Einfache Verfahren zur Bewertung von inflationsgekoppelten Finanzprodukten

June 12, 2017 | Author: Susanne Kruse | Category: Interest Rate, Indexation, geometric Brownian motion, Mean Reversion
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Einfache Verfahren zur B e w e r t u n g von inflationsgekoppelten F i n a n z p r o d u k t e n Ralf Korn und Susanne Kruse (Kaiserslautern)

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Einfiihrung

Wie es die jfingsten wirtschaftlichen Entwicklungen verdeutlicht haben, bieten weder Aktien noch Anleihen einen dauerhaften, effektiven Schutz gegen den Verfall der Kaufkraft. Aufgrund fallender Kurse waren die Aktienmgrkte iin Gegensatz zur Vergangenheit nicht mehr in der Lage, Inflation zu kompensieren. Zus/~tzlich konnte die Zinspolitik der EZB nicht dazu beitragen, die in manchen L/indern der EU existierenden, relativ hohen Inflationsraten zu zfigeln. Daraus resultiert ein wachsendes Interesse institutioneller, aber anch privater Investoren an innovativen Finanzprodukten, die ihnen erlauben, das Inflationsrisiko abzudecken. Gerade Lebensund Rentenversicherer, die nach den Erwartungen der Verbraucher eine Rendite erwirtschaften sollten, die die Inflation fiber einen vorgebenen, l~ngeren Zeithorizont kompensiert, haben naturgem~fi grofies Interesse an innovativen Finanzprodukten, die zur Deckung realer Verbindlichkeiten dienen. Vor dem Hintergrund aktueller Emissionen inflationsgekoppelter Staatsanleihen am europ/~ischen Markt und entsprechender innovativer Finanzderivate geben wir einen kurzen 0berblick fiber existierende M/irkte ffir inflationsgekoppelte Finanzprodukte. Ferner erl/iutern wir wichtige makroSkonomische Konzepte zur Interdependenz zwischen der gebenen Zinsstruktur am Markt und der Inflation. Aufbauend auf diesen Ideen stellen wir einige einfache Bewertungsm5glichkeiten ffir inflationsgekoppelte Anleihen und Optionen auf die Inflation vor.

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Inflation und relevante makroSkonomische Konzepte

Inflation ist ein integraler Bestandteil unserer derzeit bestehenden Geldsysteme. Bei zunehmender Inflationsgeschwindigkeit verliert das gesetzliche Zahlungsmittel, die jeweilige W~hrung, seine Geldfunktion. Durch den Verlust der Kaufkraft geht die urspriingliche Wertaufbewahrungsfunktion verloren. Nach der klassischen Theorie entsteht eine Inflation durch anhaltende fiberhShte Giiternachfrage fiber das gesamtwirtschaftliche Gfiterangebot hinaus; zus/itzlich k6nnen Regierungen ihre Schulden vermindern, indem sie den Notenbanken gestatten, Geld zu drucken. Inflation ist somit ein natfirlich erscheinendes Risiko ffir die unterschiedlichsten Marktteilnehmer. Wichtiges Merkmal einer Inflation ist die anhaltende und allgemeine Teuerung. Gemessen wird die Inflation gewShnlich am Preisindex ffir die Lebenshaltung aller privaten Haushalte, dem Verbraucherpreisindex (Consumer Price Index, CPI), der die Preisentwicklung eines an den Bedfirfnissen des Verbrauchers orientierten Warenkorbs misst. Zur Messung der Inflation in den L/~ndern der Europi~ischen 351

W~hrungsunion wird von EUROSTAT ein sogenannter Harmonisierter Verbraucherpreisindex (HCPI) ermittelt, der die Preissteigerungsraten innerhalb der einzelnen Mitgliederstaaten der EU vergleichbar machen soll. Im Wesentlichen berechnet sich der Hamonisierte Verbraucherpreisindex der Europiiischen W~hrungsunion (Monetary Union Index of Consumer Prices, MUICP) aus dem gewichteten Mittel der elf l~nderbezogenen Inflationsindizes, wobei sich die Gewichte j~hrlich neu an dem Anteil der jeweils inl~ndischen, privaten Gesamtkonsumausgaben in der Europ~ischen W~hrungsunion ausrichten. Die prozentuale Ver~nderung eines Preisindizes I(t) zum Zeitpunkt t bezogen auf den heutigen Indexstand I(0) entspricht dabei I(t) - I(0) i(t) (2.1)

i(0)

Unabh~ngig davon, welche Ursachen fiir die Inflation verantwortlich sind - ob durch Preissteigerungen im Ausland (importierte Inflation), Kostensteigerungen (Kosteninfation), Steigerung der Finanzierung von Staatsausgaben durch Kreditaufnahme (staatsnachfrageinduzierte Inflation) oder dutch einen Nachfrageboom im Inland (konsumnachfrageinduzierte Inflation) - letztlich ist eine Inflation ohne eine fiberschieflende Geldmenge im Sinne der Geldpolitik und eine entsprechende Zinspolitik nicht denkbar. Deshalb spielen die Zentralbanken in der Stabilitatspolitik eine entscheidende Rolle. Ferner bewirkt der Verlust der Kaufkraftfunktion des Geldes durch fortschreitende Inflation, dass Anleger von ihren Investitionen eine Kompensation der schwindenden Kaufkraft erwarten. Mit anderen Worten verlangen Investoren indirekt eine in der Investition enthaltene ,,Inflationspr~imie". Dies legt einen starken Zusammenhang zwischen Inflation und Zinsstruktur nahe, der sich in den im Folgenden beschriebenen beiden makroSkonomischen Konzepten widerspiegelt und in einer Vielfalt von empirischen Studien belegt wird (siehe z.B. Ang, Bekaert(2003)). Beide Konzepte gehOren der Theorie der rationalen Erwartungen an, die auf der 0berlegung basiert, dass die Marktteilnehmer Ereignisse in der Zukunft antizipieren und darauf im Voraus reagieren. 9 Die Fisher-Gleichung Die Fisher-Gleichung oder auch Fisher-EffektI beschreibt die Auswirkung der Geldpolitik auf das nominale Zinsniveau dutch die folgende Gleichung

rN(t) = TR(t) + Eli(t)].

(2.2)

Hierbei ist r N (t) die nominale Zinsrate fiir einen Anlagehorizont bis zum Zeitpunkt t, ]E[i(t)] die erwartete Inflationsrate ffir diesen Zeithorizont und rR(t) der reale Zinssatz bis t, der dem Gewinn an realer Kaufkraft bei einer Anlage zum nominalen Zins rN(t) entspricht. Unter der Annahme konstanter Realzinsen hat die Fisher-Gleichung zur Folge, dass sich das nominale Zinsniveau und die erwartete Inflation gleichfSrmig 1Die Fisher-Gleichunggeht zuriick auf Irving Fisher(1867-1947), siehe Fisher(1930). 352

~ndern. Dies setzt voraus, dass die Marktteilnehmer an den M/irkten im Durchschnitt zuverl/issige Inflationserwartungen bilden, so dass der ex post realisierte Realzins mit dem ex ante gebildeten Nominalzins im Mittel h~tte erwirtschaftet werden k6nnen.

Terminzins-Regel (Forward Rate Rule) Terminzinsen unterliegen vier unterschiedlichen, nicht beobachtbaren Faktoren: der erwarteten zukiinftigen Inflation, der erwarteten ReMverzinsung, der mit dem Terminzins verbundenen Risikopr~mie und der Inflationsrisikopr~mie. Vernachl~sigt man beide Risikopr~mien, so gelangt man anhand der Fisher-Gleichung zugrunde liegenden Uberlegungen zu folgender Gleichung ft~r s < t f(s, t) = E[rR(s, t)] + E[i(s, t)], (2.3) wobei f(s, t) der heutige Terminzins mit Abrechnungsdatum s und F~lligkeit t, E[rR(s, t)] der erwartete Realzins ftir eine Investition im Zeitraum yon s bis t und ]E[i(s, t)] die erwartete Inflationsrate fiir diesen Zeitraum sind. Unterstellt man, dass die Realverzinsung unver~nderlich in der Zeit ist, so erh~lt man einen linearen Zusammenhang, die sogenannte "Forward Rate Rule"2: E[i(s, t)] = at-s + bt-sf(s, t).

(2.4)

Hierbei entspricht at-s der beobachteten, durchschnittlichen Realverzinsung in einem okSnomischen Gleichgewicht, w~hrend bt-s als Marl dient, wie stark dieser lineare Zusammenhang tatsachlich ist. Ist der Koeffizient bt-s deutlich kleiner als 1, so liegt der Verdacht nahe, dass die Realverzinsung nicht als konstant angenommen werden kann. Beide Koettizienten basieren auf einer Sch~tzung aus der Vergangenheit. Somit verfiigt man fiber zwei Konzepte, die den oi%nkundig existierenden Zusammenhang zwischen der vorliegenden Zinsstruktur und den Erwartungen an die Inflation darstellen. Hierbei sind die Annahmen, die der Forward Rate Rule zugrunde liegen, stringenter als im Falle der Fisher-Gleichung. So zeigen empirische Studien (z.B. Atta-Mensah, Yuan(1998) fiir Kanada), dass die Realverzinsung in der Zeit schwankt und damit ein rein linearer Zusammenhang zwischen den Terminzinsen und der erwarteten Inflationsrate nicht besteht.

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Risikoschutz durch Indexierung an die Inflation

Betrachtet man obige Konzepte, wirft sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Indexierung von Finanzprodukten an die Inflation auf. Wenn der Nominalzins die erwartete Inflation kompensiert, ja sogar von dieser in seiner HShe bestimmt wird, 2Siehe z.B. SSderlind(1995). 353

erscheint auf den ersten Blick kein Handlungsbedarf. Doch damit ist eine yon der Erwartung abweichende Entwicklung der Inflationsrate nicht ausgeschlossen und verbleibt als Risiko - dem unabh/ingig vom bestehenden Zinsniveau existierenden Inflationsrisiko. Eine Risikobelastung besteht vor allem flit solche Firmen, deren Ertrag stark negativ mit der Inflationsrate korreliert ist. Hierzu z/ihlen in erster Linie Versicherungsunternehmen, Fondsgesellschaften und Finanzinstitutionen, deren Kunden einen die Inflation kompensierenden Ertrag erwarten. Gerade Versicherungen halten einen grot]en Anteil von in Nominalwerten notierten Staatsanleihen in ihrem Deckungsstock und sind damit auch einem hohen Inflationsrisiko ausgesetzt, das allerdings in Deutschland dutch den gesetzlich vorgeschriebenen Garantiezins nur im begrenzten Marie an den Kunden weitergegeben werden kann. Die Entwicklungen an den Aktienm~rkten der letzten Jahre haben zus/~tzlich gezeigt, dass auch Aktien nur einen geringen Inflationsschutz bieten k6nnen. Immobilienbanken sehen sich bei langlaufenden Hypothekenkrediten ebenfalls einem Inflationsrisiko ausgesetzt - so bedeutet eine hohe Inflationsrate einen Realwertverlust des Kreditbetrags. Arbeitgeber, deren Lohnkosten explizit (wie etwa in Luxemburg per Gesetz vorgeschrieben) oder implizit an die Inflation gekoppelt sind, unterliegen ebenso wie Versorgungsunternehmen und Immobilienbesitzer, die Preisanstiege aufgrund von Vertragsbindungen und Gesetzen nur teilweise oder verz6gert weitergeben k6nnen, dem Risiko der Inflationschwankungen. Doch nicht nur Unternehmen zeigen sich von einer steigenden Inflation betroffen - so wird sich beispielsweise ein Kunde vor Abschlufi einer Rentenversicherung sehr wahrscheinlich Gedanken machen, ob die vereinbarte zukfinftige Rentenzahlung im Versicherungsfall noch seinen Anspriichen geniigen wird. Zentralbanken k6nnen die Inflationsrate hSchstens niedrig halten (so wurde in den europ~ischen Industriel/~ndern die 10%-Marke nicht iiberschritten), aber selbst 1 bis 2% Inflation, wie im Stabilit/~tspakt der europ/iischen W/ihrungsunion als maximale Inflationsrate vorgegeben, addieren sich im Laufe der Jahre zu erheblichen Wertverlusten: B e i s p i e h Nehmen wir an, die Inflationsrate betriigt iiber einen Zeitraum yon 30 Jahren konstant 1,5~. Ein heute 35 Jiihriger schlieflt eine KapitaUebensversicherung mit einer nach dreiflig Jahren fiilligen, garantierten Leistung yon 100.000 ~ ab. Unter Beriicksichtigung der konstanten Inflationsrate yon 1,5~o entspricht der Realwert der zukiinftigen Garantiezahlung der heutigen Kaufkraft yon 63.976 ~. Hier stellt sich direkt die Frage, warum in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich, den Niederlanden, Italien und vor allem Grot]britannien noch keine inflationsgebundenen Lebens- oder Rentenversicherungen angeboten werden. Dies kann allerdings mit einem bisherigen Mangel an entsprechenden Absicherungsinstrumenten auf dem deutschen Finanzmarkt erkl/~rt werden. 3 3In Italien bietet die Lebensversicherungsparte der italienische Post, die Poste Vita, seit 2000 eine Anleihe, die an die Inflation und Aktien gekoppelt ist. Zwar bestand zu dem Zeitpunkt noch 354

Es besteht somit ein Bedarf an infiationsindexierten Finanzprodukten oder entsprechenden Infiationsderivaten - zum Einen zur Deckung firmeneigener, mit einer steigenden Inflation verbundenen Risiken, zum Anderen aber auch im Hinblick auf die Absicherung innovativer Versicherungsprodukte, die der Verunsicherung der Verbraucher und einem sich verst~trkenden Risikobewusstsein Rechnung tragen.

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Der Markt

fiir i n f l a t i o n s g e k o p p e l t e

Finanzprodukte

Zunehmende Inflationssorgen aufgrund eines weltweit niedrigen Zinsniveaus und steigenden Staatsausgaben sorgen fiir einen stetig wachsenden Markt inflationsgebundener Finanzprodukte. Diesen kann man in drei Produktkategorien unterteilen: 9 Inflationsswaps

Dieser Teil des Marktes ist in einem friihen Entwicklungsstadium. Intiationsswaps geh6ren zu den inflationsgebundenen Finanzinstrumenten, die auf die Bedtirfnisse des jeweiligen Kunden (in der Regel Versicherungen oder institutionelle Grofiinvestoren) angepasst werden k6nnen, insbesondere durch Wahl des jeweiligen Inflationsindizes und der Zinsstruktur. 4 9 Inflationsderivate Diese werden ebenfalls auf die Wfinsche der gleichen Kundenklasse angepasst. Typischerweise werden hier einfache Calls, Puts, Caps, Floors und Swaptions auf einen bestimmten Inflationsindex gehandelt, aber auch exotische Optionen, kfindbare Inflationsanleihen und vieles mehr ist hier bereits am Markt vertreten. 9 Inflationsanleihen Der Markt inflationsgekoppelter Anleihen w~chst stetig. W~hrend in Grofibritannien, den USA, Canada und Australien inflationsgeschiitzte Zinstitel bereits seit mehreren Jahren auf dem Markt sind, geraten diese in Kontinentaleuropa nun immer mehr in Mode. Neben Schweden und Frankreich haben jetzt auch Griechenland und Italien mit der Emission inflationsgekoppelter Staatsanleihen nachgezogen und stiefien dabei auf eine starke Nachfrage. 5 Derzeit priift die Finanzagentur des Bundes, ob in Deutschland die Zinskosten des keine M6glichkeit der Risikoabdeckung durch eine entsprechende Inflationsanleihe, doch wurde das Gesch~ft mittels eines entsprechenden Inflationsderivats von Goldman & Sachs auf den Weg gebracht. 4Seit Mai 2003 erm6glichen Derivate der Deutschen Bank und Goldman &:Sachs auf den MUICP institutionellen Anlegern eine mat3geschneiderte Absicherung ihres Inflationsrisikos auf dem EuroMarkt. 5So erh6hte das Dipartimento del Tresoro Italiens aufgrund der starken Nachfrage das Emissionsvolumen ihrer im September 2003 emittierten ffinfj~hrigen inflationsgebundenen Stmutsanleihe von zun~chst 5 Mio. ~ auf 7 Mio. ~, wobei diese Anleihe bei Emission mit weiteren 5 Mio fiberzeichnet war. 355

deutschen Staates mit inflationsgebundenden Anleihen gesenkt werden kSnnten. Fiir den Rest dieses Papiers wollen wir uns auf die Betrachtung inflationsgebundener Anleihen und Europaischer Calls auf die Inflationsrate beschrgnken. Wir konzentrieren uns dabei auf die am Euro-Markt existierenden Inflationsanleihen und deren Gestaltung. Diese sind entweder an den jeweiligen nationalen Inflationsindex 6 oder an den europ~ischen Harmonisierten Verbraucherpreisindex M U I C P (ohne Tabakpreise) 7 gebunden. Die derzeit existierenden, in Euro quotierten Anleihen gleichen sich in ihren Produkteigenschaften: Sei N der Nominalbetrag einer an den Inflationsindex I gebundenen Anleihe, T ihre Restlaufzeit, to der Referenzzeitpunkt, ab dem die Inflation kompensiert werden soll, auch Basiszeitpunkt genannt, I(to) der zum Basiszeitpunkt aktuelle Stand des zugrundeliegenden Inflationsindizes, c der vereinbarte Realkupon, 8 der an den Kuponterminen tl


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