SUCHT, 58 (4), 2012, 269 – 276
Originalarbeit
Evaluation der psychosozialen Betreuung Opiatabhängiger in Substitutionsbehandlung C. Dennis Boywitt1, Christian Zwingmann2,3, Regina Behrendt4 und Heiko Schneitler4 1
Lehrstuhl für Psychologie II, Universität Mannheim Evangelische Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum 3 Prognos AG, Düsseldorf 4 Gesundheitsamt Düsseldorf
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Zusammenfassung: Fragestellung: Ziel dieser Arbeit war es, die Wirksamkeit der psychosozialen Betreuung (PSB) von Klienten in Substitutionsbehandlung anhand verschiedener Kriterien wie psychosoziale Belastung, individuelle Zielerreichung und Beikonsum zu untersuchen. Methodik: Zu diesem Zweck wurde eine Stichprobe von Klienten, die zu diesem Zeitpunkt in psychosozialer Betreuung war, zu zwei Zeitpunkten befragt. Der Abstand zwischen den beiden Befragungen betrug etwa zwçlf Monate, um kurz- bis mittelfristige Entwicklungen im Rahmen der PSB abbilden zu kçnnen. Ergebnisse: Auf der zentralen Variablen der psychosozialen Belastung zeigen sich im Rahmen der PSB deutlich positive Entwicklungen. Auch das Ausmaß der individuellen Zielerreichung ist positiv. Weiterhin zeigt sich eine deutliche bereinstimmung zwischen Klienten und Betreuern in der Einschtzung der Lage der Klienten und deren Entwicklung. Allerdings lsst sich praktisch keine Vernderung im Bereich des Beikonsums feststellen. Schlussfolgerungen: Die psychosoziale Betreuung stabilisiert die psychosoziale Situation der Klienten und ist damit ein gnstiger Bestandteil im Hilfesystem der Substitutionsbehandlung opiatabhngiger Patienten. Schlsselwçrter: Evaluation, psychosoziale Betreuung, Substitutionsbehandlung
Evaluation of a Psychosocial Counseling Program for Clients in Substitution Treatment Abstract: Aims: Aim of the present research was to evaluate the effectiveness of a psychosocial counseling program for patients in substitution maintenance treatment. Criteria for effectiveness were psychosocial well-being, individual goal attainment, and drug abuse behavior. Method: For that purpose, a sample of clients who were in the program at the time was assessed at two points of time. The two assessment waves were separated timewise by twelve months in order to detect short-term to medium-term effects of the counseling program. Results: The central variable psychosocial well-being shows pronounced positive developments. Furthermore, the degree of individual goal attainment is overall positive. In addition, clients and counselors show high levels of agreement in their assessment of the clients situation. However, drug abuse behavior shows no positive development. Conclusion: The psychosocial counseling program seems to stabilize the clients psychosocial situation and is thus an essential component of substitution treatment. Keywords: impact evaluation, psychosocial counseling, substitution treatment
Einführung In Deutschland leben derzeit schtzungsweise 120 000 bis 150 000 Opiatabhngige (Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 2005). Die Substitutionsbehandlung dieser Personen mit opioiden Arzneimitteln ist in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen zulssig und seit langem etablierter Bestandteil der suchtmedizinischen VersorDOI: 10.1024/0939-5911.a000195
gung. Durch die Substitutionstherapie soll schrittweise unter medizinischer Betreuung eine Betubungsmittelabstinenz hergestellt werden (Bundesrztekammer, 2002). Nach der Betubungsmittel-Verschreibungsverordnung (§ 5 BtMVV) sind psychiatrische, psychotherapeutische oder psychosoziale Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen in die Substitutionsbehandlung mit einzubeziehen. Typischerweise wird eine psychosoziale Betreuung (PSB) SUCHT 58 (4) 2012 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
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in den çrtlichen Drogenberatungsstellen durchgefhrt. Die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Untersuchung sollte die psychosoziale Betreuung Opiatabhngiger in Dsseldorf evaluieren, wo die PSB in vier Beratungsstellen angeboten wird. Bisherige Untersuchungen haben mehrheitlich die Effektivitt der medikamentengesttzten Substitution Opiatabhngiger allein (fr berblicksarbeiten siehe Amato et al., 2005; Connock et al., 2007) oder in Kombination mit begleitender PSB positiv evaluiert (z. B. Ahrens, Dehde, Schmidt & Gntert, 2003; McLellan et al., 1998). Fr den deutschsprachigen Raum fasst die COBRA-Studie (Wittchen et al., 2004) in umfassender Weise den Stellenwert der Substitutionsbehandlung zusammen. Allerdings liegen kaum Studien vor, die es erlauben, den Anteil der PSB am Behandlungserfolg der Substitutionstherapie einzuschtzen. Eine Ausnahme bildet die Studie von Kuhn et al. (2007), in welcher ein psychoedukatives Gruppenprogramm mit motivierender Gesprchsfhrung als psychosoziale Behandlungskomponente der Suchttherapie hinsichtlich ihrer Wirksamkeit untersucht wurde. Zwar wurde auch hier aus ethischen Grnden keine Kontrollgruppe ohne psychosoziale Betreuung realisiert. Da aber die Teilnahme an der PSB freiwillig war, konnten PSB-Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer bezglich ihres Behandlungserfolgs verglichen werden. Dabei zeigte sich, dass PSB-Teilnehmer ihren Gesundheitszustand strker verbessern als NichtTeilnehmer (Kuhn et al., 2007). Aufgrund des quasi-experimentellen Charakters dieses Vergleichs sind kausale Schlussfolgerungen bezglich der Wirksamkeit der PSB jedoch nicht ohne Vorbehalte. In Dsseldorf wurden zur Zeit der Evaluation etwa 680 Personen in Substitutionsbehandlung psychosozial betreut. Zwar handelt es sich bei der PSB um einen zentralen Bestandteil der Suchttherapie, jedoch gibt es bisher kein einheitliches Konzept, was unter PSB zu verstehen ist (Gerlach, 2003; Schmid & Vogt, 1998). Bei den Betreuungskonzepten der vier Stellen, die in Dsseldorf PSB anbieten, ist das regelmßige Einzelgesprch mit einem konstanten (Bezugs-)Betreuer die vorrangige Interventions- bzw. Betreuungsform. blicherweise findet das Einzelgesprch etwa einmal wçchentlich statt. Zustzlich werden von allen Einrichtungen verschiedene Gruppengesprche angeboten, die bei Bedarf besucht werden kçnnen. In den Einzelgesprchen steht – vor allem am Anfang der Betreuung – die Bewltigung praktischer Lebensprobleme im Vordergrund. Meist wird zuerst die Wohnsituation des Klienten geprft. Bei Bedarf werden die erforderlichen mter (teils gemeinsam mit dem Klienten) besucht, um alle fr einen festen Wohnsitz erforderlichen Prozesse in die Wege zu leiten. Außerdem werden Fragen zur legalen Einkommenssicherung geklrt (z. B. Hartz IV, Wohngeld etc.). Weitere Begleitmaßnahmen umfassen Hilfen bei der Integration in das soziale und familire Umfeld, die Entwicklung einer beruflichen Perspektive, die Wiederherstellung bzw. Strkung der Handlungskompetenz, konkrete Hilfen zum Ausstieg aus der Drogenszene, Anleitungen zur Tagesstrukturierung und Untersttzung bei rechtlichen SUCHT 58 (4) 2012 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
Problemen. Darber hinaus werden zustzliche Gesprchsgruppen angeboten. Allen Betreuungskonzepten gemeinsam sind die Ziele einer schrittweisen Wiederherstellung der Betubungsmittelabstinenz, einer Verbesserung bzw. Stabilisierung des psychischen Gesundheitszustands sowie eine Resozialisierung bzw. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Außerdem ist die Reduktion des Beikonsums, also des Rauschmittelkonsums neben der Substitution, von großer Bedeutung. Falls whrend der Therapie Beikonsum festgestellt wird, kann dies bei allen PSB-Stellen ein Grund sein, den Klienten aus der Betreuung und Substitutionsbehandlung auszuschließen. Die bergreifende Fragestellung der Evaluation der PSB in Dsseldorf war demnach, inwieweit die Ziele dieses Angebots erreicht werden. Zustzlich sollte untersucht werden, in welchem Ausmaß die Klienten ihre persçnlichen Ziele, die sie sich im Rahmen der PSB gesetzt haben, auch tatschlich verwirklichen. Weiterhin wurde angestrebt, die Einschtzung der verschiedenen Erfolgsdimensionen sowohl aus Sicht der Klienten selbst als auch aus Sicht der Betreuer zu erfassen. Diese Herangehensweise soll zum einen Ergebnisverzerrungen durch einseitige Betrachtung vorbeugen. Gerade bei der Befragung sozial benachteiligter Populationen ist die Validitt von Selbsteinschtzungen kritisiert worden (z. B. Calsyn, Morse, Klinkenberg & Trusty, 1997; Langenbucher & Merrill, 2001). Zum anderen kann auf diese Weise das Ausmaß der bereinstimmung zwischen den Perspektiven der Klienten und Betreuer erfasst werden. Das Erreichen einer gemeinsamen Sichtweise auf die Problemlage des Klienten wird im Rahmen der PSB als wichtiger Beratungsfortschritt angesehen.
Methodik Design Um der zentralen Frage nach der Wirksamkeit der PSB nachgehen zu kçnnen, wurde ein Eingruppen-Messwiederholungsdesign gewhlt. Dabei wurde eine Gruppe von Klienten zu zwei Messzeitpunkten im Abstand von etwa einem Jahr im Verlauf der Intervention untersucht, um die Vernderungen, die durch die Intervention bewirkt werden sollen, abzubilden. Die Frage, ob die Intervention zu einer positiveren Entwicklung fhrt als keine Intervention, kann mit diesem Design natrlich nicht abschließend beantwortet werden. Hierfr wre vielmehr ein Vergleich mit einer Kontrollgruppe, welche die Intervention nicht erhalten hat, notwendig. Dieser methodische Anspruch kann in der Praxis allerdings nicht erfllt werden, da gerade bei der Evaluation der Wirksamkeit der PSB diesem Vorgehen neben erheblichen praktischen Problemen rechtliche und ethische Bedenken entgegen stehen (s. auch Kuhn et al., 2007). Daher musste ein Design gewhlt werden, das diese Probleme vermeidet und gleichzeitig fundierte Aussagen ber die Entwicklung der Zieldimensionen im Rahmen der PSB erlaubt. Dieses Ziel ist durch
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das hier gewhlte prospektive Eingruppen-Messwiederholungsdesign, welches im Folgenden nher dargestellt wird, erreichbar. Um die Entwicklung der Zieldimensionen abbilden zu kçnnen, wurden zwei Messzeitpunkte umgesetzt: T1 zu Beginn der Evaluation und T2 etwa ein Jahr nach Beginn der Evaluation. Auf diese Weise kçnnen kurz- bzw. mittelfristige Vernderungen auf den Zieldimensionen festgestellt werden, die fundierte Aussagen ber die Entwicklung im Rahmen der PSB erlauben. Sowohl die Klienten als auch die Betreuer wurden zu Beginn (T1) und am Ende (T2) der Evaluation bezglich verschiedener Aspekte der Ergebnisqualitt befragt. Es handelt sich bei dem gewhlten Design aber nicht um ein klassisches Vorher-Nachher-Design, bei dem die Klienten vor und nach einer Intervention befragt werden. Da es sich bei der PSB um eine langfristig, oftmals mehrere Jahre andauernde Betreuung handelt, finden regulre Beendigungen der Betreuung nicht hufig genug statt, um eine gengend große Klientenstichprobe zu erhalten. Ein erheblicher Teil der Stichprobe musste daher aus den aktuell in Betreuung befindlichen Klienten rekrutiert werden. Dabei kann sich die Dauer der PSB vor T1 zwischen den Klienten betrchtlich unterscheiden. Um diesem Faktor in der Evaluation Rechnung zu tragen, wurde die Betreuungsdauer vor T1 miterfasst und in der Datenauswertung bercksichtigt.
Instrumente Zur Erfassung der Effektivitt der PSB wurden standardisierte Fragebçgen entwickelt, mit denen die Klienten und die PSB-Betreuer schriftlich befragt wurden. Zur Erhçhung der Validitt der Ergebnisse wurden sowohl Klienten als auch Betreuer befragt, d. h. es wurde eine Kombination aus Selbst- und Fremdbeurteilung gewhlt. Die daraus resultierende Datenbasis erlaubt im Anschluss weiterfhrende Betrachtungen bezglich der bereinstimmung von Klienten und Betreuern hinsichtlich der Einschtzung verschiedener Ergebnisdimensionen. Jeder Klient, der in die Evaluation der PSB aufgenommen wurde, wurde deshalb sowohl selbst per Fragebogen befragt als auch durch seinen persçnlichen Betreuer beurteilt. Zu T1 wurden bei den Klienten zunchst verschiedene soziodemografische Variablen erhoben. Um die Ergebnisqualitt abzubilden, wurden dann – neben einigen weiteren Fragebogenteilen – vor allem die Bereiche psychosoziale Belastung, individuelle Zielerreichung und Beikonsum erfasst. Die psychosoziale Belastung wurde durch eine Skala mit 7 Items zu typischen Belastungen im alltglichen Leben erfragt (Cronbachs a = .79; Beispielitems: „Wie belastend empfinden Sie Ihre finanzielle Situation?“, „Wie gut kommen Sie im Alltag zurecht?“, „Wie gut gelingt es Ihnen, Ihren Tagesablauf zu organisieren?“). Um das Ausmaß der individuellen Zielerreichung im Rahmen der PSB zu operationalisieren, wurde die Technik
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des Goal Attainment Scaling (Kiresuk & Sherman, 1968) an die Anforderungen der Evaluation angepasst. In der ursprnglichen Konzeption des Goal Attainment Scaling werden fr jedes Ziel konkrete Verhaltensweisen spezifiziert, die als Indikator fr die Zielerreichung dienen. Nach der Intervention werden diese Verhaltensweisen erfasst und numerisch kodiert (von -2: „Verschlechterung“ bis + 2: „ber die Erwartung verbessert“). Da diese Anwendung des Goal Attainment Scaling ein erhebliches Training der Betreuer erfordert und einen deutlichen Ressourcenaufwand bedeutet htte, wurde die Prozedur folgendermaßen modifiziert: Zu T1 sollten sowohl Klienten als auch Betreuer unabhngig voneinander fr 10 verschiedene vorgegebene Ziele (Beispiele: „Verbesserung der Wohnsituation“; „eine Arbeitsstelle finden“; „einen drogenfreien Freundes- und Bekanntenkreis finden“) deren individuelle Relevanz fr sich bzw. fr den Klienten in den nchsten 12 Monaten einschtzen. Zu T2 schtzten dann Klienten und Betreuer wiederum unabhngig voneinander ein, inwieweit der Klient Verbesserungen ( + 2, + 1) bei den verschiedenen Zielen erreicht oder Verschlechterungen (-2, -1) erfahren hat (0 = keine Vernderung). Aus diesen Daten wurden dann nach der herkçmmlichen Formel (Kiresuk & Sherman, 1968) pro Klient zwei standardisierte Zielerreichungswerte (eine klientenseitige Einschtzung und eine betreuerseitige Einschtzung) in Form von T-Werten berechnet. Dieses Vorgehen bietet mehrere Vorteile gegenber der herkçmmlichen Prozedur: Zunchst ist sie mit weniger Schulungsaufwand verbunden und kann auch bei nur klientenseitiger Einschtzung eingesetzt werden. Die gleichzeitige und unabhngige Erfassung der wahrgenommenen Zielerreichung bei den Klienten und den Betreuern bietet darber hinaus die Mçglichkeit, die Sichtweisen von Klienten und Betreuern zu vergleichen. Um das Ausmaß des Beikonsums zu erfassen, wurden die Klienten jeweils zu T1 und T2 zu ihrem Konsum von Opiaten, Alkohol, Cannabis, Schlafmitteln und Aufputschmitteln befragt. Diesen Fragen war eine Filterfrage vorgestellt, die erkundete, ob die Klienten berhaupt bereit sind, diesen sensiblen Themenbereich ehrlich zu beantworten. Hinsichtlich des Beikonsums wurden dann nur solche Fragebçgen ausgewertet, auf denen die Klienten zu beiden Zeitpunkten angegeben hatten, diese Fragen ehrlich beantworten zu wollen (92 % der Gesamtstichprobe). Der Klientenfragebogen zu T2 ist weitgehend parallel zu dem T1-Fragebogen, um eine Entwicklung der Zieldimensionen abbilden zu kçnnen. Bei den Fragebçgen fr die Betreuer handelt es sich wiederum um weitgehend parallele Versionen zu den Fragebçgen fr die Klienten, in denen fr jeden in die Evaluation aufgenommenen Klienten Fremdeinschtzungen des zugeordneten Betreuers abgefragt wurden. Die Fragebçgen T1 und T2 fr die Betreuer sind demnach bezglich der Dimension Ergebnisqualitt analog zu den Fragebçgen fr die Klienten, um so die Einschtzungen zwischen Klienten und Betreuern vergleichen zu kçnnen.
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Durchführung Zu Beginn der Evaluation (T1) sollten fr einen Zeitraum von etwa 4 Monaten alle Neuanfnger in der Betreuung und die entsprechenden Betreuer jeweils einen T1-Fragebogen unter anonymisierten Bedingungen ausfllen. Zustzlich wurde in diesem Zeitraum ein vorgegebener Anteil der aktuell in Betreuung befindlichen Klienten und deren Betreuer befragt, da die Anzahl der Neuanfnger relativ gering war und eine Beschrnkung der Stichprobe auf die Neuanfnger zu einem sehr kleinen N gefhrt htte. Etwa 12 Monate nach Beginn der Evaluation wurde – ebenfalls fr einen Zeitraum von etwa 4 Monaten – die abschließende zweite Befragung der zu T1 befragten Klienten und Betreuer gestartet. Im bestmçglichen Fall sollten demnach fr jeden Klienten in der Evaluation vier Fragebçgen vorliegen: je eine Selbsteinschtzung des Klienten zu T1 und zu T2 sowie je eine Fremdeinschtzung des Betreuers dieses Klienten zu T1 und zu T2.
Stichprobe Zum Zeitpunkt T1 lagen fr 215 Klienten, die aktuell die PSB in Anspruch nahmen, sowohl klienten- als auch betreuerseitige Einschtzungen vor. Zum Zeitpunkt T2 konnten noch von 101 Klienten der ursprnglichen Stichprobe sowohl klienten- als auch betreuerseitige Einschtzungen erfasst werden. Die 101 Klienten mit vollstndigen T1- und T2-Daten sind – gemß ihren Angaben zu T1 – durchschnittlich 39 Jahre alt (zwischen 19 und 63, SD = 8) und berwiegend mnnlich (81 %). Einen Migrationshintergrund geben 18 % an. In einer festen Partnerschaft leben 44 %, 16 % haben Kinder zu versorgen. ber ein laufendes Strafverfahren berichten 14 %. Das Einstiegsalter fr Heroin betrgt durchschnittlich 21 Jahre (zwischen 12 und 45, SD = 5,6), die Dauer der PSB-Teilnahme durchschnittlich 21 Monate (zwischen < 1 und 144; SD = 26). Lediglich 84 % verfgen ber einen Schulabschluss (39 % Hauptschule, 28 % Realschule, 15 % Abitur, 4 % anderen). Die meisten Teilnehmer der Stichprobe (69 %) beziehen den grçßten Teil ihres Einkommens aus ALG II/Grundsicherung. Das durchschnittliche Einkommen betrgt 534 E (zwischen 60 und 3.500, SD = 457). Klienten, die zu T2 nicht mehr an der PSB teilnahmen, wurden als Abbrecher klassifiziert, wenn sie von ihrem Betreuer nicht mehr erreicht werden konnten, aus der PSB ausgeschlossen worden waren, ohne weiterlaufende PSB inhaftiert waren oder whrend der Studie in eine andere Stadt umgezogen waren. Dies traf auf insgesamt 53 Klienten zu. Teilnehmer, welche zu T2 die PSB regulr oder durch strukturierte bergabe in eine andere Behandlung beendet hatten, verstorben waren oder mit weiterlaufender PSB inhaftiert waren, wurden nicht als Abbrecher klassifiziert. Dies traf auf weitere 18 Klienten zu. Fr die restlichen 43 Klienten war unklar, warum sie zu T2 nicht geantwortet hatten, weil die entsprechende Frage im T2-Betreuerbogen nicht ausgefllt worden war. Insgesamt ergibt sich daraus fr den SUCHT 58 (4) 2012 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
Zeitraum von etwa 12 Monaten eine Abbruchquote von 53/ (101 + 53 + 18) * 100 = 31 %, welche in etwa mit anderen Studien vergleichbar ist (z. B. Kuhn et al., 2007).
Ergebnisse Psychosoziale Belastung Um zu berprfen, ob sich die psychosoziale Belastung zwischen T1 und T2 signifikant verndert hat, wurde eine zweifaktorielle Messwiederholungs-ANCOVA mit den Faktoren Messzeitpunkt (T1 vs. T2) und Beurteiler (Klient vs. Betreuer) gerechnet. Als Kovariate wurde die Dauer der PSB vor T1 (in Monaten) aufgenommen, um dafr zu korrigieren, dass sich Klienten, die schon lange vor T1 in Betreuung waren, mçglicherweise weniger stark entwickeln werden als Klienten, die vor T1 nicht oder nur kurz in Betreuung waren. Die Analyse ergab einen signifikanten Effekt des Messzeitpunkts, F(1, 96) = 4,55, MSE = 0,30, p = 0,035, gp2 = 0,05, insofern, dass die psychosoziale Belastung von T1 zu T2 signifikant sinkt. Nach blichen Konventionen (Cohen, 1988) handelt es sich hierbei um einen kleinen bis mittleren Effekt. Der Haupteffekt des Faktors „Beurteiler“ wurde nicht signifikant, F(1, 96) = 1,27, MSE = 0,22, p = 0,26, gp2 = 0,01. Dies bedeutet, dass sich Klienten und Betreuer in ihrer allgemeinen Einschtzung der psychosozialen Belastung nicht unterscheiden. Weiterhin wurde auch die Wechselwirkung nicht signifikant, F (1, 96) < 1, was bedeutet, dass sich Klienten und Betreuer auch nicht hinsichtlich ihrer Wahrnehmung der Vernderung zwischen T1 und T2 unterscheiden. Sowohl Klienten als auch Betreuer sehen also die gleiche positive Entwicklung zwischen T1 und T2. Dieser Befund ist besonders interessant, da er die Vermutung widerlegt, dass eine alleinige Klienten- oder Betreuerbefragung systematisch verzerrt sein kçnnte. Offenbar haben sowohl Klienten als auch Betreuer eine sehr hnliche Sicht auf die Lebenssituation der Klienten. Da der Vergleich mit einer Kontrollgruppe nicht mçglich war, wurde als nchstes weitere Evidenz fr die kausale Wirksamkeit der PSB gesucht. Dazu wurde eine Kovariate aufgenommen, welche die Behandlungsintensitt abbildet. Zu diesem Zweck wurde aus den Angaben der Betreuer die durchschnittliche Hufigkeit der wçchentlichen Betreuungssitzungen zwischen T1 und T2 berechnet. Wenn die Wirksamkeit der PSB zu einem großen Teil ber die Gesprche zwischen Betreuer und Klient vermittelt ist, sollte diese Kovariate die in der vorangegangen Analyse festgestellte Vernderung zwischen T1 und T2 erklren. Kommt die beobachtete Verbesserung der psychosozialen Belastung jedoch durch andere Grnde (z. B. Spontanremission, Regression zur Mitte) zustande, sollte die Aufnahme der Behandlungsintensitt in diese Analyse den beobachteten Verbesserungseffekt nicht mindern. Tatschlich war der Haupteffekt des Messzeitpunkts nach Aufnahme der Hufigkeit der Sitzungen zwischen T1 und T2 in die Analyse nicht mehr signifikant, F(1, 89) < 1. Dies deutet darauf hin,
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dass die Vernderung, die zwischen T1 und T2 stattfindet, nicht allein auf einen Entwicklungsprozess zurckgefhrt werden kann, der auch ohne die PSB stattgefunden htte, sondern ber die Betreuungsintensitt vermittelt ist. Dieses Ergebnis untersttzt die Annahme, dass die PSB tatschlich eine kausale Rolle in der Verbesserung der psychosozialen Belastung von T1 zu T2 spielt.
Individuelle Zielerreichung Die errechneten Zielerreichungswerte aus Sicht der Klienten liegt im Mittel bei T = 57,47 (SD= 5,56). Damit liegt die eingeschtzte Zielerreichung deutlich im positiven Bereich (ber 50), d. h. mehrheitlich geben die Klienten an, dass sie die Ziele, die sie fr wichtig einschtzen, wenigstens teilweise erreichen. Die Betreuer zeigen ebenfalls eine positive, aber im Vergleich zurckhaltendere Einschtzung der Zielerreichung ihrer Klienten. Mit einem durchschnittlichen Zielerreichungswert von T = 56,16 (SD = 6,82) liegen die Betreuer signifikant unter den Einschtzungen der Klienten, t(76)= 2,00, p= 0,049. Zu beachten ist dabei, dass sich die Wichtigkeiten der Ziele zwischen Klienten und Betreuern durchaus unterscheiden kçnnen. Das Ausmaß der Zielerreichung bezieht sich also bei Klienten und Betreuern unter Umstnden auf unterschiedliche Ziele. Fr diese Interpretation spricht die lediglich mittelhohe Korrelation zwischen den Wichtigkeitseinschtzungen von Klienten und Betreuern fr die Ziele zu T1 (r = 0,40). Die grçßte Divergenz zwischen Klienten und Betreuern zeigte sich bei der Einschtzung der Wichtigkeit, Konflikte mit dem Gesetz zu vermeiden (r = 0,22), whrend die Konvergenz bei der Einschtzung der Wichtigkeit, die Wohnsituation zu verbessern, am hçchsten war (r = 0,64). Insgesamt scheinen Klienten und Betreuer wenigstens teilweise unterschiedliche Ziele fr die PSB als wichtig zu erachten. Um sicherzustellen, dass die hier eingefhrte Abwandlung der GAS-Prozedur ein valides Maß der tatschlichen individuellen Zielerreichung darstellt, waren noch ein Item zur wahrgenommenen Gesamtzielerreichung („Inwieweit haben Sie die Ziele erreicht, die Sie sich fr die PSB gesetzt haben?“) und ein Item zur Zufriedenheit mit den Betreuungsleistungen („Wie zufrieden sind Sie mit den Betreuungsleistungen?“) aufgenommen worden. Wenn es sich bei den hier ermittelten T-Werten um valide Indikatoren der individuellen Zielerreichung handelt, sollten die T-Werte substanziell mit dem ersten Item korrelieren, nicht jedoch mit dem zweiten. In der Tat zeigt sich eine hohe konvergente Validitt, r = .55, p < .001, und eine niedrige divergente Validitt, r = .18, p = .10. Diese Befunde sprechen dafr, dass die T-Werte tatschlich die subjektiv wahrgenommene Zielerreichung abbilden.
Beikonsum Zu T1 gaben 21 % und zu T2 20 % der in der Auswertung bercksichtigten Klienten an, (fast) tglich oder sogar mehrmals tglich mindestens eine der abgefragten Sub-
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stanzen (Opiate, Alkohol, Cannabis, Schlafmittel, Aufputschmittel) zustzlich zu dem Substitut zu gebrauchen. Den (fast) tglichen oder sogar mehrmals tglichen Beikonsum von Opiaten gaben 5 % zu T1 und 6 % zu T2 an. Der statistische Vergleich des Beikonsums zwischen T1 und T2 mittels Wilcoxon-Rang-Tests ergibt fr keine Substanzkategorie eine signifikante Vernderung zwischen T1 und T2, alle p > 0,13. Die Klienten scheinen ihr Konsumverhalten in diesem Zeitintervall also nicht gendert zu haben, sodass sich fr das Konsumverhalten keine positive Entwicklung im Untersuchungszeitraum verzeichnen lsst. Die Einschtzung der Betreuer bezglich des langfristigen Umgangs mit Drogen fllt gnstiger aus. Hier ist nmlich ein Trend erkennbar, dass die Betreuer ihren Klienten zu T2 eher zutrauen, ohne Beikonsum, aber mit Substitution zu leben, t(105) = 2,22, p = 0,03. Die Selbsteinschtzung der Klienten fllt hier sehr hnlich aus, jedoch nicht signifikant, t(105) = 1,25, p = 0,22. Die Betreuer sind also etwas optimistischer in ihren Einschtzungen fr die Klienten als die Klienten selbst. Um der Frage nachzugehen, ob das Ausmaß des Beikonsums eine Rolle fr den Behandlungserfolg spielt, haben wir die Vernderung der psychosozialen Belastung zwischen T1 und T2 getrennt analysiert fr Klienten, die zu T1 angaben, keine der Substanzen (Opiate, Alkohol, Cannabis, Schlafmittel, Aufputschmittel) mehr als einmal konsumiert zu haben, und fr Klienten, die zu T1 angaben, wenigstens eine der Substanzen mindestens gelegentlich gebraucht zu haben. Von den 93 Fllen, fr die zu beiden Messzeitpunkten sowohl kienten- als auch betreuerseitige Einschtzungen vorlagen und die angaben, die Fragen zum Beikonsum ehrlich beantworten zu wollen, wurden auf diese Weise 46 Klienten nach ihren eigenen Angaben als weitestgehend beikonsumfrei klassifiziert, whrend 47 Klienten angaben, wenigstens gelegentlich Beikonsum zu haben. Mit den Daten zur psychosozialen Belastung wurde dann wieder jeweils eine Messwiederholungs-ANCOVA mit den Faktoren Messzeitpunkt (T1 vs. T2) und Beurteiler (Klient vs. Betreuer) und der Kovariaten Dauer der PSB vor T1 (in Monaten) gerechnet, um festzustellen, ob sowohl fr weitestgehend beikonsumfreie Klienten als auch fr Klienten mit mindestens gelegentlichem Beikonsum eine Verringerung der psychosozialen Belastung festgestellt werden kann. Fr die weitestgehend beikonsumfreien Klienten findet sich weder ein signifikanter Effekt des Faktors „Beurteiler“ noch ein signifikanter Effekt des Messzeitpunkts noch eine signifikante Interaktion, alle F(1, 44) < 1. Fr die Klienten mit mindestens gelegentlichem Beikonsum ergab die Analyse hingegen einen signifikanten Effekt des Faktors Messzeitpunkt, F(1, 45) = 6,09, MSE = 0,27, p = 0,017, gp2 = 0,12, dergestalt, dass die psychosoziale Belastung von T1 zu T2 signifikant abnimmt. Keiner der anderen Haupteffekte oder Interaktionen war signifikant, alle F(1, 45) < 2. Dieses Ergebnismuster deutet darauf hin, dass sich die psychosoziale Belastung der weitestgehend beikonsumfreien Klienten zwischen T1 und T2 nicht verndert, whrend Klienten mit wenigstens gelegentlichem Beikonsum eine signifikante Verbesserung SUCHT 58 (4) 2012 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
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ihrer psychosozialen Belastung erfahren. Dieses Ergebnis ist allerdings vor dem Hintergrund signifikanter Unterschiede zwischen Klienten mit und ohne Beikonsum in ihrer psychosozialen Belastung zu T1 zu interpretieren, t (89) = 3,49, p = 0,001. Klienten mit wenigstens gelegentlichem Beikonsum sind zu T1 signifikant strker psychosozial belastet als weitestgehend beikonsumfreie Klienten und erfahren dann im Verlauf der PSB eine signifikante Reduktion dieser Belastung.
Diskussion Eine zentrale Fragestellung der hier berichteten Evaluation beschftigt sich mit der Wirksamkeit der PSB in Dsseldorf als Interventionsform. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich fr das wichtige Kriterium der psychosozialen Belastung der Klienten eine deutlich positive Vernderung zwischen T1 und T2 feststellen ließ. Sowohl Klienten als auch Betreuer nehmen eine Verbesserung im Rahmen der PSB wahr. Da keine Kontrollgruppe verfgbar war, kann dieser Effekt jedoch nicht zwingend kausal der PSB zugeschrieben werden kann. So ist es auch denkbar, dass Substitutionsklienten ohne PSB eine deutlich negativere oder positivere Entwicklung auf den Zieldimensionen aufweisen wrden. Erste Evidenz fr die kausale Rolle in der Verbesserung der psychosozialen Belastung findet sich jedoch in dem Befund, dass die positive Entwicklung zwischen T1 und T2 vollstndig durch die Betreuungsintensitt erklrt wird. Denn wenn die positive Entwicklung zwischen T1 und T2 beispielsweise einer natrlichen Entwicklung (z. B.: Spontanremission, Regression zur Mitte) geschuldet wre, sollte diese unabhngig von der Betreuungsintensitt ablaufen. Dass dies nicht der Fall ist, deutet darauf hin, dass die positive Entwicklung nicht allein einer natrlichen Entwicklung zugeschrieben werden kann. Zwar kann dies nur erste Evidenz fr die kausale Rolle der PSB fr die Wirksamkeit der Substitutionsbehandlung sein. Allerdings fgt sich dieser Befund in das positive Bild ein, das andere Studien ber die Wirksamkeit psychosozialer Interventionsprogramm zeichnen (Kuhn et al., 2007; McLellan, Arndt, Metzger, Woody & Obrien, 1993; McLellan et al., 1998). Positive Entwicklungen zeigen sich auch im Ausmaß der individuellen Zielerreichung. Insgesamt bewerten die Klienten (und in etwas geringerem Ausmaß auch die Betreuer) den Erfolg der PSB und die persçnliche Zielerreichung positiv. Allerdings zeigt sich auch, dass Klienten und Betreuer nicht alle Ziele als gleichermaßen wichtig einschtzen, wie sich in den eher moderat hohen Korrelationen der Wichtigkeitseinschtzungen zwischen Klienten und Betreuer zeigt. Dies kçnnte darauf hinweisen, dass das Herstellen einer gemeinsamen Sichtweise auf die Problemlage der Klienten einen Optimierungspunkt in der Betreuung darstellt. Die hohe bereinstimmung zwischen Klienten und Betreuern in den meisten Einschtzungen SUCHT 58 (4) 2012 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
lassen jedoch insgesamt auf eine offene und tragfhige Beziehung zwischen Klienten und Betreuern schließen. Kritisch fr die Beurteilung der Wirksamkeit der PSB in Dsseldorf erscheint die konstant moderat hohe Rate des Beikonsums. In diesem wichtigen Arbeitsfeld der PSB ließen sich bei den Klienten, die bereit waren, Fragen zu ihrem Drogenkonsum offen und ehrlich zu beantworten, keine Verbesserungen im beobachteten Zeitintervall feststellen. Positive Entwicklungen im Bereich des Beikonsums sind mçglicherweise eher lngerfristig zu beobachten. Beispielsweise ist es denkbar, dass erst Verbesserungen in anderen Lebensbereichen stattfinden mssen, bevor die Klienten tatschlich in der Lage sind, ihren Beikonsum zu reduzieren. Immerhin scheinen die Beikonsum-Raten in der aktuellen Studie geringer zu sein, als in verschiedenen rezenten Publikationen aus Deutschland berichtet (Kfner & Rçsner, 2005;Reimer, Thane, Wickert & Schulte, 2009; Reuter & Kfner, 2002). Hinzuweisen ist allerdings zum einen auf die differenziertere Erhebungsmethodik dieser Studien. Dass in unserer Studie außerdem 8 % der befragten Klienten nicht bereit waren, Fragen zu ihrem Drogenkonsum offen und ehrlich zu beantworten und deshalb nicht bercksichtigt werden konnten, weist darauf hin, dass es sich bei den Angaben eher um untere Schtzungen des Beikonsums handelt. Auf jeden Fall ist der Beikonsum – auch von Heroin – bei substituierten Patienten bekannt und lsst sich bei adquater Dosierung des Substituts zumindest verringern (Reimer et al., 2009). In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es in der aktuellen Studie gerade die Klienten mit gelegentlichem oder hçherem Beikonsum waren, die von der PSB profitierten, also whrend des Untersuchungszeitraums eine signifikante Verbesserung in ihrer psychosozialen Belastung erfuhren, whrend bei weitestgehend beikonsumfreien Klienten keine Vernderung festzustellen war. Dieser Befund lsst sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher Anfangsbelastungen der Klienten interpretieren: Das Ausmaß des Beikonsums scheint ein Indikator fr das Ausmaß der Alltagsprobleme zu sein, da Klienten mit mindestens gelegentlichem Beikonsum zu T1 eine deutlich strkere psychosoziale Belastung angeben als Klienten ohne Beikonsum. Da auch die PSB-Betreuer diese Einschtzung teilen, sich also von den Klienten in ihrer Einschtzung nicht unterscheiden, handelt es sich hierbei offenbar nicht um eine rein subjektive Wahrnehmung der Klienten. Insgesamt deutet diese Befundlage darauf hin, dass Klienten, die zu Beginn der PSB weniger belastet sind, auch weniger von der PSB profitieren, wohingegen Klienten mit strkerer Belastung auch strker von der PSB profitieren. Unsere Befundlage kann Anlass sein, die bliche Praxis, Klienten mit Beikonsum von der PSB auszuschließen, kritisch zu diskutieren. Allerdings muss dabei bercksichtigt werden, dass es sich bei der hier betrachteten Variablen „Beikonsum“ um eine sog. zensierte Variable handeln kçnnte: Klienten, die whrend der Evaluation wegen zu hohen Beikonsums aus der PSB ausgeschlossen wurden, sind in unseren Analysen nicht mehr enthalten.
C. D. Boywitt et al.: Psychosoziale Betreuung Opiatabhngiger
Insgesamt lsst sich trotz des im Beobachtungszeitraum nicht vernderten Beikonsums angesichts der positiven Entwicklungen bei der psychosozialen Belastung und der individuellen Zielerreichung schlussfolgern, dass die PSB zur Stabilisierung der Lebenssituation der Klienten beitrgt und damit einen gnstigen Bestandteil im Hilfesystem der Substitutionsbehandlung opiatabhngiger Patienten darstellt.
Schlussfolgerungen für die Praxis – Psychosoziale Betreuung ist ein gnstiger Bestandteil der Substitutionsbehandlung, der zu einer Stabilisierung der psychosozialen Situation der Klienten beitrgt. – Die Wahrnehmung der Wichtigkeit der verschiedenen Ziele im Laufe der psychosozialen Betreuung unterscheidet sich mitunter betrchtlich zwischen Klienten und Betreuern. Eine gemeinsame Sichtweise der Situation herzustellen und die Rolle mancher Ziele dem Klienten strker bewusst zu machen, kçnnte einen Ansatzpunkt in der weiteren Optimierung der Betreuung darstellen. – Es ist davon auszugehen, dass whrend der psychosozialen Betreuung in substanziellem Ausmaß Beikonsum stattfindet. Um Beikonsum durch eine adquate Dosierung des Substituts entgegenwirken zu kçnnen, sollte der im Rahmen der psychosozialen Betreuung erkannte Beikonsum an den substituierenden Arzt rckgemeldet werden. – Gelegentlicher oder hçherer Beikonsum scheint ein Indikator fr das Ausmaß der psychosozialen Belastung zu sein. Die PSB scheint vor allem bei diesen stark belasteten Klienten Erfolge zu zeigen. Dies kçnnte Anlass sein, die bliche Praxis, Klienten mit Beikonsum von der PSB auszuschließen, kritisch zu diskutieren.
Danksagung Wir mçchten uns bei den Leitern und Betreuern der PSBStellen der Stadt Dsseldorf fr die Untersttzung bei der Durchfhrung der Evaluation bedanken.
Deklaration möglicher Interessenkonflikte Die vorliegende Studie wurde von der Stadt Dsseldorf in Auftrag gegeben und finanziert. Weder die Ergebnisdarstellung noch die Entscheidung, die Studienergebnisse zu verçffentlichen, wurden in irgendeiner Weise durch die Auftraggeberin beeinflusst. Die Publikation wurde durch die Auftraggeberin genehmigt, und die Rechte an den Daten liegen bei der Auftraggeberin.
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C. Dennis Boywitt 1982 in Darmstadt geboren 2008 Dipl.-Psych., Universitt Mannheim 2012 Dr. rer. soc. Universitt Mannheim
Regina Behrendt 1967 in Neuss geboren 2000 Dipl.-Psych., Bergische Universitt Wuppertal seit 2001 Gesundheitsberichterstatterin, Gesundheitsamt Dsseldorf 2009 Master of Health Administration, Universitt Bielefeld Heiko Schneitler 1946 in Essen geboren 1973 Dr. med., Universitt Marburg 1985 – 2011 Leiter des Gesundheitsamts der Landeshauptstadt Dsseldorf 1993 Ernennung zum Honorarprofessor 1994 – 2011 Berufung in den Vorstand der Deutschen Hauptstelle fr Suchtfragen e.V.
C. Dennis Boywitt
Christian Zwingmann 1963 in Hannover geboren 1991 Dipl.-Psych., Goethe-Universitt Frankfurt am Main 2002/2010 Dr. phil., Universitt Freiburg/Dr. rer. medic., Universitt Witten 2008 Habilitation, Goethe-Universitt Frankfurt am Main seit 2010 Professor fr Empirische Sozialforschung, EFH Bochum
SUCHT 58 (4) 2012 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
Universitt Mannheim Lehrstuhl fr Psychologie II DE-68131 Mannheim Tel.: + 49 (0)621 – 181 – 2131 Fax: + 49 (0)621 – 181 – 2129
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Eingereicht: 1. 12. 2011 Angenommen nach Revision: 10. 5. 2012