Gefährliche Gratwanderung: Jordaniens prekäre Lage angesichts von Wirtschaftskrise, Irakkonflikt und Palästinaproblem
DOI-Focus Nr. 13, Hamburg 2004 Deutsches Orientinstitut
Zur Autorin: Renate Dieterich, Studium der Islamwissenschaft, Politologie sowie Geografie an der Universität Bonn. Ausgedehnte Forschungsaufenthalte in Jordanien. Promotion zum Dr. phil 1998. Die Dissertationsschrift „Transformation oder Stagnation? Die jordanische Demokratisierungspolitik seit 1989“ ist 1999 in der Schriftenreihe des Deutschen Orientinstituts veröffentlicht worden. Zahlreiche weitere Publikationen über Politik und Gesellschaft in Jordanien sowie zum Islam in Deutschland folgten. Der vorliegende Text gibt ausschließlich die Meinung der Autorin als Privatperson wieder.
1 Einleitung Seit der Gründung des jordanischen Staates im Jahr 1921 untersteht das Land unverändert der Herrschaft der Familie der Haschemiten, die nach dem Ersten Weltkrieg von der arabischen Halbinsel vertrieben worden waren. Mit dem jungen König Abdallah II. regiert seit 1999 nach seinem Urgroßvater Abdallah I., dessen Sohn Talal und dem langjährigen Regenten Husain nun der vierte Monarch aus der haschemitischen Dynastie. Mit dieser Kontinuität nimmt das Land in der Region eine Ausnahmeposition ein. Das monarchische Prinzip hat sich bislang als stabilitätssicherndes Element erwiesen. Jordanien gilt seit langem als einer der verlässlichsten Bündnispartner des Westens im Nahen Osten. Insbesondere mit den USA ist das Königreich in einer engen wirtschaftlichen und politischen Beziehung verbunden. Vor diesem Hintergrund hat sich die Führung des Landes während der Irakkrise 2002/03 unmissverständlich an die Seite der USA gestellt. In der Bevölkerung wird dieser Kurs allerdings sehr kritisch gesehen. Jordaniens Bevölkerung genießt im Vergleich zu anderen Staaten der Region ein relativ großes Maß an Meinungs- und Redefreiheit. Von einem echten demokratischen System aber ist das Land trotz verschiedener Reformmaßnahmen in den 1990er Jahren noch weit entfernt. Zwar handelt es sich um eine parlamentarische Monarchie, wo ein gewähltes Parlament neben dem vom König ernannten Oberhaus demokratische Legitimation garantieren soll, doch zeigt der Blick auf die jordanische Verfassung, dass dem König sehr weitgehende Rechte zugestanden werden, von denen dieser in der Praxis auch ausgiebig Gebrauch macht. Der Monarch ist bei seinen Entscheidungen keinem gewählten Gremium gegenüber verantwortlich. Das Prinzip der Gewaltenteilung - vor allen Dingen zwischen den gewählten Volksvertretern und der Monarchie - ist daher nur unzureichend verankert. Aufgrund der starken wirtschaftlichen Abhängigkeit Jordaniens von auswärtigen Hilfen, aufgrund seiner geopolitischen Lage als Pufferstaat zwischen verschiedenen schwelenden Krisenherden im Vorderen Orient sowie wegen seiner exponierten Rolle im Palästinakonflikt sieht sich das Land vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt. Es ist das besondere Meisterstück der jordanischen Monarchen, dass es ihnen bislang immer gelungen ist, das labile Gleichgewicht im Inneren ebenso zu wahren wie die auswärtige Unterstützung finanzieller und politischer Art sicherzustellen. Der enge Handlungsspielraum, der der jordanischen Führung allerdings angesichts dieser unterschiedlichen Einflussfaktoren bleibt, erschwert zunehmend die Krisenbewältigung. 4
2 Die jordanische Gesellschaft Häufig ist zu lesen, dass sich die jordanische Gesellschaft grob in zwei große Gruppen unterteilen lasse, nämlich die zugewanderten Palästinenser auf der einen und die eingesessenen Ostjordanier auf der anderen Seite. Doch diese einfache Gegenüberstellung tut der komplexen gesellschaftlichen Realität nicht Genüge. So gehören bei weitem nicht alle Palästinenser einer unterprivilegierten Gruppe in Außenseiterposition an, sondern sind durchaus in den Zentren der politischen und vor allem wirtschaftlichen Macht vertreten. Viele Ostjordanier dagegen, einst treueste Stützen der Monarchie, finden sich mittlerweile am unteren Ende der sozialen Skala wieder, ohne nennenswerten Einfluss auf den politischen Prozess zu haben.1 Gleichwohl zeigt sich, dass das jordanische Regime den palästinensischen Bevölkerungsteil bei der politischen Entscheidungsfindung bewusst an den Rand drängt. Dies wird vor allem bei Wahlen deutlich, wo das Regime durch geschickte Manipulationen bei der Wahlkreiseinteilung (gerrymandering) dafür sorgt, dass der Anteil der Abgeordneten palästinensischer Herkunft weitaus niedriger ausfällt, als dies gemessen an ihrem tatsächlichen Anteil an der Bevölkerung der Fall sein müsste. Die Wahlkreiseinteilung und die Anzahl der notwendigen Stimmen zur Erlangung eines Sitzes ist im Landesvergleich unausgewogen und bevorzugt die traditionell regimeloyalen ländlichen Gebiete gegenüber den städtischen, palästinensisch dominierten Gebieten. So repräsentiert ein Kandidat in Amman 50.000 Wähler, während in Karak auf lediglich 6.000 Einwohner ein Abgeordneter kommt.2 Die Frage nach der Abstammung der jordanischen Bevölkerung stellt zudem ein Politikum dar. Die offiziellen Zahlen, die den Palästinenseranteil auf 43% beziffern, sind mit Skepsis zu betrachten. Beobachter schätzen den Anteil der Palästinenser an der jordanischen Bevölkerung auf zwischen 60 und 70%.3 Im wirtschaftlichen Bereich sind die Palästinenser im Privatsektor stärker vertreten, bei den Sicherheitskräften dagegen werden bevorzugt Ostjordanier beschäftigt. Teile der ostjordanischen Gesellschaft jedoch, die einst als Rückgrat der Regimestabilität galten, sind inzwischen weitgehend ökonomisch und politisch marginalisiert. Dies gilt vor allem für die ländlichen Gebiete im Süden des Landes. Periodisch wiederkehrende Unruhen zeugen davon, dass dort ein Konfliktherd entstanden ist, den das Regime ernstnehmen sollte, will es seine Stabilität dauerhaft sichern. 1
Vgl. dazu ausführlicher Hamarneh, Mustafa/Hollis, Rosemary/Shikaki, Khalil: Jordanian-Palestinian Relations
- Where to? Four scenarios for the future, London 1997. 2
Vgl. Wahlsieg des Königs von Jordanien. Ein Parlament mit loyalistischer Mehrheit, in: Neue Züricher Zei-
tung, 19.6.2003. 3
Vgl. Köndgen, Olaf: Jordanien, München 1999, S. 20f.
5
Die kleine christliche Minderheit (ca. 4%) sowie die ethnische Sondergruppe der Tscherkessen (ca. 0,5%) haben eine feste und stabile Stellung im Lande. Das religiöse Zusammenleben mit der muslimisch-arabischen Mehrheitsgesellschaft ist in der Regel von einer großzügigen Toleranz gekennzeichnet. Rechtliche Diskriminierungen und interreligiöse Spannungen sind unbekannt. Im Parlament verfügen sie über quotierte Minderheitensitze.
2.1 Tribalismus und Klientelismus Waren die Ostjordanier bei Gründung des Emirats 1921 noch zu etwa 50% nomadisch, so kann heute nur noch eine verschwindend kleine Minderheit dem umherschweifenden Viehnomadentum zugerechnet werden. Das soziale Ordnungssystem der Frühzeit, nämlich der Zusammenhalt großer Familienverbände oder Stämme, deren Mitgliedschaft leicht einige Tausend umfassen kann, besteht jedoch weiterhin. Zwar haben sich durch die Entstehung zentralstaatlicher Herrschaftsinstanzen in Bezug auf das Verhältnis zwischen Stämmen und Staat klare Veränderungen ergeben und auch innerhalb der Stammesverbände haben sich soziale Transformationsprozesse abgespielt, so dass man keineswegs von einem ungebrochenen Fortbestand traditioneller Strukturen sprechen kann. Doch die Fähigkeit zur Mobilisierung tribaler Bindungen ist auch heute noch ein herausragendes Merkmal des gesellschaftlichen und politischen Lebens Jordaniens. Daraus hat sich ein ausgeprägtes klientelistisches System der Vorteilsvergabe und -nahme entwickelt. Das Zauberwort heißt wasta, zu übersetzen etwa als „Vermittlung“ oder „Beziehungen haben“.4 Wer über wasta verfügt, dem gelingt es viel leichter als anderen, z. B. einen der begehrten Studienplätze an einer staatlichen Universität zu ergattern,5 die notwendigen Papiere für wirtschaftliche Transaktionen von den zuständigen Behörden zu besorgen oder als Abgeordneter daran mitzuwirken, dass die Infrastruktur im Heimatdorf verbessert wird. Auch der Staat muss sich innerhalb dieses Beziehungsgeflechts immer wieder aufs Neue der Kooperationsbereitschaft seiner Bürger versichern und sich einen eigenen Platz suchen, von dem aus er mit den einzelnen gesellschaftlichen Gruppen verhandeln kann. Wichtig wird dies vor allen in Krisenzeiten, um den Einsatz von Gewalt möglichst gering zu halten. Wasta wirkt sich aber auch politisch aus, z. B. bei Wahlen, wenn diejenigen Kandidaten auf die höchste Stimmenzahl zählen können, die sich auf die Unterstützung ihres 4
Vgl. zu diesem Themenkomplex die ausführliche Untersuchung von Cunningham, Robert B. / Sarayra, Yasin
K.: Wasta. The hidden force in Middle Eastern society, Westport/London 1993. 5
So soll der Anteil der Studierenden, die tatsächlich über den Weg des normalen Bewerbungsverfahrens ohne
Ausnahmeregeln oder Vergünstigungen einen Studienplatz erlangt haben, bei lediglich 33% liegen. Vgl. al-sabil, 510. Al-sabil ist eine der Muslimbruderschaft nahestehende Wochenzeitung und wichtiges Sprachrohr der islamistischen Opposition Jordaniens.
6
Stammes verlassen. Ideologische Ausrichtungen spielen dann kaum eine Rolle. Entscheidend ist, dass ein Kandidat der eigenen Familie den Weg nach Amman schafft, denn dort ist der zentrale Platz, um an der Vergabe materieller wie nichtmaterieller Ressourcen teilhaben zu können. Immer wieder verbindet sich im politischen und gesellschaftlichen Diskurs der traditionelle Konservatismus der Stammesgesellschaft mit den engen religiösen Moral- und Wertvorstellungen islamistischer Prägung, so dass es durchaus auch zu Allianzen traditionell-tribaler Kräfte mit den urbanen islamistischen Technokraten aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft kommt.
2.2 Justizwesen und Sondergerichtsbarkeit Während das jordanische Justizwesen im Allgemeinen weitgehend nach rechtsstaatlichen Normen und unabhängig von politischer Einflussnahme arbeitet, existiert mit dem Staatssicherheitsgericht ein Sondergericht, das von Militärrichtern dominiert wird und wo ein Militärstaatsanwalt die Anklage vertritt. Es handelt sich um ein maßgebliches politisches Einflussinstrument. Vor diesem Gericht werden alle Anklagen, die den Bereich der „nationalen Sicherheit“ berühren, verhandelt. Dies bezieht sich vor allem auf Verfahren mit terroristischem oder militant-islamistischem Hintergrund. Die Verhandlungen vor dem Staatssicherheitsgericht entsprechen nicht internationalen rechtsstaatlichen Ansprüchen. Nahezu in jedem Verfahren wird von Seiten der Verteidigung der Vorwurf laut, die Angeklagten seien während der Untersuchungshaft gefoltert worden. Zahlreiche Urteile des Staatssicherheitsgerichts sind in der Vergangenheit schon vom übergeordneten zivilen Berufungsgericht (Kassationsgerichtshof) wieder aufgehoben worden. Dies bestätigt den Eindruck, dass das Staatssicherheitsgericht vor allem ein Instrument zur Disziplinierung politischer Gegner ist und weniger der Wahrheitsfindung dient. Vor dem Hintergrund des „Kriegs gegen den Terror“ seit dem 11. September sind die Befugnisse des Gerichtshofes sogar noch erweitert und die Rechte der Angeklagten reduziert worden. Amnesty International geht in seinen Berichten immer wieder auf die fehlende rechtsstaatliche Absicherung dieses Sondergerichtshofes ein und fordert deshalb dessen Abschaffung.6 Ein anderes Problem der Rechtssicherheit stellt das Fehlen eines Verfassungsgerichtshofes dar. Ein solches Verfassungsgericht wird von der Opposition seit langem gefordert und ist in der Nationalcharta von 1991, die die Grundlagen des demokratischen Lebens des Landes regeln sollte, auch zugesagt worden. Bislang ist diese Forderung aber nicht umgesetzt worden. 6
Vgl. Amnesty International: Jordan. Security measures violate human rights, 5. Februar 2002, unter:
Stattdessen entscheidet in entsprechenden Zweifelsfällen ein Gremium aus Senatoren und Richtern. König Abdallah II. hat im Herbst 2003 die Einrichtung eines Verfassungsgerichts angekündigt. Es bleibt abzuwarten, ob es nun tatsächlich zur Gründung einer solchen Institution kommt und vor allem, welche rechtlichen Befugnisse dieser zugestanden werden. Bereits im Dezember 2002 sind die rechtlichen Grundlagen für das ebenso lang zugesagte „Nationale Zentrum für Menschenrechtsfragen“ geschaffen worden. Auch hier wird sich erst erweisen müssen, ob sich die Institution in der Auseinandersetzung mit dem Regime angesichts der eingeschränkten demokratischen Freiheitsrechte wird behaupten können.
2.3 Frauenrechte Zu den zentralen Themen in gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen zählt nicht nur in arabischen Staaten die „Rolle der Frau“. Symbolhaft wird in diesem Diskursfeld die Vision von einer Gesellschaft verhandelt, die sich sowohl der „Tradition“ als auch der „Moderne“ öffnet. Ähnlich wie die verjüngte marokkanische Monarchie hat sich auch das jordanische Königshaus die Verbesserung der Lage der Frauen zum besonderen Anliegen gemacht. Neben mehreren konkurrierenden Frauenorganisationen sind es in Jordanien vor allem Vertreterinnen der königlichen Familie, die sich für die Sache der Frauen stark machen. Durch die Ernennung von sieben Frauen für Senatorenposten im 55-köpfigen Oberhaus hat König Abdallah II. erst kürzlich wieder seine Unterstützung für die Teilhabe von Frauen am politischen Leben nachdrücklich unterstrichen.7 Dennoch spielen Frauen im politischen und wirtschaftlichen Leben des Landes eine eher untergeordnete Rolle. Nur 16% der Erwerbstätigen sind weiblich. Im Parlament sind gegenwärtig zwar 6 Frauen vertreten, jedoch konnten sie nur aufgrund der jüngst eingeführten Quotenregelung dort Platz nehmen. An den Universitäten ist der Studentinnenanteil hoch, doch nehmen nur wenige qualifizierte junge Frauen nach dem Studium tatsächlich eine angemessene Beschäftigung auf. Dies hängt nicht zuletzt mit den konservativen Rollenbildern vieler Jordanier zusammen, die den Platz einer Frau vor allem im häuslichen Bereich sehen. Das jordanische Regime wünscht für das Land ein moderates, weltoffenes und dennoch in arabischen Traditionen verwurzeltes Image. Die aus diesem Bestreben resultierenden Widersprüche lassen sich nicht leicht auflösen. Eines der medienwirksamsten Beispiele für einen solchen Widerspruch ist die Diskussion um die sogenannten „Ehrenmorde“, das heißt Tötungsdelikte an Frauen, die durch ihr Verhalten die „Ehre der Familie verletzt“ und „Schande“ über sie gebracht haben.8 Solche Ehrenmorde ereignen sich in allen Staaten der Region. In Jordanien sind sie vor allem aufgrund einer hartnäckigen Berichterstattung, zunächst durch 7
Vgl. Jordan Times, 18.11.2003.
8
die englischsprachige Presse, später auch durch arabische Zeitungen zum Thema einer breiteren Diskussion geworden. „Ehrenmorde“ finden weitverbreitete gesellschaftliche Akzeptanz, nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten. „Ehrenmorde“ sind auch aus christlichen Familien bekannt und somit nicht nur auf muslimische Moralvorstellungen zurückzuführen. Das jordanische Strafgesetzbuch sieht für die Täter dieser Verbrechen an Frauen sehr milde Strafen und Ausnahmeregelungen vor, so dass diese häufig nahezu straffrei ausgehen. Eine Kampagne zur Änderung der gesetzlichen Vorgaben im Sinne eines verstärkten Schutzes von Frauen stieß kürzlich auf erheblichen Widerstand aus unterschiedlichen Kreisen. Nicht nur die traditionellen Stammesvertreter, sondern auch die Islamisten und andere, an konservativen Rollenbildern orientierte politische Kräfte stemmten sich gegen eine Gesetzesänderung. Nur aufgrund der Tatsache, dass die Regierung während der Abwesenheit des Parlaments „befristete Gesetze“ einführen kann, gelang es zunächst, das jordanische Strafgesetzbuch zu ändern. Jedoch nutzte das im Juni 2003 gewählte Parlament die Gelegenheit, eben diese Gesetzesänderung als ersten Akt in der neuen Legislaturperiode zurückzuweisen. Das Gesetz wurde daraufhin an das Oberhaus verwiesen, das erwartungsgemäß im Sinne des Königshauses der Vorlage zustimmte. Selbst wenn es nun mit Unterstützung des Königs, der ein Gesetz in Pattsituationen allein durchsetzen kann, gelingen sollte, die Änderung durchzubringen, so wird es doch noch eines längeren, zähen Kampfes bedürfen, um in der jordanischen Gesellschaft tatsächlich eine Bewusstseinsänderung in Bezug auf diese Problematik zu erreichen.
3 Ökonomie Jordanien befindet sich seit längerem in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Mehr als 90% des Landes sind Wüstenregionen, die Mehrheit der etwa 5,3 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung lebt in den städtischen Ballungsgebieten Amman/Zarqa und Irbid. Neben dem demographischen Faktor, der alle sich entwickelnden Staaten drückt, nämlich einer sehr jungen und weiter wachsenden Bevölkerung,9 die auf einen begrenzten Ausbildungsund Arbeitsmarkt strömt, treten die regionalen Probleme wie Wassermangel und politisch bedingte Mängel in der Infrastruktur hinzu. Die Arbeitslosenrate liegt offiziell bei 15%, dürfte aber in Wirklichkeit eher 25% betragen. Es gibt bis auf Phosphatvorkommen keine bedeutenden Bodenschätze, der industrielle Bereich ist unterentwickelt und so spielt in der jordanischen Nationalökonomie vor allem der Dienstleistungssektor eine wichtige Rolle. 8
Offiziell fallen jedes Jahr etwa 30 Frauen in Jordanien einem solchen Tötungsdelikt zum Opfer. Die Dunkelzif-
fer dürfte aber deutlich darüber liegen. Vgl. zu den Hintergründen Faqir, Fadia: Interfamily femicide in defence of honor: The case of Jordan, in: Third World Quarterly 22/2001 (1), S. 65-82. 9
Knapp 37% aller Jordanier sind unter 15 Jahre alt. Das Bevölkerungswachstum beträgt 2,8%.
9
3.1 Die jordanische Rentierökonomie Seit der Staatsgründung 1921 ist das Land in hohem Maße auf externe Zuwendungen (Renten) angewiesen. Anders als die erdölreichen Golfstaaten kann sich die Führung in Amman jedoch nicht auf im Inland abgeschöpfte Renten verlassen, sondern muss diese einwerben bzw. aus dem Ausland zufließen lassen. Aufgrund dieser Abhängigkeit von externen Renteneinnahmen gilt Jordanien als Semirentierstaat.10 Die Renteneinwerbung erfordert großes außenpolitisches Geschick, weil die unterschiedlichen potenziellen Geber, die zudem möglicherweise konkurrierende Ziele verfolgen, nicht verärgert werden dürfen. In der jordanischen Geschichte wurden diese Rentenzahlungen zunächst von der britischen Mandatsmacht geleistet, ab Ende der 1950er Jahre von den USA, dann durch die “arabischen Bruderstaaten“, die Jordaniens schwierige Stellung als direkter Nachbar Israels und Zufluchtsort vieler Palästinenser honorierten. Doch der Zufluss dieser Gelder wurde seit den 1980er Jahren deutlich gedrosselt. Boomende Jahre erlebte die jordanische Wirtschaft in den 1970ern, als das Land in großem Stil gut ausgebildete Arbeitskräfte exportierte und diese wiederum einen großen Teil ihrer Einnahmen nach Hause zurück transferierten. Damals stellten die Rücküberweisungen der Arbeitsmigranten die wichtigste Quelle der Rentenabschöpfung dar.11 Doch seit Beginn der 1980er Jahre verlor dieser Faktor zunehmend an Bedeutung. Seither muss sich Jordanien immer stärker um Hilfen auf dem Markt internationaler Kreditgeber bemühen, um den Staatshaushalt finanzieren zu können. Im Gegensatz zu den früheren Unterstützungszahlungen sind diese jedoch rückzahlungspflichtig, so dass der Schuldendienst den jordanischen Staatshaushalt zusätzlich belastet. Außerdem knüpfen die westlichen Geldgeber ihre Zahlungen an Bedingungen, sie verlangen wirtschaftliche und auch politische Reformen, denen Jordanien nachzukommen versucht. Die Finanzierung des Staatshaushaltes war für Jordanien so schwierig geworden, dass man sich 1988 zur Annahme eines vom Internationalen Währungsfond (IWF) entworfenen Strukturanpassungsprogramms gezwungen sah, das weitreichende ökonomische und politische Folgen hatte.
10
Vgl. zum Rentierkonzept allgemein Schmid, Claudia: Das Konzept des Rentier-Staates. Ein sozialwissen-
schaftliches Paradigma zur Analyse von Entwicklungsgesellschaften und seine Bedeutung für den Vorderen Orient, Münster 1991, und in Bezug auf Jordanien Wils, Oliver: Wirtschaftseliten und Reform in Jordanien. Zur Relevanz von Unternehmer-Bürokraten-Netzwerken in Entwicklungsprozessen, Hamburg 2003, S. 17ff. 11
Vgl. Anderer, Gilbert: Die politische Ökonomie eines Allokationssystems: Jordanien und die internationale
Arbeitsmigration seit 1973, Frankfurt et al. 1990, S. 115ff.
10
3.2 Schuldenkrise und wirtschaftliche Strukturanpassung Trotz wachsender Wirtschaft konnte seither das Grundproblem der jordanischen Ökonomie, nämlich die Abhängigkeit von auswärtigen Zuwendungen, nicht gelöst werden. Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und der AuslandsverSchuldung 1990-200312 1990 1998 2003**
BIP 2,67* 5,24 7,35
Auslandsverschuldung 5,10 5,0 6,8
* Angaben in Milliarden JD. 1JD = 1,41 US $. ** Schätzung September 2003
Im Jahr 2003 betrug die Verschuldung allein bei der Weltbank 767 Millionen JD, beim IWF 311 Millionen JD und beim Arab Fund for Economic and Social Development 359 Millionen JD. Die beiden wichtigsten Einzelstaaten als Kreditgeber waren Japan mit 963 Millionen JD und Deutschland mit 297,8 Millionen JD. Durch den Irakkrieg 2003 konnte Jordanien die Quote ausländischer Hilfen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30% steigern. Diese betrugen bis Ende September 2003 1,41 Millionen JD. Damit hat der Anteil ausländischer Hilfszahlungen einen historischen Höchststand erreicht.13 Kreditgeber wie die Weltbank setzen darauf, dass Armut durch ein auf marktwirtschaftliche Konkurrenz gestütztes Wirtschaftswachstum bekämpft werden soll. Dies bereitet in einem kleinen Land wie Jordanien allerdings Probleme, so fehlen etwa die Absatzmärkte im Inland, aber auch die regionalen Märkte werden durch politische Entwicklungen behindert, auf die Jordanien keinerlei Einfluss hat.14 Die Strukturanpassungsprogramme des IWF haben nicht verhindern können, dass es seit den 90er Jahren eine drastische Zunahme der Armut im Lande gegeben hat. Kritiker sehen gar gerade die IWF-Programme und die damit verbundenen Subventionskürzungen als Auslöser der Verarmung an. Mehr als 50% aller Beschäftigten erzielen ein Monatseinkommen zwischen lediglich 100 und 200 JD.15 Die Armutsrate stieg nach Berechnungen der Weltbank von 3% im
12
Zahlen nach. Wils, op. cit. S. 139 und 145. Zahlen für 2003 nach Jordan Times, 11.9.2003.
13
Vgl. Jordan Times, 11.9.2003.
14
Vgl. Wils, op. cit., S. 148ff.
15
Vgl. Jordan Times, 23.3.2003 und 4.8.2003.
11
Jahr 1988 auf 30% im Jahr 1999.16 Diese Tendenz der wachsenden Verarmung wird von der jordanischen Regierung mit großer Sorge gesehen. Im Rahmen der ökonomischen Umstrukturierung sind bislang zahlreiche Privatisierungsprojekte im Bereich staatlicher Dienstleistungen sowie von Staatsunternehmen vorangetrieben worden. Dabei hat sich gezeigt, dass es vornehmlich die alten Wirtschafts- und palastnahen Eliten sind, die von den Privatisierungsprojekten profitieren. Dies verhindert das Erstarken neuer ökonomischer Handlungsträger, bindet dafür aber die traditionellen Wirtschaftskreise umso enger an das Regime.17 Die offiziellen Wirtschaftsdaten sind von einem chronischen Optimismus geprägt. Derzeit wird eine Wachstumsrate von 4% prognostiziert. Doch die Erfahrung hat gelehrt, dass diese Zahlen auch geschönt sein können, so kam es im Jahr 2001 zu einem Eklat, als sich herausstellte, dass die dem IWF präsentierten Wirtschaftsdaten nach oben „korrigiert“ waren. Die Unterzeichnung des Welthandelsabkommens 2001 hat die jordanische Exportrate befördert. Gegenwärtig stellen die USA den wichtigsten Handelspartner Jordaniens dar. Israel als Exportland hat dagegen in seiner Bedeutung deutlich abgenommen.18 Die Vereinigten Staaten als wichtige Gebernation haben allein im letzten Jahrzehnt etwa 3 Milliarden US $ an Finanz- und Militärhilfe geleistet, allein 700 Millionen US $ flossen im Jahr 2003 als Unterstützung für die jordanische Rolle im Irakkrieg.19 Als Gegenleistung versucht Jordanien eine politische Gratwanderung, um einerseits die amerikanische Führung zufrieden zu stellen, andererseits aber dem innenpolitischen Druck Stand zu halten, denn die US-Politik in der Region wird von vielen Jordaniern höchst kritisch gesehen. Das Engagement König Abdallahs II. an der Seite der USA hat sich somit klar für die politische Rentenzahlung ausgewirkt, allerdings wird sich dieses hohe Zahlungsniveau nicht auf Dauer halten lassen.
4 Das „demokratische Experiment“ seit 1989 Nach mehr als zwei Jahrzehnten Ausnahmezustand und Kriegsrecht kehrte Jordanien 1989 zum demokratischen Leben zurück. Bereits in den 50er und 60er Jahren waren Parlaments16
Auch die jordanische Regierung sieht etwa ein Drittel der Bevölkerung unterhab der Armutsgrenze. Vgl. Jor-
dan Times, 20.7.2003. 17
Vgl. z. B. die ausführliche Schilderung der Privatisierung des Telekommunikationsmarktes bei Wils, op. cit.,
S. 186ff. 18
Vgl. Jordan Times, 1.12.2003.
19
Vgl. Moore, Pete W.: The newest Jordan: Free trade, peace and an ace in the hole, in: Middle East Report On-
line, June 26, 2003, unter www.merip.org/mero/mero062603.htm.
12
wahlen abgehalten worden, jedoch nach dem Krieg vom Juni 1967 und dem Verlust der Westbank, die Jordanien für sich reklamiert hatte, auf unbestimmte Zeit ausgesetzt worden. Hintergrund der Wiederaufnahme des Wahlprozesses waren Unruhen und Proteste im Frühjahr 1989, die durch die wirtschaftlichen Sparmaßnahmen des Strukturanpassungsprogramms ausgelöst wurden. In der südjordanischen Stadt Maan gingen wütende LKW-Fahrer auf die Straße, die wegen der neuen Benzinpreise um ihre Existenz fürchteten. Bald dehnten sich die Proteste auch auf andere, vor allem ländliche Regionen des Landes aus, die großstädtischen Ballungsräume blieben dagegen weitgehend ruhig. 11 Tote, 112 Verletzte und 650 Inhaftierte waren damals die traurige Bilanz der einwöchigen Unruhen. Obwohl ökonomische Probleme der unmittelbare Auslöser waren, offenbarte sich deutlich, dass auch politische Unzufriedenheit zu den Beweggründen der Protestierenden zählte. Es ging den Demonstranten nicht nur um eine Rücknahme der Preiserhöhungen, sondern auch um politische Forderungen: freie Wahlen, eine freie Presse und mehr bürgerliche Rechte zählten seit langem zum Katalog der weitgehend illegal agierenden oppositionellen Kräfte. König Husain gab dem Druck nach, wohl wissend, dass das notwendige ökonomische Reformprogramm gegen den erklärten Willen der Bevölkerung nur mit massiver Gewalt durchzusetzen wäre. Eine demokratische Legitimation für einen wirtschaftlichen Kurswechsel sowie die Einbeziehung der Opposition in das in Turbulenzen geratene Herrschaftssystem sollten die Stabilität der Nation sichern.
4.1 Rückkehr zum parlamentarischen Leben Im Herbst desselben Jahres fanden daher die ersten landesweiten Wahlen seit 1967 statt. Zum ersten Mal durften auch die jordanischen Frauen ihr Wahlrecht, das sie 1974 erhalten hatten, ausüben. Parteien waren zu diesen Wahlen zwar nicht zugelassen, dennoch waren die politischen Tendenzen der einzelnen Kandidaten für die Wähler klar erkennbar. Kandidaten aus den Reihen der Stämme und den großen Familien verloren bei diesen Wahlen deutlich an Einfluss, Mitglieder einer technokratisch ausgebildeten Elite, darunter viele Islamisten, gewannen dagegen an Boden. Dieses Parlament aus dem Jahr 1989 gilt als das agilste und kritischste der jüngeren jordanischen Geschichte. „Heiße Eisen“ wie die verbreitete Vetternwirtschaft und Korruption gehörten zu den Themen, die nun diskutiert und rechtlich verfolgt werden sollten. In den folgenden Monaten wurden auf der institutionellen Ebene weitere Liberalisierungsmaßnahmen durchgeführt: der Ausnahmezustand wurde aufgehoben, 1991 wurde die Nationalcharta verabschiedet, die als Grundlagendokument des gesamten Demokratisierungsprozesses gilt. Erarbeitet wurde sie unter Beteiligung der wichtigsten politischen Strömungen im Land. Es gab unter 13
den 60 Mitgliedern der Kommission sowohl Kommunisten wie auch Muslimbrüder, arabische Nationalisten ebenso wie säkular ausgerichtete Menschenrechtsaktivisten. Die Charta bekannte sich zu den Grundsätzen von Pluralismus und Meinungsfreiheit, wiederholte das verfassungsmäßige Recht auf Parteiengründung, sie betonte die Gleichberechtigung der Geschlechter, erklärte die Anwendung demokratischer Methoden auf allen staatlichen Ebenen für verpflichtend und regte die Einrichtung eines Verfassungsgerichtes an. Die Charta definierte aber nicht nur demokratische Grundrechte, sondern schrieb auch die Unantastbarkeit der haschemitischen Monarchie fest und bestätigte die herausgehobene Position des Königs. Da die Charta mit ihren durchaus progressiven Elementen aber keinen rechtlich bindenden Status erhielt und auch nicht als Anhang der Verfassung installiert wurde, blieb sie letztlich nicht mehr als eine Absichtserklärung, ohne dass ihre Versprechungen einklagbaren Status erlangt hätten. Für das Regime - bestehend aus Königshaus, palastnahen Kreisen, Geheimdienst, Vertretern bedeutender ostjordanischer Stämme und der Wirtschaftselite - stellte dieses Parlament zwar keine ernsthafte Bedrohung seiner Macht dar, aber immerhin ein Unruhepotenzial. Dessen versuchte man sich dadurch zu entledigen, indem der König vor den Parlamentswahlen 1993 das bislang geltende Wahlrecht ändern ließ. Dass diese Wahlrechtsänderung unter Umgehung des Abgeordnetenhauses durchgesetzt werden konnte, zeigt deutlich die schwache Position des Parlaments und die eindeutige Schieflage innerhalb der Gewaltenteilung zugunsten der Exekutive, verkörpert durch die Regierung und den König. Das bislang geltende Mehrstimmenwahlrecht, nach dem Wähler bis zu 8 Stimmen auf verschiedene Kandidaten verteilt abgeben konnten, wurde durch ein Einstimmenwahlrecht ersetzt. Nun hatte jeder Wähler nur noch eine Stimme, die er in einem stark von familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen geprägten gesellschaftlichen Kontext, wie es in Jordanien der Fall ist, vorrangig an Mitglieder des eigenen Clans vergibt. Ideologisch motivierte Kandidaten und Vertreter politischer Parteien haben dadurch deutlich schlechtere Chancen, sofern sie nicht zusätzlich zu einer ideologischen Ausrichtung auch über größere verwandtschaftliche Loyalitäten verfügen, die sie mobilisieren können. Die Gesetzesänderung führte zum gewünschten Ergebnis. Die tribalen Kräfte wurden massiv gestärkt, was zu einer Entideologisierung des Parlaments beigetragen hat. Obwohl zu den Parlamentswahlen 1993 erstmalig auch wieder politische Parteien zugelassen waren, wurde die Mehrheit der Sitze im neuen Abgeordnetenhaus von „unabhängigen“ Kandidaten mit Stammeshintergrund besetzt. Das 1993 gewählte Parlament stimmte dem Friedensvertrag mit Israel im folgenden Jahr zu und verlieh diesem historischen Schritt Jordaniens damit eine demokratische Legitimation. 14
Die Parlamentswahlen vom November 1997 wurden aus Protest gegen die Wahlrechtsänderung und den neuen Friedenskurs von fast allen Oppositionsgruppen boykottiert. Daher gewannen mit überwältigender Mehrheit tribale und sogenannte unabhängige Kandidaten. Es gibt im Übrigen deutliche Hinweise dafür, dass bei diesen Wahlen gezielte Manipulationen und aktive Wahlfälschung von Seiten der Regierung stattgefunden haben. Die Wahlen, die im Jahr 2001 fällig gewesen wären, wurden mehrfach verschoben und haben erst mit großer Verspätung im Sommer 2003 stattgefunden (vgl. dazu näher unten).
4.2 Frieden mit Israel Im Jahr 1994 schloss Jordanien als zweiter arabischer Staat nach Ägypten und als dritter Akteur nach der Führung in Kairo und der PLO Frieden mit Israel. Jordanien hatte über Jahrzehnte hinweg bei Verhandlungen auf internationaler Ebene als Vertretung der Palästinenser agiert, doch wurde dieser Vertretungsanspruch seit 1974 weder von den arabischen Staaten noch von der PLO gebilligt. Aus den konkurrierenden Repräsentationsansprüchen der PLO und Jordaniens für die palästinensische Sache ergaben sich immer wieder Spannungen in den Beziehungen zwischen den beiden Akteuren. Dabei ging es nicht nur um die Durchsetzung machtpolitischer Ziele, sondern auch um finanzielle Zuwendungen aus dem arabischen und internationalen Lager, denn Finanzhilfen, insbesondere aus den Golfstaaten, flossen in den 1970er und frühen 80er Jahren noch reichlich. Diese Konkurrenzsituation spiegelte sich auch in den Verhandlungen mit Israel wider. Das Abkommen zwischen Israel und der PLO 1993 (Declaration of Principles) überraschte König Husain ebenso wie die internationale Öffentlichkeit. Um die Position Jordaniens als wichtiger Akteur im Nahostkonflikt zu erhalten, musste nun auch König Husain zu einer raschen Übereinkunft kommen. Dies sollte gleichzeitig den Zufluss ausländischer Gelder sichern, die das Land dringend benötigt. Zudem waren die jordanisch-israelischen Beziehungen aufgrund jahrzehntelanger Geheimkontakte durchaus nicht so frostig, wie es der offizielle Status als Kriegsgegner suggerierte. Nachhaltig forciert wurde der jordanische Friedensschluss von den USA, die als Gegenleistung für einen Beitrag zum Friedensprozess einen Schuldenerlass ankündigten. Sie verzichteten auf die Rückzahlung jordanischer Verbindlichkeiten in Höhe von rund 700 Millionen US $.20 Dies und die Hoffnung auf weitere Hilfsgeldzahlungen, Kredite und Unterstützungsprogramme, die sogenannte Friedensdividende, bewog die jordanische Seite dazu, mit der palästinensischen rasch gleichzuziehen. Ein Ende des arabischen Boykotts gegen Israel und eine damit verbundene Öffnung der arabischen Märkte für die israelische Wirtschaft, die Exportmöglichkeiten für Waren und Arbeitskräfte aus Jordanien nach Israel, länderübergreifende 20
Vgl. Köndgen, op. cit., S. 91.
15
Tourismusprojekte und der Ausbau der Verkehrswege in der Region zum Vorteil beider Vertragspartner sollten die Voraussetzungen für einen jordanischen Aufschwung werden. Die politischen Entwicklungen und der vollständige Zusammenbruch des Friedensprozesses haben diese hohen Erwartungen jedoch zunichte gemacht. Zwischen Jordanien und Israel gibt es zwar diplomatische Beziehungen, offene Grenzübergänge und einen wirtschaftlichen Austausch, doch handelt es sich letztlich nur um einen „kalten Frieden“. Die anfänglich durchaus positive Resonanz auf den Vertrag durch die jordanische Bevölkerung ist längst einer massiven anti-israelischen Stimmung gewichen, die von den Ereignissen seit Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst 2000 allzu reichlich genährt wird. Der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung ist ausgeblieben, das Tourismusgeschäft liegt derzeit danieder und eine rasche Erholung steht angesichts der Gewalt östlich und westlich der Landesgrenzen nicht zu erwarten. Die israelisch-jordanischen Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt angekommen; zwischen Dezember 2000 und September 2003 blieb sogar der jordanische Botschafterposten in Tel Aviv unbesetzt.
4.3 Meinungsfreiheit und Zivilgesellschaft Zwar ist die jordanische Zivilgesellschaft seit dem „demokratischen Frühling“ von 1989 aufgeblüht, doch setzt ihr das Regime enge gesetzliche Grenzen.21 Zudem buhlen die einzelnen Organisationen um westliche Gelder, die gezielt an NGOs, z. B. zur Armutsbekämpfung, zur Verbesserung der Frauenrechte oder der Entwicklung demokratischer Partzipationsmuster vergeben werden. Die nichtstaatlichen Organisationen konkurrieren aber nicht nur untereinander, sondern auch mit mehreren großen und einflussreichen Hilfsorganisationen, die von Mitgliedern der königlichen Familie geführt werden, den sogenannten „Royal NGOs“ (RiNGOs). Der Wettbewerb um die Einwerbung von Fördergeldern hat dazu geführt, dass sich die meisten NGOs in der Hauptstadt Amman angesiedelt haben, wo auch die westliche Finanziers wie USAID ihre Büros unterhalten. Kritiker der Arbeit vieler NGOs monieren, dass sie sich vor allem an den Vorgaben westlicher Geldgeber ausrichteten und ihre Programme entsprechend gestalteten, was mitunter weit an den tatsächlichen Bedürfnissen der jordanischen Zielgruppe vorbeigehe. Den RiNGOs wird zudem vorgehalten, dass ihr Verwaltungsapparat einen unverhältnismäßig großen Teil der eingeworbenen Mittel verschlinge und dass die Unterstützung lokaler Projekte und darin Beschäftigter zu niedrig ausfalle. Trotz aller Kritik darf die Arbeit der NGOs dennoch nicht pauschal abqualifiziert werden. In vielen Bereichen der Armutsbekämpfung und der politischen Bildung sind NGOs in Jordanien erfolgreich und effektiv tätig. 21
Vgl. Hermann, Katja: Aufbruch von unten: Möglichkeiten und Grenzen von NGOs in Jordanien, Hamburg
2000.
16
Die Meinungsfreiheit im Lande wird durch ein scharfes Pressegesetz recht eng definiert.22 Zwar gibt es neben den großen, staatlich kontrollierten Zeitungen al-ray (Die Meinung), aldustur (Die Verfassung) und Jordan Times eine ganze Reihe an freien Tages- und Wochenzeitungen, doch geht die Regierung mit Hilfe der Justiz immer wieder gegen unliebsame Journalisten und Herausgeber vor. Verboten sind nach dem in den letzten Jahren mehrfach verschärften Pressegesetz z. B. Berichte, die den König oder die königliche Familie negativ darstellen, Artikel, die gegen die „öffentliche Moral“ verstoßen sowie eine Berichterstattung, die das „nationale Wohl“ gefährden könnte. Damit ist der Pressezensur Tür und Tor geöffnet, sei es durch die „Schere im Kopf“ der Journalisten oder sei es durch rechtliche Maßnahmen, die auf der Grundlage des Pressegesetzes ergriffen werden. Seit einigen Jahren führt das Institute for Strategic Studies der Jordan University regelmäßig Meinungsumfragen über den Stand der Demokratisierung im Lande durch. Die Meinung der Jordanier über die demokratische Entwicklung fällt dabei höchst kritisch aus. Die letzte Umfrage vom Juni 2003 zeichnete ein überwiegend skeptisches Bild.23 So erklärten 83,2% der Befragten, sie fürchteten negative Folgen für sich und die Familie, falls sie öffentlich die Regierung kritisierten. 21,1% der Befragten zweifelten daran, dass die Wahlen frei abgehalten würden und nehmen daher gar nicht erst teil und immerhin 42,3 % der Befragten glauben, dass es für das politische Leben keinen Unterschied macht, ob es ein gewähltes Parlament gibt oder nicht.
5 Die jordanische Opposition Die wichtigsten Akteure der jordanischen Opposition sind die Muslimbrüder mit ihrem politischen Arm, der Islamischen Aktionsfront (IAF), sowie die Berufsverbände, die weitgehend von den Islamisten dominiert werden. Andere nennenswerte Parteien oder politische Interessengruppen gibt es nicht. Die Ära der linken und der arabisch-nationalistisch ausgerichteten Parteien ist seit langem vorüber. In Splitterfraktionen existieren nur noch kleine Teile dieser in den 1950er und 60er Jahren wichtigen Bewegungen. Das jordanische Regime hat es bislang stets sehr geschickt verstanden, die Opposition im Zaum zu halten. In gewissen Grenzen ist es ihr gestattet zu agieren, werden jedoch bestimmte „rote Linien“ überschritten, droht rasch erhöhter Repressionsdruck. Die „roten Linien“ orientieren sich am Primat des Systemerhalts. Jegliche Kritik am Herrscherhaus und der Legitimi22
Vgl. zur Entwicklung der Presse nach 1989 Lucas, Russel E.: Press law as a survival strategy in Jordan, 1989-
99, in: Middle Eastern Studies 39/2003 (4), S. 81-98. 23
Vgl. Center for Strategic Studies: Poll 33: Democracy in Jordan 2003, http://www.css-jordan.org/polls/demo-
cracy/2003/index.html.
17
tät der Haschemiten in Jordanien sowie damit zusammenhängende Themen liegen jenseits dessen, was öffentlich diskutiert oder kritisiert werden darf. „Rote Linien“ sind auch dann überschritten, wenn die Kritik der Opposition zentrale strategische Entscheidungen des Regimes gefährdet, wie sich am Beispiel des Friedensvertrags mit Israel oder der jordanischen Unterstützung für den US-Kurs im Irak zeigt. Auf der anderen Seite besteht ein ausgeklügelter Kooptierungsmechanismus, der dafür sorgt, dass Mitglieder der Opposition in Führungspositionen und in die Regierung aufsteigen. Das zähmt diese Kritiker und bietet der Opposition Chancen, an der Entscheidungsfindung teilzuhaben, die ihnen ansonsten nicht gewährt worden wären. Das Regime erweitert und erneuert damit stetig seine klientelistischen Beziehungen zu den strategisch wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und sichert seine Machtbasis ab.24 Seit 1994 hat sich die Opposition als einer der wichtigsten ihrer Aufgaben dem Kampf gegen die „Normalisierung der Beziehungen“ zu Israel verschrieben. Daneben setzte man sich in der Zeit des Irakembargos für die notleidende Zivilbevölkerung im Nachbarland ein. Dieses Engagement hatte wohl nicht nur humanitäre Gründe, sondern auch wirtschaftliche, denn bis zum Krieg 2003 war der Irak der wichtigste Handelspartner Jordaniens. Daneben sind aber auch rein jordanische Belange in das Blickfeld der Opposition gerückt. So werden Verhaftungen mit politischem Hintergrund sehr genau registriert und die Einschnitte beim Presserecht sind immer wieder scharf kritisiert worden. Das Wahlrecht und die Wahlkreiseinteilung, die zuungunsten der Opposition gestaltet worden sind, sind weiteres wichtiges Thema.
5.1 Die Islamisten Die islamistische Bewegung in Jordanien lässt sich in zwei wichtige Strömungen unterteilen: die moderat orientierten Muslimbrüder, die sich seit Jahrzehnten aktiv am politischen Leben beteiligen, sowie eine im Untergrund wirkende, salafitische Bewegung, die netzwerkartig strukturiert und in Teilen gewaltorientiert ist.25 Nach dem Vorbild der „lauteren Vorfahren“, also des Propheten Muhammad und der ersten drei Generationen der Muslime, wenden sich die Salafis rigoros von westlichen Ordnungsmustern ab und suchen stattdessen nach dem „authentischen islamischen Staat“. Das jordanische Regime geht vehement gegen die Anhänger
24
Vgl. dazu ausführlicher Greenwood, Scott: The „New Bargain“: The political economy of regime security, in:
Middle East Journal 57/2003 (2), S. 248-268. 25
Vgl. zur Salafi-Bewegung Wiktorowicz, Quintan: The management of Islamic activism. Salafis, the Muslim
Brotherhood, and state power in Jordan, New York 2001.
18
der Bewegung vor, droht doch aus den Reihen dieser Kräfte, in die sich auch ehemalige Afghanistankämpfer mischen, eine Bedrohung für die Stabilität des Staates. Ganz anders verhalten sich dagegen die Muslimbrüder und ihr politischer Arm, die Partei der Islamischen Aktionsfront (IAF). Seit den 50er Jahren haben sich die Muslimbrüder als verlässliche Bündnispartner erwiesen. Als Kontrapunkt gegen linke und nationalistische Kräfte wurden sie vom Regime nicht nur geduldet, sondern gefördert. Seit Beginn der „Demokratisierungsphase“ 1989 sind die Muslimbrüder mit ihrer Partei noch stärker politisch aktiv geworden. Allerdings zeigt sich seither, dass die Toleranz des Regimes gegenüber den Islamisten nicht grenzenlos ist. Der hartnäckige Widerstand der Islamisten gegen den Friedensvertrag mit Israel und die Bestrebungen einer „Islamisierung der Gesellschaft“, die dem Modernisierungskonzept des Regimes zuwiderlaufen, sind Ausgangspunkt zahlreicher Konfrontationen gewesen. Angesichts des Kurses Jordaniens in der Irakfrage haben sich die Islamisten als Kritiker einer Unterstützung der amerikanischen Führung erwiesen, was weiteren Konfliktstoff geschaffen hat. In solchen Fällen, bei denen die Positionen der Islamisten den zentralen Interessen des Königshauses widersprechen, geht der Sicherheitsapparat gegen die unliebsamen Kritiker vor. Um die Islamisten im Zaum zu halten, bedient sich das Regime gegenüber den Muslimbrüdern daher einer Politik von „Zuckerbrot und Peitsche“. Nach einem Wahlboykott 1997 sind die Islamisten sowie weitere, kleine Oppositionsparteien im Sommer 2003 wieder auf die parlamentarische Bühne zurückgekehrt. Der König selbst hatte sich zuvor an die Islamisten gewandt und sie eindringlich aufgefordert, am Wahlprozess teilzunehmen. Dies erscheint im Vergleich zu anderen arabischen Staaten, die ihre Islamistenszene bekämpfen, zunächst paradox. Die Logik erschließt sich jedoch erstens durch den Blick auf die oben geschilderte historische Entwicklung der Beziehungen zwischen Muslimbruderschaft und haschemitischer Monarchie und zweitens im Hinblick auf die Forderungen von Geldgebern, demokratische Reformen zuzulassen. Da die Islamisten die einzige echte Oppositionspartei in Jordanien führen, dabei aber loyal und nicht herrschaftsgefährdend agieren, sind sie geradezu Vorzeigeoppositionelle. Das Wohlverhalten der IAF wurde dann auch im Herbst 2003 vom frisch ernannten Ministerpräsidenten al-Fayiz gleich mit mehreren Treffen mit Vertretern der Muslimbruderschaft und der IAF im Parlament belohnt.26
5.2 Die außerparlamentarische Opposition Neben den Muslimbrüdern stellen die Berufsverbände die wichtigste, wenngleich stets außerparlamentarische Opposition dar. Zwischen der Islamistenszene und den Berufsverbänden gibt es Koalitionen und personelle Überschneidungen. Während in den 70er Jahren noch Lin26
Vgl. Jordan Times, 7./8.11.2003.
19
ke und Nationalisten die dominierenden Kräfte waren, zeigen die Wahlen in den wichtigen Verbänden seit Jahren einen deutlichen Trend hin zu den Positionen der Muslimbrüder. Insgesamt 13 Verbände mit mehr als 80.000 Mitgliedern vereinen die technokratische Akademikerschicht des Landes. Die größten und politisch wichtigsten Verbände sind die der Ingenieure, der Mediziner und der Juristen. Die Mitgliedschaft in den Verbänden ist verpflichtend für jeden, der seine Ausbildung abgeschlossen hat, so dass z. B. die Vereinigungen der Ärzte und der Ingenieure jeweils über mehrere Zehntausend Mitglieder verfügen.27 Das politische Engagement der Verbände gilt als ein Gradmesser für die politische Stimmung der Eliten im Lande. In den Zeiten des Ausnahmezustands vor 1989 ersetzten die Verbände die Parteien. So konnte das Regime mit politischen Aktivisten in Kontakt treten, ohne der Opposition verbindliche Zugeständnisse machen zu müssen. Auch heute artikulieren die Verbände politische Bedürfnisse und Interessen, ohne dabei jedoch wirkungsvolle und rechtlich abgesicherte Instrumente für deren Durchsetzung in Händen zu halten. So haben sie eher die Funktion eines „Überdruckventils“, das jedoch von Zeit zu Zeit außer Kontrolle gerät und dann scharfe Reaktionen von Seiten des Regimes erfährt. Ein gutes Beispiel für eine solche Konfrontation ist der massive Widerstand der Verbände gegen jegliche Art der „Normalisierung der Beziehungen“ zu Israel. Ein übergeordnetes „AntiNormalisierungskomitee“ hat sich dem kompromisslosen Kampf gegen jeglichen Kontakt mit Israel oder Israelis verschrieben. Das Komitee scheut selbst vor der Aufstellung von „Schwarzen Listen“ nicht zurück, die die Namen von angeblichen „Normalisierern“ enthalten und diese gesellschaftlich stigmatisieren sollen.28 Der Vorsitzende des „Antinormalisierungskomitees“, Ali Abu Sukkar, wurde wiederholt verhaftet, das Komitee schließlich per Gerichtsbeschluss aufgelöst. Der Gerichtsentscheid war ein deutliches Zeichen an die Verbände, das politische Engagement nicht „zu weit“ zu treiben. Mittlerweile hat sich eine Neuformierung der „Antinormalisierungskräfte“ in den Verbänden vollzogen; man gibt sich etwas zahmer und will auf die Nennung von Namen von „Normalisierern“ verzichten. Dennoch ist nicht abzusehen, dass sich die jordanische Opposition in naher Zukunft mit der Position der Regierung gegenüber dem israelischen Nachbarn arrangieren wird. 27
Zur geschichtlichen Entwicklung der Verbände vgl. Dieterich, Renate: Transformation oder Stagnation? Die
jordanische Demokratisierungspolitik seit 1989, Hamburg 1999, S. 289ff. 28
Vgl. Kornbluth, Danishai: Jordan and the anti-normalization campaign, 1994-2001, in: Terrorism and political
violence 14/2002 (3), S. 80-108, und Scham, Paul L./Lucas, Russel E.: “Normalization” and “Anti-Normalization” in Jordan: The public debate, in: MERIA 5/2001 (3), unter www. Meria.idc.ac.il/journal/2001/issue3/jv5n3a5.html.
20
Die Gründe für den massiven Widerstand gegen den Friedensvertrag mit Israel sind unterschiedlich, sie reichen von religiösen Ansprüchen auf das gesamte Gebiet des historischen Palästina über Ängste vor einem Ausscheren Jordaniens aus der „arabischen Nation“ bis hin zu Forderungen nach einem Recht auf Rückkehr für alle palästinensischen Flüchtlinge. Hinter dem Widerstand der Berufsverbände verbergen sich mehr oder weniger deutlich aber auch Befürchtungen vor der wirtschaftlichen Konkurrenz durch israelische Firmen und Geschäftsleute. Die Verbände haben mit ihrem vehementen Widerstand letztlich schon lange vor Ausbruch der zweiten Intifada dafür gesorgt, dass der Frieden mit dem Nachbarn nur ein „kalter Friede“ blieb. Brüsk hat der übergeordnete Rat der Berufsverbände z. B. auch das „Genfer Abkommen“ vom 1.12.2003 zwischen Israelis und Palästinensern zurückgewiesen. Im aktuellen Konflikt um den Irak nehmen die Verbände eine dezidiert USA-kritische Haltung ein. Sie verurteilten von Anfang an die anglo-amerikanische Intervention und kritisieren die Bush-Administration seit Kriegsende weiterhin wegen der Entwicklungen im Nachbarland. An den Protesten und Demonstrationen im Vorfeld und während des Krieges waren die Verbände aktiv beteiligt. Diese feindliche Haltung bringt den Monarchen in eine schwierige Lage: gestattet er den Verbänden zuviel Kritik, so verärgert er möglicherweise die amerikanische Führung. Unterdrückt er jedoch die Meinungsäußerung rigoros, so läuft er Gefahr, die Kontrolle über die Opposition zu verlieren. So muss auch in diesem Bereich beständig ein fragiles Gleichgewicht ausbalanciert werden, um sowohl den innenpolitischen wie den außenpolitischen Anforderungen gerecht zu werden.
6 Schwieriges Erbe: Jordanien unter König Abdallah II. Abdallah II. wünscht sich das Image eines aufgeklärten, westlich orientierten und beim Volk beliebten Monarchen. Doch er verfügt in der Bevölkerung über weitaus weniger Rückhalt als sein Vater Husain. Obwohl auch Abdallah als Mitglied der Familie der Scharifen von Mekka eine religiöse Legitimität für sich reklamiert, instrumentalisiert er diese Tatsche weit weniger als dies sein Vater praktiziert hat. Seinem aufgeschlossenen Image zum Trotz hat er bislang kein Interesse an innenpolitischen Reformen gezeigt. Im Gegenteil hat sich in der Zeit nach der Auflösung des 13. Parlaments 2001 bis zu den Neuwahlen im Juni 2003 das Tempo des Rückschritts im Demokratisierungsprozess noch einmal deutlich beschleunigt. Zu den von der Regierung im Alleingang durchgesetzten Maßnahmen zählten weitere Verschärfungen im Presserecht und der Versammlungsfreiheit. Weit über hundert „befristete Gesetze“ beschloss die Regierung in diesem Zeitraum, ohne dass das Abgeordnetenhaus beteiligt gewesen wäre. 21
Jedes einzelne von ihnen muss nun vom neugewählten Parlament diskutiert, angenommen oder verworfen werden, was die Kapazitäten des neuen Parlaments weitgehend binden wird. Der junge König tendiert dazu, der schwindenden Loyalität seiner Bürger eher mit Repression als mit zusätzlichen Freiheitsrechten zu begegnen.29 Demokratische Reformen nehmen in seiner Agenda nur einen untergeordneten Rang ein. Der Schwerpunkt seiner Politik liegt auf der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Zu diesem Zweck hat er im Herbst 2002 eine „Jordanien zuerst“-Kampagne gestartet.
6.1 „Jordanien zuerst“ - Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln Die Entwicklungen in Israel und den besetzten Gebieten betreffen Jordanien so unmittelbar wie wohl keinen anderen arabischen Staat, sind doch weit mehr als die Hälfte der Jordanier palästinensischer Herkunft. Der Ausbruch der zweiten Intifada im September 2000 und die sich seither immer schneller drehende Spirale der Gewalt rufen in Jordanien daher besondere Besorgnis hervor. Diese wurde seit Herbst 2002 durch Spekulationen genährt, die israelische Führung unter Ariel Sharon wolle den kommenden Irakkrieg nutzen, um sich eines großen Teils der palästinensischen Bevölkerung durch Abschiebung über die Grenzen nach Jordanien zu entledigen. Das ohnehin fragile Gleichgewicht in der Bevölkerung würde durch eine solche massenhafte Zwangsimmigration massiv gefährdet. Zudem entstünde durch neue Flüchtlingsströme eine humanitäre Katastrophe. Auf Dauer wäre das Land nicht in der Lage, einen weiteren massenhaften Zustrom von Flüchtlingen wirtschaftlich und sozial zu integrieren. Im Herbst 2002 rief König Abdallah II. vor dem Hintergrund der wachsenden regionalen Spannungen, einer möglichen neuen Flüchtlingswelle aus dem Irak sowie der Bedrohung, die von israelischen „Transfer-Phantasien" ausgingen, eine „Jordanien zuerst“-Kampagne aus. Ziel der Kampagne ist es, „die jordanische Nation zu einen“, diese soll sich auf ihre Werte und Errungenschaften besinnen und alles, was den „nationalen Konsens“ zerstören könnte, zurückweisen. Der König erläuterte sein Konzept: „’Jordan First’ must be the common denominator between all Jordanians regardless of their origins, orientations, views, talents, faiths or races. (…) we have to adopt ‘Jordan First’ as a working plan and the essential element of our unified society. (…) opposition should be exercised in the service of the causes and interests of the Jordanian people (…), before any other interests and goals.”30 Die Kampagne kann jedoch nicht über die politischen und gesellschaftlichen Spannungen im Lande hin29
Vgl. Schwedler, Jillian: Don’t blink. Jordan’s democratic opening and closing, MERIP Press Information notes
98, Juli 2002, unter www.merip.org/pins/pin98.html. 30
Auszug aus dem Brief König Abdallahs II. an den jordanischen Ministerpräsidenten Abu al-Ragheb, in: Jor-
dan Times, 31.10.2002.
22
wegtäuschen, die sich nicht mehr lediglich auf das traditionell problematische palästinensischtransjordanische Verhältnis beziehen, sondern auch eine innere, ostjordanische Dimension haben. Gerade der zweite Punkt deutet auf einen Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie hin sowie zwischen modernisierungsorientierten städtischen Bürokraten auf der einen Seite und Modernisierungsverlierern mit traditionellem, ostjordanischem Stammeshintergrund auf der anderen Seite.
6.2 Die Parlamentswahlen vom Juni 2003 Im Sommer 2003 haben mit zweijähriger Verspätung wieder Parlamentswahlen stattgefunden und zwar am 17. Juni, kurz nach dem offiziellen Ende des Irakkriegs.31 Zuletzt hatten die Jordanier im Jahr 1997 Parlamentswahlen abgehalten. Die längst fälligen Neuwahlen waren nach der Auflösung des alten Parlaments im Jahr 2001 mit dem Hinweis auf die „instabile Lage“ in der Region immer wieder hinausgeschoben worden. Während des Wahlkampfes wurden weder der Konflikt im Irak noch die Lage in Israel und den besetzten Gebieten intensiv thematisiert. Auch die nationalen Probleme, die Wirtschaftskrise und die Frage, wie es mit der Demokratisierung angesichts weiter eingeschränkter Bürgerrechte weitergehen soll, spielten kaum eine Rolle. Die Kandidaten beschränkten sich auf allgemeine Aussagen ohne dezidiertes Programm und setzten vor allem auf die Mobilisierung tribaler Bindungen. Auch die Repräsentanten der IAF bildeten in dieser Hinsicht keine große Ausnahme. Die Wahlbeteiligung liegt bei den Wahlen seit 1989 mit im Schnitt 50-60% relativ hoch. Zum Teil ist dies aber darauf zurückzuführen, dass die Wähler darauf hoffen, dass ihnen Abgeordnete, die zum erweiterten Familienverband gehören, Gefälligkeiten erweisen, also wastaDienste leisten, oder aber Investitionsflüsse in die Heimatgemeinde lotsen und damit der lokalen Gemeinschaft dienen. Seit 1993 ist ein stetiger Trend zur Tribalisierung des Abgeordnetenhauses zu beobachten. Von den 5,3 Millionen Jordaniern waren 2,32 Millionen wahlberechtigt. Um tatsächlich an der Wahl teilnehmen zu können, ist allerdings bei jeder Wahl zusätzlich eine Registrierung im aktuellen Wählerregister notwendig. Die Angehörigen von Armee und Sicherheitskräften sind vom aktiven wie passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Von den Wahlberechtigten machten 1,3 Millionen Menschen bzw. 58,8% Gebrauch von ihrem Recht. Insgesamt stellten sich 765 Kandidaten zur Wahl, eine deutliche Erhöhung im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen (1989: 645, 1993: 534, 1997: 521). Allerdings wurde auch die Zahl der Sitze von 80
31
Vgl. Atilgan, Canan: Der König und sein Parlament: Wahlen in Jordanien, Konrad-Adenauer-Stiftung Am-
auf 110 erhöht. Erstmalig gab es eine Frauenquote, 6 Sitze waren für weibliche Kandidaten reserviert. Das jordanische Wahlrecht ist ein reines Mehrheitswahlrecht, bei dem die Kandidaten mit der höchsten Stimmenzahl nach nur einem Wahlgang ins Parlament einziehen und alle anderen Stimmen verloren gehen. Daher wurden die 110 Abgeordneten von insgesamt 525.412 Wählern gewählt, was einem Anteil von 22,2 % der Wahlberechtigten bzw. 40,4% der abgegebenen Stimmen entspricht. Die IAF als einzige bedeutende politische Partei erzielte lediglich 17 Parlamentssitze, was angesichts der Erfolge vorangegangener Jahre eine Enttäuschung gewesen sein dürfte (1989: 32 Sitze für islamistische Kandidaten; 1993: 17 Sitze für die IAF und 5 für unabhängige islamistische Abgeordnete). Allerdings hatte die Partei auch weniger Kandidaten als in den Vorjahren aufgestellt, obwohl doch das Parlament nun über 30 Sitze mehr verfügt. Keiner anderen Partei gelang der Einzug ins Parlament. Im Abgeordnetenhaus formierten sich seither verschiedene „Blöcke“, die sich zwar entlang gewisser politischer Grundüberzeugungen bilden, letztlich jedoch nur taktische Allianzen sind, die rasch zerbrechen können, zumal sich dahinter z. T. divergierende tribale Interessen verbergen. Positiv zu vermerken ist, dass die Wahlen 2003 im Gegensatz zu den Parlamentswahlen 1997 weitgehend ohne Einmischung von Seiten staatlicher Stellen stattgefunden haben, d. h. es wurden kaum Klagen über Manipulationen bei der Ausstellung der Wahlkarten oder über die Situation in und um die Wahllokale registriert. Die auf Empfehlung des Gremiums der „Jordanien zuerst“-Kampagne eingeführte Frauenquote wurde von der islamistischen Opposition ebenso wie von traditionalistischen Politikern mit tribalem Hintergrund heftig kritisiert. Dennoch erlangte auch eine Abgeordnete der islamistischen IAF einen Sitz über die Frauenquote. Diesen nutzte sie sogleich, um gemeinsam mit der konservativen Männerriege im Parlament gegen das Gesetzespaket zu stimmen, das die rechtliche Situation der Jordanierinnen verbessern sollte.
6.3 Die Kommunalwahlen vom Juli 2003 Im Gegensatz zu den Parlamentswahlen sind die Kommunalwahlen vom Juli 2003 im westlichen Ausland wohl kaum wahrgenommen worden. Dabei zeigte sich hierbei, dass das jordanische Regime eher demokratiehemmend als fördernd agierte. So wurde im Vorfeld eine Gesetzesänderung initiiert, nach der die kommenden Gremien nur noch zu 50% aus gewählten Abgeordneten bestehen, während die andere Hälfte von der Regierung ernannt wird. Auch die Bürgermeister werden seit neuestem allesamt vom zuständigen Ministerium ernannt und nicht von den Bürgern gewählt. 24
Die Islamisten haben – außer in Amman – die Kommunalwahlen daher boykottiert. Ihr Protest richtete sich gegen die Einflussnahme des Ministeriums für kommunale und ländliche Angelegenheiten auf die Zusammensetzung der Räte durch die Ernennung der Abgeordneten und der Bürgermeister sowie gegen die Zusammenlegung vieler Gemeinden. Dies führte nämlich dazu, dass Ortschaften, in denen die Islamisten stark sind, mit Orten zusammengelegt wurden, in denen tribale Kandidaten gewinnen. Damit sollte einem zu großen islamistischen Einfluss vorgebeugt werden. Nach Abschluss der Wahlen, bei denen die IAF in Amman 4 der 20 Sitze gewann, klagte die Partei über massive Wahlmanipulationen, manche Wähler hätten mehrfach abstimmen können. Hier zeigt sich, dass die politische Präsenz der Islamisten zwar möglich ist, ihr Einfluss jedoch gezielt beschränkt wird. Antidemokratisches Verhalten wird von Seiten des Regimes bei den Kommunalwahlen deutlich weniger versteckt ausgeübt, weil diese im Gegensatz zu den nationalen Wahlen kaum Interesse im Ausland hervorrufen und deshalb das für die Renteneinwerbung wichtige positive Image Jordaniens kaum trüben können.
6.4 Anfechtungen von Innen: tribale Unruhen und islamistische Bedrohung Mehrfach ist es in Jordanien in den letzten Jahren zu kleineren Unruhen und spontanen Gewaltausbrüchen in tribalen Gebieten gekommen, vor allem im Süden des Landes. Als besonderer Unruheherd hat sich dabei die Stadt Maan hervorgetan, die etwa 200 km südlich von Amman liegt. Dort nahmen 1989 jene Proteste ihren Ausgang, die zum Anlass für Jordaniens „demokratisches Experiment“ wurden. Zuletzt geriet Maan im November 2002 in die Schlagzeilen, als das größte Aufgebot an Sicherheitskräfte seit dem „Schwarzen September“32 die Stadt umstellte. Auslöser war die gescheiterte Verhaftung eines Islamisten namens Abu Sayyaf, der den Behörden als besonderer Unruhestifter seit längerem ein Dorn im Auge war. Die Auseinandersetzung zwischen den Sicherheitskräften und Maaner Stammesangehörigen forderte sechs Todesopfer. Der genauere Blick auf die Situation in dem Städtchen offenbart, dass es sich um mehr als eine Fehde zwischen Zentralgewalt und lokaler Stammesgesellschaft in der Peripherie handelt. Tatsächlich hatte sich in den letzten Jahren in Maan eine fatale Entwicklung in Bezug auf die Sicherheitslage vollzogen: staatliche Institutionen, die für die Sicherung der öffentlichen Ordnung zuständig waren, hatten sich weitgehend zurückgezogen und eine Vermeidungsstrategie verfolgt. Dies wiederum führte dazu, dass islamistische Grup-
32
Vertreibung der bewaffneten palästinensischen Fedayin-Kräfte durch die jordanische Armee im Herbst 1970.
25
pierungen und kriminelle Banden, z. T. in Personalunion, die Kontrolle in der Stadt übernahmen.33 Historisch gewachsene, wirtschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Maan, das bis 1925 zum Königreich Hijaz gehörte, und der nördlichen Grenzregion des heutigen Saudi Arabiens lassen Anschuldigungen, nach denen sich radikal-islamistisches, wahhabitisch gefärbtes Gedankengut nach Jordanien ausgebreitet hat, plausibel erscheinen. Ein Vertreter solchen Gedankenguts ist jener Abu Sayyaf, dessen Tätigkeit als staatlich besoldeter Prediger 1996 endete, als er die Legitimität der haschemitischen Herrschaft in Frage stellte und Regierungsvertreter zu „Ungläubigen“ erklärte, deren Tötung religiös gestattet sei.34 Bei den Problemen in Maan handelt es sich aber nicht nur um ein ideologisches, islamistisches Phänomen, sondern auch um ein Zusammenspiel von ökonomischen Faktoren, einer allgemeinen politischen Unzufriedenheit und einem radikalen und militanten Islamismus. Diese Mischung gibt den Ereignissen eine besondere Bedeutung und weist darauf hin, dass sich hier zukünftig eine echte Gefährdung der Regimestabilität entwickeln könnte. Dieses Bedrohungspotenzial kommt aus der Mitte der ostjordanischen Gesellschaft und ist kein „importiertes“ Phänomen. Auch der international gesuchte Abu Musab al-Zarqawi, der der als Kopf der islamistischen Terrorzelle „al-Tauhid“35 gilt, stammt aus einer alteingesessenen jordanischen Familie und nicht aus einem Kreis verelendeter und perspektivloser palästinensischer Flüchtlinge.36 Zu seinen wichtigsten Zielen zählt neben dem Kampf gegen den Staat Israel, der als unrechtmäßiges Besatzungsregime im muslimischen Palästina gesehen wird, auch die Zerstörung der „ungläubigen“ jordanischen Haschemitenmonarchie. Zarqawi wird u. a. für Anschlagspläne anlässlich der Milleniumsfeiern 1999/2000 in Amman verantwortlich gemacht, die die jordanischen Sicherheitsbehörden jedoch vereiteln konnten. Zudem wird ihm die Ermordung des USAIDMitarbeiters Laurence Foley im Oktober 2002 in Amman zur Last gelegt. Es sind zudem Vermutungen laut geworden, dass Zarqawi auch hinter dem Anschlag auf die jordanische Botschaft in Bagdad vom Sommer 2003 stecken könnte. Westliche Sicherheitsbehörden vertreten 33
Zwei ausführliche aktuelle Untersuchungen haben sich mit den Entwicklungen in Maan befasst: Institute for
Strategic Studies: Maan: azma maftuha (Maan: Offene Krise), Amman 2003, und International Crisis Group (ICG): Red alert in Jordan: Recurrent unrest in Maan, Amman/Brüssel, 19 Februar 2003, unter http://www.crisisweb.org/home/index.cfm. 34
Vgl. ICG: Red alert, S. 12.
35
Der Begriff bezeichnet das islamische Konzept der uneingeschränkten Einheit Gottes. Es zählt zu den zentra-
len konstituierenden Elementen der Wahhabiyya. 36
Dies ist sein nome de guerre, sein tatsächlicher Name lautet Ahmad Fadl Nazzal al-Khalaileh. Vgl. zu seiner
Vita al-sharq al-ausat, 10.8.2003.
26
die Auffassung, dass „al-Tauhid“ enge Kontakte zum Netzwerk der al-Qaida unterhält. Zarqawi ist längst aus dem Land geflohen, doch bedeutet dies nicht, dass die Gefahr, die von seinen Anhängern ausgeht, völlig unter Kontrolle gebracht worden wäre. Die Aufhellung der Hintergründe und eine abschließende Beurteilung der tatsächlichen Bedrohung durch die militant-islamistische Szene für die jordanische Regimestabilität ist dennoch schwierig, da alle Prozesse vor dem Staatssicherheitsgericht stattfinden, das - wie oben dargelegt - rechtsstaatlichen Prinzipien nicht genügt. Die Regierung nutzte die Ereignisse in Maan zu einer großangelegten „Aufräumaktion“ in der Islamistenszene, die Anfang 2003 von einer Verhaftungswelle überzogen wurde. Diese Aktionen dienten auch als vorbereitende Maßnahmen auf den damals unmittelbar bevorstehenden Irakkrieg, um das Unruhepotenzial innerhalb der Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen. Dass dies keineswegs vollständig gelang, bewies die Vielzahl an Demonstrationen und Protesten, in denen die Jordanier ihren Unmut über die anglo-amerikanische Militärintervention zum Ausdruck brachten.37
7 Der Irakkrieg und die Folgen für Jordanien Jordanien hat sich im aktuellen Irakkonflikt klar an die Seite Amerikas gestellt. Dies kann als Lernerfolg aus den schlechten Erfahrungen nach dem Irakkrieg 1991 gewertet werden. Damals hatte König Husain versucht, eine, wie er es formulierte, „neutrale Position“ zwischen den Kriegsparteien zu finden. Diese Gratwanderung hatte ihm zwar den Jubel der eigenen Bevölkerung eingebracht, war in der westlichen Welt jedoch auf wenig Sympathie gestoßen. Husain hatte eine zivile, innerarabische Lösung für den Konflikt um Kuwait eingefordert und damit die amerikanische Führung verärgert, die diese Position als pro-irakisch wertete. Der Preis, den Jordanien für diese Haltung zu zahlen hatte, war hoch. Bislang zuverlässig fließende Zuwendungen aus den USA, die das Land dringend zur Unterstützung der kränkelnden Nationalökonomie benötigte, blieben aus und es dauerte lange, bis die angeschlagenen Beziehungen zwischen Amman und Washington wieder ihre alte Qualität erreicht hatten. Auch die Beziehungen zu den Golfstaaten, allen voran Saudi Arabien, hatten dadurch stark gelitten. Diesen Fehler wollte König Abdallah II. nun auf keinen Fall wiederholen. Wohl bemühte er sich im Vorfeld des Krieges vom April 2003 auf diplomatischer Ebene um eine friedliche Lösung des Konflikt. Als dies nicht gelang, gestattete Jordanien die Stationierung amerikanischer Truppen sowie von Logistik- und Nachschubeinrichtungen auf jordanischem Boden. Die Öffentlichkeit bleib über diese Tatsache weitgehend uninformiert. König Abdallah II. wurde 37
Vgl. al-sabil, 481 und ICG: The challenge of political reform: Jordanian democratisation and regional instabil-
ity, Amman/Brüssel, 8. Oktober 2003, S.1, unter http//:www.crisisweb.org/home/index.cfm.
27
nicht müde zu beteuern, dass von Jordanien aus keine Kampfhandlungen ausgeführt würden. Offiziell stets dementiert, sollen sich einige Tausend US-Soldaten in der Grenzregion zum Irak aufhalten, deren Abzug auf absehbare Zeit nicht geplant ist.38
7.1 Die öffentliche Meinung Die Unterstützung der jordanischen Führung für die amerikanische Position wird von der Bevölkerung nicht geteilt. Die Militäraktion im Irak, mit dem das Land seit Jahrzehnten enge wirtschaftliche und trotz aller Unterschiede des Herrschaftssystems auch politische Beziehungen unterhält, wird nicht als Befreiung von der autoritären Herrschaft Saddam Husains gesehen, sondern als Zeichen eines amerikanischen Hegemoniestrebens, das sich rücksichtslos auf Kosten der Bevölkerung durchzusetzen versucht. Der Autoritarismus des Baath-Regimes und seine brutalen Repressionsmechanismen werden bei der Meinungsbildung weitgehend ausgeblendet. Den USA wird unterstellt, in erster Linie an den Ölreserven des Irak interessiert zu sein und mit der Beseitigung des Baath-Regimes gleichzeitig einen gewichtigen Gegner israelischer Politik in der Region eliminiert zu haben. Von dieser ablehnenden Haltung innerhalb der jordanische Bevölkerung zeugten die zahlreichen Protestkundgebungen, initiiert im Wesentlichen von den bekannten Akteuren der Opposition, den Islamisten um die Muslimbruderschaft sowie den Berufsverbänden. Die Universitäten, wo die Islamisten ebenfalls stark vertreten sind, stellten einen weiteren Ort des Protestes dar. Anfang April 2003 übersandten 99 Persönlichkeiten des politischen Lebens, darunter auch ehemalige Regierungsangehörige und Ministerpräsidenten, ein Schreiben an König Abdallah II., in dem sie den damals bevorstehenden Angriff verurteilten.39 In Jordanien leben etwa 300.000 Exiliraker, viele von ihnen ohne legalen Status und unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen.40 Obwohl darunter auch Vertreter der irakischen Exilopposition sowie Mitglieder der Familie Saddam Husains sind, dürften die meisten Iraker jedoch seit 1991 vor der drückenden ökonomischen Lage geflüchtet sein. Eine Rückkehr werden angesichts der derzeitigen chaotischen Zustände in ihrem Heimatland wohl nur die Wenigsten unter ihnen erwägen. In den Jahren des UN-Embargos gegen den Irak hat sich in Jordanien eine breite Front der Sympathie für die Notleidenden im Irak gebildet; Hilfsaktionen, bei denen Medikamente und Spenden gesammelt wurden, fanden viel Zuspruch. Der Fall des 38
Es ist von bis zu 10,000 US-Soldaten die Rede, vgl. u. a. Bernhardt, Florian: Jordanien zwischen Irak-Krieg
und Parlamentswahlen, Friedrich-Ebert-Stiftung Amman, 14. Mai 2003, S. 2. 39
Vgl. den Text des Schreibens in al-sabil 483.
40
Vgl. Chatelard, Geraldine: From one war to another: Iraqi emigration to Jordan, in: ISIM Newsletter 13/2003,
S.26-27.
28
Regimes in Bagdad und die Festnahme des irakischen Diktators ist von vielen Jordaniern mit ungläubigem Entsetzten aufgenommen worden. Saddam Husain galt den Jordaniern wie vielen anderen Arabern auch als standfester Widerpart der US-Interessen in der Region sowie als einer der wenigen ernstzunehmenden Gegner Israels. 600 Rechtsanwälte haben sich unter der Ägide des jordanischen Berufsverbandes zusammengeschlossen, um die Verteidigung des gefangenen Expräsidenten Husain zu übernehmen. Der Präsident des Verbandes bezeichnete Saddam Husain als den „legitimen Präsidenten des irakischen Volkes“ und die amerikanische Militärintervention als „illegale Besetzung“.41 Damit dürfte er die Stimmung vieler Jordanier widerspiegeln. Auch der Ingenieursverband hat einen Aufruf an das irakische Volk gerichtet, in dem er zum „Kampf gegen die britisch-amerikanischen Besatzer“ aufruft.42 Doch von den Irakern der Post-Saddam-Ära wird diese jordanische Sympathie kaum erwidert. Gerade wegen der symbolträchtigen, großzügigen Unterstützung des Baath-Regimes für die palästinensische Sache, die auch die im Irak lebenden Palästinenser einschloss, sowie wegen der engen Zusammenarbeit der jordanischen Führung mit der alten Machtelite haben Jordanier und Palästinenser im Irak derzeit einen schweren Stand.43 Nach dem Anschlag auf die jordanische Botschaft in Bagdad im August 2003 fanden sich spontan irakische Demonstranten zusammen, die anti-jordanische Parolen skandierten sowie Bilder König Abdallahs II. aus den Trümmern holten und auf die Straße warfen. Auch im neugewählten Parlament artikuliert sich Kritik an der US-Politik im Irak. Diese kommt nicht nur von den islamistischen Abgeordneten, sondern auch aus Kreisen traditionelltribaler Parlamentarier. Es kommt hinzu, dass der zeitweilige Präsident des irakischen Interimsrates, Ahmad Shalabi, in Jordanien in absentia zu 22 Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er für den Bankrott der Petra-Bank 1989 verantwortlich war. Das Parlament fordert die Auslieferung und Bestrafung Shalabis und weigerte sich, die Legitimität des Interimsrates anzuerkennen.
7.2 Politische und ökonomische Bedeutung des Konflikts Der Irakhandel spielt eine wichtige Rolle für die jordanische Ökonomie, der Irak war bis zum März 2003 der wichtigste Handelspartner für Jordanien. Im Jahr 2002 gingen 20% aller jordanischen Exporte in den Irak, doch im Jahr 2003 ist der Anteil wegen des Krieges um die Hälfte auf nunmehr 10% gesunken.44 Die boomende Transportwirtschaft Jordaniens nach Ende des 41
Vgl. Jordan Times, 28.12.2003.
42
Vgl. Jordan Times, 31.12.2003.
43
Vgl. ICG: The Challenge of political reform, S.13f.
44
Vgl. Jordan Times, 7.8.2003.
29
Irakkrieges darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land in erster Linie als Transitkorridor interessant ist. Waren werden durch Jordanien hindurch auf dem Landweg oder auf dem Schiff via Aqaba ins Nachbarland verbracht. Bis zu 800.000 Fahrzeuge sollen seit dem Sturz Saddam Husains von irakischen Autohändlern auf diesem Weg in den Irak verschifft worden sein.45 Wenngleich dies einige Verdienstmöglichkeiten für Jordanier bietet, so wird doch kein echter Wirtschaftsaufschwung aus diesem Transitgeschäft erwachsen. Bis zum Kriegsbeginn deckte der Irak den jordanischen Bedarf an Rohöl zu Sonderkonditionen. 50% wurden kostenlos geliefert, der Rest zu stark vergünstigten Preisen bzw. mit jordanischen Warenlieferungen verrechnet.46 Damit ist es vorbei, das Land muss nun seinen Ölbedarf zu Weltmarktpreisen decken. Dies wird den Staatshaushalt zusätzlich belasten und weitere Preiserhöhungen für Treibstoff zur Folge haben. Um die desaströsen Folgen für die Wirtschaft abzumildern, verstärkte die jordanische Führung ihre Bemühungen zur Einwerbung politischer Renten, allen voran bei den USA, die sich mit ihrer 700 Millionen US $-Finanzspritze durchaus generös zeigten. Seit dem Ende der Kampfhandlungen versucht Jordanien zudem, sich als wichtiger Partner für den wirtschaftlichen und administrativen Wiederaufbau des Irak zu präsentieren. Im Oktober 2003 fand in Amman das Jordan Economic Forum statt, das 700 Investoren aus der gesamten arabischen Welt zusammenführte, um ihnen die Vorzüge eines wirtschaftliches Engagements in Jordanien schmackhaft zu machen.47 Seit November 2003 hat Jordanien mit einem Ausbildungsprogramm für irakische Polizisten begonnnen. Insgesamt 30.000 Teilnehmer sollen sukzessive an ihre Aufgaben innerhalb der irakischen Sicherheitskräfte herangeführt werden.48
7.3 Jordaniens neue Regierung Im Herbst 2003 bildete der König die jordanische Regierung um und setzte mit der Ernennung zahlreicher Vertreter einer jüngeren und technokratisch-modernistisch ausgerichteten Elite deutliche Zeichen für Reformen. Der seit 2000 im Amt befindliche Ministerpräsident Ali Abu al-Raghib hatte die Erwartungen König Abdallahs II., den angestrebten Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung voranzutreiben und Armut und Korruption im Lande zu bekämpfen, nicht erfüllt. Im Sommer 2003 hatte eine Meinungsumfrage des Institute for Strategic Studies
45
Vgl. Jordan Times, 4.1.2004. Die große Zahl lässt sich aus der derzeit geltenden Steuerbefreiung für Einfuhren
in den Irak erklären. 46
Vgl. Iraq and its neighbouring countries: Jordan, Friedrich-Ebert-Stiftung Amman, November 2002, S. 2.
47
Vgl. die Sonderbeilage Jordan Economic Forum des Daily Star (Libanon), 13.10.2003.
48
Vgl. Jordan Times, 1.12.2003.
30
der Jordan University gezeigt, dass auch die jordanische Bevölkerung das Zutrauen in die Reformfähigkeit der Regierung Abu al-Raghib verloren hatte. Der neue Ministerpräsident Faisal al-Fayez ist Angehöriger des zentraljordanischen Bani Sakhr-Stammes und kommt aus einer bekannten Politikerfamilie. Sein neues Kabinett, dem auch drei Frauen angehören, umfasst 21 statt vormals 28 Minister. Acht der neuen Minister sind palästinensischen Ursprungs. Eine wichtige Neuerung stellt die Abschaffung des Informationsministeriums dar, das als wichtiges Kontrollinstrument der öffentlichen Meinungsbildung und verlängerter Arm des Inlandsgeheimdienstes galt. Regierungssprecherin ist die bekannte Menschenrechtsaktivistin Asma Khadr, auch sie ist palästinensischer Herkunft. Khadr hat sich in der Vergangenheit engagiert für die Stärkung der Frauenrechte und den Kampf gegen „Ehrenmorde“ eingesetzt. König Abdallah II. setzt weiterhin vor allem auf wirtschaftliche Reformen. In seiner Thronrede zur Parlamentseröffnung am 12.2003 erklärte er: “(...) the government is invited today, more than any time before, to work relentlessly to raise the economic growth rate, provide work opportunities for youth and alleviate the problems of poverty and unemployment.”49 Ausdrücklich betonte er noch einmal die Bedeutung des „Jordanien zuerst”-Programms, das ja ebenfalls vor allem auf wirtschaftliche Entwicklung und soziale Reform setzt. Politische Freiheiten erwähnte der König auch, doch zeigt sein Kommentar zu den politischen Parteien des Landes, wie wenig Vertrauen er ihnen gegenwärtig entgegenbringt: „We look forward to the day when nationalist opposition parties that are loyal to Jordan will be partners in making our national decisions.“ 50 In den politischen Kreisen des Landes ist die Frage, wie die Demokratisierung vorangetrieben werden kann, strittig. Während die einen meinen, dass nur ein Mehr an Demokratie die Zukunft des Landes sichern kann, sehen die anderen in einer stärkeren politischen Partizipation die Gefahr, dass radikale Kräfte an Boden gewinnen und letztlich die Regimestabilität bedrohen könnten.51 Immerhin aber ist die neue Regierung unter Ministerpräsident al-Fayiz bestrebt, den Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften einschließlich der Berufsverbände wieder aufzunehmen, nachdem es lange Zeit kaum noch offizielle Kontakte zwischen Regime und Opposition gab, sondern vielmehr verhärtete Fronten. Erst mit der neuen Regierung ist eine Wiederbelebung des zuvor praktizierten „nationalen Dialogs“ in Sicht gekommen. Zu diesem Zweck soll eine „nationale Konferenz“ einberufen werden, die sich mit Fragen der
49
Thronrede König Abdallahs II. zur Eröffnung des 14. jordanischen Parlaments, in Jordan Times, 2.12.2003.
50
Ibid.
51
Vgl. ICG: The challenge of political reform, S.14ff.
31
Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit sowie der Stärkung der Rechte der jungen Generation und der Frauen widmen soll.52 Die Wahlen zum Parlamentssprecher im Dezember 2003 offenbarten, dass es hinter den Kulissen zu einer Übereinkunft zwischen Tribalisten und Islamisten gekommen war. Per Akklamation wurde nämlich nach dem Rückzug aller Gegenkandidaten Abd al-Hadi al-Majali zum Parlamentssprecher. Majali, ein Vertreter der alten Eliten, stammt aus einem wichtigen Stamm aus der Region Karak und steht für einen jordanisch-nationalistischen Kurs. Ali Abu Sukkar, Abgeordneter der IAF und Aktivist in den Berufsverbänden, bestätigte, dass sich Islamisten und Ultrakonservative in vielen Fragen durchaus einig seien.53 Zukünftige Koalitionen zwischen Opposition und Traditionalisten dürften für das jordanische Regime keine erfreuliche Entwicklung darstellen. Schließlich hatte das Regime gehofft, durch die Einbindung kooperativer Kreise der Islamistenszene und die Marginalisierung der Radikalen den Einfluss oppositioneller Kräfte soweit wie möglich zu kontrollieren, während die konservativen Segmente der jordanischen Bevölkerung durch die starke Repräsentanz der Tribalisten befriedet werden sollten. Ob diese Rechnung wirklich aufgeht, bleibt abzuwarten.
8 Ausblick Jordanien befindet sich derzeit nicht in einer Übergangsphase zur Demokratie, sondern stellt vielmehr eine liberalisierte Autokratie dar. Der König entscheidet keineswegs unangefochten im Sinne eines absolutistischen Herrschers, sondern im Zusammenspiel mit verschiedenen gesellschaftlichen Kräften, die gemeinsam für den Regimefortbestand verantwortlich sind. Eine Ausdehnung der 1989 begonnenen politischen Liberalisierung ist derzeit nicht erkennbar, obwohl das Land dringend Reformen auf wirtschaftlichem, gesellschaftlichem und politischem Gebiet benötigt, um die Stabilität des Systems auf Dauer sichern zu können. Gerade eine Erweiterung der politischen Partizipationsmöglichkeiten aber wird vom Regime nicht als Chance, sondern als Bedrohung wahrgenommen. Die Zivilgesellschaft darf daher kaum darauf hoffen, dass sich ihr Spielraum für politisches Handeln erweitert. Eine solche politische Öffnung würde ganz sicher die massive Kritik an den USA und am „Westen“ allgemein offenbaren. Dies aber könnte den Zufluss westlicher Hilfszahlungen gefährden, die wiederum den maroden Staatshaushalt stützen. Vor diesem komplexen Hintergrund legt der junge König vor allem Wert auf eine ökonomische Entwicklung des Landes, die jedoch aus eigener Kraft nicht möglich ist. Die jordanische Rentierökonomie ist daher gezwungen, sich stetig zu reproduzieren, um nicht den Zusammenbruch der herrschenden Ordnung zu riskieren. 52
Vgl. Jordan Times, 3.12.2003.
53
Vgl. Jordan Times, 25.11.2003.
32
Allerdings benötigt das jordanische Regime trotz allem auch die Solidarität und die Loyalität seiner Bevölkerung und dies angesichts der wirtschaftlichen und politischen Krise der Region umso dringender. Aus diesem Grunde werden den Jordaniern durchaus formale Elemente demokratischer Mitbestimmung zugestanden. Ein wichtiges Merkmal sind die turnusmäßig abgehaltenen Parlamentswahlen. Diese dienen dazu, innenpolitisch die Möglichkeit zum „Dampfablassen“ zu geben. Sie sind aber auch wichtig gegenüber den Gebernationen, denen gezeigt werden soll, dass Jordanien sich auf einem moderaten, pro-westlichen Kurs befindet, wozu die Einhaltung demokratischer Regeln gehört. Die Wahlen werden auch dazu genutzt, Bindungen zwischen dem Regime und den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen (Stämme, Wirtschaftseliten, loyale Opposition) zu knüpfen, zu verstärken und zu erneuern. Demselben Zweck dient auch die Elitenrotation auf wichtigen Posten. Nicht eine einzige jordanische Regierung hat bislang eine volle Legislaturperiode hindurch Bestand gehabt. Immer wieder werden Ministerpräsident und Kabinettsmitglieder ausgetauscht, um möglichst viele, strategisch wichtige gesellschaftliche Gruppen mit einflussreichen Positionen zu versehen. Von dort aus können diese dann weiter an ihrem klientelistischen Netzwerk stricken und so wiederum zum Erhalt des Regimes beitragen. Aufgrund der starken Stellung des Königs und anderer institutioneller Verzerrungen ist das Parlament nicht einflussreich genug, um als souveräner Repräsentant des Volkswillens betrachtet werden könnte. Wegen seiner strukturellen Schwäche kann es nur wenig bewirken, so tagt es z. B. etwa nur die Hälfte des Jahres und in den verbleibenden Pausenzeiten entscheidet die Regierung allein. Eine tiefergehende Demokratisierung könnte die gegenwärtige Machtbalance gefährden. Würde der Einfluss des Königs zurückgeschraubt, so würde dies dessen Interventionsmöglichkeiten, z. B. bei Entscheidungen des Parlaments gegen die vom IWF auferlegten Wirtschaftsreformen oder die Unterstützung der US-Position in der Region einschränken. Angesichts des unrühmlichen Endes der Baath-Diktatur nach der massiven US-Intervention dürfte auch der jordanischen Führung unwohl sein, denn über die Legitimität der Haschemitenherrschaft in Jordanien hat das jordanische Volk ebenso wenig entscheiden wie die Iraker einst über die der Baath-Herrschaft. Dennoch muss Jordanien nicht damit rechnen, auf der amerikanischen Liste der „Schurkenstaaten“ aufzutauchen. Die im Zusammenhang mit dem Irakkrieg erhobene Forderung der US-Regierung nach einer demokratischen Umgestaltung des Nahen Ostens berührt Jordanien nur wenig. Das Land ist bislang einer der zuverlässigsten und politisch stabilsten Verbündeten in der Region. Daher besteht seitens der US-Regierung keinerlei Interesse daran, den innenpolitischen status quo im Sinne von mehr Mitbestimmung 33
der Bevölkerung zu verändern. Jordanien hat im Westen ein positives Image. Einerseits hat das Land durch sein funktionierendes parlamentarisches Leben gezeigt, dass man sich als „aufgeklärte Monarchie“ versteht, die der Stimme der Bürger Gehör schenkt. Zum anderen ist das Land als Bündnispartner und als Stationierungsort für amerikanische Truppenteile von hoher Bedeutung. Die wichtigsten Akteure der Opposition, die Islamisten, scheinen derzeit bereit, sich wieder am politischen Leben zu beteiligen. Dies liegt wohl vor allem darin begründet, dass sie ansonsten völlig von der Entscheidungsfindung, aber auch von den zentralen Positionen innerhalb der klientelistischen wasta-Netzwerke ausgeschlossen sind. Die andere wichtige oppositionelle Gruppe sind die Berufsverbände, die eine starre Haltung einnehmen und sich strikt gegen die US-Politik in der Region stellen. Die Regierung versucht, mit rechtlichen Maßnahmen gegen die Verbände vorzugehen. Dies gelingt nur teilweise und die Verbände haben sich bislang nicht mundtot machen lassen. Sie können jedoch kaum auf eine Stärkung ihrer Position hoffen. Im Gegenteil wird ihre Sympathie für den irakischen „Widerstand“ sie zukünftig weiter in Konflikte mit dem Regime bringen. Der Tribalismus als zentrale soziale Organisationsform der jordanischen Gesellschaft könnte zum weiteren Unruheherd werden, falls es dem Regime nicht gelingen sollte, die verfallenden klientelistischen Bindungen zwischen Staat und Stämmen zu reaktivieren. Dies haben die Unruhen in Maan deutlich gezeigt. Zur echten Gefahr werden solche Verwerfungen aber erst dann, wenn andere, militante Oppositionskräften hinzutreten. Inwieweit die Zusammenschlüsse tribalistischer Kräfte und islamistischer Opposition im gegenwärtigen Parlament mehr sein könnten als taktische Allianzen, wird sich in der kommenden Zeit erst noch erweisen. In der Vergangenheit haben sich solche Bündnisse stets brüchig dargestellt. Der jordanischen Regimestabilität droht aber noch von einer weiteren Seite Gefahr, da das Land zunehmend in das Blickfeld terroristischer Gruppierungen gerät. Davon zeugen verschiedene Vorfälle der letzten Monate sowie die Tatsache, dass mit der Figur des Abu Musab al-Zarqawi Verbindungen des terroristischen Islamismus direkt in die ostjordanische Gesellschaft hineinweisen. Der innen- wie außenpolitische Handlungsspielraum der jordanischen Führung ist aufgrund der geschilderten Faktoren sowie ihrer komplizierten Interdependenzen höchst beschränkt. Demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten mit dem Risiko eines echten Machtwechsels lässt das Regime daher nicht zu. Die Legitimität der Herrschaft in Jordanien wird daher nicht durch demokratische Partizipationsformen von der Bevölkerung immer aufs neue bestätigt,
34
sondern letztlich mit Hilfe auswärtiger Zuwendungen erkauft. Damit kann die Regimestabilität angesichts des stetigen Kampfes um Rentenzuflüsse nie anders als fragil sein.
35
Comments
Report "Gefährliche Gratwanderung: Jordaniens prekäre Lage angesichts von Wirtschaftskrise, Irakkonflikt und Palästinaproblem "