FRÜHGESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG, In Bettina Marchart und Markus Holzweber (Hrsg.), Garser Geschichten.Gars am Kamp-Tausend Jahre Kulturlandschaft,Marktgemeinde Gars am Kamp 2014,ISBN 978-3-9503541-3-3

June 2, 2017 | Author: Martin Obenaus | Category: N/A
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K A P I T E L2

FRÜHGESCHICHTLICHE ENTWICKLU NG

von Martin Obenaus

Römische Kaiserzeit

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Spätantike und Völkerwanderungszeit

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Frühmittelalter

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Deutung und Ausblick

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FRÜHGESCHICHTE

Römische Kaiserzeit

Den Beginn dieser etwa 400 Jahre dauernden Zeitspanne setzte die römische Machtergreifung und die Einrichtung der Provinzen Rätien, Noricum und Pannonien im heutigen österreichischen Raum. In Ostösterreich reichte die römische Macht im Norden bis an die Donau. Hier entstand ab dem 1. Jahrhundert nach Christus der sogenannte Limes als Nordgrenze des römischen Imperiums und die hier befindliche Provinz Noricum. Nördlich der mittleren Donau siedeln sich ab dem ersten nachchristlichen Jahrhundert die germanischen Stämme der Markomannen und Quaden an. Ihre Südwanderung begann aufgrund einer Klimaverschlechterung und der daraus resultierenden Überbevölkerung in den Jahrhunderten vor Christus und führte zu Kontakten mit Kelten und anderen germanischen Gruppen im böhmischen Raum und letztlich mit den Römern.1 Letztere führten dazu, dass Aufzeichnungen über die germanische Frühzeit in unserem Raum bekannt sind. So wurden die Markomannen vom römischen Feldherren Drusus schwer geschlagen, worauf sie einen „In Ostösterreich König von Roms Gnaden namens Marbod erhielten, der in Rom ausgebildet worden war. Dass die Marreichte die römische komannen durch die zunehmende Nähe zum RömiMacht im Norden schen Reich trotzdem als Gefahr gesehen wurden, zeigt der Feldzug des Feldherrn und späteren Kaisers bis an die Donau.“ Tiberius, der aber aufgrund eines Aufstandes in Pannonien abgebrochen werden musste und in einem Friedensschluss endete. Als sich Marbod weigerte, einer antirömischen Allianz unter Arminius, dem Sieger vom Teutoburger Wald, beizutreten, wurde er abgesetzt und musste ins Reich fliehen, wo ihm in Ravenna Asyl gewährt wurde. Sein Nachfolger wurde Catualda (Katwald), der sich nicht lange halten konnte. Dessen Gefolge wurde zwischen March und Waag angesiedelt und erhielt Vannius als neuen König von Roms Gnaden.2 Dieses Regnum Vannianum ist aus archäologischer Sicht vor allem durch Grabfunde greifbar, die jenen in Böhmen ähneln. Das Ende dieses römisch organisierten Königreiches wurde von ostgermanischen und hermundurischen Kriegergruppen im Jahre 50 n. Chr. herbeigeführt. Vannius floh ins

1) David Russ, Römische Kaiserzeit. In: Franz Pieler (Hg.) Geschichte aus dem Boden. Archäologie im Waldviertel = Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Bd. 54 (Waidhofen an der Thaya 2013) S. 246. 2) Herwig Friesinger u. Brigitte Vacha, Die vielen Väter Österreichs. Römer, Germanen, Slawen. Eine Spurensuche (Korneuburg

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1988) S. 21.

Reich und seine Gruppe wurde um den Neusiedler See angesiedelt. Hier finden sich ab nun die sogenannten norisch-pannonischen Hügelgräberfelder als Hinterlassenschaft. Deutlich wird die Ansiedlung von Germanen durch Grabsteine in römischem Stil, die germanische Namen wie Tudrus, Strubilo und Scalleo nennen. Als Nachfolger des Vannius wurden seine Neffen Wangio und Sido als Könige eingesetzt. Erst 20 Jahre später werden Markomannen und Quaden wieder genannt. Sie verweigerten trotz der Klientelverträge Rom die Unterstützung gegen die Daker. Eine römische Strafexpedition endete in einer Niederlage. Als die Römer darauf die Vandalen gegen Markomannen und Quaden unterstützten, sahen Letztere die Gelegenheit gekommen, in Pannonien einzufallen, und schlugen eine gesamte Legion vernichtend. Diese Geschehnisse belegen eindrucksvoll, dass zu dieser Zeit im ersten nachchristlichen Jahrhundert germanische Gruppen bis an die Donau vorgedrungen waren. Die ältesten Funde im heutigen Niederösterreich stammen aus dem ersten Jahrhundert und liegen entlang der March. Eine Besiedlung des Gebietes zwischen Donau und Thaya wird erst in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts durch Grabfunde deutlich. Es handelt sich um Brandgräber, eine Bestattungssitte, die sich auch weiterhin halten sollte.3 Trotz dieser Evidenz sind germanische Bestattungen zum derzeitigen Forschungsstand als überaus selten zu bezeichnen. Der Grund dafür ist wohl in der geringen Grabtiefe und der späteren Zerstörung durch Erosion und Beackerung zu suchen. Ähnlich selten wie die Bestattungsplätze sind archäologisch untersuchte Siedlungen, die etwa ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. einsetzen. Demgegenüber steht eine größere Anzahl an Siedlungsplätzen, die nur durch Oberflächenfunde bekannt sind. Auffällig in Bezug auf die Platzwahl im zweiten und dritten Jahrhundert n. Chr. ist die Tatsache, dass es sich um eine Zeitspanne eines Klimaoptimums gehandelt haben dürfte. Der Grundwasserspiegel scheint niedriger gewesen zu sein, wodurch Siedlungen auch dort entstehen konnten, wo heute sumpfiger Boden vorherrscht. Als Siedlungsform werden vor allem Einzelgehöfte mit ihren Nebengebäuden angenommen. An Gebäudeformen sind große Pfostenbauten – sogenannte Wohnstallhäuser – bekannt. Mehrheitlich als Arbeitshütten werden kleinere eingetiefte Gebäude interpretiert, die aufgrund ihrer vorwiegenden Bauweise auch als „Sechspfostenhütten“ bezeichnet werden. Das hauptsächliche Fundmaterial in den Siedlungen der römischen Kaiserzeit machen Tierknochen und Keramik aus – unspektakuläre Funde, die aber weitreichende Aussagen zu Lebensweise und Handelskontakten zulassen können. 3) Körperbestattung scheint den Gräbern der Elite vorbehalten gewesen zu sein, von denen eines in Mušov in Südmähren bekannt wurde.

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Diese dichter werdende Besiedlung, unter anderem im Bereich des Weinviertels und östlichen Waldviertels, im 2. nachchristlichen Jahrhundert ging auch an den Römern nicht unbemerkt vorbei. Die vorher in Holz-Erde-Technik errichteten Lager entlang der Donau wurden zunehmend zu festen Steinlagern ausgebaut. Das nächste Ereignis, das aus historischer, aber auch aus archäologischer Sicht für den weitgefassten Arbeitsraum Relevanz besitzt, sind die von 166 n. Chr. bis 180 n. Chr. andauernden sogenannten Markomannenkriege. Den Ausgangspunkt bildeten hier Versuche germanischer Gruppen, die in den Quellen als arme und ertraglose Völker bezeichnet werden, sich zu unterwerfen und ins Reich aufgenommen zu werden, was ihnen von Antoninus Pius (138-161 n. Chr.) verwehrt wurde4, und schließlich markomannische und quadische Einfälle ins Reichsgebiet, die sie 170 bis nach Oberitalien führten.5 Der Grund für die damalige Schwächung der römischen Verteidigung liegt in einer Pestepidemie, die von den am Donaulimes stationierten Truppen aus dem Orient mitgebracht wurde. Erst 172 gingen die Römer zum Gegenangriff gegen die Quaden über (expeditio Germanica prima), die besiegt wurden. Sie erhielten einen neuen Klientelvertrag und einen König namens Furtius. Die Friedensverträge waren dermaßen hart,6 dass sie bald darauf gebrochen wurden. Die Quaden setzten Furtius ab, nahmen markomannische Gruppen auf und wählten Ariogais als ihren neuen König. Auf ein von den Römern 174 n. Chr. abgelehntes Verhandlungsangebot und erneute germanische Einfälle ins Reichsgebiet folgten erneute Auseinandersetzungen, die von den römischen Truppen siegreich beendet werden konnten. Den Quaden wurden nun die gleichen harten Friedensbedingungen wie den Markomannen diktiert. Dazu kam die Stationierung römischer Truppen. Das offizielle Ende des „bellum Germanicum et Sarmaticum“ wurde 176 n. Chr. von Marc Aurel und Commodus mit einem Triumphzug gefeiert. Doch schon 177 n. Chr. brachen erneut Unruhen aus, in deren Folge das römische Heer vor allem nördlich der mittleren Donau vorging (expeditio Germanica secunda). 178 n. Chr. reisten Marc Aurel und der bereits zum Mitkaiser ernannte Commodus nach Oberpannonien, wo sich von 178/179 an die Kämpfe häuften und römische Militärlager zerstört wurden, was zur Folge hatte, dass man weit ins Barbaricum eindrang. 4) Verena Gassner, Sonja Jilek u. Sabine Ladstätter, Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich = Herwig Wolfram (Hg.), Österreichische Geschichte. 15 v. Chr. – 378 n. Chr (Wien 2003) S.156. 5) Alois Stuppner, Römer und Germanen an der mittleren Donau. In: Herwig Friesinger u. Fritz Krinzinger (Hg.), Der römische Limes in Österreich. Führer zu den archäologischen Denkmälern (Wien 1997) S. 119-120. 6) So mussten die Quaden Vieh und Gefangene abliefern und durften keine römischen Märkte in den Provinzen besuchen, um dort Handel zu treiben. Noch unerträglicher waren die Friedensbedingungen gegenüber den später besiegten Markomannen, die Geiseln stellen und einen 14 km breiten Grenzstreifen nördlich des Limes räumen mussten. Darüber hinaus war ihnen verboten, Märkte im

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eigenen Land abzuhalten.

Im Jahr 179 n. Chr. gelang ein entscheidender Sieg, in dessen Folge römische Truppen im Germanenland überwinterten.7 Noch während des Feldzuges starb Marc Aurel im Jahr 180 n. Chr. an einer Seuche (Pest?), wodurch sich Commodus veranlasst sah, die hochgesteckten Feldzugpläne seines Vaters aufzugeben. Er diktierte den Markomannen und Quaden einen Frieden, der neben Getreidelieferungen und der Auslieferung schwerer Waffen die Stellung von Truppen beinhaltete. Weiters durfte kein Krieg mit den Nachbarn geführt werden, Versammlungen durften nur mehr monatlich unter der Aufsicht eines römischen Offiziers abgehalten werden und ein Streifen von acht Kilometern Breite musste am nördlichen Donauufer besiedlungsfrei gehalten werden. In die zuvor beschriebenen Markomannenkriege – wahrscheinlich in die Zeit der großen Offensive von „Neben militärischen 179 n. Chr. – fällt die Errichtung römischer FeldbefeAnlagen entstanden stigungen8, die zunehmend durch Luftbildarchäologie werden.9 Für das Weinviertel sind die Marschzunehmend Steinbauten bekannt lager von Bernhardsthal, Kollnbrunn und Engelhardszivilen Charakters.“ stetten zu nennen. Im Kamptal wurde der Rest eines solchen bei Plank am Kamp entdeckt. Derartige Lager setzen eine Möglichkeit vor Ort und Stelle voraus, die Truppen versorgen zu können. Von einem Winterlager zeugt eine Inschrift auf dem Burgfelsen von Trenčin (Laugaricio) in der Slowakei, die besagt, dass hier von 179 auf 180 n. Chr. 855 Soldaten der legio II Adiutrix aus Aquincum (Budapest) überwinterten. Neben den militärischen Anlagen entstanden in den germanischen Gebieten zunehmend Steinbauten zivilen Charakters. Nach den Markomannenkriegen dürften die Klientelverhältnisse noch im 3. Jahrhundert nach Christus weiterhin bestanden haben. Allerdings werden die Quellen dazu seltener. Auch die archäologischen Quellen wie Siedlungen im Raum des heutigen Niederösterreichs verringern sich im Laufe des 3. Jahrhunderts deutlich. Fassbar werden allerdings Reparatur und weitere Ausbauphasen im Bereich des Donaulimes, der auch jetzt nicht als starre Grenze gesehen werden darf.

Siedlungsspuren der römischen Kaiserzeit auf dem „Teichfeld“ zwischen Gars, Maiersch und Kotzendorf

Eine größere Siedlungskammer dürfte nach Aussage des archäologischen Fundmaterials spätestens ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. entlang des Teichwiesenbaches zwischen Gars und Kotzendorf zu verorten sein. Funde sind beiderseits des heutigen Bachver-

7) Friesinger/Vacha, Viele Väter (wie Anm. 2) S. 33. 8) Gassner/Jilek/Ladstätter, Rand des Reiches (wie Anm. 4) S. 162-163. 9) Insgesamt wurden zwischen dem Waldviertel und dem ungarischen Donauknie 25 derartige Lager nachgewiesen.

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laufes bekannt. Erste Befunde konnte Josef Höbarth im Rahmen seiner Forschungen im Bereich des hallstattzeitlichen Gräberfeldes von Maiersch zwischen 1935 und 1943 ausgraben – allerdings fehlt hier jegliche Dokumentation. Neben mehreren Siedlungsgruben soll hier auch ein Befund entdeckt worden sein, den der Ausgräber als Knochenschnitzerwerkstatt bezeichnete. Das Fundmaterial wird von der Bearbeiterin Marianne Pollak vor allem ins 2. und 3. Jahrhundert datiert, wobei sich auch eine spätere Phase des 4. Jahrhunderts abzeichnen dürfte.10 Weitere Funde stammen vor allem aus Oberflächenaufsammlungen von Hermann Maurer und Hubert Obenaus. Letzterer beging vor allem intensiv das Gebiet nördlich des Teichwiesenbaches, wo große Mengen an Fundmaterial zutage traten,11 was auf eine fortgeschrittene Zerstörung der germanischen Siedlung auf der Niederterrasse schließen lässt. Da in unmittelbarer Bachnähe keine Oberflächenfunde zutage treten, könnten hier die Befunde vielleicht durch spätere Überlagerung besser geschützt sein, wie das in Zaingrub durch Grabungen bestätigt werden konnte.12 Zu nennen ist in erster Linie Keramik des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr., die handgeformt ist und die bereits zuvor beschriebenen typischen Zierelemente aufweist. Neben dieser einheimischen Ware treten in geringerem, aber dennoch deutlichem Anteil auch römische Importe auf. Am auffälligsten ist hier die glänzend rote, reliefverzierte Terra sigillata zu nennen, von der ein Stück sogar einen noch nicht entzifferten Hersteller­ stempel besitzt. An Verzierungselementen sind vor allem Ornamente, aber auch Reste von Zirkusszenen zu nennen, wie Faustkämpfer und Gladiatoren. Daneben treten einfachere römische Gefäßformen auf. Sogenannte Soldatenteller, Fragmente von Krügen, Kannen und Töpfen sowie Ringschüsseln und Reibschüsseln runden das Spektrum ab. Seltener sind Reste römischer Glasflaschen und Fragmente von Bronzegefäßen. An Handwerk konnte sowohl Eisenverarbeitung anhand einer großen Anzahl von Schlacken, Knochen- und Geweihschnitzerei sowie anhand von Rohstücken und Halbfabrikaten als auch Textilherstellung anhand einer großen Anzahl an Spinnwirteln und Webgewichten nachgewiesen werden. Der landwirtschaftlichen Tätigkeit ist das Bruchstück einer Warzensense zuzuordnen, dem Feinschmiedehandwerk ein kleines Eisenhämmerchen. Von Holzbearbeitung zeugen ein Stemmbeitel und ein Tüllendechsel.

10) Marianne Pollak, Die germanischen Bodenfunde des 1.-4. Jahrhunderts n. Chr. im nördlichen Niederösterreich. In: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Denkschriften, 147. Band = Richard Pittioni u. Hermann Vetters (Hg.), Studien zur Ur- und Frühgeschichte des Donau- und Ostalpenraumes Nr. 1 (Wien 1980) S. 64. 11) Hermann Maurer u. Hubert Obenaus, KG Nonndorf bei Gars, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 23, 1984 (Wien 1986) S. 292. Hermann Maurer u. Hubert Obenaus, KG Nonndorf bei Gars, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 27, 1988 (Wien 1989) S. 313.

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12) Falko Daim, KG Zaingrub, OG Rosenburg-Mold, VB Horn. In Fundberichte aus Österreich 23, 1984 (Wien 1986) S. 305-306.

Werkzeuge und Geräte von der kaiserzeitlichen Siedlung am „Teichfeld“. | © Martin Obenaus

Unterschiedliche Fibeltypen von der kaiserzeitlichen Siedlung am „Teichfeld“. | © Martin Obenaus

Eiserner Knopfsporn von der kaiserzeitlichen Siedlung am „Teichfeld“. | © Martin Obenaus

An Kleinfunden sind vor allem Bruchstücke von Fibeln13 zu nennen, die größtenteils dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. angehören. Ein kleiner Knopfsporn aus Eisen14 schließt sich dieser Datierung an. Zu nennen sind Fragmente von Geweihkämmen, einer Knochennadel, sonstiger Gerätschaften aus Knochen und Geweih und Glasperlen.

13) Hermann Maurer u. Hubert Obenaus, KG Nonndorf bei Gars, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 30, 1991 (Wien 1992) S. 295. 14) Hermann Maurer u. Hubert Obenaus, KG Nonndorf bei Gars, MG Gars am Kamp, VB Horn. In Fundberichte aus Österreich 26, 1987 (Wien 1988) S. 243.

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Wesentlich seltener ist Fundmaterial, das bereits dem entwickelteren 3. und dem 4. Jahrhundert zuzuordnen ist. Zu nennen ist vor allem grauronige, scheibengedrehte Ware mit Wellenbandverzierung. Aber auch dem 5. und beginnenden 6. Jahrhundert sind noch wenige Funde zuzuordnen.

Fragmente von Geweihkämmen von der kaiserzeitlichen Siedlung am „Teichfeld“. © Martin Obenaus

Verzierte Knochennadel von der kaiserzeitlichen Siedlung am „Teichfeld“. | © Martin Obenaus

Weitere Siedlungsspuren der römischen Kaiserzeit um Gars am Kamp

Weitere, weniger intensive Siedlungstätigkeit konnte auf den Ziegelofenäckern östlich von Gars nachgewiesen werden.15 Westlich des Ortes Loibersdorf konnte von Josef Höbarth im Jahr 1949 eine Hüttenanlage ergraben werden, die er in „quadische Zeit“ datierte. In ihr fanden sich neben Keramikscherben auch eine Buntmetallnadel und ein Geweihkamm.16 Eine große Siedlung der römischen Kaiserzeit konnte zwischen 1981 und 1985 auch teilweise südöstlich von Zaingrub ergraben werden,

Fundstellen der Römischen Kaiserzeit um Gars am Kamp. | © Martin Obenaus

15) Hermann Maurer u. Martin Obenaus, KG Gars am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 31, 1992 (Wien 1993) S. 492.

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16) Josef Höbarth, Nonndorf bei Gars, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 5, 1946-1950 (Wien 1959) S. 141.

das nur knapp nicht mehr auf Garser Gemeindegebiet liegt. Bisher wurden die Befunde nur in Vorberichten veröffentlicht,17 dennoch scheinen sie einen wichtigen Fundpunkt im Nahefeld der zuvor genannten Siedlungskammer auf dem Teichfeld zwischen Gars und Kotzendorf nahezulegen. Die Siedlung von Zaingrub wird ähnlich wie jene zuvor genannte zwischen dem frühen 2. und dem 4. Jahrhundert datiert, wobei am Ende bereits ein Ausdünnen der Siedlungstätigkeit zu bemerken ist. An Befunden konnten neben den üblichen Siedlungsgruben auch mehrere Sechspfostenhütten und weitere Siedlungsspuren nachgewiesen werden. Von der Eisenverhüttung vor Ort zeugt ein gut erhaltener Schlackengrubenofen mit zwei Gebläsedüsen. Auf intensive Handelsbeziehungen mit dem Römischen Imperium weisen die Importkeramik (Terra sigillata) sowie Buntmetallfibeln und Münzen hin. Nach der Aufgabe der Siedlung wurde das Areal teilweise überflutet und mit Sediment überlagert, was eine teilweise gute Erhaltung der Befunde zur Folge hatte.

Ein römisches Marschlager aus der Zeit der Markomannenkriege bei Plank am Kamp

In eine andere Richtung verweist ein Befund aus Plank am Kamp, der – wenn auch er nicht mehr auf dem Gemeindegebiet der Marktgemeinde Gars am Kamp liegt – dennoch genannt werden soll, da durch ihn die Wichtigkeit der Kamproute zum Ausdruck kommt. Das archäologische Denkmal wurde im Zuge von Befliegungen des Kamptales entdeckt und zeichnete sich als nahezu rechtwinkelige Struktur im Bewuchs der damals landwirtschaftlich genutzten Flächen ab. Heute ist dieser Bereich weitgehend verbaut. Der Rest des Marschlagers liegt in einer Kampkurve auf einer Hochterrasse des Gleithanges, die nahezu eben ist. Das Lager selbst besaß ein Ausmaß von etwa 130 mal 120 Metern. Während der archäologischen Untersuchungen 1985 konnte ein V-förmiger Sitzgraben mit 1,4 bis 1,5 Metern Breite und einer erhaltenen Tiefe von 0,6 Meter festgestellt werden. An der Westseite war er auf etwa 14 Metern Länge als Eingangssituation unterbrochen.18 Datierende Funde konnten nicht geborgen werden. Traditionell werden derartige Anlagen aber in die Zeit der Markomannenkriege gestellt und als temporäre Feldlager für römische Expeditionen ins Germanenland gedeutet. Ursprünglich war dem verhältnismäßig seichten Graben ein Wall angeschlossen, der durch mitgebrachte hölzerne Schanzpfähle, die sogenannten pila muralia, überhöht 17) Falko Daim, Zaingrub, Gem. Rosenburg-Mold, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 20, 1981 (Wien 1982) S. 522. Falko Daim, KG Zaingrub, OG Rosenburg-Mold, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 21, 1982 (Wien 1983) S. 297. Falko Daim, KG Zaingrub, OG Rosenburg-Mold, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 22, 1983 (Wien 1984) S. 303-304. Falko Daim, KG Zaingrub, OG Rosenburg-Mold, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 23, 1984 (Wien 1986) S. 305-306. 18) Herwig Friesinger u. Heinrich Zahbelicky, Plank am Kamp. Marschlager. In: Manfred Kandler u. Hermann Vetters (Hg.), Der römische Limes in Österreich – Ein Führer (Wien 1989) S. 236-237. Alois Stuppner, Plank am Kamp. Marschlager. In: Herwig Friesinger u. Fritz Krinzinger (Hg.), Der römische Limes in Österreich. Führer zu den archäologischen Denkmälern (Wien 1997) S. 280-282. Friesinger/Vacha, Viele Väter (wie Anm. 2) S. 35-37.

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und mit Rasenziegeln abgedeckt wurde. Abschließend soll bemerkt werden, dass das Marschlager von Plank am Kamp bisher das westlichste seiner Art in peripherer Lage zur Hochfläche des Waldviertels ist und wahrscheinlich entlang der Kamproute errichtet wurde, um das dicht germanisch besiedelte Horner Becken zu erreichen. Weitere bekannte Marschlager wie Bernhardsthal, Kollnbrunn und Engelhartstetten liegen weiter östlich im heutigen östlichen Weinviertel und entlang der Marchroute (Bernsteinstraße), wo ebenfalls dichte germanische Besiedlung festzustellen ist.

Spätantike und Völkerwanderungszeit

Wesentlich dünner wird die archäologische und historische Quellenlage in der darauffolgenden Zeit ab dem 4. Jahrhundert. Nach den Markomannenkriegen kamen erst wieder unter Valentinian (364375) römische Truppen in das Siedlungsgebiet der Markomannen und Quaden. Unter seine Regierungszeit fallen umfangreiche Ausbesserungs- Spätantike und völkerwanderungszeitliche Fundstellen um arbeiten am Donaulimes und Gars am Kamp. | © Martin Obenaus an den vorgeschobenen Stützpunkten nördlich der Donau.19 Carnuntum wird zu jener Zeit von Ammianus Marcellinus bereits als „verfallenes schmutziges Nest“ bezeichnet, was den Niedergang am Donaulimes sehr gut charakterisiert. Im Jahr 374 n.Chr. fielen die Quaden gemeinsam mit den Sarmaten in Pannonien ein und schlugen zwei Legionen. Es folgte im Jahr darauf eine Strafexpedition ins Quadenland. Bei den Friedensverhandlungen in Brigetio (Komorn, Ungarn) starb der Kaiser aufgrund der fadenscheinigen Ausreden der Gesandten an einem Schlaganfall. Jedenfalls erhielten Markomannen und Quaden, die nun zunehmend ins Reich drängten, wiederum Klientelverträge. Kurz darauf wird eine quadische Reitereinheit genannt, die in Ägypten Dienst versah.20 Am Donaulimes wird nun ein Trend weiterverfolgt, der schon zuvor deutlich wurde. So bestimmen die Bauvorhaben Konstantins des Großen (306-337) die Verteidigungsanlagen bis heute. In seine Zeit wird die Errichtung der Fächertürme an den Ecken der Lager errichtet. Mit der Bautätigkeit Valentinians I. werden vor allem burgi (Wachttürme) zwischen den Kastellen in Verbindung gebracht.

19) Stuppner, Römer und Germanen (wie Anm. 5) S. 123-124.

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20) Friesinger/Vacha, Viele Väter (wie Anm. 2) S. 52.

Weiters wurden in jener Zeit die Kastellareale, die schon zuvor zunehmend auch die Zivilbevölkerung aufgenommen hatten, drastisch verkleinert. Es entstanden sogenannte Restkastelle, kleine Festungen in einer Lagerecke, wie sie heute noch in Zeiselmauer besichtigt werden können.21 Wenige Jahre nach dem Tod Valentinians wurden die Römer 378 in der Schlacht bei Adrianopel (Edirne) vernichtend geschlagen. Die Sieger, Ostgoten und Alanen, mussten als Föderaten im Reichsgebiet angesiedelt werden. Schon 395 überrannten Markomannen und Quaden den Limes und mussten in der Folge aufgenommen werden. Die Notitia Dignitatum nennt zu jener Zeit einen tribunus gentis Markomannorum. Sein Sitz könnte möglicherweise auf dem Oberleiserberg bei Ernstbrunn gelegen haben, wo ein großer Herrenhof mit Steingebäuden des späten 4. bis 5. Jahrhunderts ergraben werden konnte.22 Die übrigen Ereignisse der Völkerwanderungszeit nach dem Hunneneinfall von 375 scheinen im östlichen Waldviertel „Am Übergang zum nur wenige Spuren hinterlassen zu haben. Be5. Jhdt. werden kannt wurden lediglich Grabfunde aus Horn23 und Sigmundsherberg24 und vom Schilterner vermehrt Plätze in Burgstall.25

Höhenlagen angelegt.“

Doch nun zurück zum eigentlichen Arbeitsgebiet, der Region nördlich der Donau und dem Raum um Gars am Kamp am Übergang zum 5. Jahrhundert. In dieser Zeit werden vermehrt feste Plätze in Höhenlage angelegt, die in der Regel befestigt waren, oder zumindest eine ältere, meist urgeschichtliche Befestigung nachnutzten. Dieser Trend ist am Nordufer der Donau von Südwestdeutschland bis zu den Karpaten zu verfolgen. Als kleinere Anlagen dieser Zeit sind im engeren Arbeitsgebiet die „Heidenstatt“ bei Limberg, der „Burgstall“ bei Schiltern und die „Holzwiese“ bei Thunau am Kamp zu bezeichnen. Auch der Umlaufberg bei Altenburg scheint in dieser Zeit begangen worden zu sein. Eine Quelle ersten Ranges, die die Verhältnisse der zweiten Hälfte des

21) Verena Gassner u. Sonja Jilek, Die historische Entwicklung des Limes in Noricum und dem westlichen Pannonien. In: Herwig Friesinger u. Fritz Krinzinger (Hg.), Der römische Limes in Österreich. Führer zu den archäologischen Denkmälern (Wien 1997) S. 37-43. 22) Alois Stuppner, Der Oberleiserberg bei Ernstbrunn – eine Höhensiedlung des 4. und 5. Jahrhunderts n.Chr. In: Heiko Steuer u. Volker Bierbrauer (Hg.), Höhensiedlungen zwischen Antike und Mittelalter von den Ardennen bis zur Adria = Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 58 (Berlin 2008) S. 427-456. 23) Friesinger/Vacha, Viele Väter (wie Anm. 2) S. 67. 24) Andreas Lippert, Völkerwanderungszeitliche Grabfunde aus Schletz und Sigmundsherberg in Niederösterreich. In: Germania 46 (Berlin 1968) S. 325-330. 25) Gerhard Trnka, Die ur- und frühgeschichtliche Besiedlung des Burgstalles von Schiltern, NÖ (unveröffentlichte Dissertation) (Wien 1981).

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5. Jahrhunderts am Donaulimes und nördlich davon beschreibt, stellt die „Vita Sancti Severini“ des Eugippius dar.26 Die Bewohner der römischen Provinzen waren zu dieser Zeit kaum mehr römische Bürger im eigentlichen Sinn. Auch das Militär setzte sich vermehrt aus gentilen Gruppen unterschiedlicher Herkunft zusammen, die zur Verteidigung der Grenzen „engagiert“ wurden. Ihre Ernährung und größtenteils die Soldzahlungen oblagen der zivilen Verwaltung.27 Nördlich der Donau werden nun die Siedlungsgebiete der Rugier genannt, die hier nach der Hunnenschlacht am Nedao 454/455 ihr Reich gründeten, das nur kurz bestehen sollte. Schwierig ist es, dieses Reich zu lokalisieren. Wahrscheinlich lag es im Weinviertel und im östlichen Waldviertel und somit in einer Zone, die lange Zeit den Einfluss des römischen Reiches erlebt hatte.28 Hier berichtet die Schriftquelle von einem Markt, der in der Gegend von Mautern nördlich der Donau lag und nicht zu einem geringen Teil die Bedürfnisse der Romanen und Föderaten im von der Versorgung zunehmend abgeschnittenen Limeskastell sicherte. Der Markt selbst unterstand dem Rugierkönig, der zunehmend auch über die Donau ausgriff. 488 wurde das Rugierreich schließlich von Odoaker zerschlagen und die Abkommandierung der Restromanen vom Limes vereitelte schließlich jegliche neue ostgermanische Reichsgründung am norischen Limes, da die ökonomischen Grundlagen fehlten.29 Die Nachfolge des kurzlebigen Rugierreiches traten die Langobarden an. Der gängigen Lehrmeinung zufolge waren sie 489 ins ehemalige Rugiland eingewandert und dehnten ihr Herrschaftsgebiet 505 in die Ebene „feld“ aus, das traditionell mit dem Tullnerfeld gleichgesetzt wird.30 Von hier aus erweiterten sie ihre Siedlungsgebiete nach Pannonien, wo sie schließlich in Kontakt mit dem Reitervolk der Awaren kommen sollten. Tatsächlich aber spielen langobardische Funde im unmittelbaren Arbeitsgebiet praktisch keine Rolle. Der nächstgelegene Bestattungsplatz ist aus Straß im Straßertal bekannt.

Spätantike und völkerwanderungszeitliche Siedlungsspuren um Gars am Kamp

Eine Höhensiedlung in alt befestigter Lage scheint am Übergang zum 5. Jahrhundert auf dem Schanzberg in Thunau entstanden zu sein – ein Trend, der sich insgesamt ab dem späten 4. Jahrhundert n. Chr. abzeichnet, was auf zunehmend unsichere Zeiten

26) Eugippius, Vita Sancti Severini. Das Leben des heiligen Severin (Stuttgart 1986). 27) Friesinger/Vacha, Viele Väter (wie Anm. 2) S. 53. 28) Wahrscheinlich waren die Rugier bereits als römische Föderaten in ihr späteres Siedlungsgebiet gekommen. 29) Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung = Herwig Wolfram (Hg.) Österreichische Geschichte 378-907 (Wien 2003) S. 53-57.

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30) Wilfried Menghin, Die Langobarden. Geschichte und Archäologie (Stuttgart 1985) S. 30-31.

schließen lässt. Möglicherweise könnten diese Höhensiedlungen Rückschlüsse auf die Ausdehnung des sogenannten Rugilandes, dem Siedlungsgebiet der Rugierer zulassen, die in der „Vita Sancti Severini“ des Eugippius Erwähnung finden. So konnte auf der „Holzwiese“ bei Thunau am Kamp deutliches Fundmaterial dieser Zeitstellung geborgen werden.31 Befunde dazu fehlen aufgrund der späteren frühmittelalterlichen Überbauung weitgehend. Meist werden scheibengedrehte Keramikfragmente mit Einglättverzierung in Streulage gefunden. Auch einige wenige Münzen belegen eine spätantike/völkerwanderungszeitliche Nutzung der Höhensiedlung. Lediglich in einem Fall konnten die Reste eines Gebäudes ergraben werden, das neben der üblichen Keramik auch römische Dachziegel enthielt.32 Auch in der Talsiedlung von Thunau am Kamp wurden einige Belegstücke des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr. bekannt, allerdings in allen Fällen in sekundärer Lage in frühmittelalterlichen Befunden. Es handelt sich wiederum um glättverzierte Keramik, eine Öllampe und eine spätantike Münze. Mögliche Hinweise auf eigentliche Siedlungstätigkeit in dieser Zeit könnten verhältnismäßig frühe archäomagnetische Daten von Kuppelöfen aus der „Hinteren“ Thunau geben.33 Neben der erwähnten Höhensiedlung sind Flachlandsiedlungen im Gemeindegebiet von Gars am Kamp nur sehr spärlich nachzuweisen. An erster Stelle steht hier ein Grubenbefund von den Ziegelofenäckern in Maiersch, der von Josef Höbarth im Jahr 1942 ergraben werden konnte. Er enthielt neben zahlreichem anderen keramischem Fundmaterial einen Henkelkrug und eine Schüssel mit einpoliertem Radmotiv sowie Spinnwirtel und ein Kammfragment.34 Geringe Spuren des 4. und vor allem des 5. Jahrhunderts wurden auf dem bereits zuvor genannten Siedlungsplatz der römischen Kaiserzeit auf dem Teichfeld zwischen Gars und Kotzendorf bekannt. Es handelt sich um glättverzierte und gestempelte Keramik und nicht zuletzt um eine Vogelfibel35, die typisch für diesen Zeithorizont erscheint.

31) Herwig Friesinger, Thunau am Kamp, Gem. Gars am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 16, 1977 (Wien 1978) S. 470. Veronika Holzer, Martin Krenn, Gertraud Lohner u. Erik Szameit, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 26, 1987 (Wien 1988) S. 258. 32) Barbara Wewerka, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 28, 1989 (Wien 1990) S. 262. 33) Elisabeth Schnepp, Archäo-, Paläo- und Umweltmagnetik. In: Hans-Rudolf Bork, Harald Meller u. Renate Gerlach (Hg.), Umweltarchäologie – Naturkatastrophen und Umweltwandel im archäologischen Befund = Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale), Bd. 6 (Halle (Saale) 2011) S. 65-66. 34) Josef Höbarth, Maiersch, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 4, 1940-1945 (Wien 1952) S. 69. Marianne Pollak, germanische Bodenfunde (wie Anm. 12) S. 63-64 und Taf. 37-40. 35) Horst Adler u. Hubert Obenaus, KG Nonndorf bei Gars, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 26, 1987 (Wien 1988) S. 257. David Russ, Völkerwanderung. In: Franz Pieler (Hg.) Geschichte aus dem Boden. Archäologie im Waldviertel = Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Bd. 54 (Waidhofen an der Thaya 2013) S. 287-288.

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K APITEL 2

FRÜHGESCHICHTE

Frühmittelalter

Deutlicher greifbar als die zuvor genannten Phasen im Großraum Gars am Kamp wird aus archäologischer Sicht das Frühmittelalter. Der Grund dafür ist im Forschungsstand zu suchen. So sind die Forschungstätigkeiten von Johann Krahuletz und Josef Höbarth sowie die seit 1965 bis heute laufenden Ausgrabungen auf dem Schanzberg und in der „Hinteren“ Thunau zu nennen, die den Grundstein für die besterforschte frühmittelalterliche Siedlung Österreichs legten. Insgesamt gesehen umschreibt das sogenannte Frühmittelalter den Zeitraum nach dem Abzug der Langobarden in Richtung Italien im Jahr 568 und dem Beginn des frühhochmittelalterlichen Landesausbaues ab dem 10. und vor allem dem 11. Jahrhundert. Im ostösterreichischen Raum siedeln sich ab jener Zeit (ab dem späteren 6. Jahrhundert n. Chr.) slawische Gruppen an, die in der Folgezeit das archäologische Fundspektrum prägen sollen. Diese „slawische Landnahme“ war ein Ergebnis von Umwälzungen im damaligen großen politischen Kräftespiel. So waren Awaren und Langobarden ein Bündnis gegen Adlerfibel der Völkerwanderungszeit vom „Teichfeld“. die mit Byzanz verbündeten Ge© Martin Obenaus piden eingegangen, das im Falle eines Sieges den Awaren die ehemaligen langobardischen Siedlungsgebiete zusicherte, die sich damals bereits zunehmend nach Süden verlagerten. Nach dem Sieg über die Gepiden kamen im Gefolge mit den polyethnischen Awaren auch slawische Kontingente, die vor allem im Westen des awarischen Khaganates deutlich werden sollten und offensichtlich die Grenzsicherung übernahmen.36 So reichen in Ostösterreich die awarischen Gräberfelder im Großen und Ganzen bis zum Wienerwald. Westlich davon bildete sich ein Formenspektrum 36) Erik Szameit, Zur Frühgeschichte von St. Pölten und dem Traisental. In: Sant Ypœlten. Stift und Stadt im Mittelalter (St Pölten

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2009) S. 23-24.

heraus, das als slawisch umschrieben werden kann und in etwa bis an die Enns, der Grenze zum Bairischen Herzogtum, reichte. Im archäologischen Fundmaterial Ostösterreichs sind die frühesten slawischen Einwanderer zum derzeitigen Forschungsstand nur schwer fassbar. Als typisch für sie wird die bei Awaren und Baiern unübliche Sitte der Brandbestattung erachtet, wobei als Urne Töpfe vom Prager Typ37 Verwendung finden. Spuren dieser frühen Besiedlung finden sich vor allem im nordöstlichen Weinviertel und entlang der Donau. Für die neuen slawischen Siedlungen ist vor allem der Bautyp des Grubenhauses ausschlaggebend, was sich anders als die Brandbestattung über die folgenden Jahrhunderte halten sollte.38 Die Niederlassung slawischer Gruppen prägte maßgeblich die nach dem Abzug der Langobarden verbliebene autochtone Bevölkerung, sodass sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte durch beiderseitige Einflussnahme eine zunehmend einheitliche Sachkultur entwickelte. Am deutlichsten wird diese Beeinflussung aus archäologischer Sicht in der Übernahme der Körperbestattungssitte, die weiter fortbestehen sollte.39 In der Folge blieben die Slawen bzw. blieb die slawisierte einheimische Bevölkerung Ost­österreichs auch weiterhin unter awarischer Oberherrschaft, die eine Bildung größerer eigener Gemeinwesen unmöglich machte. Ein solches ist lediglich in einem Fall aus schriftlichen Quellen bekannt. Es handelt sich um eine frühe slawische Reichsgründung im Jahr 626 unter der Führung eines fränkischen Kaufmannes namens Samo. Die genaue Lokalisierung ist bis heute umstritten. Das Reich zerfiel mit dem Tod Samos um 660 n. Chr.40 Nach dieser Nennung von ersten slawischen Gemeinwesen schweigen die schriftlichen Quellen für den Raum des heutigen nordöstlichen Österreichs wieder – lediglich für Karantanien existieren kurze Notizen. In der Folge bleibt somit wieder nur die Archäologie, um das Bild der Besiedlung des Arbeitsraumes nachzeichnen zu können. 37) Die sogenannten „Töpfe vom Prager Typ“ bilden eine Leitform der frühen Slawen. Typisch für sie ist, dass sie nur schwach profiliert und handgeformt sind. Verzierungen sind im Regelfall noch kaum zu beobachten. 38) Erik Szameit, Frühmittelalterliche Slawen in Niederösterreich. Ein Beitrag zum Erscheinungsbild slawischer Populationen des 6. – 8. Jahrhunderts in Ostösterreich. In: Alexandra Krenn-Leeb (Hg.), Österreich vor eintausend Jahren. Der Übergang vom Frühzum Hochmittelalter = Archäologie Österreichs 7, Sonderausgabe 1996 (Wien 1996) S. 21-28. Erik Szameit, Zum archäologischen Bild der frühen Slawen in Österreich. Mit Fragen zur ethnischen Bestimmung karolingerzeitlicher Gräberfelder im Ostalpenraum. In: Rajko Bratož (Hg.), Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnogenese, Bd. I (Ljubljana 2000) S. 507-514. Erik Szameit, Die frühen Slawen. In: Franz Pieler (Hg.), Geschichte aus dem Boden. Archäologie im Waldviertel = Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Bd. 54 (Waidhofen an der Thaya 2013) S. 292-296. 39) Eine Einflussnahme ist hier vor allem durch die großen Machtblöcke im Osten und Westen, die Awaren und die Baiern anzunehmen, aber auch durch die verbliebene autochtone Bevölkerung mit römischen und germanischen Wurzeln. 40) Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567-822 n. Chr. (München 2002) S. 256-261.

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K APITEL 2

FRÜHGESCHICHTE

Meist sind es die Gräberfelder, die hier die Aufmerksamkeit der Wissenschaft erregten, da diese häufig bei der Anlage von Sand und Schottergruben erkannt wurden. Ein etwas stiefmütterliches Dasein fristen bis heute die zugehörigen Siedlungen, die meist nur in kleinen Ausschnitten bekannt sind41 und nicht so „imposantes“ Fundmaterial liefern. Aus dem 7. und 8. Jahrhundert n. Chr. sind in der weiter gefassten Umgebung nur die Siedlungen von Rosenburg am Kamp42 und von Stein an der Donau43 zu nennen, die zumindest in Ausschnitten untersucht werden konnten. Deutlicher wird die historische Quellenlage erst mit den Awarenkriegen Karls des Großen (791-811), die das Ende des bereits durch innere Streitigkeiten geschwächten awarischen Khaganates bedeuteten. Bereits aus dem ersten Feldzug, der die Truppen Karls entlang der Donau nach Osten führte, ist die älteste frühmittelalterliche Nennung des Kamps bekannt, wo eine verlassene awarische Befestigung zerstört wird. Der weitere Verlauf der Awarenkriege erfolgte meist reibungs- und weitgehend widerstandslos. Die besiegten Awaren wurden 805 in einem „Reservat“ zwischen Savaria und Carnuntum angesiedelt.44 Das letzte Mal erscheinen sie in den schriftlichen Quellen im Jahr „Ab 799 beginnt 822, als sie noch einmal vor Ludwig dem Frommen in der fränkische Forchheim vorstellig wurden.45 Parallel zu den letzten Awaren werden beim selben Anlass die ersten Mährer Landesausbau in genannt, die in der Folge im 9. und beginnenden 10. Niederösterreich.“ Jahrhundert n. Chr. den nördlichen Arbeitsraum maßgeblich prägen sollten. Ab 799, nach dem Tod Gerolds I., beginnt der fränkische Landesausbau in Nieder­ österreich, das von den Awaren mit slawischen Gruppen besiedelt und als eine Art Pufferzone im Westen des eigentlichen Khaganates genutzt wurde. Die zuvor mit dem Regnum Baiern vereinigten neu errungenen Gebiete wurden nun wieder abgetrennt und als Baierisches Ostland bezeichnet. Vorerst dürfte es für etwaige Interessenten wie weltlichen Adel und Klöster noch möglich gewesen sein, uneingeschränkt Besitz an-

41) Celine Wawruschka, Frühmittelalterliche Siedlungsstrukturen in Niederösterreich im 9. und 10. Jahrhundert. In: Im Schnittpunkt frühmittelalterlicher Kulturen. Niederösterreich an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert = Nöla. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 13 (St. Pölten 2008) S. 219-248. Celine Wawruschka, Frühmittelalterliche Siedlungsstrukturen in Niederösterreich = Herwig Friesinger (Hg.), Mitteilungen der Prähistorischen Kommission, Bd. 68 (Wien 2009). 42) Celine Wawruschka, Die frühmittelalterliche Siedlung von Rosenburg im Kamptal, Niederösterreich. In: Archaeologia Austriaca 82-83 (Wien 1998-1999) S. 347-411. 43) Martin Obenaus, Archäologische Untersuchungen im ehemaligen Minoritenkloster in Stein, Stadt Krems an der Donau. In: Fundberichte aus Österreich, Bd. 45, 2006 (Wien 2007) S. 573-578. 44) Pohl, Awaren (wie Anm. 40) S. 322. 45) Walter Pohl, Awaren (wie Anm. 40). Herwig Wolfram (Hg.), Frühe Völker (München 2002) S. 324. Wolfram, Grenzen (wie

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Anm. 29) S. 315.

zuhäufen, der wesentlich später verbrieft wurde.46 Es wird hier jene Situation deutlich, dass noch nicht einmal im baierischen Altsiedelland der Landesausbau als abgeschlossen betrachtet werden kann, was zur Folge hatte, dass zu wenig potentielle Interessenten zur herrschaftlichen Durchdringung der später als plaga orientalis (Baierisches Ostland) bezeichneten Region vorhanden waren. Dennoch entsteht ab der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts durch den Ausbau des fränkisch-baierischen Ostlandes, das im Norden etwa bis zur Donau reicht, und der Herausbildung des mährischen Fürstentums (Großmähren) mit seinen Zentren an March und Thaya eine nordsüdlich gerichtete Grenzsituation. Dazwischen bildet sich eine Art Grauzone heraus, deren herrschaftliche Zugehörigkeit vorerst als fraglich erscheint. Anfangs sind noch keine größeren demografischen Veränderungen bemerkbar, die lokale Bevölkerung blieb bestehen. Dies sollte sich im Laufe des 9. Jahrhunderts ändern. Etwa ab 828 wird das Baierische Ostland in Grafschaften gegliedert. Dieser Grafschaftsverfassung scheint letztendlich das zuvor genannte awarische Tributärkhaganat zum Opfer gefallen sein, das in der Folge keine Rolle mehr spielt. Nun bot sich für die ehemals untertänigen slawischen Gruppen die Möglichkeit, eigene Gemeinwesen zu konsolidieren. Als erster Ostlandpräfekt nach Gerold II. findet ein gewisser Ratpot Erwähnung, der dieses Amt spätestens ab 833 innehatte und seinen Sitz in Tulln etablierte. Unter seine Amtszeit fallen die ersten intensiveren Kontakte zu den Mährern unter ihrem ersten namentlich bekannten Fürsten Moimir I. (~830-846), die spätestens ab dieser Zeit zumindest nominell unter die Oberhoheit der Ostlandpräfektur fielen. Für den böhmischen Raum zeichnete hingegen Baiern verantwortlich. Moimir hatte am Anfang der 830er Jahre den in Nitra residierenden Fürsten Priwina vertrieben, der seinerseits mit Gefolge ins Ostland floh. Er wurde aufgenommen und in der Martinskirche in Traismauer getauft. In der Frage dieser Grauzone im Bereich des heutigen Niederösterreichs nördlich der Donau tritt vor allem wieder die Archäologie ins Rennen, um etwaige Kontakte durch das Fundmaterial zu erforschen. Hier bildet sich ebenfalls ab der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts der Zentralort von Thunau am Kamp heraus, auf den im betreffenden Kapitel näher eingegangen werden soll. Für den Raum des Kamptales existieren nur wenige schriftliche Quellen, die meist nur den Zeitraum des späteren 9. und des beginnenden 10. Jahrhunderts beleuchten. Aus historischer Sicht folgen ab der Mitte des 9. Jahrhunderts verstärkte Interaktionen friedlicher und kriegerischer Art zwischen dem mährischen Fürstentum und den

46) Roman Zehetmayer, Zur Geschichte des niederösterreichischen Raums im 9. und in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts. In: Roman Zehetmayer (Hg.), Schicksalsjahr 907. Die Schlacht bei Pressburg und das frühmittelalterliche Niederösterreich (St. Pölten 2007) S. 17.

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K APITEL 2

FRÜHGESCHICHTE

Machthabern des Bairischen Ostlandes, die sich oft gezwungen sahen, in dieser peripheren Situation eigenständig zu agieren.47 Als Nachfolger von Moimir I. wurde Rastislav (846-870) eingesetzt. Es war die Folge eines geplanten Abfalls der Mährer, die Ludwig den Deutschen, der zuvor in Nachfolgeschwierigkeiten war, erstmals zwang, im Ostland bzw. im Mährerreich zu handeln. Kriegszüge Ludwigs sind für 846 und 855 erwähnt. 854 wurde der Ostlandpräfekt seines Amtes enthoben. Als Grund dafür wurde ein Pakt mit Rastislav angeführt. Sein Nachfolger im Ostland wurde 856 der Königssohn Karlmann, der versuchte, hier einen eigenen Machtbereich zu konsolidieren, und in offenen Konflikt mit seinem Vater trat. Karlmann hielt sich durch ein Bündnis mit den Mährern den Rücken frei und vertrieb alle königstreuen Grafen. Ludwig reagierte mit umfangreichen Schenkungen an die baierische Kirche. Erst 863 ging Ludwig der Deutsche ein Bündnis mit den Bulgaren gegen die mit seinem Sohn verbündeten Mährer ein – das Treffen der beiden Herrscher fand in Tulln statt. Rastislav wurde in seiner Burg Dovina siegreich belagert und musste den Treueschwur leisten und Geiseln stellen.48 Rastislav hatte inzwischen reagiert und wandte sich an den byzantinischen Kaiser Michael III. mit der Bitte um Missionierung, da eine fränkisch-baierische Mission zugleich Besitzansprüche des fränkischen Königs in Mähren bedeutet hätte. Bereits 863 kamen darauf die beiden Brüder ConstantinCyrill und Methodius als Missionare nach Mähren und Pannonien.49 Nachdem die Streitigkeiten zwischen Karlmann und Ludwig dem Deutschen 865 vorerst geendet hatten, folgten verstärkte Unabhängigkeitsbestrebungen des Mährerfürsten Rastislav, wodurch sich Karlmann 869 gezwungen sah, gegen seinen alten Verbündeten vorzugehen. Der Kriegszug nach Mähren war ein Erfolg und Rastislav wurde von seinem eigenen Verwandten Zwentibald (Swatopluk) I. verraten, der ihm 871 als Mährerfürst nachfolgte. Um 865 waren auch die Brüder Wilhelm II. und Engelschalk I. als Anhänger Karlmanns als Grenzgrafen im Ostland eingesetzt worden. Die beiden Wilhelminer hielten 870 die eroberten mährischen Burgen, bis sie 871 der Mährerfürst Zwentibald I. durch Verrat überrumpelte und sie samt ihrer Gefolgschaft tötete.50 Da die gefallenen Wilhelminer nur unmündige Söhne hinterließen, nutzte Ludwig der Deutsche die Schwächung des Ostlandes und setzte Arbo als neuen Grenzgrafen ein. 872 erfolgte eine weitere schwere Niederlage gegen die Mährer Zwentibalds. Erst der Friede von Forchheim von 874

47) Zehetmayer, Niederösterreichischer Raum (wie Anm. 46) S. 21. 48) Wolfram, Grenzen (wie Anm. 29) S. 316. 49) Friesinger/Vacha, Viele Väter (wie Anm. 3) S. 132-133.

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50) Wolfram, Grenzen (wie Anm. 29) S. 255.

stellte den Zustand vor 870 wieder her. Mähren wurde ein abhängiges Tributärfürstentum mit innerer Handlungsfreiheit. In der Folge herrschte etwa ein Jahrzehnt lang Ruhe im Ostland und Zwentibald baute seine Herrschaft aus, was zur Hochblüte des mährischen Fürstentums führte. Ebenso sorgte der Grenzgraf Arbo für gute Kontakte zu den Mährern51, was ihm half, gegen die Wilhelminer und ihre mächtigen Verbündeten konkurrieren zu können. Erst als die Söhne Wilhelms II. und Engelschalks I. herangewachsen waren, vertrieben sie Arbo aus seinem Amt, der durch Karl III. wieder eingesetzt wurde. Es folgte die sogenannte Wilhelminerfehde, in der der Grenzgraf in militärischer Sicht auch von Zwentibald I. unterstützt wurde. Die Wilhelminer wurden zwischen 882 und 884 besiegt und weite Gebiete Pannoniens verwüstet. 884 kam es zu einem Friedensschluss zwischen Karl III. und Zwentibald I. in Tulln, im Zuge dessen der Mährerfürst die Lehenshoheit des Kaisers wieder anerkannte. 887 wurde Arnulf von Kärnten dazu eingeladen, anstelle seines Onkels Karls III. die Königsherrschaft anzutreten. Er schloss 890 in Omuntesberch einen Vertrag mit Zwentibald, der diesem wahrscheinlich die Oberhoheit über Böhmen zusicherte. Als jedoch 892 der Mährerfürst die Gefolgschaft verweigerte, verbündete sich Arnulf mit Brazlavo, dem Fürsten von Sisak, und griff Mähren ohne großen Erfolg an – auch ungarische Reiter waren an diesem Kriegszug beteiligt. Das Jahr 893 brachte das Ende der letzten Wilhelminer, denen zum Vorwurf gemacht wurde, mit Zwentibald paktiert zu haben. Engilschalk II. wurde in Regensburg gefangen genommen und geblendet – ohne dass Arnulf einschreiten konnte. Wilhelm III. wurde wegen Hochverrates enthauptet. Die Güter der Wilhelminer wurden eingezogen und an Kremsmünster vergeben. Die letzten Wilhelminer wurden im mährischen Exil von Zwentibald ermordet. Arbo konnte seine Stellung trotz Problemen noch bis nach 909 halten. So hatte sein Sohn Isanrih im mährischen Bruderkrieg nach dem Tod Zwentibalds I. mitgemischt und seinen Vater mit in die Geschehnisse gezogen. Isanrih flüchtete nach Mautern, wo er daraufhin von Kaiser Arnulf von Kärnten 899 erfolglos belagert wurde.52 Nachdem die Ungarn schon zuvor im politischen Mächtespiel der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts keine Unbekannten gewesen waren, erfolgte mit dem historischen Datum 895/96 ihre eigentliche Landnahme im Karpatenbecken. 51) Unter anderem stellte er seinen Sohn Isanrih als Geisel am mährischen Hof. 52) Wolfram, Grenzen (wie Anm. 29) S. 270-271.

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FRÜHGESCHICHTE

Waren sie zuvor sowohl auf ostfränkischer als auch auf mährischer Seite als Hilfstruppen engagiert worden, häuften sich nun vermehrt eigenständige Kriegszüge in den Westen. So überschritten sie 900 die Enns und konnten auf dem Rückzug von Markgraf Luitpold geschlagen werden. In den Jahren um 906 fällt schließlich das durch innere Kämpfe zerrüttete mährische Fürstentum den Ungarn zum Opfer. Den letztendlichen Ausschlag zur Niederlassung auch im westlichen Karpatenbecken, etwa bis zur Leitha, gab die von ostfränkischer Seite verlorene Schlacht von Pressburg im Jahr 907.53 Niederösterreich bis zur Enns wurde in der Folge zwar nicht entvölkert, stand aber forthin als Aufmarschgebiet unter ungarischem Einfluss. Wieweit ganz Niederösterreich von dieser Entwicklung betroffen war, kann derzeit nur gemutmaßt werden. Allerdings bestehen peripher gelegene Zentralorte wie Thunau am Kamp und auch Sand bei Oberpfaffendorf noch länger weiter. Ungarische Übergriffe sind für beide Anlagen aufgrund der typischen Pfeilspitzenfunde anzunehmen. Die Wende und damit auch die Einstellung der ungarischen Überfälle im Westen kommt schließlich mit der Schlacht am Lechfeld bei Augsburg im Jahr 955. Nach dieser Ausschaltung der Gefährdung aus dem Osten erfolgte der kontinuierliche Landesausbau in Richtung Osten. Aus archäologischer Sicht verschwinden ab dieser Zeit langsam die Trachtbestandteile und Beigaben aus den Gräbern im Ausbaugebiet – es entstehen zunehmend Kirchenfriedhöfe. Lediglich in einem Bereich, der vom Landesausbau noch nicht ergriffen wurde, kam es zu einer Anpassung an die ungarische Oberherrschaft. Es entstanden sogenannte Gräberfelder mit gemischtem Trachtinventar, die einerseits ungarischen, andererseits westlichen Mustern folgten. Auch diese Bestattungsplätze verschwinden schließlich um 1.000 mit dem fortschreitenden Ausbau in Richtung Osten, während östlich der Leitha ungarische Bestattungssitten erhalten bleiben.54 Dieser Landesausbau, der in erster Linie von den Babenbergern getragen wird, bildet gleichsam auch den Übergang zum Hochmittelalter in Ostösterreich und somit auch im Arbeitsgebiet, wo dieser durch die Errichtung der Babenbergerburg auf dem Schlossberg im 11. Jahrhundert und dem Ende der frühmittelalterlichen Strukturen deutlich wird.

53) Roman Deutinger, Die Schlacht bei Pressburg und die Entstehung des bayerischen Herzogtums. In: Im Schnittpunkt frühmittelalterlicher Kulturen. Niederösterreich an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert = Nöla. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 13 (St. Pölten 2008) S. 58-70. 54) Martin Obenaus, Ostösterreich – Ein Grenzraum im 9. und 10. Jahrhundert aus archäologischer Sicht. In: Im Schnittpunkt frühmittelalterlicher Kulturen. Niederösterreich an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert = Nöla. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 13 (St. Pölten 2008) S. 212-213. Martin Obenaus, Arpadenzeitliche Gräberfelder und Grabfunde des 10. bis 12. Jahrhunderts in Ostösterreich. Fundmaterialien des Burgenländischen und Niederösterreichischen Landesmuseums =

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Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland, Heft 135 (Eisenstadt 2010) S. 359-361.

Frühmittelalterliche Siedlungsspuren um Gars

Im Bereich der Großgemeinde Gars am Kamp sind mehrere frühmittelalterliche Siedlungsstellen durch Oberflächenfunde bekannt. Eingehender archäologisch erforscht wurden davon noch keine, sodass Aussagen nur über Vergleiche des meist spärlich aufgefundenen Keramikmaterials möglich sind. Demnach beginnt die Besiedelung im Umfeld von Gars spätestens im 8. Jahrhundert n. Chr. und bildet somit den bevölkerungstechnischen Grundstock des ab dem 9. Jahrhundert n. Chr. neu entstehenden Zentralorts von Thunau am Kamp. In ihrer Gesamtheit gesehen sind die Siedlungsstellen nach dem derzeitigen Kenntnisstand als verhältnismäßig kleine, wohl eher weilerartige Gehöfte zu werten, die mehrheitlich auf den Hochterrassen von Wasserläufen angelegt sind. Klarheit über ihre wirkliche Frühmittelalterliche Fundstellen um Gars am Kamp. Struktur könnten aber nur einge© Martin Obenaus hende archäologische Forschungen bringen. Die älteste dieser Freilandsiedlungen, die teilweise archäologisch untersucht wurde, liegt am westnordwestlichen Ortsende von Rosenburg südlich des Stranzlbaches. Obwohl sie nicht im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Gars liegt, soll sie kurz Erwähnung finden, da hierzu nähere Aussagen möglich sind.55 Es handelt sich um die älteste bekannte Siedlungsstelle im Einzugsgebiet. Sie reicht nach Auskunft des Keramikmaterials ins 7. Jahrhundert n. Chr. zurück und dürfte zumindest bis ins 8. Jahrhundert bestanden haben. Im unmittelbaren Umfeld der Marktgemeinde Gars sind insgesamt neun gesicherte frühmittelalterliche Fundstellen bekannt. Sie datieren spätestens zwischen das 8. und 10./11. Jahrhundert. Eine genaue Abfolge kann aufgrund des spärlichen Keramikfundmaterials noch nicht gezeichnet werden. Zu den älteren Siedlungen scheinen jene von Loibersdorf56 und Gars „Kleiner Teich“57 zu zählen. Möglicherweise löst die Fundstelle

55) Wawruschka, Die frühmittelalterliche Siedlung von Rosenburg im Kamptal, Niederösterreich. (wie Anm. 42) S. 347-411. 56) Hermann Maurer, Loibersdorf, Gem. Gars am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 11, 1972 (Wien 1973) S. 120. Hermann Maurer, Loibersdorf, Gem. Gars am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 17, 1978 (Wien 1979) S. 386. Ernest Kugler, KG Loibersdorf, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 24-25, 1985-1986 (Wien 1988) S. 331. 57) Hermann Maurer u. Martin Obenaus, KG Gars am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 32, 1993 (Wien 1994) S. 775.

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FRÜHGESCHICHTE

in Gars „Ziegelofenäcker“58 jene am „Kleinen Teich“ ab, da hier das Verzierungsspektrum bereits andere Richtungen anzeigt. Ebenfalls am Teichwiesenbach liegt der Bestattungsplatz von Kotzendorf. Hier wurden beim Bau eines Weinkellers in der Kellergasse offensichtlich Gräber angeschnitten. Neben Skelettresten, die heute nicht mehr auffindbar sind, liegen im Zeitbrücke-Museum Gars zwei nahezu komplett erhaltene Töpfe vor.59 Am nördlichen, der Kellergasse gegenüberliegenden Bachufer liegen geringe Siedlungsfunde vor, die auch schon dem beginnenden Hochmittelalter angehören könnten. Ebenfalls im Zeitbrücke-Museum und im Niederösterreichischen Landesmuseum liegen Funde aus der Haangasse in Gars am Kamp vor. Es handelt sich um grafithaltige Scherben mit plastischer Leistenzier und mehrere gequetschtkugelige Webgewichte, die wahrscheinlich im Zuge von Bodeneingriffen geborgen wurden (Sammlung Hess?) und aus Siedlungsobjekten, möglicherweise einem Grubenhaus, stammen dürften. Frühmittelalterliche Funde wurden auch aus Zitternberg, gegenüber der frühmittelalterlichen Talsiedlung von Thunau am Kamp, bekannt. Die Beschreibung des Finders K. Kittenberger zeigen hier die Möglichkeit eines Bestattungsplatzes auf, da er auch von Skelettresten, einem Eisenmesser, einem „Schwert“ und anderen Fundstücken sprach, die er allerdings nicht aufbewahrte. Erhalten ist lediglich ein Grafittontopf, der seine Entsprechungen im Fundmaterial des 9. und 10. Jahrhunderts n. Chr. aus der Talsiedlung von Thunau am Kamp hat, und ein atypischer Buntmetallgegenstand, der als Gürtelhaken interpretiert wurde. Dieser stellt ein interessantes Stück dar. Er ist durchbrochen gearbeitet, zeigt das Bild eines schreitenden Vogels und besitzt zwei hakenförmige Fortsätze. Aufgrund fehlender Parallelen ist hier nur eine Datierung ab dem 10. Jahrhundert bis ins Hochmittelalter vorzuschlagen.60 Aus Maiersch Flur „Spitzgartl“ stammt noch eine grafithaltige Scherbe mit Wellenbandzier, die aber wohl als Einzelfund zu klassifizieren ist.61 Neben diesen eigentlichen Siedlungsspuren ist auch noch ein Eisenverhüttungsplatz in Maiersch Flur „Roter Graben“ anzuführen, der durch Ofenreste und Verhüttungsschlacke sowie der Mündung einer Gebläsedüse erschlossen werden konnte. Eine ge58) Hermann Maurer u. Hubert Obenaus, KG Gars am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 21, 1982 (Wien 1983) S. 304. Hermann Maurer u. Hubert Obenaus, KG Gars am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 22, 1983 (Wien 1984) S. 316. Hermann Maurer u. Hubert Obenaus, KG Gars am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 23, 1984 (Wien 1986) S. 311. 59) Hermann Maurer, Kotzendorf, Gem. Gars am Kamp, BH Horn, In: Fundberichte aus Österreich 10, 1971 (Wien 1972) S. 101102. 60) Gertrud Mossler, Frühgeschichtliche Funde von Zitternberg am Kamp. In: Unsere Heimat XVIII (Wien 1947) S. 130-132.

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61) Hermann Maurer, Maiersch, Gem. Gars am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 14, 1975 (Wien 1976) S. 178.

naue Datierung kann hier aufgrund des Fehlens von Keramikfunden nicht getroffen werden. Denkbar wäre eine Zeitstellung zwischen dem Früh- und dem Spätmittelalter. Auffällig ist, dass sowohl die Flurnamen „Roter Graben“ und der nahe gelegene „Arzbigl“ auf Eisenerzvorkommen schließen lassen könnten. Der Gesamtheit halber sollen noch zwei Siedlungsstellen des Frühmittelalters genannt werden, die in einem Fall bereits außerhalb des Gemeindegebiets von Gars am Kamp liegen, dennoch aber im westlichen Einzugsbereich der befestigten Höhensiedlung auf dem Schanzberg. Es handelt sich um die Fundstelle auf dem „Unteren Garser Straßenfeld“62 im Wolfshoferamt und Wolfshof Flur „Steinäcker“63. Auf ein neu entdecktes Hügelgräberfeld am „Glasberg“ wird gesondert eingegangen.

Der frühmittelalterliche Zentralort von Thunau am Kamp

Den wesentlichsten frühgeschichtlichen Fundpunkt in der Marktgemeinde Gars am Kamp bildet die frühmittelalterliche Siedlungsagglomeration von Thunau am Kamp. Sie stellt den besterforschten Zentralort des 9. und 10. Jahrhunderts n. Chr. in Österreich dar und ermöglicht weitreichende Aussagen zur Archäologie und Geschichte dieser Epoche. In engem Zusammenhang mit der Entstehung des Zentralorts steht die im vorangegangenen Kapitel beschriebene Siedlungssituation im Einzugsgebiet des südöstlichen Horner Beckens und der anschließenden Hochebenen im 7., 8. und 9. Jahrhundert. Wenn hier auch eine gewisse Pioniersituation vorliegt, scheint die Bevölkerungsdichte zu gering gewesen zu sein, um einen dermaßen ausgedehnten Zentralort errichten und bespielen zu können. Es muss somit mit dem Zuzug neuer Bevölkerungsgruppen in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts gerechnet werden. Ein derartiger Bevölkerungszuzug setzt eine potente Zentralmacht voraus, die gesteigertes Interesse an der Region entlang des mittleren Kamps besitzt. Worin dieses Interesse bestand, kann zurzeit nur zur Diskussion gestellt werden. Möglicherweise ist die Siedlungsagglomeration von Thunau am Kamp aufgrund ihrer einzigartigen Lage – in einem in allen Belangen peripheren Raum – und ihrer deutlichen herrschaftlichen Struktur als Zentralort in Mittlerposition zu interpretieren. Aus historischer Sicht muss festgehalten werden, dass keine schriftlichen Zeugnisse existieren, die sich mit Sicherheit auf den namenlosen Zentralort von Thunau am Kamp beziehen lassen. Dennoch zeichnet die Urkundenlandschaft vor allem des spä62) Hermann Maurer, Wolfshoferamt, Gem. St. Leonhard am Hornerwald, BH Krems an der Donau. In: Fundberichte aus Österreich 17, 1978 (Wien 1979) S. 387. Hermann Maurer, Wolfshoferamt, Gem. St. Leonhard am Hornerwald, BH Krems an der Donau. In: Fundberichte aus Österreich 18, 1979 (Wien 1980) S. 489. 63) Herwig Friesinger, Wolfshof, Gem. Gars am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 13, 1974 (Wien 1975) S. 147. Wolfgang Kadur, Wolfshof, Gem. Gars am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 19, 1980 (Wien 1981) S. 578.

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teren 9. und beginnenden 10. Jahrhunderts ein schwaches Bild von den Zuständen im Norden des Bairischen Ostlandes. So wurde die erste frühmittelalterliche Nennung des Kamps bereits im Zuge der Awarenkriege Karls des Großen angesprochen. Erst später wird der Nortwalt in einer Schenkung des Grafen Wilhelms I. an des Klosters St. Emmeram in Regensburg genannt und bietet somit – jedoch ohne eine genauere Lokalisierungsmöglichkeit – ein Indiz für das deutliche Ausgreifen des ostfränkischen Adels in den Norden der Donau.64 In Zusammenhang mit dieser Nennung könnte eine weitere auf die Wilhelminer bezogene gesehen werden. So werden im Jahr 893 wilhelminische Güter wegen Untreue von Arnulf von Kärnten eingezogen und an das Stift Kremsmünster übertragen. Neben Eporespurh (Ybbs) und an der Perschling finden Besitzungen „am Kamp“ (ad Campe) und „im Slawenland“ Erwähnung.65 Wo am Kamp und im dortigen (!) Slawenland die Besitzungen lagen, muss dahingestellt bleiben. Meist wird nur der Unterlauf des Flusses angenommen. Dennoch wird die Wichtigkeit des Kampflusses in seiner peripheren Lage „Eine Hochstraße am Ostrand des Nordwaldes deutlich.

(superior via) stellte die Hauptverkehrsroute dar und führte weiter auf den Schanzberg.“

Weitere Kontakte ostfränkischer Großer mit den Slawen entlang des Kamps zeigt eine Schenkung aus den Jahren 902/903, die häufig unmittelbar auf den Zentralort von Thunau am Kamp bezogen wird.66 Hier wird ein lokaler Großer (venerabilis vir) namens Joseph greifbar, der dem Bischof Waldo von Freising eine Schenkung seiner Vorfahren erneuert, andererseits neue Güter schenkt. Als Zeugen finden Gefolgsleute beider Parteien Erwähnung, wobei jene des Joseph sowohl biblische als auch slawische (!) Namen tragen. Das Schenkungsgut selbst kann bei Stiefern (ad stivinnam) im Kamptal lokalisiert werden, das etwa 6,8 km südsüdöstlich des frühmittelalterlichen Zentralortes von Thunau am Kamp liegt. Neben der frühesten Nennung des Ortes ist die Erwähnung einer Hochstraße (superior via) anzuführen, die die Hauptverkehrsroute des auf Flussniveau damals noch nicht begehbaren Kamptales darstellte und in weiterer Folge auf den Schanzberg weiterführte. Eine weitere im Zusammenhang mit der Grenzsituation des Baierischen Ostlandes nicht zu vernachlässigende Quelle stellt die sogenannte „Raffelstettener Zollordnung“ dar, die als spätere Abschrift er-

64) Maximilian Weltin u. Roman Zehetmayer, Niederösterreichisches Urkundenbuch. Erster Band = Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 8. Reihe (St. Pölten 2008) S. 25-28. 65) Weltin/Zehetmayer, Urkundenbuch (wie Anm. 64) S. 28-30.

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66) Weltin/Zehetmayer, Urkundenbuch (wie Anm. 64) S. 110-112.

halten ist und deren Original zwischen 902/03 und 907 datiert wird.67 Als Markt- und Zollorte im Baierischen Ostland werden Eparespurch (Ybbs) und Mutarun (Mautern) genannt. Da weitere im Osten liegende zuvor wichtige Orte wie Tulln nicht erwähnt werden, wird häufig angenommen, dass diese aufgrund der gestiegenen Ungarngefahr nicht mehr angefahren wurden. Interessant an der Nennung von Mautern als östlichster Marktort ist jene Tatsache, dass man von hier aus zu einem mercatus Marahorum über die Donau hinübergehen (transire) könne, seine Lage lässt sich jedoch nicht genauer festmachen. In Bezug auf die Handelstreibenden ist es interessant, dass zwischen einheimischen Slawen aus dem Ostland selbst (Bawari vel Sclavi iustus patrie) und solchen, die von den Rugiern (?) oder aus Böhmen kommen (Sclavi vero, qui de Rugis vel de Boemanis mercandi causa exeunt), unterschieden wird.68 Als Handelsgüter werden vor allem Salz, daneben Wachs, Pferde, Sklaven und Lebensmittel erwähnt.69 Eine letzte schriftliche Quelle, die ein Schlaglicht auf die Verhältnisse des späteren 9. Jahrhunderts im Donauraum wirft, ist das sogenannte Heimo-Diplom aus dem Jahr 888. Es belegt ebenfalls Kontakte der Ostfranken zu den Mährern. Demnach hätte Heimo, der sein Kerngebiet im sogenannten „Grunzwitigau“ (Dunkelsteinerwald) besitzt, auch in mährischen Belangen Recht zu sprechen. Falls rechtsuchende Mährer kein Gehör fänden, könnte der Fall auch dem zuständigen Grafen vorgetragen werden.70 Durch diese genannten Quellen wird eine slawische Bevölkerung im Raum nördlich der Donau und vor allem im Kamptal des 9. und 10. Jahrhunderts greifbar, die zunehmend in den unmittelbaren Einflussbereich des ostfränkischen Reiches rückte. Für eine derartige Interpretation sprechen die archäologischen Befunde und Funde, auf die in der Folge das Augenmerk gerichtet sein soll.

Forschungsgeschichte des frühmittelalterlichen Zentralortes von Thunau am Kamp

Die Bekanntheit der Höhensiedlung auf dem Schanzberg ist in der Bevölkerung wahrscheinlich immer weiter tradiert worden, wovon auch der Name kündet. Der erste in Fachkreisen bekanntgewordene archäologische Fund stammt aus dem Jahr 1800. Es handelt sich um ein mittelständiges Lappenbeil der späten Bronzezeit, das bei dem alten Ruin zu Garß ober dem kleinen Dörfel liegend mit Namen Dunau am dortigen Pfarrwald durch Föhren Kienstockgraben gefunden wurde. 1841 gelangte es in die Sammlung

67) Weltin/Zehetmayer, Urkundenbuch (wie Anm. 64) S. 150-154. 68) Im Rahmen der Slawen, die von den Rugiern kommen, wurde häufig an russische Fernhändler gedacht. Wahrscheinlicher ist aber eine Bevölkerung, die das ehemalige Rugiland nördlich der Donau bewohnte. 69) Roman Zehetmayer, Raffelstettener Zollordnung (902/03-907). In: Schicksalsjahr 907. Die Schlacht bei Pressburg und das frühmittelalterliche Niederösterreich (St. Pölten 2007) S. 132-134. 70) Weltin/Zehetmayer, Urkundenbuch (wie Anm. 64) S. 76-78.

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von Candid Pontz von Engelshofen.71 Heute befindet sich dieses erste Fundstück aus Thunau im Naturhistorischen Museum in Wien. Eine Kopie davon liegt im Zeitbrücke-Museum in Gars.

1898 publizierte Funde aus dem Gräberfeld in der Hinteren Thunau. | © Matthäus Much

Danach rückte der Zentralort von Thunau am Kamp erst wieder im Jahr 1872 in den Mittelpunkt des archäologischen Interesses. Damals fand der Eggenburger Eichmeister und Forscher Johann Krahuletz im Zuge einer seiner zahlreichen Wanderungen Gräberreste im Bereich der Thunauer Ziegelei am „Tautendorfer Wege“.72 Vorerst fehlten ihm noch die Mittel, eigene Forschungen anzustellen, sodass diese auf ungewisse Zeit verschoben werden mussten. Eine Gelegenheit ergab sich während des Kamptalbahnbaues 1887 und 1888, als im Zuge der Schottergewinnung für den Dammbau der anstehende Lösslehm in der Hinteren Thunau bis zu 5 Meter tief abgegraben wurde.73 Während dieser Arbeiten konnte Krahuletz gemeinsam mit Josef Szombathy vom k.k. Hofmuseum in Wien mehrere Kisten an Fundmaterial und Skeletten bergen, die zum Großteil nach Wien (heute Naturhistorisches Museum) gesandt wurden. Ein kleinerer Teil befindet sich im Krahuletzmuseum in Eggenburg. Die Funde aus den Gräbern fanden sehr bald Eingang in die einschlägige Literatur.74 Neben der Entdeckung des Gräberfeldes in der Hinteren Thunau gelang es Johann Krahuletz auch, den Zusammenhang zwischen der mehrphasigen befestigten Höhensiedlung auf dem Schanzberg und den Funden im Tal herzustellen. Neben anderen

71) Anton Hrodegh, Das Waldviertel II. Band: Die Urgeschichte. In: Deutsches Vaterland – Österreichs Zeitschrift für Heimat und Volk, 7. Jahrgang (Wien 1925) S. 2. 72) Erst 1901 wurde der Ziegelofen der Gemeinde Thunau an Josef Winglhofer verkauft, woher sein späterer gebräuchlicher Name herrührt. Dazu: Julius Kiennast, Chronik des Marktes Gars in Nieder-Österreich (Gars 1920) S. 50. 73) Die Gewinnungsspuren, die sowohl vom Ziegelofenbetrieb als auch von der Schottergewinnung herrühren, sind noch am westlichen Ende der Goldberggasse deutlich zu erkennen. Die von Krahuletz beschriebenen Flussgeschiebe (pleistozäne Kampschotter) konnten auch bei den modernen Grabungen seit 2006 nachgewiesen werden. 74) Matthäus Much, Frühgeschichtliche Funde aus den österreichischen Alpenländern. In: Mittheilungen der K.K. Central-

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Commission XXIV (Wien 1898) S. 125-142.

Funden wie Gräberresten, einem Spielstein usw. beschreibt er bereits die zahlreichen Handmühlsteine des Frühmittelalters, die ihm von Grundbesitzern übergeben, aber auch teilweise als Hofpflaster verwendet wurden.75 Bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Wallanlage und ihr Umfeld dermaßen bekannt, dass sie mehrmals Ziel von Ausflügen der Wiener Anthropologischen Gesellschaft war.76 Auch bei diesen Unternehmungen konnten mehrere Gräber entdeckt und teilweise geborgen werden. Außerdem konnte bereits 1913 eine Planskizze der Vorburg auf der Schanze aus der Feder von Josef Szombathy abgedruckt werden. Weiters machte der Pfarrer und Prähistoriker Anton Hrodegh auf die Anlage auf dem Schanzberg aufmerksam und sammelte dort auch Funde auf, die er einer mehrphasigen ur- und frühgeschichtlichen Siedlung zuordnete.77 Als nächster namhafter Forscher führte Josef Höbarth zahlreiche Aufsammlungen und Ausgrabungen auf dem Schanzberg und scheinbar auch in der Hinteren Thunau durch, wo seine Thunauer Verwandtschaft über Grundbesitz verfügte. Leider sind die Aufzeichnungen überaus spärlich, sodass die genaue Lokalisierung der Grabungsstellen nicht mehr möglich ist. Nach dem Tod Höbarths rückte die frühmittelalterliche Höhensiedlung erst wieder 1965 in den Mittelpunkt des Interesses. Die von Herbert Mitscha-Märheim initialisierten und fortan von Herwig Friesinger durchgeführten Untersuchungen setzten den Startschuss für die moderne Ergrabung des Zentralortes von Thunau am Kamp, die seither mit einer nur zweijährigen Unterbrechung laufen. Nach Herwig Friesinger übernahm 1993 Erik Szameit die Leitung der Ausgrabungen auf dem Schanzberg, die bis 2003 liefen. 2004 wurde der Forschungsschwerpunkt auf das Gräberfeld in der Hinteren Thunau ausgedehnt, das durch mehrere Bergungen und Forschungsgrabungen in den 1970er und 1980er Jahren durch Herwig Friesinger, Erik Szameit und Falko Daim wiederentdeckt wurde. Eine Notbergung in besagtem Jahr erbrachte neben einem ungestörten Friedhofsausschnitt des späten 9. Jahrhunderts auch erstmals deutliche Siedlungsbefunde des Frühmittelalters, denen bis heute jährlich nachgegangen wird und die eine Ergänzung der Siedlungsagglomeration von Thunau am Kamp darstellen. 75) Herwig u. Ingeborg Friesinger, Die Befestigungsanlagen in Thunau. 5000 Jahre Siedlung im Garser Raum = Katalogreihe des Krahuletz-Museums Eggenburg Nr. 3 (Eggenburg 1975) S. 35-39. Weiters vermerkt Krahuletz hier, dass die frühmittelalterlichen Mühlsteine den sogenannten Glättmühlen beim Hafner Zögler in Thunau gleichen, die zur Glasurherstellung dienen. 76) Rudolf Much, Ausflug ins Kamptal am 10. Mai 1908. In Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft XXXVIII (Wien 1908) [41]. Rudolf Much, Ausflug nach Gars im Kamptal am 26. Oktober 1913. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft XXXIV (Wien 1914). 77) Anton Hrodegh, Prähistorische Siedlung nächst der Ruine Schimmelsprung in Thunau bei Gars am Kamp. In: Wiener Prähistorische Zeitschrift III (Wien 1916) S. 24-30.

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Josef Höbarth im Kreis interessierter Thunauer während der Grabungen auf dem „Schanzberg“. © Martin Obenaus

Josef Höbarth bei Ausgrabungen in der Ruine Schimmelsprung. © Martin Obenaus

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LIDAR-Scan der frühmittelalterlichen Höhensiedlung auf dem „Schanzberg“ und seine Umgebung. | © Martin Obenaus

Die befestigte Höhensiedlung auf dem Schanzberg

Als Kernpunkt des frühmittelalterlichen Zentralortes von Thunau am Kamp ist die befestigte Höhensiedlung auf dem Schanzberg zu sehen. Sie stellt einen mehrphasigen Siedlungsreizpunkt seit dem Spätneolithikum dar. Der Schanzberg selbst ist ein westöstlich ausgerichteter Ausläufer der Hochfläche des Gföhlerwaldes, der im Norden und Süden durch tief eingeschnittene Bachläufe vom Goldberg und vom Wachtberg getrennt wird. Im Osten bricht der Höhenrücken steil zum hier mäandrierenden Kamp­ fluss ab. Ein bequemer Zugang ist somit nur von Westen, also von der Hochfläche her möglich. Hier entstand in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts n. Chr. die Keimzelle eines Zentralortes mit anscheinend überregionaler Bedeutung. Die Höhensiedlung auf dem Schanzberg kann nach dem derzeitigen Forschungsstand in drei Nutzungsbereiche gegliedert werden. Einerseits ist die stark befestigte Vorburg auf der „Schanze“ zu nennen, an die im Osten die Hauptburg auf der „Holzwiese“ mit ihren Siedlungsbauten, dem administrativen sowie repräsentativen Zentrum des Herrenhofes und einer Steinkirche anschließt. An deren Nordhang liegt noch eine unbefestigte Vorburgsiedlung. In der Folge soll auf diese einzelnen Areale näher eingegangen werden. Die Vorburg und die Hügelgräber auf der „Schanze“ Etwa 500 Meter östlich der Straße nach Tautendorf finden sich im Gelände noch gut sichtbar die Wallanlagen der frühmittelalterlichen Vorburg auf der „Schanze“. Dieses

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annähernd rechteckig umwallte Areal von etwa 200 Metern Länge und 110 Metern Breite sichert den Zugang zur Hauptburg auf der sogenannten „Holzwiese“ von der Hochfläche im Westen her. Die Befestigungsanlagen sind hier mit noch drei bis vier Metern Höhe am imposantesten erhalten. Entlang des Nord- und Südhanges sind sie fortifikatorisch günstig in die Abhänge gesetzt, die sie mit verhältnismäßig geringem Aufwand überhöhen. Lediglich im Westen liegt der Wall in ebenem Gelände und konnte keine natürlichen Begünstigungen ausnützen. Im Osten schließt an die sogenannte „Schanze“ die „Holzwiese“ an, die durch den alten urnenfelderzeitlichen Abschnittswall abgetrennt wird, der auch ins frühmittelalterliche Verteidigungskonzept miteinbezogen wurde. Der Wallkörper selbst war seit Beginn der modernen Grabungen im Jahr 1965 im Mittelpunkt des Interesses und wurde an mehreren Stellen geschnitten. Somit sind Aussagen über seinen Aufbau möglich. Die auf die grüne Wiese gesetzte tragende Kon­ struktion besteht aus verblockten Holzkästen aus Eichenstämmen, die mit Steinen und Erdmaterial gefüllt Schnitt durch den Westwall der „Schanze“. wurden. Abwegig dabei erscheint, © Institut für Urgeschichte und historische Archäologie dass unten lockere Verwitterungssedimente eingefüllt wurden, während darüber großteiliges schweres Steinmaterial zu liegen kommt. Diese Bauweise bietet nun zwei Möglichkeiten zur Diskussion an. Einerseits könnte an eine nachträgliche Erhöhung des Walles in einer zweiten Ausbauphase gedacht werden. Andererseits, und dies scheint zum momentanen Auswertungsstand die wahrscheinlichere Variante zu sein, könnte diese Bauweise auf Materialmangel zurückzuführen sein. So wurde zur Füllung der unteren Bereiche der Wallkästen der spärliche Humus und das Verwitterungssediment verwendet, das im Bereich der Baustelle in nicht genügendem Ausmaß gewonnen werden konnte. Erst danach verwendete man das lokale Steinmaterial, wovon Entnahmegräben entlang des Nord- und Westwalles und möglicherweise auch im Vorfeld auftretende Steinhaufen hinweisen. Dieser verfüllten Holzkonstruktion wurde feldseitig eine Packung aus lokal anstehen-

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dem Verwitterungsgneis vorgelagert, die zusätzlich mit trocken gesetzten Granulitplatten verblendet wurde – einerseits um die Holzkonstruktion zu schützen und andererseits um die Illusion einer repräsentativen und massiven Steinmauer zu erzeugen. Erst in einer späteren Phase wurde an der Innenseite des Walles eine Erdrampe angeschüttet. Es ist anzunehmen, dass zu diesem Zeitpunkt die Holzkonstruktion bereits schadhaft und vom Zusammenbruch bedroht war und so gestützt werden sollte.78 Eine Möglichkeit wäre bei dieser Maßnahme, an eine Reparatur zur Zeit der steigenden Ungarngefahr in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts zu denken.79 Die Befestigungsanlagen auf der „Schanze“ sind als Vorburg zu klassifizieren, durch die der Zugang zur Hauptburg gesichert wurde. An eigentlichen Eingangssituationen sind zwei ergrabene Toranlagen im Nord- und im Südwall zu nennen. Ein dritter Einschnitt im Westwall stellt kein Tor dar, sondern wurde erst in der Neuzeit als Zufahrt zu den Ackerflächen auf der „Holzwiese“ angelegt. Die beiden Toranlagen zeigen unterschiedliche Konstruktionen. So ist das sogenannte Nordtor, das in der Nordostecke der „Schanze“ liegt, als befahrbares Zangentor mit einer Breite von 4,2 Metern und etwa 5 Metern Länge ausgebildet. Seine Grundrisse sind heute im Gelände bis in eine Höhe von einem Meter nachgebaut. So biegt der Nordwall hier nach Südsüdosten um. Die östliche Torflanke hingegen ist als bastionsartiger Vorsprung am Rand eines Steilabfalles ausgebaut, die mit einer schmalen, von der Zugangsseite nicht einsehbaren Ausfallspforte versehen war.80 Im Vergleich zu dem noch zu beschreibenden Südtor sind zur hölzernen Torkonstruktion nur wenige Aussagen möglich. Die im Zuge der ersten Grabungen aufgedeckten Pfostengruben erscheinen zu seicht, um einen massiven Torturm tragen zu können. Allerdings wurden bei späteren Untersuchungen mächtige Pfostengruben auf der Wallkrone der westlichen Torflanke beobachtet, die mit einer brückenartigen Torkonstruktion in Zusammenhang stehen könnten, die später in der Mitte der Torgasse gestützt wurde. Der Zugang zum Tor folgte von Westen kommend über etwa 145 Meter weit dem Nordwall der „Schanze“ und wurde später gepflastert und als Zufahrt zur hochmittelalterlichen Burgruine Schimmelsprung genützt.81

78) Erik Szameit, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 37, 1998 (Wien 1999) S. 839. 79) Erik Szameit, Zum frühmittelalterlichen Burgwall von Gars/Thunau. Bemerkungen zu den Fortifikationsresten und der Innenbebauung. Ein Vorbericht. In: Joachim Henning u. Alexander T. Ruttkay (Hg.), Frühmittelalterlicher Burgenbau in Mittelund Osteuropa (Bonn 1998) S. 74-75. 80) Szameit, Frühmittelalterlicher Burgwall (wie Anm. 79) S. 73. 81) Herwig Friesinger, Thunau am Kamp, Gem. Gars am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 13, 1974 (Wien 1975) S. 144.

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Wesentlich deutlicher als jene des Nordtores ist die Konstruktion des Südtores, das rekonstruiert wurde. Die Torgasse selbst liegt schräg gegenüber dem Nordtor im Südwall und ist wesentlich geringer dimensioniert, was zusammen mit ihrer Steilheit und dem ins Konzept miteinbezogenen innenliegenden Felsriegel ein Befahren unmöglich machte. Die Wangen der zum Zeitpunkt der Grabung noch deutlich erhaltenen Blendmauer ziehen annähernd rechtwinkelig, aber stark bogenförmig in die eigentliche Torgasse ein und decken die hölzernen Wallkästen ab. Vom Torturm selbst konnten sechs massive in den anstehenden Fels eingetiefte Pfostengruben aufgedeckt werden, die auch für den maßstabsgetreuen Nachbau genutzt wurden. Der Zugang zum Südtor wird ebenfalls wie jener zum Nordtor von Westen her entlang des Walles der „Schanze“ erfolgt sein. Dennoch folgt eine Wegtrasse in der Folge auch dem Südostwall der „Holzwiese“. Sie nutzt eine ältere frühmittelalterliche Wallstufe, die durch Feuer zerstört wurde82 und bis zur Südwestecke der jüngeren Befestigung der „Holzwiese“ verfolgt werden kann, wo sie in steilem felsigem Gelände abbricht. Die Informationen zur Innenbebauung der „Schanze“ sind verhältnismäßig spärlich. Die Innenfläche selbst scheint nach Aussage der Grabungsbefunde weitgehend besiedlungsleer zu sein. Gebäude konnten in erster Linie entlang der Wallinnenkante festgestellt werden. Sie waren kasemattenartig an die Befestigungswerke angebaut und enthielten neben Öfen mitunter Mühlsteine und sonstiges Fundmaterial. Zur Konstruktion der Gebäude wird eine Errichtung in Blockbautechnik angenommen, da Pfostengruben fehlen. Daneben sind offene Arbeitsbereiche und Flugdächer denkbar. Handwerkliche Tätigkeit im Osten der „Schanze“ legt auch ein Eisenverhüttungsofen nahe, der 1969 und 1970 angefahren werden konnte. Daneben sind die zahlreichen Funde von Eisenschlacken und Eisenobjekten zu nennen.83 Möglicherweise steht dieser Befund in Zusammenhang mit einem Schmiedebereich, der an der Innenseite des Nordtores aufgedeckt werden konnte. Hier gelang der Fund von großen Mengen an Zunderplättchen, sogenanntem „Hammerschlag“, die direkte Indizien für den Schmiedeprozess darstellen. Ein als Rennofen gedeuteter Befund ist eher als Esse zu interpretieren. Daneben sind auch zahlreiche Schmiedeschlacken und ein kleiner Drehschleifstein als Hinweis auf gehobene Schmiedetätigkeit zu nennen.84 Ebenfalls am Innenfuß des Nord- und Westwalles wurden Gräber angelegt. Im 10. Jahrhundert scheint dieser Friedhof allerdings nicht mehr genutzt worden zu sein, da 82) Herwig Friesinger, Thunau am Kamp, Gem. Gars am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 10, 1971 (Wien 1972) S. 129. 83) Herwig Friesinger, Thunau am Kamp, BH Horn. In: Fundberichte aus Österreich 9, Heft 5, 1970 (Wien 1970) S. 310-311. 84) Daniela Kern u. Barbara Wewerka, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In Fundberichte aus Österreich 21,

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1982 (Wien 1983) S. 306-307.

er bereits von der zuvor beschriebenen Reparatur der Befestigung überlagert wird. Aus einem zerstörten Grab stammt das bekannte Bleikreuz, dessen gussgleiche Entsprechungen auch aus Bernhardsthal, Mikulčice und Dolní Vestonice bekannt sind.85 Neben diesen regulären Bestattungen mit ihren diversen Beifunden ist die Sonderbestattung eines Schädels von einem enthaupteten Individuum zu nennen, der in einer Steinkiste deponiert wurde. Ebenfalls in einer kleinen Steinkiste am inneren Wallfuß beim Nordtor lag ein singulärer karolingerzeitlicher Schlaufensporn.86 Bleikreuz aus dem Areal der Vorburg auf der „Schanze“. | © Institut für Urgeschichte und historische Archäologie

Zuletzt soll im Zusammenhang mit der Vorburg auf der „Schanze“ auf ein kleines Hügelgräberfeld hingewiesen werden, das etwa 100 Meter westnordwestlich der Nordwestecke der Befestigungsanlage liegt und erst kürzlich vorgelegt wurde.87 Es besteht aus 15 noch schwach sichtbaren niedrigen Hügeln, die etwa einen halben Meter hoch erhalten sind. Während der archäologischen Untersuchungen in den Jahren 1972 bis 1975 konnten sieben Bestattungen aufgedeckt werden, wobei nicht mehr bei jeder ein Hügel erkennbar war. Daneben konnten Beobachtungen zum Hügelaufbau gewonnen werden. Besonders auffällig sind hier rechteckige Trockenmauern aus Granulitplatten, die einige Hügel umgaben. Die meist Ost-West ausgerichteten Grabschächte waren bis zu 60 cm in den anstehenden Fels eingetieft und enthielten meist nur noch schlecht erhaltene Reste der Körperbestattungen, wofür der Grund in der aggressiven Bodenchemie zu suchen ist. Die geringen Beifunde, allem voran ein Dreibeerenohrring aus Buntmetall, datieren den Bestattungsplatz in die erste Hälfte bis um die Mitte des 9. Jahrhunderts. Diese zeitliche Einordnung bestätigen die Keramikfunde, die zwischen den Hügeln oder in 85) Herwig u. Ingeborg Friesinger, Ein Vierteljahrhundert Grabungen in Thunau / Gars am Kamp. In: Archäologie Österreichs 2/1 (Wien 1991) S. 15-16. 86) Erik Szameit, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 38, 1999 (Wien 2000) S. 878-879. 87) Wolfgang Breibert, Frühmittelalterliche Hügelgräber auf der Schanze von Thunau. In: Beiträge zum Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie 2012 = Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums, NF 507 (Asparn/Zaya 2012) S. 66-71. Wolfgang Breibert, Frühmittelalterliche Hügelgräber auf der Schanze von Thunau am Kamp, Niederösterreich. In: Archaeologia Austriaca, Bd. 94, 2010 (Wien 2013) S. 127-149.

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der Aufschüttung gemacht wurden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Thunauer Hügel keine exakten Parallelen besitzen und zu den älteren Grablegen im Bereich des Zentralortes von Thunau am Kamp zu deuten sind. Die Hauptburg auf der „Holzwiese“ Die Hauptburg mit ihren deutlichen Siedlungsstrukturen liegt unmittelbar im Osten der zuvor beschriebenen Vorburg auf der „Schanze“ und umfasst ein Areal von etwa 4,2 Hektar. Abgetrennt ist sie durch den spätbronzezeitlichen Abschnittswall, der spitzwinkelig eine durch zwei Wasserrisse am Nordhang gebildete Schmalstelle abriegelt. Parallel zum nördlichen älteren Wallast läuft entlang des heutigen Weges der frühmittelalterliche Wall als Fortsetzung der Vorburganlage und bildet somit die Verbindung zur Befestigung der „Holzwiese“. Die gesamte fortifikatorische Planung ist auf einen etwa 90 Meter langen „Flaschenhals“ ausgelegt – eine Engstelle, die beim Betreten der Hauptburg passiert werden musste und somit Möglichkeit zur Verteidigung gab. Ein älterer frühmittelalterlicher Wallast konnte außerhalb des späteren Südwestwalles der „Holzwiese“ aufgedeckt werden und besaß noch keine Blendmauer aus Granulitplatten. Nach seiner Zerstörung war seine Krone planiert und als Weg genutzt worden.88 Insgesamt umfassen die frühmittelalterlichen Wallanlagen in unterschiedlicher Mächtigkeit den gesamten Bereich der Hauptburg auf der „Holzwiese“, mit Ausnahme der noch darzustellenden Vorburgsiedlung auf dem sogenannten Nordhang. Während so die Wallkonstruktion jener auf der Schanze in den meisten Bereichen sehr ähnlich ist (Holzkastenkonstruktion mit Blendmauer), scheint entlang der Südostkante der oberen „Holzwiese“ keine dermaßen massive Befestigung nötig gewesen zu sein. Hier konnte nur eine massive Granulitplattenmauer nachgewiesen werden,89 die aufgrund der steilen und felsigen Geländesituation in diesem Bereich offenbar ausreichte. Auch im steil abfallenden Osten der „Holzwiese“ konnten im bisher letzten Jahr der Grabungen auf der Wallburg holzgestützte Wallreste nachgewiesen werden. Anders als im Bereich der Vorburg auf der „Schanze“ gelang es, von den Wallanlagen auf der „Holzwiese“ zahlreiche Holzproben der stellenweise sehr gut erhaltenen Kastenkonstruktionen zu entnehmen, von denen sowohl Radiokarbon- als auch Dendrodaten gewonnen werden konnten. So datieren die Hölzer des Walles dendrochronologisch in einen Zeitraum zwischen 834 und 894 n. Chr., wobei der Schwerpunkt

88) Friesinger, Ein Vierteljahrhundert Grabungen in Thunau / Gars am Kamp (wie Anm. 85) S. 10. 89) Anton Kern, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In. Fundberichte aus Österreich 24-25, 1985-1986 (Wien

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1988) S. 334.

deutlich auf der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts n. Chr. liegt.90 Dem entsprechen die Ergebnisse der 14C-Datierung zwischen 820 und 880 n. Chr.91 Im Vergleich zur Vorburg auf der „Schanze“ scheint sich die frühmittelalterliche Innenbebauung der Hauptburg auf der „Holzwiese“ als verhältnismäßig dicht zu gestalten. Allerdings ist der Großteil der Grabungsergebnisse bislang nur in Vorberichten vorgelegt. An erster Stelle ist hier ein Herrenhofareal zu nennen, das fast vollständig ergraben werden konnte und zurzeit in Aufarbeitung begriffen ist.92 Der mit einem Palisadengraben umfriedete Bereich mit seinen etwa 75 mal 100 Metern Größe liegt in prominenter Situation am höchsten Punkt der oberen „Holzwiese“ innerhalb der hier spitzwinkelig zulaufenden urnenfelderzeitlichen Abschnittsbefestigung. Auffällig ist das Vorhandensein von mehreren unterschiedlichen Palisadensystemen, die zum Teil an den Südwall angebaut sind. Zum derzeitigen Auswertungsstand werden drei Herrenhofphasen unterschieden. So wird mit einer Anlage kurz nach der Mitte des 9. Jahrhunderts n. Chr. unter mährischem Einfluss gerechnet. Am besten erhalten ist die zweite Herrenhofphase, in der das Areal seine maximale Ausdehnung erreicht. Sie wird mit ähnlichen Zentren einer lokalen Elite etwa in Břeclav-Pohansko und auf der Zalaszabar-Borjúállás-Insel verglichen, die ihrerseits an frühottonische Pfalzbauten erinnern. In dieser Ausbauphase wird bereits böhmischer Einfluss angenommen. Die Umfriedung des spätesten Herrenhofes zeigt sich mit ihren 21 mal 26 Metern bereits wesentlich verkleinert. Ihr Ende wird um die Mitte des 10. Jahrhunderts angesetzt. Danach finden sich nur noch wenige Hinweise einer Besiedlung, die keine Rücksicht mehr auf den repräsentativen Bau nimmt. Wesentlich schwieriger ist die innere Struktur des Herrenhofes zu greifen. Am auffälligsten ist ein ausgedehntes Gräberfeld mit 215 Bestattungen, das in der Südostecke der Umfriedung liegt und jüngst komplett vorgelegt wurde.93 Der Friedhof selbst ist durch einen belegungsfreien Streifen in zwei Gräbergruppen getrennt, der als Weg interpre90) Otto Cichocki, Xylometrische Untersuchungen an Holzresten aus den urnenfelderzeitlichen und frühmittelalterlichen Wallanlagen von Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, Niederösterreich. 1. Dendrochronologische Datierung der Walleinbauten der oberen Holzwiese. In: Archaeologia Austriaca 82-83 (Wien 1998-1999) S. 47-56. 91) Peter Stadler u.a., Die Absolutdatierung der urnenfelderzeitlichen und frühmittelalterlichen Wallanlagen von Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, Niederösterreich mit Hilfe von 14C-Daten. In: Archaeologia Austriaca 82-83 (Wien 1998-1999) S. 39-45. 92) Hajnalka Herold, Der Schanzberg von Gars-Thunau in Niederösterreich – eine befestigte Höhensiedlung mit Zentralortfunktion aus dem 9.-10. Jahrhundert. In: Archäologisches Korrespondenzblatt 38/2 (Mainz 2008) S. 283-299. Hajnalka Herold, The fortified hilltop site of Gars-Thunau and the settlements of the 9th and 10th centuries AD in Lower Austria. In: Jiří Macháček u. Šimon Ungermann (Hg.), Frühgeschichtliche Zentralorte in Mitteleuropa = Studien zur Archäologie Europas 14 (Bonn 2011) S. 519-528. Hajnalka Herold, Fortified settlements of the 9th and 10th centuries AD in Central Europe: Structure, Function and Symbolism. In: Medieval Archaeology 56 (2012) S. 60-84. 93) Elisabeth Nowotny, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Thunau, Obere Holzwiese. Untersuchungen zur Archäologie eines Grenzraumes in der späten Karolingerzeit. Unveröffentlichte Dissertation der Universität Wien (Wien 2011). Elisabeth Nowotny, Mehrfachgräber im Gräberfeld von Thunau, Obere Holzwiese. Methodik, Ausprägungen, Deutungsmöglichkeiten. In Archeologické rozhledy LXIII (Praha 2011) S. 443-465.

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tiert wird, da sich hier auch eine Öffnung in der Palisade befindet. Insgesamt sind ein Drittel der Bestattungen beifundführend. Links: Die Schwertgräber 129 und 130 aus dem Gräberfeld des Herrenhofes auf der „Holzwiese“. | © Institut für Urgeschichte und historische Archäologie

Unten: Die Schwerter aus den Gräbern 129 und 130. | © Institut für Urgeschichte und historische Archäologie

Am deutlichsten wird der Stellenwert des Gräberfeldes im Bereich des Herrenhofes durch einige wenige Bestattungen, die einer lokalen Elite zuzuordnen sind. An erster Stelle sind hier zwei Männergräber anzuführen, die Schwerter vom Typ Petersen Y, Gürtelgarnituren, Sporen und andere Beifunde enthielten.94 In einem weiteren Männergrab lag neben Sporen eine Streitaxt ungarischen Typs. Diesen elitären männlichen Bestatteten sind mehrere gut ausgestattete Frauengräber gegenüberzustellen, die qualitätvolle Schmuckensembles aus Ohrringen und auch Glasperlen enthielten. Die übrigen beigabenführenden Grablegen entsprechen dem geläufigen Standard dieser Zeit. Mit dem Ende des Bestattungsplatzes wird noch vor

94) Der Bestattete in Grab 129 war enthauptet worden. Erik Szameit, Gars-Thunau – frühmittelalterliche Residenz und vorstädtisches Handelszentrum. In: Hans Jürgen Brachmann (Hg.), Burg, Burgstadt, Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in

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Ostmitteleuropa (Berlin 1995) S. 277-278.

der Mitte des 10. Jahrhunderts gerechnet,95 während seine Blütezeit im späteren 9. Jahrhundert zu suchen ist. Ins Auge fällt ein größeres belegungsfreies Areal im nordwestlichen Gräberfeldteil. Hier wurden die Reste eines annähernd West-Ost ausgerichteten Pfostenbaues entdeckt, der mit Vorbehalt als Rest einer kleinen Friedhofskirche interpretiert werden kann.96 Zur übrigen Innenbebauung waren wenige Informationen zu gewinnen. Zwar konnten einige weitere große Pfostenbauten dokumentiert werden, allerdings ist deren Datierung nicht gesichert. Neben den Pfostenbauten sind ebenerdige Schwellbalkenbauten anzunehmen, von denen sich nur Spuren in Form von Fundhäufungen und fundleeren Regionen gehalten haben. Zu nennen ist zuletzt ein kleiner Depotfund von der oberen „Holzwiese“, der 1988 dokumentiert werden konnte. Er enthielt vor allem landwirtschaftliches Gerät und Werkzeuge, aber auch zwei Sporen.97 Außerhalb dieses umzäunten Sitzes einer lokalen Elite fanden sich deutliche Siedlungsstrukturen in Form von mehr oder weniger eingetieften Häusern und einer großen Anzahl von in den Fels eingetieften Speichergruben. Daneben ist wieder mit Pfosten-, Schwellen- und Blockbauten zu Pressblechscheibenfibel aus dem Areal des rechnen. Problematisch ist hier wie im HerHerrenhofes auf der „Holzwiese“. renhofareal, dass die Fundstelle mehrphasig © Institut für Urgeschichte und historische Archäologie ist und nicht alle Befunde eindeutig einer gesicherten Zeitstellung zugeordnet werden können. Dazu kommen weitreichende Zerstörungen durch die lange agrarische Nutzung der Hochfläche. Die Befunde wurden bisher nur in Vorberichten vorgelegt. Ein letzter herausragender Befund konnte 1986 innerhalb der nördöstlichen Wallkante auf der unteren „Holzwiese“ ergraben werden. Auf einer schwachen Erhebung fanden sich hier die Grundmauern einer gemauerten Steinkirche.

95) Spätes Fundmaterial des Horizontes Köttlach II, wie es im Gräberfeld im Tal vorkommt, fehlt hier bereits. 96) Der Bau misst etwa 8 mal 6 Meter und ist zweischiffig ausgeführt. Im östlichen Teil findet sich ein Gräbchen, das mit Vorbehalt als Chorschranke interpretiert werden könnte. 97) Anton Kern, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 27, 1988 (Wien 1989) S. 323.

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Fundamentreste der 1986 ergrabenen Steinkirche auf der unteren „Holzwiese“. | © Institut für Urgeschichte und historische Archäologie

Es handelt sich um eine Hallenkirche mit eingezogener halbrunder Apsis mit den Abmessungen von 9 mal 6,8 Metern. Das Mauerwerk ist zweischalig aus Granulitplatten gearbeitet und gemörtelt.98 Vom Ausgräber wurde das Bauwerk in die Zeit um 900 gestellt, was in jüngster Zeit zunehmend diskutiert wird. Zurzeit wird auch eine Errichtung gemeinsam mit der Burg Schimmelsprung im Hochmittelalter für möglich gehalten.99 Letztendliche Klarheit könnten hier nur 14C-Daten bringen. Jedenfalls weisen die Daten eines gewaltsam ums Leben gekommenen Mannes und mehrerer Frühund Neugeborener, die um die Kirche entdeckt wurden, ins 13. und 14. Jahrhundert hin. Zuletzt ist noch eine Knochenschnitzerwerkstatt im Nahbereich des Kirchenbaues erwähnenswert. Die Vorburgsiedlung auf dem Nordhang der „Holzwiese“ Außerhalb des frühmittelalterlichen Nordwalles der Hauptburg auf der „Holzwiese“ liegt, durch den alten spätbronzezeitlichen Abschnittswall im Westen geschützt, eine sonst unbefestigte Vorburgsiedlung. Bei der Erforschung dieses Abschnittes in den 1980er Jahren konnten zumindest fünf Siedlungsterrassen festgestellt werden,100 die durch weitere frühneuzeitliche Terrassierung bereits teilweise zerstört waren.

98) Friesinger/Friesinger, Vierteljahrhundert Grabungen (wie. Anm. 88) S. 13-14. 99) Freundliche Mitteilung Erik Szameit.

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100) Anton Kern, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 23, 1984 (Wien 1985) S. 314.

Neben zahlreichen urgeschichtlichen Befunden wurde auch eine dichte frühmittelalterliche Nutzung dokumentiert. Sie besteht vor allem aus Öfen bzw. Ofenresten sowie den klassischen Speichergruben, die oft Mühlsteine enthielten. Daneben waren vereinzelt Gräber zu beobachten.101 Einen interessanten Befund stellt eine frühmittelalterliche Wegtrasse dar, die durchschnittlich 3 Meter breit war und über etwa 55 Meter weit verfolgt werden konnte. Die noch teilweise vorhandene Oberfläche bestand aus kleineren flachen Steinen, wobei mitunter auch massivere Substruktionen nachgewiesen werden konnten.102 Einen Hinweis zur Fragestellung der Wasserversorgung könnte ein Befund leisten, der als aus Steinplatten gefügtes Quellhäuschen interpretiert wird.103 Der Wasseraustritt erfolgte entlang einer geologischen Bruchfuge, die ihren Ausgang im Bereich der oberen „Holzwiese“ nimmt.104 Heute ist die Wasserentnahmestelle trockengefallen. Der nächste bekannte Wasseraustritt erfolgt wesentlich tiefer, entlang des „Wurzelsteiges“.

Die unbefestigte Talsiedlung und das Gräberfeld in der „Hinteren“ Thunau

Unmittelbar am Fuße des Schanzberges liegt das altbekannte frühmittelalterliche Gräberfeld von Thunau am Kamp, das von Johann Krahuletz 1872 entdeckt wurde. Erst wesentlich später, 1975 und vor allem ab 2004 wurde deutlich, dass dem Bestattungsplatz ein ausgedehntes Siedlungsareal des 9. und 10. Jahrhunderts n. Chr. anzuschließen ist, wodurch das Bild des Zentralortes wesentlich erweitert wurde. Am Anfang der Untersuchungen ging man hier von einer einfachen ländlichen Siedlung im Einzugsbereich der Höhensiedlung aus, während mittlerweile klar wurde, dass die Talsiedlung ein integraler Bestandteil der Siedlungsagglomeration von Thunau am Kamp und als weitere Vorburgsiedlung (Suburbium) zu deuten ist, die die produktionsorientierte Schnittstelle zwischen dem Herrschaftszentrum und dem landwirtschaftlichen Hinterland darstellt. Auch wenn diese etwa 140 Meter tiefer als das Verwaltungszentrum liegt, ist nicht zuletzt durch den Altweg des „Wurzelsteiges“ die Verbindung mit dem Hinterland des Horner Beckens deutlich zu erkennen. Möglicherweise ist im Bereich der Talsiedlung ein Kampübergang in Richtung Zitternberg anzunehmen.

101) Daniela Kern u. Barbara Wewerka, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In: Fundberichte aus Österreich 21, 1982 (Wien 1983) S. 307. 102) Kern, Thunau (wie Anm. 100) S. 314. 103) Daniela Kern, KG Thunau am Kamp, MG Gars am Kamp, VB Horn. In. Fundberichte aus Österreich 22, 1983 (Wien 1984) S. 319. 104) Friesinger/Friesinger, Vierteljahrhundert Grabungen (wie. Anm. 88) S. 13.

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Das zu Siedlungszwecken und als Friedhof verwendete Areal liegt am Prallhang einer ehemaligen Kampschlinge und bildet somit einen natürlich begrenzten Kessel. Dieser wird im Norden durch den Ausläufer des Goldberges und im Westen durch den Steilabfall des Schanzberges eingefasst. Im Südosten bildet der Kamp die Grenze. Der somit umschriebene im Frühmittelalter genutzte Bereich beträgt etwa 8,25 Hektar.

Die Geländesituation der frühmittelalterlichen Talsiedlung und des Gräberfeldes in der „Hinteren“ Thunau. | © Martin Obenaus

Insgesamt ist das Gelände zum Fluss hin abschüssig, wobei die ehemalige Nieder- und Hochterrasse nördlich des Kamps aufgrund späterer Überprägung und Verbauung heute kaum mehr erkennbar sind. Diese unterschiedliche Intensität der Hanglage hatte einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die unterschiedlichen Nutzungsareale der Talsiedlung, von denen zum derzeitigen Auswertungsstand drei unterschieden werden können – es handelt sich um das bereits genannte Gräberfeld, eine Siedlung mit Gebäuden mit Wohnfunktion sowie einem „Industrieareal“.105 Das Gräberfeld Das altbekannte Gräberfeld im Tal in der „Hinteren“ Thunau konnte bereits in mehreren Ausschnitten erfasst werden. Es liegt zum größten Teil in den für Siedlungszwecke 105) Martin Obenaus, Wolfgang Breibert u. Erik Szameit, Frühmittelalterliche Bestattungen und Siedlungsbefunde aus Thunau am Kamp, Niederösterreich – ein Vorbericht. In: Fundberichte aus Österreich 44, 2005 (Wien 2006) S. 347-368. Martin Obenaus, Die neuen Forschungen in der frühmittelalterlichen Talsiedlung von Thunau am Kamp (Ein Zwischenbericht). In: Jiří Macháček u. Šimon Ungerman (Hg.), Frühgeschichtliche Zentralorte in Mitteleuropa = Studien zur Archäologie Europas 14 (Bonn 2011)

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weitgehend ungeeigneten steileren Hangbereichen des Südabfalles des „Goldberges“ und besitzt zumindest eine Ausdehnung von 280 Metern in West-Ost-Richtung bei einer Nord-Süd-Breite von etwa 100 Metern. Die bisher erschlossene Belegungsdichte lässt somit ursprünglich mit in die Tausende gehenden Bestattungen rechnen. Deutliche Einbußen erfuhr der Friedhof durch den Lehmabbau des 19. Jahrhunderts und die starke landwirtschaftliche Terrassierung des Goldbergsüdhanges ab dem 15. und 16. Jahrhundert. Hier erscheinen die Gräber in den hangaufwärts gelegenen Terrassenbereichen als weitgehend zerstört, während sie hangabwärts bis zu 4 Meter überlagert sind. Trotzdem ergibt das bisher aus kleinräumigen Ausschnitten gewonnene Bild des Bestattungsplatzes deutliche Hinweise auf Belegungsdauer und eingeschränkt auch auf die Belegungsabfolge dieses wichtigen Teilbereiches. So beginnt die Bestattungstätigkeit spätestens in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts und setzt sich über das gesamte 10. Jahrhundert fort. Eine Nutzung noch im beginnenden 11. Jahrhundert ist zum derzeitigen Forschungsstand noch nicht gesichert festzustellen. Nach dem derzeitigen Auswertungsstand begann die Belegung des Friedhofes in den günstigeren, weniger steilen Hanglagen am Fuß des Goldberges. Das Fundmaterial dieser weitläufigen Gräberfeldteile schließt sich jenem der Bestattungen auf dem Schanz-

Mädchenbestattung mit Trachtinventar. | © Wolfgang Breibert

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berg an. So sind in den Frauengräbern einfache Buntmetallohrringe, Fingerringe und gläserne Kugelknöpfe zu nennen. Männergräber sind bis auf eiserne Messer meist fundlos. Lediglich zwei waren besser ausgestattet. Eines enthielt eine Flügellanzenspitze, ein großes Messer und einen Feuerschläger. Einem anderen Mann waren seine Sporengarnituren beigegeben worden.106 Keramikbeigaben in Form von Töpfen und Flaschen waren bei beiden Geschlechtern zu beobachten. Sie wurden in den älteren Gräberfeldteilen bei den Füßen abgestellt. Erst später, im Laufe des 10. Jahrhunderts, ging man – aus Platzgründen – dazu über, auch jene steilen Bereiche am nordöstBestattung eines enthaupteten Mannes mit lichen Ausgang des „Wurzelsteiges“ zu Sporengarnitur. | © Wolfgang Breibert nutzen, die im Zuge des Bahnbaues von 1887/88 weitgehend zerstört wurden. Das Fundspektrum der hier aufgedeckten Gräber ist vom Schanzberg nicht mehr bekannt und unterscheidet sich grundlegend vom zuvor beschriebenen älteren Gräberfeldteil. In erster Linie enthielten die Bestattungen sogenannte Schläfenringe aus Buntmetall. Daneben kommen einzelne Emailscheibenfibeln, ungarische Anhänger, Glasperlen und eine schmale Flügellanzenspitze vor. Die Beigabengefäße wurden nun meist beim Kopf abgestellt.107 In zwei Teilbereichen konnte eine Abgrenzung zwischen Gräberfeld und Siedlung durch einen Palisadengraben beobachtet werden. Das Siedlungsareal Das Kernareal der eigentlichen Talsiedlung zeichnet sich vor allem durch Gebäude mit Wohnfunktion aus und liegt unmittelbar südlich des zuvor beschriebenen Gräberfeldes

106) Interessant in diesem Rahmen war die Tatsache, dass der Mann enthauptet, trotzdem aber „ehrenvoll“ beigesetzt worden war. Ein ähnlicher Fall wurde bereits zuvor im Rahmen des Schwertträgers in Grab 129 der oberen „Holzwiese“ genannt. Man kann hier weniger Kampfverletzungen, sondern eher Rechtshandlungen voraussetzen.

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107) Friesinger/Friesinger, Befestigungsanlagen (wie Anm. 75) S. 36.

auf einer hochwassersicheren Hochterrasse des Kamps in zunehmend flacher werdendem Gelände. Überschneidungen mit dem Friedhof ergeben sich nur in seltenen Fällen im Norden des Siedlungsareals. Ansonsten ist der Bestattungsplatz klar abgetrennt. Auf ein Palisadengräbchen zur Abgrenzung wurde bereits eingegangen. Die chronologische Stellung der Talsiedlung überschneidet sich über weite Strecken mit jener der befestigten Höhensiedlung auf dem Schanzberg. Ihr Beginn ist spätestens in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts anzusetzen. Während das Verwaltungszentrum allerdings zum derzeitigen Auswertungsstand um die Mitte bzw. in der beginnenden zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts aufgelassen wird, existiert die Talsiedlung laut Auskunft des Fundmaterials noch eine Zeit lang ohne erkennbare Herrschaftsstruktur weiter und endet am Übergang zum 11. Jahrhundert. Der Kernbereich der Talsiedlung in der „Hinteren“ Thunau zeichnet sich vor allem durch seine Wohngebäude aus.108 In erster Linie handelt es sich hierbei um sogenannte Grubenhäuser, eingetiefte Gebäude, die im Regelfall eine Heizanlage besitzen. Bisher konnten 23 derartige Bauwerke aufgedeckt werden, unter denen Feuervergoldeter Buntmetallohrring sich zwei Gruppen unterscheiden lassen, die aus einem Frauengrab knapp nördlich des scheinbar chronologische Relevanz besitzen. Siedlungsareals. | © Martin Obenaus So besitzen die zum derzeitigen Auswertungsstand als älter (9. Jahrhundert n. Chr.) angesehenen Grubenhäuser innenliegende, eckständige Öfen aus Steinen und/oder Lehm. Nutzungszeitliches Fundmaterial ist praktisch nie enthalten, was auf eine geplante Auflassung der Gebäude schließen lässt. Die zurzeit als jünger (10. Jahrhundert n. Chr.) erachteten Häuser enthalten stets zahlreiches nutzungszeitliches Fundinventar in Form von Gefäßen, Mühlsteinen, Web­gewichten und anderen Gegen­ständen des Hausrates, die offensichtlich nach ihrem Verlassen nicht geborgen wurden. Die Öfen liegen hier in allen Fällen in die Flanken der „Baugrube“ eingegraben.

108) Obenaus, Neue Forschungen (wie Anm. 105) S. 537.

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Grubenhaus des älteren Typs mit eckständigem Steinofen. | © Wolfgang Breibert

Einen Sonderfall stellt ein Grubenhaus mit von außen heizbarem Ofen dar, was bereits die Entwicklung hin zur rauchfreien Stube des Hochmittelalters vorwegnimmt.Neben diesen bis zu etwa 1,3 Meter eingetieften Bauwerken konnten auch zwei größere ebenerdige Gebäude nachgewiesen werden. Sie waren in Schwellen- bzw. Pfosten-Schwellriegelbauweise errichtet und besaßen in beiden Fällen eckständige Öfen, von denen ebenfalls einer von außen zu befeuern war.

Grubenhaus des jüngeren Typs mit eingegrabenem Kuppelofen und zahlreichen Fundlagen. © Wolfgang Breibert

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Noch weitestgehend unklar ist die Funktion von zwei Gräben im westlichen Siedlungsareal. Sie nehmen ihren Ausgang bei einem nahe gelegenen Bachlauf, queren die besiedelte Zone in Richtung Osten und biegen schließlich nach Südosten um.109 Auffällig ist, dass beide Befunde an ihrer Sohle fluviatiles Sediment (Sand und abgerollte Steine) enthalten, was an eine Nutzung zur Wasserführung denken lässt. Zum derzeitigen Auswertungsstand könnte hier neben Nutzwasserzuleitung auch an den Antrieb von einfachen mechanischen Einrichtungen wie etwa einer Mühle oder einer Schleifmühle gedacht werden. Jedenfalls wurde der ältere, massivere Graben nach seiner Auflassung teilweise verfüllt und als Arbeitsgrube für zahlreiche in seine Nordflanke eingegrabene Backöfen genutzt, die im übrigen Siedlungsareal sehr zahlreich ergraben werden konnten. Ebenfalls im ehemaligen Grabenbereich lag ein Areal, in dem verstärkt Schmiedetätigkeit nachgewiesen werden konnte. Neben Schlacken, Düsenfragmenten und anderem Abfall liegen von hier neben Halbfabrikaten und schadhaften Produkten eine halbe kleine Schmiedezange, ein Meißel und ein großer Drehschleifstein vor. Zu nennen sind weiters eine Emailscheibenfibel, zwei Sporen und ein sogenannter Schwertriemenbeschlag, die den Befund ins entwickelte 10. Jahrhundert n. Chr. datieren. Ebenfalls typisch für das Siedlungsareal sind die zahlreichen Grubenbefunde unterschiedlicher Nutzung. Am häufigsten in diesem Rahmen sind die bereits mehrfach erwähnten sackförmigen Speichergruben, die Tiefen bis über zwei Meter erreichen können. Daneben sind im unmittelbaren Siedlungsareal zahlreiche Handwerke und Gewerbe nachweisbar, von denen einige bereits erwähnt wurden. An erster Stelle ist die Textilproduktion zu nennen, von der neben Spinnwirteln mehrere hundert Webgewichte zeugen. Diese enorm hohe Anzahl macht wahrscheinlich, dass über den lokalen Eigenbedarf hinaus produziert wurde.110 NeEmailscheibenfibeln des 10. Jahrhunderts aus der Talsiedlung in der „Hinteren“ Thunau. © Martin Obenaus

109) Denkbar ist, dass sie wieder ins Bachbett zurückgeführt wurden, was aber durch Grabungen noch nicht bestätigt werden konnte. 110) Leider kann nicht belegt werden, ob pflanzliches oder tierisches Fasermaterial verarbeitet wurde.

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ben diesem „Haupterwerbszweig“ ist auch Schmiedetätigkeit deutlich nachgewiesen. Hinzu kommt die lokale Keramikproduktion, von der möglicherweise stark verziegelte Lehmwannen zeugen, die sowohl zum Keramikbrand als auch als Darren für Faserpflanzen Verwendung gefunden haben könnten. Neben diesen Handwerken ist der Fischfang im nahen Kamp durch die Funde von Angelhaken belegt. Problematischer erscheint die Frage nach der landwirtschaftlichen Produktion zur Versorgung der „Im Industrieareal gibt Talsiedlung und des Verwaltungszentrums auf dem Schanzberg. Für ausgedehnte Ackerflächen war in der es Indizien für die „Hinteren“ Thunau aufgrund der dichten Bebauung spezialisierte und der Nutzung großer Flächen als Gräberfeld zu wenig Platz. Somit musste der Ackerbau und partiell Keramikproduktion.“ auch die Viehzucht ins nahe Umland ausgelagert werden. Denkbar wäre hier die Region des südöstlichen Horner Beckens mit seinen heute noch intensiv landwirtschaftlich genutzten Böden und dem deutlichen Nachweis von kleineren frühmittelalterlichen Siedlungsstellen. Das „Industrieareal“ am Kamp Eine deutlich andere Struktur als das unmittelbare Siedlungsareal mit Wohnfunktion der Talsiedlung zeigt jener Bereich, der mit dem Arbeitstitel „Industrieareal“ bezeichnet wurde. Es liegt auf der Niederterrasse des Kamps, die in etwa bis zur heutigen Schimmelsprunggasse reichte. Hier konnten keine Wohnhäuser mehr ergraben werden, allerdings eine große Anzahl an weiteren Befunden, die eine Nutzung als Arbeitsbereich nahelegen. So konnten an handwerklichen Tätigkeiten vor allem Töpferei und Metallverarbeitung nachgewiesen werden. Singulär für den weiter gefassten Arbeitsraum steht ein in diesem Areal gefundener Töpferofen mit doppeltem Schürkanal da. Er steht für spezialisierte Keramikproduktion neben dem sonst üblichen offenen Feldbrand oder Grubenbrand. Da die Schürkanäle im Fundzustand mit Steinen und Scherben verschlossen waren, könnte an eine Herrichtung zum reduzierenden Grafittonbrand gedacht werden. Von Interesse ist ein zweiter Ofenbefund in Form einer tiefen, stark verziegelten rechteckigen Lehmwanne, wie er im eigentlichen Siedlungsareal festgestellt werden konnte. Hier liegen zwei Deutungsmöglichkeiten vor. Einerseits könnte es sich um Darrgruben für Faserpflanzen, andererseits um Anlagen zum Grubenbrand von Keramik handeln.

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Zum momentanen Auswertungsstand kann aber keiner der beiden Möglichkeiten der Vorzug gegeben werden. Neben den genannten Sonderformen von pyrotechnischen Einrichtungen konnten einfache Kuppelöfen nachgewiesen werden. Dazu kommen diverse Grubenbefunde und auch wieder die beutelförmigen Speichergruben. In Bezug auf diese Silos ist der Befund interessant, dass offensichtlich Eicheln bevorratet wurden. Hier liegt die Möglichkeit einer Futtervorratshaltung für im Siedlungsgebiet gehaltene Mastschweine als Lebendfleischreserve während der Wintermonate nahe.

Ein frühmittelalterliches Hügelgräberfeld am „Glasberg“

Grabfunde des Frühmittelalters im Gemeindegebiet von Gars am Kamp sind – abgesehen von jenen, die im direkten Zusammenhang mit dem Zentrum auf dem „Schanzberg“ und in der „Hinteren“ Thunau stehen – sehr selten. Zu nennen sind Grabfunde aus Kotzendorf111, von wo zwei Töpfe im Depot des Zeitbrückemuseums Gars vorliegen, und möglicherweise aus Zitternberg.112 Der nächste gesicherte, in der weiteren Umgebung bekanntgewordene Bestattungsplatz liegt in der Flur „Haseneck“ nördlich von Maissau.113 Eine Deutung dieser „fehlenden“ ländlichen Bestattungsplätze ist schwierig. Aufgrund der intensiven Erforschung der Region seit dem 19. Jahrhundert ist eine Forschungslücke eher auszuschließen. Somit soll zum derzeitigen Auswertungsstand eine zentrale Bestattungstätigkeit der Bevölkerung des Umlandes im ausgedehnten Talgräberfeld zur Diskussion gestellt werden. Erst in neuester Zeit wurde ein mutmaßlich frühmittelalterliches Hügelgräberfeld im Wolfshoferamt entdeckt.114 Auch wenn dieses knapp nicht mehr auf dem Gebiet der Marktgemeinde Gars am Kamp liegt, soll hier aufgrund der aus mehrfacher Hinsicht interessanten Lage darauf eingegangen werden. Die nur noch flachen kleinen Hügel, die jenen von der „Schanze“ von Thunau am Kamp ähneln, liegen am westlichen Fuß des Glasberges auf einer Waldparzelle und bilden eine in Richtung Nordost-Südwest ausgerichtete Gruppe. Auf dem LIDAR-Scan des Landes Niederösterreich lassen sich etwa 23 Grabbauten deutlich erkennen, wobei noch zusätzlich mit verflachten und „zusammengewachsenen“ Hügeln gerechnet werden muss.

111) Hermann Maurer, Kotzendorf. In: Fundberichte aus Österreich 10, 1971 (Wien 1972) S. 101-102. 112) Gertrud Mossler, Frühgeschichtliche Funde von Zitternberg am Kamp. In: UH XVIII (1947) S. 130-132. 113) Marco Kultus, David Russ u. Oliver Schmitsberger, Erste Ergebnisse der Rettungsgrabungen auf der Trasse der Ortsumfahrung Maissau 2009: Die Flächen 1-Nord und 2 bis 6. In Fundberichte aus Österreich 48, 2009 (Wien 2010) S. 332. 114) Freundliche Mitteilung Franz Pieler (Krahuletzmuseum Eggenburg). Dazu: Wolfgang Breibert, Frühmittelalterliche Hügelgräber im Waldviertel. In: Franz Pieler (Hg.), Geschichte aus dem Boden. Archäologie im Waldviertel. Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Bd. 54 (Waidhofen an der Thaya 2013) S. 313.

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Obwohl eine frühmittelalterliche Zeitstellung des Bestattungsplatzes noch nicht als gesichert gelten kann, soll nun ein mögliches Szenario diskutiert werden. So liegt eine bekanntgewordene frühmittelalterliche Siedlungsstelle in der Flur „Unteres Garser Straßenfeld“, etwa 1,6 km nördlich des Hügelgräberfeldes.115 Am auffälligsten ist aber, dass sich auf der Hochfläche um St. Leonhard die nächsten größeren Granulitvorkommen im Nahbereich der befestigten Höhensiedlung von Thunau am Kamp finden.116 Gut möglich, dass das Baumaterial für die Blendmauern der umfangreichen Wallanlagen hier gebrochen wurde und nicht in den Granulitbrüchen entlang des Kamps. Somit würde sich die Transportstrecke für das Steinmaterial auf etwa 5-7 km verringern und es musste auch nicht bergauf transportiert werden. Möglicherweise sind also die Hügelgräber auf der „Schanze“ und jene am „Glasberg“ den Erbauern und „Steinbrechern“ der Befestigungsanlagen auf dem Schanzberg zuzusprechen.

Wege

Einen wesentlichen Punkt in der Bedeutung des frühmittelalterlichen Zentralortes von Thunau am Kamp bildet die Wegesituation, die bereits auf urgeschichtliche Verhältnisse zurückzuführen ist. Die vitale Linie bildet in erster Linie der Kamp, dem entlang man die Siedlungsgunstlage im Horner Becken erreichen konnte. Allerdings muss man berücksichtigen, dass unmittelbar links und rechts des Flusses bis noch ins 19. Jahrhundert kein durchgehender Verkehr möglich war, da zahlreiche Felsnadeln den Weg versperrten. Es musste somit über die Abhänge des Kamptales bzw. überhaupt über die Hochfläche ausgewichen werden. Ob der Fluss schiffbar war, ist mehr als fraglich. Ein deutliches Zeichen für die Nutzung als günstige Verkehrsroute zur Zeit der Markomannenkriege im 2. nachchristlichen Jahrhundert stellt das bereits zuvor vorgestellte römische Marschlager von Plank am Kamp dar. Erst wesentlich später wird ein Weg explizit genannt. Es handelt sich um die sogenannte superior via, die in der bereits genannten Schenkungsurkunde von 902/03 als Grenzmarke Erwähnung findet. Diese westlich des Kamps verlaufende Hochstraße wird im Bereich von Stiefern mit dem späteren „Eselsteig“ gleichgesetzt, der im Süden nach Schiltern und im Norden nach Tautendorf weiterführt.117 Vom heutigen Tautendorf wäre eine Verbindung auf der Hochfläche in Richtung Schanzberg denkbar, wo im 115) Maurer, Wolfshoferamt 1978 (wie Anm. 62) S. 387. Maurer, Wolfshoferamt 1979 (wie Anm. 62) S. 489. 116) Wolfgang Schnabel u.a., Geologie der österreichischen Bundesländer. Niederösterreich. Geologische Karte 1:200.000 mit Kurzerläuterung (Wien 2002) S. 45. 117) Helmut Hundsbichler, Die 902 oder 903 übergebenen Gebiete. In: Andere Zeiten. Jubiläumsbuch 1100 Jahre Stiefern (Stiefern

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2003) S. 90-91.

westlichen Vorfeld der Vorburg auf der „Schanze“ diverse Altwege deutlich werden, die der günstigsten Zugangsrichtung Rechnung tragen. Die Verbindung von der Hochfläche ins Kamptal sicherte ein Altweg, der heute als „Wurzelsteig“ bekannt ist. Bis ins 19. Jahrhundert scheint er als „Tautendorfer Weg“118 oder „Tautendorfer Fahrweg“ in den Schriftquellen auf und bildete vor dem Ausbau der heutigen Gföhlerstraße die „Hauptstraße“ nach Tautendorf. Eine weitere wichtige Verbindung ist von der Talsiedlung in der „Hinteren“ Thunau ins Hinterland des südöstlichen Horner Beckens zu suchen. Zu diesem Zweck wäre ein Kampübergang im Bereich der Firma Häusermann anzunehmen, der über den Taleinschnitt von Zitternberg weiterführte. Reste einer Furt konnten 2008 ergraben werden, allerdings ergab die dendrochronologische Datierung lediglich eine Zeitstellung um 1580. So weit zu den Wegen im unmittelbaren Umfeld des Zentralortes von Thunau am Kamp. In weiterer Folge ist aber eine Einbindung ins überregionale Verkehrsnetz denkbar, das seinen Ausgang am Unterlauf des Kamps bzw. im weitergefassten Kamptal nahm. Der Quelle Raffelstettener Zollordnung nach könnte hier der Ausgangspunkt im alten Markt- und Zollort Mautern liegen, wo auch die Möglichkeit eines Donauübertrittes beschrieben wird. Am nördlichen Donauufer liegt die Höhensiedlung von Stein an der Donau, die ebenfalls eine deutliche frühmittelalterliche Nutzung aufweist. Von hier aus könnte die Route entlang der Hochfläche des „Nortwalts“ und des Kamps mit der bereits genannten via superior nach Norden bis Thunau am Kamp führen, wo mit dem frühmittelalterlichen Zentralort ein weiterer Knotenpunkt vorliegt. In Thunau scheint sich die Strecke zu gabeln und einerseits nach Nordwesten und andererseits nach Nordosten weiterzuführen. So würde der besser fassbare östliche Streckenverlauf mit der Zwischenstation „Alteck“ bei Theras im Pulkautal nach Znaim weiterführen, wo auf dem Pöltenberg ein ausgedehnter Burgwall des Frühmittelalters bekannt ist.119 Die westliche Route könnte über die Zwischenstationen des Brandwalles bei Messern120 und die jüngst umfassend erforschte Burganlage des 10. Jahrhunderts auf der Flur „Sand“ bei Oberpfaffendorf121 weiter nach Südböhmen geführt haben.

118) Friesinger/Friesinger, Befestigungsanlagen (wie Anm. 75) S. 35. 119) Bohuslav Klíma, Die Anfänge und Entwicklung des grossmährischen Burgwalles Pöltenberg (Znojmo). In: Chronologische Fragen des 7. – 10. Jahrhunderts = Zalai Múzeum 3 (1991) S. 107-109. 120) Herbert Mitscha-Märheim, Eine karolingische Wallburg in Messern bei Horn. In: Unsere Heimat 21, Nr. 1-2 (Wien 1950) S. 12-15. 121) Sabine Felgenhauer-Schmiedt, Die Burganlage „Sand“ bei Raabs an der Thaya – ein Zentrum ohne Hinterland? In: Das wirtschaftliche Hinterland der frühmittelalterlichen Zentren = Internationale Tagungen in Mikulčice VI (Brno 2008) S. 335. Sabine Felgenhauer-Schmiedt, Die Burg auf der Flur „Sand“ bei Raabs an der Thaya, Niederösterreich – ein Zentralort, aber noch kein Zentrum? In: Jiří Macháček u. Šimon Ungerman (Hg.), Frühgeschichtliche Zentralorte in Mitteleuropa = Studien zur Archäologie Europas 14 (Bonn 2011) S. 556.

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K APITEL 2

FRÜHGESCHICHTE

Hinweise auf Verbindungen in Richtung Böhmen könnten hier neben dem Fundmaterial auch die Sitte der Bestattung unter Hügelgräbern geben, die in einer Region liegen, die als südböhmisch- österreichisches Hügelgräbergebiet zusammengefasst wird.122

Deutung und Ausblick

Zusammengefasst gelang es bisher mit den intensiven Forschungen im Bereich der frühmittelalterlichen Siedlungsagglomeration von Thunau am Kamp den größten Zentralort Österreichs außerhalb des Kernraumes des Karolinger- und Ottonenreiches zu entdecken. Sind die archäologischen Spuren zur Zeit seiner Existenz im 9. und 10. Jahrhundert n. Chr. überaus deutlich, so ergeben sich zur Frage seiner Bedeutung und seines Endes mehrere Probleme. In erster Linie wirft die Lage in einer derart peripheren Situation Fragen auf. Warum wurde hier ein einigermaßen bedeutender Zentralort errichtet? Eine Antwort könnte in der Lage an der zuvor beschriebenen wichtigen nach NordSüd ausgerichteten Verkehrsroute gefunden werden, die zugleich auch wieder Fragen aufwirft. Hatte die Siedlungsagglomeration eine Mittlerfunktion zwischen dem karolingischen Ostland und dem böhmisch-mährischen Raum inne? Kann hier überregionaler Handel vorausgesetzt werden? Wenn ja, womit? Warum kann der Zentralort in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts n. Chr. seine Stellung bewahren, einer Zeit, als Niederösterreich zu großen Teilen unter ungarischer Oberherrschaft steht? Zu diesen Fragen soll ein mögliches Szenario vorgestellt werden. Wenn Thunau am Kamp als Handelsknotenpunkt zu klassifizieren ist, hatte er wohl im 9. Jahrhundert starke Konkurrenz durch die günstigere Marchroute (ehem. Bernsteinstraße). Dennoch stellt er zu dieser Zeit einen einigermaßen günstigen Punkt auf dem Weg in Richtung Böhmen dar, worauf auch die zahlreichen Hügelgräberfelder im Waldviertel hinweisen könnten.123 Einen Aufschwung erlebten die Kamptalroute und ihre Fortsetzungen möglicherweise zum Beginn des 10. Jahrhunderts, als die Marchroute aufgrund der gestiegenen Ungarngefahr nicht mehr begangen werden konnte. Ein Schlaglicht auf diese Zeit wirft die bereits genannte „Raffelstettener Zollordnung“ von 902/03-907, in der die Möglichkeit eines Donauübertrittes bei Mautern erwähnt wird. Von hier aus konnte man Böhmen und Mähren ohne größere Probleme mit der Station Thunau am Kamp erreichen und mit den genannten, offensichtlich begehrten Waren Handel treiben.124

122) Michal Lutovský, Das frühmittelalterliche Hügelgräberfeld Kožlí bei Orlík, Bez. Písek (Südböhmen). In: Sastuma 6/7 (1997/1998) S. 255-256. 123) Auf mögliche Machtwechsel in den späteren Jahrzehnten des 9. Jahrhunderts n. Chr. könnten die enthaupteten, aber regulär beigesetzten Männer im Herrenhofgräberfeld aber auch im Friedhof im Tal hinweisen. Denkbar wäre ein Zusammenhang mit den Mährerkriegen oder der sogenannten „Wilhelminerfehde“. 124) Ein archäologischer Nachweis des Handels fällt hier schwer, da es sich bei allen in der „Raffelstettener Zollordnung“ genannten Waren um vergängliche bzw. nicht mehr belegbare Güter handelt (Salz, Wachs, Sklaven, Pferde etc.). Auch der Handel mit möglicherweise in der Talsiedlung hergestellten Textilien kann nicht mehr nachgewiesen werden. Einen geringen Beleg könnten

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lediglich Feinwaagbalken bieten, die in der Höhensiedlung gefunden wurden.

Der Zentralort hatte somit vielleicht eine ähnliche Funktion wie der erwähnte, aber noch nicht lokalisierte mercatus Marahorum (der Markt der Mährer oder für die Mährer). Wenn also der frühmittelalterliche Zentralort von Thunau am Kamp einen Handelsknotenpunkt des 9. und der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts n. Chr. darstellte, stellt sich gleichzeitig die Frage nach dem Ende einer offensichtlich lukrativen Position. Dazu wurden bisher zwei Szenarien diskutiert. Herbert Mitscha-Märheim und Herwig Friesinger zogen eine Notiz in den Altaicher Annalen zum Jahr 1041 heran, die besagt, dass Luitpold, der Sohn des Markgrafen Adalbert, eine Stadt (oder Burg) an der Grenze der Böhmischen Mark eroberte und zerstörte, die zuvor seinem Vater entrissen worden war.125 Gegen diese Möglichkeit sprechen zum derzeitigen Auswertungsstand die fehlenden Nachweise einer Nutzung der Höhen und der Talsiedlung in der fortgeschrittenen ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts n. Chr. Ein zweites Szenario führte Erik Szameit ins Rennen. Er sah in der großen Anzahl an rhombischen Blattpfeilspitzen die Spuren eines ungarischen Überfalls um die Mitte des 10. Jahrhunderts, was wesentlich besser mit dem spätesten Fundmaterial auf dem Schanzberg in Einklang zu bringen wäre.126 Allerdings fehlen hierzu deutliche Zerstörungshorizonte. Eine dritte Möglichkeit soll zum Abschluss zur Diskussion gestellt werden. Vorausgesetzt, der Zentralort von Thunau am Kamp hatte eine Funktion im überregionalen Handel zwischen Nord und Süd, wäre ein Bedeutungsverlust denkbar. So könnte der Fall eingetreten sein, dass nach der Schlacht am Lechfeld von 955 die Ungarngefahr so weit gebannt war, dass wieder günstigere Routen weiter östlich begangen werden konnten und der „Handelsknotenpunkt“ somit seine Existenzgrundlage weitgehend einbüßte. Dafür würde das Ende des Verwaltungszentrums auf dem Schanzberg in der beginnenden zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts n. Chr. sprechen, während die Talsiedlung in der „Hinteren“ Thunau noch eine Zeit lang ohne erkennbare herrschaftliche Struktur bis in die Zeit um 1.000 weiterexistierte. Schwierig zu fassen ist der Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter im Raum Gars. Zwar ist durch die wahrscheinliche Enddatierung der Talsiedlung an den Übergang zum 11. Jahrhundert die Lücke zwischen dem Ende des frühmittelalterlichen Zentralortes und der Errichtung der Babenbergerburg auf dem Schanzberg kleiner geworden, dennoch existiert sie. Problematisch erscheint hierbei die Datierung der Anfänge der Babenbergerherrschaft im Raum Gars, die möglicherweise schon früher begann als die angenommene Anfangsdatierung der Burg in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts.

125) Herbert Mitscha-Märheim, Karolinger- und ottonenzeitliche Burgen im Kampgebiet. In: Burgen und Schlösser in Österreich 4 (Wien 1968) S. 26. Friesinger/Friesinger, Befestigungsanlagen (wie Anm. 75) S. 60-61. 126) Szameit, Frühmittelalterlicher Burgwall (wie Anm. 79) S. 75.

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