Falko Daim, Diplomatische Geschenke in der Archäologie. In: Vasiliki Tsamakda, Benjamin Fourlas (Hrsg.), Wege nach Byzanz, Katalog der Ausstellung im Landesmuseum Mainz 2011, 75-77.
Redaktion: Benjamin Fourlas, Vasiliki Tsamakda, Evelyn Garvey Gestaltung: Fuhrer, Wien
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Inhaltsverzeichnis
Doris Ahnen Andrea Stockhammer
V. Tsamakda / B. Fourlas
10 Grußwort 11 Zum Geleit 12 Einleitung: Anliegen und Konzept der Ausstellung
Teil I: Essays 1. Byzanz – Hochkultur zwischen Orient und Okzident J. Pahlitzsch B. Fourlas
18 Byzanz – das Reich der Mitte 30 Das antike Erbe in der byzantinischen Kunst
2. Wege nach Byzanz I. Eichner J. Drauschke
42 Pilgerwege und Pilgerheiligtümer des Byzantinischen Reiches 56 Alle Wege führen nach Konstantinopel – Handel und Verkehr in Byzanz und jenseits der Reichsgrenzen 68 Diplomatische Kontakte
B. Krönung
68
Diplomatische Kontakte zwischen Byzanz und den muslimischen Arabern
F. Tinnefeld
71
Diplomatische Kontakte zwischen Byzanz und dem Westen
F. Daim
75
Diplomatische Geschenke in der Archäologie
R.-J. Lilie V. Tsamakda G. Prinzing
8
78 Byzanz und die Kreuzzüge 88 Kunstimport aus Byzanz 100 Begegnungen der mittelalterlichen Stadt Mainz und ihrer Region mit Byzanz, Byzantinern und byzantinischer Kultur
3. Das Byzanzbild in Westeuropa und die Anfänge der wissenschaftlichen Erforschung der byzantinischen Kultur J.-M. Spieser Ch. Ottersbach
U. Koenen U. Peschlow G. Prinzing / U. Peschlow
112 Das Byzanzbild in der Zeit der Aufklärung 122 Geheiligtes Königtum: Neubyzantinismus als Mittel zur monarchischen Repräsentation im 19. Jh. 136 Frühe Sammlungen byzantinischer Kunstwerke 144 Byzantinische Archäologie: der erste Zugang zu den Denkmälern 154 Die Wege der Wissenschaft: die byzantinischen Studien als akademische Disziplin an deutschen Universitäten
4. Die heutige Byzanzforschung: Fragestellungen und Methoden W. Brandes
164 Historisch-philologische Methoden und neue Möglichkeiten der heutigen Byzanzforschung
R. Warland
172 Die Byzanzforschung der Gegenwart: materielle Quellen, Methoden, Fragestellungen
F. Daim
178 Zugänge und Methoden der Frühgeschichtsforschung: neue Wege nach Byzanz? 184 Byzanz in Mainz: Wissenschaft mit Tradition
J. Pahlitzsch
184
Byzantinistik
V. Tsamakda
185
Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte
J. Drauschke
186
Byzanzforschungen am Römisch-Germanischen Zentralmuseum
F. Daim
188
WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident
190 Teil II: Katalog
338 Bibliographie 354 Abbildungsnachweis
9
Diplomatische Geschenke in der Archäologie Falko Daim
I
m Kontakt zwischen Menschen spielen Geschenke eine große Rolle. Beim Schenken hat man allerdings gesellschaftliche Spielregeln zu beachten, anderenfalls man den Beschenkten beschämt oder kränkt. Die Prinzipien, nach denen sich eine Gabe zu richten hat, beschrieb Marcel Mauss in einem berühmten und immer wieder zitierten vergleichend kulturwissenschaftlichen Essay. Kompliziert kann es werden, wenn sich Menschen treffen, die aus Kulturkreisen kommen, in denen unterschiedliche Regeln zum Geschenkaustausch herrschen. Das falsche Geschenk kann genau das Gegenteil bewirken als intendiert. Wie Geschenkdiplomatie funktioniert, kann man am Byzantinischen Reich bestens studieren, zu dem wir eine Reihe von einschlägigen schriftlichen Quellen haben, v. a. aber auch viele Gegenstände, die einst nachweislich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit als Geschenke gedient haben. Im diplomatischen Verkehr macht man Geschenke kaum jemals aus reiner Menschenliebe, sondern um politische Ziele zu erreichen. Bei den Byzantinern geht es zumeist um den Schutz der Grenzen, also um Bündnispartner zu gewinnen oder potentielle Feinde von Angriff oder Plünderungen abzuhalten. Im ersten Fall versucht man, den „besonderen Fremden“, also den Machthaber eines fremden Stammes oder Reiches, in das Weichbild der byzantinischen Hierarchie einzugliedern. Der zweite Fall ist etwas „haariger“, denn um eine Kriegerschar von einem Überfall abzuhalten, muss das „Geschenk“ ausreichend groß sein. Der aggressive Kriegsherr wird dann damit prahlen, er hätte den byzantinischen Kaiser tributpflichtig gemacht. Es geht dabei um durchaus erhebliche Summen: Um sie ruhig zu stellen, bekamen die Awaren vor 626 beispielsweise bis zu 200.000 Solidi, also fast eine Tonne Gold. In den Schriftquellen werden sehr verschiedenartige Geschenke erwähnt, die aus dem Byzantinischen Reich – freiwillig oder unter Druck – an fremde „Archonten“ (Machthaber) gelangten. Abgesehen von Goldstücken lesen wir u. a. von Seidenkleidern und -stoffen (z. B. Kat. Nr. II.3.5), Waffen, Silberschalen, Juwelen, Gewürzen, einem Elefant (Ende 6. / Anfang 7. Jh.), von Elfenbeintüren (9. Jh.), Handschriften (9. und 12. Jh.), Gürteln und purpurgefärbten Schuhen (10. Jh.). Sehr begehrt waren im Westen natürlich auch Reliquien. Bisweilen gab Byzanz benachbarten Herrschern massive materielle Unterstützungen, um diese politisch zu stabilisieren. So rüstete Konstantinopel den persischen König Chosrau I. (531–578) mit einem edelsteinbesetzten Gürtel, einer königlichen Tiara und anderen Repräsentationsobjekten aus und stellte ihm sogar eine Leibgarde. Bezeichnenderweise half Byzanz u. a. auch bei der Ausschmückung der Moscheen von Mekka, Medina, Damaskus und Granada mit prächtigen Mosaiken. Allerdings würde man diese großzügigen Gesten, ebenso wenig wie die Stellung einer Leibgarde, nicht als diplomatische Geschenke im engeren Sinn bezeichnen.
2. WEGE NACH BYZANZ
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In letzter Zeit ist es in Mode gekommen, außergewöhnliche archäologische Funde als diplomatische Geschenke zu interpretieren. Als letztgültiger Beweis dafür können jedoch nur entsprechende Inschriften gelten, wie sie allerdings nur ausnahmsweise vorkommen. So liest man auf einem gewebten Seidenband, das in Moščevaja Balka im Nordkaukasus gefunden worden ist und höchstwahrscheinlich zu einem wertvollen Gewand gehörte: „Sei gegrüßt, ruhmreicher Protospatharios, Herr Ivanes! Möge es Dir wohlergehen, möge Jugend [Dich] erstrahlen lassen…“. Wir haben hier vermutlich das seltene Zeugnis eines typischen Vorgangs der byzantinischen Außenpolitik vor uns: Oft bemühte man sich, fremde Machthaber in die Reichshierarchie einzubinden. Dazu verlieh man ihnen Titel und passende seidene Amtskleider, dazu jährliche Geldzahlungen. Akzeptierte ein Adressat das „Geschenk“, unterwarf er sich dadurch nach byzantinischer Lesart zugleich dem Kaiser. Es sind Fälle bezeugt, in denen der Adressat das „Geschenk“ ablehnte. Wertvolle Gegenstände, die byzantinisch anmuten und in fremdem Kontext gefunden worden sind, z. B. im Awarenland, können freilich auch auf dem Markt von Konstantinopel gekauft oder erbeutet worden sein. Eine besondere Gruppe von Fundgegenständen sind in exzellenter Qualität gearbeitet worden, allerdings schwerer und auffälliger, als man sie in Byzanz getragen hätte. Dies gilt beispielsweise für den herrlichen Schmuck und die Waffen von Glodosy in der Ukraine. Bei der Herstellung hat man offenbar die Vorliebe der Steppenleute für schwere Goldgegenstände, über die sich byzantinische Autoren lustig gemacht haben, einkalkuliert. Theoretisch wäre es natürlich auch möglich, dass ein byzantinischer Goldschmied die übertrieben großen und schweren Prunkstücke vor Ort für einen chasarischen(?) Fürsten hergestellt hat – wahrscheinlicher ist jedoch, dass man der Prunksucht der „Barbaren“ in Konstantinopel Rechnung getragen hat. Freilich ist der Nachweis, dass ein Gegenstand – z. B. ein prächtig verzierter Gürtel – durch eine Gesandtschaft als Geschenk überreicht worden war, im Einzelnen schwer zu erbringen. Die Indiziensuche beginnt mit der genauen Analyse des archäologischen Gesamtbestandes einer Region. Unterscheidet sich der verdächtige Gürtel von den dort allgemein üblichen in Form und Verzierung? Ist er in einer anderen Herstellungstechnik gefertigt? Ist die verwendete Legierung anders als dort gewohnt? Einen derartigen Fall haben wir in der Gürtelgarnitur von Hohenberg (Steiermark) vor uns (Kat. Nr. II.3.2). Sie ist ganz anders produziert als die bisher in großer Zahl bekannten awarischen Gürtelbeschläge des 8. Jhs., nämlich aus dem eher billigen Messing (die Awaren verwendeten diese Kupfer-Zink-Legierung offenbar nicht), aber extrem aufwändig und fein. Allein die Hauptriemenzunge, die am Ende des Gürtels befestigt war, besteht aus 80 Einzelteilen, die miteinander verlötet worden waren. Bei den Awaren wurde das verwendete Material höher bewertet als technische Raffinessen, bei den Byzantinern war es umgekehrt. Wenn also die Gürtelgarnitur in ihrer archäologischen Umgebung als „fremd“ erkannt worden ist, erhebt sich die Frage, wie sie an den Auffindungsort gekommen sein könnte. Kam sie als Raubgut, Handelsware oder als Geschenk? Auch wenn
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2. WEGE NACH BYZANZ
dies niemals mit letzter Sicherheit bewiesen werden kann, wissen wir doch aus schriftlichen Nachrichten des 10. Jhs., dass Gürtel neben anderen Gegenständen beliebte Geschenke „für ausgewählte Fremde“ waren, die man bei diplomatischen Missionen in ausreichender Anzahl mitzuführen hatte. Dies stützt eine entsprechende Deutung des Fundes. Wie seidene Gewänder und prächtige Schwerter waren auch Gürtel symbolträchtige Bestandteile der byzantinischen Amtskleidung – als Geschenk somit bestens geeignet. Es gibt nur zwei dem Byzantinischen Reich benachbarte Regionen, deren archäologische Hinterlassenschaften systematisch nach frühbyzantinischem Import untersucht worden sind: das heutige Süddeutschland (Drauschke 2011) und das Karpatenbecken (z. B. Garam 2001). V. a. in der Studie Jörg Drauschkes zeigen sich die vielfältigen ökonomischen Beziehungen zwischen dem Byzantinischen Reich und dem heutigen Süddeutschland, wohl über eine oder mehrere Zwischenstationen, vielleicht in Italien oder an der französischen Küste. Was wurde in welcher Zeit nachgefragt und geliefert? Meistens handelte es sich um Edelsteine und Perlen, Kaurischnecken, Elfenbein und Geschirr aus Buntmetall. Woher kamen die Waren, und wer konnte sie sich leisten? Die Endverbraucher gehörten tatsächlich ganz unterschiedlichen Bevölkerungsschichten an. Bei entsprechend sorgfältiger Analyse lassen sich die zahllosen archäologischen Funde lesen wie ein Buch – und durch Ausgrabungen fast beliebig vermehren. Wohl nur wenige diplomatische Geschenke befinden sich unter den in Süddeutschland gefundenen Grabfunden. Die Goldmünzen des Justinian I. und Maurikios könnten einst an die Franken gezahlt worden sein; lediglich die seltenen vergoldeten Spangenhelme (vgl. Kat.-Nr. III.3.2) und mit Goldblech verzierten Schwerter stehen im Verdacht, einst an lokale Fürsten geschenkt worden zu sein. Die Helme sind übrigens Gegenstand eines interdisziplinären Forschungsprojekts, das zur Zeit am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz läuft. Archäologische Funde sind genauso wie Schriftquellen Ergebnisse menschlicher Handlungen, und diese sind stets von kulturellen Regeln und individuellen Entscheidungen bestimmt. Im Fall des Kulturaustausches zwischen Byzanz und seinen Nachbarn und der diplomatischen Geschenke im Besonderen ergänzen sich die schriftlichen Nachrichten und die archäologischen Funde in erfreulicher Weise. Die von byzantinischen Autoren geschilderten Fälle geben Einblicke in die politische Theorie und Praxis, und die Archäologie liefert zum Lebensbild den Hintergrund und zahlreiche Details aus dem Leben der breiten Bevölkerung. Aus der Masse der materiellen Hinterlassenschaft heben sich dann besondere Gegenstände ab, für die historische Erklärungen gesucht werden müssen. Diplomatische Geschenke fallen in diese Kategorie.
Literatur Mauss 1950 (deutsche Ausgabe 1968); Shepard / Franklin 1992; Daim 2000; Garam 2001; Schreiner 2004; Cutler 2005; Tinnefeld 2005; Drauschke 2011; Grünbart 2011. – Zum Fund von Glodosy: Kat. Bonn 2010, 316 f.
2. WEGE NACH BYZANZ
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