsse. Demge genüber muß man festhalten, daß die Weisheit als theologische Grundorientierung im Alten Testament niemals - wie Jesus Sirach zeigt, auch nicht in der Spätzeit - aufgegeben und auch im Neuen Testament mitnichten abgelehnt wurde, wie die zahlreichen neutestamentlichen Weis heitstraditionen zeigen. Allerdings ist - wie B. Janowski, Die Tat kehrt zum Täter zurück. Offe ne Fragen im Umkreis des „Tun-Ergehen-Zusammenhangs", ZThK 91 (1994) 247-271, über zeugend gezeigt hat - die Weisheit Gottes im Alten (und Neuen Testament) niemals auf einen mechanistisch zu berechnenden Tun-Ergehen-Zusammenhang zu reduzieren, wenn auch dieser seine Geltung als „Faustregel" durchgängig behält; hinzu treten „soziale Interaktion" und „gött liche Intervention". Insofern hat es eine „Krise" der Weisheit oder gar ihr Scheitern gar nicht gegeben. Daß ein simples Schwarz-Weiß-Denken nach dem Schema „Heil den Gerechten - Un heil den Frevlern" in beiden Testamenten notwendigerweise konterkariert und durch die Erfah rung der Rechtfertigung der Gottlosen kritisiert wird, bedeutet nicht das Ende und den Aus schluß der Weisheit. „Der 'Hiobspsalm' 73 geht hier dem Hiobbuch voll parallel. Gott sprengt auch die Kategorien menschlichen Gerechtigkeitsdenkens" (Preuß, a.a.O. 108), „Ps 73 hingegen ist letztlich das zum pragmatischen Gebrauch in Gebetsform umgegossene Hiobbuch in Kurzfassung" (Preuß, a.a.O. 166). C.J. McCann, Psalm 73: A Microcosm of Old Testament Theology, in: K.G. Hoglund (Hg.), The Listening Heart (FS R.E. Murphy) (JSOT.S 58), Sheffield 1987, 247-257; E. Nielsen, Psalm 73: Scandinavian Contribution, in: A.G. Auld (Hg.), Understanding Poets and Prophets (FS G.W. Anderson) (JSOT.S 152), Sheffield 1993, 273-283. „Bis ich ging in das Heiligtum Gottes und merkte auf ihr Ende." (Luther) bzw. „bis ich dann eintrat ins Heiligtum Gottes und begriff, wie sie enden." (Einheitsübersetzung).
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auch angekündigt (vgl. Eliphas' sowie Zophars zweite Rede Hi 15 sowie 2 0) . 33 Der „Ende"; LXX -r& foxct't"IX aurwv). entscheidende Begriff lautet nach V.17 n'ir:)� ( Möglicherweise - wenn man den Psalm spät datiert bzw. mit den Augen Späterer liest =
- ist mit diesem Terminus schon das jenseitige Gericht gemeint34. Das würde umge
kehrt implizieren, daß das besondere Geheimwissen, das dem Beter offenbar wurde,
eine nicht näher explizierte, sondern nur angedeutete „Unsterblichkeitslehre" gewesen
wäre.35 Aber von der Fortsetzung her ist es mir wahrscheinlicher, daß der Dichter an die innerweltliche Vergeltung allen Unrechttuns denkt; seine Wandlung vollzieht sich dann nicht aufgrund einer speziellen Geheimlehre, sondern dadurch, daß ihm persön
lich die alte Lehre neu einleuchtet und gegen alle Anfechtungen wieder existentiell
�
il�
tragfähig wird. So gesehen ist die bleibende Nähe zur alten Weisheit mit i rer pr ä . ren, wo nicht ausschließlichen Diesseitigkeit festzuhalten. Daher bleiben die offiz1e
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len modernen Übersetzungen von V. 24 eher fragwürdig: „Du leitest mich nach dei
nem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an" (Luther) bzw. „Du leitest mich nach deinem Ratschluß und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit" (Einheitsüber
setzung). Im Blick auf V. 24 ist vielfach diskutiert worden ob der Psalm an eine Le ?. benshoffnung über den Tod hinaus denke (was sich in der Ubersetzung „am Ende, zu letzt" niederschlägt).3 6 Dabei ist die Beziehung zu V. 17 n''.1 � (im Sinne von „Endge
1'.1
schick") ein wichtiges Argument; zugleich wird (siehe BHS Apparat) 1t:i:t als mod le � Angabe gelesen: 1i::i�:p „in Ehren". Solche Textänderungen k nnen aber ur e1 e � � Notlösung sein; der masoretische Text gibt auch ohne Eingriffe emen guten Smn. Die . bisher beste Alternativinterpretation zu solchem postmortalen Verständnis hat Irs1gler
?
=
durch eine genauere semantische Analyse37 entwickelt: „Zu Ehren
(
=
damit/so daß ich
Ehre/Herrlichkeit erlange) nimmst du mich (zu dir)". Aber auch diese Deutung muß das Entscheidende mit Klammern ergänzen. Demgegenüber will ich V. 23f. ganz wört lich übersetzen:3 8 Ich aber bin beständig mit dir, du hältst mich an meiner Rechten;
�ach deinem Ratschluß
keit".
33
GOTTES OFFENBARUNG
Der Beter faßt seine Nähe zu Gott in die Metapher der Führung: In V. 23 wird das Bild
eines Vaters, der sein kleines Kind an der Hand führt bzw. vom Kleinkind, das die
Hand des Vaters nicht losläßt, weil es sonst hinfällt, herangezogen. V.24 setzt das Bild
des Geführtwerdens weiter fort und gibt eine Modalität an, wie und wohin genau Gott
das vertrauende Kind leitet: „hinter Herrlichkeit". Faßt man ii::i� - wie in Ex 33 u.ö. als eine Erscheinungsform Gottes auf 3 9, dann besteht die „Lösung" darin, daß Gott den Beter im Heiligtum „hinter sich" gestellt hat.4 0 Liegt hier vielleicht die gleiche Vorstellung wie in Ex 33,23 zugrunde, daß der Ort, an dem der Mensch Gottes Offen barung empfangen kann, das Stehen
35
36 37 38
hinter Herrlichkeit" ist? Gewiß wäre diese Deu
stünden („hinter die Herrlichkeit" oder „hinter deine Herrlichkeit"); aber solch eine absolute Verwendung des Ausdrucks ist im poetischen Stil durchaus möglich.41 Der weise Beter des Psalms würde abschließend ausführlich bekennen (bis V.28 ein
schließlich), daß die Lösung seines Theodizee-Problems nur dadurch und darin mög
lich war, daß er beständig an Gott hängen blieb (auch wenn er zwischenzeitlich schier verzweifeln wollte), bis dieser ihn in den Tempel42 führte, wo ihm
„
hinter Herrlich
keit", d.h. am Ort der Offenbarung, die erlösende Einsicht eröffnet und von neuem glaubhaft wurde.
2.4. Sach 2,12 Nur noch im dritten Nachtgesicht von der Wiederherstellung des irdischen Heiligtums als Zeichen der endzeitlichen Erlösung findet sich in Sach 2,12 die gleiche Wortver bindung ii::i+i
iO�
wie in Ps 73,24. Es ist zu prüfen, ob auch hier die Vorstellung vom
einzig angemessenen Offenbarungsort vorliegt. Der Vers ist allerdings der „innerhalb Protosacharjas umstrittenste Satz"43 • Die Fülle der Deutungsvorschläge44 will ich hier nicht referieren; im Zusammenhang lautet er:
„12) Denn so spricht der Jahwe der Heerscharen - hinter Herrlichkeit hat er
mich gesandt!
39 40
.„".
34
„
tung noch wahrscheinlicher, wenn der bestimmte Artikel oder das Possessivsuffix da
leitest du mich und du nimmst mich hinter Herrlich
Die Deutung der Antwort Gottes an Hiob ist zwar schwierig und umstritten (meine Deutung als „heilsame Kränkung" des Anthropozentrismus findet sich i� meinem Aufsatz ' Ka�nst du �er ? Löwin ihren Raub zu fressen geben?" (Hi 38,39). Das Motiv des „Herrn der Tiere und seme Bedeutung für die Theologie der Gottesreden Hi 38-42, in: M. Augustin/K.D. Schunck (Hg.), „Dort ziehen Schiffe dahin Collected Communications to the XIV Congress of the Interna tional Organization for the Study of the Old Testament, Paris 1992 (BEAT 28), Frankfurt u.a. 1996, 147-163), aber sicher wird hier nicht auf den „Ausgang", den Lebensertrag, das Lebens ende der Frevler reflektiert. Dieser Gedanke wird in Israels Weisheit freilich erstmals in der Sapientia Salomonis 1-6 (1. Jh. v. Chr.) sicher greifbar. . So interpretieren u.a. E. Zenger, Ich will die Morgenröte �e�ken. Psa �m�nauslegungen, Frei burg u.a. 1991, 222-231 und zuletzt D. Michel, Ich..aber bm immer bei dir. Von der Uns�erb . lichkeit der Gottesbeziehung, in: ders., Studien zur Uberlieferungsgesch1chte alttestamenthcher Texte (TB 93), Gütersloh 1997, 155-179. . Vgl. u.a. A. Schmitt, Entrückung-Aufnahme-Himn;ielfah�, Stuttgart 1973, 283-302, bes. die Übersicht über Konjekturvorschläge und Interpretat1onswe1sen 283-286. . H Irsigler, Psalm 73. Monolog eines Weisen (A1:hSAT 20), München 1984, 42-50, bes. 48 mit _ Anm. 178, wo die ältere Forschung dokumentiert ist. Zu den philologischen Details und anderen Lesarten vgl. Michel, a.a.0. 169-173.
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('�07�
ii::l+i
iO�)
- zu den Nationen, die euch geplündert haben,
Vgl. M Weinfeld, ii�:i, ThWAT IV (1984) 23-40, bes. 38f. Dieser Gedanke ist inspiriert durch eine (noch unpublizierte) Predigt von A.HJ. Gunneweg über Ps 73 vom 8.2.1981: „'Du nimmst mich hinter Herrlichkeit '. Das ist kein Tippfehler meiner Sekretärin und auch kein Abschreibefehler der alten hebräischen Tradenten. Gemeint ist viel mehr folgendes: Du führst mich dahin, daß ich gleichsam hinter dir hersehe, nicht von Ange sicht zu Angesicht, sondern wie Mose hinter Gott hersah, als er an ihm vorüberging. Das ist die kaum noch in Worte faßbare Erschließung des Jenseits im Diesseits, die Offenbarung der jensei tigen, der göttlichen Dimension, welche selbst das Heil ist und alles Diesseitige ins rechte Licht rückt und zurechtbringt." 5 So auch HJ. Kraus, Psalmen, BK XV/2, Neukirchen 1978, 672, der freilich wie die Masse der Ausleger ein b0 ergänzt („und hernach - in Herrlichkeit nimmst du mich auf", 663) und damit den Gedanken wohl doch völlig verfehlt. Daß die „Heiligtümer Gottes" (V. 17) nicht mit dem „Tempelgebäude" identisch sein �üssen, wie Michel, a.a.O. 162-167 überzeugend herausarbeitet, sondern in spiritualisierender Ubertra gung Mysterien Gottes" meinen können, sei explizit hervorgehoben. Freilich gelten auch die Einsi�hten der alten Weisheit als solches Eindringen in die Geheimnisse Gottes, wie Weis 2,22 belegt. R. Hanhart, Sacharja (BK XIV/7), Neukirchen-Vluyn 1992, 118. Vgl. Hanhart, ebd. und 149.
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denn wer euch antastet, tastet meinen Augapfel an: 13) „Fürwahr siehe, ich
schwinge meine Hand wider sie, und sie werden zum Raube werden denen, die ihre Knechte waren". Dann werdet ihr erkennen, daß Jahwe der Heerscharen
mich gesandt hat
(•m7?.d)."
•m7� in V. 12 und V. 13fin entscheidend wichtig. V.
13 behandelt das Problem der wahren Prophetie, die sich - im Unterschied zu den vo
rexilischen Unheilspropheten - durch die Zuwendung Jahwes zu Israel und nicht mehr
im Gericht Jahwes an Israel erweisen und bestätigen wird. „Der Grund der Erkenntnis von Sacharjas göttlicher Sendung und darin der wahren Gotteserkenntnis ist nicht Isra
els Schuld, sondern Israels Leiden an der noch danieder liegenden Heimat und der noch währenden Verbannung. "46 Die Machtverhältnisse sollen völlig umgekehrt wer
den, das geknechtete Israel soll zum Herrn der Völker werden. Angesichts der Zweifel
gegenüber solchen sehr groß dimensionierten Trostworten in dürftiger Zeit legitimiert
die Wendung in V. 12 die frohe Botschaft Sacharjas in doppelter Weise. Israel wird der Ehrentitel „Augapfel Jahwes" erneut zugesprochen, und der Prophet verweist zu nächst auf seine besondere persönliche Qualifikation. Er spricht allein auf der Basis,
daß Gott ihn - wie Mose, das Urbild aller Prophetie (Dtn 34,10) - an den Ort der Of
fenbarung geschickt hat, nämlich
„
hinter Herrlichkeit". Die Redewendung ist hier bei
Sacharja zugegebenermaßen bis an den Rand des Enigmatischen abbreviatorisch,
stimmt aber mit 13b gut überein.
3. Fazit: Die revelatorische Funktion der Präposition
il'.1� / '!!'.)�
Offenbar wird die Spannung von anthropomorphen Aussagen, die Gott in die Nähe des
Menschen rücken, und solchen, die seine Transzendenz sehr stark betonen, im Alten
Testament empfunden, jedoch in einer besonderen Offenbarungsvorstellung zusam
mengehalten. Erschließung bei gleichzeitiger Verschließung, Gegenwart bei synchro
ner Abwesenheit, Enthüllung in Koinzidenz mit Verhüllung, diese Dialektik scheint zu der Aussage geführt zu haben: Gott offenbart sich „von hinten".47 In der alttestament
lichen Gottrede spielen die Präpositionen ohnehin eine sehr wichtige Rolle. H. Schröer
hat sogar eine „Theologie der Präpositionen" gefordert4 8, mit sehr guten Gründen.
Denn in den Relationen, die durch Präpositionen sprachlich dargestellt werden, wird das Gottesverständnis besonders intensiv verdichtet. Auch wenn meine z.T. gewagten
Neudeutungen der vier Stellen nicht alle Philologen überzeugen sollten, die Sache, die ich durch diese Interpretationen zur Geltung bringen wollte, bleibt davon unberührt:
Was die ägyptische Magd in der Wüste entdeckte, das hat Gott Mose, seinem Prophe
ten und Gesetzeslehrer katexochen, und so auch dem Weisen von Ps 73 und auch dem
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frühapokalyptischen Heilspropheten Sacharja angewiesen: den Platz hinter seiner „Herrlichkeit", die Offenbarung erst, nachdem Gott vorübergegangen ist. Nicht direkt
und vollständig, sondern indirekt, partiell und ex post, das ist der bescheidene Ort' den die Offenbarung Gottes in der Welt auch uns zuweist. Es kommt trotz dieser Un
scheinbarkeit entscheidend darauf an, völlig hinter Jahwe zu bleiben, wie es der Aus
In dieser Übersetzung habe ich in V. 12a mit Irsigler einen „asyndetischen Attributiv satz"45 angenommen, was die Gedankenstriche signalisieren sollen; ferner ist für mei ne Deutung die Parallelität von
GOTTES OFFENBARUNG
Irsigler, a.a.O. 46. Hanhart, a.a.0. 152. Zu hellenistischen und altkirchlichen Analogien vgl. M Frenschkowski, Offenbarung und E piphanie, 2. Die verborgene Epiphanie in Spätantike und frühem Christentum (WUNT 2/80), Tübingen 1997. Soviel ich weiß, bislang nur mündlich.