Eurafrika! In: NZZ Geschichte 5, April 2016, p. 56-65.

June 5, 2017 | Author: Lea Haller | Category: History, History of Science and Technology, History of European Expansion, Colonial History, History of the European Union, Postcolonialism
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Eurafrika! Wie europäische Visionäre zwei Kontinente zu verbinden hofften. Die Geschichte eines technokratischen Jahrhundertprojekts. Von Lea Haller

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s war ein gigantisches Projekt. Bei Gibraltar sollte der grösste Staudamm entstehen, den man je gebaut hatte, eine Mauer länger als der Gotthardtunnel, mitten im Meer. Sie hätte das Mittelmeer vom Atlantik getrennt. Und damit – zusammen mit einer zweiten Staumauer bei den Dardanellen – die Hauptwasserzufuhr zum Mittelmeer unterbunden. «Das Mittelmeer ist ein Verdunstungsmeer», wurde der deutsche Architekt Herman Sörgel, der das Grossprojekt seit Mitte der 1920er Jahre vorantrieb, nicht müde zu erklären. Die Rechnung war einfach: Ebro und Tiber waren wasserarm, der Nil wurde zur Bewässerung Ägyptens verwendet, der Po hätte ebenfalls gestaut werden können, es blieb, nach dem Abtrennen der Zuflüsse vom Schwarzen Meer und vom Atlantik, nur noch die Rhone gegen eine Verdunstungsfläche von 2’511’000 Quadratkilometern. Geplant war eine Absenkung des Meeresspiegels um 200 Meter. Das Mittelmeer wäre auf zwei kleinere Binnenmeere geschrumpft. Bei Gibraltar, bei den Dardanellen und an allen grossen Flussmündungen waren Kraftwerke geplant, die eine Gesamtleistung von 110’000 Megawatt erzeugt und sämtliche Energieprobleme auf lange Sicht gelöst hätten. Um den Absenkungsprozess zu be57

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schleunigen, wollte man Entsalzungsanlagen bauen Wassermassen bei Gibraltar geführt habe, sei da, wo und die Sahara bewässern. Für die Schifffahrt waren heute das Mittelmeer liegt, mehrheitlich trockenes Schleusen, Kanäle und neue Häfen geplant. Die La- Land gewesen. Geografisch hiess das, dass Europa gune von Venedig sollte mit einem Damm umgeben und Afrika nicht zwei verschiedene, sondern ein und als Kulturgut geschützt werden. einziger, zusammengehöriger Kontinent waren – Das Projekt, das zunächst unter dem Titel Eurafrika. Der Hauptzweck von Atlantropa war «Panropa» figurierte, wurde schliesslich denn auch nicht die Landgewinnung, sondern die «Atlantropa» getauft. 1932 publizierte Sörgel in ei- physische Wiedervereinigung von Europa und Afrinem Zürcher Verlag ein Buch gleichen Namens, in ka. Zwischen Berlin, Rom und Kapstadt war eine didem er seine Pläne im Detail darlegte. Sörgel war rekte Eisenbahnlinie geplant. Eine zweite Linie sollte Paris via Gibraltar mit nicht irgendein dahergelaufener Utopist, sonTanger verbinden. Per dern ein bekannter BauBahn hätte man euroDer Hauptzweck von «Atlantropa» haus-Architekt, sein Vapäische Industrieprowar nicht die Landgewinnung, ter eine Koryphäe auf dukte, Kolonialisten, sondern die physische dem Gebiet wasserbeKaufleute und MissioWiedervereinigung zweier triebener Elektrizitätsnare auf direktem Weg Erdteile, die in vorsintflutlichen kraftwerke. Zahlreiche nach Süden transportieZeiten zusammengehörten: ren können. Und RohVertreter aus Wirtschaft stoffe aus Afrika in die und Wissenschaft unEuropa und Afrika. terstützten das VorhaGrossstädte Europas. ben. Siemens, Krupp, Dass das unziviliMannesmann, Hochtief, sierte Afrika nur zusamdas Logistikunternehmen mit Europa eine Zumen Stinnes und das Rheinisch-Westfälische Elek- kunft habe, und dass umgekehrt das überbevölkertrizitätswerk waren an Bord, dazu einige der promi- te, rohstoffarme Europa nur mit Afrika als Hinternentesten Architekten der Zeit. Fritz Höger, bekannt land wirtschaftlich mit dem aufstrebenden Amefür seinen Backsteinexpressionismus, war im Okto- rika mithalten könne, davon war man spätestens ber 1932 von einem baldigen Baubeginn fest über- seit der Kongo-Konferenz im Winter 1884/85 allgezeugt: «Zum Frühjahr beginnen wir denn wohl mein überzeugt. Das Schreckgespenst der «amerikagleich bei Eintritt der guten Bauwitterung mit dem nischen Gefahr», der «Invasion amerikanischer Bau des Atlantropa-Hauses», schrieb er an Sörgel. In Manufakte» und des «Siegeszugs der Yankees auf München entstand ein Atlantropa-Institut, das in dem Weltmarkt» diente als Argument für eine euroden besten Zeiten 1200 Mitglieder hatte, darunter päische Schutzzollpolitik und legitimierte gleichder Direktor der Deutschen Bank. Die Machbarkeits- zeitig die kolonialistische Expansion. Afrikas Rohstudie erstellte der Schweizer Bauingenieur Bruno stoffreichtum und Konsumpotential beflügelten Siegwart, ehemaliger Generaldirektor von Siemens auch die europäischen Grossraumphantasien der & Halske; er befand das Projekt für realisierbar und Zwischenkriegszeit. «Es bedeutet für die europäiinvestierte den Rest seines Lebens in die Ausarbei- sche Industrie eine Lebensfrage, ihre Produkte von tung der Detailpläne. Siemens, erprobt im Bau inter- Anfang an dem erwachenden Erdteil zu liefern und nationaler Grossprojekte, wollte tausend Turbinen Rohprodukte dagegen einzutauschen», argumentierte Sörgel 1931. nach Gibraltar liefern. Die Mittelmeerabsenkung war als staatenüberDie ganze Sache mochte futuristisch anmuten, es war aber ein technisch forcierter Rückbau Rich- greifendes Gemeinschaftsprojekt konzipiert. Vertung Ur-Zustand, wie Sörgel betonte. Vor der bibli- schiedene Vereinigungen machten sich nach dem schen Sintflut, also vor der Erwärmung der Pole Schrecken des Ersten Weltkriegs für einen europäinach der letzten Eiszeit, die zum Einbrechen grosser schen Zusammenschluss stark. Als neutraler Klein58

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Der Kopf hinter «Atlantropa»: Architekt Herman Sörgel inmitten seiner grossen Pläne. Undatierte Aufnahme.

staat wurde insbesondere die Schweiz zu einem Hotspot der Europakonzepte und zum föderalistischen Vorbild für einen europäischen Staatenbund. «Europa als politischer Begriff besteht nicht», monierte Richard Coudenhove-Kalergi, der Gründer der «Paneuropa-Union», 1923. «Der Weltteil, der diesen Namen trägt, birgt ein Chaos von Völkern und Staaten, eine Pulverkammer internationaler Konflikte, eine Retorte künftiger Weltkriege.» Nur eine Einigung nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika könne Europa vor zukünftigen Konflikten und wirtschaftlicher Misere bewahren. Afrika war selbstverständlich Teil dieses europäischen Einigungsprojekts. «Europa ist die Tochter Asiens – die Mutter Amerikas – aber die Herrin Afrikas», so Coudenhove. «Darum ist Europa an das Schicksal Afrikas gebunden, für das Schicksal Afri-

kas verantwortlich. Darum bildet, politisch und wirtschaftlich, Afrika die tropische Ergänzung Europas.» Auch Hans Bauer, zuerst Redaktor der Basler National-Zeitung, dann Mitglied der Direktion des Schweizerischen Bankenvereins und schliesslich Zentralpräsident der 1934 in der Schweiz gegründeten «Europa-Union» (heute «Union der europäischen Föderalisten»), machte unmissverständlich klar: «Suchen wir den Begriff Europa in der politischen Perspektive zu erfassen, dann rücken wir vollends über die geographischen Grenzen des Erdteils hinaus. Dann wird auch Afrika europäisch (...).» Afrikas Potenzial als wirtschaftlicher «Ergänzungsraum» und «künftige Produktionsbasis» Europas schien immens. Afrika stelle «das raumgebende Tropengelände der abendländischen Staatengesellschaft» dar, schrieb ein führender Kolonialgeograf 59

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1941. Es gelte, aus Europa und Afrika «einen sich in allen wesentlichen Punkten glücklich ergänzenden Wirtschaftsblock zu bilden». Amerika den Amerikanern, Ostasien den Ostasiaten – «Eurafrika den Europäern!» Die Verwandlung Afrikas in die «Plantage Europas» sollte gemeinschaftlich vorangetrieben werden, Kooperation an die Stelle alter Rivalitäten treten. Die Paneuropäer träumten von einem neuen, sich komplementär ergänzenden wirtschaftlichen Grossraum nach dem Vorbild des Römischen Reiches. «Länder, die wegen ihrer Kälte den Römern fast unbewohnbar schienen, bilden heute Zentren der Weltkultur; und kein Römer hätte es für möglich ge-

halten, dass einst 60 Millionen Menschen die Sümpfe und Urwälder Germaniens besiedeln würden. So ist es möglich, dass eines Tages unsere Nachkommen an den Ufern des Kongo Weltstädte bewohnen und Kulturen schaffen werden.» Nach Sörgel und seinen Mitstreitern würde aus der Sahara durch Bewässerung fruchtbares Kulturland, es gäbe wieder natürliche Regenfälle, das Klima in ganz Afrika würde milder. «Die Wiederbegrünung dieses gesegneten Weltteiles könnte die Kriegs- und Mordlust der Europäer für Jahrhunderte in Aufbauarbeit umwandeln», so der Pazifist Sörgel. «Der Wille zur Tat wäre das grösste, aussichtsreichste Kulturwerk der Menschheit des 20. Jahrhunderts. 60

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Die Brücke und die Schwebebahn, die Europa und Afrika über das abgesenkte Mittelmeer hinweg verbinden sollten. Technische Zeichnung aus dem Archiv Römer, München.

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Er hätte einen Aufschwung von wirtschaftlichem hiess es in der Schweizerischen Bauzeitung. «It is the Reichtum und kultureller Bildung zur Folge, die sich ‚reawakening of the Sahara‘ (…) that gives to the Gerheute gar nicht ausdenken lassen. Besonders für Ita- man engineer’s project its attractive twist», befand lien, dem Land, das jährlich 450 000 Seelen Bevölke- die New York Times. Aus Berlin liess die sozialistirungsüberschuss hat, wäre es ein Segen.» Die War- sche Zeitschrift Vorwärts verlauten: «Der wichtigste nungen des ehemaligen britischen Premierminis- Gewinn für die Menschheit eines solchen Riesenters vor italienischen Migranten wären Makulatur, projektes, das durchaus im Bereich der technischen «Lloyd George könnte nicht mehr sagen, man weiss Möglichkeiten liegt, wäre zweifellos eine zwangsnicht, wohin sich diese Lavamassen von Menschen läufige Wirtschaftsvereinigung der heute sich bekriegenden Völker.» Auch beim Völkischen Beobacheinmal ergiessen werden.» ter, dem Parteiblatt der Das Atlantropa-Projekt versprach zahlreiNSDAP, war man trotz che Lösungen: Lebensantiinternationaler Hal«Es wäre das grösste und raum für europäische tung offensichtlich anaussichtsreichste getan: «Solche Dinge Auswanderer, EnergieKulturwerk der Menschheit im gewinnung, Arbeitsbesind immer interessant, 20. Jahrhundert», sagte der schaffung, Klimareguauch für den nüchternsdeutsche Architekt und Pazifist lierung, neues Agrarten Betrachter und Herman Sörgel über die land, verbesserte Logisselbst für den Gegner eitik, Zugang zu Rohstofner solchen Sache.» Verbindung von Europa und Afrika. fen, Kooperation und Antiimperialistische Einwände oder umwirtschaftlicher Aufschwung in Europa. weltschützerische Bedenken gab es nicht. Die Dass ihm Begeisterung entgengenschlug, ist wenig erstaunlich. Eine Aus- Geister schieden sich lediglich an der Machbarkeit. stellung, die in den frühen 1930er Jahren in ver- An der Haltung gegenüber dem «Atlantropa»-Proschiedenen Städten gezeigt wurde, brachte die Pres- jekt zeigte sich, ob jemand Optimist war oder Pessise ins Schwärmen. Die einen sahen in Sörgel einen mist, ob er an den Fortschritt durch Technik glaubte «Faust», andere einen neuen Entdecker, der «Colum- oder nicht. Einer der prominentesten Zweifler war bus gleich (…) am Strande von Genua anhand einer der konservative Geschichtsphilosoph Oswald Erdkugel den Seeweg nach einem neuen Erdteil auf- Spengler, dessen 1918 erschienenes Hauptwerk Der zeigte». Es sei der kühnste Plan seit Menschenge- Untergang des Abendlandes eines der meistverkaufdenken, er stelle selbst die Phantasien eines Jules ten Bücher der Weimarer Republik war. 1931 schrieb Spengler über die Entwicklung neuer Technologien: Verne in den Schatten. Bis heute ist zwar unklar, wie die Unmengen an «Man nennt das Fortschritt. Es war das grosse Wort Beton hätten beschafft werden sollen, die allein für des vorigen Jahrhunderts. Man sah die Geschichte den Gibraltar-Staudamm nötig gewesen wären. Die wie eine Strasse vor sich, auf welcher ‚die MenschFinanzierung stand in den Sternen. Und in den Ha- heit‘ tapfer immer weiter marschierte, das heisst im fenstädten Genua und Marseille formierte sich Pro- Grunde nur die weissen Völker, das heisst nur die test gegen eine Zukunft im Hinterland. Sörgel galt Grossstädter unter ihnen, das heisst unter diesen aber keineswegs als blosser Phantast. «Das Projekt nur die ‚Gebildeten‘. Aber wohin? Wie lange? Und ist nur quantitativ gross, technisch durchaus mög- was dann?» Es habe etwas Lächerliches, dieser lich, ja, viel leichter ausführbar als eine Reihe von Marsch ins Unendliche. Man sei zu flach und zu feiIdeen, die man heute allgemein für möglich hält», ge, die Tatsache der Vergänglichkeit alles Lebendimeinte das Neue Wiener Journal zu seinen Plänen. gen zu ertragen; man wickle sich in einen rosaroten «Es ist ein Arbeitsprogramm für ganz Europa mit Fortschrittsoptimismus, an den im Grunde nieungeahnten Arbeitsmöglichkeiten für Tausende», mand ernsthaft glaube. 61

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Plan für die neue Hafenstadt Genua nach der Absenkung des Mittelmeerspiegels. Technische Zeichnung der Architekten der Archtiekten Ferber und Appel aus dem Jahr 1932. 62

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Sörgel und Spengler kannten sich persönlich, lichkeit, die Nationen unter einen Hut zu bringen.» sie lebten beide in München-Schwabing, und Sörgel Auch Hans Trümpy, Chefredaktor der Glarner Nachwar ein glühender Anhänger der Spenglerschen richten, schätzte eine europäische Union trotz Sym«Kulturkreislehre». Er folgte Spenglers Prophezeiun- pathie für das Projekt als unrealistisch ein. Jeder, gen über den Niedergang der durch «Zivilisation» der bei Verstand sei, müsse dem Paneuropa-Projekt und Überbevölkerung geschwächten westlichen zwar zustimmen. «Da aber der menschlichen VerKultur, ja Spenglers Untergangsszenario diente ihm nunft sehr enge Grenzen gezogen sind, so zweifle als geschichtstheoretische Grundlage für sein Bau- ich, ob sich ihr Plan ausführen lässt. Die Menschen projekt. Während Spengler die Unausweichlichkeit kommen meist erst zum Verstand, wenn es ihnen des Verfalls angesichts der Dekadenz der Moderne ganz schlecht geht. Ich fürchte, dass noch viel Trübsal Europa heimsuchen an die Wand malte, war muss, bis wir erkennen, Sörgel allerdings überzeugt, dass sein Mitteldass wir viel enger verMit dem Tod von Herman meer-Plan die drohende bunden sind, als wir es Sörgel wurde auch sein Projekt Apokalypse durch tatwahrhaben wollen.» begraben. Gleichwohl sind Europa kräftiges Einschreiten Auch das Projekt und Afrika heute wirtschaftlich abwenden könne. Sörgel Atlantropa wurde zuenger verflochten denn je glaubte an die Zukunft, nehmend diskreditiert. dank der Containerrevolution an die Machbarkeit, an Die Nationalsozialisten visionäre Schaffensbehandelten die eigene in der Schifffahrt. kraft. Er war zutiefst militärische Aufrüstung prioritär, wollten von euenttäuscht, dass Spengler, den er verehrte, von ropäischer Kooperation seinem Atlantropa-Pronichts wissen und richjekt so wenig begeistert war. teten ihren Lebensraum-Imperialismus nach Osten, Während das Atlantropa-Projekt von privater nicht nach Afrika. Im Juni 1939 durchsuchte die GeSeite zwei Jahrzehnte lang vorangetrieben wurde, stapo Sörgels Haus und verhörte ihn. 1942 erhielt er fand es auf politischer Ebene nie handfesten Sup- vollständiges Publikationsverbot. port. Keine Regierung und keine Partei mochte es Als Herman Sörgel 1952 starb, wurde auch das sich als Ziel auf die Fahne schreiben. Das lag nicht Atlantropa-Projekt begraben. Nach dem Zweiten nur an den gigantischen finanziellen und logisti- Weltkrieg hiess der Aufbauplan für Europa nicht schen Problemen, die damit verbunden waren, son- mehr Atlantropa, sondern Marshall-Plan, und er dern auch am gleichzeitig erstarkenden Nationalis- kam nicht mehr aus München, sondern aus den mus. Eine protektionistische Wirtschaftspolitik USA. Der Wille, Afrika technisch zu erschliessen und nationale Abschottung prägten die Zwischen- und dieses Erschliessen als Teil des europäischen kriegszeit in Europa. Coudenhove warb zunehmend Einigungsprojekts zu verstehen, bestand aber auch erfolglos für seine Paneuropa-Union, die in Deutsch- nach dem Zweiten Weltkrieg fort. In der Schumanland nach der Machtübernahme der Nationalsozia- Erklärung von 1950, der Gründungsakte der Eurolisten 1933 verboten wurde. Eine Umfrage bei päischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl («MonSchweizer National- und Ständeräten, von denen er tanunion») und damit der späteren EU, stellte der sich föderalistischen Mut erhoffte, fiel ein Jahr vor französische Aussenminister den europäischen Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ernüchternd aus. Schulterschluss selbstverständlich in den Kontext «Die Voraussetzungen für eine paneuropäische einer kolonialistischen Politik. Die Montanunion Union und Weltunion in Form des Völkerbundes diene der Hebung des Lebensstandards und der Försind utopisch», liess der Zuger Regierungsrat Alois derung des Friedens in Europa. Dieses neue, vereinMüller verlauten. «Die Geschichte und die gegenwär- te Europa werde dann «mit vermehrten Mitteln die tige Lage der Welt sprechen absolut gegen die Mög- Verwirklichung einer seiner wesentlichsten Aufga64

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ben verfolgen können: die Entwicklung des afrikanischen Erdteils». Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die europäische Selbstbefriedung, die wirtschaftliche Kooperation und die Indienstnahme Afrikas Hand in Hand. Erst als in den späten 1960er Jahren die Schwierigkeiten der Dekolonisation manifest wurden, begann man das Europa- und das Afrikaprojekt rhetorisch zu trennen. In der EU mag sich heute niemand mehr an die kolonialistische Komponente des Einigungsprozesses erinnern. Und statt eine Eisenbahnlinie Berlin-Kapstadt zu planen, wird an Grenzen Stacheldraht verlegt. Wirtschaftlich ist Afrika allerdings so eng mit Europa verflochten wie nie zuvor. Was das Atlantropa-Projekt logistisch ermöglicht hätte, leistete ab den 1970er Jahren die Containerrevolution in der Schifffahrt. Nie zuvor wurden mehr Rohstoffe aus dem «schwarzen Kontinent» exportiert und in Afrika mehr technische Grossprojekte realisiert als heute. Zwischen 1990 und 2010 wuchsen die ausländischen Direktinvestitionen in Afrika von 61 Mrd. auf 554 Mrd. US-Dollar an. Es werden Staudämme gebaut, Länder geflutet, Menschen umgesiedelt, Pipelines verlegt und Minen erschlossen. Am Kongo entsteht mit «Grand Inga» das grösste Wasserkraftwerk der Welt. «Asien ist für uns als Bauindustrie kein Markt mehr», sagt Jörg Wellmeyer, der CoDirektor des Bauriesen Strabag International. «Afrika ist der Kontinent, wo wir die Zukunft der deutschen Bauindustrie sehen.» Die grössten Infrastrukturprojekte in Afrika werden heute allerdings nicht mehr von europäischen Technokraten gebaut, sondern von Chinas staatlich kontrollierten Baufirmen. Viele westliche Länder knüpfen ihre Investitionen an politische Bedingungen oder scheuen den Aufwand und das Risiko angesichts instabiler Verhältnisse und verbreiteter Korruption. China hingegen folgt strikt dem Prinzip der politischen Nichteinmischung und dem wirtschaftlichen Eigennutz. Wie beim AtlantropaProjekt rechnet man im Reich der Mitte nicht mit kurzfristigen Returns on Investment. Das Motto der chinesischen Geopolitik lautet: Was sich in 100 Jahren auszahlen wird, ist heute mutig zu planen. | G |

Idee des eurafrikanischen Austausches: Illustration von Heinrich Kley aus dem Jahr 1932. Lea Haller, Jahrgang 1977, ist Historikerin und lebt in Biel. Sie arbeitet an der Universität Genf und forscht zur Geschichte des Rohstoffhandels in der Schweiz. Sie ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von NZZ Geschichte.

Weiterführende Literatur Sebastian Conrad: Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich. C.H. Beck 2006. Alexander Gall: Das Atlantropa Projekt: Die Geschichte einer gescheiterten Vision. Campus-Verlag 1998. Peo Hansen und Stefan Jonsson: Eurafrica. The Untold History of European Integration and Colonialism. Bloomsbury Publishing 2014. Herman Sörgel: Mittelmeer-Senkung / Sahara-Bewässerung (Panropa-Projekt). Gebhardt 1929. Herman Sörgel: Atlantropa. Fretz & Wasmuth 1932. Verena Schöberl: Die Diskussion um die Paneuropaidee in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien, 1922 1933. LIT Verlag 2008. Wolfgang Voigt: Atlantropa. Weltbauten am Mittelmeer. Dölling und Galitz 1998. Dirk van Laak: Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschliessung Afrikas. F. Schöningh 2004. 65



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