Veröffentlichung in: Glasherstellung in Niedersachsen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. - Ausstellungskatalog "Glasherstellung in Nienburg, 100 Jahre Wilhelmshütte 1891-1991", Museum Nienburg 1991, S. 242-250.
Glasherstellung in Niedersachsen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit von Helmut Brandorff "Glück und Glas, wie leicht bricht das !" lautet ein Sprichwort, dessen Wahrheitsgehalt sicher jedermann aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Trotz seiner Zerbrechlichkeit ist Glas aber aus unserem Leben nicht wegzudenken, obwohl viele Glasgegenstände heutzutage ebenso gut aus Plastik hergestellt werden könnten und teilweise auch hergestellt werden. Doch wäre es bestimmt ziemlich befremdend, wenn beispielsweise bei der Eröffnungsveranstaltung zu dieser Ausstellung der Sekt aus Plastikbechern angeboten würde. Normales Gebrauchsglas ist zwar heute für jedermann erschwinglich, aber es hat dennoch den gewissen Reiz eines fragilen Luxus im Gegensatz zum Plastikgeschirr. Seine Zerbrechlichkeit ist der Hauptgrund dafür, daß aus früheren Zeiten nur in ganz seltenen Ausnahmefällen Hohlgläser bis in die heutige Zeit überlebt haben und als kostbare Antiquitäten in Museen und Sammlungen aufbewahrt werden. In einer modernen Glashütte werden die Produkte nahezu vollautomatisch hergestellt und Rohstoffe von höchstem Reinheitsgrad auf Bruchteile eines Gramms genau gemischt, sodaß exakt vorhersehbar ist, was als Endprodukt dabei herauskommt. Das war aber nicht immer so. Unsere Vorfahren stellten Glasartikel in reiner Handarbeit her und der Erfolg unterlag einer Vielzahl von Unwägbarkeiten. Glas kommt nur als ein künstlich durch den Menschen hergestellter Stoff vor, wenn man einmal davon absieht, daß es gelegentlich Meteoritglas (Tektite) aus dem Weltall und vulkanisches Glas (Obsidian) gibt. Chemisch - physikalisch ist es bei normaler Temperatur eine amorphe, erstarrte Schmelze aus Siliziumdioxid (Quarzsand) und verschiedenen Metalloxiden (meist Natrium- und Calciumoxid). Die Glasherstellung war bereits um 1500 v.Chr. in Mesopotamien und Ägypten bekannt. Neben Gefäßen und Glasperlen haben sich sogar Keilschrift- und Hieroglyphentexte mit Anleitungen zur Herstellung erhalten. Die Erfindung der Glasbläserpfeife datiert in die Zeit um Christi Geburt in Syrien, wo die Römer diese Technik kennenlernten und sie nach Italien verbreiteten. Nördlich der Alpen wurde die Glastechnologie in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende im Zuge der römischen Expansion in Gallien und im Rheinland eingeführt. In den Museen Kölns gibt es beeindruckende Beispiele der römischen Glasmacherkunst zu bewundern. Im frühen Mittelalter blieb
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Glas, Fensterglas wie auch Gefäßglas, ein Gegenstand des gehobenen Luxus, den sich nur wenige leisten konnten. Hochwertige Glaserzeugnisse kamen als Import aus dem Mittelmeerraum, einheimische Glasproduktion fand in Glashütten statt, die Klöstern angegliedert waren und in erster Linie für den Eigenbedarf produzierten. Das änderte sich im 13. Jahrhundert, als Glas zu einer Massenware wurde, die von ihren Herstellungsorten überallhin verhandelt wurde, wie Funde aus archäologischen Grabungen in den Innenstädten bei uns und im benachbarten Ausland belegen. In ländlichen Siedlungen findet sich demgegenüber nur relativ selten Glas, ein Umstand, der in der sehr unterschiedlichen Sozialstruktur von Stadt und Land begründet war. Die Herstellung der Glaswaren, Hohlglas wie Flachglas, wurde jetzt durch einen besonderen Berufsstand, den Glasmacher, ausgeführt, der ausschließlich für den Verkauf seiner Erzeugnisse produzierte. Das aufstrebende Bürgertum in den Städten bot dafür gesicherte Absatzgebiete.
Abb. 1: Fußbecher aus Netzglas "Façon de Venise", 16./17. Jahrhundert, Bodenfund aus Hildesheim (Bernwardsmauer), geklebt, H. 20cm, Dm. 8,8cm.
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Im 15. Jahrhundert hatte Venedigs Glasindustrie eine führende Rolle in Europa inne. Die spezielle Dekortechnik der Fadengläser, Millefioridekor und Emailbemalung nahm sie von den in der römischen Antike liegenden Wurzeln wieder auf und entwickelte sie weiter, wobei eine Verbreitung dieser Technologie in andere Glashüttenregionen durch eine rigide Gesetzgebung unterbunden wurde. Nördlich der Alpen blieb das grünlich oder gelblich gefärbte Waldglas der Standard, auch wenn gelegentlich völlig entfärbte Gläser auftauchen, die ihren Ursprung meist in den böhmischen Glaszentren hatten. Ein Wandel trat erst an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert ein, als die venezianische Glasmacherkunst von aus Venedig ausgewanderten Handwerkern in Nordwesteuropa eingeführt wurde und sich schnell weiter verbreitete. Diese als "Façon de Venise" bekannt gewordenen Gläser waren eine starke Konkurrenz für den Export aus Venedig (Abb. 1). Sie waren ihren Vorbildern in Form und Qualität oft so ähnlich, daß heute, ohne eine chemische Analyse, nicht mehr entschieden werden kann, ob sie in Venedig hergestellt worden sind oder nicht. Glasherstellung im Weser- und Leinebergland Die Glashütten des Weser- und Leineberglandes (Hils, Ith, Vogler, Solling) sind heute nicht mehr sichtbar, denn seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in zunehmendem Maße nur noch ortsfeste Glasmanufakturen, die oft unter landesherrlicher Regie betrieben wurden. Die ursprünglichen Wanderglashütten sind nur noch als archäologische Denkmale vorhanden und werden gelegentlich bei Baumaßnahmen entdeckt, wenn im Bodenaushub größere Mengen Glasscherben, Schlacken und verziegelter Lehm auftauchen. In dem Ort Grünenplan bei Alfeld gibt es ein Glasmuseum, welches die Geschichte der Glasherstellung in dieser Region wieder lebendig macht. Die wichtigsten Rohstoffe zur Glasherstellung sind fast überall verfügbar: es sind Sand, Holz und Wasser. Bei den beschränkten Beförderungsmöglichkeiten im Mittelalter stellte der Transport von Massengütern ein großes Problem dar. Daher war es naheliegend, daß man mit der Produktion zu den Rohstoffen ging und nicht umgekehrt. Die waldreichen Täler der Mittelgebirge wurden so zu den bevorzugten Orten der Glashütten, da diese Gegenden außer ihrem Holzreichtum wenig wirtschaftliche Bedeutung besaßen. Auf diese Weise wurden z. B. der Bayrische Wald, der Spessart, das Fichtel- und Erzgebirge und, im nördlichen Deutschland, das Weser-Leine-Bergland zu Zentren der Glasherstellung. Der Bedarf der Glashütten an Holz war immens, da es nicht nur zur Feuerung des Schmelzofens verwendet wurde, sondern insbesondere zur Gewinnung von Holzasche, die außer dem schon erwähnten Sand einen Hauptbestandteil der Rohmaterialien zur Glasgewinnung ausmachte. Der hohe Holzverbrauch gab mancherlei Anlaß zu Streitigkeiten, wenn andere Handwerkszweige, die auch auf Heizmaterial angewiesen waren, wie die Töpfer, mit den Glasmachern in der gleichen Region tätig waren. Zur Lösung der Konflikte wurde normalerweise die Landesherrschaft angerufen und man traf Regelungen, die die Nutzung des Waldes auf bestimmtes Holz oder einen eingegrenzten
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Zeitraum beschränkten. Das bedeutete, die Töpfer durften z.B. nur Totholz verwenden und eine Glashütte hatte das Recht, ein bestimmtes Areal für sechs, zwölf oder achtzehn Jahre zu nutzen. Dann mußte ein neuer Standort gesucht werden. Daher bezeichnet man die Waldglashütten auch als "Wanderglashütten".
Abb. 2: Mittelalterliche Glashütte mit Darstellung der einzelnen Arbeitsschritte der Glasherstellung: Rohstoffzubereitung, Entnahme des flüssigen Glases, Formgebung mit der Glasmacherpfeife, Tempern, Verpacken. (Illustration einer Reisebeschreibung des Sir John Mandeville, 15. Jahrhundert). Wenn ein Glashüttenmeister sich eine bestimmte Stelle ausgesucht hatte, mußten die Betriebsgebäude jedes Mal neu errichtet werden. Der aufwendigste Bau war immer der des Ofens. Er bestand aus einer mächtigen Lehmkuppel mit den nötigen Öffnungen zur Feuerung und zum Einsetzen der Glashäfen, einfachen Tiegeln aus Keramik, denen die halbflüssige Glasmasse entnommen wurde, um zu Gefäßen geblasen zu werden. Als Schutz vor der Witterung und für sonstige Arbeiten waren höchstens einige einfache schuppenartige Gebäude notwendig (Abb. 2). Der
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Hüttenmeister, seine Gesellen und Arbeiter wohnten mit ihren Familien entweder direkt an der Glashütte oder in einer nahegelegenen Ortschaft. Die Ortswechsel brachten eine große Mobilität der Glasmacher mit sich, sodaß es nicht ungewöhnlich war, wenn einzelne Handwerker durch ganz Europa kamen und so einen überregionalen Technologietransfer begünstigten. Die Gewinnung der Rohstoffe wurde entweder von der Glashütte selbst oder von besonderen Zulieferern durchgeführt. Der Hauptbestandteil von Glas ist das Silikat Siliziumdioxid, oder auch Quarz, der als Bergkristall oder als Quarzsand in der Natur vorkommt. Der Bergkristall ist durch seine Seltenheit allerdings so wertvoll, daß sich seine Verwendung zur Glasherstellung von daher schon verbietet. Es ist möglich, Quarzsand ohne Zusätze zu schmelzen und daraus ein reines Quarzglas zu herzustellen. Dafür ist allerdings eine Schmelztemperatur von ungefähr 1700 C erforderlich, die in den damaligen Schmelzöfen nicht erreicht werden konnte. Deshalb war es nötig, zur Erniedrigung des Schmelzpunktes Alkalien (Soda = Natriumkarbonat; Pottasche = Kaliumkarbonat) als Flußmittel dazuzugeben. Durch die Zugabe der Alkalien konnte die Schmelztemperatur auf ca. 1000 C - 1100 C gesenkt werden. Kaliumkarbonat kommt in Pflanzen vor und wird gewonnen, indem man diese zu Asche verbrennt und durch spezielle Reinigungsverfahren zu Pottasche weiterverarbeitet. Der Hauptgrund für den hohen Holzverbrauch war also die Gewinnung der Alkalien. Im Weser-Leine-Bergland wurde vor allem Buchenholz zu Asche verbrannt, da die Buche einen hohen Kaliumanteil besitzt und eine sehr feine Asche ergibt. Die Asche fand außerdem Verwendung bei der Herstellung von Waschmitteln, Seife und in der Medizin. Sie wurde von einem speziellen Berufsstand gewonnen, dem "Aschenbrenner", der die Glashütte damit belieferte. Dort wurde sie normalerweise im Rohzustand, also nicht als Pottasche, zur Glasherstellung verwendet. In der Glashütte wurden Sand und Asche ungefähr im Verhältnis 1 : 2 gemischt und zunächst "gefrittet", d.h. unter Sauerstoffzufuhr geröstet. In den Rohstoffen durften Sulfate und Chloride beispielsweise nur in sehr geringen Mengen vorhanden sein, sonst erhielt man keine verarbeitbare Glasmasse. Beim Fritten verflüchtigten sich als erstes alle gasförmigen Bestandteile, andere unerwünschte Stoffe gingen in Verbindungen über, die für den Schmelzprozess unschädlich oder sogar förderlich waren, so z.B. ein gewisser Anteil an Kalk. Da Altglas diesen Prozess bereits hinter sich hatte, wurde es gerne als Rohstoff wiederverwendet. Die venezianischen Glashütten führten Bruchglas sogar aus Deutschland ein. Unsere heutigen Altglascontainer haben also schon eine wesentlich längere Tradition als man normalerweise annimmt. Eine besondere Schwierigkeit bestand darin, völlig reines, farbloses Glas zu bekommen. Die Bestandteile waren ja nie vollkommen rein, sondern besaßen immer gewisse Beimengungen von Metallsalzen, welche eine mehr oder weniger intensive Färbung des Glases verursachten. Eisen färbte gelb bis grün, Mangan violett, Kobalt blau und Kupfer rot. Zinn oder Antimon verursachten
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eine milchig-weiße Trübung. Für Verzierungen bedienten sich die Glasmacher des 16./17. Jahrhunderts ganz bewußt dieser Mittel (Abb. 1 und 3). Zum Entfärben des Glases gab es eine Vielzahl von Rezepten, z.B. die Zugabe von Braunstein, aber auf Grund der Unwägbarkeiten bei der Zusammensetzung der Rohstoffe war es für die südniedersächsischen Glashütten damals mehr ein glücklicher Zufall, wenn ein reines, farbloses Glas entstand. Meist blieb ein leichter Gelb- oder Grünstich, der bei der ansonsten hohen Qualität von den Kunden aber offenbar gern in Kauf genommen wurde. Diese, für die Waldglashütten typischen Gläser, werden als "Waldglas" bezeichnet.
Abb. 3: Fußbecher aus entfärbtem Glas mit blauer Fadenauflage und Tierkopfnuppen, 16./17. Jahrhundert, Bodenfund aus Hildesheim (Bernwardsmauer), restauriert, H. 9cm, Dm. 7,5cm
Seine Form erhielt das Glas durch das Blasen mit Hilfe der Glasmacherpfeife, einem ca. 1,50m langen Eisenrohr, meist mit hölzernem Griff und Mundstück (Abb. 2). Mit dem Ende des Rohrs
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wurde dem Tiegel eine entsprechende Menge Glas für das zu formende Gefäß entnommen und unter ständigem Drehen, Blasen, Rollen und eventuell neuem Erwärmen ausgeformt. Diese Arbeit machten der Meister und die Gesellen.
Abb. 4: Flaschen zur Aufbewahrung von Essenzen und Arzneien, 16.-18. Jahrhundert, Bodenfunde aus Hildesheim (Bernwardsmauer), H. 2-10cm, Dm. 2-4cm.
Die Produktpalette der Glashütten umfaßte neben Fensterglas alle Arten und Größen von Gefäßen, wie Trinkgläser, Flaschen, Krüge, Töpfe, Schalen und Pokale (Abb. 4). Komplizierte Formen und gerippte, geriffelte oder sonstwie strukturierte Oberflächen erzielte man durch das Einblasen in ein entsprechend gestaltetes Model. Man nennt es "formgeblasenes Glas". Nach erneuter Erwärmung am Feuer des Schmelzofens konnte der Glasbläser das Werkstück noch weiter ausblasen, wobei sich die Modelstrukturen im Glas durch Drehen, Ziehen etc. zu einer Vielzahl weiterer Dekorvarianten ausarbeiten ließen. Hier spricht man von "optisch geblasenem Glas". Die achteckigen Stangengläser (Abb. 5 und 6) erhielten ihre Form durch das Einstoßen eines achtkantigen Innenmodels in das fertig geblasene, aber noch weiche Glas.
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Abb. 5: Zeitgenössische Darstellung eines typischen Stangenglases. ("Frühstücksstilleben"/"Nachtisch", Willem Claeszoon Heda, 1637, Louvre/Paris).
Abb. 6: Stangenglas mit gekniffener Fadenauflage, 16./17. Jahrhundert, Bodenfund aus Hildesheim (Bernwardsmauer), Rand fehlt, geklebt, H. 28cm, Dm. 11cm.
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Für die anschließenden Arbeitsgänge wurde das Gefäß von der Glasmacherpfeife abgenommen und an einen Stab aus Glas oder Eisen geheftet. Zum Schluß wurde dieser einfach abgebrochen, meist ist auf der Gefäßunterseite die Stelle noch zu erkennen. Es wurden nun Henkel oder Füße angarniert und Verzierungen angebracht. Krüge und Flaschen wurden z.B. mit angehefteten Glasfäden als Henkel versehen (Abb. 7).
Abb. 7: Hals einer Flasche mit Glasfadenauflage und gekniffenen Henkeln, 16./17. Jahrhundert, Bodenfund aus Hildesheim (Bernwardsmauer), H. cm,Dm. cm. Die breiten Füße der Stangengläser waren aus einer gefalteten Glasblase gebildet, andere Gläser hatten Füße aus gesponnenen oder gekniffenen Glasfäden (Abb. 3 und 8). Glasfäden dienten ebenso als Verzierungselement und wurden in runder, flacher oder gekniffener Form in unterschiedlicher Anordnung und Farbe auf die Gefäße aufgeschmolzen. Ein rippen- bzw. rüsselähnliches Aussehen haben Glastropfen, die immer dünner werdend von oben nach unten an der Gefäßwandung heruntergezogen wurden. Sie werden deshalb entsprechend Rippen- oder Rüsselgläser genannt. Die große Gruppe der Nuppengläser verdankt ihren Namen den aufgesetzten Nuppen, nämlich Glastropfen, die halbflüssig auf das Gefäß aufgesetzt wurden und zu den unterschiedlichsten Formen
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ausgearbeitet werden konnten (Abb. 3 und 8). Gelegentlich erhielten sie ihre Form durch einen Stempel, den der Handwerker in die weiche Glasmasse drückte. Ein Beispiel dafür sind die sog. Beerennuppen, die in ihrer Form an eine Traube oder Brombeere erinnern. Eine weitergehende Verzierung fand durch Bemalen oder Schleifen der Gläser statt. Diese Arbeit wurde von Glasschleifern bzw. Glasmalern ausgeführt, die nicht zur Glashütte gehörten sondern eigene Gewerbe bildeten.
Abb. 8: "Berkemeyer" (Vorform des "Römers") mit Nuppenauflage und Fuß aus gekniffenem Glasfaden, 16. Jahrhundert, Bodenfund aus Hildesheim (Bernwardsmauer), geklebt, H. 8,6cm, Dm. 9,8cm. Der abschließende Verarbeitungsschritt bei der Glasherstellung war das "Tempern". Während der verschiedenen Stadien des Herstellungsprozesses hatten sich innere Spannungen im Glas gebildet. Sie ließen sich dadurch wieder abbauen, indem das Glas in einem "Kühlofen" noch einmal bis zur Rotglut erhitzt und dann allmählich abgekühlt wurde (Abb. 2). Die Herstellung von Fensterglas lief parallel zur Hohlglasherstellung. Es wurde nicht etwa gegossen, sondern als Zylinder ausgeblasen, der dann aufgeschnitten und geglättet wurde. Eine andere Möglichkeit war, das Glas zu einer Pfannkuchen-artigen runden Scheibe zu blasen und zu drehen, wobei die Glaspfeife im Zentrum saß. Den runden, sog. Butzenscheiben sieht man diese Herstellungsart deutlich an.
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Für den Transport verpackte man die zerbrechliche Ware, sorgfältig mit Stroh gepolstert, in Körbe oder mitunter in große Vorratsgefäße aus Keramik (Abb. 2). Im Weser-Leine-Gebiet bot sich diese Möglichkeit ganz besonders an, da Töpfer und Glasmacher in direkter Nachbarschaft tätig waren und auf die gleichen Transportmittel und -wege angewiesen waren. Auf Fuhrwerken und Schiffen wurde das Glas zu seinen Abnehmern gebracht, hauptsächlich, wie bereits erwähnt, in die Städte. Als Nienburg noch keine eigene Glashütte besaß, kam der größte Teil der benötigten Glasartikel zu Schiff die Weser herunter aus den Produktionszentren der Gebiete an der oberen Weser und Leine. Heute geht der Weg per Lkw in der entgegengesetzten Richtung.
Literatur:
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Klesse, Brigitte; Reineking - von Bock, Giesela: Glas. - Kataloge des Kunstgewerbemuseums Köln, Band 1, 1973. Klesse, Brigitte; Saldern, Axel von: 500 Jahre Glaskunst. Die Sammlung Biemann. Zürich 1978 Kunkel, Johann: Vollständige Glasmacherkunst Teil I + II, Nürnberg 1785 Leiber, Christian: Eine hoch- bis spätmittelalterliche Glashütte bei Grünenplan, Ldkr. Holzminden, Vorbericht über die Grabungen 1978, 1979 und 1983. - Jahrbuch für den Landkreis Holzminden, Bd. I, S. 37-46, 1983. Schütte, Sven: Mittelalterliches Glas aus Göttingen - Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 4, 1976, S. 101-117 Schütte, Sven: Glas in der mittelalterlichen Stadt. - Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Hefte des Focke-Museums Nr. 62, 133-144. Bremen 1982 Six, Herbert: Spätmittelalterliche Glashütten im Hils bei Grünenplan mit Farbglasproduktion. Festschrift für Waldemar Haberey, 1977, S. 129-139
Fotos: L. Engelhardt (Hildesheim)
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