tigt einen kräftigen Anstoß gibt, die Methodendebatte in der politischen Ideengeschichtsschreibung nicht einfach ratlos einschlafen zu lassen. Permanent rücken Voegelins Programm und seine Durchführung die Frage nach der Leistungsfähigkeit einer hermeneutisch verfahrenden Ideengeschichtsschreibung, bzw. nach der Art und Weise, wie die Ideengeschichtsschreibung auf den linguistic turn adäquat reagieren kann, in den Blick der Leser. Sämtliche bisherigen Versuche, das Werk Voegelins über den engen Kreis seiner Verehrer hinaus stärker bekannt zu machen, sind fehlgeschlagen. Mit dieser Edition könnte sich dies ändern. Und zwar gerade weil sie keine Hagiographie betreibt, sondern mit ihrem Mut zu unkonventionellen Editionsprinzipien breiten Raum für eine kritische Voegelin-Diskussion und damit auch für neue Anschlussmöglichkeiten lässt.
Giorgio Agamben: Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, 212 S., € 10,–. Regina Kreide Es ist ein häufig beschriebenes Paradox, dass dem Staat als Inhaber des Gewaltmonopols zugleich die Aufgabe obliegt, die eigene Gewaltausübung zu kontrollieren. Viele politische Philosophen erachten staatliche Herrschaft daher nur dann als legitim, wenn sie mit Zustimmung der Bürger zustande kommt und vertraglich Kontrollbefugnisse eingeräumt werden – für den italienischen Philosophen Giorgio Agamben eine geradezu niedliche Herrschaftsauffassung. Agamben unternimmt in seinem vor kurzem erschienenen Buch „Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben“ nicht weniger als den Versuch, die Geschichte der Politik des Abendlandes neu zu deuten. Nicht Staat und Vertrag sind seiner Meinung nach das Paradigma der Moderne, sondern das Lager und die physische Gewalt; nicht der Bourgeoise oder der Citoyen sind die gesellschaftlichen Hauptfiguren, sondern die menschlichen Körper, nackt im metaphorischen Sinne, ohne Rechte, degradiert zum Objekt politischer Ent-
scheidungen. Und Politik schließlich ist für Agamben nicht allein Meinungsbildungs- und Rechtsetzungsprozess, sondern in erster Linie Biopolitik. Darunter versteht er jede Form der Machtausübung, die den Körper als bloßen Gegenstand juridisch-institutioneller Verwaltung und medizintechnischer Untersuchung betrachtet und auf der Schwelle zwischen Leben und Tod umstandslos ins Jenseits befördern kann. Deutlicher als Michel Foucault interessiert sich Agamben aber nicht nur für die Mikrophysik der Macht, die in den kapillar operierenden Disziplinierungsmaßnahmen von Strafanstalten, Krankenhäusern und auf dem Gebiet der Sexualität ihre Wirkung entfaltet. Er erweitert von vornherein den Begriff der Biopolitik auf die Legitimitätsbedingungen politischer Herrschaft. Die Entscheidungsmechanismen im Grenzbereich von Leben und Tod, die die meisten politisch-philosophischen Theorien nur als Randerscheinungen rezipieren, werden von Agamben zur eigentlichen Grundlage der Herrschaftsbegründung vergrößert. Hinweise darauf, dass diese Perspektive die einzig richtige ist, findet er bereits in der Antike. Aristoteles unterscheidet zwischen zôé, der einfachen Tatsache des Lebens und bíos, dem guten Leben, das sich vor allem in der Sphäre der polis entfalten kann. Das einfache oder nackte Leben ist vom politisch kultivierten Leben ausgeschlossen – allerdings, und das ist ein entscheidender Aspekt, nur vordergründig. Denn das nackte Dasein ist auch bei Bürgern, die nach einem guten Leben streben, immer anwesend, angesiedelt in einem merkwürdigen Zwischenbereich: Es bleibt in dem unablässlichen Versuch präsent, ausgeschlossen zu werden. Diese stets wiederkehrende Argumentationsfigur der Ausschließung des nackten Lebens aus dem Politischen bei seiner gleichzeitigen Einschließung ziehe sich, so Agamben, als roter, um nicht zu sagen blutiger Faden durch die Geschichte der Rechts- und Staatstheorie. Agamben wird zunächst fündig im Traktat „Über die Bedeutung der Wörter“ von Sextus Pompeius Festus, in dem ein eher randständiger Aspekt des archaischen römischen Rechts beschrieben wird (81ff.). Plebejische Tribune, so heißt es da, dürfen sich an Verbrechen rächen, die gegenüber ihren Vertretern begangen wurden, indem sie den Beschuldigten den Status homo sacer angedeihen lassen. Auf diese
Einzelbesprechungen Weise wird er für heilig erklärt. Entgegen landläufiger Vorstellung bedeutet diese Zuschreibung, den Betroffenen für unrein zu erklären und für nicht würdig, auch nur geopfert zu werden. Gleichwohl kann er getötet werden, und zwar ohne, dass die Mörder für ihre Tat bestraft werden. Er unterliegt daher weder dem Schutz des göttlichen noch dem des menschlichen Rechts. Der homo sacer wird so auf zweifache Weise ausgeschlossen und zugleich eingeschlossen: Den Gottheiten wird er als nichtopferbares Objekt überlassen, der Gemeinschaft steht er als Vogelfreier zur Verfügung. Ein weiteres juridisch-politisches Schema des Ausgeschlossen-Eingeschlossenseins macht Agamben im mittelalterlichen Bann aus. Er beruft sich auf Rudolf von Ihering, der Ende des 19. Jahrhunderts in germanischen und angelsächsischen Rechtsquellen eine Art Pendant des römischen homo sacer aufspürte: den Werwolf (114). Durch zahlreiche Erzählungen ist die Gestalt des Werwolfes prägend für kollektive Mythen geworden. Er symbolisiert als hybrides Wesen zugleich Tier und Mensch, das Wilde und die Zivilisation, den Verbannten und den Geachteten. Wie der homo sacer ist er den geschützten Lebenden ebenso nah wie den willkürlich zu Tötenden und kann, nach bestimmten Regeln, eine gefährliche Wolfsfratze zeigen oder eine harmlose menschliche Gestalt annehmen. Und doch spielt er, bei aller Ähnlichkeit, in der weiteren Argumentation eine völlig andere Rolle als der homo sacer. Agamben verbindet die beiden von ihm freigelegten juristischen Figuren, den homo sacer und den Werwolf, mit Hobbes’ Staatstheorie: Die souveräne Macht basiert auf der Potenz, Ausnahmesituationen zu bestimmen, in denen der Mensch als homo sacer bzw. als Verbannter definiert wird. Das Zwitterwesen Werwolf symbolisiert nun allerdings nicht den Verstoßenen, sondern den Souverän (117). Und der kann, ganz im Sinne von Carl Schmitt, uneingeschränkt im rechtsfreien Raum agieren, ohne selbst an Rechtsnormen gebunden zu sein. Die souveräne Macht, so das Fazit Agambens, basiert nicht auf einem wechselseitig geschlossenen Vertrag, sondern liegt in der gewaltsamen ausschließenden Einschließung des nackten Lebens (117). Wolfsnatur und Vogelfreiheit erscheinen als zwei Seiten derselben Medaille. Man kann Agamben nun entgegenhalten,
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dass unveräußerliche Freiheitsrechte bzw. Menschenrechte willkürlichen Übergriffen des Souveräns einen Riegel vorschieben. Und Agamben gibt sich in der Tat alle Mühe, diesen Einwand aufzugreifen. Damit aber steht er vor der nicht ganz leicht zu lösenden Aufgabe nachzuweisen, Menschenrechte hätten in der Geschichte nie den Stellenwert besessen, uneingeschränkte dezisionistische Herrschaftsausübung des Souveräns begrenzen zu können. Um das zeigen zu können, greift Agamben auf sein bewährtes Argumentationsmuster zurück. Auch die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte – fast schon ist es müßig, dies hinzuzufügen – basiere auf der Idee des nackten Lebens. Agamben wendet das eigentlich auf Einschließung zielende Kriterium der Geburt gegen die Menschenrechte: Gerade da man Menschenrechte mit der Geburt besitze, stelle die Menschenrechtserklärung die originäre Einschreibung des natürlichen Lebens in die juridisch-politische Ordnung dar (136). Zugleich sind Menschenrechte uneinholbar vom Politischen und von jeder Art der Bürgerschaft abgetrennt, da sie, sobald sie zu juridifizierten Bürgerrechten werden, eben nicht mehr nur allein auf dem Prinzip der Nativität beruhen. Andere Aspekte, wie Abstammung oder Territorium, überlagern die Zugehörigkeit zur Menschengemeinde und fügen damit einen weiteren gut funktionierenden Mechanismus der Ausschließung hinzu. Wie irreführend seine Argumentation ist, wird deutlich, wenn man sich die Schlussfolgerungen aus seinen Analysen vor Augen führt. Im Durchgang durch die ausgewählten Kapitel der Rechts- und Staatsgeschichte wird die Exklusion des nackten Lebens zur eigentlichen politischen Dimension. Alle Politik, ob die des römischen Kaiserreichs, des Absolutismus’, der demokratischen Nationalstaaten oder der Diktatur, teilt diese Beziehung des Politischen auf das nackte Leben. Foucaults genealogische Perspektive wird auf die Geschichte der Herrschaftsbegründung ausgedehnt und zugespitzt: Das Subjekt ist einer dezisionistisch operierenden politischen Macht unterworfen, die weder rechtlich, noch religiös, und schon gar nicht moralisch legitimiert ist, dennoch aber über Leben und Tod entscheidet. Die Agamben’sche Biopolitik gelangt aber erst vollends im modernen Staat zur Entfaltung: In der Medizintechnologie etwa, wo die
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Grenze zwischen Leben und Tod so gezogen wird, dass man die Noch-nicht-Toten für Organspenden benutzen kann. Noch deutlicher zeigt die Biopolitik ihre Präsenz nur noch im Lager. Das Konzentrationslager, so Agamben, ist keine Anomalie moderner Gesellschaften und nicht bloß eine historische Tatsache, sondern, wie er sagt, die „verborgene Matrix der Politik“ (185); das Lager ist der nomos des politischen Raumes, der auch heute noch dem Staat zu Grunde liegt. Man denke nur, so Agamben, an das Stadion von Bari, in das die Polizei 1991 illegale Einwanderer aus Albanien pferchte. Überzeugen kann das alles nicht, schon allein nicht wegen der dünnen empirischen Decke, in die seine Aussagen eingekleidet sind. Asylbewerber, die es bis Europa geschafft haben, sind nicht rechtelos – nicht einmal dann, wenn sie von Beamten hinter verschlossener Tür misshandelt werden. Für sie gilt die Genfer Flüchtlingskonvention, die jetzt bereits Grundlage des Asylrechts der einzelnen europäischen Staaten ist und die ebenfalls Richtschnur für ein gemeinsames europäisches Asylrecht sein wird. Und auch ein Blick auf neuere Studien im Grenzbereich von Medizintechnik und Sozialwissenschaft zeigt, dass gerade ein Komapatient Rechte besitzt. Die Diagnose des Hirntods durch den Arzt ist ein äußerst aufwendiges Verfahren. Der Patient muss unbedingt tot sein, da er nur dann keine Rechte mehr besitzt, die einen Eingriff zur Organentnahme verhindern könnten. Originell sind Agambens Ausführungen, wenn sie Licht in die Abgründe der Rechtsgeschichte werfen, wie bei dem Versuch, verschiedene juridische Variationen des ausschließenden Eingeschlossenseins zu rekonstruieren. Seine Analogien und die daraus gezogenen Verallgemeinerungen haben aber ganz deutlich eine wenig überzeugende geschichtsphilosophische Tendenz: Biopolitik, nur richtig gedeutet, hatte immer schon Macht und immer schon das nackte Leben zum Gegenstand. Daraus gibt es kein Entkommen, weder durch freie Willensentscheidungen noch durch freie Wahl. Wieso eine Institution wie das Haager Tribunal ins Leben gerufen werden konnte, dafür stellt Agambens theoretisches Instrumentarium keine Erklärung bereit.
REGIERUNGSSYSTEM DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND Weixner, Bärbel Martina: Direkte Demokratie in den Bundesländern. Verfassungsrechtlicher und empirischer Befund aus politikwissenschaftlicher Sicht. Opladen: Leske + Budrich 2002 (Forschung Politikwissenschaft Bd. 162), 308 S., € 30,–. Otmar Jung Die Verfasserin dieser Münchner politikwissenschaftlichen Dissertation hat sich zum Ziel gesetzt, „eine systematische Übersicht über die Vielfalt der Instrumente der direkten Demokratie in den 16 Bundesländern“ zu entwickeln und „eine umfassende und vollständige Darstellung aller Plebiszite auf Landesebene“ zu erarbeiten (19). Dazu beginnt sie mit einem theoretischen Aufriss der direkten Demokratie, dem, basierend auf einer umfänglichen Literaturauswahl, eine Darstellung von Forschungsstand und -aufgaben folgt (49–72) – dies der bislang dritte einschlägige Versuch (vgl. zuletzt Jung, Otmar: Direkte Demokratie: Forschungsstand und Forschungsaufgaben 1995, in: ZParl 26 (1995), 658–677). Nach einem Abschnitt, den man Allgemeine Direkte-Demokratie-Lehre überschreiben könnte, behandelt das Hauptkapitel die volksunmittelbaren Beteiligungsformen des deutschen Landesverfassungsrechts – „normativer Befund und Bewertung“ – (143–206), wobei vor allem die Frage nach den Gestaltungsspielräumen und -einschränkungen leitet. Weiter folgt u.a. eine politikwissenschaftliche Analyse der bisherigen Praxis direkter Demokratie auf Landesebene, vor allem in dem Politikfeld Schule, Bildung und Erziehung, ehe die Autorin zu einem Fazit kommt (265–277), das man mit Fug und Recht vernünftig nennen kann. Es handelt sich bei diesem Werk um die bislang eingehendste Beschäftigung mit dem Stoff, eine verdienstvolle und eminent nützliche Aufarbeitung. Der Anspruch der Verfasserin lautet, ein „Überblicks- und Nachschlagewerk“ (72) sowie eine „Praxishilfe“ (19) vorzulegen. Dieser Anspruch wird eingelöst. Nicht weniger als 46 Übersichten (Tabellen) und weitere Zusammenstellungen zeugen von der intensiven gra-
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