Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Wer in der traditionellen Archäologie und Kunstgeschichte ›aufgewachsen‹ ist, für den ist die Scheidung sichtbarer Zeugnisse vergangener Kulturen in verschiedene Gattungen eine Selbstverständlichkeit. Man klassifizierte nach den Rubriken Architektur, Malerei und Skulptur, man unterschied zwischen ortsstabilen und mobilen Denkmälern, man entwarf formale Ordnungssysteme, um einer unüberschaubaren Fülle verschiedenartigster Objekte Herr zu werden und sie begreifbar zu machen. Stilreihen innerhalb bestimmter Gattungen bildeten dabei die Grundlage von Datierungen, Typologien waren unverzichtbares Hilfsmittel bei der Beurteilung von regionalen Besonderheiten oder der Herkunft von Bauten und Gegenständen. Spezialuntersuchungen, aber auch ganze Handbücher widmeten sich einem einzelnen Bautyp oder einer Objektkategorie und kartographierten Datierung und Verbreitung. Dabei hat sich in unserem Denken ein systematisierender Blick auf unsere Umgebung verfestigt, der trennt, was eigentlich zusammengehört. Entsprechend ist es nicht immer leicht, sich von dieser abstrakten Sichtweise zu lösen und gestalterische und funktionale Ensembles zu erschließen: die Stadt in ihrer Fülle an Bauten und Monumenten, die Kirche als gemeinschaftlich empfundener religiöser Raum, das Wohnhaus als ebenso repräsentativ wie individuell gestalteter Lebensbereich. Jüngere Studien haben nicht nur einen Bau, ein Bild oder eine Objektgruppe als heuristisches Ziel, sondern bemühen sich um deren Kontextualisierung, um die Menschen, die hinter diesen Werken stehen. Sichtbare Zeugnisse der Vergangenheit werden so zu Informationsquellen über Absichten, Mentalitäten und Befindlichkeiten, verraten etwas über Ängste, Hoffnungen und Wünsche.1
1 Mosaik aus der ersten Ausstattungsphase von Hagios Demetrios
(Ausschnitt): Der Heilige steht in Orantenhaltung vor seinem Ziborium. Von rechts nähern sich ein Vater und sein Sohn mit verhüllten Händen, um Demetrios ihren Dank und ihre Verehrung entgegenzubringen.
Wenn man hinterfragt, mit welchem Recht bisweilen Kontexte auf Grundlage abstrakter Typologien zerrissen werden, dann sollte auch die angebliche Grundverschiedenheit von Bildern und Texten auf den Prüfstand gestellt werden. Anschauliches beruhe auf Dinglich-Konkretem, also auf einer materiellen Grundlage in dieser Welt. Anders verhalte es sich bei Gelesenem oder Gehörtem. Wer sich schriftlich oder mündlich artikuliert, der mache von einer gemeinsamen Sprache Gebrauch, um einen Gedanken mitzuteilen, der verfasse einen Text als Medium zur Vermittlung einer Idee, der instrumentalisiere eine Rede, um ein Auditorium von einem Inhalt zu überzeugen, der weit ins Abstrakte reichen kann. Eine solche Unterscheidung ist nicht nur oberflächlich, sie verkennt vor allem die mediale Wirkung des Anschaulichen. Sie lässt die Möglichkeit außer Acht, dass auch Gesehenes den Betrachter zu einer Idee hinführen kann, die hinter einem Bau oder einem Bild steht. Sie verkennt also, in welchem Maß ein Bild Fenster zu einer Wahrheit sein kann, die jenseits der objekthaften Konkretheit eines Bilds angesiedelt ist. Umgekehrt darf man auch das visuelle Stimulans von Texten nicht unterschätzen, vor allem wenn sie in enge Wechselwirkung mit vermeintlich Anschaulichem treten.2 Beschreibungen von Bauten oder Bildern stellen eine eigene Gattung nicht nur innerhalb der antiken und mittelalterlichen Literatur dar und werden von Archäologen und Kunsthistorikern gerne als deskriptive Umsetzung dessen interpretiert, was der Autor sah. Man glaubte so, die Lücken verlorener Bilder schließen zu können, verstieg sich bisweilen zu elaborierten Rekonstruktionen, mit denen man anschaulich machen wollte, was der Verfasser der Beschreibungen angeblich gesehen hatte.3 Diese Vorgehensweise mag – bei aller Problematik, welche Topik und Eigengesetzlichkeit literarischer Schilderungen aufwerfen – in einigen Fällen gerechtfertigt sein, doch sollte stets berücksichtigt werden, dass beschreibende Texte nur eine spezifische Art der Komposition sind, eine andere Art, Ideen zu vermit-
VI 2
186
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
187
VI 3
VI
188
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Demetrios als individueller Fürsprecher: Die älteren Mosaiken
6a
189
VI 6b
Vorherige Doppelseite: 2 Hagios Demetrios im Jahre 1913 : Die Aufnahme gehört zu drei sog. Autochromen, die Auguste Léon 1913, also noch vor dem Brand des Jahres 1917,
in Hagios Demetrios machte. Es zeigt den südwestlichen Querhauspfeiler mit dem berühmten Mosaik der Stifter. Entdeckt wurden die Mosaiken 1908, als die osmanische Stadtverwaltung die Genehmigung erteilte, in der Kasimiye Camii die alten Mosaiken und Malereien von ihrem Verputz zu befreien. 3 Blick auf die 1907/ 08 freigelegten Mosaiken im nördlichen Seitenschiff. Nur zehn Jahre konnte dieser Teil der Ausstattung der Kirche bewundert werden, da die nördliche Seitenschiffkolonnade infolge des Brands des Jahres 1917 zerstört wurde. 4 Zusammensetzung der Detailaufnahmen, die Feodor Uspenskij im Jahre 1908
angefertigt hatte. Die Schwarzweißaufnahmen des russischen Forschers stellen nach wie vor die beste Dokumentation der 1917 zerstörten Mosaiken dar. Nur das äußerst linke Mosaik wurde von Uspenskij nicht fotografiert und wurde hier nach dem Aquarell von W. S. George eingefügt. 5 Zusammensetzung der Aquarelle, die W. S. George im Jahre 1909 angefertigt
hatte. Georges Aquarelle geben nicht nur die Farbigkeit der Mosaiken genau wieder, sondern auch technische Detail wie Fugen innerhalb der Mosaiken.
teln oder ein ästhetisches Empfinden auszulösen.4 Selbst wenn sich ein Schriftstück als Beschreibung eines Bilds ausgibt, muss ihm kein wirkliches Gemälde zugrunde gelegen haben; selbst wenn ein Text behauptet die Ekphrasis eines Baus zu sein, so muss dieser nicht real gebaut gewesen sein; selbst jene Versdichtungen, die sich als Bildbeischriften ausgeben, müssen nicht unbedingt als solche komponiert worden sein. Sie könnten auch per se, als fiktive Ergänzung zu einem ebenso fiktiven Bild entstanden sein.5 Tatsächlich kann das Lesen oder Hören einer solchen Beschreibung eine ähnliche Wirkung hervorgerufen haben wie die Bildbetrachtung oder das Betreten einer ausgemalten Kirche: Indem man mehr oder weniger vage Hinweise auf die Gestalt erhielt, wurde man zu einer gedanklichen Visualisierung animiert. Diese Imagination mochte wiederum bestimmte Empfindungen, eine abstrakte Idee hervorrufen. Und diese Idee konnte auch ein Heiliger sein.
6a–c Votivbild innerhalb der verlorenen Mosaiken im nördlichen Seitenschiff. Das Mosaik zeigte den Titelheiligen im Orantengestus, dem sich von beiden Seiten Verehrende mit verhüllten Händen nähern. Die begleitende Inschrift entsprach dem üblichen Formular und erinnerte an die Einlösung eines Gelübdes durch Personen, deren Namen allein Gott kennt. Dieses Votivbild ist das einzige von dem sich einige wenige Reste erhalten haben, die heute im Byzantinischen Museum in Thessaloniki ausgestellt sind (6c).
Demetrios als individueller Fürsprecher: Die älteren Mosaiken Die 1907 von der osmanischen Verwaltung erteilte Erlaubnis zur Freilegung der Mosaiken in der immer noch als Moschee genutzten Kirche Hagios Demetrios hatte eine kleine Sensation zur Folge.6 Auf den großen Pfeilern zu Seiten des Altarbereichs kamen großflächige Mosaikpaneele zum Vorschein, die Heilige und verschiedene Stifterpersonen zeigen (Abb. 2). Aber auch über der Kolonnade zwischen den beiden
6c
VI
190
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
7a–b Maria spielt eine große Rolle in den Mosaiken von Hagios Demetrios.
Auf diesem Votivbild erscheint sie als thronende Muttergottes, flankiert von zwei Engeln, einem kleiner wiedergegebenen Heiligen und einem Stifter mit verhüllten Händen.
nördlichen Seitenschiffen wurden durch Entfernung des osmanischen Verputzes ausgedehnte Partien von Mosaik aufgedeckt, die dann bis auf geringe Reste beim Brand des Jahres 1917 zerstört wurden (Abb. 3). Da man die Mosaiken zuvor sehr genau fotografisch dokumentiert hat und auch Aquarellkopien existieren, können wir uns dennoch ein gutes Bild von diesem Teil der Ausstattung machen.7 Was zeigten diese Mosaiken, wer gab sie in Auftrag und welche Rolle spielten sie im Rahmen der oben angedeuteten Autosuggestion? Jene Forscher, die das Glück hatten, in den Jahren zwischen 1907 und 1917 die Mosaiken des inneren nördlichen
Seitenschiffs studieren zu können, sahen sich zunächst einer verwirrenden Vielfalt verschiedener Szenen und Heiligendarstellungen gegenüber, die nicht dem entsprechen wollten, was man an Wandmosaiken in Kirchenräumen der Spätantike kannte.8 Von den sich einst über acht Arkaden erstreckenden Mosaiken waren einzelne Bereiche durch spätere Ausbrüche verlorengegangen, doch hatten sich über weite Strecken zusammengehörige Partien erhalten, die eine ganz andere Dimension der Kirchenausstattung vor Augen führen (Abb. 4 –5). Bereits ein oberflächlicher Blick auf den Befund zeigt, dass die Mosaikfläche in unterschiedlich große Bildfelder gegliedert war, die jeweils eine eigene Rahmenbordüre besaßen. Dabei fällt auf, dass sich zwei Motive abwechselten: ein doppeltes Spiralband in Weiß und Dunkelblau mit einem rot-grünen Ornamentband dazwischen sowie ein rotes Band mit stilisierten Gemmen und Perlen. Offenbar lag den mindestens vier Bildfeldern ein übergreifendes Kon-
Demetrios als individueller Fürsprecher: Die älteren Mosaiken
zept zugrunde,9 eine Annahme, die auch durch das breite perspektivische Spiralband bestätigt wird, das einen durchgehenden oberen Abschluss bildete.10 Ferner ist auffallend, dass der Breite der einzelnen Bildfelder das Interkolumnium als Maßeinheit zugrunde lag: Das zweite Bildfeld von links misst eineinhalb, das dritte und längste misst vier, und das vierte genau ein halbes Interkolumnium. Bereits diese ersten Beobachtungen zur Gliederung des Mosaiks legen nahe, dass einzelne Flächen – abhängig von Einfluss oder Finanzkraft – privaten Stiftern zugewiesen wurden, die sich jedoch einer kompositorischen Grundstruktur zu unterwerfen hatten.11 Entsprechend repetitiv ist die Ikonographie dieser Mosaiken. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist das des Titelheiligen in Orantenhaltung, dem sich kleiner dargestellte Figuren bittflehend nähern, zumeist mit verhüllten Händen, einmal auch mit Kerzen (Abb. 6). Stets werden diese Szenen der Anempfehlung privater Stifter an den Titelheiligen von
191
reichen Architekturrahmungen umgeben, die den frontal dargestellten hl. Demetrios besonders hervorheben. Immer wieder begegnen Inschriften, in denen durch die Formel »in Erfüllung eines Gelübdes (stiftet) der, dessen Namen Gott weiß« zum Ausdruck gebracht wird, dass diese Mosaiken individueller Dank gegenüber dem Heiligen für erfolgte Wohltaten sind.12 Auch Maria spielt eine bedeutende Rolle in den Mosaiken und begegnet mindestens zweimal: als thronende Muttergottes sowie stehend dargestellt, beide Male von Engeln flankiert (Abb. 7–8). In beiden Bildern ist die Fürbitte zentrales Thema. Im ersten Bild führt der kleiner dargestellte Demetrios eine Privatperson zu Christus, der auf dem Schoß Mariens sitzt. Im zweiten Bild fehlt Christus; hier muss Maria durch einen entsprechenden Gestus selbst interzessorisch tätig werden und die drei Personen, zwei Erwachsene und ein Kind, die von den Engeln eingeführt werden, an Christus weiterempfehlen.13
VI
VI
192
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
8a–b Auf diesem Votivbild erscheint die Muttergottes als Fürsprecherin. Auch
hier ist sie von zwei Engeln flankiert; diesmal jedoch legt sich durch ihren Armgestus Fürbitte ein für die Privatpersonen, die sich ihr demütig nähern. Rechts oben muss sich einst eine Christusdarstellung befunden haben; diese wurde später durch Medaillons mit begleitender Inschrift ersetzt.
Diese Szene ist Teil eines vier Interkolumnien langen Bildfelds, dessen Darstellungen immer wieder als eine Art Zyklus angesprochen werden (Abb. 9): Viermal sieht man ein kleines Mädchen mit einem charakteristischen Kreuzzeichen auf der Stirn.14 Als Säugling wird es von der Mutter dem Heiligen Demetrios dargebracht, der vor seinem silbernen Ziborium sitzt und es Christus anempfiehlt,
der als Brustbild in einem Medaillon darüber erschien.15 Dasselbe Kind ist bereits etwas größer, als es Maria dargebracht wird. Es kann bereits stehen, als es zusammen mit seiner Mutter dem hl. Demetrios eine Kerze darbringt.16 Schließlich scheint es bereits ein größeres Mädchen, als es Demetrios in einer abschließenden »Szene« zwei Tauben überreicht (Abb. 10a–b).17 Darunter ist folgende Inschrift zu lesen:18 »Und du, mein Herr, heiliger Demetrios, hilf uns, deinen Dienern, und deiner Dienerin, Maria, welche du uns gegeben hast.« Nun erfährt man also den Namen des kleinen Mädchens, dessen Schicksal offenbar so eng mit dem Titelheiligen der Kirche verwoben war. Was zunächst wie ein chronologischer Zyklus wirkt, ist eine Folge von vier
Demetrios als individueller Fürsprecher: Die älteren Mosaiken
Votivbildern mit ein und demselben Mädchen in verschiedenen Altersstufen, die von den Eltern als Dank für erfolgte Rettung und als Ausdruck der Hoffnung auf künftige Hilfe angefertigt wurden.19 In diesem Kontext ist vermutlich das Kreuzzeichen zu verstehen, welches das Kind auf seiner Stirn trägt: Es signalisiert die Rettung aus großer Gefahr infolge eines Wunders.20 Bereichert werden die verschiedenen Darstellungen im nördlichen Seitenschiff durch einzelne oder in Gruppen angeordnete Medaillons mit verschiedenen Heiligen oder auch Christus (Abb. 11). Nicht alle Heiligen können identifiziert werden. Diejenigen, deren Nimben Namensbeischriften aufweisen, lassen sich als Lokalheilige bestimmen: etwa Mat-
193
rona und Alexander.21 Ein ganzes Pantheon, allen voran der Titelheilige Demetrios und die Muttergottes, aber auch zahlreiche lokale wie überregionale Heilige, sollten Wohl und Heil der Thessaloniker Bevölkerung garantieren, indem sie Gläubige allen Geschlechts und Alters Christus empfahlen. Die Mosaizisten, die dies zum Ausdruck brachten, bedienten sich wohlbekannter Bildformulare.22 Immer wieder begegnen in der Bildfolge einzelne Motive und Gesten, die aus anderen Kontexten bekannt sind. So ist die Annäherung mit verhüllten Händen ein Motiv, das aus der imperialen Ikonographie der Spätantike wohlbekannt ist.23 Es signalisiert das demütige Empfangen einer Wohltat von einer höheren, übermenschlichen Instanz und wird auch häufig
VI
VI
194
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
9 Ein besonders breites Bildfeld ist einem Mädchen namens Maria gewidmet, das viermal in verschiedenen Altersstufen erscheint. Offenbar stattete man dem hl. Demetrios Dank für die Errettung des Mädchens ab.
in der »christlichen« Ikonographie aufgegriffen, etwa wenn Heilige ihren Märtyrerkranz aus den Händen Christi empfangen. Oft wird das Motiv der verhüllten Hände mit dem Gestus des Einführens verbunden: Hierbei legt eine höherrangige Gestalt, welche die Funktion eines Mittlers hat, den Arm um die Schulter einer Person, die zu einer noch höheren, göttlichen Instanz geführt wird.24 Meist sind es Engel, die ihre Hände auf die Schultern von Privatleuten, aber auch von Heiligen, legen, um sie Christus vorzustellen. Oft sind es auch Heilige, die so ihre Anempfehlung zum Ausdruck bringen und zwischen einem Individuum und Christus vermitteln. Hierbei spielt noch ein weiterer Gestus eine bedeutende Rolle, der Gestus der Anempfehlung.25 Indem Heilige ihre beiden Arme in eine Richtung halten, weisen sie auf das Ziel der Anempfehlung, in der Regel Christus. Dieser Gestus wird zum Standardformular späterer Deesisbilder, in denen Maria und Johannes Fürbitte für die Stifter – und den Betrachter – einlegen.26 Nicht selten begegnen Kombinationen zwischen den verschiedenen Gesten: So berührt der vor seinem Zibo-
rium thronende Demetrios mit seiner Rechten das kleine Kind an der Schulter, während er mit der Linken zu Christus weist, der wiederum durch das Ausstrecken seiner Hand die Annahme der Fürbitte signalisiert (Kap. V Abb. 35). Meist jedoch sehen wir den Heiligen im Orantengestus. Bei Privatpersonen drückt das Heben beider geöffneter Hände das Gebet aus, bei Heiligen jedoch die Fürbitte. Dadurch dass sich der Heilige dem Betrachter stets frontal präsentiert, gelangen nicht nur die im Bild dargestellten Personen in den Genuss der Fürsprache, sondern auch jene Personen, die sich außerhalb des Bilds befinden, also die damaligen Besucher der Kirche. So trugen die Bilder in erheblichem Maße dazu bei, dass Bild- und Realraum miteinander verschmolzen, dass der gesamte Kirchenraum als Bereich wahrgenommen wurde, in dem ein Heiliger sich der Sorgen und Nöte der Bevölkerung annahm und eine Brücke zu Gott bildete. Doch sollte man sich vor vorschnellen Schlüssen hüten. Denn wenn auch offensichtlich ist, dass die Mosaiken des nördlichen Seitenschiffs bis an die Westwand der Kirche reichten, so ist keinesfalls sicher, dass sie sich über die neunte Arkade hinaus nach Osten erstreckten. Das nur ein halbes Interkolumnium breite Mosaikfeld mit dem Heiligen in Orantenhaltung schließt nach rechts senkrecht mit einer Gemmenbordüre ab; Hinweise auf ein benachbartes Mosaik-
Demetrios als individueller Fürsprecher: Die älteren Mosaiken
feld fehlen (Abb. 6). Im Gegenteil, hier konnten noch vor dem Brand von 1917 Reste verschiedener Malschichten festgestellt werden, die leider undokumentiert blieben, zumindest aber wahrscheinlich machen, dass die Mosaiken hier endeten.27 Damit ergibt sich eine spannende räumliche Disposition, die nur im Zusammenhang mit der Lage des Ziboriums zu verstehen ist. Durch dessen Positionierung nahe den verde antico-Säulen der nördlichen Arkadenkolonnade, vor allem aber durch einen Eingang, der an der Nordseite des Ziboriums lag, wurde das nördliche Seitenschiff – nicht das Mittelschiff – als bedeutender Zugangsbereich definiert. Von hier konnten die Gläubigen durch die geöffneten Türen des Ziboriums ins Innere blicken, durften es vielleicht auch betreten. Wer dem hl. Demetrios seine Aufwartung machen wollte, tat dies, indem er sich vom Narthex direkt ins innere nördliche Seitenschiff bis auf die Höhe des Ziboriums bewegte. Genau hier sah man die zahlreichen ex voto-Mosaiken, die ins Bild umsetzen, was man sich in diesem Bereich des Kircheninneren erhoffte: einen besonders engen Kontakt zum Heiligen, der das Anliegen an Gott weiterreichte.28 Diese Bilder waren freilich keine Ikonen in dem Sinne, dass sie den Heiligen vergegenwärtigten oder gar selbst Adressaten der Verehrung oder des Gebets waren.29 Sie waren vielmehr Ausdruck der Anreicherung dieses Orts mit heiliger
195
Wirkkraft, des erfolgreichen Eintretens des Heiligen für seine Schutzbefohlenen. Wann aber entstanden diese Mosaiken? In der Forschungsliteratur findet sich weitgehender Konsens hinsichtlich einer frühen Datierung. Sie seien bald nach Vollendung der Kirche angefertigt worden, jedenfalls noch vor den Bildern auf den Pfeilern des Altarbereichs und an der Westwand der Basilika, auf die gleich noch zurückzukommen sein wird.30 Vermutlich dürften die Mosaiken im inneren nördlichen Seitenschiff in der ersten Hälfte des 6. Jh. geschaffen worden sein. Zu diesen ›frühen‹ Mosaiken zählen auch zwei weitere, die sich an der Westwand des Naos befinden. Ein ebenfalls 1907 aufgedecktes Mosaik, das sich noch heute auf der westlichen Abschlusswand des inneren südlichen Seitenschiffs befindet, zeigt in der bereits vertrauten Art den hl. Demetrios in Orantenhaltung vor seinem silbernen Ziborium (Abb. 1).31 Links des Heiligen ist noch der Rest einer kleinen weißgekleideten Figur erhalten, die sich ihm mit verhüllten Händen nähert; von rechts kommen zwei weitere männliche Personen, ebenfalls mit verhüllten Händen, herbei. Votivbilder entstanden somit nicht nur im nördlichen Seitenschiff, sondern auch an anderen Orten innerhalb des Kirchenraums. An der Westwand des inneren nördlichen Seitenschiffs, oberhalb der Türöffnung, die zum Narthex
VI
VI
196
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
10a–b Im letzten Bild bringt das Mädchen Maria, das auf der Stirn das Kreuz-
zeichen trägt, dem hl. Demetrios zwei Tauben dar. Die Beischrift lautet: »Und du, mein Herr, heiliger Demetrios, hilf uns, deinen Dienern, und deiner Dienerin, Maria, welche du uns gegeben hast.«
führt, befindet sich der Rest eines weiteren Mosaiks, das unmittelbar nach dem Brand des Jahres 1917 entdeckt wurde (Abb. 12).32 In seiner Ikonographie unterscheidet es sich von den bislang gesehenen Bildern: Erkennbar ist der frontal dargestellte hl. Demetrios mit der für ihn typischen
Demetrios als individueller Fürsprecher: Die älteren Mosaiken
Haartracht. Von oben erscheint aus den Wolken ein Engel mit Posaune, weiter rechts sind noch die spitzen Enden des Flügels eines weiteren Engels erkennbar. Die Szene ereignet sich in der Natur, wie der Rest einer Felsangabe unter dem Engel zeigt. Die Ikonographie spricht somit gegen ein pri-
197
vates ex voto-Mosaik. Handelt es sich also um den Bestandteil einer apokalyptischen Szenerie, in welcher der Heilige seinen Anteil am Erlösungswerk hat?33 Oder handelt es sich um die abschließende Szene der Passion des Heiligen, die Aufnahme im Himmel nach seiner Hinrichtung?34
VI
VI
198
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
11 Immer wieder begegnen verschiedene Heilige in einzelnen Medaillons, denen sich auch Privatpersonen demütig nähern können, wie dieses Detail zeigt. Unter den hier abgebildeten Heiligen sind durch begleitende Inschriften Matrona und Pelagia identifizierbar.
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken Wer die alten Aufnahmen oder Aquarellkopien der Mosaiken aufmerksam betrachtet, der wird feststellen, dass sie nachträgliche Reparaturen und Ergänzungen aufweisen. Am verlässlichsten haben Nikolaj Kluge und Walter S. George diese technischen Befunde beschrieben und dokumentiert.35 So ist der gesamte obere Bereich der Mosaiken
zu einem späteren Zeitpunkt erneuert worden. Aus dieser Phase stammen das perspektivische Spiralband sowie die oberen Partien der einzelnen Votivbilder. Ebenso wurden die oberen Rahmenbordüren, ganze Medaillons und Teile der Gesichter instandgesetzt, wie eine durchgehende Mosaikfuge, aber auch Unterschiede in der Mosaiktechnik bezeugen (Abb. 13).36 Die Art der Beschädigung, ein durchgehender Ausbruch im oberen Bereich, zeigt, dass sie nicht im Laufe der Zeit entstand, sondern Folge einer Zerstörung der oberen Wandpartien war: War die obere Stützenreihe einer Zerstörung anheimgefallen oder der hölzerne Emporenboden abgebrannt?37 Anscheinend erachtete man die älteren Mosaiken als so bedeutend, dass man sie behutsam renovierte und ihr originales Erscheinungsbild wiederherstellte. Die entstandenen Schäden sollten nach Möglichkeit nicht
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken
erkennbar sein, das segensreiche Wirken des Titelheiligen sollte sich dem Betrachter in einer ursprünglichen Bildausstattung erschließen. An einer Stelle jedoch nutzte man die Gelegenheit zur Aktualisierung des Dekors. Es handelt sich um die sechste Arkade von Westen, also um genau jenen Ort, der sich gegenüber dem Zugang zum Ziborium befand. Hier wurde der ohnehin vorhandene Ausbruch nach unten erweitert, um drei Medaillons und eine begleitende Inschrift einzufügen (Abb. 14a–b).38 Das leicht erhöhte zentrale Medaillon zeigte ein Brustbild des hl. Demetrios. Zu Seiten des Heiligen befanden sich Geistliche: links war ein Diakon im weißen Sticharion mit einem schmalen Orarion wiedergegeben, rechts ein Bischof. Der Text der begleitenden Inschrift lautet (Abb. 14c):39 »Zur Zeit Leons siehst du nun blühend die einst niedergebrannte Kirche des Demetrios.«
199
Offenbar wurde die Kirche nach einem Brand wiederhergestellt, wobei man auch die Schäden an den Mosaiken behob und diese zugleich um die Darstellung zweier Kleriker zu Seiten des Titelheiligen bereicherte. Diese beiden Kleriker sind, obwohl ihre Namen nicht genannt werden, keine Unbekannten. Ihre charakteristischen Bildnisse begegnen auch an anderen Stellen in Hagios Demetrios: Sie sind noch heute auf einem schwer beschädigten Mosaik auf der Westwand des Mittelschiffs und auf den Mosaiken zu Seiten des Altarbereichs zu sehen.40 Die großflächigen Mosaikfelder auf den Pfeilern zwischen Mittelschiff und Querhaus zeigen Darstellungen ganz anderer Art (Abb. 15 –16): Der Personenreichtum und die Detailfülle der Mosaiken im nördlichen Seitenschiff sind nun einer hieratischen Frontalität weniger Personen gewi-
VI
VI
200
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken
201
VI
13 12
13 Die oberen Partien der Mosaiken
14 a
im inneren nördlichen Seitenschiff sind erneuert worden, als man das Feld mit den drei Medaillons und der Inschrift einfügte. Walter S. George hat diesen Befund auf seinen Aquarellen genau dokumentiert.
12 Mosaik auf der westlichen Abschlusswand des inneren nördlichen Seitenschiffs. Erkennbar ist der hl. Demetrios an seiner typischen Haartracht. Von oben erscheint ein Engel mit Posaune, außerdem sind rechts noch die Flügelspitzen eines weiteren Engels erkennbar.
14b
14 a–c In die Mosaiken des inneren
nördlichen Seitenschiff hat man nachträglich ein Feld mit drei Bildnismedaillons und einer Inschrift eingefügt: Zu Seiten des hl. Demetrios sind zwei Kleriker zu erkennen. Die Inschrift, die sich bis heute erhalten hat, erwähnt die Wiedererrichtung der brandzerstörten Kirche zur Zeit eines gewissen Leon. 14c
VI
202
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken
203
VI
VI
204
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken
Vorherige Doppelseite: 15 Drei Seiten des Südwestpfeilers sind mit Mosaiken dekoriert. Auf der
Westseite findet sich eine Darstellung des hl. Sergios, auf der Nordseite das berühmte Stifterbild eines kirchlichen und weltlichen Würdenträgers zu Seiten des hl. Demetrios und auf der (hier nicht sichtbaren) Ostseite das Stifterbild eines Diakons mit dem hl. Demetrios. 16 Auch der Nordwestpfeiler wurde auf drei Seiten mit Mosaiken dekoriert.
Auf der Westseite sieht man den hl. Georg mit zwei Kindern, auf der Südseite die Darstellung der Muttergottes mit dem hl. Theodor und auf der (hier nicht sichtbaren) Ostseite den hl. Demetrios.
chen. Das vielleicht bekannteste Mosaik ist das des Titelheiligen zwischen einem weltlichen und einem geistlichen Würdenträger an der Nordseite des südlichen Pfeilers (Abb. 17).41 Der Heilige legt seine Arme um einen bärtigen Kleriker in weißem Phelonion, der mit verhüllten Händen einen Prachtkodex trägt, sowie um einen ebenfalls bärtigen Mann in grüngoldener Toga über Colobium und langärmliger Tunika, der in seinen Händen ein dünnes Stabzepter und eine Mappa hält. Beide stellen ›bestimmte‹ Personen dar, denn beide sind von einem hellen Rechtecknimbus hinterfangen, der auf lebende Personen hinweist, und beide sind – im Gegensatz zum zentralen Heiligen – durch besonders differenzierte ›Zeitgesichter‹ charakterisiert. Schon bald hat man erkannt, dass der bärtige Kleriker dieselbe Person ist, die auf den nachträglich eingefügten Medaillons im nördlichen Seitenschiff begegnet. Umso merkwürdiger, dass die begleitende Inschrift am unteren Rand keine weiteren Informationen zur Identität der Dargestellten liefert:42 »Die Stifter des hochberühmten Hauses siehst du / rechts und links vom Märtyrer Demetrios, / der eine b arbarische Welle gegen die Flotte der Barbaren / wendet und die Stadt befreit«. Immerhin erfahren wir, dass sich die beiden Würdenträger um den Wiederaufbau der Kirche verdient gemacht haben. Auch der Diakon in den nachträglich eingefügten Medaillons im Nordschiff begegnet ein weiteres Mal. Sein 17 Südwestlicher Querhauspfeiler, Nordseite. Das berühmte Mosaik zeigt den Titelheiligen Demetrios zwischen einem weltlichen und einem kirchlichen Würdenträger. Begleitet wird die Darstellung von einer Inschrift, die zwar keine Namen nennt, aber die Befreiung der Stadt von einer Seeblockade erwähnt. 18 Südwestlicher Querhauspfeiler, Ostseite. Das vom Mittelschiff aus nicht zu
sehende Mosaik zeigt den Titelheiligen mit einem weiteren Kleriker, diesmal einem Diakon. Vermutlich handelt es sich bei dieser anonym gebliebenen Person um einen bedeutenden Stifter.
205
VI
VI 19a
206
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken
207
19b
VI 19c
19a Westwand des Mittelschiffs. Eines der sehr enigmatischen Mosaiken ist die Darstellung des Heiligen zwischen Klerikern. Bei drei Personen, darunter dem Heiligen selbst, wurden nachträglich die Gesichter entfernt.
19b–c Nur zwei der fünf Gesichter dieses Mosaiks blieben unzerstört, darunter
Bild ist auf einem Mosaik an der Ostseite des südlichen Querhauspfeilers zu sehen, das ganz offensichtlich zusammen mit jenem an der Nordseite entstanden ist (Abb. 18).43 Es zeigt rechts den jugendlichen Titelheiligen in Chlamys, wie er seinen Arm um einen kahlköpfigen, bärtigen Kleriker legt, der ein weißes Sticharion mit schmalem Orarion trägt und somit als Diakon gekennzeichnet ist. Begleitet wird das Mosaik am unteren Rand von folgender Inschrift:44 »Ganz seliger Märtyrer Christi, Freund der Stadt, trage Sorge für die Stadtbewohner und die Fremden« – abermals wird kein Name genannt. Der anonyme Diakon begegnet noch ein weiteres Mal auf einem stark beschädigten Mosaik an der Westwand des Mittelschiffs (Abb. 19).45 Es bestand einst aus fünf Ganzfiguren, deren untere Partien zerstört sind wie auch die Gesichter der mittleren drei.46 Im Zentrum der Darstellung befindet sich ein bartloser nimbierter Heiliger in Chlamys, der mit hoher Wahrscheinlichkeit als Demetrios anzusprechen ist. Er legt seine Arme um die Schultern zweier frontal dar-
gestellter Kleriker, bei denen es sich um Bischöfe mit Rechtecknimben handelt, wie an deren Omophoria zu erkennen ist. Auch ihre Gesichter wurden absichtlich zerstört. Weiter außen, leicht versetzt hinter den Bischöfen folgt zu beiden Seiten je ein weiterer Kleriker. Bei ihnen handelt es sich, wie aus ihrer Kleidung hervorgeht, um einen Priester im Phelonion und einen kahlköpfigen, bärtigen Diakon in Sticharion mit Orarion – denselben, den wir bereits kennengelernt haben (Abb. 19c). An verschiedenen Stellen des Baus begegnen somit immer wieder dieselben Kleriker, einmal auch ein weltlicher Würdenträger, die offenbar mit der Wiederherstellung der Kirche nach einem Brand zu tun hatten. Die herausragende Position des Diakons, der im Altarbereich ein eigenes Mosaikfeld erhielt und auch in der Drei-Medaillon-Gruppe des nördlichen Seitenschiffs den Ehrenplatz zur Rechten des hl. Demetrios einnahm, lässt vermuten, dass ihm eine ganz besondere Rolle zukam. Dennoch erfährt man an keiner Stelle seinen Namen. Nur die Inschrift im nördlichen Sei-
das dieses Priesters und jenes Diakons, der auch in anderen Mosaiken auftaucht.
VI
208
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken
12 . Jh. trägt eben jenes Wunder, in dem von dem Brand der
20 Noch behaupten sich die frühmittelalterlichen Votivmosaiken auf den Pfei-
lern vor dem Altarbereich gegen die zahlreichen neuen Bilder auf der Ikonostase und in der Apsis. Eine besonders prominente Position kam den hll. Georg und Sergios zu, deren ganzfigurige Darstellungen sich zum Mittelschiff hin richteten.
tenschiff erwähnt einen Leon, doch dient dieser Name als Zeitangabe, meint also einen hohen Beamten, einen Bischof oder gar einen Kaiser, der nicht unbedingt dargestellt gewesen sein muss. Damit sind wir mitten in der Diskussion um Identifizierungen und Datierungen. Datierungsfragen Nun kommt wieder jener Brand ins Spiel, der im dritten Wunder der zweiten anonymen Sammlung der Miracula Sancti Demetrii berichtet wird und der in der Zeit um 620 stattgefunden haben soll.47 Wenn die Inschrift im nördlichen Seitenschiff auf diese Brandkatastrophe Bezug nimmt, muss das zugehörige Mosaik in den Jahren danach angefertigt worden sein, müssen auch die anderen Mosaiken, in denen derselbe Bischof und Diakon abgebildet werden, aus dieser Zeit stammen. Außerdem fand, wie der begleitenden Inschrift des Mosaiks mit den beiden Würdenträgern zu Seiten des hl. Demetrios zu entnehmen ist, in dieser Zeit die erfolgreiche Abwehr eines See-
angriffs von Barbaren statt – auch dies ein Ereignis, das im zweiten Buch der Miracula Sancti Demetrii erwähnt wird.48 Vieles spricht also dafür, dass die Erneuerung der Kirche und die Ausführung der Mosaiken im ersten Drittel des 7. Jh. erfolgten. Schwieriger gestaltet sich allerdings der Versuch einer Identifizierung der beiden Kleriker. Klar ist, dass der Diakon einen ganz besonderen Anteil am Wiederaufbau gehabt zu haben scheint, da er besonders oft abgebildet wird. Vielleicht handelt es sich bei ihm um einen der »rechtmäßigen Diener des ruhmwürdigen Demetrios«, der im dritten Wunder des zweiten Buchs der Miracula Sancti Demetrii erwähnt wird:49 Dort wird erzählt, nach dem Brand der Kirche sei der hl. Demetrios einem Diakon im Traum erschienen und habe ihm den raschen Wiederaufbau der Kirche zugesagt.50 Daraufhin habe der Kleriker diesen Traum seinen Verwandten mitgeteilt, die nicht glauben konnten, dass man in der Lage sei, eine solche Kirche neu einzudecken. Woher sollte man die Handwerker nehmen, woher das Geld? Doch gelang es dem Diakon schließlich mit Hilfe Gottes, die Kirche wieder zu errichten. Gleichermaßen kompliziert wird es, wenn man versucht, den in der Inschrift genannten Leon zu identifizieren. In einer Handschrift der Miracula Sancti Demetrii aus dem
Kirche die Rede ist, die Überschrift ἐπὶ τῶν χρόνων Λέοντος ἐπάρχου – »zur Zeit des Präfekten Leon«.51 Diese kaum zufällige Namensübereinstimmung in Kontexten, die mit einer Brandzerstörung und Wiedererrichtung der Kirche zu tun haben, führte zur durchaus plausiblen Vermutung, beim Leon der Mosaikinschrift müsse es sich um einen Präfekten handeln.52 In Frage kommt hierbei nur das Amt des Prätorianerpräfekten, also des höchsten zivilen Reichsbeamten.53 Im 7. Jh. scheint sich das Amt in eine Art Präfektur der Stadt Thessaloniki verwandelt zu haben, deren Inhaber in den Quellen unter der Bezeichnung praefectus Thessalonicensis begegnet.54 Ein Präfekt namens Leon lässt sich zwar nicht nachweisen, doch mag das an der unsicheren Überlieferung liegen: Die Inhaber dieses Amtes sind vor allem in der frühbyzantinischen Zeit keinesfalls lückenlos bekannt.55 Immer schon hat man vermutet, dass der in eine Toga gekleidete Würdenträger auf dem Mosaik der »Stifter« jener in der Inschrift genannte Leon ist (Abb. 17). Doch ist diese Annahme nicht zwingend. Denn die Inschrift mit der Nennung Leons befindet sich im nördlichen Seitenschiff, unter einer Darstellung dreier Medaillons, von denen keines einen Prätorianerpräfekten zeigt, während der Würdenträger in konsularischer Tracht auf der Nordseite des südlichen Altarpfeilers zu sehen ist. Ausgerechnet hier jedoch fehlen namentliche Beischriften, wird nur die Abwehr eines feindlichen Flottenangriffs erwähnt. Wer also ist dieser Togatus, dem Benjamin Fourlas eine sehr sorgfältige Analyse gewidmet hat?56 Immer wieder ist zu lesen, bei ihm handle es sich um eine historisierende Darstellung des Eparchen Leontios, der bereits im Zusammengang mit der Gründung der Kirche begegnet ist.57 Für diese Annahme gibt es aber keinen Grund, denn der hohe Beamte trägt nicht nur die Toga in typisch spätantiker Draperie, er präsentiert sich auch mit einem individualisierten Gesicht und einer Modefrisur des 6. und 7. Jh.58 Toga, Zepter und Mappa deuten auf eine Person konsularischen Rangs hin. Im 7. Jh. konnte das nur ein Ehrenkonsul gewesen sein, da das Konsulat bereits unter Justinian abgeschafft worden war. Mit einer solchen Ehre konnte ein Prätorianerpräfekt zwar ausgezeichnet worden sein, doch war es nicht zwingend notwendig. Insgesamt bleiben somit zahlreiche Fragezeichen und einige Wahrscheinlichkeiten: Der Togatus war wohl ein in Thessaloniki residierender Prätorianerpräfekt konsularischer Würde. Er ist mit jenem (Präfekten) Leon identisch, der in der Inschrift
209
zu den gleichzeitigen Mosaiken im nördlichen Seitenschiff genannt wird. Als Datierungsanhaltspunkt besitzen wir die in den Inschriften genannte Brandkatastrophe, welche die Erneuerung der Kirche notwendig machte, und die Abwehr einer feindlichen Seeattacke. Beide Ereignisse werden in den Wunderberichten erwähnt und fanden im frühen 7. Jh. statt; sie bilden den terminus post quem für die Mosaiken.59 Weitere Heilige Das Mosaik mit den beiden »Stiftern« entstand als Teil einer ganzen Reihe weiterer Mosaiken auf den beiden Pfeilern zu Seiten des Altarbereichs (Abb. 20). Wer vom Mittelschiff nach Osten blickte, der nahm zunächst zwei Heiligendarstellungen wahr. Links, also auf der Westseite des nördlichen Pfeilers, sah er einen jugendlichen Heiligen in Chlamys (Abb. 21).60 Seine voluminöse, lockige Haarpracht widerspricht einer Identifizierung mit dem hl. Demetrios, der immer dort, wo er sicher identifiziert werden kann, kurzes kompaktes Haupthaar trägt (Abb. 30).61 Inzwischen scheint erwiesen, dass es sich bei dem Chlamysträger um den hl. Georg handelt; man fand eine gemalte Inschrift mit dem Namen dieses Heiligen über dem Mosaik.62 Neben ihm stehen zwei unterschiedlich große Kinder, die ebenfalls in Chlamys gekleidet sind und ihre verhüllten Hände erhoben halten. Der Heilige legt seine linke Hand um die Schulter des größeren der beiden Kinder, die Rechte hält er im Gestus der Anempfehlung erhoben. Auch die Darstellung rechts des Altarbereichs, also an der Westseite des südlichen Pfeilers, zeigte nicht den Titelheiligen, sondern den hl. Sergios mit dichter Lockenfrisur (Abb. 22).63 Der Heilige, dessen Name in einer Inschrift über dem gefalteten Hintergrundbehang genannt wird, ist allein dargestellt und trägt eine reichverzierte Chlamys über langärmliger Tunika. Frontal dem Betrachter zugewandt erhebt er seine Hände im Orantengestus und empfiehlt die Fürbittenden so Gott. Vermutlich wurden beide Mosaiken mit den hll. Georg und Sergios vom selben Mosaizisten angefertigt.64 Die Anempfehlung ist auch das Thema des großen Mosaikpaneels gegenüber dem Stiftermosaik, also an der Südseite des nördlichen Altarpfeilers (Abb. 23).65 Es zeigt links die Muttergottes im rotbraunen Gewand mit Maphorion, die vor sich eine geöffnete Schriftrolle mit folgendem Text trägt:66 »Fürbitte. Herr und Gott, erhöre die Stimme meiner Fürbitte, da ich für die Welt bitte.« Maria wendet sich nach rechts, wo ein männlicher Heiliger in Chlamys frontal dargestellt ist und die Hände im Orantengestus emporhält.
VI
VI
210
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
21 Lange Zeit war die Identität des Heiligen, der als Fürbitter für zwei Kinder auftritt, umstritten. Erst die Entdeckung einer gemalten Beischrift über dem Mosaik erlaubte eine Identifizierung als hl. Georg.
22 Das Mosaik mit der Darstellung des hl. Sergios wurde vermutlich vom
Bei ihm kann es sich aufgrund der Haar- und Barttracht unmöglich um Demetrios handeln; vermutlich ist es Theodor, der gerne mit dem charakteristischen Spitzbart wiedergegeben wird.67 In einem hellen Strahlensegment erscheint oben Christus als kleines Brustbild und streckt seine Hand zu Maria aus. Von der Inschrift am unteren Bildrand ist der Anfang verlorengegangen:68 »… entmutigt durch die Men-
schen, bewahrt durch deine Stärke, widme ich diese Gabe in Dankbarkeit.« Das Bild war somit eine weitere, vermutlich anonyme Stiftung, die einen fürbittenden Heiligen und die Muttergottes zeigt, wie sie ein Bittformular an Christus weiterreicht. Farbgebung, bestimmte Stilmerkmale und die Mosaiktechnik haben immer wieder zu teilweise erheblich späteren
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken
211
selben Mosaizisten angefertigt, der auch das Georgsmosaik machte. Sergios tritt ohne Schutzbefohlene und im Orantengestus vor uns.
23 Ikonographisch aus dem Rahmen fällt die Darstellung der Muttergottes im
Bildformular der sogenannten Paraklesis: Sie hält eine Schriftrolle und wendet
sich an Christus, der als Halbfigur in einem Strahlensegment erscheint. Rechts wendet sich der hl. Theodor frontal zum Betrachter.
VI
VI
212
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
24 a
Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken
213
24b
24c
24d
24 a–d Ein Vergleich der Gesichter der beiden Heiligen auf der Westseite der
Querhauspfeiler mit denen der Muttergottes und des hl. Theodor des Paraklesis-
Mosaiks zeigt frappierende stilistische Übereinstimmungen, die auf eine gleichzeitige Entstehung hinweisen.
Datierungen geführt,69 doch hält keines der Stilargumente einer Überprüfung stand. Die Analogien zu den benachbarten Mosaiken sind so eng, dass von einer gleichzeitigen Entstehung ausgegangen werden muss.70 Vergleicht man die Gesichter der Muttergottes und des hl. Theodors etwa mit denen der hll. Georg und Sergios, ergeben sich ganz frappierende Parallelen in Technik und Stil (Abb. 24a–d): die schmalen schwarzen Augenbrauen, das grüngraue Feld zwischen Brauen und Augen, die lineare Begrenzung der Augen, die farbigen Karunkeln, der aus rosafarbenen tesserae gebildete Nasenrücken mit rotgerandeter Nasenspitze, die dreieckigen rosafarbenen Wangenfelder und so fort. Dieser Befund spricht deutlich für eine gleichzeitige Entstehung. Problematisch ist allerdings die Ikonographie der Darstellung. Es handelt sich um ein Bildmotiv, das in der Forschung als Paraklesis (παράκλησις: Herbeirufen) bezeichnet wird – eine Kombination von Muttergottes und Christus, wobei sich Maria zu Christus wendet und einen Rotulus mit den Worten hält, die sie an ihren Sohn richtet.71 Diese Ikonographie taucht sonst aber erst seit dem 11. Jh. auf.72 Wägt man nun beide Argumente gegeneinander ab, so überzeugen doch eher die stilistischen Ähnlichkeiten. Die Darstellung der Muttergottes mit dem Rotulus in Thessaloniki ist schlicht die älteste bekannte Darstellung dieses Motivs.73 Auch das letzte der sechs Mosaiken auf den beiden Altarpfeilern greift das Fürbittthema auf. Das erst 1947 entdeckte, schwer beschädigte Paneel auf der Ostseite des nördlichen Altarpfeilers zeigt den hl. Demetrios in Chlamys als Oranten (Abb. 25).74 Die Inschrift am unteren Bildrand nennt weder Stifter noch den Namen des Heiligen:75 »In Erfüllung eines Gelübdes – der, dessen Namen Gott weiß«. Abermals handelt es sich um die private Votivstiftung eines unbekannten Thessalonikers, der als Dank für Hilfe durch den Heiligen dieses Mosaikbild anfertigen ließ. Es ist Teil einer größeren Ausstattungsmaßnahme, die nicht nur die beiden Altarpfeiler umfasste, sondern auch die Instandsetzung und Ergänzung der Mosaiken im nördlichen Seitenschiff sowie ein weiteres Mosaik auf der Westwand des Mittelschiffs.76 Immer wieder ist zu lesen, die späteren Mosaiken im Altarbereich von Hagios Demetrios unterschieden sich in ihrer Aussage von den früheren Mosaiken des nördlichen Seitenschiffs: Die Mosaiken zeigten nicht nur andere Stifter, sondern auch ein anderes Verhältnis der Stifter zum Heiligen.77 Während die Mosaiken im nördlichen Seitenschiff Familien, Eltern mit ihren Kindern, darstellten, führten die
25 Erst 1947 entdeckte man ein weiteres Mosaik an der Ostseite des nörd-
lichen Querhauspfeilers, das den hl. Demetrios im Orantengestus zeigt. Die begleitende Inschrift nennt ein anonyme Person, der mit der Mosaikstiftung ein Gelübde erfüllte.
VI
VI
214
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Der hl. Demetrios zwischen Individualisierung und Standardisierung
ihren Demetrios stolz als ebenbürtigen Heiligen wahr; auswärtigen Besuchern wurde auf Mosaiken ein Lokalheiliger vorgeführt, dessen Anspruch weit über die lokale Verehrung hinausging, der neben die bedeutendsten Märtyrer von Byzanz trat. Dass er auch jenseits von Thessaloniki in den Kreis der wichtigsten Heiligen des östlichen Kulturkreises aufstieg, werden wir später sehen.81
Der hl. Demetrios zwischen Individualisierung und Standardisierung In einer Homilie des Erzbischofs von Thessaloniki Leon (840 – 843) wird folgende, vermutlich ältere Geschichte erzählt (Text 1):82 Zur Zeit des Kaisers Anastasios (491– 518) soll ein taubstummes jüdisches Mädchen einen Traum
215
gehabt haben. Es sah einen weißgekleideten Mann und eine ehrwürdige Frau, die es zur Muttergotteskirche begleiteten. Vor dem Zugang zur Kirche entschwanden die beiden und überließen das Mädchen sich selbst. Es betrat nun mit anderen Menschen einen Raum, von dem es glaubte, es sei ein öffentliches Bad. Es tauchte in einem Wasserbecken dreimal unter – und ward getauft! Daraufhin konnte das Mädchen – im Traum – wieder hören und sprechen. Nachdem es erwacht war, machte es sich auf den Weg zur Kirche, betrat das Baptisterium und ließ sich, von göttlicher Kraft veranlasst, nun tatsächlich taufen. So erlangte das Mädchen – jetzt auch in der Realität – die Fähigkeit zu hören und zu sprechen. Nun fielen die Blicke der Geheilten auf die Malereien an der Wand des Baptisteriums, und sie erkannte ihre Begleiter aus dem Traum. Es waren die Muttergottes und der hl. Demetrios! Diese Episode ist in unserem Zusam-
1. Eine Darstellung des hl. Demetrios im Baptisterium der Acheiropoietosbasilika: 26 Unter der Marmorvertäfelung eines der beiden Pfeiler der südlichen Stüt-
zenreihe des Mittelschiffs fand man zahlreiche Graffiti, in denen neben dem hl. Demetrios auch Gott, die Muttergottes und der hl. Theodor angerufen werden.
Pfeilermosaiken hohe Würdenträger, vor allem Kleriker und einen Beamten vor. Näherten sich erstere demütig dem Titelheiligen und der Muttergottes, so präsentierte sich die Würdenträger auf Augenhöhe mit dem Heiligen.78 Diese Schlussfolgerung ist nur bedingt richtig. Denn die Mosaiken des Altarbereichs zeigen sehr wohl auch Kinder, vor allem aber muss man auch die drei Mosaiken des Sergios, der Muttergottes und des Demetrios als private ex voto-Gaben begreifen, wie die zugehörigen Inschriften verraten. Der Dekor des Altarraums wurde von hohen Würdenträgern, dem Bischof, Diakon und Präfekten bestimmt, aber eben nur zum Teil. Vier der sechs Mosaikfelder stammen vermutlich von anderen privaten Stiftern, deren Intentionen gegenüber dem Heiligen sich nicht von denen der Mosaiken des nördlichen Seitenschiffs unterschieden.79 Auffallend ist ferner, dass der Titelheilige Demetrios zwar die bedeutendste Rolle spielt, aber nur einer von mehreren Heiligen im Altarraum ist. Neben ihm legten auch noch andere Heilige Fürsprache für die Bevölkerung
ein, so die hll. Georg und Sergios, die sich, auf den Westflächen der Pfeiler dargestellt, direkt zur Gemeinde im Hauptraum der Kirche wandten, aber auch der hl. Theodor, der die Muttergottes bei der Fürsprache unterstützt. Diese Vielzahl von Heiligen bei gleichzeitiger Dominanz des hl. Demetrios findet sich auch auf den Mosaiken des nördlichen Seitenschiffs, und auch die Graffiti, die man in Hagios Demetrios entdeckte, deuten in dieselbe Richtung: Nach Fortnahme der Marmorvertäfelung fand man auf der Nordseite des östlichen Pfeilers der südlichen Mittelschiffkolonnade eingeritzte Inschriften, die offenbar aus der Spätantike datieren (Abb. 26).80 Hier ruft ein Anastasios gleich mehrfach verschiedene Heilige an, zusammen mit einem Johannes die Muttergottes, zusammen mit einer Markailina den hl. Demetrios und zusammen mit einem Rupios den hl. Theodor. Darunter befindet sich ein Graffito, in dem sich ein Adam(antios) und ein Kyr(i)akos an Gott wenden. In einer weiteren, kleinen Inschrift taucht der Name Iustinos auf. Demetrios war nicht der einzige Heilige, dessen Hilfe man sich versicherte; die Kirche Hagios Demetrios bot auch Gelegenheit, andere Heilige um Beistand zu bitten. Spätestens im 7. Jh. war der zunächst noch wenig bekannte Lokalheilige Thessalonikis in den Kreis überregional verehrter Heiliger aufgenommen. Bewohner Thessalonikis nahmen
Ein 15jähriges jüdisches Mädchen, das von Geburt an taubstumm war (…) hatte im Traum eine Vision gehabt; es sah nämlich einen weißgekleideten Mann und eine sittsame Frau mit ihm, die es beide zusammen von ihrem Haus mitnahmen und entlang der breiten Straße bis zu diesem ehrwürdigen Haus unserer Herrin, der unbefleckten Gottesgebärerin, führten. Sie ließen das Mädchen vor dem südlichen Propylon stehen und verschwanden. Das Mädchen stand dort ratlos, bis es einige Menschen sah, die zur heiligen Taufe hineinschritten; es ging auch mit ihnen hinein und traf auf einige Menschen, die sich taufen ließen. Es dachte, es sei in einem öffentlichen Bad (…), wo es sich samt seinen Kleidern hineinsetzen wollte, um ein Bad zu nehmen. Nachdem es dreimal eingetaucht war, tauchte es aus dem heiligen Wasser auf und sah den Mann und die Frau, die es diesen Weg entlang geführt hatten; sie sagten zu ihr: »Hör und sprich zu Deinem Volk«. So erlangte das Mädchen sofort in seinem Traum sein Gehör und seine Stimme. Da wachte es auf (…) und schlich sich aus seinem Haus und lief die Straße entlang, die ihm im Traum gezeigt worden war, erreichte diese heilige Kirche und fand das heilige Taufbecken voll mit Wasser vor (…). Dort, wie aus göttlichem Gebot von niemandem gehindert und wie im Traum so auch im Wachsein, machte es sich
frei von seinen Kleidern, sprang ins Wasser und stand mit gebeugtem Nacken voller Enthusiasmus vor dem Geistlichen, der damals die Eingeweihten taufte. Der Geistliche war der oben erwähnte Bischof Andreas. Der durch diesen Wagemut des Mädchens in Staunen versetzte Bischof begriff sehr schnell durch die göttliche Eingebung, dass so etwas nicht ohne göttliche Hilfe geschehen kann, und so, ohne im geringsten zu zögern, legte er seine Hand auf den Kopf des Mädchens und taufte es, das nur im Traum die Katechese erlebt hatte. Dann stieg das Mädchen aus dem Wasser, und, (…) obwohl es vorher taubstumm war, fing es an, zu sprechen und zu hören und erzählte das, was ihm im Traum offenbart worden war. Gleichzeitig blickte es auf die im Baptisterium angebrachten Bilder mit der Darstellung von mehreren Gestalten, zeigte auf die Gestalten unserer heiligen Gottesmutter und des ruhmvollen Märtyrers Demetrios und sagte, dass es die beiden waren, die ihm im Traum nachts erschienen waren; indem es laut den Glauben der Christen beschwor, sagte sie, dass sie es waren. Die Namen der Heiligen wusste es nicht zu nennen (…) ja wusste überhaupt nicht, ob sie Heilige seien; es erkannte lediglich ihre Gestalten. (Leon von Thessaloniki, Homilie p. 300107 – 301153 Tisserant. Übersetzung nach Fourlas 2012 , 360 – 362)
VI
VI
216
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
menhang vor allem deshalb interessant, weil das Mädchen nach dem Blick auf die Demetriosdarstellung im Baptisterium der Acheiropoietoskirche sofort in der Lage war, die Traumgestalt zu identifizieren. Mit anderen Worten: Demetrios begegnete dem Mädchen als eindeutig identifizierbarer Heiliger. Was aber war es, das Demetrios unverwechselbar machte? Der spätantike Heilige wird erst allmählich zu einem Individuum.83 Bedeutende Heilige wie Petrus und Paulus entwickeln bereits früh ein charakteristisches Aussehen, andere Heilige erhalten erst sehr spät oder nie ›individuelle‹ Züge. Zunächst ist es nur die Kleidung, die Aufschluss über ihr Amt, ihren Beruf und ihre Tätigkeit gibt: Beamte, Soldaten, Bischöfe, Diakone, Mönche, Asketen. Hätte man zum Beispiel nicht die Beischriften über den weiblichen und männlichen Heiligen in San Apollinare Nuovo, wäre jede Identifizierung unmöglich: Alle Märtyrerinnen werden als vornehme Damen in höfischer Kleidung wiedergegeben, fast alle Märtyrer in weißem Pallium. Nicht der einzelne Märtyrer zählt in dieser Darstellung, sondern die Fülle der Blutzeugen Christi.84 Deutliche Individualisierungen durch unverwechselbare Gesichtszüge, besondere Attribute, etwa Marterwerkzeuge, begegnen erst nach und nach, wobei überregional bekannte Heilige mit einem besonders verehrten Grab als Pilgerort im Vorteil sind: Menas wird in der Regel mit Kamelen gezeigt, Thekla wird von einem Löwen und anderen wilden Tieren begleitet, Simeon der Stylit wird stets auf seiner Säule dargestellt (Abb. 27, 28).85 Was also
Der hl. Demetrios zwischen Individualisierung und Standardisierung
27 Elfenbeintafel mit Darstellung des hl. Menas. Der ägyptische Märtyrerheilige ist über die flankierenden Kamele in proskynierender Haltung leicht zu identifizieren (Mailand, Castello Sforzesco).
28 Goldanhänger mit Darstellung der hl. Thekla (5.– 6. Jh.). Bei der Hinrichtung wurde sie durch ein Wunder vor den wilden Tieren gerettet; daher wird die Heilige oft mit Tieren der Arena dargestellt (Princeton NJ, Art Museum).
machte Demetrios unverwechselbar? Was waren seine individuellen Eigenschaften gegenüber anderen Heiligen? Die Kleidung kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Die reichverzierte Chlamys, ein Mantel, der auf der rechten Schulter mit einer Fibel zusammengehalten wird, ist Rangzeichen eines hohen Beamten, gleichsam das zivile Dienstkostüm eines hohen Militärs und wurde auch vom Kaiser
getragen.86 So wurde einerseits eine hohe Abkunft signalisiert, zugleich aber auch Zuständigkeit für das Wohl der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht. Demetrios begegnet auf den Mosaiken von Hagios Demetrios stets in gegürteter langärmliger Tunika und Chlamys mit campagi und weißen Strümpfen. Die Chlamys ist in der Regel weiß oder hell wiedergegeben, die Tunika beige oder braun mit zumeist
217
blauem Besatz. Damit unterscheidet er sich aber nicht von anderen Heiligen. Die Heiligen Georg, Theodor, Sergios und Bakchos – sie alle waren vor ihrem Märtyrertod hohe Beamte oder Militärs und tragen in spätantiken und frühbyzantinischen Darstellungen eine reichverzierte Chlamys. Wenn es nicht die spezifische Kleidung war, bleiben nur Gesichtszüge und Frisur als individualisierende Merkmale. In der Tat lässt sich hier, bei den eindeutig als Demetrios benennbaren Darstellungen, eine auffallende Homogenität feststellen (Abb. 29): Stets wird der Heilige jugendlich, ohne jegliche Altersmerkmale wie Gesichtsfalten oder Bart gezeigt. Ferner trägt er stets eine kompakte kurze Frisur, wobei die Haare zumeist hell wiedergegeben werden. Wer einen Heiligen mit solchen Gesichtszügen und einer Chlamys sah, der konnte – jedenfalls in Thessaloniki – fast sicher sein, dem hl. Demetrios gegenüberzustehen. Welche Wirkung diese ikonographische Standardisierung hatte, mag man der Episode von der Gefangennahme und Befreiung des Bischofs Kyprianos von Thenai entnehmen.87 Ohne sich zu erkennen zu geben verhalf ein »schöner junger Mann im Soldatengewand«88 dem Gefangenen zur Freiheit, und erst beim Betreten der Kirche Hagios Demetrios merkte Kyprianos, wer der Anonymus war: »Er erhebt sich, erblickt das Bild des Heiligen und ruft vor allen Anwesenden aus, dass 29 Vergleich aller sicherer bzw. höchstwahrscheinlicher Demetriosdarstellungen
in Hagios Demetrios. Immer zeigen die Mosaiken den Titelheiligen als jungen bartlosen Mann mit kompakter Haarkalotte.
VI
VI
218
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Dessen Name nur Gott weiß: bewusste Anonymität
219
30 Detail aus den Aquarellen von Walter S. George, das einen anonymen Stifter mit Votivbeischrift zeigt. Die meisten Stifter ließen sich anonym darstellen, vertrauten ganz darauf, dass Gott ihrer Namen eingedenk sei.
dies derjenige war, der ihn gerettet und begleitet habe …«.89 Immer wieder nehmen Legenden auf die Erkennbarkeit des Heiligen Bezug, wird aus dem anonymen Helfer in einem Traum oder einer Vision ein bestimmter Heiliger mit einem bestimmten Namen in einer bestimmten Kirche.90
Dessen Name nur Gott weiß: bewusste Anonymität Die privaten Stifter, die sich durch ex voto-Mosaiken in Hagios Demetrios verewigten, blieben mehrheitlich anonym (Abb. 30). Gelegentlich tauchen sie als Bittflehende im Bild auf, doch nur selten werden sie namentlich genannt. Meist werden die Mosaiken von der Standardformulierung »in Erfüllung eines Gelübdes – der, dessen Namen Gott weiß« begleitet. Vergleichbare anonyme Stiftungen begegnen, wie schon längst gesehen wurde, überaus häufig in spätantiken Kirchen.91 Mosaikböden setzten sich oftmals aus mehreren Einzelstiftungen zusammen, wobei die jeweiligen Stifter zwar genau die Fläche des von ihnen finanzierten Bodenabschnitts angeben, nicht immer aber ihren Namen.92 Diese öffentliche Anonymität bildet zunächst einen Widerspruch in sich: Wieso sollte man einerseits stolz auf den eigenen Stiftungsanteil verweisen, andererseits aber den Leser der Inschrift im Unklaren lassen, wer der Urheber ist? Wieso sollte man sich über einen bestimmten Anteil am Kirchendekor Gott anempfehlen, ohne sich als Wohltäter zu erkennen zu geben? Derartige Fragen sind zu sehr aus der Perspektive des antiken Stiftungswesens heraus gestellt. Sie setzen voraus, dass ein Individuum für eine Schenkung, die der Allgemeinheit zugutekommt, öffentlich geehrt wird und hierdurch – auf der Grundlage eines do ut des – Sozialprestige erwirbt. Dieser Grundsatz der Reziprozität einer Stiftung bleibt durchaus erhalten, nur haben sich durch ihre Verlagerung in den Kirchenraum die Adressaten verschoben. Nunmehr wurden nicht mehr allein diesseitige Kirchenbesucher über einen Stiftungsaufwand in Kenntnis gesetzt, sondern auch die Gottheit, deren Nähe und Hilfe man sich durch die Gabe erkaufte. Als reale Architektur war Hagios Demetrios wie eine monumentale Kontaktreliquie, welche die Unmit-
31 Nicht nur im Medium des Mosaiks ließen private Stifter den Titelheiligen
darstellen. An der Südwand der Kirche ist heute noch ein Bild des Demetrios erkennen, das den von zwei kleinen Engeln bekränzten Heiligen im Oranten gestus vor einem Architekturhintergrund zeigt.
telbarkeit des Heiligen garantierte. Bilder übersetzten die Anwesenheit des Heiligen ins Anschauliche, und im Bestreben, sich in die memoria dieses Raums einzuspeisen, schufen sich verschiedene Individuen ex-voto-Bilder, über die sie dauerhaft den Raum mit dem Heiligen teilten. In ihrer Summe bildeten die ex-voto-Bilder einen multiplen visuellen Beleg für eine verdichtete Anwesenheit des Numinosen und definierten den Kirchenraum als kollektiven Bereich erfolgreicher Fürsprache. Durch die Anonymisierung der Teilstiftungen und das Fehlen eines Hinweises auf eine spezifische Person, gewannen diese bildlichen und schriftlichen Verweise eine überzeitliche Gültigkeit, konnte sich jeder in die anonymen Gnadenempfänger hineinprojizieren. Selbst die hochrangigen Stifter, die im 7. Jh. die Instandsetzung der Kirche veranlasst hatten, blieben anonym. Gewiss mochten individuelle Porträtzüge Zeitgenossen des Bischofs, des Diakons und der Präfekten an bestimmte Würdenträger erinnert haben, doch spätestens nach einer
Generation war dieses Wissen verschwunden, wurden aus den Dargestellten paradigmatische Würdenträger, die in den Genuss der Fürbitte des Heiligen kamen. In diese konnten sich nun auch spätere Kleriker und Präfekten hineindenken. Die bewusst gewählte Anonymität war somit nicht nur Ausdruck einer über den individuellen Bereich hinausgehenden universellen Wirkmächtigkeit des Heiligen, sondern auch Garant für fortwährende Aktualität und Fortbestand der Bildstiftungen, die bezeichnenderweise auch bis ins zwanzigste Jahrhundert bewahrt wurden.93 Umgekehrt konnte auch die Heiligendarstellung zweideutig bleiben:94 Demetrios unterschied sich hinsichtlich seines Habitus nicht von anderen Heiligen, erst ein Blick auf sein jugendliches Antlitz erlaubte eine Identifikation. Der Heilige mit den beiden Kindern an der Westseite des nördlichen Altarpfeilers galt lange als Demetrios, obwohl er eine dichte Lockenfrisur aufweist (Abb. 21). Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es sich bei ihm um den hl. Georg handelt, doch spielt das nur eine untergeordnete Rolle, denn er war in jedem Fall ein Heiliger, der sich um Kinder kümmerte. So wie der Stifter anonym bleiben konnte, so musste auch ein Heiliger nicht unbedingt (richtig) identifiziert werden, um helfen zu können.95 Demetrios’ Rolle innerhalb seiner eigenen Kirche wird durch andere Heilige keinesfalls
VI
VI
220
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Hagios Demetrios als Rahmen für private Bildstiftungen
221
VI 33a
32 Dieses Mosaik in einer Nische hinter der Apsis zeigt als Brustbild einen Heiligen im Orantengestus. Die begleitende ex-voto-Inschrift eines Ehepaars nennt eine Frau mit Namen Johanna.
reduziert. Im Gegenteil belegen die multiplen privaten ex votos die Wirksamkeit des Ortes, und die Präsenz flankierender Heiliger bekräftigt, dass der Kirchenpatron Eingang gefunden hat in den exklusiven Kreis wundertätiger und überregional verehrter Heiliger.
Hagios Demetrios als Rahmen für private Bildstiftungen Wie also muss man sich die Ausstattung der Kirche Hagios Demetrios im 6. und 7. Jh. vorstellen? Offensichtlich war die Innengestaltung nicht das Ergebnis eines Stifters, etwa des Kaisers oder des Erzbischofs von Thessaloniki, sondern Ausdruck einer regen Beteiligung zahlreicher Privatstifter an der Ausstattung des Kirchenraums.96 Dafür sprechen noch weitere Bildstiftungen, die bislang unerwähnt blieben. An der Südwand der Basilika fand man ein hochrechteckiges Votivbild des von zwei kleinen Engeln bekränzten hl. Demetrios in Orantenhaltung vor einem Architekturhintergrund (Abb. 31).97 Die Malerei ist, wie die Soterious überzeugend hervorhoben, ikonographisch eng an die Darstellungen der
Pfeilermosaiken angelehnt, könnte also wie diese aus dem 7. Jh. stammen. Sie wird auch begleitet von einer Votivformel, die offenbar einen Stifter mit den Anfangsbuchstaben Ka… nennt.98 Ein weiteres Mosaik, welches auf eine private Stiftung zurückgeht, befindet sich in einer Nische hinter der Apsis, die über den südlichen Querhausumgang zu erreichen war. Das nur sehr fragmentarisch erhaltene Mosaik zeigte das Brustbild eines in Chlamys gekleideten Heiligen im Orantengestus, vermutlich den hl. Demetrios (Abb. 32). Darunter las man die ex voto-Inschrift eines Ehepaars, dessen Frau vermutlich Johanna hieß.99 Auch periphere Raumteile waren offenbar mit individuellen Bildstiftungen überzogen, wobei man freilich auch auf das Medium der Malerei zurückgriff. Wie es scheint, war die Innenausstattung der Kirche Hagios Demetrios nicht das Ergebnis eines einheitlichen Programmwillens, sondern verschiedenster Stifter, die zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Stellen ihrem Wunsch nach Fürsprache Ausdruck verliehen. Ähnliches lässt sich auch in einer anderen frühmittelalterlichen Kirche beobachten, deren Malereien sich bis zum heutigen Tag sehr gut erhalten haben: Santa Maria Antiqua am Forum Romanum in Rom. Während das Presbyterium und die Außenwände durchaus mehrszenige Zyklen aufweisen, war das Mittelschiff Bildern individueller Frömmigkeit verschiedenster Privatleute vorbehalten:100 Bilder der Muttergottes, verschiedener Heiliger, auch des Demetrios (Kap. IX Abb. 2 –3). Per Jonas Nordhagen hat
33b
33a–b Ansicht des Fenstergadens über dem nördlichen Querhausbogen aus der Zeit nach Brand des Jahres 1917. Man erkennt zwischen den nachträglich
vermauerten Fensteröffnungen ein hochrechteckiges Bildfeld mit der Darstellung eines Engels. In den Bogenzwickeln sah man einst von Vögeln flankierte Strahlenkreuze und Kantharoi. Vermutlich erstreckte sich dieses Ausstattungssystem, das auf den Wiederaufbau der Kirche im 7. Jh. zurückgehen dürfte, einst über den gesamten Obergaden.
diese Art der Kirchendekoration zutreffend als patchwork scheme bezeichnet und meint damit eine Fülle eigenständiger Votivbilder, die nach und nach das Kircheninnere füllten.101
Das bedeutet natürlich nicht, dass jede Privatperson nach Belieben Bilder in der Kirche anbringen durfte. Die wenigen Reste dekorativer Mosaiken in Hagios Demetrios deuten auf übergreifende Gliederungsprinzipien hin,102 und auch die Komposition der Mosaiken im nördlichen Seitenschiff zeigt, dass bestimmte Rahmenvorgaben existierten, innerhalb derer die privaten Bildstiftungen zu erfolgen hatten. Hinweise auf einen alt- oder neutestamentarischer Zyklus gibt es nicht; der Fokus der Bilder richtete sich überwiegend auf nichtszenische, überzeitliche Darstellungen des Demetrios und anderer Heiliger, die Fürsprache für die
VI
222
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Hagios Demetrios als Ort der Lesung von Wunderberichten
223
34 Bei den Ausgrabungen in der Ostkrypta fand man Fundamente
und Plattform eines Ambos, der einst wohl in Hagios Demetrios aufgestellt war (Hagios Demetrios, Museum in der Krypta).
Stifter und Gläubigen einlegten. Dabei fällt auf, dass das Mittelschiff – bis auf das nachträglich eingefügte Votivbild an der Westwand – unbebildert blieb.103 Über den Arkaden des Erdgeschosses und des Emporengeschosses waren anikonische Marmorvertäfelungen und opus sectile-Arbeiten angebracht.104 Eine bei den Soterious publizierte Aufnahme aus der Zeit nach dem Brand 1917 zeigt zwischen den Fensteröffnungen des Fenstergadens über dem nördlichen Querhausbogen ornamentale Malereien und ein hochrechteckiges Bildfeld mit einer Engelsdarstellung, die vermutlich aus der Zeit des Wiederaufbaus der Kirche im 7. Jh. stammen (Abb. 33).105 Das heißt, man wird mit wenigen figürlichen Darstellungen zwischen den Fenstergruppen des Obergadens rechnen können. Doch konnte man diese Darstellungen infolge der Überstrahlung durch das einfallende Licht kaum erkennen. Vieles spricht also dafür, dass das Ziborium in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt wurde und keine bildlichen Darstellungen des Titelheiligen im Mittelschiff damit konkurrieren sollten. Zugleich war der sechseckige Schrein Bezugspunkt der Mosaikausstattung: Er war vom nördlichen Seitenschiff aus zu betreten, wo sich eine Fülle individueller Votivbilder befanden, und er bestimmte auch den Anbringungsort des nachträglich eingefügten Mosaik felds mit den drei Medaillons: Da die hier dargestellten Kleriker nicht nur die Kirche, sondern vielleicht auch das Ziborium restaurieren ließen, erachteten sie es als angemessen, sich in Medaillons zu Seiten des Demetrios verewigen zu lassen, die direkt auf das Ziborium blickten.106 Und schließlich war auch das Mosaik mit den vier Klerikern zu Seiten des Titelheiligen auf der Westwand der Kirche auf das Ziborium ausgerichtet. Nicht der Altarbereich war der bedeutendste Bezugspunkt der Kirche im 7. Jh., sondern das Ziborium.
Hagios Demetrios als Ort der Lesung von Wunderberichten Doch war das Ziborium nicht der einzige Aufbau im Mittelschiff von Hagios Demetrios; hier befand sich noch eine weitere liturgische Installation, die weniger mit der visuel-
35 Rekonstruktion des Ambos der Kirche der Marienentschlafung in Kalambaka. Ähnlich im Aufbau, wenn auch differenzierter in der Detailgestaltung müssen wir uns den zweitreppigen Ambo von Hagios Demetrios vorstellen.
len, sondern mit einer eher rhetorischen Vergegenwärtigung des Heiligen zu tun hat: Der Ambo. Von ihm aus konnte der Priester Predigten an die versammelte Gemeinde richten. Bei Grabungen in der Ostkrypta hat man im Jahre 1988 Fragmente einer solchen Kanzel gefunden, die sich einst offenbar in Hagios Demetrios befand (Abb. 34). Es handelt sich um Bruchstücke einer Basisplatte und einer Plattform.107 Aus den erhaltenen Resten kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ambo mit zwei Treppenaufgängen rekonstruiert werden, wie er sich in zahlreichen weiteren Beispielen aus dem 5. und 6. Jh. erhalten hat (Abb. 35). Da sich Ambone stets im Mittelschiff befanden, entweder in einer achsialen Position, oder zu einer Seite gerückt, wird man annehmen dürfen, dass der von Hagios Demetrios gegenüber dem hexagonalen Ziborium aufgestellt war. Dieser Befund wird allerdings verkompliziert durch die Reste eines weiteren Ambos, die unmittelbar nach dem Brand des Jahres 1917 gefunden wurden. Dabei handelt es sich um eine Basisplatte, die im Bodenbelang aus osmanischer Zeit wiederverwendet
VI
VI
224
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
dürfte der zweitreppige Ambo infolge eines Brands oder Ähnlichem zerstört und bei der Erneuerung der Kirche ersetzt worden sein.110 Hierfür bediente man sich eines älteren Ambos, den man als Spolie in Hagios Demetrios wiedererrichtete.111 Dieser dürfte dann sehr lange in Betrieb gewesen sein, da man in osmanischer Zeit Teile davon für den Bodenbelag verwenden konnte.112 Damit ist eine interessante Disposition, eine erhöhte Plattform für den Liturgen gegenüber dem Ziborium wiedergewonnen. Man kann sich dieses Gegenüber von predigendem Liturgen und im Ziborium vorgestelltem Heiligen nicht suggestiv genug denken. Denn der Erzbischof sprach nicht immer über einen abstrakten theologischen Sachverhalt, sondern führte aus, was die Gemeinde vor Augen hatte, Geschichten von Heilungen und Wundern, die von dem Ziborium in Hagios Demetrios ausgingen: die Miracula Sancti Demetrii.
36a–b Nach 1917 hatte Georgios Soteriou die Basisplatte sowie Fragmente
einer Podiumbrüstung eines weiteren Ambos gefunden, der vermutlich ebenfalls in Hagios Demetrios stand. Fraglich ist hingegen, ob beide Ambone gleichzeitig in Betrieb waren.
wurde, und Fragmente des verzierten Brüstungsrands einer achteckigen Plattform.108 Dieser Ambo besaß nur einen Treppenaufgang (Abb. 36a–b). Typologisch gehört er ins 6. Jh. und wird sich ebenfalls in Hagios Demetrios befunden haben. Wie ist diese merkwürdige Doppelung zu deuten? Muss man tatsächlich von einem Nebeneinander zweier Ambone in Hagios Demetrios ausgehen, wie das etwa auch in der Oktogon-Kirche von Philippi der Fall war?109 Vermutlich
Gehörtes und Gesehenes: wechselseitige Affirmationen
MSD
225
Inhalt
Dat i eru ng
Sammlung des Erzbischofs Johannes (erstes Buch der Miracula Sancti Demetrii) I. 1
Demetrios heilt den Statthalter Marianos durch eine Traumvision.
I. 2
Demetrios heilt einen blutflüssigen Statthalter des Illyricum.
I. 3
Pestepidemie. Demetrios heilt in seiner Kirche Pestkranke.
Juli 586
I. 4
Demetrios heilt einen besessenen Soldaten.
I. 5
Kaiser Maurikios erbittet Körperreliquien des hl. Demetrios. Erfolglose Suche nach dem Grab des Heiligen.
582 – 602
I. 6
Das Ziborium wird durch einen Brand zerstört. Demetrios hält den Bischof davon ab, für die Reparatur des Ziboriums seinen Silberthron einzuschmelzen.
605 – 606?
I. 7
Demetrios bekehrt einen betrügerischen Sakristan, der große Kerzen gegen kleinere ausgetauscht hat.
vor 586
I. 8
Demetrios erscheint einem Schiffskapitän bei der Insel Chios und bewegt ihn, seine Getreideladung nicht nach Konstantinopel, sondern nach Thessaloniki zu bringen.
Herbst 586
I. 9
Demetrios erscheint einem Beamten auf Chios im Traum und bewirkt, dass Getreideschiffe das belagerte Thessaloniki erreichen.
Phokas (602 – 610) oder erste Regierungsjahre des Herakleios (610 – 641)
I. 10
Ein auswärtiger Besucher hat in Hagios Demetrios eine Vision und sieht im Ziborium Demetrios sowie eine Dame namens Eutaxia.
608?
I. 11
Demetrios bestraft einen blasphemischen Statthalter mit einer Krankheit.
um 586
I. 12
Durch die Brandzerstörung des Ziboriums wird die Bevölkerung vor einem drohenden Angriff gewarnt.
604?
September 586
I. 13
Belagerung Thessalonikis durch die Awaren. Demetrios wehrt die Belagerer von der Stadtmauer aus ab.
Die Miracula Sancti Demetrii
I. 14
Belagerung Thessalonikis durch die Awaren. Die Barbaren fliehen angesichts der Vision eines Heers mit Demetrios an der Spitze.
Diese Wunderberichte waren keine Lektüre für die Studierstube, sondern Erzählungen, die der Gemeinde während des Gottesdienstes vorgetragen wurden. Die überlieferten Geschichten gliedern sich in drei Bücher, eine erste Sammlung, die nach allgemeinem Konsens vom Erzbischof Johannes im frühen 7. Jh. kompiliert wurde, eine zweite Sammlung eines anonymen Autors aus dem späten 7. Jh. und eine dritte, ebenfalls anonyme Sammlung, die erst nach der Eroberung Thessalonikis durch die Araber im Jahre 904 verfasst wurde. Den drei Büchern ist gemeinsam, dass jedes aus einer Folge von Wunderberichten zumeist in der Länge einer Kirchenpredigt besteht. Uns interessiert im Folgenden der Inhalt der ersten beiden Bücher, da sie auf die Frühzeit eingehen.113 Als Erzbischof Johannes seine Sammlung von fünfzehn Wunderberichten verfasste, griff er vermutlich ältere Erzählungen auf und gab diesen eine einheitliche Gestalt, um sie in Hagios Demetrios verlesen zu können.114 Man hört von Heilungen, von der ergebnislosen Suche nach Körperreliquien, von der Hilfe des Heiligen für die belagerte Stadt Thessaloniki, und von Bränden. Betätigt sich Demetrios in der ersten Sammlung noch als individueller Retter wie auch als Schutzpatron der Stadt, so verschiebt sich diese Balance in der späteren zweiten Wundersammlung. Demetrios ist nun vornehmlich mit der Rettung der Stadt beschäftigt; seine Fürsorge gilt nicht mehr
I. 15
Belagerung Thessalonikis durch die Awaren. Trotz der Aufforderung zweier Engel, die Stadt zu verlassen, entscheidet sich Demetrios zu bleiben, was den Kampfgeist der Bewohner stärkt.
Anonyme Sammlung (zweites Buch der Miracula Sancti Demetrii) II. 1
Belagerung Thessalonikis durch die Slawen. Demetrios patrouilliert auf den Stadtmauern und wehrt so einen Barbarenangriff ab.
614
II. 2
33 -tägige Belagerung Thessalonikis durch die Slawen. Demetrios verteidigt die Stadt, indem er verschie-
618?
dene Wunder bewirkt. II. 3
Erdbeben. Die Kirche Hagios Demetrios brennt ab und wird wiedererrichtet.
um 620
II. 4
Komplott des Perbundos. Aus Rache für die Hinrichtung eines gewissen Perbundos belagern die Slawen die Stadt, werden jedoch von Demetrios an der Eroberung gehindert.
676 – 678
II. 5
Komplott des Kuber. Demetrios verhindert die Übernahme der Stadt durch eine Gruppe von Exilgriechen unter der Leitung eines gewissen Kuber.
682 – 684
II. 6
Errettung des Bischofs Kyprianos
einem Individuum, sondern dem Kollektiv.115 Nun ist auch wesentlich seltener von der Kirche und dem Ziborium als Ort der Handlung die Rede, vielmehr begegnet der Heilige verstärkt außerhalb seiner Kirche. Erst im sechsten Wunder, das vielleicht eine nachträgliche Hinzufügung ist,116 kehrt der Zuhörer wieder in die Kirche Hagios Demetrios zurück und sieht mit den Augen des geretteten Bischofs Kyprianos ein Bild des Demetrios, in dem dieser seinen anonymen Retter erkennt. Genau um diese Wechselwirkung zwischen Text und Bild, zwischen den Miracula und der Bildausstattung soll es im Folgenden gehen.
Gehörtes und Gesehenes: wechselseitige Affirmationen Das erste Wunder in der älteren Sammlung des Erzbischofs Johannes erzählt von der wundersamen Heilung des gelähmten Statthalters Marianos.117 Er verrichtete sein Amt gegen die Versuchung des Teufels korrekt und unbestechlich, sodass ihn dieser schließlich mit einer Lähmung strafte. Weder vermochten die Ärzte den Präfekten zu heilen, noch ein magisches Amulett mit hebräischer Schrift, das man ihm antrug. Da träumte der Statthalter von seinem Freund
VI
VI
226
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
Demetrios, einem hohen Konstantinopler Hofbeamten, der ihn einlud »in sein Haus« zu kommen und sich dort niederzulegen. Nachdem Marianos aufgewacht war, beklagte er sich, dass er infolge seines Krankheitszustands nicht in die Hauptstadt reisen könne. Einer der Diener wies den Präfekten schließlich darauf hin, dass es sich bei dem Demetrios nicht um einen Würdenträger am Kaiserhof, sondern um den Patron Thessalonikis handle. Marianos müsse sich nur nach Hagios Demetrios begeben. Man brachte ihn also zur Kirche, wo er sich auf den Boden legte und zu beten begann. Daraufhin erschien ihm der hl. Demetrios und eröffnete ihm, es sei einfach geheilt zu werden, wenn er nur verspräche ein Leben in Demut und Nächstenliebe zu führen. Nachdem Marianos dieses Versprechen geleistet hatte, berührte ihn der Heilige und sprach »Christus, unser Gott, verleihe Dir die Kraft, er, der jene erhebt, die gebrochen sind«. Nach und nach erholte sich der Statthalter, erzählte den Dienern seinen Traum, und als er die Heilungsformel nachsprach, war er vollständig genesen. Selbständig konnte er zum Ziborium schreiten, es betreten und dort sein Versprechen eines demütigen und karitativen Lebens wiederholen. Aus eigener Kraft schritt er zu seinem Amtssitz, holte zahlreiche Goldund Silbergegenstände herbei und verteilte diese in der Kirche an die Armen. Die Erzählung, die ganz offensichtlich in Hagios Demetrios vorgetragen wurde, schließt mit folgenden Worten: »Sollte jemand vermuten, es handle sich hierbei um Lügen, so soll er das Mosaikbild erkunden, welches sich an der Außenwand der Kirche befindet, an der Wand gegenüber dem Stadium, und er wird überzeugt werden.«118 Es ist dieser letzte Satz, der die intensive Wechselwirkung zwischen Erzählung und Bild, zwischen Gehörtem und Gesehenem beleuchtet: Passagen wie diese belegen, dass es sich bei den Wunderberichten nicht um Texte handelt, die nur literarisch Verbreitung fanden; sie wurden in der Demetriosbasilika vorgetragen, und zwar vom Erzbischof selbst. Er redet seine Zuhörer oft direkt an und berichtet in der Regel von aktuellen Ereignissen. In dem Bestreben, die Gemeinde von der Wirkmächtigkeit des Titelheiligen zu überzeugen, verweist Johannes immer wieder auf Bilder, die seinen Bericht visuell untermauern. In diesem konkreten Fall handelte es sich offenbar um ein Mosaik an »der Wand, die dem Stadium der Stadt gegenüberliegt«, also an der Südfassade der Kirche. Hier, so Johannes, sah man die Darstellung der Heilung des Marianos. Es ist müßig darüber nachzudenken, ob das Mosaik ein ex voto für eine tatsäch-
lich erfolgte Heilung war oder ein Bild, das man fälschlicherweise für eine solche Heilungsszene hielt.119 Entscheidend ist in unserem Zusammenhang, dass man das Bild für einen Beleg des erzählten Heiligungswunders erachtete, dass Gesehenes Gehörtes belegte – umgekehrt aber auch Gehörtes Gesehenes bestätigte. Bild und Wort standen somit in einem wechselseitigen affirmativen Verhältnis zueinander.120 Immer wieder begegnet man in den Miracula Sancti Demetrii solchen Verweisen auf Bilder. Im ersten Wunder des zweiten Buchs wird ausführlich der Angriff einer slawischen Flotte auf die Stadt geschildert. Abermals war es Demetrios, der den Thessalonikern bei der Verteidigung half und die Vernichtung der Feinde bewirkte.121 Auch hier versichert sich der anonyme Autor dieses Wunderberichts gegen eventuelle Zweifel, indem er am Ende bemerkt: »Sollte jemand glauben, dass der Autor dies erfunden hat, so soll er die Darstellungen betrachten, die sich vor dem Heiligtum des Märtyrers Demetrios, stets eingedenk, an der Seite, die ›Holz‹ (ξύλον) genannt wird, befinden und die den ganzen Verlauf des Kriegs und unsere Errettung durch den siegreichen Märtyrer zeigen.«122 Offenbar gab es vor der Kirche eine Bilderfolge, auf welche die Erzählung Bezug nehmen, welche sie als »Beleg« anführen konnte. Wie eng der imaginierte und der bildlich gegenwärtige Demetrios miteinander verschmolzen, zeigt sich immer dann, wenn der Autor der Wunderberichte von Ikonen redet, obwohl er eigentlich eine Erscheinung des Heiligen in einer Vision beschreiben will: Im achten Wunderbericht zeigt sich Demetrios dem Kapitän Stephanos »glänzend und in der Gestalt wie er auf den Ikonen erscheint«.123 Es bedurfte aber gar nicht dieser expliziten Hinweise auf Bilder, es reichte schon der Verweis auf eine Erscheinungsform des Heiligen, die der bildlichen entsprach. So heißt es im dritten Wunder des ersten Buchs der Miracula, der Heilige sei den in der Kirche versammelten Pestkranken erschienen, »in Chlamys, schön wie eine Rose, mit anmutigem Gesicht, wie ein Konsul, der vom Kaiser beauftragt ist, den Leuten seine Großzügigkeit zu zeigen«.124 Im zweiten Wunder der anonymen Sammlung zeigt sich Demetrios in einer weißen Chlamys auf den Stadtmauern.125 Im vierten Wunder derselben Sammlung schreitet er mit zurückgeworfener Chlamys und einem Stab in der Hand die Stadtmauern ab.126 Bildliche Darstellungen und gesprochenes Wort bestätigen sich wechselseitig und führen in einer auffallend stabilen Ikonographie Demetrios als hohen Beamten in hellem Gewand
Träume und Visionen – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
vor. Sie katalysieren wechselseitig eine präzise definierte Vorstellung von der Erscheinung des Heiligen. In welchem kausalen Verhältnis Bilder und Erzählung zueinander standen, wird sich daher nicht klären lassen. Wurde das Bild aufgrund einer bestehenden Erzählung geschaffen, die man kannte, die man sich erzählte? Oder waren Bilder – zumindest teilweise – die Grundlage für den Entwurf der Wunderberichte? Hat sich Erzbischof Johannes bei der Abfassung der Miracula gar von Bildern leiten lassen, die er in seiner Basilika sah? Derartige Fragen gehen am Kern des Problems vorbei, denn sie behandeln Gesehenes und Gehörtes als streng voneinander geschiedene Kategorien, die sie aber nicht sind. Beide sind Teil einer Welt, die über verschiedene Sinne empfunden wurde, die sich in der Kirche Hagios Demetrios verdichtete. Was man sah, erfuhr Bestätigung durch das, was man hörte; was man hörte, wurde bekräftigt durch das, was man sah.
Träume und Visionen – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Träume ereignen sich in Grenzsituationen – jedenfalls nach Ausweis mittelalterlicher hagiographischer Schriften. Wer krank ist, träumt; wer in Todesgefahr ist, träumt; wer einsam ist, träumt; wer sich in einer ausweglosen Situation findet, träumt. Träume sind Portale, in denen sich den Betroffenen übernatürliche Wahrheiten eröffnen, in denen sich das Numinose mitteilt. In Träumen vermengen sich menschliche und göttliche Akteure, wird Kommunikation zwischen irdischer und himmlischer Sphäre möglich. In Träumen teilt sich die Zukunft mit, werden künftiges Unheil und erhoffte Rettung sichtbar. Träume sind also imaginative Grenzbereiche, so wie auch die Kirche des hl. Demetrios für die Gläubigen ein Bereich war, in dem sich irdische und himmlische Angelegenheiten berührten. Träume werden in den Miracula Sancti Demetrii – wie Bilder – zu Portalen, über die der Heilige die Gegenwart betritt, um den Thessalonikern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Nachdem das Ziborium abgebrannt ist, erscheint Demetrios und hält den Bischof davon ab, seinen eigenen Silberthron einzuschmelzen, um das Ziborium wiederherzustellen.127 Einem betrügerischen Sakristan begegnet der Heilige mehrfach im Traum, um ihm davon abzubringen, größere Kerzen gegen kleinere auszutauschen.128 Einem Verwandten des Eparchen erscheint er
227
zusammen mit ›Eutaxia‹, um sein Eintreten für die öffentliche Ordnung in der Stadt zu zeigen.129 Hagios Demetrios wird zum Ort verschiedenster Offenbarungen, in denen die Grenzen sinnlicher Wahrnehmung überwunden werden. Vor allem Kranken erscheint der Titelheilige. Der Präfekt Marianos träumt von seiner Heilung, während er in der Basilika schläft; den Pestkranken des dritten Wunders erscheint der Heilige, während sie in der Basilika nächtigen; und auch der von einem Dämon besessene Soldat wird von Demetrios geheilt, während er eine Nacht in der Basilika zubringt. Immer wieder begegnet der Titelheilige Kranken und Todgeweihten, die in seiner Nähe nächtigen. Dadurch wird die Kirche Hagios Demetrios – abermals – als Bereich intensiver Begegnung mit dem Heiligen definiert, zugleich aber auch in einem sehr praktischen Sinne als eine Art Sanatorium, in dem Kranke auf eine Vision des Heiligen hoffen durften.130 Die Wundererzählungen selbst legen nahe, dass es in der Basilika Liegen oder Matten gegeben haben muss, auf denen sich Heilsuchende während der Nacht niederlassen konnten.131 Einer Quelle des 10. Jh. zufolge muss es bei der Kirche einen Ort namens ›Ofen‹ gegeben haben, wo sich Kranke aufhielten.132 Dabei scheint es sich um einen Raum gehandelt zu haben, den man als Heizraum der Thermen ansah, in denen Demetrios gefangen gehalten wurde. Indem man verweilte, wo sich der Heilige einst aufgehalten hatte, glaubte man sich ihm besonders nah, war man besonders empfänglich für Träume und Visionen, in denen der Heilige Genesung versprach. Ähnliche Fälle eines organisierten Heilschlafs am Grab eines Heiligen sind für die Kirche des hl. Johannes in Konstantinopel überliefert, in deren Krypta der hl. Artemios bestattet war: Das nördliche Seitenschiff war für Kranke reserviert, die hier übernachten und auf eine Traumeingebung hoffen durften.133 Ein weiteres Beispiel von Heilungen durch Inkubation an einem Heiligengrab ist die Krypta des Klosters von Hosios Lukas.134 Manche Kranke brachten hier mehrere Tage zu, bevor sich die Genesung einstellte. Auch hier sind es Träume, in denen Begegnung und Kommunikation mit dem Heiligen erfolgten. Man könnte sich nun fragen, ob durch ein besonders suggestives Setting Visionen dieser Art gezielt gesteigert werden sollten, doch ist dies nicht der Kern des Phänomens. Dieser ist vielmehr, wie die Wundererzählungen verschiedene Realitätsebenen miteinander verschmelzen lassen, wie sich in der Kirche des hl. Demetrios die Grenzen zwischen ›realer‹ und ›geglaubter‹ Welt auflösen. Hier gestattet die
VI
VI
228
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
imaginative Dichte dem hl. Demetrios, eine übernatürliche Präsenz zu entwickeln, gleichsam aus seinen Bildern in den Raum, in die Realität zu treten. Im fünfzehnten Wunder des ersten Buchs ist von einer Vision die Rede, die ein hochrangiger Bürger Thessalonikis hatte.135 Er sah, wie Fremde sich dem Ziborium in der Kirche näherten und den Heiligen aufforderten, die Stadt zu verlassen, da sie bald von den Feinden eingenommen würde. Unnötig hinzuzufügen, dass sich der Heilige weigerte, die ihm anempfohlene Stadt zu verlassen. Das entscheidende an dieser Vision ist weniger der Inhalt als vielmehr Ort und Moment. Denn jener Bürger hatte diese Erscheinung genau im Moment des Betretens des Kircheninnenraums, als er »vor dem Tribelon der Kirche stand«, also durch die Dreierarkade vom Narthex in das Mittelschiff mit dem Ziborium blicken konnte.136 Genau in dem Moment also, in dem er sich – räumlich gesehen – in einen Grenzbereich begab, eröffnete sich ihm eine metaphysische Schau auf den Heiligen. Beim Betreten der Kirche verschmolzen Realität und Gewünschtes miteinander, verwandelte sich Hagios Demetrios von einem Raum des Jetzt in einen Ort des Ersehnten: Der Heilige konnte jederzeit aus seinem Ziborium hervortreten und damit den Raum mit dem Gläubigen teilen. Indem Demetrios den Menschen im Traum erschien, überbrückte er die Zeit zwischen der vergangenen Epoche seines eigenen Wirkens und der Gegenwart. Er war damit kein Märtyrer der Vergangenheit, sondern wurde zum Akteur des Hier und Jetzt. Die Kirche Hagios Demetrios evozierte auf verschiedensten Ebenen die Gegenwart des Heiligen: architektonisch, durch einen einzigartigen Verehrungsort samt Bildausstattung, in der sich die Bevölkerung wiederfinden konnte, und durch eine Liturgie, die in besonderem Maße dem Titelheiligen Rechnung trug. Insbesondere das gesprochene Wort hatte seinen Anteil an der Unmittelbarmachung des Heiligen.137 Man stelle sich vor: Der Erzbischof erzählte vom Ambon der Kirche Hagios Demetrios der versammelten Gemeinde von einer Traumvision, in deren Verlauf der Heilige vor sein Ziborium trat, von einem Wunder also, das sich genau dort
ereignete, wo sich die Gläubigen in diesem Moment versammelt hatten. In diesen Momenten musste der gestaltete Raum geradezu zu einem Beleg für die Wahrheit der berichteten Wunder werden. Hörer der Miracula werden die Bildausstattung der Kirche zunehmend als visuelles Äquivalent zu den Wundererzählungen begriffen haben, erhielten so gleichsam eine ›Leseanleitung‹ für die bildliche Ausstattung der Kirche. Schließlich befördern die Miracula eine übersinnliche Schau auf den Heiligen, der sich eben auch in Träumen und Visionen offenbart. Die Miracula Sancti Demetrii sind somit ein wesentlicher Bestandteil der ›Kirchenausstattung‹: Wie die Architektur und die Bilder tragen sie dazu bei, das Kircheninnere als besonderen Bereich heiliger Präsenz zu definieren. Doch wäre es falsch zu behaupten, die Präsenz des hl. Demetrios sei nur an seine Kirche gebunden. Er etablierte sich nach und nach als einer der bedeutendsten überregionalen Heiligen von Byzanz, und die Anfänge dieses Prozesses lassen sich bereits in den beiden Büchern der Miracula Sancti Demetrii nachvollziehen. Immer häufiger verließ Demetrios seine Kirche, um den belagerten Thessalonikern zu Hilfe zu eilen. Im dreizehnten Wunder zeigt sich der Heilige den Angreifern in Soldatenrüstung auf der Stadtmauer, im vierzehnten Wunder reitet er zu Pferde gegen die feindlichen Soldaten. Manche Probleme waren nur durch seine Hilfe am Ort des Geschehens zu lösen: Nicht mehr an seine Kirche gebunden, konnte er nun auch anderenorts die Initiative ergreifen, etwa um fern der Heimat Seeleute zu überzeugen, ihre Getreidefracht ins umzingelte Thessaloniki zu bringen. Diese Fähigkeit zur Translokation war wesentlich, wenn es darum ging, den Bürgern Thessalonikis effektiv bei Belagerungen beizustehen. Demetrios’ Ruhm als Schutzheiliger Thessalonikis war damit zweifelsohne gestiegen, doch bargen die zunehmenden ›Ausflüge‹ des Heiligen auch eine große Gefahr: Würde er auch fürderhin in Thessaloniki bleiben? Würde er sich auch in Zukunft den Begehrlichkeiten auswärtiger Potentaten widersetzen, die sich diesen vielversprechenden Heiligen aneignen wollten?
1 Exemplarisch seien hier zwei jüngere Monographien genannt:
15 Zwar ist das Gesicht der Figur in dem Medaillon fast gänzlich zer-
Susanne Muth, Erleben von Raum – Leben im Raum. Zur Funktion mythologischer Mosaikbilder in der römisch-kaiserzeitlichen Wohnarchitektur, Heidelberg 1998; Yasin 2009. 2 Hier sei verwiesen auf die sehr aktuelle Diskussion der Eikones des Philostrat: Luca Giuliani, Die unmöglichen Bilder des Philostrat. Ein antiker Beitrag zur Paragone-Debatte?, Pegasus 8, 2006, 91–116 . 3 Hier sei exemplarisch verwiesen auf die Versuche, der Titulus-Dichtung in der Spätantike und im Frühmittelalter Informationen über die verlorene Ausstattung von Bauwerken zu entnehmen: Renate Pillinger, Die Tituli Historiarum oder das sogenannte Dittochaeon des Prudentius, Wien 1980; Arwed Arnulf, Versus ad Picturas. Studien zur Titulusdichtung als Quellengattung der Kunstgeschichte von der Antike bis zum Hochmittelalter, Berlin 1997. 4 Ein moderner Verständnisansatz der Ekphrasis findet sich bei Liz James – Ruth Webb, To Understand Ultimate Things and Enter Secret Places: Ekphrasis and Art in Byzantium, Art History 14, 1991, 1–17. 5 Ich habe versucht dies im Zusammenhang mit spätantiken Statuen herauszuarbeiten: Franz Alto Bauer, Virtuelle Statuensammlungen, in: Franz Alto Bauer – Christian Witschel (Hrsg.), Statuen in der Spätantike, Wiesbaden 2007, 79 –109, hier 94 – 97. 6 S. o. S. 72 – 73 . 7 S. o. S. 72 – 73 . 8 Grabar 1946 , I, 87 –100; Cormack 1969; Cormack 1985b, 50 – 94; Skedros 1999, 70 – 82; Brubaker 2004, 70 – 76; Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 148 –158 . 9 Bereits Kluge 1909, 62 , beobachtete, dass die Mosaiken (vor der späteren Ergänzung) aus einer einheitlichen Phase stammen, da es zwischen ihnen keine Nähte gibt. Vgl. auch Cormack 1969, 25. 10 Allerdings geht das obere Ornamentband auf eine spätere Ausbesserung zurück: s. u. S. 198 –199. 11 Dies hatten bereits Ch. Diehl und M. Le Tourneau erkannt: Diehl – Le Tourneau 1910, 226 – 228; Diehl – Le Tourneau – Saladin 1918 , 95 – 96 . 12 Diese Inschriftenformel begegnet in den zerstörten Mosaiken des nördlichen Seitenschiffs zweimal: Die nur fragmentarisch erhaltene Darstellung am linken Ende zeigt einen Heiligen in Chlamys mit Tablion, dessen Kopf verlorengegangen ist. Der Heilige – vermutlich Demetrios (so Cormack 1969, 24) – hält die Arme im Oranten-Gestus erhoben. Unter dem rechten Arm des Heiligen ist der Kopf einer wesentlich kleiner wiedergegebenen Stifterfigur frontal wiedergeben. Nach rechts folgt eine Votivinschrift (Transkription bei Cormack 1969, 25): Ὑπὲρ εὐ|χῆς οὗ | οἶδεν | ὁ θ(εὸ)ς τὸ | ὄνο|μα | (Kreuz). Die Darstellung am rechten Ende zeigt Demetrios frontal in Gebetshaltung vor einer Nische mit Apsis. Drei wesentlich kleinere Personen gruppieren sich um ihn: Eine berührt sein Gewand, die anderen beiden nähern sich mit verhüllten Händen. Neben der kleinen Person rechts von Demetrios befindet sich die Inschrift (Transkription bei Cormack 1969, 39): (Kreuz) Ὑ[περ ε|ὐ]χῆ[ς ο]|ὗ οἶδ[εν] | ὁ θ(εὸ)ς [τὸ] | ὄνο[μα] (Kreuz). 13 Rechts oberhalb der Szene muss sich einst ein Clipeus mit einem Brustbild Christi befunden haben, das nachträglich durch die Medaillons der beiden Kleriker und des hl. Demetrios ersetzt wurde. S. u. 199.
stört, doch kann man erkennen, dass sie einen Bart trug und einen geschmückten Kodex hielt. Höchstwahrscheinlich handelte es sich somit um Christus (Grabar 1946, 94; Cormack 1969, 32). Rechts des Medaillons folgt Maria – oder eine andere weibliche Heilige –, die sich der eben beschriebenen Szene zuwendet (Zur Identifikation als Maria (Grabar 1946, I, 94) s. Cormack 1969, 33). Interpretation der Szene als eine Art ›Weihe‹ des Kindes an den Heiligen bereits bei Grabar 1946, I, 92 , und Grabar 1984², 101. Unter dem Heiligen ist eine Inschrift zu lesen, die sich eigentlich auf die Muttergottes bezieht (Transkription bei Cormack 1969, 31): [καὶ] τὴν [Δ]εσποι|νὰν τὴν Θεο[τό|κο]ν τὴν ἁγ[ίαν] … Der Heilige wird diesmal nicht frontal in Bethaltung gezeigt, sondern vermutlich im Gestus der Anempfehlung. Wie es scheint, führt der Heilige das Kind und die Familie in einen Bereich jenseits des anschließenden Pilasters ein. Hier jedoch ist ein Großteil des Mosaiks verlorengegangen, nur der Rest eines Medaillons über dem Bogenscheitel ist erkennbar. Im Medaillon könnte als Pendant zum Christusmedaillon auf der linken Seite die Muttergottes dargestellt gewesen sein: Cormack 1969, 36 . Transkription bei Cormack 1969, 31: (Kreuz) Καὶ σὺ Δέσποτά μο[υ] | Ἅγιε Διμήτ[ρ]ι [β]οήθι ἡμῖν | τοῖς δούλοις σου καὶ | τῇ δούλῃ σου Μαρι|ᾳ ἣν ἔδωκες (Kreuz) | ἡμῖν (Kreuz). Anders, aber wenig überzeugend Brubaker 2004, 74 – 75, die von vier verschiedenen Individuen ausgeht. Das Kreuzzeichen auf der Stirn sollte aber in diesem Kontext als Hinweis auf eine bestimmte Person verstanden werden, da es sonst in den Mosaiken in Hagios Demetrios nicht begegnet. Wie Brubaker 2004, 75, sehr überzeugend auf der Grundlage zweier Textstellen in den Miracula Sancti Demetrii und bei Theophylaktos Simokattes argumentiert. In den Miracula Sancti Demetrii I, 42 p. 8016 – 34 Lemerle, ist die Rede davon, dass der hl. Demetrios während der Pestepidemie all jene Flüchtlinge in seiner Kirche, die überleben sollten, mit einem Kreuz markierte. Theophylaktos Simokattes, Hist. V.16 p. 219 – 220 de Boor, berichtet von der Begegnung des Kaiser Maurikios mit einem wilden Eber. Doch griff der Eber den Kaiser nicht an, sondern entfernte sich, woraufhin der Kaiser sich auf der Stirn bekreuzigte »wie es üblich ist für Christen, denen ein Wunder widerfährt«. Ferner weist L. Brubaker darauf hin, dass auch der hl. Artemios beim Heilen eines Kinds dieses oft mit einem Kreuzzeichen versah. So machte er deutlich, dass das Kind durch Christus geheilt wurde: Brubaker 1998, 1236 –1237. Vgl. ferner auch die Wunder des hl. Artemios c. 6, 9 u. 10 p. 8823 – 24 , 945 – 6 , 96 4 – 5 Crisafulli – Nesbitt. Die zweite Szene von links zeigt zu Seiten der thronenden Muttergottes fünf Medaillons mit Heiligendarstellungen. Grabar 1946, I, 98 – 99, vermutete, dass es sich bei denjenigen in den Medaillons zu Seiten Marias um Petrus und Paulus handelt. Die beiden äußeren rechten Medaillons stellen die beiden weiblichen Heiligen Pelagia und Matrona dar. Unter dem Medaillon mit der hl. Matrona ist eine kleine weibliche Figur in proskynierender Haltung dargestellt. Das äußerste rechte Bildfeld zeigt in den oberen Ecken kleine Medaillons mit männlichen Heiligen, deren Nimben Reste umlaufender Inschriften erkennen lassen. Von dem linken haben sich nur die Schlussbuchstaben …ος erhalten, bei dem rechten hingegen ὁ ἅγι[ … ]δρος, was auf
16
17
18
19
20
21
VI
VI
230
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
den hl. Alexander schließen lässt (Cormack 1969, 39, mit Zurückweisung älterer irriger Lesungen und Identifikationen). Zu den hll. Matrona und Alexander s. o. 49. 22 Cormack 1969, 48; Grabar 1978 , 72 – 73: frühe Ikonentypen, die ins Mosaik übersetzt wurden. 23 Bauer 2009, 32 – 36 . 24 Zu diesem Gestus s. Grabar 1978 , 75 – 76 . 25 Vgl. hierzu Johannes G. Deckers, Der Erste Diener Christi. Die Proskynese der Kaiser als Schlüsselmotiv der Mosaiken in S. Vitale (Ravenna) und in der Hagia Sophia (Istanbul), in: Nicolas Bock – Peter Kurmann – Serena Romano – Jean-Michel Spieser (Hrsg.), Art, Cérémonial et Liturgie au Moyen Âge, Rom 2002 , 51– 53 mit Anm. 175. 26 Vgl. hierzu Nancy Patterson Ševčenko, Close Encounters: Contact Between Holy Figures and the Faithful as Represented in Byzantine Works of Art, in: Jannic Durand – André Guillou (Hrsg.), Byzance et les images, Paris 1994, 255 – 285. 27 S. u. S. 414 – 417. 28 Deshalb ist es eher unwahrscheinlich, dass sich auch im südlichen Seitenschiff oder anderswo vergleichbare Mosaiken in ähnlicher Dichte erhalten haben. 29 Vgl. auch Brubaker 2004, 83 – 84. 30 Vgl. etwa Spieser 1984, 164; Brenk 1996 , 34; Bakirtzis 1998 , 48 – 49; Mentzos 2008a, 367 mit Anm. 19; Charalambos Bakirtzis in: Bakir tzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 143; Fourlas 2012 , 113 –114. Unterscheidung der Mosaiken von Hagios in eine ältere und jüngere Gruppe bereits bei Kitzinger 1958 , 20 – 23, und Xyngopoulos 1969, 12 – 30. 31 Soteriou 1952 , 192 –193; Xyngopoulos 1969, 12 –15; Charalambos Bakirtzis in: Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – MavropoulouTsioumi 2012 , 144 –146 . 32 Soteriou 1952 , 191; Xyngopoulos 1969, 15 –16; Charalambos Bakir tzis in: Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 146 –147. 33 So bereits Soteriou 1952 , 191. 34 So Cormack 1985b, 82 . Vgl. auch Cormack 1985b, 79 – 81, der die Bedeutung der Szenen an der Westwand diskutiert und es für möglich hält, dass hier eine Art Demetrioszyklus dargestellt war. 35 Kluge 1909, 62 – 67; Cormack 1969, 24 – 42; Cormack 1985b, 90, mit genauer Beschreibung des Befunds auf der Grundlage der Dokumentation von W. S. George. 36 Zuletzt hat Benjamin Fourlas darauf hingewiesen, dass eine Mosaik fuge auch durch das nachträglich eingesetzte Feld mit den drei Medaillons geht (Fourlas 2012 , 115 –116 mit Anm. 32). Die Fuge lässt sich jedoch nur im mittleren Medaillon des hl. Demetrios beobachten, muss also nicht als Hinweis auf eine Erneuerung des gesamten oberen Rands der Mosaiken im nördlichen Seitenschiff gewertet werden. Vermutlich handelt es sich um eine spätere Ausbesserung. 37 Später wurden die ergänzten Mosaikpartien nochmals beschädigt: Das Einbringen von Tragebalken für einen Emporenboden in den äußeren Seitenschiffen, d. h. auf der anderen Seite der Arkadenwand, zeitigte den Ausbruch der oberen Mosaikpartien: S. o. S. 104 –105. 38 Soteriou 1952 , 189 –190; Cormack 1969, 40 – 42; Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 174 –175 . Dass es sich um eine nachträgliche Einfügung handelt, hatten bereits O. Tafrali, Ch. Diehl und W. S. George erkannt: Tafrali 1909, 90; Diehl – Le Tourneau 1910, 238; Diehl – Le Tourneau – Saladin 1918 , 102;
Soteriou 1952 , 190. Die drei Medaillons und die begleitende Inschrift befinden sich nicht genau in der Achse der Arkade, sondern sind leicht nach Westen verschoben – offenbar in dem Bestreben, möglichst genau gegenüber dem Zugang zum Ziborium angebracht zu werden, das sich ebenfalls nicht genau auf der Höhe der sechsten Arkade befand, sondern leicht nach Westen verschoben war. 39 Transkription und Übersetzung nach Rhoby 2009, 389: Ἐπὶ χρόνων Λέοντος ἡβῶντα βλέπεις | καυθέντα τὸ πρὶν τὸν ναὸν Δημητρίου. Vgl. auch Soteriou 1952 , 189; Cormack 1969, 41; Djurić – Tsitouridou 1986, 44 – 45 Nr. 42 . 40 Cormack 1969, 41, und zuletzt Fourlas 2012 , 112 –113 . 41 Grundlegend ist die neue Untersuchung von Fourlas 2010. Vgl. ferner Soteriou 1952 , 193 –194; Xyngopoulos 1969, 18 – 21; Brubaker 2004, 68 – 69; Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 166 –170. 42 Transkription und Übersetzung nach Rhoby 2009, 386 (der die verbesserte Lesung von Velenis 2003b, 37 – 38 , übernimmt): Κτίστας θεωρεῖς τοῦ πανενδόξου δόμου / ἐκεῖθεν ἔνθεν μάρτυρος Δημητρίου / τοῦ βάρβαρον κλύδωνα βαρβάρων στόλῳ /μετατρέποντος κ(αί) πόλιν λυτρουμένου. Vgl. auch Charalambos Bakirtzis, »… βάρβαρον κλύδωνα βαρβάρων στόλων…«, Byzantina 13, 1985 (= Dorema ston Ioanne Karagiannopoulo), 1053 –1058, der den Begriff στόλω(ν) im Sinne von στρατῶν (Heere) übersetzt. D. h. es müsse sich nicht unbedingt um einen Angriff vom Meer her handeln. Doch scheint mir der Sinn des Epigramms für die Abwehr eines Seeangriffs zu sprechen, denn wieso sollte sonst von einer »wilden Welle« die Rede sein, mit der der Heilige die Barbaren abwehrte? Zu dem Epigramm s. ferner Djurić – Tsitouridou 1986, 47 Nr. 45; Fourlas 2010, 195 –196 . 43 Soteriou 1952 , 196 –197; Xyngopoulos 1969, 27 – 28; Brubaker 2004, 69; Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 170 –171. Das Mosaik wurde erst 1947 entdeckt, als man die osmanischen Einbauten in den großen Bögen zwischen Altarbereich und Querhausarmen entfernte. Dass es sich bei diesem Diakon um dieselbe Person auf dem Mosaik an der Ostseite des südlichen Querhauspfeilers handelt, hatte bereits Tafrali 1909, 97, gesehen (vgl. Soteriou 1952 , 196 –197). Schon Papazotos 1983, 369 – 371, hat erkannt, dass das benachbarte Mosaik auf der Ostseite desselben Pfeilers zusammen mit dem Mosaik der Stifter entstanden ist, da es ebenfalls die gesamte Pfeilerbreite einnimmt und sich außerdem Höhe und Anbringung entsprechen. 44 Transkription und Übersetzung nach Rhoby 2009, 388: (Kreuz) Πανόλβιε τοῦ Χριστοῦ μάρτυς φιλόπολις / φροντίδα τίθει κ(αὶ) πολιτῶν κ(αὶ) ξένων. Vgl. auch Djurić – Tsitouridou 1986, 45 – 46 Nr. 43 . 45 Soteriou 1952 , 198; Xyngopoulos 1969, 16 –17; Brubaker 2004, 66; Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 175 –176 . Das Mosaik war bis zum Brand 1917 mit Marmorplatten bedeckt; wann man das Mosaik bedeckte, ist unklar. 46 Schleierhaft ist, warum nur drei der fünf Gesichter zerstört wurden. Aus einem allgemeinen ikonoklastischen Impetus heraus kann dies nicht geschehen sein, da man sonst alle Gesichter getilgt hätte. Auch entfällt die Erklärung einer damnatio memoriae der beiden inneren Bischöfe, da man in diesem Fall kaum das Gesicht des Demetrios entfernt hätte. 47 S. o. S. 129 –134. 48 Miracula Sancti Demetrii II.1 §182 –192 p. 1765 –1793 Lemerle. Fourlas 2010, 230 – 231 mit Anm. 142; Fourlas 2012 , 113 .
Anmerkungen
231
49 So bereits Tafrali 1909, 98 – 99. Ebenso Velenis 2003b, 42 – 43; Papa-
zotos 1983, 372 . 50 Miracula Sancti Demetrii I.3 §227 – 229 p. 19632 –19721 Lemerle. 51 Codex Parisinus gr. 1517, 162r. Vgl. Mentzos 2010, 57 – 58 . 52 So bereits Tafrali 1909, 97. Uspenskij 1909, 28 , vermutete, es handle sich um Kaiser Leon III. oder Leon IV.; Velenis 2003b, 42 , schlug vor, es müsse sich um Kaiser Leon I. (457 – 474) oder Papst Leo I. (440 – 461) handeln. 53 Wilhelm Enßlin, RE XXII.2 , 1954 , 2391– 2502 s. v. ›Praefectus praetorio‹. Anzahl und Zuständigkeitsbereich der Prätorianerpräfekten ändern sich in der Spätantike und in frühbyzantinischer Zeit immer wieder. Thessaloniki fiel unter die Verantwortung des praefectus praetorio per Illyricum, der bis 441 in Sirmium residierte, dann aber seinen Sitz in Thessaloniki etablierte. Kurzfristig scheint unter Justinian der Sitz der Präfektur nach Justiniana Prima verlegt worden zu sein, doch wurde der Entschluss bald wieder rückgängig gemacht. 54 Wilhelm Enßlin, RE XXII.2 , 1954, 2443 s. v. ›Praefectus praetorio‹; Angeliki Konstantakopoulou, L’éparque de Thessalonique, Belgrad 1984; Wolfram Brandes, Finanzverwaltung in Krisenzeiten. Untersuchungen zur byzantinischen Administration im 6 .–9. Jh., Frankfurt/M. 2002 , 53 – 54. 55 Mentzos 2010, 45 – 78 , hat in einer ausführlichen Untersuchung versucht zu zeigen, dass es sich bei dem in der Inschrift genannten Leon um den kurzlebigen Kaiser Leontios der Jahre 695 – 698 handelt, der zuvor das Kommando über das Thema Hellas hatte, zu dem im späten 7. Jh. auch Thessaloniki gehörte. Doch kann Mentzos in seiner überaus komplexen Argumentation keinen Beweis liefern, sondern nur zeigen, dass diese Möglichkeit besteht. 56 Fourlas 2010. 57 So Uspenskij 1909, 12 –13; Papazotos 1983 , 367 mit Anm. 1, und zuletzt Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 174 –175. 58 Fourlas 2010, 199, 201– 214, 217 – 220. 59 Lemerle II, 1981, 93 – 94 u. 107 –110. 60 Soteriou 1952 , 194 –195; Xyngopoulos 1969, 21– 23; Brubaker 2004, 67; Charalambos Bakirtzis in: Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 158 –159. 61 Diehl – Le Tourneau 1910, 241; Soteriou 1952 , 194 –195 , und Cormack 1985b, 93, vermuteten, es handle sich um den hl. Demetrios. Kitzinger 1958, 25, wiederum vermutete den hl. Bakchos (als Pendant zu Sergios auf der anderen Seite), Paul Underwood, Fourth Preliminary Report on the Restoration of the Frescoes in the Kariye Camii at Istanbul by the Byzantine Institute, 1957 –1958 , Dumbarton Oaks Papers 13, 1959, 185 – 212 , hier 189 –190 Anm. 9, wiederum den hl. Georg. 62 Bakirtzis 2006 . Die Inschrift wurde später angebracht (a. O. 128), doch besteht kein Zweifel an der Identifizierung. 63 Soteriou 1952 , 194; Xyngopoulos 1969, 23 – 24; Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 164 –166 . 64 Xyngopoulos 1969, 21 – 24; Bakirtzis 1988, 54 – 55; Bakirtzis 2006, 128. 65 Soteriou 1952 , 195 –196 ; Christopher Walter, Two Notes on the Deesis, Revue des études byzantines 26, 1968, 311– 336, hier 323; Xyngopoulos 1969, 24 – 27; Brubaker 2004, 68; Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 162 –163 . 66 Δέησις. Κ(ύρι)ε ὁ Θ(εό)ς, εἰσάκουσον τῆς φωνῆς τῆς δεήσεώς μου, ὅτι ὑπὲρ τοῦ κόσμου δέομαι.
παρὰ δὲ τῆς σῆς δυνάμεως ζωοποιηθεὶς εὐχαριστῶν ἀνεθέμην. Soteriou ergänzt am Ende der Inschrift aus unbekannten Gründen den Namen Κλήμης, der sich nach Ausweis älterer Aufnahmen und Beschrieben hier nie befunden hat. Offenbar handelt es sich hierbei um ein Versehen: Xyngopoulos 1969, Anm. auf S. 25 – 26. 69 Diehl – Le Tourneau 1910, 241 u. 244; Diehl – Le Tourneau – Saladin 1918 , 111 (10. oder 11. Jh.); Soteriou 1952 , 195 –196; Cormack 1969, 20 Anm. 18 (9. Jh.); Christopher Walter, A New Look at the Byzantine Sanctuary Barrier, Revue des études byzantines 51, 1993 , 203 – 228 , hier 208 Anm. 24 (vorikonoklastisch). J. Phountoulis zufolge wurde das Mosaik erst nach dem Ende des Bilderstreits eingefügt: Joannis Phountoulis, Το ψηφιδωτό του ναού του Αγίου Δημητρίου Θεσσαλονίκης με την παράσταση της Παναγίας και του Αγίου Θεοδώρου, in: Christianike Thessalonike. Apo tes Ioustinianeiou epoches heos kai tes Makedonikes dynasteias (= 24. Demetria), Thessaloniki 1991, 177 –184. Kritik hierzu bei Anderson 1999, 55. Bakirtzis 2006 , 132 Anm. 12 , datiert das Mosaik aufgrund unterschiedlicher Tesserafarben und –größen später. Vgl. zuletzt auch Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 162 , mit der Vermutung, das Mosaik könne auf jenen Theodor zurückgehen, der im 9. Jh. das Altarziborium gestiftet hatte (zu diesem Velenis 2005, 221– 226). 70 So auch Hoddinott 1963 , 154; Xyngopoulos 1969, 26 – 27; Anderson 1999, 58 . Die für die Spätdatierung vorgebrachten Argumente überzeugen kaum. Die Komposition, die Personen vor einem schulterhohen Architekturhintergrund agieren lässt, findet sich auch auf anderen Mosaiken von Hagios Demetrios. Auch die charakteristische gewellte Bodenlinie sieht man auf den anderen Pfeilermosaiken. Die Gesichtszeichnung (v. a. des Theodor) und Linienführung der Gewänder weicht ebenfalls nicht von anderen Darstellungen ab. 71 Sirapie Der Nersessian, Two Images of the Virgin in the Dumbarton Oaks Collection, Dumbarton Oaks Papers 14, 1960, 71– 86 , hier 81– 85; Christopher Walter, Two Notes on the Deesis, Revue des études byzantines 26 , 1968 , 311– 336 , hier 322 – 323 . Allg.: Christopher Walter, Bulletin on the Deesis and the Paraclesis, Revue des études byzantines 38 , 1980, 261– 269. Der Befund deutet jedoch nicht auf eine spätere Veränderung des Mosaiks hin. 72 Vgl. Walter, a. O. 323 mit Anm. 52; Anderson 1999, 56 – 58 . 73 Vgl. auch Fourlas 2012 , 114. Walter, a. O. 323 Anm. 52 , behalf sich mit der Annahme, nur Theodor sei aus dem 7. Jh., die Muttergottes und Christus hingegen Ergebnis einer Ergänzung bzw. Veränderung des 11. Jh. 74 Soteriou 1952 , 197 –198; Xyngopoulos 1969, 28 – 29; Charalambos Bakirtzis in: Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – MavropoulouTsioumi 2012 , 164, identifiziert die Figur als hl. Nestor, was m. E. sehr unwahrscheinlich ist, da der Heilige mit goldenen Händen wiedergegen wird, was ansonsten nur für den hl. Demetrios nachweisbar ist. 75 Soteriou 1952 , 197: Ὑπὲρ εὐχῆς οὗ οἶδεν ὁ Θεὸς τὸ ὄνομα. 76 So explizit zuletzt Brubaker 2004, 66 – 70 : Alle Mosaiken, auch das an der Westwand, nur nicht das Mosaik der »Stifter«, besitzen dieselbe Rahmung. 77 Skedros 1999, 94 – 95; Brubaker 2004, 84 – 89. 78 Brubaker 2004, 88 – 89. 79 Auch der Versuch von Anderson 1999, 59, eine »Kleriker-Seite«
VI
VI
232
Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen
(Ostseiten und Innenseiten der Pfeiler) und eine »Volksseite« (Westseiten und Innenseiten) auszumachen, überzeugt nicht. Auf der Ostseite des nördlichen Pfeilers begegnet eine Bildstiftung, die vermutlich als ex voto auf eine Privatperson zurückgeht. 80 Soteriou 1918 , 30 – 31; Soteriou 1952 , 233 – 234. Zur Frage der Datierung der Pfeiler s. o. S. 126 –127. 81 S. u. S. 234 – 276 . 82 Der Text Leons ist ediert bei Laurent 1964, 300 – 301. Zur Vorlage einer älteren Erzählung s. Laurent 1964, 289 – 292 . Vgl. zu dieser Episode auch Maguire 1996 , 42 . Die Autorenschaft Leons des Philosophen ist umstritten: Alexander Khazdan, ODB II, 1991, 1217 s. v. ›Leo the Mathematician‹. 83 Vgl. zum Folgenden Maguire 1996 , 40 – 46 . 84 Friedrich Wilhelm Deichmann, Ravenna, Hauptstadt des spätantiken Abendlandes, I, Wiesbaden 1969, 173 u. 199 – 200; ders., Ravenna, Hauptstadt des spätantiken Abendlandes, Kommentar, 1. Teil, Wiesbaden 1974, 149 –150. 85 Abu Mena (Menas): Peter Grossmann, The Pilgrimage Center of Abu Mena, in: David Frankfurter (Hrsg.), Pilgrimage and Holy Space in Late Antique Egypt, Leiden 1998, 281– 302; Meriamlik (Thekla): Stephen Davis, The Cult of Saint Thecla: A Tradition of Women’s Piety in Late Antiquity, Oxford 2001, bes. 36 – 80; Qalaat Seman (Simeon Stylites): Georges Tchalenko, Villages antiques de la Syrie du Nord, I, Paris 1953, 205 – 276 . 86 Zum Dienstkostüm des spätantiken Beamtentums s. Richard Delbrueck, Die Consulardiptychen und verwandte Denkmäler, Berlin – Leipzig 1929, 36 – 40. Zur Chlamys s. ferner Walter Amelung, RE III.2 , 1899, 2342 –2346 s. v. ›χλαμύς‹, und zuletzt Walburga Gerszke, Die Chlamys in der Spätantike, Jahrbuch für Antike und Christentum 53, 2010, 104 –139. 87 S. o. S. 179. 88 Miracula Sancti Demetrii II.6 §309 p. 2388 –11 Lemerle. 89 Miracula Sancti Demetrii II.6 §311 p. 2393 – 8 Lemerle. 90 Vgl. etwa die Wunder des hl. Artemios, c. 34 p. 180 25 – 30 Crisafulli – Nesbitt. 91 Vgl. Leclercq 1950, 662 . 92 Vgl. zu den ex–votos auf spätantiken Mosaikböden zuletzt Yasin 2009, 115 –129. 93 Anders Brubaker 2004, 64, die die Ansicht vertritt, dass die Stifter anonym bleiben konnten, weil man sie kannte. 94 Zur Ambiguität früher Heiligenbilder vgl. Maguire 1996 , 38 – 40. 95 Vgl. Maguire 1996 , 126 . 96 Zur Besonderheit der Kirchenausstattung von Hagios Demetrios als Ergebnis zahlreicher privater Bildstiftungen s. bereits Diehl – Le Tourneau 1910, 226 – 227; Xyngopoulos 1969, 11–12 . 97 Soteriou 1918b, 20 – 21; Soteriou 1952 , 207. 98 Zur Inschrift vgl. Djurić – Tsitouridou 1986 , 43 – 44 Nr. 41: Ὑπὲρ εὐχῆς καὶ σ[ωτηρίας] | τοῦ δούλου σου Κά[ρπου ?]. 99 Soteriou 1952 , 198 –199; Xyngopoulos 1969, 29 – 30. Zur Inschrift s. Djurić – Tsitouridou 1986 , 46 – 47 Nr. 44: [ὑπὲρ εὐχῆς Name des Gatten] καὶ τῆς συμβίου αὐτοῦ Ἰω[άννας ?]. 100 Zu den Votivbildern in S. Maria Antiqua s. Per Jonas Nordhagen, S. Maria Antiqua: the Frescoes of the Seventh Century, Acta ad Archaeologiam et Artium Historiam pertinentia 8, 1978, 89 –142 . 101 Nordhagen, a. O. 136 –137. 102 Vgl. Fourlas 2012 , 136 –137.
Anmerkungen
233
103 Brubaker 2004, 81, impliziert m. E. zu Unrecht, dass der gesamte Bau
123 Miracula Sancti Demetrii I.8 §70 p. 1029 Lemerle: τηλαυγῶς ἐν ᾧ καὶ
133 Virgil S. Crisafulli – John W. Nesbitt, The Miracles of St. Artemios: A
innen und außen mit Mosaiken überzogen war. 104 S. o. S. 122 –125 . 105 Soteriou 1952 , 204 mit Taf. 74 γ und 75 . 106 Velenis 2003b, 43 – 44, erklärt die doppelte Darstellung des Bischofs und des Diakons durchaus überzeugend damit, dass sie sowohl die Kirche wie auch das Ziborium erneuern ließen. 107 Loverdou-Tsigarida 1992 . Die Bruchstücke fanden sich in einer Aufmauerung, mit der man nachträglich den Dibelon-Zugang von der Straße zu dem kleinen Nordostraum der Ostkrypta verschloss. 108 Georgios Soteriou, Αἱ παλαιοχριστιανικαὶ βασιλικαὶ τῆς Ἑλλάδος, Archaiologike Ephemeris 1929, 159 – 248 , hier 245 – 246; Soteriou 1952 , 171; Peter H. F. Jakobs, Die frühchristlichen Ambone Griechenlands, Bonn 1987, 329 – 330. Jakobs weist zu Recht darauf hin, dass Standplatte und Fragmente der Podiumbrüstung nicht unbedingt zu nur einem Ambo gehören müssen. 109 So Loverdou-Tsigarida 1992 , 645 – 646 . Zu Philippi: Εutychia Kourkoutidou-Nikolaidou, Οι δύο άμβωνες της βασιλικής του Μουσείου στους Φιλίππους, in: Αφιέρωμα στη μνήμη Στυλιανού Πελεκανίδη (Aphieroma ste mneme Stylianou Pelekanide), Thessaloniki 1983 , 197 – 212; dies., Les ambons paléochrétiens à Thessalonique et à Philippes, 31. Corso di cultura sull’arte ravennate bizantina, 1984, 255 – 275, hier 263 – 267. 110 So Loverdou-Tsigarida 1992 , 633 – 634 und 644 – 645 . LoverdouTsigarida erklärt dies durch die starke Zersplitterung der Amboplattform, die durch herabfallende Trümmer während des Brands im 7. Jh. verursacht wurde. Möglich wäre m. E. auch eine Zerschlagung der Fragmente, um sie besser vermauern zu können. 111 Prinzipiell besteht die Möglichkeit, dass sich der kleinere Ambo auch im Sanktuar befand: Jakobs, a. O. 61, 126 und 156 . Zur Vermutung, zwei Ambone hätten sich gleichzeitig in Hagios Demetrios befunden s. Loverdou-Tsigarida 1992 , 646 . 112 Die Existenz eines Ambos im Mittelschiff belegt für das 15 . Jh. Symeon von Thessaloniki: s. u. S. 403 . 113 Allgemein zur Text- und Überlieferungsgeschichte: Skedros 1999, 60 – 70. Resümee des Inhalts bei Lemerle 1953, 665 – 668 . 114 Lemerle 1953 , 665 . Erzbischof Johannes verweist bei der Abfassung der Wunderberichte explizit auf eine schriftliche Tradition: Lemerle II, 1981, 43 – 44; Skedros 1999, 63 – 64. Vgl. zum Stil auch Koder 1986, 523 – 526: »Der Stil der Miracula ist knapp, klar, schlicht, verständlich und manchmal von apodiktischer Kürze« (a. O. 526). 115 Vgl. Scholz 2007, 59 – 60. 116 Nach Lemerle II, 1981, 163 –169, ist dieses Wunder eine nachträgliche Hinzufügung. 117 Miracula Sancti Demetrii I.1 §10 – 24 p. 571 – 6719 Lemerle. 118 Miracula Sancti Demetrii I.1 §24 p. 6714 –17 Lemerle. 119 Vgl. Skedros 1999, 75 . Vgl. Speck 1993 , 309 – 310 : Vermutlich habe das Mosaik einen hohen Würdenträger namens Marianos bei einer sparsio oder largitio gezeigt. Skedros 1999, 116 Anm. 46 . Brubaker 2004, 81, geht von einem an der Außenwand der Kirche angebrachten ex-voto-Mosaik aus. Zuletzt Fourlas 2012 , 153 –154. 120 Vgl. Cormack 1985b, 93 – 94: »The visual decoration of the church was the effective proof not only of his appearance but of his historicity because the icons both record and promote miracles.« 121 Miracula Sancti Demetrii II.1 §179 –194 p. 1751 –179 23 Lemerle. 122 Miracula Sancti Demetrii II.1 §194 p. 17918 – 21 Lemerle.
γράφεται σχήματι ἐν ταῖς εἰκόσι. Miracula Sancti Demetrii I.3 §42 p. 80 20 – 21 Lemerle: εὔροδον καὶ χαρίεν τὸ πρόσωπον ἔχοντα, ὥς τινα ὕπατον παρὰ βασιλέως ἐξουσίαν λαβόντα. Bakirtzis 1995, 61. Miracula Sancti Demetrii II.1 §188 p. 1781 Lemerle): χλάμυδα λευκὴν φορῶν. Miracula Sancti Demetrii II.4 §260 p. 21610 Lemerle: τὴν χλαμύδα ἄνω διαναβαλλόμενος, καὶ ῥάβδον ἐν τῇ χειρὶ ἐπιφερόμενος. Miracula Sancti Demetrii I.6 §56 p. 9314 – 24 Lemerle. Miracula Sancti Demetrii I.7 §65 p. 9831 – 995 Lemerle. Miracula Sancti Demetrii I.10 §88 – 91 p. 1153 –1163 Lemerle. Skedros 1999, 125 –128 . Diesen Punkt hebt Bakirtzis 2010, 398 – 405 , und Charalambos Bakirtzis in: Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – MavropoulouTsioumi 2012 , 133 –134, hervor. Lemerle I, 1979, 83 Anm. 1. Vita des hl. Elias c. 70 p. 1121526 –1529 Rossi Taibbi: ἐν τόπῳ τῶν Καμίνων.
Collection of Miracle Stories by an Anonymous Author of Seventh-Century Byzantium, Leiden 1997, 11–12; Brubaker 1998 , 1231–1232 . Zusammenfassend: Ildikó Csepregi, Who is behind Incubation Stories? The Hagiographers of Byzantine Dream-Healing Miracles, in: Steven M. Oberhelman (Hrsg.), Dreams, Healing, and Medicine in Greece from Antiquity to the Present, Farnham 2013, 161–187, und Stavroula Constantinou, Healing Dreams in Early Byzantine Miracle Collections, ebd., 189 –197. Carolyn Connor, Art and Miracles in Medieval Byzantium. The Crypt at Hosios Loukas and its Frescoes, Princeton NJ 1991, 93 –101. Miracula Sancti Demetrii I.15 §166 –175 p. 1611 –16527 Lemerle. Miracula Sancti Demetrii I.15 §166 p. 1622 – 3 Lemerle: ἑστῶτα πρὸ τοῦ τριβήλου τοῦ ἁγίου ναοῦ. Vgl. hierzu in einem anderen Kontext Anthony Kaldellis, Christodoros on the Statues of the Zeuxippos Baths: A New Reading of the Ekphrasis, Greek Roman and Byzantine Studies 47, 2007, 361– 383 , hier 369 – 370.
124
125 126 127 128 129 130
131 132
134 135 136 137
VI
VII
234
VII
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Die Bewohner der Stadt Edessa, des heutigen Şanlıurfa in der Osttürkei, rühmten sich im 6. Jh. eines besonderen Schatzes. Man nahm für sich in Anspruch, ein authentisches Christusbild zu besitzen. Dieses sogenannte Mandylion soll entstanden sein, als Christus mit einem Tuch sein Gesicht trocknete und sein Antlitz auf den Stoff durchpauste. Angeblich sei das Bild unter dem damaligen König Abgar nach Edessa gekommen. Abgar habe Jesus in seine Residenzstadt eingeladen, doch soll dieser geantwortet haben, es sei ihm unmöglich der Einladung Folge zu leisten. Stattdessen habe er den Apostel Thaddäus gesandt, der das Tuch Christi nach Edessa brachte (Abb. 2). Das Bild war so eng mit der dargestellten Person verwoben, dass es über ganz erstaunliche Fähigkeiten verfügte. So wie sich das Antlitz Christi durch Berührung auf das Mandylion übertrug, so reproduzierte sich das Bild durch Auflage auf andere Gegenstände. Auf diese Weise entstand ein weiteres Christusbild auf einer Tonplatte, das sogenannte Keramidion, das in Hieropolis verehrt wurde (Abb. 3). Für einen Byzantiner erschloss sich der Sinn solcher Geschichten sofort: Sie sollten die enge Verknüpfung von Person und Bild belegen und die Fähigkeit eines Bilds zur Vergegenwärtigung der Dargestellten unter Beweis stellen. Wie spätere Quellen berichten, begegnete das Volk dem wundersamen Christusbild, als handle es sich um einen Herrscher. Es wurde in der Bischofskirche von Edessa hinter dem Altar auf einem Thron aufbewahrt, der bei Prozessionen in Begleitung von Fächern, Weihrauchfässern und Lampen umhergetragen wurde.1 Grund dieser Verehrung war die Legende, das Mandylion habe im Jahre 544 die Stadt Edessa vor einem Angriff der Perser bewahrt. Vielleicht ist die Geschichte von der 1 Elfenbeintafel mit Darstellung des hl. Demetrios in militärischem Panzer, mit Lanze und Schild. Das Objekt stammt wohl noch aus dem 10. Jh. und bildet
somit eine der ältesten erhaltenen Darstellung des hl. Demetrios als Soldatenheiligen (New York, Metropolitan Museum, The Cloisters).
wundersamen Entstehung des Bilds sogar während der Belagerung selbst entstanden. Wie dem auch sei, schnell verbreitete sich der Ruhm des Mandylions, und auch der Kaiser wurde auf das Bild aufmerksam. Er führte es 586 im Kampf gegen die Perser mit, wo es erneut seine siegverleihende Kraft unter Beweis stellte. Dann hört man erst wieder im 10. Jh. vom Mandylion. Kaiser Romanos Lekapenos (920 – 944), der Edessa von den Arabern rückerobert hatte, zahlte einen hohen Preis für das Tuchbild, das jene zuvor entführt hatten. Nun wurde es zusammen mit seinem Schwesterbild, dem Keramidion, nach Konstantinopel überführt und gelangte in die kaiserliche Palastkapelle, die Marienkapelle am Pharos.2 Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren wundersamen Christusbild, jenem von Kamuliana, einer Ortschaft in Kappadokien. Es ist seit den 60er Jahren des 6. Jh. bezeugt, also in der Zeit, in der auch zum ersten Mal vom Mandylion die Rede ist. Der Legende nach wollte eine Heidin namens Hypatia nicht an Christus glauben, solange sie ihn nicht sehen könne. Daraufhin fand sie eines Tages im Brunnen ihres Gartens ein Bild des Erlösers, das auf unerklärliche Weise trocken geblieben war. Sie nahm es aus dem Wasser heraus und hüllte es in ihr Gewand, worauf auf diesem eine Kopie des Bilds entstand. Auch dieses Christusbild verfügte somit über die Möglichkeit sich selbst zu reproduzieren und bewirkte obendrein eine Reihe von Wundern. Schon 574 wurde die Ikone nach Konstantinopel überführt und dort als weiteres Reichspalladion verehrt. Kaiser Herakleios (610 – 641), ganz auf die siegverleihende Kraft des Bilds vertrauend, soll es seinen Truppen gezeigt haben, bevor er gegen die Perser zog.3 Beide Bilder, das Edessener Mandylion wie auch das zweite authentische Christusbild, jenes von Kamuliana, ›entstanden‹ nicht zufällig im ostkleinasiatischen Raum, also im Grenzbereich zwischen Byzanz und Persien, der im 6. und 7. Jh. Schauplatz zahlreicher kriegerischer Auseinan-
VII
236
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
237
2 König Abgar von Edessa empfängt das Mandylion, auf dem sich der
3 Das Mandylion erzeugte durch Auflage auf einen Tonziegel ein weiteres
Schweißabdruck von Christi Gesicht erhalten hatte. Detail aus einer dreiteiligen Ikone des 10. Jh. (Katharinenkloster auf dem Sinai).
wundersames Christusbild, das sog. Keramidion. Die griechische Beischrift bezeichnet die Bilder als »geistige Tafeln«. Detail aus einer Handschrift des Johannes Klimakos, die im 11. Jh. in Konstantinopel entstand.
dersetzungen war. Mit beiden Bildern scheint der Gedanke an Schutz vor Feinden verbunden zu sein, und beide Bilder wurden schließlich vom Kaiser nach Konstantinopel geholt und dienten fortan in der Reichshauptstadt als Schutzgaranten und Verbündete.4 Der Bedarf an übernatürlichem Beistand war in jener Zeit offenbar groß: Feinde bedrängten von allen Seiten das Reich, und nicht immer konnte das kaiserliche Heer rechtzeitig eingreifen. Städte, ja ganze Provinzen waren sich selbst überlassen und mussten zusehen, wie sie sich gegen Angreifer wehrten.5 Während im östlichen Grenzbereich zunächst die Perser und dann die Araber die größte Bedrohung darstellten und sich nach und nach den Nahen Osten und Nordafrika aneigneten, waren für die Balkanprovinzen vor allem die Awaren und Slawen bedrohlich, die immer wieder über die Donau auf das Reichsgebiet übergriffen (Abb. 4). Nicht einmal die Hauptstadt war vor feind-
lichen Belagerungen sicher.6 Überraschend waren die Awaren im Jahr 617 bis vor die Tore Konstantinopels gelangt, plünderten das Umland, drohten die Hauptstadt zu erobern und zwangen die Bewohner zu Verteidigungsmaßnahmen. Keine zehn Jahre später, im Jahre 626, hatte das persische Heer auf der asiatischen Seite des Bosporus sein Lager aufgeschlagen, während der Awarenkhagan mit seinen Soldaten auf der europäischen Seite die Stadt erneut zu Lande und zu Wasser bedrohte.7 Da der Kaiser abwesend war – er zog im Osten gegen die Perser – ruhte ein Großteil der Verantwortung auf den Schultern des Patriarchen Sergios. Unter seiner Regie bildeten sich Prozessionen, stimmte die Bevölkerung fortwährend Bittgebete an. Zudem ließ der Patriarch Ikonen der Muttergottes anfertigen und diese auf der Stadtmauer umhertragen. So sollte die Theotokos dazu beitragen, Konstantinopel zu verteidigen, und tatsächlich gelang es, die
VII
VII
238
4 Die Balkanprovinzen des Byzantinischen Reichs litten seit dem späten 6. Jh.
unter den Einfällen von Awaren und Slaven. Thessaloniki und selbst die Hauptstadt Konstantinopel wurden von den feindlichen Barbaren belagert.
Stadt zu halten. Als Awaren und Perser abgezogen waren, wurde eine spontane Siegesfeier abgehalten. Patriarch und Volk strömten durch das Goldene Tor vor die Stadt und stimmten Dankesgebete an. Wenig später organisierte man eine formelle Siegesprozession, die vom Stadtzentrum zur Blachernenkirche führte, um der Muttergottes Dank abzustatten.8 Nicht nur in der Provinz, auch in der Hauptstadt Konstantinopel hatte sich die Heilshoffnung der Bevölkerung immer mehr auf heilige Bilder verlagert. Über Darstellungen Christi oder der Heiligen vertraute man sich jenen an, die in diesen gegenwärtig waren. Man sah sie in allen Kirchen, in allen Winkeln der Stadt – sie waren omnipräsent geworden. Die Bilder von Christus und Maria, unterstützt von der Schar der Heiligen, hatten begonnen, den Kaiser zu verdrängen.9 In Thessaloniki verlief diese Entwicklung ähnlich: Dank der steten Fürbitte eines Heiligen lebte man wie in Konstantinopel in einer von Gott besonders geschützten Stadt.10 Hier konzentrierten sich alle Hoffnungen auf einen
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
bestimmten Heiligen, der mittlerweile große Verehrung genoss und dessen Kirche sich inmitten der Bürger befand: der hl. Demetrios.
Am Rande der Katastrophe: Slawen und Awaren vor den Mauern Thessalonikis Auch Thessaloniki blieb nicht von Angriffen feindlicher Barbaren verschont.11 Die Stadt des Demetrios musste fürchten, von Awaren und Slawen eingenommen zu werden, wie das älteste Buch der Miracula Sancti Demetrii überliefert. Ein erster Angriff auf die Stadt erfolgte bereits im September des Jahres 586.12 Der Awarenkhagan griff die Stadt an, deren Einwohner unter einer fürchterlichen Pestepidemie litten. Glücklicherweise zogen die Feinde bereits nach einer Woche ab, da es ihnen trotz Belagerungsmaschinen nicht gelungen war, die Stadt einzunehmen. Wenig später, zu Beginn des 7. Jh., scheint ein weiterer Überraschungsangriff erfolgt zu sein. Doch wurden diesmal die Bürger der Stadt rechtzeitig gewarnt, denn das Ziborium des hl. Demetrios hatte Feuer gefangen!13 Begleitet wurden die auswärtigen Bedrohungen von Hungersnöten und Unruhen in den letzten Jahren des Kaisers Phokas (602 – 610).14
Am Rande der Katastrophe: Slawen und Awaren vor den Mauern Thessalonikis
Auch das zweite Buch der Miracula Sancti Demetrii ist voll von Schilderungen feindlicher Belagerungen, die nur mit Mühe – und mit Hilfe des Stadtheiligen – abgewehrt werden konnten. 614 organisierten verschiedene Slawenstämme eine Belagerung der Stadt in Verbindung mit einer Seeblockade, um die Bevölkerung auszuhungern.15 Doch scheiterte der Angriff schon nach vier Tagen, und die Slawen mussten sich zurückziehen. Bald nach diesem Misserfolg, vermutlich im Jahre 617/618, entschlossen sie sich zu einer erneuten Belagerung der Stadt, die einen großen Flüchtlingsstrom zu bewältigen hatte.16 Glücklicherweise gelang die Versorgung der Bevölkerung während der 33 -tägigen Belagerung, da diesmal der Hafen nicht blockiert war. Zudem erschütterten Erdbeben die Stadt, und vermutlich war es eines dieser Beben, welches um 620 den Brand in der Kirche Hagios Demetrios auslöste.17 Weitere Katastrophen ereilten Thessaloniki später im 7. Jh., als Folge der sogenannten Affäre des Perbundos.18 Dieser war ein slawischer Anführer, der in Thessaloniki lebte, jedoch denunziert und als Gefangener nach Konstantinopel geführt wurde. Eine gemeinsame Delegation von Slawen und Thessalonikern setzte sich nun beim Kaiser für seine Freilassung ein. Nach mehreren Fluchtversuchen wurde Perbundos hingerichtet. Die Reaktion der Slawen ließ nicht lange auf sich warten: 676 begann eine Blockade der Stadt Thessaloniki zu Lande und zur See, die eine fürchterliche Hungersnot zur Folge hatte, und im Juli 677 in einem erfolglosen Sturm auf die Stadt kulminierte. Nur wenig später kam es zu einer Art Putsch in der Stadt. Hintergrund war das Bestreben einer griechischstämmigen Bevölkerungsgruppe, die einst von Slawen nach Pannonien verschleppt worden war, in ihre Heimat zurückzukehren.19 Führer dieser Exilgriechen war ein gewisser Kuber. Vor Thessaloniki angelangt hatte er eine Idee: Sein griechischer Vertrauter Mauros sollte sich als Flüchtling ausgeben, so in die Stadt gelangen und sie im Handstreich übernehmen. Dieser Plan gelang auch, und sogar der Kaiser bestätigte Mauros als Verwalter Thessalonikis. Nun sandte man eine Flotteneinheit, um die Flüchtlinge nach Konstantinopel zu bringen, da man sie in Thessaloniki nicht aufnehmen konnte. Dank dem wundersamen Eingreifen des hl. Demetrios gelangten die kaiserlichen Schiffe rasch nach Thessaloniki, wo das Komplott endlich aufgedeckt wurde. Soweit die zum Teil sehr ausführlichen Schilderungen in den beiden Büchern der Miracula Sancti Demetrii. Die ver-
239
schiedenen Episoden erzählen von zahlreichen Konflikten zwischen Thessalonikern einerseits und Slawen wie Awaren anderseits, lassen aber auch erahnen, dass es lange Phasen friedvoller Koexistenz gegeben haben muss, in denen man sich mit den Slawen arrangierte, die im Umland siedelten, aber auch in der Stadt eine nennenswerte Bevölkerungsgruppe darstellten.20 Vor allem aber lassen die Wunderberichte erkennen, in welchem Maß Thessaloniki auf sich allein gestellt war. Im zwölften Wunderbericht des ersten Buchs der Miracula Sancti Demetrii warnt der Heilige die Bevölkerung vor einem drohenden Slawenangriff. Alle Bürger – und nicht etwa eine ansässige Garnison! – eilen daraufhin auf die Stadtmauern, um die Stadt zu verteidigen.21 Der Kaiser war fern, seine Truppen kamen nur selten zu Hilfe, denn im Osten mussten Kriege gegen die Perser und Araber gefochten werden. Schließlich war Konstantinopel im frühen 7. Jh. selbst kurz davor, eingenommen zu werden. Das in Thessaloniki spürbare Machtvakuum nährte das Verlangen nach einer heilversprechenden, siegreichen Kraft, ohne dass der Kaiser diesem Bedürfnis entsprechen konnte. Nun hatte der Bischof der Stadt einzuspringen und die Verteidigung der Stadt zu organisieren. So nennen die Reparaturinschriften auf der Mauer nicht den Kaiser oder einen Statthalter, sondern den Bischof!22 Zugleich schlug die Stunde des hl. Demetrios, und aus einem persönlichen Fürsprecher wurde der Schutzpatron der Stadt Thessaloniki.23 Keine Episode der Miracula Sancti Demetrii illustriert das Ausbleiben kaiserlicher Fürsorge und die Übernahme des Schutzes der Stadt durch den Heiligen nachdrücklicher als die Erzählung von jenen himmlischen Boten, die wie Angehörige der kaiserlichen Leibgarde anmuteten und angesichts höchster Gefahr den Heiligen aufforderten, die Stadt zu verlassen.24 Doch Demetrios weigerte sich, der Aufforderung, Thessaloniki zu verlassen, Folge zu leisten, und stellte sich an die Seite seiner Mitbürger. Angesichts einer solchen Gefahr könne er Thessaloniki nicht verlassen. »Entweder werde ich gerettet, wenn sie gerettet werden, oder mit ihnen sterben, wenn sie vernichtet werden« (Text 1). Vielleicht ist das auch die Antwort auf die Frage, warum Demetrios kein Bischofs- oder Eremitenheiliger war, warum er vielmehr sein Erscheinungsbild dem eines hochrangigen kaiserlichen Beamten anglich. Nur als staatlicher Würdenträger konnte er überzeugend die Rolle übernehmen, die sich der Thessaloniker für den Hauptheiligen seiner Heimatstadt wünschte: nämlich wirksam an die Stelle der geschwäch-
VII
VII
240
ten bzw. fehlenden kaiserlichen Exekutivgewalt zu treten. Eremitenheilige vor der Stadt waren dafür nur sehr bedingt geeignet: So hauste im 6. Jh. vor den Mauern Thessalonikis ein Eremitenmönch namens David. Eines Nachts beobachteten Soldaten von der Stadtmauer, wie Flammen aus seiner Hütte emporschlugen, und so nahmen sie an, feindliche Belagerer hätten sie in Brand gesetzt. Am nächsten Morgen jedoch stellte sich heraus, dass sowohl der Eremit als auch seine Hütte unversehrt geblieben waren (Text 2).25 Auch ein Mönch namens Adolas, der in einem hohlen Baum vor der Stadt lebte, half feindliche Barbaren abzuwehren.26 Diese bemerkten den Eremiten, woraufhin einer sein Schwert zog und ihn mit dem Tod bedrohte. Da erstarrte der Angreifer, und erst auf die Bitten der anderen Barbaren löste Adolas die Starre, woraufhin die Soldaten vor ihm niederfielen und friedlich von dannen zogen (Text 2). Alle Heiligen hatten ihren Beitrag zur Verteidigung Thessalonikis zu leisten, doch nahm sich der der vorstädtischen Eremiten eher bescheiden
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
aus. Gefragt war ein Heiliger, der in der Stadt selbst das Ruder übernahm, gefragt war ein Fürsprecher, der den touch staatlicher Autorität mit sich brachte und ersetzte, was der Staat nicht mehr garantierte. Die kollektive Angst, die Stadt den Feinden übergeben zu müssen, und die Hoffnung, die anbrandenden Barbarenhorden vor den Mauern Thessalonikis abwehren zu können, hatten sich in einer Person gebündelt, die nun übernehmen musste, was eigentlich des Kaisers war: Unheil von den Bürgern abzuwenden und sie vor den Feinden des Reichs zu bewahren. Es war der offensichtliche Erfolg des hl. Demetrios bei der Abwehr von Feinden, der ihn auch für andere Städte der Region interessant machte: Bald etablierten sich außerhalb Thessalonikis Kirchen, die das Patrozinium des Heiligen trugen.27 Im Bodenbelag des Baptisteriums der Basilika A von Nea Anchialos fand sich eine offenbar nachträglich eingefügte Inschrift mit dem Wortlaut ΑΓΙΕ ΔΗΜΗΤΡ[IE] – »heiliger Demetrios« (Abb. 5).28 Etwa um dieselbe Zeit
1. Demetrios weigert sich gegen die Empfehlung zweier himmlischer Boten Thessaloniki zu verlassen: Am Anbruch des dritten Tages des schon erwähnten Krieges, an dem, wie gesagt, Gott der Stadt Mut machte, kam ein adliger Mann, der ein ruhmreiches Leben führte, dessen einfaches Herz noch ruhmreicher war, der mit der Würde der sogenannten Illustres geehrt worden war und für den das »Unschuld und Redlichkeit mögen mich behüten« (Ps. 24, 21.) hätte geschrieben sein können. Dieser Mann sah im Schlaf, oder wie er seinen Nächsten sagte, in Ekstase sich selbst, wie er vor dem Tribelon der heiligen Kirche des ruhmreichen Märtyrers Demetrios stand. Und siehe, sprach er, zwei große und wohlgestaltete Männer erschienen mir, die von draußen an das Tribelon gekommen waren, und ich dachte, sie wären Leibwächter des Kaisers. Der eine von diesen fragte: »Wo ist der Herr der Kirche?« Dann erschien einer der Diener (sc. des Heiligen) im Mittelschiff der Kirche und antwortete: »Wozu braucht ihr ihn?« Daraufhin sagten sie: »Der Herrscher hat uns geschickt, um ihm die Antwort zu bringen.« Und der Diener zeigte ihnen das heilige Ziborium der Kirche und sagte: »Hier ist er.« Die Männer, die wie Engel Gottes aussahen, traten näher an das Ziborium und sprachen zum Diener: »Klopf an und sag ihm, dass wir gekommen sind.« Ich wurde von Staunen ergriffen und folgte ihnen vom Tribelon aus; dann stand ich vor einem
Interkolumnium des heiligen Ziboriums und wartete darauf zu erfahren, was sie dem Heiligen vom Kaiser ausrichten würden. Der Diener klopfte an die Tür des Ziboriums, und gleich machte der allheilige und ruhmreiche Märtyrer Christi von innen auf. Er stand nahe der Tür, so dass auch ich Unwürdiger ihn sehen konnte. Und ich sank zu Boden, auf mein Gesicht, weil ich sein Engelsgesicht nicht zu erblicken vermochte. Denn er sah so aus, wie er auf seinen ältesten Abbildungen dargestellt wird, und die Farbe seines Gesichtes strahlte wie die Sonne, so dass mein Antlitz, obwohl ich auf das Gesicht gefallen war, leuchtete und ich vom Glanz, den das strahlende Licht auf den Boden warf, umfangen wurde. Auf dem Gesicht liegend bemühte ich mich sehr zu hören, was sie einander zu sagen hatten. Und ich hörte, dass die Männer den Heiligen mit Freundlichkeit begrüßten. Und er sagte zu ihnen: »Gnade sei mit euch. Warum habt ihr euch die Mühe gemacht, zu mir zu kommen?« Die Männer sagen: »Der Herrscher hat uns zu deiner Heiligkeit geschickt, um dir folgendes zu sagen: ›Komm schnell heraus und her zu mir, denn die Stadt ist den Feinden ausgeliefert‹«. Als ich das hörte, wurde ich aufgeregt und entsetzt vom Schmerz, den diese Worte mir bereitet hatten. Ich stand auf, stützte mich auf
Am Rande der Katastrophe: Slawen und Awaren vor den Mauern Thessalonikis
5 Auch andere Kirchen in Nordgriechenland versicherten sich im 6. Jh. des
Schutzes des hl. Demetrios. Im Bodenbelag des Baptisteriums nördlich des Atriumvorhofs der Basilika A von Nea Anchialos hat man eine Inschrift eingelassen, die eine Anrufung an den Stadtheiligen Thessalonikis darstellt. Erkennbar sind die Buchstaben ΑΓΙΕ ΔΗΜΗΤΡ[IE].
die Hände, erhob kurz meinen Kopf und da sah ich das menschenliebende und wohlwollende Gesicht des zutiefst mitleidenden und stadtliebenden Märtyrers, wie es vor Traurigkeit verwirrt war und betrübt zu Boden blickte. Nachdem viel Zeit vergangen war und eine unaussprechliche Stille herrschte, sah ich Tränen auf jenen göttlichen Wangen herunterlaufen, sodass der Diener zu den Männern sprach: »Warum habt ihr meinen Herrn in Traurigkeit versinken lassen? Wahrlich, wenn ich eure Absicht gekannt hätte, hätte ich euch nicht angekündigt.« Dann machte der Heilige seinen Mund auf, mit dem er göttliche Wahrheiten aussprach, und sagte zum Diener: »Lass sie, sie sind meine Mitdiener und teilen nur das mit, was ihnen befohlen wurde.« Und zu ihnen sagt er: »Hat mir der Herrscher also wirklich diese Nachricht gesendet? Hat seine Macht so entschieden, dass von diesen wilden Ungeheuern eine Stadt zerstört wird, die seit vielen Generationen mit seinem Schweiß und mit dem Blut seiner heiligen Seite im Glauben gefestigt worden ist?« Und die Männer antworteten: »Wenn er das nicht entschieden hätte, hätte er uns nicht zu deiner gottverehrten Seele gesendet.« Da wurde der Heilige noch finsterer vor Schwermut, und nachdem er lange seinen Kopf nachdenklich schüttelte, gab er traurig folgende Antwort – sein seufzendes Sprechen und seine schwache Stimme zeigten sein Mitleid für seine Heimat, die ihm maßlose Trauer verursachte.
241
wurde im epirotischen Nikopolis eine stattliche dreischiffige Querhausbasilika errichtet (Abb. 6).29 Am Zugang zum Atriumvorhof befindet sich eine Mosaikinschrift, in der die Stifter dem hl. Demetrios für seinen Schutz danken (Abb. 7).30 ›Schutz‹ – das war es, was Thessaloniki und die anderen Städte Griechenlands in jenen Jahren mehr denn je brauchten, und das war es, was der hl. Demetrios versprach.
Er antwortete also den Männern: »Brüder, geht und sagt dem wohlwollenden Herrscher: ›Dein lieber und aufrichtiger Diener Demetrios sagt folgendes: Du, o Herrscher, bist mein Herr, der Herr dieser Stadt und der ganzen Welt. Da du die Macht hast, hast du mir befohlen, hier mit deinen Dienern zu wohnen. Wie kann ich sie also in solcher Not verlassen und weggehen? Wie soll ich die Zerstörung meiner Heimat mitansehen können? Wie kann ich leben, wenn meine Bürger sterben? Nein, denn so wie ich mit ihnen im Geiste zusammen war, als es ihnen gut ging, so verlasse ich sie auch nicht jetzt, da sie in Gefahr sind. Entweder werde ich gerettet, wenn sie gerettet werden, oder ich sterbe mit ihnen, wenn sie untergehen. Du selbst hast, obwohl du Herrscher bist, wie ein Hirt dein Leben für die Schafe hingegeben (vgl. Joh. 10, 15). Und ich weiß mit Sicherheit, dass unsere Sünden deine Barmherzigkeit nicht überwältigen werden, dass dein Erbarmen für uns groß ist und dein gerechter Geist will, dass wir zu dir zurückkehren und nicht vernichtet werden. Da du also über alles herrscht, o gütiger Herr, verfahre mit uns, wie du es entscheidest. Entweder werde ich, wie gesagt, gerettet, wenn sie gerettet werden, oder mit ihnen sterben, wenn sie vernichtet werden‹«. (Miracula Sancti Demetrii I.15 §166 –170 p. 1611 –16330 Lemerle. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)
VII
VII
242
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Brände und Tumulte in der Stadt? Eine schwer zu deutende Wandmalerei in der Kirche Hagios Demetrios
243
2. A bt Palladios berichtet von Eremiten vor der Stadt Thessaloniki, die Feinde vertrieben:
6 Luftaufnahme der dreischiffigen Querhausbasilika, die Bischof Dometios im spätantiken Nikopolis stiftete. Vielleicht war der Bau dem Thessaloniker Heiligen Demetrios geweiht, wie aus einer Inschrift am Zugang zum Atriumvorhof hervorgeht.
Wie die Geschichte wohl bei einer Eroberung Thessa lonikis verlaufen wäre? Vermutlich hätte es dann keine Miracula Sancti Demetrii gegeben, und der hl. Demetrios wäre, wenn überhaupt, ein unbedeutender Lokalheiliger geblieben. Doch darf man aus diesem Gedankenspiel nicht ableiten, dass die Karriere des hl. Demetrios nur das Ergebnis militärischer Standhaftigkeit der Thessaloniker war. Die stetig wachsende kollektive Überzeugung, einen wirkmächtigen heiligen Mitstreiter zu haben, hob Durchhaltewillen und Kampfkraft, verlieh Hoffnung in Situationen, die anderen hoffnungslos anmuten mussten.
Brände und Tumulte in der Stadt? Eine schwer zu deutende Wandmalerei in der Kirche Hagios Demetrios In der Kirche Hagios Demetrios kann man noch heute ein weiteres Zeugnis dieser turbulenten Zeiten sehen. Nach dem Brand des Jahres 1917 fand man ein stark beschädigtes
Fresko mit der Darstellung des Einzugs eines hochrangigen Würdenträgers, den man immer wieder als Justinian II. (685 – 695 und 705 – 711) identifizierte (Abb. 8).31 Die Malerei befindet sich auf der Innenseite der Südwand der Basilika. Sie kann keinesfalls zur ursprünglichen Ausstattung der Kirche gehören, da man zum Zeitpunkt der Anbringung die originalen Doppelfenster mit eingestellten Säulen teilweise vermauert hatte (Abb. 9).32 Die Malerei wird zu beiden Seiten von Wandöffnungen begrenzt, links von einem späteren Bogenfenster, rechts von einem originalen Doppelfenster. Es handelt sich um ein isoliertes Bildfeld, das nicht Teil eines größeren Zyklus war. Gegen die Zugehörigkeit zu einer Bildfolge spricht auch die Rahmung, eine breite Bordüre mit einem lesbischen Kymation, welche das Bildfeld umschließt. Durch den nachträglichen Einbruch einer Türöffnung in osmanischer Zeit wurde die Darstellung vor allem im Zentrum stark beschädigt.33 Was heute noch zu erkennen ist, lässt auf zwei ›Szenen‹schließen: Links sieht man zu Pferd eine bärtige Person mit Nimbus, die ihre Rechte im Gestus der adlocutio erhoben hält (Abb. 10). Sie wird eskortiert von mindestens drei weißgekleideten Männern, die ihr voranschreiten, sowie von weiteren Reitern und Fußsoldaten hinter ihr. Dieser Einzug findet vor dem Hintergrund einer Architekturkulisse statt, die aus einer Folge von Giebelädikulen mit verschiedenartig dekorierten Zwischenbereichen
7a–b Die Inschrift lautet: »Dometios, der Vorgänger, ließ dieses verehrungs-
würdige Haus errichten. Der jetzige Dometios von Nikopolis, Nachfolger in dessen Priesterschaft, ließ die Dreifachhalle durch die Kraft Christi schön errichten. Ich, Euphronios, der in der Kirche als Schüler des älteren (Dometios) … (?). Jeder von beiden dankt dem Märtyrer Demetrios für seinen Schutz.«
besteht. Hier sieht man als Füllmotive eine Raute, eine Jagddarstellung und eine Inschrift, die bislang einer Entschlüsselung harrt. Diese langgestreckte Architektur wird von einem Ziegeldach bedeckt.34 Die Soterious waren sich sicher, über dem Dach Flammen zu erkennen. Heute ist davon nichts mehr zu sehen, und auch alte Aufnahmen geben keinen eindeutigen Aufschluss.35 Insgesamt scheint es eher fraglich, ob der Reiter in eine brennende Stadt einzieht. Beim Empfang einer hochgestellten Persönlichkeit in einer Stadt sollte man eigentlich ein Empfangskomitee erwarten. Auf den erhaltenen Resten der Darstellung ist davon nichts zu sehen, doch könnten sich entsprechende Personen im Zentrum der Darstellung befunden haben, wo nachträglich das Bogenfenster eingebrochen wurde.36 Der rechte Teil der Darstellung zeigt eine Arkadenarchitektur, in der sich zahlreiche Menschen befinden (Abb. 11). Links ist noch ein von einem Giebel bekrönter Bogen zu sehen, den man als Angabe einer Apsis und ihres Stirnbogens interpretieren muss. Nach rechts schließen weitge-
c. 69: In meiner Heimatstadt (sc. Thessaloniki), etwa drei Stadien außerhalb der Stadtmauern, lebte ein Mesopotamier namens David als Rekluse. Dieser war ein Mann von großer Tugend, barmherzig und enthaltsam. 75 Jahre lebte er eingeschlossen in seiner Zelle. Zu jener Zeit wurden die Stadtmauern des Nachts wegen der Barbarenüberfälle von Soldaten bewacht, und eines Nachts sahen jene, die die Mauern in dem der Zelle jenes Reklusen zugewandten Abschnitt bewachten, dass aus allen Öffnungen der Zelle Feuer herausloderte. Da glaubten die Soldaten, die Barbaren hätten die Zelle des Altvaters in Brand gesteckt. Als es Tag wurde, gingen die Soldaten hin und fanden den Greis heil und die Zelle unversehrt, sodass sie sich sehr wunderten. In der folgenden Nacht sahen sie wiederum Feuer herauslodern aus der Zelle des Altvaters, und dies wiederholte sich über eine lange Zeit, sodass die ganze Stadt davon erfuhr und viele des Nachts auf die Stadtmauer stiegen und dort wachend verharrten, um das Feuer zu sehen. Und dies dauerte fort bis zum Hingang des Altvaters. … c. 70: Derselbe Altvater erzählte uns weiter, dass nach Abba David ein anderer Mönch namens Adolas kam, der ebenfalls aus Mesopotamien stammte und sich in einiger Entfernung von der Stadt im hohlen Stamm einer Platane einschloss. In diesen Stamm machte er ein kleines Fensterchen, durch welches er mit denen zu sprechen pflegte, die ihn besuchten. Als nun die Barbaren kamen und jenes ganze Gebiet ausplünderten, geschah es, dass sie auch dort vorbeikamen. Einer der Barbaren bemerkte den Greis, der sich hinausbeugte, worauf er sein Schwert zog, um ihn niederzumachen. Doch sein ausgestreckter Arm blieb bewegungslos in der Luft hängen. Als die anderen Barbaren dies sahen, verwunderten sie sich und baten den Altvater um Hilfe, indem sie sich vor ihm niederwarfen. Der Altvater sagte ein Gebet und befreite ihn, worauf er sie in Frieden entließ. ( Johannes Moschos, Pratum Spirituale c. 69 – 70, PG 87.3, 2921BC u. 2924AB. Übersetzung Johannes Moschos, Leimonarion, Chania 2008, 75 – 76)
VII
VII
244
spannte Arkadenöffnungen mit Schrankenplatten an. Dabei handelt es sich um das Obergeschoss einer Architektur, da rechts unten noch der Rest einer Person mit eingelegter Lanze zu erkennen ist, die vermutlich auf einem Pferd reitet.37 Nach oben schließt die Darstellung mit einem durchgehenden Ziegeldach ab. Fraglos handelt es sich bei dieser Darstellung um das Innere einer Kirche. Auf der Empore des Gebäudes ereignen sich dramatische Szenen: Frauen mit bedeckten Häuptern drängen sich in Richtung Apsis, rechts heben einige Figuren in Panik die Arme. Die einzige Hoffnung ist ein Engel, der sich dort befindet, wo der Altar zu erwarten wäre. Er scheint den Eindringlingen Einhalt zu gebieten, scheint die Schändung der Kirche zu unterbinden. Menschen sind vor Feinden in eine Kirche geflohen und werden dort niedergemacht. Just in diesem Moment erscheint eine rettende Person zu Pferd. Wer ist diese Person, wo befinden wir uns, und welche Ereignisse werden hier dargestellt? Über dem Dach der Kirche verläuft eine Inschrift mit folgendem Wortlaut: Ἡ ἁγία ἐκκλησία ἡ ἐν τῷ Σ(…) – also eine heilige Kirche, die sich an einem S… genannten Ort befindet. Die Soterious hatten geglaubt, nach dem Sigma noch ein Tau zu erkennen und ergänzten die Inschrift Ἡ ἁγία ἐκκλησία ἡ ἐν τῷ Στ(αδίῳ).38 Es handle sich bei der Kirche somit um jene des hl. Demetrios, die hagiographischen Quellen zufolge »zwischen dem öffentlichen Bad und dem Stadion« errichtet wurde.39 Die Malerei stammt, wie bereits angedeutet, nicht aus der Bauzeit der Kirche. Sie füllt exakt den Bereich zwischen einer weiten Rundbogenöffnung und einem Doppelfenster aus, kann also erst nach Einbringen dieser Wandöffnungen angebracht worden sein (Abb. 9). Die Doppelfenster gehören mit Sicherheit zum Ursprungsbau, während die große Rundbogenöffnung links der Wandmalerei erst nachträglich eingefügt wurde – vermutlich zusammen mit dem ebenfalls nachträglich eingebrochenen Südportal der Kirche.40 Könnte man die Anlage des Südportals datieren, dann hätte man einen terminus post quem für die Malerei. Aristoteles Mentzos argumentiert durchaus schlüssig, dass die Anlage der Euthymioskapelle auf der großen Freitreppe im Osten von Hagios Demetrios wohl Folge einer gewandelten Zugangssituation war: Man betrat den Bau nun nicht mehr von Osten, sondern von Süden. Da die Kapelle vermutlich im 10. Jh. entstand, muss der Südzugang zuvor angelegt worden sein.41 Wie lange davor, bleibt allerdings offen; dies
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
könnte auch schon früher, im 8. oder 9. Jh. geschehen sein.42 Wer also kann hier dargestellt sein? Zunächst liegt die Vermutung nahe, es handle sich um einen Kaiser, der vor allem in der Spätantike häufig im Schema des adventus dargestellt wird.43 Justinian II. besuchte nachweislich 688 Thessaloniki, und danach sollte es mehr als drei Jahrhunderte dauern, bis ein byzantinischer Kaiser der Stadt wieder einen Besuch abstattete.44 Nach allem, was aus schriftlichen Quellen zu erfahren ist, scheint es unter Justinian II. zwar zu Kriegen gegen die Slawen gekommen zu sein, doch konnten diese sich nicht der Stadt bemächtigen. Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass ein Ereignis aus dem Krieg gegen die Slawen abgebildet ist.45 Erst für das Jahr 904 ist eine Eroberung Thessalonikis überliefert.46 Hier aber kam kein Kaiser zu Hilfe; vielmehr war die Stadt in ihrer erfolglosen Abwehr der Araber auf sich alleine gestellt gewesen.47 Muss es sich aber bei dem nimbierten Reiter überhaupt um einen Kaiser handeln? Als erster hat dies Georgios Velenis in Frage gestellt. Ihm zufolge stellt die Szene die Verbannung des Mönchs Artemios nach Thessaloniki dar, der als Anastasios II. den Kaiserthron innehatte, im Jahre 716 abgesetzt wurde und die Hauptstadt Konstantinopel verlassen musste.48 Doch widersprechen dieser Interpretation entschieden ikonographische Argumente:49 Wieso sollte ein als Mönch verbannter Ex-Kaiser triumphal in seine Exilstätte einziehen und dabei Chlamys und Binde tragen? Ebenso wenig überzeugt Velenis’ Deutung der rechten Szene als Darstellung bulgarischer Söldner, die auf Befehl Kaiser Leons III. (717 – 741) den Erzbischof von Thessaloniki ergreifen sollten. Ein solches Ereignis wird in den Quellen überhaupt nicht erwähnt.50 Schließlich bliebe außerdem offen, von wem und mit welcher Absicht eine solche Bildstiftung in Hagios Demetrios erfolgt sein könnte. Kann es sich bei dem fraglichen Reiter nicht auch um einen hohen Beamten handeln? Er trägt eine dunkle Hose, eine langärmlige Tunika und einen kurzen dunklen Mantel, der über der rechten Schulter mit einer Fibel zusammengehalten worden sein dürfte (Abb. 12). Dies entspricht durchaus der Tracht hoher Beamter, etwa eines Prätorianerpräfekten, wie aus Schriftquellen des 6. Jh. hervorgeht.51 Belegt ist als offizieller Bestandteil der Tracht des praefectus praetorio ferner eine infula genannte Binde, die um den Kopf gelegt wird.52 Eine solche infula scheint auch der bärtige Mann zu Pferde auf der Wandmalerei in Thessaloniki zu tragen. Es muss sich bei ihm also nicht um einen Kaiser handeln;
Brände und Tumulte in der Stadt? Eine schwer zu deutende Wandmalerei in der Kirche Hagios Demetrios
245
8 Wandmalerei im äußeren südlichen Seitenschiff: Schwer beschädigt durch
9 Bevor man die Wandmalerei auftrug, vermauerte man eine Doppelfensteröff-
den späteren Einbruch eines halbkreisförmigen Fensters ist ein großflächiges Feld mit einer Wandmalerei, die auf der einen Seite einen Reiter und auf der anderen Seite das Innere einer Kirche zeigt.
nung und brach innen ein neues Fenster ein. Dies zeigt, dass das Fresko nicht zum originalen Ausstattungsbestand der Basilika gehören kann.
ebenso gut könnte er einen Prätorianerpräfekten darstellen. Bei einem Kaiser würde man eher ein Diadem oder eine Spangenkrone erwarten. Der überaus prominent wiedergegebene Nimbus scheint zunächst gegen eine Deutung als hoher Beamter zu sprechen, doch werden auf den Mosaiken
des 7. Jh. in Hagios Demetrios auch weltliche und kirchliche Würdenträger von einem – wenn auch verhalten angegebenen – Nimbus hinterfangen.53 Damit entfällt der Zwang, die Darstellung mit einem kaiserlichen Besuch in Verbindung zu bringen. Es könnte
VII
VII
246
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Der Kaiser bittet den Heiligen um Hilfe: Justinian II. und Demetrios
11 Der rechte Teil des Bildfelds zeigt das Innere einer Kirche. Feinde dringen von rechts ins Gebäude ein und drängen erschreckte Frauen in Richtung Apsis. Links erkennt man noch die Flügel und den Kopf eines Engels, der den Eindringlingen Einhalt zu gebieten scheint.
10 Der linke Teil des Bildfelds zeigt einen Reiter, der mit seinem Gefolge in
eine Stadt einzieht. Im Hintergrund sind reliefgeschmückte und mit Inschriften verzierte Bauten zu erkennen.
sich ebenso gut um den Besuch eines hohen Beamten handeln, dessen Ankunft das Ende von Tumulten in der Stadt bedeutete. Zu öffentlichen Unruhen kam es in Thessaloniki unter der Regierung des Kaisers Phokas (602 – 610); der zehnte Wunderbericht im ersten Buch der Miracula Sancti Demetrii nimmt auf sie Bezug.54 Weitere Tumulte mochten sich im 7. Jh. ereignet haben, als sich in der Stadt ein größerer slawischer Bevölkerungsteil etablierte. Schließlich berichtet das letzte Wunder im zweiten Buch der Miracula Sancti Demetrii von der Übernahme der Stadt durch den slawenfreundlichen Mauros, dessen Komplott erst mit Hilfe des Heiligen aufgedeckt werden konnte.55 Zwar hört man auch im Zusammenhang dieses Wunders nichts von Unruhen, doch heißt das nicht zwangsläufig, dass es solche nicht gegeben hat. Es darf nicht vergessen werden, dass fast alle Informationen zur frühmittelalterlichen Geschichte Thessalonikis aus einer hagiographischen Quelle stammen, die keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und wohl kaum das ›Versagen‹ des hl. Demetrios, also Zerstörungen in der Stadt, thematisieren würde. Ausschreitungen, zu denen Mord und Totschlag in einer Kirche zählten, mochten die Intervention eines kaiserlichen Beamten notwendig gemacht haben. War es am Ende der hl. Demetrios, dem
247
sich der Reiter und seine Entourage näherten? Bildete der Stadtheilige Demetrios die verlorene Mitte des Bilds? Dann hätte man ihm wohl die rettende Ankunft des unbekannten Würdenträgers zugeschrieben.
Der Kaiser bittet den Heiligen um Hilfe: Justinian II. und Demetrios Von den dramatischen Ereignissen auf der Balkanhalbinsel im 7. Jh., den fortwährenden Einfällen von Slawen und Awaren war bereits die Rede.56 Immer wieder waren die Bewohner Thessalonikis – aber auch Konstantinopels – gezwungen, sich mit Hilfe wirkmächtiger Heiliger gegen auswärtige Angreifer zur Wehr zu setzen. Auch Kaiser Justinian II. (685 – 695 und 705 – 711) hatte sich diesem Problem zu stellen. Längst siedelten Slawen und Bulgaren südlich der Donau und bildeten eine kontinuierliche Bedrohung, welcher der Kaiser durch eine Kombination von militärischem Vorgehen und Umsiedlungen begegnete. So zog Justinian 688 gegen die Slawen, konnte diese auch besiegen und siedelte 30.000 Kriegsgefangene als Wehrbauern in Bithynien an.57 Dieser Kriegszug führte den Kaiser bis nach Thessaloniki, wo er im September desselben Jahres einen triumphalen Einzug abhielt. Offenbar fühlte sich der Kaiser dem Stadtheiligen in ganz besonderer Weise verpflichtet, denn eine ausführliche Inschrift dokumentiert eine bedeutsame Schenkung an die Kirche Hagios Demetrios (Abb. 13).58
VII
VII
248
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Wo ist der hl. Demetrios? Die Eroberung Thessalonikis im Jahre 904
249
stützung im Kampf erbittet. Sie bildet den Auftakt einer intensiven Verehrung des hl. Demetrios durch den byzantinischen Kaiser, der sich immer dann an den Patron Thessalonikis wandte, wenn er erfolgreich eine Schlacht geschlagen hatte oder hoffte siegreich zu sein.
Wo ist der hl. Demetrios? Die Eroberung Thessalonikis im Jahre 904
12 Als problematisch erweist sich die Ikonographie des Reiters. Die infula genannte weiße Kopfbinde deutet eher auf einen hohen Beamten als auf einen Kaiser hin.
Es handelt sich um eine vor den Mauern der Stadt gelegene Saline, deren Einkünfte fortan für den Unterhalt der Demetrioskirche und deren Klerus aufgewendet werden sollten (s. Text 3). Offenbar führte der Kaiser sein Kriegsglück in besonderem Maß auf den Stadtpatron Thessalonikis zurück. So dankt er in der Inschrift zunächst Gott, der den Kaiser gekrönt hat und ihm zahlreiche Siege über die Feinde gewährt, dann aber gleich dem hl. Demetrios, den er als »Verbündeten in verschiedenen Kriegen gegen die Feinde« bezeichnet. Grund zur Dankbarkeit bestand umso mehr, als Demetrios auch »jenen hilft, die fern der Stadt sind«, somit Wirkmacht und Wohltätigkeit nicht auf Thessaloniki beschränkt, sondern sie auch Menschen jenseits dieser Stadt zukommen lässt – und zu diesen gehörte der Kaiser.59 Die Inschrift aus Hagios Demetrios ist das älteste bekannte Dokument, in dem ein Herrscher den Thessaloniker Stadtheiligen als Verbündeten gegen Feinde anruft, ihm für bisherigen Beistand dankt und von ihm künftige Unter-
Die überregionale Wundertätigkeit des hl. Demetrios ist Hauptmotiv des dritten Buchs der Miracula Sancti Demetrii.60 Diese Sammlung von insgesamt fünf Wundern kann erst nach der Eroberung Thessalonikis durch die Araber im Jahre 904 entstanden sein, da an einer Stelle Bezug auf dieses Ereignis genommen wird.61 In ihr ist zumeist von Heilungen und Wundern die Rede, die sich fern von Thessaloniki ereigneten, und mehrfach hört man von Demetrioskirchen in anderen Städten des Reichs. In ihrem Inhalt unterscheiden sich diese jüngeren Wunderberichte von den beiden älteren Sammlungen des 7. Jh. Nunmehr geht es nicht mehr um die Belange der Stadt, sondern um einzelne in Not geratene Personen, denen der Heilige erscheint. Mitunter geschah dies in Traumvisionen,
3. Edikt Justinians II. aus dem Jahre 688/689: Göttliche Gabe, ehrwürdig dargereicht dem heiligen und verehrten Märtyrer Demetrios vom Herrn des Erdkreises, Flavius Justinianus, dem von Gott gekrönten und friedenbringenden Kaiser, einer Saline unserer von Gott behüteten Stadt Thessaloniki, zur Zeit des heiligsten Erzbischofs Petros. Im Namen des Herrn und Herrschers Jesus Christus, unseres Gottes und Erlösers, (befiehlt) der wohltätige und friedenbringende Kaiser Flavius Justinianus, dem Gott Jesus Christus ergeben, eine Schenkung an die verehrte Kirche des heiligen und ruhmreichen Großmärtyrers Demetrios, in der die h eilige Reliquie (λε[ί]ψανον) ruht. Da unsere erste Sorge stets dem Erhalt der heiligen Kirchen Gottes gilt, wünschen wir, dass ihnen all das zukommt, was zu ihrem
13 Umzeichnung einer Inschrift aus der Zeit Justinians II. (685 -695 u. 705 -711), deren Fragmente 1885 unter dem Plattenboden der damaligen Kasimiye Camii
MSD
gefunden wurden (Karl Purgold). Die Inschrift berichtet von der Übereignung einer Saline bei Thessaloniki an die Kirche Hagios Demetrios.
Inhalt
Dat i eru ng
Dritte Sammlung der Miracula Sancti Demetrii III. 1
Heilung eines in Konstantinopel erblindeten Thessalonikers, indem der hl. Demetrios aus einer Mosaikikone in einer Kirche im Oikonomeion hervortritt.
III. 2
Heilung eines erblindeten Bürgers von Adrianopel (Edirne), der vom hl. Demetrios auf wundersame Weise nach Thessaloniki überführt wird.
III. 3
Rettung von Pilgern, die auf dem Weg nach Thessaloniki sind. Der hl. Demetrios erscheint den Reisenden und rät ihnen, sich nicht in die von den ›Sarazenen‹ (= Araber) eroberte Stadt zu begeben, sondern nach Konstantinopel weiterzuziehen.
III. 4
Heilung eines eigens angereisten alten Mannes an einem Demetriosheiligtum vor den Mauern Thessalonikis.
III. 5
Errichtung einer Demetrioskirche im kappadokischen Drakontiana. Einem Bauern erscheint beim Ausgraben alten Baumaterials der hl. Demetrios, woraufhin man den Beschluss zur Errichtung einer Kirche fasst.
Trost und zur Gewährleistung des Erhalts beiträgt. Daher sind wir zur Überzeugung gelangt, dass Gott, der uns gekrönt hat, mit uns zufrieden ist, immer unsere Frömmigkeit unterstützt und uns unzählige Siege über unsere Feinde gewährt. Da wir mit der siegreichen Hilfe Gottes, der uns gekrönt hat, in die Stadt der Thessaloniker gekommen sind, da wir die Hilfe des heiligen Großmärtyrers Demetrios in den verschiedenen Kriegen erfahren haben, die wir gegen seine und unsere Feinde geführt haben, da wir dachten, es sei gerecht, ihn als unseren Verbündeten mit Dankesgaben zu entlohnen, zumal er auch jenen deutlich hilft, die fern der Stadt sind, schenken wir seiner ehrwürdigen Kirche, in der seine heilige Reliquie ruht, die gesamte Saline, die sich bei dieser großen Stadt der Thessaloniker befindet, mitsamt allen Rechten, die von Anbeginn an sie geknüpft sind. So soll die ehrwürdige Kirche diese Saline vom Monat September der gegenwärtigen zweiten Indiktion an für immer
nach 904
besitzen und verwalten, damit die gesamten Erträge der Beleuchtung, dem Erhalt des von Gott geliebten Klerus und allen kirchlichen Belangen sowie der Erneuerung der genannten ehrwürdigen Kirche zukommen. Diese ruhmreiche Kirche und ihr von Gott geliebter Klerus sollen auf keinen Fall einem Angehörigen des Militärs das Recht zur Nutzung der Saline übertragen, welches unsere Mildtätigkeit zugestand, da dieses, wie gesagt, ausschließlich und bedingungslos für die Beleuchtung, den Erhalt des von Gott geliebten Klerus und schließlich für jeden anderen kirchlichen Belang gegeben wurde, damit der ununterbrochen verehrte heilige Großmärtyrer Demetrios für unsere fromme Herrschaft bei Gott, der uns gekrönt hat, für immer Fürsprache einlegt. Diese Anordnungen werden wirksam mit der Bekanntgabe dieser frommen Schenkung. (Transkription bei Vasiliev 1943, 5 – 6, u. Spieser 1973, 156 –157. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)
VII
VII
250
oder die Kontaktaufnahme erfolgte über Ikonen, oder beide Medien wurden kombiniert: So handelt das erste Wunder von einem Reisenden aus Thessaloniki, der in Konstantinopel plötzlich erblindete.62 In seiner Not rief er den hl. Demetrios an, der ihm mitteilte, er solle ihn, Demetrios, in einer Marienkirche in einem Oikonomeion genannten Stadtteil Konstantinopels finden. Tatsächlich fand der Mann dort den Heiligen – als Mosaikikone.63 Des Nachts stieg der Heilige aus seinem Bild, berührte den Kranken, woraufhin dieser wieder sehen konnte. Auch die meisten anderen Wunder ereigneten sich fern von Thessaloniki. So hört man von der Heilung eines blinden Bürgers von Adrianopel, der sich auf wundersame Weise in Hagios Demetrios in Thessaloniki wiederfand,64 von der Rettung von Pilgern in Thessalien, die davor bewahrt wurden, den arabischen Eroberern in die Arme zu laufen,65 von der Heilung eines gebrechlichen Mannes an einem Demetriosheiligtum vor den Mauern Thessalonikis,66 und von der Erscheinung des Heiligen im kappadokischen Drakontiana, wo ein Bauer aus Dank dem
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Heiligen eine Kirche errichten ließ.67 Aus dem Lokalpatron des 7. Jh. war ein überregional agierender Heiliger geworden, der in den verschiedensten Städten und Gegenden aktiv war und dort verehrt wurde.68 So sprach Demetrios auch zu dem kappadokischen Bauern folgende Worte: »Ich bin der Thessaloniker Demetrios, der überall verehrt wird!«.69 Aber konnten sich die Thessaloniker immer blind auf ihren Stadtpatron verlassen? Die Geschichte lehrt, dass dies nicht immer der Fall war – Thessaloniki wurde einige Male von Feinden erobert und geplündert. Welche Auswirkungen hatte dies auf die Verehrung des hl. Demetrios? Wie erklärte man sich das plötzliche Ausbleiben des himmlischen Beistands? Die vielleicht aufschlussreichste Erzählung im dritten Buch der Miracula Sancti Demetrii ist jene von Pilgern, die im Tempetal dem Heiligen begegneten (Text 4).70 Angesichts der kürzlichen Eroberung und Plünderung der Stadt durch die Araber empfahl Demetrios den Reisenden, sich nicht nach Thessaloniki zu begeben, sondern ins sichere Konstan-
4. Der hl. Demetrios verhindert, dass Pilger in die Hände der Sarazenen fallen, die Thessaloniki erobert haben: 222 . Ich will euch, ihr Anwesenden, von einem weiteren Wunder des großen Märtyrers berichten, das kaum geringer ist als die schon erzählten. Wie Thessaloniki nämlich vor vielen Jahren, als Leon (VI., 886 – 912) das Zepter führte, von den Kindern der Magd Hagar eingenommen und zum Werk des Schwerts wurde – aus einem verborgenen Ratschluss, den du allein kennst, Herr, der du solches zugelassen und beschlossen hast, dass es uns wegen unserer Sünden geschehen solle –, das berichten uns ja schon andere Schriften, und auch heute noch besingt die andauernde Erinnerung daran die Dinge, die damals geschehen sind. Eben zur Zeit der Eroberung hatten einige Italiener ihr Land zum Gebet verlassen, wollten die Kirchen an allen Orten sehen und wandten sich auch zu diesem lebenbringenden Grab, und beschritten so geradewegs den Weg zu seinem Martyrium. 223. Und als sie damals gerade durch die Tempe in Thessalien zogen, war da auf einmal ein (alter) Mann zu sehen, der ihnen vorher unbekannt gewesen war und den niemals jemand gesehen hatte. Der reiste mit ihnen, grauhaarig, mit heiterem Antlitz, asketisch gekleidet, und strahlte schon allein
durch seinen Anblick große Würde und Milde aus. Dann erschien ihnen noch ein anderer, der ihnen vorausging, ein Reiter, so schön wie man ihn nur sehen konnte, der von seiner Natur viel Angenehmes und Liebliches an sich hatte. Doch war er bedrückt, und der Glanz seines strahlenden Blicks war verblasst und wie von einem untröstlichen Leid deprimiert und bekümmert. Er sprach mit einer Stimme, die zu seinem Aussehen passte, und redete zuerst den alten Mann an, den er Achilleios nannte, und fragte: »Wohin reist du? Ich gehe nämlich, wie du siehst, (den Weg) zu dir.« Und der begrüßte ihn sehr freudig, nannte ihn Demetrios und redete ihn an als den großen Kämpfer für den, der den Kampf ausrichtet, und fragte ihn selbst mit Eifer, was der Grund für sein betroffenes Aussehen, seine Bedrücktheit und seine Trauer sei. 224. Und der Märtyrer sagte: »Meine Heimat ist zugrunde gegangen und vom Weltenrichter verurteilt worden. Männermordende Hände und Barbaren haben die Bürger versklavt, durch meinen Schrein fließt das Blut meiner Landsleute, das Heiligtum wird von gottlosen und unkeuschen Füßen getreten und vernichtet. Ich habe zwar wie
Wo ist der hl. Demetrios? Die Eroberung Thessalonikis im Jahre 904
251
tinopel, denn: »Meine Heimat ist zugrunde gegangen und vom Weltenrichter verurteilt worden. … Ich habe zwar wie gewöhnlich Gott um Mitleid mit den Unglücklichen angefleht und um Erbarmen gebeten, er möge nicht zulassen, dass die Kirche … von den Händen der Barbaren zerrissen werde …. Er jedoch ließ es zu, da ja seine Ratschlüsse unerforschlich sind, dass sein Erbe barbarische Unmenschlichkeit erleben musste.«71 Der Stadtpatron Thessalonikis erklärt sich also für hilflos, betrachtet sich als Opfer eines höheren göttlichen Plans und rät angesichts der Verwüstung der Kirche Hagios Demetrios von einem Besuch seiner Stadt ab. Wie konnte es soweit kommen? Die Geschichte Thessalonikis des 8. und 9. Jh. ist nur sehr ausschnitthaft überliefert.72 Umso dramatischer überschlagen sich die Ereignisse zu Beginn des 10. Jh., als die Mauern der Stadt zum ersten Mal von einem Feind eingenommen wurden.73 Eine Flotte unter der Leitung Leons von Tripolis, eines Warlords, der von der Levante aus sein Unwesen trieb und arabischen Interessen diente, sollte eigentlich
Konstantinopel angreifen. Doch konnte die Hauptstadt diesen Angriff abwehren, woraufhin Leon mit seiner Flotte nach Thessaloniki segelte. Dieser Überraschungsangriff traf die Stadt völlig unvorbereitet, und so hatte Leon leichtes Spiel. Die ruinösen Seemauern boten kein ausreichendes Hindernis; die Feinde konnten Thessaloniki nach anfänglichem Widerstand am 29. Juli 904 erstürmen.74 Eine Woche dauerte die nun folgende Plünderung, dann zogen sich die Piraten mit ihrer Beute und zahllosen Kriegsgefangenen in die Levante zurück (Abb. 14). Johannes Kameniates, Lektor der Kirche von Thessaloniki, Sohn des Exarchen von Hellas und selbst unter den versklavten Geiseln, verfasste einen ausführlichen Bericht über die Geschehnisse und ließ auch das grausame Massaker an den Einwohnern und den unmenschlichen Abtransport der Gefangenen nicht unerwähnt.75 Wenn auch nicht in Thessaloniki geboren, so war Johannes doch seit seiner Jugend mit seiner Familie dort ansässig und kannte die Stadt, ihre Geschichte und ihren Patron gut. Als Kleriker wird er die Verehrung für Deme-
gewöhnlich die Gottheit um Mitleid mit den Unglücklichen angefleht und um Erbarmen gebeten, er möge es nicht zulassen, dass die Kirche, die sie durch sein eigenes Blut errungen haben, von den Händen der Barbaren zerrissen werde, die nur auf ihre eigene Kraft vertrauen, aber nicht auf Gott. Er jedoch ließ es zu, da ja seine Ratschlüsse unerforschlich sind, dass sein Erbe barbarische Unmenschlichkeit erleben musste.« Als der Märtyrer das berichtete, wurde auch der Priester Achilleios von seinem Leid zum Mitleid gerührt, und sie riefen beide aus: »Groß sind deine Wunder, Herr, und niemand ist in der Lage, deine Vorsehung zu verstehen.« 225. Als die Italiener das mit hilflosem Erstaunen betrachtet hatten, sagte einer, dem die griechische Sprache nicht fremd war, mit ruhiger Stimme: »Auf, Soldat, sag mir doch, über welche Stadt das von euch gesagt wird, und welche es ist, die den Barbaren übergeben worden ist.« Und der große Demetrios sprach: »Meine allerunglückseligste Heimat Thessaloniki ist den Barbaren ausgeliefert worden.« Und sogleich waren sie, also der alte Mann und der große Demetrios, für die Mitreisenden nicht mehr zu sehen, die übrigen aber, weil sie ja Italiener waren, fragten den anderen, was er von ihnen gehört habe und wer ihre Mitreisenden gewesen seien. Er aber erzählte alles mit Verwunderung
und Erstaunen und verkündete ihnen die Erscheinung des großen Märtyrers, der über die schrecklichen Ereignisse in seiner Heimat berichtet und sie ihnen mitgeteilt hatte, damit sie sich in Sicherheit bringen könnten. 226. Damit sie nun nicht auch zur Beute der Feinde würden, hielten sie sich weit von Thessaloniki fern und hörten nach nicht geringer Zeit von den Entkommenen alles, was geschehen war, und die Menschen verstanden klar, dass es jener große Demetrios gewesen war, der seine Heimat verlassen hatte, betroffen und betrübt über das Geschehene. Als sie in der Kaiserstadt ankamen, erzählten sie, was sie mit eigenen Augen gesehen hatten, und vom Mitleid des Märtyrers mit seiner Heimat. Und sie berichteten von seiner Heimatliebe und von der Liebe zu seinem Volk, durch die sie auch jetzt noch beschützt und umsorgt wird, und durch die sie mit Hilfe jenes zweiten Bürgers und Verwalters zu ihrem früheren Glück zurückkehrte. Denn er (Demetrios) weist wie eine unbeugsame und feste Umfriedung auch jetzt noch den Ansturm der bösartigen Skythen zurück, indem er seine unbesiegbare Rechte gegen sie erhebt und seine (Heimat) über ihren Einfall erhaben bewahrt. (Miracula Sancti Demetrii, 3. Buch, PG 116, 1388C–1393A. Übersetzung Albrecht Berger)
VII
VII
252
trios geteilt haben. Dennoch wird der Heilige in dem ausführlichen Bericht merkwürdigerweise nur an drei Stellen genannt. Im einleitenden Überblick über die Geschichte der Stadt wird Demetrios einmal als Nachfolger des Apostels Paulus und myronspendender Streiter bezeichnet, ein anderes Mal wird an die Verteidigung der Stadt gegen die Barbaren erinnert, wie sie in den Wunderbüchern überliefert ist.76 In dem langen Abschnitt zur Belagerung, Eroberung und Plünderung wird der Heilige mit keinem Wort erwähnt; nur an einer Stelle schildert Johannes Kameniates
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Wo ist der hl. Demetrios? Die Eroberung Thessalonikis im Jahre 904
253
etwas ausführlicher, wie das Volk Schutz bei dem Heiligen suchte und ihn, der die Stadt schon so oft aus höchster Gefahr errettet hatte, um Erbarmen anflehte (Text 5).77 Doch alle Bemühungen waren vergebens. Der Heilige hatte diesmal keine Nachsicht; es war, als habe er sich gegenüber dem Flehen der verängstigten Bevölkerung taub gezeigt, als habe er seine Wirkmacht verloren. Wie aber begegnete man diesem offensichtlichen Paradoxon? Wie erklärte man die plötzliche Gleichgültigkeit des Stadtpatrons gegenüber den ihm anvertrauten Menschen?
5. Die Bevölkerung Thessalonikis versammelt sich angesichts der Eroberung der Stadt durch die Araber 904 in der Kirche Hagios Demetrios: Wir rangen also mit beiden Erwägungen und verbrachten so die nächsten Tage. Und wir taten eifrig, was denen, die in Bedrängnis sind, oftmals allein übrigbleibt: Wir riefen das unbeschreiblich große göttliche Erbarmen und die Fürbitte der Heiligen an. Wir drängten uns in der oben erwähnten herrlichen Kirche des berühmten Märtyrers Demetrios, Stadtbewohner und von auswärts Gekommene, von jedwedem Stand und Alter, stimmten Klagechöre an und riefen den Heiligen an, in der Gefahr, die uns von den Barbaren drohte, unser Beschützer zu sein. »Edler Märtyrer«, sagten wir, »du hast deine rettende Hilfe deiner Stadt erwiesen in vielfältigen Gefahren, die ihr oftmals gedroht haben, du hast jeden Anschlag ihrer Feinde zunichte gemacht und hast sie so vor jeder Katastrophe bewahrt. Zeige auch jetzt voller Erbarmen deine unermessliche Sorge um uns, und lass nicht die fremden Barbaren, die Gott nicht kennen, über uns triumphieren! Lass nicht zu, dass dieses dein Haus, das die ganze Welt gemeinsam als Heil- und Zufluchtsstätte besitzt, von verfluchten Gottlosen entweiht wird, die unseren Glauben verspotten und unseren Gottesdienst verachten, die als Anklage gegen uns nur unseren Glauben anführen und uns einen vorzeitigen, schrecklichen Tod androhen. Denn wenn wir auch tausendfach Strafe verdient haben wegen unserer Sünden, die wir auf Erden begangen haben, und selbst schuld an der kommenden Katastrophe geworden sind, so haben wir doch keinen anderen Gott gekannt als den, der dich gekrönt hat, mit dessen Hilfe du auch die Kämpfe für Gott bestanden hast, den du mit der Nachahmung seines Leidens geehrt hast, von dem du die Gnade der vielen Wundertaten
erhalten hast und uns als festes Bollwerk und unerschütterliche Stütze geschenkt worden bist, du, der du immer bei ihm für uns Fürbitte eingelegt und für uns erbeten hast, was uns frommt. Sieh auch jetzt auf die Rat- und Hilflosigkeit dieses Volkes, erhöre unsere Bitte und stehe uns, deinen Dienern, mit deiner freimütigen Fürsprache bei und entreiße uns so der Katastrophe, die uns droht, damit nicht die Kinder der Sklavin Hagar über uns triumphieren und sagen: Wo ist ihr Beschützer? Du siehst ja selbst, Gnädiger, wir haben nicht auf Lanzen und Schilde vertraut, sondern alles auf deine mächtige Fürsprache gesetzt in der Hoffnung, deiner Fürsorge auch diesmal wieder teilhaftig zu werden.« Solche Bittgesänge brachten wir dem Märtyrer beklommenen Herzens Tag und Nacht dar und benetzten den Boden der Kirche mit unseren Tränen. So verbrachten wir die Zeit in Erwartung der Feinde. Unsere Sünde stellte sich aber gleichsam wie eine starke Mauer entgegen und hinderte die Fürbitte des Märtyrers daran, dass sie die göttliche Gnade sich uns zuneigen ließ. Denn wie zu erwarten, wurde auch über uns zu ihm gesagt wie einst zum Propheten Jeremia über Israel, das seine Bitten vorbrachte, aber nicht würdig war, das Erbarmen Gottes zu erlangen: »Bitte nicht für dieses Volk, denn ich werde dich nicht erhören!« Denn es war notwendig, dass sich der uns bestimmte Untergang erfüllte, damit alle, die in Sünden leben, erkennen können, dass nichts Gottes Ohr den von den Heiligen vorgebrachten Bitten so geneigt macht wie gute Lebensführung und Bemühung um gute Taten. ( Johannes Kameniates, c. 22 p. 2125 – 2270 Böhlig. Übersetzung Böhlig 1975, 39 – 40)
14 Illustration aus dem Geschichtswerk des Johannes Skylitzes: Eine arabische Flotte unter der Leitung Leons von Tripolis greift die Stadt Thessaloniki an. Links bekriegen sich die beiden Parteien vor der Stadtkulisse Thessalonikis, in der Mitte werden gefangene Thessaloniker abgeführt, rechts ist die arabische Flotte zu sehen (Madrid, Nationalbibliothek, Cod. Vitr. 26 -2, fol. 111v).
Im Grunde konnte es hierfür nur zwei Ursachen geben: Erstens, der hl. Demetrios hatte seine Stadt verlassen und konnte die Klagen nicht hören; zweitens, die Einwohner Thessalonikis hatten sich schuldig gemacht und fielen einem göttlichen Strafgericht anheim, dessen Werkzeug feindliche Piraten waren. Johannes Kameniates entschied sich vordergründig für die zweite Erklärungsmöglichkeit.78 In seinen Augen waren die Thessaloniker der Unmoral und Gottlosigkeit verfallen: »Welche Art von Schlechtigkeit gab es nicht bei uns? Hurerei, Ehebruch, Lasterhaftigkeit, Hass, Lüge, Raub, Streit, Zank, Verleumdung, Zorn, Habsucht, Ungerechtigkeit und das schlimmste aller Übel, Neid, gab es jeden Tag und überall«.79 Nicht einmal die Zerstörung benachbarter Städte infolge von Erdbeben oder Barbaren wurde von den Thessalonikern als Warnung und Mahnung zur Umkehr und Tugendhaftigkeit erkannt.80 So musste schließlich auch Thessaloniki fallen: »Denn Gott teilt jedem für seine Ver-
fehlungen die gerechte Strafe zu. … Deshalb war es nötig, das Laster zu vernichten, damit es sich nicht auch auf andere ausbreitete und ihnen Schaden zufügte. Und darum ließ er uns jenen fürchterlichen, grauenhaften Schlag beibringen, damit wir, die aus den Leiden anderer nicht gelernt haben, selbst leidend für andere ein Beispiel abgäben«.81 Interessant an Johannes’ bewegendem Bericht ist vor allem das Schweigen über den hl. Demetrios. Er scheint abwesend und seine Bemühungen um Rettung Thessalonikis blieben fruchtlos: Obwohl sich das Volk Tag und Nacht in Hagios Demetrios versammelt hatte und den Heiligen unter Tränen anflehte, zeigte sich Gott von der Fürbitte des Demetrios ungerührt. Er gab mit den Worten des Propheten Jeremias zu verstehen, dass er dieses Mal keine Gnade kannte: »Bitte nicht für dieses Volk, denn ich werde dich nicht erhören«.82 Zwar trat Demetrios für sein Volk ein, doch standen die Sünden der Thessaloniker als Mauer zwischen ihm und Gott. Für den Fall Thessalonikis war somit nicht der Heilige, sondern Gott verantwortlich. Daneben gab es noch eine zweite Erklärungsmöglichkeit für die Preisgabe der Stadt. Nur kurz nach der Eroberung und Plünderung Thessalonikis hielt der Patriarch Nikolaos Mystikos vom Ambo der Hagia Sophia zu Konstantinopel eine Homilie, in der er versuchte, eine Erklärung für die Kriegs-
VII
VII
254
greuel und das Ausbleiben der heiligen Hilfe zu finden (Text 6).83 Er legt dem Stadtheiligen Thessalonikis folgende Worte in den Mund: »Es geschah, weil ich sehe, wie unser gemeinsamer Gott überkommen wird von tiefer Sorge, dass die Sünde Oberhand gewinnt … und wir lieber das beschämende Joch der Sünde tragen … . Und so schenkte ich keine Beachtung, als meine Stadt zerstört wurde, noch achtete ich auf die Frechheit der Feinde oder kämpfte ich um meine Freunde zu schützen, oder nahm Notiz von den Demütigungen, die ich und meine Schutzbefohlenen erdulden mussten.« Diesmal zeigte sich nicht Gott hartherzig, sondern der Heilige. Nikolaos Mystikos unterstellte dem hl. Demetrios unterlassene Hilfeleistung. Er habe einfach kein Interesse mehr an seiner Stadt gehabt, da deren Einwohner in Sünde lebten, er war nicht mehr zuständig für Thessaloniki und wandte sich enttäuscht ab. Der Thessaloniker Erzbischof Plotin verbindet in einer dramatischen Anrufung des Heiligen die Bitte um Gnade mit der Aufforderung, dem Kaiser im Kampf gegen die Barbaren beizustehen:84 »Oh, liebster unter den Märtyrern Christi, … gedenke der verstreuten jungen Menschen, die ihre zahllosen Sünden in barbarische Länder zerstreut haben. Vergiss nicht die Heimat, die dich ernährt hat und dich als heilige Opfergabe, als lebendiges Opfer und als heiligen Erstling geweiht hat. Bitte um Frieden, sodass das Fest für deine heilige Erinnerung sich nun noch prächtiger zeigt, sodass kein unreiner und sittenloser Barbar vor den Gotteshäusern und Altären feiert, kein profaner Fuß in die Sanktuarien tritt, das Schwert nicht wieder gegen die Priester Gottes erhoben wird und die Blüte aller anderen jungen Menschen frisst. Verbünde dich mit dem König, unbesiegbarer Soldat, und unterwirf seinen Füßen die barbarischen Länder, die den Krieg suchen. Gib als fürsorglicher Schützer jenen, die ungerecht behandelt werden, eine hilfreiche Hand. Befreie als bereitstehender Retter und rufe diejenigen in die Heimat zurück, die als Gefangene in die Fremde entführt worden sind und unter dem Joch der Sklaverei leiden.« Dieser Hilfeschrei richtet sich nicht mehr an einen Stadtpatron, sondern an einen überregional wirkenden Heiligen, der den Kaiser auf seinen Feldzügen begleitete. Wie es scheint, hatte Demetrios höhere Aufgaben übernommen.
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Der Kaiser macht den Heiligen in Konstantinopel ansässig: Kirchen und Feste für Demetrios Just in der Zeit, in welcher der hl. Demetrios den Thessalonikern seine Aufmerksamkeit entzog, mehren sich Anzeichen für ein gestiegenes Interesse des Kaisers an dem ›abtrünnigen‹ Heiligen.85 Demetrios war in der Hauptstadt Konstantinopel kein Unbekannter. Im dritten Buch der Miracula Sancti Demetrii ist von einer heilspendenden Demetriosikone in einer Marienkirche im Oikonomeion die Rede,86 und wenig später gibt Theodor Studites ein besonders eindrückliches Zeugnis von der Verehrung des Thessaloniker Heiligen in der Hauptstadt. So soll ein hoher Beamter namens Johannes aus Anlass der Taufe seines Sohns das Christusbild des Baptisteriums durch ein Demetriosbild ersetzt haben (Text 7).87 Die älteste Konstantinopler Kirche mit einem Demetriospatrozinium scheint jene im Stadtteil Deuteron im Nordwesten der Stadt gewesen zu sein.88 Wann die Kirche errichtet wurde, ist unbekannt, doch war sie bereits unter Basileios I. (867 – 886) baufällig, da der Kaiser sie instand setzen ließ.89 Dem Synaxar der Großen Kirche aus dem 10. Jh. zufolge wurde hier jedes Jahr am 26. Oktober das Fest des Heiligen begangen.90 Gegen Ende des 9. Jh. erhielt die Verehrung des Demetrios durch den Kaiser einen erneuten Schub. Zu dieser Zeit verfasste Leon VI. der Weise (886 – 912) drei Lobreden auf ihn.91 Vermutlich ist es kein Zufall, dass dies in den Jahren nach der arabischen Eroberung Thessalonikis erfolgte, schien sich dadurch doch abzuzeichnen, dass der einstige Stadtpatron das Interesse an seinem Heimatort aufgegeben hatte und nun für höhere Aufgaben als Schützer des Kaisers zur Verfügung stand.92 Leon wurde in seiner Demetriosverehrung offenbar von seiner ersten Frau, der hl. Theophanu, angesteckt, die in schwierigen Zeiten ganz auf diesen Heiligen vertraute. Lange Zeit war Leon bei seinem Vater Basileios I. wegen einer angeblichen Verschwörung in Ungnade gefallen. In diesen schwierigen Jahren ermunterte Theophanu ihren Gatten immer wieder, nicht den Mut zu verlieren und auf Gott zu vertrauen. Eines Nachts träumte sie von einem jungen Mann im militärischen Gewand, mit Speer und Schild. Voller Furcht warfen sich die Eheleute vor dem Unbekannten nieder, da sie glaubten, er sei gekommen um sie zu töten. Der Soldat aber entgegnete, er komme mit guten Nachrichten aus Thessaloniki. Gott habe ihre Gebete erhört, Basileios werde die Wahrheit erfahren und sie, Leon
Der Kaiser macht den Heiligen in Konstantinopel ansässig: Kirchen und Feste für Demetrios
255
6. Die Einnahme Thessalonikis 904 als Strafe für die Sünden der Bevölkerung: Städte wurden entvölkert, Männer abgeschlachtet wie Schafe; Frauen, gewaltsam ihren Gemahlen entrissen, wurden kläglich den Blicken eines zügellosen Feinds ausgesetzt. Wer kann meinen Augen Tränenquellen geben, um über diese und andere weit erbarmungswürdigere Leiden zu klagen! Kirchen wurden entweiht; Jungfrauen, dem himmlischen Gemach geweiht, wurden fortgeschafft, um geschändet zu werden; die Altäre Gottes wurden befleckt durch den Schmutz der Unreinen; Mönche und Priester wurden durch das Schwert zwischen Sklaverei und Tod aufgeteilt. Und das größte meiner Leiden: Die leidensreichen Reliquien der Heiligen wurden von den Gottlosen verspottet und misshandelt, sodass sie selbst nach ihrem Tod noch ein zweites Martyrium erleiden. Wo, Märtyrer Demetrios, ist dein unbesiegbarer Beistand? Wie konntest du es zulassen, dass deine Stadt geplündert wird? Unter deiner Obhut uneinnehmbar für Feinde seit der Zeit, da die Sonne auf sie schien, wie konnten ihr da derartige Übel geschehen? Wie konntest du die Überheblichkeit jener Gottlosen ertragen, die deinen heiligen Schutz verlachen? Wie konntest du dies aushalten und gestatten? Du hättest es uns gewiss gesagt, wenn wir es verdient hätten, deine Stimme zu hören. So aber verstehen wir trotzdem, was du zu sagen hast, indem wir die Antwort in unseren eigenen Gewissen finden. Was also ist die Antwort? »Es geschah, weil ich sehe, wie unser gemeinsamer Gott überkommen wird von tiefer Sorge, dass die Sünde die Oberhand gewinnt und dass die Freiheit, die er uns zum Preis großen Leids, des Kreuzes und des Tods, gewährt hat, verachtet wird, dass wir lieber das beschämende Joch der Sünde tragen als diese gewährte Ehre in Anspruch zu nehmen. Weil ich, der ich sehe, wie er deswegen schwerere Schmerzen ertrug, als Schmerz ihn quälte, als seine Gliedmaßen durchbohrt wurden, angefüllt bin mit Trauer und versank im Leiden meines Herrn. Und so schenkte ich keine Beachtung, als meine Stadt zerstört wurde, noch achtete ich auf die Frechheit der Feinde oder kämpfte ich, um meine Freunde zu schützen, oder nahm
Notiz von den Demütigungen, die ich und meine Schutzbefohlenen erdulden mussten. Denn oftmals, wenn man an der Seite seines Königs steht und sieht, wie er von heftigen Schmerzen ergriffen wird, selbst wenn dessen liebsten Kinder sich in Todesgefahr befinden, selbst wenn dessen wertvollsten Besitzungen in Flammen stehen, selbst wenn Angreifer Hand an ihn legen, so beachtet man nicht diese Dinge. Man ist sich nur der Qual des Königs bewusst, und deswegen ist das Herz mit Schmerz erfüllt und man lässt die Empfindung dessen, was man selbst erduldet, beiseite.« Das ist es, was ich höre, und was ihr auch hören sollt, nicht nur von meinem Mund, sondern jeder von euch von sich selbst. Wie sonst könnte es sein, dass jemand, der bei zahllosen Gelegenheiten mehreren Tausenden Völkern alleine widerstand, sie beschämte, sie flüchten ließ und seine eigene Heimat rettete, plötzlich seine Macht verlor, seine liebgewonnenen Mitbürger verließ und sich außerstande sah, seine gewohnte Fürsorge zu zeigen? Der Grund ist der, den ich nannte: Unser Retter und Gott, der sich des Schoßes seines Vaters entäußert hatte, der uns liebte und uns aus seiner unermesslichen Liebe seine Natur teilen ließ, wurde von schmerzhafter und bitterer Qual durchbohrt, da er nach so viel Liebe keine Empfindung für uns fand, da er nach so viel unvergleichlicher Ehre, die er uns zukommen ließ, feststellen musste, dass wir, weit entfernt ihn zu ehren, an nichts anderes dachten als ihn zu empören. … Das ist der Grund, warum die weithin berühmte Stadt erobert wurde, warum das unglückliche Thessaloniki in die Hände der Feinde fiel, warum der Märtyrer das Abschlachten seiner Bürger gestattete, die Schändung der Frauen, den Tod von Mönchen und Priestern, die Entweihung der Kirchen, ohne Hilfe zu gewähren. Das ist der Grund, warum er all diese Dinge zuließ, die selbst jenen, die das Klagen über bedauerliche Dinge gewohnt sind, Anlass zu lebenslanger Klage geben. (Nikolaos Mystikos, Homilie p. 104 6 –14117 Westerink. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)
VII
VII
256
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Der Kaiser macht den Heiligen in Konstantinopel ansässig: Kirchen und Feste für Demetrios
257
7. Der Spatharios Johannes lässt bei der Taufe seines Sohns das Bild Christi durch ein Bild des hl. Demetrios ersetzen: Da ich vernommen habe, dass deine Herrlichkeit eine göttliche Tat vollbracht hat, so spreche ich dir meine Bewunderung über deinen gewaltigen Glauben aus, du Mann Gottes. Versichert mich doch mein Gewährsmann, dass Du beim Vollzug der Taufe an deinem gottbehüteten Sohn ein heiliges Bild des Großmärtyrers Demetrius anstelle eines Bilds Gottes verwendet hast. Wie groß doch dein Vertrauen ist! »Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemandem gefunden« (Mt. 8, 10). Christus hat dies meiner Meinung nach nicht nur damals zum Hauptmann gesprochen, sondern er sagt es auch jetzt zu dir, der du im Glauben mit ihm wetteiferst. Darum erhielt der Hauptmann, worum er bat, und auch du hast erlangt, worauf du hofftest.
15 Rekonstruktion des südwestlichen Abschnitts des Großen Kaiserpalasts in Konstantinopel nach Jonathan Bardill. In unmittelbarer Nähe des Leuchtturms (Pharos) befanden sich eine Kapelle der Muttergottes und eine Demetrios kapelle, die in dieser Rekonstruktion jedoch nicht verzeichnet ist.
und Theophanu, noch vor seinem Tod in all ihre Rechte einsetzen (Text 8).93 Auch wenn dies nicht explizit erwähnt wird, so musste dem Ehepaar doch klar sein, dass es sich bei dem Helfer um den hl. Demetrios handelte, und es kam, wie der Heilige prophezeit hatte: Noch vor seinem Tod konnte Basileios von der Unschuld Leons überzeugt werden. Kaum auf dem Kaiserthron, stattete Leon dem Heiligen reichen Dank ab: Er ließ Thessaloniki ein besonderes Privileg zukommen, indem er der Stadt das Monopol des Handels mit den Bulgaren übertrug. Fortan lief der Warenverkehr zwischen dem Bulgarenreich und Byzanz über Thessaloniki, was für die Stadt nicht nur einen wirtschaftlichen Aufschwung, sondern auch ein größeres Besucheraufkommen bedeutete.94 Dass diese Entscheidung sogar zum Krieg führte, da der Bulgarenzar die ungerechte Behandlung seiner Händler nicht hinnehmen wollte, muss hier nicht weiter interessieren.95 Entscheidend ist zunächst, dass Leon aus Dank gegenüber dem Heiligen der Stadt Thessaloniki Pri-
vilegien verschaffte, die er der Hauptstadt Konstantinopel fortgenommen hatte. Zudem ließ der Kaiser im Palast eine Kapelle zu Ehren des hl. Demetrios errichten; bei der Weihe wurde eine der kaiserlichen Lobreden rezitiert.96 Der Bau muss sich im südwestlichen Palastbereich befunden haben, in unmittelbarer Nähe der Pharoskapelle (Abb. 15). Der Diakon Gregorios beschreibt sie als kleinen Kreuzkuppelbau mit reicher Mosaikausstattung.97 Die Demetrioskapelle scheint die benachbarte Muttergotteskirche am Pharos geradezu in den Schatten gestellt haben. So musste Anna Komnene an einer Stelle ihrer Alexias darauf hinweisen, dass zwar viele die Pharoskapelle als Demetrioskapelle bezeichnen, dies aber nicht korrekt sei.98 Seit der Regierung Leons VI. beging man jeden 26. Oktober im Kaiserpalast das Fest des Heiligen, wobei ein Troparion auf den hl. Demetrios, das eben jener Kaiser Leon komponiert hatte, gesungen wurde.99 Im Verlauf dieses Fests empfingen Kaiser und Senat den Patriarchen und seinen Klerus. Im Anschluss begab sich die Prozession durch die südwestlichen Palasträumlichkeiten in die Demetrioskapelle, wo die Messe gefeiert wurde, bevor ein gemeinsames Bankett den Festtag abschloss. Vermutlich hängt mit der Kapelle auch die ›Krone des hl. Demetrios‹ zusammen, die im Zeremonienbuch Konstantins VII. Porphyrogennetos
Dort ersetzte das göttliche Wort die leibliche Anwesenheit des Herrn, hier das körperliche Bild (σωματικὴ εἰκών) das Original (πρωτότυπος). Dort war in seinem Worte der große Logos zugegen, unsichtbar kraft seiner Gottheit das Wunder der Heilung vollbringend, und hier war der Großmärtyrer geistig in seinem Bild zugegen und nahm so das Kind auf. Dies erscheint unheiligen Ohren und ungläubigen Herzen unbegreiflich, ja sogar unglaublich, am wenigsten begreifen es die Bilderstürmer! Deiner Frömmigkeit offenbart sich hierin eine wirkungskräftige Erkenntnis. (Theodor Studites, ep. I.17 p. I, 481–17 Fatouros. Übersetzung bei Schwarzlose 1890, 27 – 28)
8. Die hl. Theophanu träumt von der Hilfe des hl. Demetrios: Eines Nachts, als sie nach den abendlichen Gebeten schliefen, da erschien ihnen im Traum ein junger Mann, bekleidet mit militärischem Gewand. In der rechten Hand hielt er einen Speer, in der linken einen Schild. Als sie ihn sahen, wurden sie voll Angst, denn sie dachten, dass er vom Kaiser geschickt worden war, um sie umzubringen. Voll Schrecken fielen sie auf die Erde und versuchten ihn anzubeten. Seine Füße berührend wollten sie ihn anflehen, sie nicht in so einem jungen Alter umzubringen. Der junge anmutige Mann aber hielt sie noch bevor sie dazu gekommen waren, von ihrer Anbetung ab, indem er mild lächelnd folgende Worte sprach: »Keine Angst, Freunde! Ich komme in Frieden und bin kein Feind. Lasst eure Herzen nicht fürchten und euch von den Gedanken, die von euren Herzen aufkommen, nicht erschüttern! Denn ich komme nicht aus eigenem Willen, sondern ihr habt mich aus Thessaloniki eingeladen. Der Herr, der mich zu euch geschickt hat, hat euer Bittgebet erhört und mich von dort zu euch geschickt. Habt also Mut und freut euch! Eure Feinde sind gestolpert und zur Erde gefallen, während ihr aufgestanden seid und
aufrecht steht. Ihr habt Hilfe im Namen unseres Herrn und Retters gefunden. Der Herr hat euer Gebet gehört und eurem Vater und Kaiser alles über euch verraten, während er die vergeblichen Worte, die der Hochmütige an ihn gerichtet hat, nicht akzeptiert hat. Und sieh, er wird euch wieder zu dem Ruhm erheben, in dem ihr geboren seid; er wird euch zu Erben seines Reichs machen und dann wird er zum Herrn dahinscheiden. Habt Freude im Herrn, habt immer Freude, und regiert euer Volk mit Wohlwollen, Gerechtigkeit und Weisheit«. Nachdem er das gesagt hatte, verschwand er. Sie wachten dann voll Angst auf und dachten, dass sie ihn noch sahen, diesmal in Wirklichkeit. Nach kurzem kamen sie wieder zu sich und erzählten sich einander den Traum. Langsam beruhigten sie sich, als ob aus ihren Herzen ein schweres Gewicht gehoben worden war. Erfüllt mit Freude und seliger Heiterkeit erwiesen sie Gott unter Tränen Ruhm und Lob, Dank und Anbetung. (Theodor Studites, ep. I.17 p. I, 481–17 Fatouros. Übersetzung bei Schwarzlose 1890, 27 – 28)
VII
VII
258
(913 – 959) erwähnt wird: Aus Anlass von Gesandtschaftsempfängen schmückte man den Chrysotriklinos, einen Bankett- und Empfangssaal im südwestlichen Palastareal, mit aufwendigen Behängen, Leuchtern und Emails. Außerdem wurden über dem Kaiserthron drei Kronen aufgehängt: die grüne Krone der Apostel in der Mitte, rechts davon die blaue Krone der Muttergottes und links die blaue Krone des Erzmärtyrers Demetrios. Alle Kronen sollen angeblich von Kaiser Konstantin gestiftet worden sein.100 Bis auf vage Farbangaben und den Hinweis, an den Kronen seien Kreuze und Tauben befestigt gewesen, ist unbekannt, wie diese aussahen. Auf einer allgemeinen Ebene unterstrichen sie Legitimation und Würde des Kaisers, setzten seine Herrschaft unter die Obhut der Muttergottes und der Heiligen. Erstaunlich ist, dass der ›Großmärtyrer‹ Demetrios als einziger ›normaler‹ Heiliger neben die Muttergottes und die Apostel trat. Warum dies so war, kann nicht mehr endgültig geklärt werden: war die Krone, die sicherlich aus der Demetrioskirche im Palast stammt, eventuell besonders wertvoll und repräsentativ? Oder war der Ruhm des Heiligen als siegreicher Helfer schon im 10. Jh. so sehr verbreitet, dass der Kaiser seine Herrschaft unter den Schutz des hl. Demetrios stellte?
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn Zeitgleich zur Vereinnahmung des Heiligen durch den Kaiser tauschte der Thessaloniker Stadtheilige allmählich sein Gewand. Aus dem hohen Beamten wurde nach und nach ein Soldat, der Schutz und Abwehr von Feinden versprach.101 Zugleich trat er einer Gruppe von ähnlich gerüsteten Soldatenheiligen bei, die sich um Christus bzw. den Kaiser scharten. Wie verlief dieser Wandel der Demetriosgestalt im Einzelnen? Die Soldatenikonographie des Heiligen ist in literarischen Quellen erst allmählich greifbar. Im ersten Buch der Miracula Sancti Demetrii erscheint Demetrios nur einmal im »Soldatengewand«, als er feindliche Barbaren abwehrte, die über eine Belagerungsleiter die Stadtmauer Thessalonikis erklimmen wollten.102 Im sechsten Wunderbericht des zweiten Buchs der Miracula wird explizit auf die Soldatengewandung des Heiligen Bezug genommen. Hier erscheint der Heilige dem gefangenen Bischof von Thenai, Kyprianos,
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
als »schöner junger Mann im Soldatengewand«.103 Noch konkreter wird der Bericht jener Vision der hl. Theophanu, von der bereits die Rede war. Ihr erschien im Traum Demetrios als junger Mann in militärischem Gewand, mit Speer in der Rechten und Schild in der Linken (Text 8).104 So sehr erschrak sie beim Anblick des Gerüsteten, dass sie glaubte, der Heilige wolle sie und ihren Gatten Leon umbringen! Etwa um dieselbe Zeit, in der zweiten Hälfte des 10. Jh., entstand ein Gedicht, in dem Johannes Geometres eine Ikone des hl. Demetrios wie folgt beschreibt:105 »Der Anführer Thessalonikis steht hier in Waffen, aber er siegt unbewaffnet. Wie kann das sein, wenn er Waffen ergreift? Nicht mit Waffengewalt wurdest du, Märtyrer, Anführer der Weisheit. Mit beidem hältst du das Widrige fern und zerstreut es in die Winde.« Die erste Zeile des Gedichts macht es zur Gewissheit, dass Johannes eine tatsächlich vorhandene Ikone beschreibt, die den Heiligen in Rüstung zeigte. Denn wenn auch Johannes die Weisheit des Heiligen anruft, so wird er doch klar als Soldat beschrieben, als »Anführer« Thessalonikis. Demetrios mochte das Böse zwar durch Klugheit abwehren, er tat es jedoch als Bewaffneter. Aus dem kaiserlichen Beamten der Spätantike und der frühbyzantinischen Zeit war ein Feldherr geworden. Etwa zur selben Zeit wurde eine heute in den Cloisters in New York aufbewahrte Elfenbeintafel gefertigt, die den Heiligen als Vollfigur in frontaler Darstellung zeigt, mit Schuppenpanzer über einer langärmligen Tunika, zurückgeworfener Chlamys und Schnürstiefeln (Abb. 1).106 In der Rechten hält er eine Lanze, während sich die Linke auf einen Schild stützt; außerdem trägt der Heilige ein Schwert in einer Scheide. Wäre nicht die Beischrift, könnte man ihn nicht ohne weiteres identifizieren. Dies liegt vor allem an der dichten Lockenfrisur im Gegensatz zu der kompakten, glatten Haartracht, die für frühe Demetriosdarstellungen typisch ist. Das Elfenbein fügt sich stilistisch in die sogenannte Romanos-Gruppe ein, eine Familie von annähernd gleichzeitigen Elfenbeinarbeiten, deren Name von der Platte mit der Krönung Romanos’ II. (945 – 963) und seiner Frau Eudokia in Paris abgeleitet wird.107 Entsprechend wird es in die zweite Hälfte des 10. Jh. datiert. Damit ist die Elfenbeintafel in den Cloisters die früheste bekannte Darstellung des Thessaloniker Heiligen als Soldat und bildet den Startschuss für eine ganze Reihe gleichartiger Bildzeugnisse.108 Ab jetzt begegnet der bewaffnete Heilige auf beweglichen Objekten wie Ikonen und illuminierten Handschriften,
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
259
VII
16a
16b
16c
16d
16a–d Seit dem 11. Jh. häufen sich Darstellung des hl. Demetrios als bewaffneter Soldat. Auf einer Steatitikone im Louvre (11. Jh.) präsentiert er sich frontal mit
gezücktem Schwert (a). Die Reliefdarstellung im Inneren einer Serpentinschale im Schatz von San Marco (12. oder 13. Jh.) zeigt Demetrios beim Ziehen des Schwerts (b). Auf dem Email der Stephanskrone (1074-1077) hält der Heilige ebenfalls Speer und Schild (c), auf einer Mosaikikone im Katharinenkloster auf dem Sinai (12. Jh.) hingegen einen Speer, wobei er zugleich den Schwertknauf umfasst (d).
VII
260
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
261
17a
17c
17b
17d
Elfenbeinen und Steatiten, Emails und Gemmen, Siegeln und Münzen, aber auch in der Wandmalerei, im Mosaik oder als Steinrelief. Das Bild des Demetrios in Rüstung, mit Schwert, Lanze und Schild, etabliert sich ab dem 11. Jh. zur geläufigsten Darstellungsform des Heiligen (Abb. 16a–d).109 Besonderer Beliebtheit erfreut sich der Heilige auf Siegeln hoher und höchster Beamter, die nicht selten im Namen des Kaisers mit militärischen Aufgaben betraut waren (Abb. 17a–d). Der frontal dargestellte stehende Heilige mit Speer und Schild oder aber mit gezücktem Schwert entwickelt sich auf diesen sehr persönlichen Objekten geradezu zu einem Standardmotiv, das die militärische Qualität des Siegelnden unterstreicht.
Gruppenbildung Doch darf man sich von diesen isolierten Demetriosdarstellungen nicht täuschen lassen und annehmen, der Heilige habe gewissermaßen individuell diese Wandlung vollzogen. Denn bevor die Soldatenikonographie Standard wurde, gliederte Demetrios sich in eine Gruppe anderer Soldatenheiliger ein. Die großen Elfenbeintriptychen des 10. und 11. Jh., die sich in Rom und in Paris befinden, zeigen Demetrios inmitten von Heiligen, die entweder die Chlamys oder Rüstung tragen.110 Das Elfenbeintriptychon im Palazzo Venezia in Rom weist in geschlossenem Zustand in zwei Registern acht Heilige auf, Kirchenväter und Märtyrerheilige, die von Beischriften begleitet werden.111 Klappt man das Triptychon auf, so sieht
17a–d Seit der Mitte des 11. Jhs. begegnet der hl. Demetrios häufig auf Siegeln
hoher Beamter und Militärs. Der Kouropalates und spätere Kaiser Nikephoros Botaneiates (1078 –1081) wählte als Motiv für sein Siegel den stehenden Demetrios mit Speer und Schild (a), ebenso der Megas Domestikos und spätere Kaiser Alexios I. Komnenos (1081–1118 ) (b). Das etwa gleichzeitige Siegel des Flottengenerals
Nikephoros Komnenos, eines Bruders Alexios’ I., zeigt den stehenden Demetrios mit gezücktem Schwert (c). Das Siegel des Kouropalates und Dux von Antiochia, Michael Kontostephanos, aus der Zeit um 1055 zeigt wiederum das klassische Motiv des stehenden Heiligen mit Speer und Schild. Begleitet wird es auf der Rückseite von einer Anrufung an Gott, dem treuen Diener Michael zu beizustehen (d).
man im oberen Teil der Mitteltafel eine Deesis, im unteren Teil eine Gruppe von fünf Aposteln (Abb. 18). Zwischen den beiden Bildfeldern sind folgende Verse zu lesen:112 »Da die Hand und das Schnitzmesser ratlos waren bei der Darstellung Christi, war Christus der Lehrer und derjenige, der (sc. der Darstellung) Lebensatem verlieh. Er spricht nämlich sowohl mit (seiner) Mutter als auch mit dem Vorläufer,
und die Jünger gleichsam aussegnend sagt er: Befreit Konstantinos von allen Krankheiten. Ich aber werde diesem alle Macht unterwerfen.« Christus wendet sich somit an Maria, den Täufer Johannes und die Apostel und verspricht einem Kaiser namens Konstantin Gesundheit und Macht. Diese Idee einer von Gott verliehenen Herrschaftskraft wird nun auf den Seitenflügeln des Triptychons weiterentwickelt. Der
VII
VII
262
18 Die großen Elfenbeintriptychen des 10. und 11. Jhs. zeigen den hl. Demetrios in einer Gruppe mit anderen Soldatenheiligen. Noch trägt er jedoch die für ihn typische Chlamys, wie das bekannte Elfenbeintriptychon im Palazzo Venezia in Rom zeigt, das vermutlich für Kaiser Konstantin Porphyrogennetos (913 – 959 ) gefertigt wurde. Demetrios ist im unteren Register die zweite Figur von rechts.
linke Flügel zeigt oben den hl. Theodor Tiron sowie einen nicht identifizierten Heiligen, und unten die hll. Prokop und Arethas. Alle tragen langärmlige Tunika und Chlamys und halten in ihrer Rechten eine Tragekreuz; nur der unbekannte Heilige oben rechts ist zudem mit einem Schwert bewaffnet. Die begleitende Inschrift lautet:113 »Ein Herrscher, der die Vierzahl der Märtyrer fertigen ließ, verjagt durch diese (sc. Märtyrer) die feindlich Gesinnten mit aller Kraft«. Nun ist also von der Abwehr der Feinde die Rede, und deshalb werden jetzt auch keine Bischofsheiligen oder Apostel abgebildet, sondern Soldatenheilige im Kostüm hoher Beamter und teilweise bewaffnet. Die Reihe von militärisch konnotierten Heiligen setzt sich auf dem rechten Flügel fort. Hier sind oben die hll. Theodor Stratelates und Georg dargestellt, unten die hll. Demetrios und Eustratios. Alle tragen die Chlamys, nur Theodor Stratelates ist mit einem Schwert bewaffnet. Die begleitende Inschrift lautet:114 »Siehe, hier ist die Vierzahl der Märtyrer, welche die Krone mit der Vier-
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
19 Auch auf dem Harbaville-Triptychon im Louvre aus dem 11. Jh. wird Deme-
trios (unteres Register, zweiter von rechts) noch als Chlamydatus wiedergegeben, obwohl die vier Heiligen im oberen Register (Theodoros Tiron, Theodoros Stratelates, Georg und Eustathios) die Rüstung tragen. 20 Ein weiteres Prunktriptychon in den Vatikanischen Museen aus dem 11. Jh. zeigt eine analoge Anordnung von Heiligen in gleicher Tracht. Wieder ist Demetrios als zweiter von rechts im unteren Register in Chlamys wiedergegeben.
zahl der Tugenden schmückt.« In diesem Epigramm fehlt zwar eine Bezugnahme auf den militärischen Beistand, doch werden die Heiligen gewissermaßen als Ausdruck herrschaftlicher Kardinaltugenden aufgefasst: Mut, Gerechtigkeit, Mäßigung und Weisheit. Die Datierung des Objekts orientiert sich an der Nennung eines Herrschers Konstantin. In Frage kommen Konstantin VII. Porphyrogennetos (913 – 959), Konstantin VIII. (1025 –1028), Konstantin IX. (1042 –1055) und Konstantin X. Dukas (1059 –1067). Manches spricht für eine Datierung ins 10. Jh., vor allem die sich unter Konstantin VII. intensivierende religiöse Legitimierung von Krieg und die lange Krankheit, unter welcher der Kaiser in den letzten Jahren seiner Regierung litt.115 Trifft diese Datierung zu, dann wären die Heiligendarstellungen auf dem Triptychon
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
263
VII
VII
264
im Palazzo Venezia die älteste erhaltene Gruppierung von Militärheiligen, denen dezidiert Hilfe bei der Abwehr der Feinde durch den Kaiser zugesprochen wurde. Offenbar gingen Gruppenbildung und allmähliche Militarisierung der Heiligen in erheblichem Maße auf den Kaiser zurück, versah sich dieser mit einer Garde himmlischer Mitstreiter, die ihm bei der Abwehr der Feinde half. Ähnlich erfolgte die Kombination der Heiligen auf dem Harbaville-Triptychon im Louvre, das vielleicht schon im 11. Jh. gefertigt wurde (Abb. 19).116 Im aufgeklappten Zustand zeigt es einen ganz ähnlichen Aufbau wie das zuvor besprochene Exemplar, verfügt aber nicht über die ausführlichen Versinschriften. Auf der Mitteltafel befindet sich eine Deesis, darunter eine Reihe von fünf Aposteln. Auf den Seitentafeln begegnen wiederum militärisch konnotierte Heilige. Im oberen Register werden die hl. Theodor Tiron, Theodor Stratelates, Georg und Eustathios gezeigt. In den Medaillons zwischen oberem und unterem Register sind Merkurios als Soldat und drei weitere Apostel im Pallium zusehen. Im unteren Register sind die Heiligen Eustratios, Arethas, Demetrios und Prokopios, jeweils in Chlamys mit Tragekreuz dargestellt. Nun hat bereits die Hälfte der auf den Seitenflügeln dargestellten Heiligen die Kleidung gewechselt. Eine fast identische Komposition begegnet auf dem dritten bedeutenden Elfenbeintriptychon, dem Triptychon in den Vatikanischen Museen, das wie das Exemplar im Louvre im 11. Jh. entstanden ist (Abb. 20):117 Wieder ist in geöffnetem Zustand auf der Mitteltafel eine Deesis und darunter eine Reihe von Aposteln zu sehen, diesmal jedoch ergänzt um eine Reihe von fünf Clipei mit Brustbildern weiterer Apostel. Im oberen Register der beiden Seitentafeln begegnen Theodor Tiron, ein unbekannter Heiliger, Theodor Stratelates und Eustathios als gerüstete Krieger. Die Medaillons entsprechen ganz dem Harbaville-Triptychon: Sie zeigen Merkurios in Rüstung und drei Apostel. Im unteren Register sind vier Heilige in Chlamys mit Tragekreuz zu sehen: Arethas, Prokopios, Demetrios und Eustratios. Trotz des erheblichen kunsttechnischen Aufwands begegnet in den drei Triptychen eine auffallend standardisierte Ikonographie, die zwar schon einige bedeutende Soldatenheilige kennt, Demetrios jedoch noch nicht vollständig dazuzählt. Ähnliches lässt sich auch bei weniger aufwendigen Stücken beobachten. Eine Steatitikone aus dem frühen 11. Jh. im Louvre zeigt in einem oberen Register die von zwei Erz-
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
21 Diese Steatittafel zeigt in einem oberen Register die von zwei Erzengeln flankierte Hetoimasia mit den Passionswerkzeugen, im unteren Register vier Heilige in identischer Kleidung mit Tragekreuz. Bei den Chlamydati, die sich nur in ihrer Haar- und Barttracht unterscheiden, handelt sich laut Beischriften um Demetrios, Theodor, Georg und Prokopios (Paris, Louvre).
engeln flankierte Hetoimasia mit den Passionswerkzeugen, im unteren Register vier Heilige in identischer Kleidung mit Tragekreuz (Abb. 21).118 Bei den Chlamydati, die sich nur in ihrer Haar- und Barttracht unterscheiden, handelt es sich laut Beischriften um Demetrios, Theodor, Georg und Prokopios. Zwischen den beiden Bildfeldern verläuft folgende Versinschrift:119 »Als Zeugen der Verkündigungen des Evangeliums sind von den vier Enden (sc. der Erde) die Heerführer erschienen, voller Bereitschaft, die Preise des Erbes zu erlangen.« Wie also ist die für Steatite ungewöhnliche Kombination von Hetoimasia und Militärheiligen zu verstehen? Als mutmaßliches Objekt privater Andacht drückte die Motivverknüpfung wohl die Hoffnung auf gnädige Berücksichtigung am Tag des Jüngsten Gerichts aus, für das der leere Thron steht. Die heiligen Heerführer werden als Vertreter der Gerechten angeführt, die bereits die Gegenwart Gottes erlangt haben.120 Interessant und bezeichnend für die inhaltliche Konnotation ist die ausschließliche Fokussierung auf
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
265
VII
22a
22b
22c
22d
22a–d Seit dem 11. Jh. begegnet Demetrios in Rüstung in kleinen Gruppen von Soldatenheiligen. Eine Steatittafel im Museum von Cherson zeigt im oberen Register den von Erzengeln flankierten Thron Christi, im unteren Register die Soldatenheiligen Demetrios, Theodor, Georg und Prokopios. In der Inschrift werden die Heiligen als Helfer angerufen (a). Auf einer weiteren Steatittafel in
der Eremitage von Sankt Petersburg sind die beiden Soldatenheiligen Demetrios und Georg dargestellt (b). Als Mitglied einer Dreiergruppe begegnet Demetrios zusammen mit Georg und Theodor auf einer Ikone des späten 11. Jhs. in der Eremitage von Sankt Petersburg (c). Und schließlich zeigt ein Kameo im Louvre die Soldatenheiligen Georg und Demetrios, die von Christus „gekrönt“ werden (d).
VII
266
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
267
24 a
24b
24 a–b Die zu Beginn des 11. Jhs. geweihte Klosterkirche von Hosios Lukas
zeigt unter der Kuppel mehrere Soldatenheilige, darunter auch den hl. Demetrios. Es ist, als würde sich die Herrschaft Christi geradezu auf die bewaffneten Heiligen stützen.
23 Anders als die Prachttriptychen in Rom und in Paris zeigt das Exemplar in
der Eremitage fast ausschließlich bewaffnete Heilige. Auf den Seitenflügeln sind in zwei Registern Georg, Theodor Tiron, Eustathios und Eustratios (oben) sowie Demetrios, Merkurios, Theodor Stratelates und Prokopios (unten) zu sehen. Die Mitteltafel zeigt die 40 Märtyrer von Sebaste unter dem thronenden Christus (Sankt Petersburg, Staatliches Museum Eremitage).
Militärheilige, die sich das Paradies als Heerführer erworben haben. Gerne möchte man daher vermuten, das Objekt habe sich einst im Besitz eines Militärs befunden. Von der gemeinsamen Darstellung des Demetrios mit bewaffneten Soldatenheiligen war es nur noch einen kleiner Schritt in deren Gruppe. Seit dem späten 11. Jh. ist Deme-
trios vollwertiges Mitglied einer Garde gerüsteter Heiliger, die in allen Medien und Gattungen begegnet, sei es paarweise, sei es in Dreiergruppen, sei es in größerer Anzahl (Abb. 22a–d).121 Auch die Seitenflügel der Elfenbeindiptychen zeigen nunmehr fast ausschließlich bewaffnete Heilige, wie das Beispiel in der Eremitage von Sankt Petersburg verdeutlicht (Abb. 23):122 In zwei Registern sind Georg, Theodor Tiron, Eustathios und Eustratios (oben) sowie Demetrios, Merkurios, Theodor Stratelates und Prokopios (unten) zu sehen. Nun gehört Demetrios zu den bedeutendsten Kriegerheiligen. In der gleichen Zusammensetzung begegnen diese seit dem 11. Jh. in der Kirchenausstattung. Ein frühes Beispiel ist
VII
das Katholikon des Klosters von Hosios Lukas in der Phokis.123 Die Mosaikausstattung dieses vermutlich im frühen 11. Jh. geweihten Baus zeigte im Hauptraum verschiedene Gruppen von inhaltlich zusammengehörigen Heiligen, Klerikern und Bischöfen in den Apsisnebenräumen sowie Asketen und Mönche in den nördlichen und südlichen Kreuzarmen. Die Soldatenheiligen erachtete man bereits als so bedeutend, dass sie die Unterzüge der Bögen unter der Hauptkuppel einnehmen durften: Georg und Theodor Stratelates auf dem südlichen, Prokopios und Merkurios auf dem westlichen sowie Theodor Tiron, Nestor und Demetrios auf dem nördlichen Bogen (Abb. 24a–b). So wichtig waren diese als Ganzfiguren in Rüstung dargestellten Heiligen, dass sie gleichsam die Hauptkuppel mit dem später erneuerten Pantokratorbild trugen. Auch in der kleinasiatischen Provinz lassen sich bald Kirchenausstattungen beobachten, die Soldatenheilige in Rüstung abbilden. Die 1060/61 datierten Fresken der Karabaş
Kilise in Soğanlı zeigen Demetrios als Vollfigur neben den Soldatenheiligen Georg, Theodor und Prokopios auf einem der schmalen Wandfelder der Pfeiler der Höhlenkirche (Abb. 25). Demetrios trägt die Rüstung und hält ein erhobenes Schwert in seiner Rechten. Weitere Soldatenheilige waren kleiner in den Nischenlaibungen dargestellt.124 Auch in der Kirchenausstattung lässt sich somit die Militarisierung und Gruppenbildung beobachten. Wie es scheint, handelte es sich um einen umfassenden ikonographischen Prozess, der alle Kunstgattungen erfasste. Das vielleicht eindrücklichste Beispiel dieses Vorgangs ist die berühmte Emailikone des hl. Michael aus dem 12 . Jh. im Schatz von San Marco (Abb. 26a).125 Sie zeigt den Erzengel in Rüstung, mit Schwert und Kreuzglobus, also in der Ikonographie des bewaffneten himmlischen Heerführers, die für Michael seit mittelbyzantinischer Zeit beobachtet werden kann. Flankiert wird der Erzengel von ovalen Emailplättchen, die acht Soldatenheilige zeigen (Abb. 26b): die beiden Theodore, Demetrios und Nestor, Prokopios und Georg, Eustathios und Merkurios. Direkt neben Demetrios findet man auch den als Soldatenheiligen eher selten auftretenden Nestor, der aus den Passionserzählungen als Sieger über den Gladiator Lyaios bekannt ist.126 Indem die beiden Heiligen zusammengezogen werden, gewinnt Demetrios
VII
268
sogar etwas von seiner Lokalidentität zurück, wird an seine Passion erinnert, die er gemeinschaftlich mit Nestor in Thessaloniki durchlitt. Dieses gemeinsame Auftreten der beiden als bewaffnete Soldaten zeigt erneut, dass die Militarisierung kein individueller, sondern ein Gruppenprozess war. Der Heilige bot sich hierfür geradezu an, da er als erfolgreicher Stadtverteidiger galt und – auf Bildern – bereits als Soldat greifbar ist. Doch wird er innerhalb größerer Heiligengruppen zunächst noch in der Chlamys gezeigt. Erst gemeinsam, als Gruppe, wechseln diese Heiligen ihr Gewand, um sich den beiden Theodoren und Georg anzugleichen und sich unter diese einzureihen. Doch was geschah in Thessaloniki? Die spärlichen Bildzeugnisse dieser Zeit zeigen, dass die Stadt in dieser Entwicklung keine Sonderrolle einnahm. Auch hier akzeptierte man bereitwillig die reichsweite Verantwortung, die Demetrios als Soldatenheiliger nun schulterte. Hierfür sprechen die Bleisiegel der Thessaloniker Bischöfe, aber auch anderer Kleriker der Stadt, die man am ehesten als Ausdruck lokaler Interessen sehen darf. Sie halten keinesfalls an der tradierten Beamtenikonographie fest, sondern spiegeln die allgemeine Entwicklung wider.127 Frühe Beispiele wie das Siegel des Erzbischofs Petros aus dem 8. Jh. zeigen den Heiligen noch in der Chlamys (Abb. 27a).128 Diese Darstellungsform lässt sich bis ins Jahr 1027 beobachten, dann bricht sie auf Bleisiegeln ab.129 Bereits ab der zweiten Hälfte des 10. Jh. begegnet der Heilige auf Siegeln auch im Militärkostüm, mit Lanze und Schild, so auf zwei – allerdings nur stilistisch und paläographisch – datierten Beispielen der Mönche Euthymios und Metrophanes.130 Das früheste fest datierte Beispiel der Soldatenikonographie des Demetrios auf Siegeln stammt aus dem Jahr 1038 und somit aus einer Zeit, in der Demetrios auch in anderen Kunstgattungen als Krieger begegnet (Abb. 27b–c).131 Demetrios als Reiterheiliger Nun da aus Demetrios ein Soldat geworden war, konnte er auch als berittener Streiter abgebildet werden. Vorstellen konnte man sich den Stadtverteidiger Thessalonikis in dieser Erscheinung schon längst: Dies zeigt der vierzehnte Wunderbericht der ersten Sammlung der Miracula Sancti Demetrii. Hier reitet Demetrios als Anführer der byzantinischen Truppen auf einem weißen Pferd und im weißen Mantel dem Feind entgegen.132 Einen weiteren Hinweis auf Demetrios zu Pferd findet man erst wieder im dritten Buch der Miracula, wo der
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Heilige im Verlauf des fünften Wunders einem Bauern als »jugendlicher Mann, mit schönem Gesicht, im Gewand eines Reitersoldaten« erscheint.133 Bis zur Verbildlichung dieses Schemas sollte es allerdings noch bis ins 11. Jh. dauern.134 Eine der ältesten Darstellungen des reitenden Demetrios ist eine Steatitikone in Sankt Petersburg, die Demetrios mit Schild und erhobenem Schwert auf einem Pferd reitend zeigt (Abb. 28).135 Grundsätzlich scheint man sich dabei an den Darstellungen anderer Reiterheiliger orientiert zu haben:136 Georg, der vielleicht berühmteste Heilige zu Pferde, begegnet bereits seit dem 7. Jh. als Reiter, wobei er in der Regel mit seiner Lanze auf einen Feind oder eine Schlange einsticht.137 Oftmals wird Georg zusammen mit Theodor Stratelates dargestellt, der ebenfalls bereits früh, seit dem 9. Jh., als Drachenkämpfer zu Pferde gezeigt wird (Abb. 29).138 Demetrios jedoch sticht nie auf ein Ungeheuer oder einen Feind ein. Bereit zum Kampf, hält er das Schwert nach oben, nie führt er es reitend gegen einen Feind. Auch auf der bekannten Goldikone des hl. Demetrios im Welfenschatz aus dem späten 12 . oder frühen 13. Jh. sieht man ihn im üblichen Schema eines Reiterheiligen – mit nach oben gehaltener Lanze (Abb. 30).139 Demetrios’ Ressort war nicht der Zweikampf, sondern die Bereitschaft zur Abwehr von Feinden. Genau dies machte ihn zum idealen Kriegsgefährten des Kaisers. Des Kaisers Kriegsgefährte Die Militarisierung von Heiligen fällt nicht zufällig in eine Phase wachsender religiöser Prägung des Soldatenlebens.140 Zeitgenössische Militärhandbücher lesen sich wie Kanonsammlungen klösterlicher Kongregationen.141 Kreuze und Ikonen wurden ins Schlachtfeld geführt, Standarten wurden gesegnet; man fastete und reinigte sich, bevor man in den Krieg zog. Gottesdienste als Dank für den Sieg und zum Gedenken an die Gefallenen wurden abgehalten. Soldaten hatten morgens und abends zu beten, und es drohten denjenigen Strafen, die nicht an den Gebeten teilnahmen. So wie sich die Soldaten mehr und mehr religiöser Praxis unterzogen, so wurden die Heiligen mehr und mehr zu Soldaten. Sie waren die Schutztruppe, die zusammen mit dem Kaiser im Namen Gottes für den Bestand des Reiches kämpfte. Die Idee, Kaiser, Stadt und Bevölkerung stünden unter dem Schutz von Soldatenheiligen, lässt sich schon seit dem 10. Jh. greifen. In einem Anhang des Zeremonienbuchs Konstantins VII. Porphyrogennetos (913 – 959), in dem vor allem militärische Belange
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
25 Kaum zu erkennen sind die ganzfigurigen Darstellungen von Soldatenheiligen auf den Pfeilern der sog. Karabas¸ Kilise bei Sog˘anlı in Kappadokien. Demetrios (auf dem Pfeiler rechts) ist in Rüstung mit gezücktem Schwert in der Rechten dargestellt.
geregelt werden, wird unter anderem der Ablauf von Patrouillen festgelegt. Vor dem Aufbruch solle der Wachoffizier das Zeichen des anwesenden Kaisers sowie »entweder den Erlöser, die Muttergottes, den Erzengel oder die der heiligen Soldatenmärtyrer« erhalten.142 Damit können nur Kriegsfahnen mit entsprechenden Darstellungen gemeint sein, die Schutz versprachen. Solche Fahnen werden nochmals in einem Zeremonialbuch aus palaiologischer Zeit erwähnt, das man früher irrtümlich einem Autor namens Kodinos zugeschrieben hat. Aus Anlass von Herrenfesten sollen vor der kaiserlichen Tribüne folgende Fahnen arrangiert werden: »die des Erzengels, die mit der Darstellung der göttlichen Hierarchien, welche Oktapodion genannt wird, da sie acht Zungen hat, eine andere kreuzförmige mit Darstellungen der vier Erzmärtyrer Demetrios, Prokop und der beiden Theodore, eine weitere mit einer Darstellung des hl. Georg zu Pferd, eine weitere mit der Darstellung eines Drachen und eine weitere mit einer Darstellung des Kaisers zu Pferd. Von jeder sind zwei vorhanden, was insgesamt zwölf Fah-
269
nen ergibt.«143 Man muss sich die Szene bildlich vor Augen halten: Der Kaiser auf seiner Tribüne, flankiert von Bildern seiner himmlischen Helfer. Wer sich solcher Verbündeter versichern konnte, der war unbesiegbar. Ins Bild übersetzt zeigt dies das Titelblatt einer um das Jahr 1000 für Basileios II. (976 –1025) angefertigten reich illuminierten Psalterhandschrift.144 Die ganzseitig illuminierte Titelseite zeigt den Kaiser in Rüstung, mit Lanze und Schwert, auf einem Podest stehend (Abb. 31). Christus hält aus einem Himmelsegment eine Krone, doch erfolgt die eigentliche Krönung durch den Erzengel Gabriel, während Michael dem Kaiser die Lanze übergibt. Unten proskynieren acht männliche Gestalten, die man als Angehörige unterworfener Völker deuten muss. Links und rechts des Kaisers sind in ineinandergeflochtenen Rahmen je drei Soldatenheilige als Brustbilder zu erkennen: Links Theodor, Demetrios und vermutlich nochmals Theodor; rechts Georg, Prokopios und Merkurios. Wie der Kaiser tragen auch sie einen Schuppenpanzer und sind mit Schwert und Schild bewaffnet. Sie sind des Kaisers heilige Mitstreiter, wie zudem aus der Widmungsinschrift hervorgeht, die sich auf der gegenüberliegenden Seite befindet:145 »Was für ein neues Wunder ist hier zu sehen! Christus streckt mit seiner lebensspendenden Hand vom Himmel eine Krone, das Symbol der Macht,
VII
VII
270
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
271
mals in den Krieg und erlangte infolge seiner Siege auf dem Balkan den Beinamen ›Bulgarentöter‹. 1014 wurden die Bulgaren in der Schlacht von Kleidion vernichtend geschlagen. 14.000 Kriegsgefangene ließ Basileios angeblich blenden und unter Führung nur an einem Auge Geblendeter zurückschicken. 1018 fiel schließlich die bulgarische Hauptstadt Ochrid, woraufhin das Bulgarenreich an Byzanz fiel. Wenn also jemand Grund hatte, sich inmitten siegbringender heiliger Mitstreiter zu zeigen, dann war es Basileios. Im Lauf seiner Feldzüge war der Kaiser immer wieder in Thessaloniki gewesen.146 Ganz zu Beginn seiner Balkankampagne stattete er der Stadt einen Besuch ab, um »dem Großmärtyrer Dank abzustatten«.147 1001 und 1014 befand sich Basileios erneut in Thessaloniki, und es bedarf keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, wie der Kaiser bei diesen Gelegenheiten dem Schrein des hl. Demetrios seine Aufwartung machte. Dennoch erscheint Demetrios auf dem Titelblatt des Psalters Basileios’ II. nicht allein neben dem Kaiser, sondern in einer Gruppe von insgesamt sechs weiteren gerüsteten Heiligen, zu denen auch die beiden Theodore, Georg, Prokopios und Merkurios zählen. Der Kaiser etablierte also keine spezielle Beziehung zu einem einzelnen Heiligen, sondern gründete seine Siegeshoffnung auf eine Gruppe von Soldatenheiligen, zu denen Demetrios gehörte.
26a–b Auch auf der berühmten Emailikone des Erzengels Michael in Venedig taucht der hl. Demetrios auf. Dort ist er Teil einer Gruppe von acht Soldatenheiligen, die als Paare auf vier Emails auf dem Ikonenrahmen den streitbaren Erzengel begleiten (Venedig, Schatzkammer von San Marco).
zum Despoten Basileios aus, dem Frommen und Mächtigen. Darunter sind die Engelsprinzen. Einer von ihnen nahm sie (die Krone), trägt sie und krönt mit Freude. Der andere, der mit der Macht die Siege verbindet, (reicht) die Lanze, eine Waffe, die die Feinde erschreckt, und nachdem er sie getragen hatte, gibt er sie in die Hand des Herrschers. Die Märtyrer kämpfen mit ihm als einem Freund und werfen die Feinde zu seinen Füßen nieder.« Basileios konnte diesen Beistand gut gebrauchen, zog er doch in dem halben Jahrhundert seiner Herrschaft oft-
Als sich im 10. Jh. eine Gruppe von Soldatenheiligen zu konstituieren begann, der von Hippolyte Delehaye sogenannte état major, da war der hl. Demetrios zwar von Anfang an mit von der Partie, nicht aber als Krieger. Zunächst trat er wie auch andere spätere Soldatenheilige noch in Chlamys auf und tauschte erst allmählich das Dienstkostüm des Beamten gegen den militärischen Panzer ein. Einige dieser Heiligen, etwa die beiden Theodore, werden bereits in ihren Heiligenviten als Streiter geführt, so dass hier die Soldatenikonographie nahelag. Bei Demetrios verhielt es sich jedoch anders. Er war zunächst individueller Wohltäter, dann erfolgreicher Verteidiger seiner Stadt, und erweiterte erst allmählich seinen Wirkungsbereich über Thessaloniki hinaus. Indem er überregional tätig und auch anderenorts als Helfer betrachtet wurde, konnte er zur Projektionsfolie auswärtiger Bedürfnisse avancieren und erhielt ein neues Kleid. In dieser Gruppierung mit anderen Soldatenheiligen verlor Demetrios seine individuellen Charakteristika, auch seinen Bezug zur Stadt Thessaloniki. Er wurde zum solda-
VII
VII
272
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
27a
28 Diese Steatitikone aus dem 11. Jh. ist eine der ältesten Darstel-
lungen des berittenen Demetrios. Anders als der hl. Georg sticht Demetrios nicht mit einer Lanze auf ein Ungeheuer ein, sondern hält das Schwert kampfbereit empor (Sankt Petersburg, Staatliches Museum Eremitage)
27b
27c 29 Darstellung der beiden Reiter
heiligen Georg und Theodor Stratelates, die vom Pferd auf eine Schlange einstechen, in der Kapelle 28 von Göreme aus dem 11. Jh. Demetrios wird nie im Zweikampf gegen ein Ungetüm gezeigt; er hält stets Schwert oder Lanze kampfbereit.
27a–c Die Wandlung des hl. Demetrios von hohen Beamten zum Feldherrn lässt sich auch auf den Siegeln der Thessaloniker Erzbischöfe beobachten. Ein Siegel des Erzbischofs Petros aus dem 8. Jh. zeigt den Heiligen noch in
der Chlamys (a). Auf den Siegeln der Erzbischöfe Romanos (b) und Michael von Mytilene (c) aus dem 11. Jh. sieht man den Heiligen bereits in Rüstung und mit Waffen.
273
VII
VII
274
30 Die berühmte Goldikone des hl. Demetrios im Welfenschatz zeigt den hl. Demetrios im üblichen Schema eines Reiterheiligen – mit nach oben gehaltener Lanze (Berlin, Staatliche Museen).
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
31 Psalter Basileios’ II. (976 -1025). Das Titelblatt zeigt den siegreichen Kaiser vor dem besiegte Feinde proskynieren. Links und rechts des Kaisers sind in eigenen kleinen Bildfeldern verschiedene Soldatenheilige, darunter der hl. Demetrios, dargestellt (Venedig, Bibliotheca Marciana, Man. gr. Z 17, fol. 111r).
Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn
275
VII
VII
276
tischen Erfüllungsgehilfen des Kaisers, Teil einer heiligen Heerschar, die mit Gottes Hilfe auf Seiten der Byzantiner und des Kaisers kämpfte. Aus dem Heiligen wurde einer der Schutzheiligen des Reichs. Aber hatte Demetrios nicht versagt? Hatte er nicht 904 seine Stadt im Stich gelassen und damit seine Sorglosigkeit oder gar Unfähigkeit bewiesen? Die Frage trifft nicht den Kern des Problems. Denn Heilige konnten sich auch entfernen, konnten verlorengehen, konnten – mit ihrem Einverständnis – gestohlen werden. Je öfter Demetrios als Soldatenheiliger neben dem Kaiser ins Feld zog, desto weniger konnte er sich um seine Stadt kümmern. Die nächste Kata strophe schien vorprogrammiert.
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Anmerkungen 1 Ernst von Dobschütz, Christusbilder. Untersuchungen zur christlichen
Legende. Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, Leipzig 1899, 102 –196; Averil Cameron, The History of the Image of Edessa: the Telling of a Story, in: Okeanos. Essays presented to Ihor Ševčenko (= Harvard Ukrainian Studies 7), Cambridge 1983, 80 –94; Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990, 233 –246; Averil Cameron, The Mandylion and Byzantine Iconoclasm, in: Herbert L. Kessler – Gerhard Wolf, The Holy Face and the Paradox of Representation, Bologna 1998, 33 –54; Han J. W. Drijvers, The Image of Edessa in the Syriac Tradition, ebd. 13 –31; Herbert L. Kessler, Il mandylion, in: Giovanni Morello – Gerhard Wolf, Il Volto di Cristo, Mailand 2000, 67–76; Gerhard Wolf – Colette Dufour Bozzo – Anna R. Calderoni Masetti (Hrsg.), Mandylion. Intorno al Sacro Volto, da Bisanzio a Genova, Mailand 2004. 2 Vgl. hierzu die 940 aus Anlass des Jahrestags der Überführung verfasste narratio de imagine Edessena, PG 113, 423 – 51. 3 Von Dobschütz, a. O. 40 – 60. 4 Ernst Kitzinger hat in einer grundlegenden Studie aus dem Jahr 1954 auf die wachsende Bildersensibilität und Bilderverehrung in der nachjustinianischen Zeit hingewiesen: Ernst Kitzinger, The Cult of Images in the Age before Iconoclasm, Dumbarton Oaks Papers 8 , 1954, 83 –150. Einen kritischen Ansatz zur Definition von Ikonen verfolgte in jüngerer Zeit Leslie Brubaker: Brubaker – Haldon 2011, 50 – 66 . 5 Vgl. etwa John Haldon, Byzantium in the Seventh Century. The Transformation of a Culture, Cambridge Mass. 1990, bes. 41–124. 6 Vgl. hierzu Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, 567 – 822 n. Chr., München 1988 , 248 – 255; Daniel Ziemann, Vom Wandervolk zur Großmacht. Die Entstehung Bulgariens im frühen Mittelalter (7.–9. Jh.), Köln – Weimar – Wien 2007, 128 –130. 7 Franjo Barišić, Le siège de Constantinople par les Avares et les Slaves en 626, Byzantion 24, 1954, 371– 395. 8 Vgl. hierzu Norman Baynes, The Supernatural Defenders of Constantinople, Analecta Bollandiana 67, 1949, 165 –177; Franz Alto Bauer, Urban Space and Ritual: Constantinople in Late Antiquity, in: Rasmus J. Brandt – Olaf Stehn (Hrsg.), Imperial Art as Christian Art – Christian Art as Imperial Art. Expression and Meaning in Art and Architecture from Constantine to Justinian (= Acta ad Archaeologiam et Artium Historiam Pertinentia 15), Rom 2001, 27 – 61, hier 55 – 59; Bissera Pentcheva, Icons and Power. The Mother of God in Byzantinum, Pennsylvania State Univ. 2006, 37 – 59. 9 Vgl. die traditionelle Interpretation, die den Ikonoklasmus als kaiserliche »Antwort« auf die Übermacht der Ikonen begreift: André Grabar, L’empereur dans l’art byzantin, Paris 1936, 169 –170, und Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990, 47 – 49, der v. a. die Konkurrenz zwischen Kaiser und Muttergottes hervorhebt. 10 Koder 1986 , 528 . 11 Zu den kriegerischen Ereignissen s. Theocharidis 1980, 125 –158 u. 161–189; Ziemann, a. O. 123 –127. 12 Zu den Ereignissen und zur Chronologie s. Lemerle II, 1981, 46 – 69; Pohl, a. O. 102 –107. 13 Lemerle II, 1981, 69 – 73 . Vermutlich ereignete sich dieser erfolglose Überraschungsangriff im Jahre 604. Vgl. auch Pohl, a. O. 240 – 241; Ziemann, a. O. 123 –124.
Anmerkungen
14 Miracula Sancti Demetrii I.10 §81– 93 p. 1121 –11624 Lemerle. Der Ver-
fasser der Miracula verarbeitet diese Ereignisse, indem er Besucher des Ziboriums nicht nur dem Heiligen, sondern auch einer Dame namens Eutaxia, also einer Personifikation der ersehnten öffentlichen Ordnung, begegnen ließ. Zu den Deutungen dieser Eutaxia s. Pallas 1979, 46 . Zur Chronologie s. Lemerle II, 1981, 41. 15 Lemerle II, 1981, 85 – 94; Pohl, a. O. 241– 242; Ziemann, a. O. 125 – 126 . 16 Lemerle II, 1981, 94 –103; Pohl, a. O. 242 – 243; Ziemann, a. O. 126 – 127. 17 Lemerle II, 1981, 104 –110. 18 Lemerle II, 1981, 111–136 ; Pohl, a. O. 278 – 280 ; Angeliki Laiou, Thessaloniki and Macedonia in the Byzantine Period, in: John Burke – Roger Scott (Hrsg.), Byzantine Macedonia. Identity, Image, and History (= Byzantina Australiensia 13), Melbourne 2000, 1–11, hier 4 – 5; Ziemann, a. O. 135 –136 . 19 Tafrali 1919, 126 –134; Ziemann, a. O. 136 –141. 20 Vgl. Malamut 2005 , 175 –178 , und allg. Robert Browning, Byzantine Thessaloniki: a unique city?, Dialogos 2 , 1995, 91–104, hier 94 – 96 . 21 Miracula Sancti Demetrii I.12 §107 –108 p. 12613 – 32 Lemerle. John H. W. G. Liebeschuetz, The Government of the Late Roman City with Special Reference to Thessaloniki, in: John Burke – Roger Scott (Hrsg.), Byzantine Macedonia. Identity, Image, and History (= Byzantina Australiensisa 13), Melbourne 2000, 116 –127, hier 123 . 22 Spieser 1973 , 154 Nr. 5: Inschrift des – auch in den Miracula Sancti Demetrii erwähnten – Bischofs Eusebios (597 – 603) auf der Seemauer. 23 Vgl. Scholz 2007, 56 – 57. 24 Miracula Sancti Demetrii I.15 §168 –170 p. 16221 –16330 Lemerle. 25 Johannes Moschos, Pratum Spirituale, c. 69, p. 2921 A–C. 26 Johannes Moschos, Pratum Spirituale, c. 70, p. 2924A–B. 27 Guter Überblick über frühe Demetrioskultstätten bei Laskaris 2000, 353 Anm. 81. 28 Paulos Lazarides, Ἐργασίαι ἀναστηλώσεως καὶ συντηρήσεως μνημείων, Praktika Archaiologikes Hetaireias 1972 , 354 – 360, hier 355 Taf. 303a. Zur Basilika A von Nea Anchialos s. o. S. 114 u. 129. 29 Krautheimer 1986⁴, 130 –131. Die Datierung der Basilika A von Nikopolis beruht auf den engen stilistischen Parallelen der Bodenmosaiken zu jenen des sogenannten Alkison-Anbaus an die Basilika B, der vor 516 entstand (Tod des Bischofs Alkison). Zur Chronologie vgl. ferner Ernst Kitzinger, Studies on Late Antique and Early Byzantine Floor Mosaics: I. Mosaics at Nikopolis, Dumbarton Oaks Papers 6 , 1951, 81–122 , 88 – 92 . 30 Kitzinger, a. O. 87: Δομήτιος μὲν πρώην τὸν σεβάσμιον κατεσκεύασεν οἴκον Δομήτιος δὲ ὁ νῦν γε Ν(ικο)π(όλεως) ἐὼν ἐκίνου καὶ τῆς ἱερωσύνης διάδοχος, δυνάμι Χρ(ιστοῦ) τὴν πᾶσαν ἐκαλιέργησεν τρίστωον, Εὐφρόσυνος μὴν ἐν τῷ νεῷ ὡς μαθητὴς τοῦ προτέρο(υ) […] Δημητρίου μάρτυρος ἑκάτερος εὐχαριστῶν τῇ προστασίᾳ. 31 Soteriou 1918a, 26 Taf. 13 u. 14; Soteriou 1918b, 21– 25; Soteriou 1952 , 207 – 209; Alexander Vasiliev, L’entrée triomphale de l’empereur Justinian II à Thessalonique en 688, Orientalia Christiana Periodica 13 (= Miscellanea Guillaume de Jerphanion), 1947, 355 – 368, bes. 361– 365 (Deutung als Darstellung des Einzugs Justinians II. in Thessaloniki ohne Berücksichtigung der rechten Hälfte der Malerei); Stilpon Kyriakides, Rez. zu Alexander Vasiliev, L’entrée (a. O.), Makedonika 2 , 1941–1952 , 761– 769 (stimmt Vasilievs Identifizierung zu); James D.
277
Breckenridge, The »Long Siege« of Thessalonica. Its Date and Iconography, Byzantinische Zeitschrift 48 , 1955, 116 –122; Xyngopoulos 1970, 56 – 57; Georgios I. Theocharidis, Justinian II. oder Basileios II.? Eine neue Lösung zu älterem Problem, Byzantion 46, 1976, 75 –118; Theocharidis 1980, 195 – 202; Mentzos 2003/04; Deboles 2008 , 18 – 21. 32 Soteriou 1952 , 80 Abb. 24; Mentzos 2003/04, 209. 33 Soteriou 1952 , 80. 34 Durchgehende Architekturkulissen als Signet für den innerstädtischen Bereich begegnen in ganz ähnlicher Form auch auf den Reliefs der Arkadiossäule aus dem frühen 5. Jh.: Franz Alto Bauer, Stadt, Platz und Denkmal in der Spätantike. Untersuchungen zur Ausstattung des öffentlichen Raums in den spätantiken Städten Rom, Konstantinopel und Ephesos, Mainz 1996, 179 –180. 35 Die züngelnden Linien, die sich noch erahnen lassen, könnten auch zu einer Landschaftsangabe hinter der Architektur gehören. 36 Xyngopoulos 1970, 57 – 58 , zufolge handle es sich um zwei voneinander unabhängige Bildfelder. Ursprünglich müsse es eine vertikale Trennleiste gegeben haben. Für letztere Annahme gibt es keinen zwingenden Grund. 37 Die Person bewegt sich unterhalb des Obergeschosses der Architektur, befindet sich aber zu hoch für das Untergeschoss. Daher ist durchaus plausibel, dass es sich um einen Reiter handelt. 38 Soteriou 1952 , 208 . 39 Passio Prima (anon.) p. 262 26 – 27 Delehaye; Passio Altera p. 1184 A. Diese Lesung wurde von einer Reihe von Forschern übernommen, die zwar über die Art und den Zeitpunkt des dargestellten Ereignisses debattierten, nicht aber in Frage stellten, dass es in Thessaloniki stattfand. Erst Georgios Theocharidis stellte die Lesung in Frage und wies darauf hin, dass das von Soteriou als gegeben angesehene Tau keinesfalls sicher sei, dass man hier vielmehr ein Iota erkennen könne. Nichts rechtfertige die Rekonstruktion ἐν τῷ Σ(ταδίῳ), vielmehr müsse man lesen: ἐν τῷ Σι(ρμίῳ) (Theocharidis 1975, 214 – 215). Dargestellt sei somit nicht Hagios Demetrios in Thessaloniki, sondern eine Kirche in Sirmium. Theocharidis vermutete, es müsse sich bei dem Reiter um Kaiser Basileios II. (976 –1025) handeln, der 1015 in das rückeroberte Sirmium einzog (Theocharidis 1975, 229 – 235). Dieser Interpretation hat wiederum Aristoteles Mentzos zu Recht widersprochen (Mentzos 2003/04, 212). Denn warum sollte in einer Kirche Thessalonikis die Rückeroberung Sirmiums dargestellt sein? Wie fügt sich das dargestellte Massaker an Kirchenflüchtlingen in das Geschehen? Wieso sollte vor dem Namen der Stadt der bestimmte Artikel τῷ stehen? Und schließlich widersprächen Stil und Darstellungsform des Freskos gänzlich der Wandmalerei des 11. Jhs. Wieder eine andere These vertrat Petros Deboles. Ihm zufolge sei der Vorgängerbau der Hagia Sophia dargestellt, der sich im Bereich eines anzunehmenden Stadions westlich des Kaiserpalasts befand (Deboles 2008, 25 – 27). 40 Soteriou 1952 , 79 – 80 mit Abb. 24. 41 Mentzos 2003/04, 216 – 217. Zur Datierung der Euthymioskapelle s. Velenis 2003, 8 –16 . 42 In einem zweiten Schritt versucht nun Aristoteles Mentzos einen weiteren bauhistorischen terminus post quem für die Malereien festzustellen. Ihm zufolge sei die Malerei erst nach dem Einzug der Emporen in den äußeren Seitenschiffen entstanden. Nun hatte bereits Jean-Michel Spieser beobachtet, dass diese Emporen erst seit dem 10. Jh. denkbar sind, da sie im äußeren nördlichen Seitenschiff in eine Malerei eingrei-
VII
VII
278
43 44
45
46 47
48
49
fen, die erst in postikonoklastischer Zeit entstanden sein kann: Spieser 1984, 170 –171 (Hattersley-Smith 1970, 155 –156 vermutete mit guten paläographischen Gründen, die von den Emporen überschnittene Malerei könne erst im späten 9. Jh. entstanden sein; somit seien die äußeren Emporen noch später anzusetzen. S. o. S. 104 –105.). Die späte Datierung der äußeren Emporen macht es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sie einen terminus post quem für die Darstellung des Reiters in der brennenden Stadt und des Massakers in der Kirche bilden. Mentzos bleibt einen Beleg für seine Grundannahme, dass die Darstellung nach den Emporen entstanden sein muss, schuldig. Tatsächlich spricht nichts dagegen, dass die Malerei vor den Emporen entstanden ist. Sie befindet sich deutlich unter den nachträglich eingezogenen Balken für den Emporenboden und wird von diesen überhaupt nicht beeinträchtigt. Damit entfällt Mentzos’ Datierung der Malerei an den Beginn des 10. Jh. und dessen – ohnehin nicht sehr überzeugende – Identifikation des Reiters mit Kaiser Leon VI. (886 – 912): Mentzos 2003/04 , 219 – 222 . Münzen zeigen Leon VI. mit längerem, spitz zulaufendem und nicht mit kompaktem kurzen Bart. Das zum Vergleich herangezogene Mosaik über dem Portal zur Hagia Sophia zeigt nicht sicher Leon VI.: Vgl. etwa Johannes G. Deckers, Der erste Diener Christi. Die Proskynese der Kaiser als Schlüsselmotiv der Mosaiken in S. Vitale (Ravenna) und in der Hagia Sophia (Istanbul), in: Nicolas Bock – Peter Kurmann – Serena Romano – Jean-Michel Spieser (Hrsg.), Art, Cérémonial et Liturgie au Moyen Âge, Rom 2002 , 11– 57, hier 40 – 41). Wieso sollte sich ein Kaiser, der der Stadt beim Wiederaufbau half, jedoch nie in Thessaloniki war, symbolisch beim Wiedereinzug in eine brennende Stadt, deren Bewohner ermordet werden, zeigen anstatt auf seine tatsächliche Wiederaufbauhilfe zu verweisen? Sabine G. MacCormack, Art and Ceremony in Late Antiquity, Berkeley – Los Angeles 1981, 17 – 89. Den Besuch Justinians II. in Thessaloniki dokumentiert eine Inschrift aus dem Jahr 688: s. u. S. 247 – 248 . Die Ansicht, bei dem Reiter handle es sich um Justinian II. findet sich bereits bei Alexander Vasiliev, L’entrée triomphale de l’empereur Justinian II à Thessalonique en 688 , Orientalia Christiana Periodica 13 (= Miscellanea Guillaume de Jerphanion), 1947, 355 – 368 . Vgl. vor allem das vierte Wunder des zweiten Buchs der Miracula Sancti Demetrii, das auf den Krieg gegen die Slawen Bezug nimmt (Miracula Sancti Demetrii II.4 §230 – 282 p. 208 – 221 Lemerle). Doch lässt sich auch hier kein Hinweis auf Zerstörungen innerhalb der Stadt oder auf ein Eindringen von Feinden finden. Vgl. jedoch Stilpon Kyriakides, Rez. zu Vasiliev, a. O. 1947, in: Makedonika 2 , 1941–1952 , 761– 769. Der Text weist Lücken auf, was Kyriakides vermuten ließ, hier seien Passagen verlorengegangen, die vielleicht auf das dargestellte Ereignis Bezug nehmen könnten. S. u. S. 248 – 254. Dennoch vermuteten Soteriou 1952 , 208 , und zuletzt Mentzos 2003/04, 215 – 222 , es handle sich um eine Darstellung der Eroberung Thessalonikis durch die Araber. Georgios Velenis, Έφιππος άγιος στην ιστορική τοιχογραφία του Αγίου Δημητρίου Θεσσαλονίκης, in: Eleonora Kountoura-Galake (Hrsg.), Οι ήρωες της Ορθόδοξης Εκκλησίας: Οι νέοι άγιοι, 8 ος–16 ος αιώνας (Οi eroes tes orthodoxes ekklesias. Oi neoi agioi, 8 .–16 . aionas), Athen 2004, 375 – 392 . Vgl. auch Mentzos 2003/04, 213 .
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
50 Mentzos 2003/04, 214.
Anmerkungen
74 Vgl. die Rekonstruktion der Ereignisse bei Malamut 2005 , 161–166:
51 Vgl. Fourlas 2010, 201– 202 . 52 Cassiodor, var. VI 3 ,2 . Fourlas 2010, 201 Anm. 25 . 53 S. o. S. 198 – 208 . Zum Nimbus im nichtchristlichen Bereich allg. Mar-
the Collinet-Guérin, Histoire du Nimbe des origines aux temps modernes, Paris 1961, 165 – 311. 54 Miracula Sancti Demetrii I.10 §91– 93 p. 115 –116 Lemerle. 55 Miracula Sancti Demetrii I.5 §292 – 305 p. 229 – 234 Lemerle. 56 S. o. S. 238 – 241. 57 Zu diesen Ereignissen s. Constance Head, Justinian II of Byzantium, Madison 1972 , 28 – 36; Theocharidis 1980, 189 –191. 58 Vasiliev 1943; Spieser 1973 , 156 –159; Theocharidis 1980, 191–195 . 59 Die Fürsorge für Fremde betont auch eine der Stifterinschriften unter den Mosaiken an den Querhauspfeilern. S. u. S. 207. Justinian II. ruft den Heiligen in einer weiteren Inschrift an, die sich auf dem Silberrahmen einer wesentlich späteren Mosaikikone des Demetrios befindet (Kap. XIII Abb. 1): »O Großmärtyrer Demetrios, lege Fürsprache bei Gott ein, auf dass er mir, deinem getreuen Diener, dem Kaiser der Römer, Justinian, auf Erden helfe, die Feinde zu besiegen und sie mit meinen Füßen zu zertreten.« Vasiliev 1943, 9 –10: Ὦ μεγαλομάρτυς Δημήτριε, μεσίτευον πρὸς θεὸν ἵνα τῷ πιστῷ σου δούλῳ τῷ ἐπιγείῳ βασιλεῖ Ῥωμαίων Ἰουστινιανῷ δοίη νικῆσαι τοὺς ἐχθρους μου καὶ τούτους ὑποτάξαι ὑπὸ τοὺς πόδας μου. Head, a. O. 38 –39. Zur Mosaikikone von Sassoferrato und den mit ihr verbundenen Problemen s. u. 457– 461. 60 Vgl. hierzu Lemerle II, 1981, 202 – 203 . 61 Da die Eroberung schon »viele Jahre« (χρόνοις πολλοῖς: PG 116 , 1388C) zurückliegt, kann die Sammlung erst im fortgeschrittenen 10. Jh. entstanden sein. Zugleich kann der Text nicht jünger als das 12 . Jh. sein, da das älteste Manuskript aus dieser Zeit stammt (Lemerle II, 1981, 203: Parisinus graec. 1517). 62 Miracula Sancti Demetrii III.1 c. 216 – 218 p. 1384 C–1385C. 63 Miracula Sancti Demetrii III.1 c. 217 p. 1385 A: Ἰδοὺ εἰκὼν ἡ θεία τοῦ μάρτυρος· ἦν δὲ ἐκ ψηφίδων συγκειμένη φιλοτέχνως εὖ μάλα καὶ ἄριστα. Zur Kirche: Janin 1969 ², 175. 64 Miracula Sancti Demetrii III.2 c. 219 – 221 p. 1385C–1388C. 65 Miracula Sancti Demetrii III.3 c. 222 – 226 p. 1388C–1393 A. 66 Daraufhin bürgerte sich für das Heiligtum der Name Ἁρμογένης ein, was man mit »Gliedmaßenmacher« übersetzen könnte: PL 116 , 1395 –1396 Anm. 24. 67 Miracula Sancti Demetrii III.5 c. 231– 233 p. 1396 D–1397C. Zitat p. 1397A: Νεανίας δέ τις – τὴν ὤραν διαφανὴς, στρατιωτικῶς ἐσταλμένος ἱππότης ἐφίσταται …. Zur Identifikation dieses Orts mit dem heutigen Kabaklı bei Kayseri s. Friedrich Hild – Marcell Restle, Tabula Imperii Byzantini II: Kappadokien, Wien 1981, 172 . 68 Vgl. Lemerle II, 1981, 203 . 69 Miracula Sancti Demetrii III.5 c. 232 p. 1397B: εἰμὶ δὲ ὁ Θεσσαλονικεὺς … Δημήτριος, καὶ ἐνταῦθα τιμῶμενος. 70 Miracula Sancti Demetrii III.3 c. 222 – 226 p. 1388C–1393 A. 71 Miracula Sancti Demetrii III.3 c. 224 p. 1389C. 72 Vgl. hierzu Malamut 2005; Angeliki Laiou, Thessaloniki and Macedonia in the Byzantine Period, in: John Burke – Roger Scott (Hrsg.), Byzantine Macedonia. Identity, Image and History (= Byzantina Australiensia 13), Melbourne 2000, 1–11. 73 Zu den Ereignissen s. Tafrali 1919, 143 –156; Alexander A. Vasiliev, Byzance et les Arabes II.1: La dynastie Macédonienne (867 – 949), Brüssel 1968, 157 –181; Theocharidis 1980, 241– 245.
75
76 77 78 79 80 81 82 83
84
85 86
87 88
Malamut zufolge seien die Araber über die Akropolis in die Stadt eingedrungen. Alexander Kazhdan hat bezweifelt, dass der Text aus dem frühen 10. Jh. stammt. Verschiedene Ungereimtheiten, v. a. aber die Nennung von Titeln und Realien, die eigentlich erst seit dem 12 . Jh. denkbar sind, machen es wahrscheinlich, dass der Text in seiner vorliegenden Form erst wesentlich später verfasst, durchaus aber auf eine Vorlage aus dem frühen 10. Jh. zurückgreifen kann: Alexander Kazhdan, Some Questions Addressed to the Scholars Who Believe in the Authenticity of Kaminiates’ »Capture of Thessalonica«, Byzantinische Zeitschrift 71, 1978, 301 – 314. In einer späteren Untersuchung betont Vassilios Christides aus der Sicht des Arabisten den historischen Wert des Berichts, ohne Kazhdans These generell in Frage zu stellen: Vassilios Christides, Once again Caminiates’ »Capture of Thessaloniki«, Byzantinische Zeitschrift 74, 1981, 7 – 10. Eine detailreiche Zurückweisung der These Kazhdans findet sich bei Jannis Tsaras, Η αυθεντικότητα του Χρονικοῦ του Καμενιάτη, Byzantiaka 8, 1988, 43 – 58, sowie auch bei Erich Trapp, Η χρονολογία συγγραφής του »περί αλώσεως της Θεσσαλονίκης« έργο του Ιοάννη Καμινιάτη επί τη βάσει γλωσσικών δεδομένων, in: Christianike Thessalonike. Apo tes Ioustinianeiou epoches heos kai tes Makedonikes dynasteias (= 24. Demetria), Thessaloniki 1991, 47 – 52 . Ich folge der Ansicht von Joseph D. C. Frendo, The Miracles of St. Demetrius and the Capture of Thessaloniki. An Examination of the Purpose, Significance and Authenticity of John Kaminiates’ De Expugnatione Thessalonicae, Byzantinoslavica 58, 1997, 205 – 224, der Kameniates’ Bericht im wesentlichen als authentische zeitgenössische Schilderung betrachtet. Johannes Kameniates c. 3 p. 4 60 – 51 Böhlig und c. 8 p. 10 49 – 54 Böhlig. Die Kirche Hagios Demetrios wird in c. 11 erwähnt. Johannes Kameniates c. 22 p. 2126 – 22 63 Böhlig. Vgl. Frendo, a. O. 217 – 219. Johannes Kameniates c. 13 p. 14 67 – 70 Böhlig. Übs. Böhlig 1975, 29. Johannes Kameniates c. 14 p. 1493 –152 Böhlig. Johannes Kameniates c. 15 p. 1518 – 30 Böhlig. Übs. Böhlig 1975, 31. Verkürztes Zitat von Jeremias 7,16; 11,14; 14,11. Nicholas I Patriarch of Constantinople (= Corpus Fontium Historiae Byzantinae 20), ed. Leendert G. Westerink, Washington D.C. 1981, 8 –16 . Frendo, a. O. 219 – 220 Plotin, Lobrede c. 14 p. 52 – 53 Ioannou. V. Tăpkova-Zaimova, La tradition écrite des »Miracula S. Demetrii«: Plotin après Jean, Byzantinobulgarica 3, 1969, 119 –123, hier 121–122 . Plotin galt in der älteren Forschung oft als Erzbischof Thessalonikis des 7. Jhs., doch wäre es eher ungewöhnlich, hätte ein Thessaloniker Bischof dieser Zeit den Stadtpatron als himmlischen Helfer des Kaisers begriffen. Daher dürfte der Text wohl erst nach der Eroberung Thessalonikis durch die Araber verfasst worden sein: Tăpkova-Zaimova, a. O. 122 –123; Kaltsogiannis – Kotzabassi – Paraskevopoulou 2002 , 118 –119. Zusammenfassung einschlägiger Quellen bereits bei de Bye 1866 , 78 – 82 . Miracula Sancti Demetrii III.1 c. 217 p. 1385A: Ἰδοὺ εἰκὼν ἡ θεία τοῦ μάρτυρος· ἦν δὲ ἐκ ψηφίδων συγκειμένη φιλοτέχνως εὖ μάλα καὶ ἄριστα. Zur Kirche: Janin 1969 ², 175. Theodor Studites, ep. I.17 p. I, 481–17 Fatouros. Raymond Janin, Les sanctuaires byzantins des saints militaires, Echos d’Orient 33, 1934, 163 –180 u. 331– 342 , hier 331– 332; Janin 1969 ², 89 – 90.
279
89 Theophanes Cont. p. 324 4 – 6 Bekker; Kedrenos, Synopsis Hist. II, p.
23914 –16 Bekker; Johannes Skylitzes, Synopsis Hist. p. 16356 – 57 Thurn. 90 Synaxarium Eccl. Const. p. 16628 – 30 ; Typikon der Großen Kirche, ed.
Juan Mateos, Le Typicon de la Grande Église, I: Le cycle des douze mois (= Orientalia Christiana Analecta 165), Rom 1962 , 78 . 91 Mönch Akakios, Λέοντος τοῦ Σοφοῦ πανηγυρικοὶ λόγοι (Leontos tou Sophou panegyrikoi logoi), Athen 1868, 124 –139. 92 Vgl. Magdalino 1990. Auch wurde die Vermutung geäußert, Leons Enkomia auf den Heiligen seien eine Art Entschuldigung für das Ausbleiben kaiserlicher Hilfe bei der Eroberung Thessalonikis durch die Araber: Vasilika Tăpkova-Zaimova, La ville de Saint Démétrius dans les textes Démétriens, in: He Thessalonike metaxy anatoles kai dyseos, Thessaloniki 1982 , 21– 30, hier 28 . 93 Vita der hl. Theophano c. 15 p. 1010 –115 Kurtz. 94 Magdalino 1990, 199 – 200. 95 Georgios Monachos Cont. p. 853 Bekker. 96 Janin 1969 ², 91– 92 . Die Kirche wird von dem Diakon Gregorios als kleine Kreuzkuppelkapelle auf der Terrasse der Muttergotteskirche beim Pharos beschrieben. 97 Gregorios Diakonos, Enkomion p. 64 – 65 Ioannou. Noch im 14. Jh. war der Bau erhalten, da Kaiser Johannes Kantakuzenos hier eine längere Unterredung mit dem Patriarchen Johannes Kalekas hatte: Johannes Kantakuzenos, Hist. p. II, 4715 –16 u. 6611–12 Schopen. 98 Anna Komnene, Alexias XII 6 .2 p. 37376 – 79 Reinsch – Kambylis. 99 Cer. I.21 p. 12121 –12420 Reiske; Leon der Weise, hom. 19, ed. Theodora Antonopoulou, Leonis VI sapientis imperatoris byzantini homiliae (= Corpus Christianorum, ser. graeca 63), Turnhout 2008, 263 – 265. Raymond Janin, Les sanctuaires byzantins des saints militaires, Echos d’Orient 33, 1934, 163 –180 u. 331– 342 , hier 332 – 333; Janin 1969 ², 91– 92 . 100 Cer. II.15 p. 58116 – 582 2 Reiske. Genaue Beschreibung und Erläuterung bei Alexandros G. Paspates, The Great Palace of Constantinople, London 1893, bes. 321– 330. Diese Kronen scheinen eine ganz besondere Bedeutung gehabt zu haben, denn sie wurden auch provisorisch in einem Turmgerüst im Chrysotriklinos aufgehängt, wenn keine Zeit bestand, den Festsaal aufwendig zu schmücken: Cer. II.15 p. 58620 – 5874 Reiske. 101 Grundlegend zum Wandel der Demetriosikonographie Lemerle 1980/81; Walter 1973; Bakirtzis 1995, 60 – 62; Walter 2003, 76 – 93 . Zur Ikonographie der Soldatenheiligen s. a. Anna Chatzinikolaou, RBK II, 1971, 1049 –1059 s. v. ›Heilige‹. 102 Miracula Sancti Demetrii I.13 §120 p. 1358 Lemerle: ἐν ὁπλίτου σχήματι. Walter 2003, 71. 103 Miracula Sancti Demetrii I.6 , §309 p. 238 8 –11 Lemerle: νεανίας εὐειδὴς καὶ ἀνδρεῖος, στρατιωτικὸν ἐπιφερόμενος τοῦ σχήματος εἶδος. Walter 2003, 72 . 104 Leben der hl. Theophano, c. 15 p. 1011–12 Kurtz: νεανίας τις, στρατιωτικὴν στολὴν ἠμφιεσμένος, ἐν μὲν δεξιᾷ χειρὶ δόρυ κατέχων, τῇ δὲ εὐωνύμῳ ἀσπίδα. Magdalino 1990, 199. 105 Johannes Geometres, carm. 62 u. 63 p. 217 – 224 van Opstall (mit frz. Übersetzung): εἰς τὸν ἅγιον Δημήτριον. (62) Θεσσαλονίκης πρόμος ἵσταται οὗτος ἐν ὅπλοις. / ὃς δ’ ἄοπλος νικᾷ, πῶς ὅταν ὅπλα λάβῃ; / (63) Οὐχ’ ὅπλοις κρατέων σοφίης πρόμος ἔπλεο, μάρτυς. / ἀμφοτέροις ἀμύνων θὲς φθόνον εἰς ἀνέμους. Engl. Übersetzung bei Maguire 1996, 118 . 106 Marita Horster, Ein Demetrius-Elfenbein des 10. Jh., Felix Ravenna
VII
VII
280
63 , 1957, 33 – 51; Charles T. Little in: Glory of Byzantium 1997, 135 Nr. 81; Ulrike Koenen in: Byzanz, Pracht und Alltag 2010, 337 Nr. 449. 107 Hierzu zuletzt Marco Flamine, Gli avori del »Gruppo di Romano«.
Aspetti e problemi, Annali della Facoltà di Lettere e Filosofia dell’Università degli Studi di Milano 43, 2010, 121–152 , mit hervorragendem Forschungsüberblick. 108 Horster, a. O. 46 . 109 Die abgebildeten Beispiele ließen sich durchaus vermehren. Steatit ikone im Louvre: Kalavrezou-Maxeiner 1985, 103 –104 Nr. 11; Jannic Durand in: Byzance 1992 , 270 – 271 Nr. 176 . Serpentinschale im Schatz von San Marco: André Grabar in: Hans R. Hahnloser, Il tesoro di San Marco. Il tesoro e il museo, Florenz 1971, 74 Nr. 74. Darstellung des hl. Demetrios in den Mosaiken von Hosios Lukas: Ernst Diez – Otto Demus, Byzantine Mosaics in Greece: Daphni and Hosios Lukas, Cambridge Mass. 1931, 39. Email auf der Stephanskrone in Budapest: Wessel 1967, 113 –117 Nr. 37. Mosaikikone im Katharinenkloster auf dem Sinai: Susan A. Boyd in: Faith and Power 2004, 347 – 348 Nr. 206 . 110 Zusammenfassend zu den drei Triptychen Zacharuk 1988 , 17 –19 u. 109 –110; Anthony Cutler, Inscriptions and Iconography on Some Middle Byzantine Ivories, I. The Monuments and their Dating, in: Guglielmo Cavallo – Giuseppe de Gregorio – Marilena Maniaci (Hrsg.), Scritture, libri e testi nelle aree provinciali di Bisanzio, Spoleto 1991, II, 645 – 659, hier 651– 655. 111 Triptychon im Palazzo Venezia in Rom: Adolph Goldschmidt – Kurt Weitzmann, Die byzantinischen Elfenbeinskulpturen des X.–XII. Jh., II: Reliefs, Berlin, 1934, 33 Nr. 31; Nicholas Oikonomides, The Concept of »Holy War« and Two Tenth-Century Byzantine Ivories, in: Timothy S. Miller – John Nesbitt (Hrsg.), Peace and War in Byzantium. Essays in Honor of George T. Dennis, Washington DC 1995, 62 – 86 , hier 69 – 77; Nelson 2011– 2012 , 186 –188 . 112 Rhoby 2010, 338 . 113 Rhoby 2010, 339. 114 Rhoby 2010, 339. 115 Oikonomides, a. O. 76 . Vgl. auch Rhoby 2010, 341. 116 Goldschmidt – Weitzmann, a. O. 34 – 35 Nr. 33; Danielle GaboritChopin, in: Byzance 1992 , 233 – 236 Nr. 149; Ioli Kalavrezou in: Glory of Byzantium 1997, 133 –134 Nr. 80; Jannic Durand, in: Byzantium 2008, 400 – 401 Nr. 77. 117 Goldschmidt – Weitzmann, a. O. 34 Nr. 32; Ioli Kalavrezou in: Glory of Byzantium 1997, 131–132 Nr. 79; Guido Cornini, in: Byzantium 2008, 400 Nr. 76 . 118 Kalavrezou-Maxeiner 1985 , 95 – 96 Nr. 3; Jannic Durand, in: Byzance 1992 , 269 – 270 Nr. 175; Olenka Z. Pevny in: Glory of Byzantium 1997, 156 –157 Nr. 103; Katharina Chrubasik in: Byzanz, Pracht und Alltag 2010, 163 –164 Nr. 44. 119 Rhoby 2010 , 361– 362 (mit deutscher Übs.): Εὐαγγελικ(ῶν) μάρ[τ](υρες) θεσπισμάτ(ων) / ἀναφανέντες ἐκ περάτ(ων) τεσσάρ(ων) / ἑτομότατο πρὸ(ς) τὰ τ(ῆς) κληρουχ(ίας) / βραβεῖα τυγχάνουσιν οἱ στρατηλάτ(αι). 120 Katharina Chrubasik in: Byzanz, Pracht und Alltag 2010, 163 –164 Nr. 44; Rhoby 2010, 362 . 121 Auch hierfür ließen sich zahlreiche Beispiele anführen. Kameo im Louvre (11./12 . Jh.): Mathilde Avisseau in: Byzance 1992 , 282 Nr. 192 . Steatit-Ikone in der Eremitage Sankt Petersburg:
Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen
Iskusstvo Vizantii 1977, II, 113 Nr. 615; Vera N. Zalesskaya in: Yuri Piatnitsky, Oriana Baddeley, Earleen Brunner, Marlia Mundell Mango (Hrsg.), Sinai, Byzantium, Russia. Orthodox Art from the Sixth to the Twentieth Century, London – Sankt Petersburg 2000, 97 Nr. B77. Ikone in der Eremitage Sankt Petersburg (sp. 11. Jh.): Yuri Piatnitsky in: Glory of Byzantium 1997, 122 –123 Nr. 69; Yuri Piatnitsky in: Yuri Piatnitsky, Oriana Baddeley, Earleen Brunner, Marlia Mundell Mango (Hrsg.), Sinai, Byzantium, Russia. Orthodox Art from the Sixth to the Twentieth Century, London – Sankt Petersburg 2000, 101–102 Nr. B 85 . Steatit-Ikone im Museum von Cherson (12 . Jh.): Iskusstvo Vizantii 1977, II, 114 Nr. 616; Kalavrezou-Maxeiner 1985, 111–113 Nr. 21; Tatiana Yashayeva in: Byzanz, Pracht und Alltag 2010, 303 – 304 Nr. 376 . 122 Iskusstvo Vizantii 1977, II, 103 Nr. 592; Alice Banck, Byzantine Art in the Collection of Soviet Museums, Leningrad 1985, 353; Vera N. Zalesskaya in: Yuri Piatnitsky, Oriana Baddeley, Earleen Brunner, Marlia Mundell Mango (Hrsg.), Sinai, Byzantium, Russia. Orthodox Art from the Sixth to the Twentieth Century, London – Sankt Petersburg 2000, 74 – 76 Nr. B44; Nelson 2011– 2012 , 188 –189. 123 Dietz – Demus, a. O. 39. Allg.: Otto Demus, Byzantine Mosaic Decoration, London 1947, 26 – 29. 124 Vgl. Marcell Restle, Die byzantinische Wandmalerei in Kleinasien, Recklinghausen 1967, I, 160 –162 Nr. XLVIII. Zur Karabaş Kilise und ihrer Datierung s. Nicole Thierry, La Cappadoce de l’antiquité au moyen âge, Turnhout 2002 , 187 –190. 125 Schatz von San Marco 1984 , 179 –182 Nr. 18; Zacharuk 1988 , 59; Maria da Villa Urbani, in: Byzantium 2008, 395 Nr. 58 . 126 Nestor gewinnt erst sehr spät ein Eigenleben als Soldatenheiliger und begegnet zunächst immer in Begleitung des Demetrios: Walter 2003, 227 – 230. 127 Walter 1973 , 174 –175 , u. Walter 2003 , 78 . Vgl. hierzu auch die statistische Auswertung von John Cotsonis bei: Anthony Cutler, Inscriptions and Iconography on Some Middle Byzantine Ivories, I. The Monuments and their Dating, in: Guglielmo Cavallo – Giuseppe de Gregorio – Marilena Maniaci (Hrsg.), Scritture, libri e testi nelle aree provinciali di Bisanzio, Spoleto 1991, II, 645 – 659, hier 654 Anm. 36 . 128 Vitalien Laurent, Le corpus des sceaux de l’empire byzantine, V: L’église, I, Paris 1963, 326 – 327 Nr. 449. Demetrios hält hier ein Tragekreuz vor der Brust. 129 Die späteste Darstellung dieser Art findet sich auf einem Bleisiegel des Erzbischofs Jakobos: Laurent, a. O. Nr. 454. 130 Laurent, a. O. Nr. 1391 u. 1412 . 131 Siegel des Erzbischofs Romanos, nach 1038: Laurent, a. O. Nr. 455 . Münzen hinken dieser Entwicklung hinterher: Als Soldat taucht Demetrios zum ersten Mal auf in Thessaloniki geprägten Münzen von Alexios I. Komnenos (1081–1118) auf: DOC IV, 204 –205 Nr. 4 u. 5; Morrisson 2003, 174 –175: Diese Münzen zeigen den Heiligen mit Chlamys und Speer, wie er dem Kaiser mit seiner Rechten ein Zepter mit Doppelkreuz überreicht, oder aber den Heiligen in Chlamys mit Schwert, wie er dem Kaiser ein Labarum gibt. Danach begegnet er erst wieder auf Münzen des Despotats von Thessaloniki (1224 –1243) und auf Münzen der Kaiser Michael VIII. Palaiologos (1258 –1282), Andronikos II. Palaiologos (1282 –1328) und Andronikos III. Palaiologos (1328 –1341): Despotat von Thessaloniki: Morrisson 2003, 177–178; Michael VIII. Palaiologos: DOC V, Nr. 131–139, 155 –164, 169 –183, 191–192; Andronikos II. Palaiologos: DOC V, Nr. 717–744,
Anmerkungen
771–773, 786 –788, 811– 815, 825 – 832 , 846 – 851, 853 – 856; Andronikos III. Palaiologos: DOC V, Nr. 867– 868, 871– 881, 887– 893. 132 Miracula Sancti Demetrii I.14 §161 p. 15717 –19 Lemerle: ἄνδρα πυρράκη καὶ λαμπρὸν ἵππῳ λευκῷ ἐφεζόμενον καὶ ἱμάτιον φοροῦντα λαυκὸν. 133 Miracula Sancti Demetrii III.5 c.232 p. 1397A: Νεανίας δέ τις … τὴν ὤραν διαφανὴς, στρατιωτικῶς ἐσταλμένος ἱππότης ἐφίσταται …. 134 Vgl. Lemerle 1980/81, 3; Walter 2003 , 82 – 83 . 135 Iskusstvo Vizantii 1977, II, 112 Nr. 613; Kalavrezou-Maxeiner 1985 , 198 – 200 Nr. 124; Zacharuk 1988, 158 Kat. Nr. 189. 136 Zur Darstellung reitender Soldatenheiliger allg. Anna Chatzinikolaou, RBK II, 1971, 1057–1059 s. v. ›Heilige‹; Zacharuk 1988, 142 –187. 137 Vgl. hierzu Johannes Georg Deckers, Die Anfänge von Legende, Kult und Bild, in: Sanct Georg – Der Ritter mit dem Drachen, Freising 2001, 43 – 53, hier 49 – 51. 138 Zu den frühen Darstellungen von Reiterheiligen s. Zacharuk 1988 , 146 –147. 139 Wessel 1967, 177 –183 Nr. 55: »um 1200«; David Buckton, The Gold Icon of St Demetrios, in: Joachim Ehlers – Dietrich Kötzsche (Hrsg.), Der Welfenschatz und sein Umkreis, Mainz 1998, 277 – 286 . 140 Jean-René Vieillefond, Les pratiques religieuses dans l’armée byzan-
281
141 142 143 144
145
146 147
tine d’après les traités militaires, Revue des études anciennes 38, 1935, 322 – 330. Eric McGeer, ODB II, 1373 –1374 s. v. ›military religious services‹. Cer. I App. p. 48111–14 Reiske. Ps.–Kodinos, off. c. IV p. 19531 –19612 Verpeaux. Walter 2003, 109. Anthony Cutler, The Psalter of Basil II, Arte Veneta 31, 1977, 9 –15 (wieder abgedruckt in: Anthony Cutler, Imagery and Ideology in Byzantine Art, Aldershot 1992 , Study III); Paul Stephenson, The Legend of Basil the Bulgar-Slayer, Cambridge 2003, 51– 62 (Stephenson weist zu Recht darauf hin, dass kein bestimmtes Ereignis abgebildet ist, sondern eine allgemeine Darstellung kaiserlicher Sieghaftigkeit vorliegt); Nelson 2011– 2012 , 173 –174. Widmungsgedicht ediert bei Ihor Ševčenko, The Illuminators of the Menologium of Basil II, Dumbarton Oaks Papers 16, 1962 , 245 – 276, hier 272 Anm. 92 . Zu Basileios und Thessaloniki s. Tafrali 1919, 157 –168 . Kedrenos, Synopsis Hist. II, p. 4479 –11 Bekker: καὶ κάτεισιν εἰς Θεσσαλονίκην, ἀποδώσων τὰ εὐχαριστήρια τῷ μεγαλομάρτυρι Δημητρίῳ. Johannes Skylitzes, Synopsis Hist. p. 339 67– 69 Thurn: ἔξεισι γοῦν εἰς τὰ ἐπὶ Θρᾴκης καὶ Μακεδονίας χωρία, καὶ κάτεισιν είς Θεσσαλονίκην, ἀποδώσων τὰ εὐχαριστήρια τῷ μάρτυρι Δημητρίῳ.
VII
VIII
282
VIII
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Heilige waren keinesfalls Spielbälle politischer Protagonisten oder Instrumente durchtriebener Kultstrategen; sie wurden als eigenständige Akteure gedacht, die ihren Willen formulieren konnten, die Zustimmung signalisierten, aber auch Ablehnung deutlich machten. Zumeist geschah dies durch übernatürliche Zeichen und Wunder. Hierdurch drückte der Heilige Billigung oder Ablehnung gegenüber einer bestimmten Vorgehensweise aus. Besonders kritische Momente waren Eingriffe am Grab oder Translationen von Gebeinen. Heilige konnten sich gegen Veränderungen wehren, indem sie Umbauten unterbanden; sie konnten aber auch Umbettungen oder gar Überführungen an andere Orte billigen, indem sie sie schlicht zuließen und auf ihrer Reise Wunder bewirkten. Wenn ein Heiliger an seinem neuen Verehrungsort Übernatürliches vollbrachte, dann signalisierte er Einverständnis und Zufriedenheit mit der neuen Situation.1 Die vielleicht bedeutendsten Translationen des Mittelalters, die der Gebeine des Evangelisten Markus und des Bischofs Nikolaus von Myra, erfolgten selbstredend mit Einwilligung dieser Heiligen: Von der im Jahre 828 erfolgten Überführung der Markusreliquien nach Venedig berichtet die vor dem 11. Jh. verfasste Translatio Sancti Marci.2 Angeblich sei die Markuskirche in Alexandria von Zerstörung durch die Moslems bedroht gewesen, woraufhin zwei venezianische Kaufleute, Bonus und Rusticus, die Idee einer Überführung nach Venedig hatten. Um nicht entdeckt zu werden, ersetzte man den Markusleib in seiner Gruft durch den der hl. Claudia; außerdem bedeckte man den Heiligenkörper beim Verladen auf das Schiff mit Schweinefleisch, um die arabischen Zöllner abzuschrecken. Trotz dieser widrigen Umstände signalisierte der hl. Markus sein Einverständnis, indem er 1 Die Rückseite eines Demetriosreliquiars im Kloster Vatopedi auf dem Berg
Athos zeigt den Heiligen, der von den Stadtmauern Thessalonikis seine Lanze gegen berittene Feinde führt. Vermutlich bezieht sich die Szene auf die Tötung des Zaren Kalojan, der 1207 Thessaloniki belagerte.
Wohlduft verbreitete, der in der ganzen Stadt wahrgenommen werden konnte (Abb. 2). Auch der hl. Nikolaus wehrte sich nicht, als ihn apulische Kaufleute 1087 nach Bari brachten.3 Die verschiedenen Translationsberichte aus dem 12 . Jh. bezeugen, dass die Reliquiendiebe wenig zimperlich waren, das Grab aufbrachen und den Heiligen gegen den Willen des lokalen Klerus entwendeten. Der Heilige hatte den Eindringlingen zuvor in einer Vision zum Ausdruck gebracht, er wolle den Ort wechseln. Wieder wurde bei der Translation Wohlduft verströmt, der sich in ganz Myra ausbreitete und die lokale Bevölkerung von der traurigen Wahrheit überzeugte, dass Nikolaus freiwillig von dannen zog. Einen Heiligen gegen seinen Willen zu translozieren, war schlicht unmöglich; umgekehrt signalisierte allein die Tatsache, dass er eine Überführung geschehen ließ, sein Einverständnis. Der hl. Demetrios wollte Thessaloniki nie verlassen – jedenfalls war das die Auffassung der lokalen Bevölkerung, die diesen Willen in den Heiligen projizierte. Er wehrte sich gegen Nachforschungen, wo sich sein unterirdisches Grab befand, und präsentierte sich das ganze Mittelalter über nie als gegenwärtiger Leib, den man hätte entwenden können. Und so wurde der Thessaloniker Stadtheilige auch nie in corpore transloziert, sieht man einmal von der modernen ›Rückführung‹ von Demetriosreliquien in den Jahren 1978 und 1980 ab.4 Nie wird zuvor eine Überführung überliefert, nie erhob eine andere Kirche den Anspruch, über Primärreliquien zu verfügen. Es war Commonsense, dass Demetrios in Thessaloniki beheimatet war. Mit Erfolg scheint man durchgesetzt zu haben, dass keine Translation des Leibs erfolgte. Was man nicht verhindern konnte, war die ›Entwendung‹ heiliger Präsenz in Form von Bildern und Kontaktreliquien. So musste sich, wer auch immer des hl. Demetrios habhaft werden wollte, an Ikonen oder Teilen seines Schreins vergreifen, um auf diese Weise in den Besitz bildhafter oder materieller Vergegenwärtigungen zu kommen. Nichts illustriert dies anschaulicher als eine Geschichte, die
VIII
284
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Der Kaiser gelobt Demut für Hilfe: Alexios I. Komnenos und Demetrios
285
2 Mosaik mit der Darstellung der Überführung des Leibs des
hl. Markus von Alexandria nach Venedig (San Marco, Tonnengewölbe über der Cappella San Clemente). Heilige konnten ihre Zustimmung zu ihrer Überführung dadurch gegeben, dass sie es geschehen ließen, Wohlduft verströmten und Wunder bewirkten. Demetrios hingegen wollte Thessaloniki nie als Körperreliquie verlassen.
aus dem slawischen und russischen Raum überliefert ist:5 Wieder einmal belagerte ein heidnischer Heerführer Thessaloniki, und wieder einmal verhinderte Demetrios die Erstürmung der Stadt. Da entführte der wütende Heerführer zwei junge Thessalonikerinnen und sprach zu ihnen: »Ich höre, ihr habt einen großen Gott namens Demetrios, der viele Wunder bewirkt. Malt mir seine Erscheinung in einem Bild, sodass ich ihn verehren und meine Feinde besiegen kann.« Die beiden Frauen weigerten sich zunächst, da sie glaubten, der Heide wolle das Bild schänden. Da man sie jedoch mit dem Tod bedrohte, gingen sie schließlich verschüchtert ans Werk, fertigten ein Bild des hl. Demetrios an und fielen in Schlaf. Aber dieses Bild gelangte nicht in die Hände des heidnischen Anführers. Denn des Nachts erschien der Stadtpatron den gefangenen Frauen und brachte sie mitsamt dem Bild zu seiner Kirche in Thessaloniki.6 Die Episode lehrt zweierlei: Zum einen war man sich immer noch sicher, dass der hl. Demetrios seine Stadt verteidigte. Zum anderen fürchtete man sich auch vor Versuchen auswärtiger Feinde, über Ikonen in den ›Besitz‹ des Heiligen zu kommen. Denn jedes gemalte Bild, das ›Ähnlichkeit‹ mit dem Heiligen
beanspruchte, das also einen bestimmten Ikonentyp reproduzierte oder einen gängigen ikonographischen Typus wiedergab, war ein potentielles Vergegenwärtigungsmedium, verteilte die Gegenwart des Heiligen. Genau deshalb beließ es der hl. Demetrios auch nicht dabei, die beiden Frauen nach Thessaloniki zurückzubringen. Auch das von ihnen gemalte Heiligenbild musste mitgenommen werden, damit der feindliche Heerführer der Gegenwart des Heiligen nicht teilhaftig werden konnte.
Der Kaiser gelobt Demut für Hilfe: Alexios I. Komnenos und Demetrios Im späteren 11. Jh. waren die Bedrohungsszenarien ganz andere. Immer wieder griffen die Normannen, die in Süditalien und Sizilien Fuß gefasst hatten, Byzanz an, wobei sie stets versuchten, über Nordgriechenland nach Thessaloniki und Konstantinopel zu gelangen (Abb. 3).7 Als der noch junge Kaiser Alexios I. Komnenos (1081 – 1118) auf den Thron gekommen war, war es wieder soweit. Der Normannenher-
3 Im späten 11. Jh. beschränkte sich das byzantinische Reich nur mehr auf wenige Teile Kleinasiens, Thrakien, den Balkanraum und Griechenland. Gefahr erwuchs den Byzantinern von den Normannen in Süditalien und Sizilien. Sie drangen über Nordgriechenland bis nach Thessaloniki vor.
zog Robert Guiskard (1058 – 1085) eroberte Dyrrhachion, das heutige Durrës in Albanien, und nutzte die Stadt als Basis für Feldzüge bis nach Makedonien. Ein Aufstand in Apulien zwang ihn zurück in die Heimat, während er seinen Sohn Bohemund mit dem Oberbefehl über die Truppen in Griechenland zurückließ. In den Tagen vor der entscheidenden Schlacht bei Larissa 1082 hatte Kaiser Alexios, erschöpft von den Anstrengungen des Tages, eine Traumvision: Er wähnte sich in der Kirche Hagios Demetrios und glaubte von einer der dort befindlichen Ikonen eine Stimme zu hören, mit der ihm der Märtyrer versicherte, »morgen siehst du«. Der Kaiser, hocherfreut über diesen Zuspruch, versprach daraufhin dem Heiligen, er werde im Falle eines Siegs über die Feinde nach Thessaloniki kommen, jedoch bereits einige Stadien vor der Stadtmauer von seinem Ross steigen und zu Fuß in die Stadt einziehen (Text 1).8 Dass der Kaiser den hl. Demetrios um Beistand anrief, muss nicht verwundern, bedrohte der Normannenfeldzug doch vor allem Thessaloniki, und eine Allianz zwischen Ale-
xios I. und dem Stadtpatron Thessalonikis bot sich geradezu an. Was hingegen auffällt, ist die ausgeprägte Demutsgeste, die der Kaiser dem Heiligen anbot: Es sollte im Falle eines Siegs keinen triumphalen Einzug geben, vielmehr wollte sich der Kaiser der Stadt zu Fuß nähern und direkt Hagios Demetrios aufsuchen! Um die Bedeutung dieses Gelübdes zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass Herrscher und hohe Beamte – als Vertreter von Herrschern – stets zu Pferd in eine Stadt einzogen, wie das auch auf dem Fresko im äußeren südlichen Seitenschiff von Hagios Demetrios zu sehen ist (Kap. VII Abb. 10).9 Der eigentliche Sinn des Einzugs zu Pferde, der keinesfalls jedem erlaubt war, war die symbolische Einnahme der Stadt, die man so als eigenen Herrschaftsbereich definierte.10 Nicht zufällig hatten sich kaiserlicher Adventus als ›einfache‹ Ankunft und der Triumph als Einzug eines Siegers seit der Spätantike weitgehend miteinander vermischt. Nun wurde aus jedem Besuch des Kaisers der feierliche Aufmarsch eines Siegers.11 Wenn nun Alexios auf dieses kaiserliche Privileg verzichtete, ordnete er sich für alle sichtbar der eigentlichen siegesspendenden Kraft unter: dem hl. Demetrios. Ein Kaiser, der sich zu Fuß durch die Stadt bewegte und nach Hagios Demetrios ging, trat nicht als siegreiche Instanz auf, sondern als ausführendes Organ des Thessaloniker Stadtpatrons.
VIII
VIII
286
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Der Kaiser gelobt Demut für Hilfe: Alexios I. Komnenos und Demetrios
287
5a
4 Silbermünze Alexios’ I. Komnenos, geprägt in Thessaloniki zwischen 1082 und 1087. Auf der Vorderseite erscheint das Brustbild Christi, während auf der Rückseite der hl. Demetrios zu sehen ist, der gemeinsam mit dem Kaiser ein Doppelkreuz hält.
Die erfolgreiche Abwehr des normannischen Einfalls hatte bei Alexios eine besonders ausgeprägte Demetriosverehrung zur Folge. Unter seiner Herrschaft wurden in Thessaloniki Münzen geprägt, deren Rückseite den Kaiser zusammen mit dem Heiligen zeigt. Demetrios, im militärischen Panzer und mit dem Schwert bewaffnet, überreicht dem Kaiser ein Labarum oder ein Kreuz als Ausweis künftiger Siege (Abb. 4).12 Es sind dies die ersten Münzen überhaupt, die den hl. Demetrios zeigen. Sie dokumentieren, in welchem Maß Alexios im Kampf gegen die Normannen auf den Stadtheiligen Thessalonikis vertraute, wie sehr er tatsächlich erfolgte Siege auf das Einwirken des Heiligen zurückführte.13 Daher erstaunt es auch nicht, wenn überlie-
fert wird, der Kaiser habe am 26. Oktober des Jahres 1107 das Demetriosfest in Thessaloniki besucht.14 Anlass für diese Aufwartung dürfte nicht nur die glückliche Geburt eines porphyrgeborenen Neffen, sondern auch ein weiterer Einfall Bohemunds von Tarent im Jahre 1107/08 gewesen sein, der erfolgreich abgewehrt werden konnte.15 Alexios’ Verehrung ging aber noch weiter: Er war im Besitz einer goldenen Demetriosikone, die vermutlich im Palast zu Konstantinopel aufbewahrt wurde. Manuel Straboromanos, ein hoher Beamter unter Kaiser Alexios, verfasste ein Gedicht mit dem Titel »(Gedicht) des Herrn Manuel Straboromanos – in Vertretung des Kaisers Alexios Komnenos – auf den heiligen Demetrios, der aus Gold in einem Mantel dargestellt ist, den er über den Schultern trägt und der ἐπανωκλίβανον (wörtl.: über dem Panzer) genannt wird«.16 Auf diese Überschrift folgen wenig spezifische Dankgebete des Kaisers und seiner Gemahlin Eirene Dukaina an den Thessaloniker Märtyrer.
5b
5c
1. Kaiser Alexios i. Komnenos verspricht dem hl. Demetrios demütige Verehrung im Falle eines Siegs über die Feinde: Als aber die Sonne untergegangen war und sich der Basileus erschöpft von den Strapazen, die er den ganzen Tag über ertragen hatte, schlafen gelegt hatte, erschien ihm ein Traumbild. Es war ihm, als stehe er im Heiligtum des Großmärtyrers Demetrios und höre eine Stimme: »Gräme dich nicht und seufze nicht, morgen siehst du.« Die Stimme aber, so glaubte er, dringe von einer der im Heiligtum hängenden Ikonen an sein Ohr, auf welcher der Großmärtyrer Demetrios abgebildet war. Als er dann aufwachte und voller
Freude war wegen dieser Äußerung des Traumbildes, rief er den Märtyrer an und brachte ihm ein Gelübde dar: Wenn es ihm zuteilwerde, einen Sieg über die Feinde zu erringen, werde er an eben jenen Ort kommen und bereits eine ganze Anzahl von Stadien vor der Stadt Thessaloniki nicht mehr zu Pferde sitzen, sondern zu Fuß ausschreiten und so zu ihm wallfahren, um ihn fußfällig zu verehren. (Anna Komnene, Alexias V 5.6 p. 15556 –156 66 Reinsch – Kambylis. Übersetzung Reinsch 1996, 179 –180)
5a–c Verschiedene normannische follari, die nach der Nordgriechenlandkampagne 1147 geprägt wurden. Die in Messina und Bari geprägten Münzen zeigen
auf der Vorderseite den hl. Demetrios als bewaffnete Ganzfigur oder als Brustbild. Auf der Rückseite finden sich arabische Inschriften und das Kreuzzeichen.
VIII
VIII
288
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
6a–b Cappella Palatina in Palermo (1132-1140 ): Von Roger II. als Hofkapelle
errichtet, ist der Bau reich mit Mosaiken ausgestattet, die sich an byzantinischen Vorbildern orientierten. Gegenüber der nördlich der Vierung gelegenen Herrscherloge ließ man verschiedene Heilige, darunter Demetrios anbringen, was die besondere Wertschätzung für den Patron Thessalonikis verdeutlicht.
Gold und Silber statt Körperreliquien: Die Normannen plündern Thessaloniki Die normannischen Angriffe auf das Byzantinische Reich ließen nicht nach.17 1147 wurde auf Befehl Rogers II. (1130 –1154) Korfu angegriffen und eingenommen. Von hier setzten die Normannen auf die Peloponnes über, plünderten Athen und drangen nach Norden bis Theben vor. Zwar gelang weder die Einnahme Thessalonikis noch der Versuch, Konstantinopel zu erreichen, doch scheint man die Kampagne durchaus als erfolgreich verbucht zu haben. Denn nun prägte man in Bari und Messina Münzen, die den hl. Demetrios zeigen. Auf verschiedenen Serien von follari, die nach der erfolgreichen Kampagne in Nordgriechenland 1147 entstanden, erscheint er als Brustbild oder als Vollfigur mit griechischer Beischrift (Abb. 5a–c).18 Auch in die Cappella Palatina, die normannische Palastkapelle in Palermo,
fand Demetrios neben anderen byzantinischen Soldatenheiligen Eingang: Direkt gegenüber der Königsloggia, in einer eigentlich nur für den Herrscher sichtbaren Position, findet sich ein Mosaik mit Darstellungen der Soldatenheiligen Theodor Tiron, Demetrios, Nestor und Merkurios sowie des Bischofsheiligen Nikolaus (Abb. 6 –7).19 Die Bedeutung dieser Anordnung erschließt sich erst im Vergleich mit dem Mosaikdekor der annähernd gleichzeitigen Kirche der Martorana (Santa Maria dell’Ammiraglio, Abb. 8): Hier hat man – wie auch in der Cappella Palatina – die wichtigsten östlichen und westlichen Heiligen auf den Unterzügen der Vierungsbögen verteilt, ohne Demetrios und anderen Soldatenheiligen eine Sonderrolle einzuräumen.20 In den Mosaiken des Doms von Cefalù, ebenfalls unter Roger II. gefertigt, kam wiederum eine deutliche Wertschätzung einer kleinen Gruppe byzantinischer Militärheiliger zum Ausdruck: Hier waren Theodor Tiron, Georg, Demetrios und Nestor die einzigen byzantinischen Kriegerheiligen, die in den Mosaiken des Altarbereichs abgebildet wurden.21 Doch nur in der Cappella Palatina waren die Mosaiken mit den Soldatenheiligen direkt auf den Normannenkönig berechnet: Unsichtbar für alle anderen, traten sie ihm entgegen, wenn er seine Loge betrat, und versicherten ihn ihres Beistands.
Gold und Silber statt Körperreliquien: Die Normannen plündern Thessaloniki
Und wie es schien, schlugen sie sich tatsächlich auf die Seite des Normannenkönigs im Kampf gegen Byzanz, denn 1185 sollte schließlich die Eroberung Thessalonikis glücken. Wilhelm II. (1166 –1189) überrannte die Festung Dyrrhachion und zog von hier ohne Widerstand durch Nordgriechenland, während die Flotte den Weg um die Peloponnes nahm. Im August trafen sich beide Teile der Streitmacht vor Thessaloniki. Nach kurzer Gegenwehr stürmten die Normannen am 24. desselben Monats die Stadt und plünderten ihre Reichtümer.22 Allerdings blieb die normannische Herrschaft nur eine kurze Episode: Nach militärischen Misserfolgen und Niederlagen gegen das byzantinische Heer mussten sie die Stadt schon ein Jahr später aufgeben. Angeblich ging die Flotte in einem Sturm und einem anschließenden Seegefecht unter, während an den verbliebenen Normannen grausame Rache geübt wurde. Nun waren sie es, die auf den Straßen der Stadt wie Vieh abgeschlachtet wurden. Eroberung und Plünderung Thessalonikis werden von einem Augenzeugen, Erzbischof Eustathios, überliefert. Wie die Vandalen hätten die Normannen in der Stadt gehaust, alle Reichtümer an sich gerissen und wahllos Menschen getötet. Nicht einmal vor der Kirche des hl. Demetrios machten sie halt, und selbst der Schrein des Heiligen drohte von ihrer Habgier zerstört zu werden:23 »Was ich aber weiter oben erzählt habe, wird einen Tränenstrom auslösen, so wie das Schicksal des Myronspenders. Über sein Grab fielen sie voll Hohn mit Äxten her, die sie selbst zur Strafe verdient hätten, schlugen den Silberschmuck rings von der Oberfläche herunter, nahmen dem Heiligen die goldene Krone (χρύσεον στέφανον) vom Kopf und entfernten auch einen seiner Füße, um einer schnelleren Strafe von seiner Seite zu entgehen. Sie hätten ihr Werk ganz zu Ende geführt, wäre nicht die Gottheit ihnen entgegengetreten und hätte die Besseren unter den Barbaren schnell herbeigeführt, um das Unheil zu verhindern. Ein Eunuch des Königs, im Rang eines Emirs, ein energischer, temperamentvoller Mann, der jemandem, den er grob anherrschte, einen gewaltigen Schrecken einjagen konnte, galoppierte unversehens mitten in die Kirche hinein. … Diejenigen, die das heilige Grab überfallen wollten, trieb er zurück, wie es ihnen bestimmt nicht
7a–b Beim Gottesdienst blickte der Normannenkönig von seiner Loge in der Cappella Palatina auf Mosaiken mit Soldatenheiligen, darunter die hll. Demetrios und Nestor, die als Halbfiguren dargestellt sind.
289
VIII
VIII
290
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
8 Anders als in der Cappella Palatina werden Demetrios und die anderen byzantinischen Soldatenheiligen in der etwa gleichzeitigen Martorana (Santa Maria dell’Ammiraglio) in den Unterzügen der Kuppelvierung gezeigt.
erwünscht war. Sie konnten nur als Beute behalten – das war allerdings unermesslich viel! –, was sie vor seiner Ankunft geraubt hatten.« Jahrhunderte nach der Eroberung Thessalonikis durch die Araber war es auswärtigen Feinden erneut gelungen, die Stadt einzunehmen und zu plündern. Für die Bürger Thessalonikis stellte sich abermals die Frage: Wie konnte ihr Stadtpatron dies zulassen? Wie war es den Feinden Thessalonikis möglich, sich einer Stadt zu bemächtigen, die unter dem Schutz des hl. Demetrios stand? Eustathios hielt hierfür die Allerweltsantwort bereit, die man immer wieder in solchen Situationen hört, nämlich dass es sich um eine Strafe Gottes handelte, dass sich die Einwohner Thessalonikis versündigt hätten und die Normannen als Werkzeuge eines strafenden Gottes über die Stadt herfielen.24 Vor allem aber habe sich der Heilige zum Zeitpunkt der Eroberung gar nicht in der Stadt aufgehalten:25 »Zuerst kündigten unsere zukünftigen Leiden die Träume redlicher Männer an, wie sie auch die Heilige Schrift als Vorzeichen für die Zukunft kennt. Wir aber lachten darüber, bagatellisierten die
Offenbarungen des Schlafs und lehnten es ab, eine genaue Auslegung des Schauspiels und der übrigen Traumbilder zu suchen. Dieselben Männer sahen, dass der Myronspender nicht in unserer Stadt weile und erst bei der Eroberung sie wieder betreten werde. Aber wir glaubten das nicht. Als ihn nämlich die Gläubigen dringend um Hilfe angingen, enthüllte er ihnen vorausschauend, die Furcht vor der Gewaltherrschaft sei zwecklos. Denn nicht sofort, aber in drei Tagen werde sie kommen. Der vierte Tag nach den dreien aber war der Tag der Zerstörung. Immer wieder flehten wir ihn an: ›Komm und rette uns, damit die Heiden nicht sagen: Wo ist der Schutzheilige der Stadt?‹ Er aber hörte nicht darauf, sondern zog sich zurück.« Nicht einmal die Drohung, die Normannen würden den Heiligen verspotten, konnte den Stadtpatron umstimmen; Demetrios sah einfach weg. Eustathios’ Bericht von der Plünderung Thessalonikis ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zwar lässt er keine Gelegenheit ungenutzt, die Normannen als gottlose Frevler hinzustellen, doch wird nirgends erwähnt, dass die Eroberer Heiligenreliquien an sich rissen. Auch in der Kirche Hagios Demetrios vergriff man sich nicht am Heiligen selbst, sondern an der Verkleidung seines Schreins: Man entfernte gewaltsam das Silber, einen Kranz – vermutlich eine Art Kronleuchter über dem Schrein – und einen Fuß. Damit
Der hl. Demetrios als Schutzheiliger des bulgarischen Aufstands
9 Veliko T’rnovo: Kirche des hl. Demetrios. In der inzwischen sehr stark restaurierten Kirche erfolgte im Jahre 1185 die Ausrufung des bulgarischen Aufstands
gegen den byzantinischen Kaiser. Angeblich sei der hl. Demetrios nach Bulgarien gekommen, um dieses Ansinnen zu unterstützen.
ist aber keinesfalls eine Fußreliquie gemeint, sondern der Teil einer Metallarbeit, die den hl. Demetrios darstellte.26 Vermutlich war es nicht nur bloße Gier nach Edelmetall, welche die Normannen den Schrein plündern ließ. Was Eustathios in seinem verständlicherweise polemischen Bericht als gewaltsame Plünderung der Edelmetallverkleidung des Demetriosgrabs schildert, war wohl nichts anderes als eine – wenn auch unter den Normannen selbst umstrittene – letztlich religiös motivierte Fortnahme von Kontaktreliquien. Wenn schon der Leib nicht zur Verfügung stand, welche Reliquien konnten da eine höhere Wertschätzung haben als Teile des Heiligenschreins, den der Kaiser kurz zuvor hatte erneuern lassen?27 Eustathios verschweigt natürlich jede auch nur ansatzweise positive Absicht der Normannen; für ihn waren sie gottlose Plünderer. Warum aber verjagte der Titelheilige die Eindringlinge nicht? Wieso musste ausgerechnet ein feindlicher Befehlshaber zu Pferd seine Soldaten davon abhalten, den Schrein restlos auszurauben?
291
Der hl. Demetrios als Schutzheiliger des bulgarischen Aufstands Nicht nur für Einheimische, auch für auswärtige Beobachter dieser Ereignisse stand in jenen Tagen fest: Der hl. Demetrios hatte Thessaloniki seinen Schutz versagt, weil er das Interesse an der Stadt verloren, weil er sie verlassen hatte. So ist es gewiss kein Zufall, dass sich nur wenige Wochen nach der Eroberung Thessalonikis durch die Normannen, am 26. Oktober, also am Demetriostag des Jahres 1185, folgendes zutrug: In T’rnovo, der künftigen Hauptstadt des Bulgarenreichs, wurde von den Brüdern Peter und Asen der Aufstand gegen den byzantinischen Kaiser ausgerufen.28 Schauplatz der Proklamation war die eben erst fertiggestellte Demetrioskirche, ein kleiner einschiffiger Kuppelbau, der sich – wenn auch schwer restauriert – bis heute erhalten hat (Abb. 9).29 Um das riskante Vorhaben zu legitimieren, setzte man folgende Behauptung in Umlauf: Gott habe die Freiheit des bulgarischen Volkes beschlossen, und aus diesem Grund habe der hl. Demetrios seine Mutterkirche in Thessaloniki verlassen. Nun sei er nach Bulgarien gekommen, um die dortige Bevölkerung in ihrem Freiheitskampf zu unterstützen. Selbst byzantinische Geschichtsschreiber mussten anerkennen, dass den Bulgaren ein ganz besonderer Schach-
VIII
VIII
292
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
10 Siegel Ivans I. Asen (1189 -1196 ). Die Rückseite des Siegels des Bulgaren-
herrschers zeigt den hl. Demetrios in Rüstung mit Speer und Schild.
zug gelungen war. Niketas Choniates findet hierfür folgende Worte:30 »Ich darf hier auch das folgende nicht unerwähnt lassen: Die Vlachen (= Bulgaren) sträubten sich zuerst gegen den Aufstand, zu dem Peter und Asen sie aufriefen, denn sie hatten Bedenken und Angst vor der Größe des Unterfangens. Um ihren Landsleuten die Kleinmütigkeit zu nehmen, erbauten die beiden Brüder dem berühmten Märtyrer Demetrios eine Kirche und versammelten in ihr viele von Dämonen besessene Weiber und Männer, die blutunterlaufene, verdrehte Augen und aufgelöste Haare hatten und deren ganzes übriges Benehmen so war, wie es bei Besessenen ist. Diesen Leuten schärften sie ein, sie sollten in Verzückung verkünden, dass Gott gnädig von den Bulgaren und Vlachen das langjährige Joch nehmen und ihnen die Freiheit gewähren wolle und dass aus diesem Grunde auch der Blutzeuge Christi Demetrios die Metropole Thessaloniki und seine dortige Kirche verlassen habe, sich nicht mehr bei den Rhomäern aufhalte, sondern zu ihnen gekommen sei, um ihnen bei dem bevorstehenden Werk beizustehen.« Angeblich hatte man also dem Heiligen eine Kirche errichtet und dort Verrückte versammelt, die in prophetischem Wahn vorgeben sollten, der Heilige würde nicht mehr die Byzantiner, sondern die Bulgaren unterstützen. Um den Heiligen ›erfolgreich‹ von Thessaloniki nach T’rnovo zu locken, wurde zudem eine Demetriosikone in die bulgarische Hauptstadt transferiert. Dies wiederum legt ein Epigramm nahe, in dem der Autor, Theodoros Balsamon, den Kaiser Isaak II. Angelos (1185 – 1195 und 1203 – 1204)
Der hl. Demetrios als Schutzheiliger des bulgarischen Aufstands
293
folgende Worte sprechen lässt:31 »Ich habe Dich gefunden, versteckt in der Dunkelheit der Bestimmung in dem steinernen Herzen der Aufständigen. Wie eine Rose inmitten eines Dornenbuschs, wie ein Edelstein unter lauter Kieselsteinen, wie Trinkwasser für die Menschen, das aus einem Fels fließt, suche ich Dich und sehne ich mich nach Dir, Perle«.32 Das Epigramm trägt den Titel: »Auf den Heiligen Demetrios, der von dem Kaiser in dem Haus des abtrünnigen Sthlavopetros gefunden wurde.« Wie muss man das Epigramm verstehen? Kaiser Isaak unternahm im Jahr nach Beginn des Aufstands einen Feldzug gegen die Bulgaren, bei dem ihm die Ikone in die Hände fiel. Offenbar hatten Peter und Asen auf ihren Kriegszügen eine Demetriosikone mit sich geführt, um sich der Hilfe ihres ›Sezessionspatrons‹ zu versichern, und eben diese Ikone war wieder in kaiserliche Hände gefallen.
Der hl. Demetrios und die Slawenmission Als die Brüder Peter und Asen den Aufstand gegen Byzanz ausriefen und Demetrios zum Schutzpatron ihrer Erhebung erkoren, war die Verehrung des Thessaloniker Heiligen schon lange im slawischen Raum etabliert.33 Die missionierenden Brüder Kyrillos und Methodios stammten aus Thessaloniki und mussten mit dem Kult des Demetrios vertraut sein.34 Der älteste erhaltene kirchenslawische Text der Μenaia, also eines liturgischen Kalenders für das gesamte Kirchenjahr, enthält für den 26. Oktober bereits einen Kanon auf den hl. Demetrios. Vermutlich handelt es sich dabei um einen Text, der auf den hl. Methodios zurückgeht und somit im 9. Jh. verfasst wurde.35 Obwohl fern von Thessaloniki, sehnte sich der Verfasser die Fürsprache des Heiligen herbei:36 »Erhöre uns, o Ruhmreicher, die wir arm sind und dir gehören, und erbarme dich unser, da wir fern von deiner strahlenden Kir-
11a Goldhyperpyron Ivans II. Asen (1218 –1241): Die Vorderseite zeigt den stehenden Christus mit der slawischen Beischrift »König des Ruhms«. Auf der Rückseite sieht man den stehenden Zar Ivan, der vom hl. Demetrios bekrönt wird.
11b Goldsiegel Ivans II. Asen (1218-1241): Das einzigartige Goldsiegel zeigt
che sind. Und unser Herz brennt in uns, und wir sehnen uns danach, Heiliger, eines Tages in deiner Kirche zu sein, um dort unser Gebet zu verrichten. Warum, o Allwissender, wurden wir arme Diener deines strahlenden Glanzes beraubt und ziehen, o Gesegneter, aus Liebe zu unserem Schöpfer durch fremde Länder und Städte wie Krieger, die für die Erniedrigung der Dreisprachigen und Häretiker kämpfen?« Fast gewinnt man den Eindruck, die Slawenmission sei unter dem Schutz des Thessaloniker Stadtheiligen erfolgt. Kurz vor seinem Tod soll Methodios am Festtag des Demetrios eine Liturgie zu Ehren des Heiligen zeleb-
riert haben.37 Wenig später, im Jahr 916, verfasste Klemens von Ochrid, ein Schüler der Slawenapostel Kyrillos und Methodios, ein Enkomion auf den Heiligen in altbulgarischer Sprache.38 Und schließlich darf man nicht vergessen, dass es spätestens seit dem 11. Jh. in Sirmium wieder ein bedeutendes Demetrioskloster gab, das vermutlich an eine ältere Kulttradition an diesem Ort anknüpfte.39 Demetrios bot sich somit in idealer Weise als ›Schutzheiliger‹ des Aufstands der Brüder Peter und Asen an: Seine Verehrung war im bulgarischen Bereich fest verankert, und schließlich hatte er doch eben seine Heimatstadt Thessaloniki aufgegeben!
auf der Vorderseite den auf einem lehnenlosen Thron sitzenden hl. Demetrios, während auf der Rückseite der stehende Herrscher abgebildet ist.
VIII
VIII
294
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Der enorme Aufschwung, den der Demetrioskult nach 1185 in Bulgarien erfuhr, aber auch die Vereinnahmung des Heiligen durch die dortigen Herrscher werden durch die Ikonographie der Münzen und Siegel der Aseniden bezeugt:40 Siegel Ivans I. Asen (1189 – 1196) zeigen auf der Rückseite den stehenden Heiligen in Rüstung mit Speer und Schild (Abb. 10).41 Auch Ivan II. Asen (1218 – 1241) ließ Münzen und Siegel prägen, die den Heiligen in verschiedenen ikonographischen Zusammenhängen präsentieren. Ein Goldhyperpyron, geprägt in Ochrid oder in Thessaloniki, zeigt auf der Vorderseite den stehenden Christus, begleitet von der slawischen Beischrift »König des Ruhms«. Die Rückseite zeigt Ivan, der von Demetrios bekrönt wird (Abb. 11a).42 Auf einem Trachy desselben Herrschers erscheint Demetrios in Panzer und Paludamentum, wie er gemeinsam mit Ivan einen Stab mit Sternkreuz hält.43 Ein einzigartiges Goldsiegel ebenfalls Ivans II. zeigt auf der Vorderseite Demetrios mit dem Schwert auf einem lehnenlosen Thron, während auf der Rückseite der Zar im Loros mit Kreuzglobus und Labarum abgebildet ist (Abb. 11b).44 Keine Frage: die Herrschaftslegitimation der Aseniden gründete offensichtlich in erheblichem Maße auf dem hl. Demetrios; der Stadtheilige Thessalonikis wandelte sich zum Schutzheiligen der Asenidendynastie. Man ging bei der Bulgarisierung des Heiligen so weit, dass in einer etwas späteren populären Demetriosvita behauptet wurde, der Vater des Heiligen sei Bulgare gewesen:45 Dieser Version zufolge seien unter der Herrschaft des Kaisers Maximian die beiden Apostel Petrus und Paulus nach Thessaloniki gekommen. Maximian habe den dortigen bulgarischen (!) Statthalter Theodor beauftragt, die beiden aufzunehmen. In einem Gespräch mit den beiden Apostelfürsten erfuhr Theodor, dass er einen Sohn haben werde, der in Ewigkeit über Thessaloniki herrschen werde: Demetrios!
Demetrios’ Rückkehr nach Thessaloniki: Die Lanzentötung des Zaren Kalojan Dieser Inanspruchnahme des Heiligen durch Angehörige fremder Kulturkreise musste entgegengesteuert werden. Gelegenheit hierzu bot die Belagerung der Heimatstadt des Demetrios durch das Heer des Bulgarenzaren Kalojan im Jahre 1207, also während der Herrschaft des lateinischen Markgrafen und Königs von Thessaloniki, Bonifaz von
Montferrat (1204 –1207).46 Während des Sturmangriffs auf die Stadt starb Kalojan plötzlich eines unnatürlichen Tods. Die Umstände seines Ablebens sind nicht geklärt; vielleicht wurde er von einem anderen bulgarischen Vojvod namens Manastras getötet.47 Die Thessaloniker hatten jedenfalls sofort eine Erklärung parat und führten den Tod ihres Feindes auf das Eingreifen des Stadtpatrons zurück. Kalojan war der Legende nach mit unzähligen Kriegern bis vor die Stadt gezogen und rief im Angesicht Thessalonikis den hl. Demetrios an:48 »Sveti Dimitrie, wenn es mir gelingt, diese Stadt zu zerstören, werde ich dir ein schönes Kloster errichten.« In der Nacht vor dem Angriff sei der hl. Demetrios Kalojan als Krieger auf einem weißen Pferd erschienen und habe ihn mit einer Lanze tödlich verwundet.49 Zweifellos war es die Absicht dieser Legende zu zeigen, dass die Verteidigungskraft des Heiligen wiederhergestellt, dass Demetrios nie zu den Bulgaren übergelaufen war.50 Sogar unter den lateinischen Kreuzrittern kursierte bald die Erzählung vom Stadtheiligen Thessalonikis, der den Bulgarenzar mit einer Lanze erstach (Text 2).51 Vielleicht ist es kein Zufall, dass sich die Episode auch in westlichen Quellen findet, waren doch die Montferrat durch das Eingreifen des Stadtheiligen auf ihrer Seite als Herrscher Thessalonikis legitimiert.52 Bald wurde die Episode den anderen Wundern hinzugefügt und tauchte schließlich in der Bildkunst auf.53 So zeigt das Demetriosreliquiar im Kloster Vatopedi auf dem Berg Athos nicht nur Szenen der Passion und der Wunder des Heiligen; die gesamte Unterseite wird eingenommen von der Darstellung einer Speertötung (Abb. 1).54 Inmitten einer befestigten Stadt erscheint der Heilige in militärischer Rüstung, mit Lanze und Schild. Vor der Stadt befinden sich drei Reiter, von denen einer von seinem Pferd zu Boden gleitet. Da Demetrios’ Lanze in seine Richtung zielt, ist klar, dass es sich um einen Feind Thessalonikis handelt, der soeben von dem Stadtpatron getötet wurde. Denkbar wäre, dass es sich – unter Bezug auf die Miracula Sancti Demetrii – um eine Szene handelt, in der Demetrios die Stadt gegen die Slawen und Awaren verteidigt.55 Allerdings ist hier nie von der Lanzentötung eines Angreifers die Rede. Auch fehlt die Szene in den überlieferten Demetrioszyklen.56 Die Prominenz der Darstellung, welche die gesamte Unterseite des Reliquiars einnimmt, lässt vielmehr vermuten, dass auf das bedeutende zeitgenössische Ereignis der Lanzentötung Kalojans Bezug genommen wurde. Vielleicht erachtete man es deshalb nicht für nötig, eine erläuternde Beischrift zu geben.57
Demetrios’ Rückkehr nach Thessaloniki: Die Lanzentötung des Zaren Kalojan
12a–b Gleich drei Reiterheilige erscheinen auf der Westfassade der Klosterkirche von Dragalevzi, die ihre Ausmalung um 1500 erhielt: der drachentötende hl. Georg im zentralen Bogenfeld, der hl. Merkurios im Kampf mit dem Kaiser Julian (rechts) und der hl. Demetrios, der mit seiner Lanze den Bulgarenzar Kalojan ersticht (links).
Letztlich konnten sich auch die Bulgaren nicht der Faszination entziehen, welche die Geschichte von der Lanzentötung Kalojans ausübte: Die Fresken des Klosters von Dragalevci aus dem späten 15. Jh. zeigen Demetrios zu Pferde, der die Lanze gegen den niedergestreckten Kalojan führt, der in der begleitenden Inschrift abwertend »Skalojan« genannt wird (Abb. 12a–b).58 Weder hat man hier ›übersehen‹, dass in dieser Szene Demetrios Waffen gegen einen Bulgaren richtet, noch hat man eine griechische Vorlage sklavisch kopiert.59 Unabhängig von der Herkunft des Besiegten hat man eben jene Qualität des Heiligen verbildlicht, die am meisten faszinierte: das kompromisslose Eintreten für seine Schutzbefohlenen.60
295
VIII
VIII
296
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
2. Der hl. Demetrios tötet den Bulgarenzar Kalojan: Nicht lange danach fielen Johannes der Vlache und die Kumanen in das Land des Markgrafen von Thessaloniki ein. Und der Markgraf befand sich in seinem Land und schließlich kämpfte er gegen die Vlachen und Kumanen, und er wurde in dieser Schlacht getötet und seine gesamten Leute besiegt. Daraufhin belagerten Johannes der Vlache und seine Kumanen Thessaloniki und errichteten ihre Maschinen, um die Stadt zu belagern. Und die Frau des Markgrafen war in der Stadt verblieben ebenso wie Ritter und andere Leute, um die Stadt zu verteidigen. Nun lag in der Stadt der Leib (cors) des Herrn und Heiligen Demetrios, der es nicht erdulden wollte, dass die Stadt mit Gewalt eingenommen werde. Und von diesem heiligen Körper floss solch eine Menge von Öl, dass es ein Wunder war. Und so geschah es, dass Johannes eines Morgens in seinem Zelt lag, als der Herr und Heilige Demetrios kam, ihm eine Lanze in den Körper stieß und ihn tötete. Als seine eigenen Leute und die Kumanen erfuhren, dass er tot war, zogen sie ab und begaben sich in ihr Land. (Robert de Clari, La conquête de Constantinople 116, ed. Charles Hopf, Chroniques Gréco-Romains inédites ou peu connues, Berlin 1873, p. 83 – 84)
Die Abdeckung des Demetriosschreins gelangt nach Konstantinopel Der Versuch, den hl. Demetrios zu entführen, war gescheitert. Zwar war der Aufstand der Aseniden durchaus erfolgreich, doch steuerte man in Thessaloniki der Vorstellung, der Heilige habe die Stadt verlassen, sowohl mit weiteren Wunderlegenden als auch mit Bildern erfolgreich entgegen. Auswärtige Verehrung wurde akzeptiert, die Vereinnahmung durch Fremdvölker bekämpft. Der Heilige mochte seine Stadt zwar gelegentlich bestrafen, war aber fest in ihr verankert. Schon die auswärtige Aneignung originaler Ikonen oder bedeutender Kontaktreliquien war überaus problematisch. Diese Erfahrung musste auch der Kaiser in Konstan-
tinopel machen: Er hatte sich damit abgefunden, keine Körperreliquien für seine Hauptstadt zu erhalten, die doch voll war mit wertvollen Heiltümern, und so hatte man sich mit Ikonen und Kontaktreliquien zu begnügen, die den Heiligen im Palast und in den Kirchen der Stadt präsent hielten. Eine wundertätige Mosaikikone scheint sich bereits im 10. Jh. in einer Kirche der Muttergottes im Oikonomeion befunden zu haben.61 Ein blinder Mann soll hier von Demetrios, der gleichsam aus seinem Bild gestiegen war, geheilt worden sein.62 Manche der Demetriosikonen verfügten wie der Heilige selbst über die Gabe, Myron abzusondern. Robert von Clari, ein Teilnehmer des vierten Kreuzzugs, der sich 1204 in Konstantinopel aufhielt, berichtet, er habe in der Pharoskapelle im Kaiserpalast eine gemalte Demetriosikone gesehen, die so viel Öl absonderte, »dass man nicht wusste, wie man es auffangen sollte«.63 Im Kaiserpalast scheint man zudem eine Reliquie aus der Zeit des Martyriums des Heiligen verwahrt zu haben. Nikolaus von Thingeyrar, ein isländischer Abt, der sich vor der Eroberung 1204 in Konstantinopel aufgehalten hat, listet unter anderem auch den Reliquienschatz des Kaiserpalastes auf und erwähnt das »Gewand des Märtyrers Demetrios«.64 Aber die Kaiser trachteten nach mehr. Johannes II. Komnenos (1118 –1143) dürfte schon bald nach seinem Regierungsantritt den Entschluss gefasst haben, an der Stelle einer älteren karitativen Einrichtung in Konstantinopel eine Klosteranlage zu errichten, die fortan als Grablege der Komnenenfamilie dienen sollte (Abb. 13). Der Kern dieses Pantokratorklosters bestand aus einem Dreikirchenkomplex: die dem Pantokrator geweihte Südkirche, die der Muttergottes geweihte Nordkirche und das sog. Heroon, eine dem hl. Michael geweihte Grabkirche zwischen den beiden Kirchen.65 Im Jahre 1136 wurde das Typikon des Panto kratorklosters erlassen, eine Stiftungsurkunde, in welcher der Ablauf des Klosterlebens und die karitativen Aufgaben genau definiert werden.66 Johannes’ Frau Eirene starb bereits im Jahre 1124 und wurde im Narthex der Südkirche des Klosters beigesetzt. 1143 folgte ihr Johannes II. selbst. 1153 fand dort Bertha von Sulzbach, die Frau Manuels I. Komnenos (1143 –1180), ihre letzte Ruhe, und 1180 schließlich Manuel. Als kaiserliche Grabstätte erhielt das Pantokratorkloster eine reiche Ausstattung, vor allem aber bedeutende Reliquien, welche den Tod und die erhoffte Auferstehung zum Ausdruck brachten. Angeblich fand sogar der Salbstein Christi neben dem Grab Manuels Aufstellung.67
Die Abdeckung des Demetriosschreins gelangt nach Konstantinopel
13 Konstantinopel, Pantokrator-Kloster: Die von Kaiser Johannes II. Komnenos (1118-1143 ) errichtete Klosteranlage diente zugleich als kaiserliche Grablege
und soll als Reliquien neben dem Salbstein Christi auch die Abdeckung des Demetriosschreins verwahrt haben.
Manuel hatte es aber auch auf eine bedeutende Reliquie des hl. Demetrios abgesehen. Wohl wissend, dass der Erhalt einer Körperreliquie unmöglich war, bemühte er sich um einen Teil des Heiligenschreins von Hagios Demetrios. Dabei handelt es sich um das sog. Prokalymma (προκάλυμμα), also um die Abdeckung des Schreins. Der Diakon Nikasios, zugleich Mönch des Pantokratorklosters in Konstantinopel, berichtet ausführlich von der Überführung
297
dieses Prokalymma nach Konstantinopel. Kaiser Manuel habe auf Betreiben des Abtes Joseph den Auftrag gegeben, das alte Prokalymma des Demetriosschreins ins Pantokratorkloster zu Konstantinopel zu bringen, zugleich eine neue Abdeckung aus Gold und Silber für den Heiligenschrein in Thessaloniki anzufertigen (Text 3).68 Am 23. Oktober des Jahres 1148 traf die begehrte Reliquie in Konstantinopel ein; drei Tage später, also am Festtag des hl. Demetrios, konnten die Gläubigen der Hauptstadt das Prokalymma verehren.69 Fortan wurde jedes Jahr der Demetriostag im Pantokratorkloster begangen.70 Die Episode von der Überführung des Prokalymma wird noch in zwei weiteren Versionen überliefert, die möglicherweise auf unabhängige Informationen zurückgreifen.71
VIII
VIII
298
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Einer anonymen Handschrift zufolge, deren Inhalt nur als Paraphrase veröffentlicht ist, habe Kaiser Manuel eine Ikone nach Konstantinopel transferieren lassen, die als Abdeckung des Schreins diente und aus Gold und Silber gefertigt war.72 Zugleich erfahren wir, dass Demetrios auf dem alten Prokalymma stehend und mit erhobenen Händen dargestellt war: ὄρθιος ἐκτεταμέναις παλάμαις. Wie schon Nikasios, so lässt auch der Verfasser dieses Berichts erahnen, dass die neue Abdeckung aus Gold und Silber viel wertvoller und schöner war als die alte. Auch Nikodemos Hagiorites (1749 –1809) kennt einen Bericht von der Überführung des Prokalymma nach Konstantinopel.73 Er schreibt explizit von der Überführung einer Ikone, »die sich über dem Grab und dem Reliquienschrein befand«.74 Der Dux und Chartularios Basileios habe eine neue Ikone anfertigen lassen, um sie über dem Grab des Demetrios anzubringen. Die alte Ikone sei ins Pantokratorkloster verbracht worden: »Und er ließ eine neue
Ikone des hl. Demetrios aus Gold und Silber anfertigen, schöner und größer als die alte, und ließ sie über dem heiligen und myronspendenden Grab des Heiligen anbringen. Jene alte Ikone des hl. Demetrios, welche den hl. Demetrios stehend, mit zum Himmel erhobenen Armen zeigte, ließ er – so lese ich – nach Konstantinopel schicken«.75 Nikodemos’ Bericht spricht nur noch von einer Ikone, verzichtet auf die Verwendung des Begriffs προκάλυμμα. Dies jedoch zeigt, dass nur ein Objekt transferiert wurde und nicht – wie bislang oft angenommen – zwei: eine Abdeckung mit einer Demetriosdarstellung, die man als προκάλυμμα, aber auch als εἰκών bezeichnen konnte.76 Manuel wollte für das Pantokratorkloster eine bedeutende Reliquie gewinnen, die in besonderem Maße auch der Funktion des Klosters als Grablege für die Komnenenfamilie entgegenkam. Wie der Salbstein Christi hatte das Prokalymma des hl. Demetrios einen Bezug zur Todesthematik.
3. Ü berführung des sog. Prokalymma und einer Ikone des hl. Demetrios ins Pantokratorkloster zu Konstantinopel im Jahre 1143: 3. Im Jahr 6657, im Monat März der 12 . Indiktion und wäh-
rend des sechsten Jahres der Herrschaft des purpurgeborenen Kaisers Herrn Manuel Komnenos, als dieser unser allermächtigster Kaiser auf dem Feldzug gegen Sizilien war, missachtete Joseph, der Abt unseres kaiserlichen Klosters, weil notwendige Angelegenheiten des Klosters drängten, seine körperliche Schwäche und sein Alter, ja fast auch seine Seele selbst, und um es kurz zu sagen, ignorierte er, was die Stärke von Körper und Seele betrifft, und obwohl viele bekannte und berühmte Menschen – und auch solche, die es nicht waren – dazwischentraten, ihm durch die Deutung von Träumen und Visionen nicht eben geringe Angst einjagten und sich daran machten, ihn beim Zuhören in Panik zu versetzen, beachtete er nichts dergleichen, sondern hielt die Mühsal und Beschwernis dieses Weges für einen glücklichen Zufall, erklärte ihre Vorhaltungen für unsinniges Geschwätz und machte sich ohne zu zögern auf den Weg zum allermächtigsten Kaiser. Als er mit Gott gut und ungefährdet ankam und ihn nicht in Thessaloniki antraf, wie er vorgehabt hatte, sondern in einem Dorf im Thema von Berrhoia, das Dobrochubista oder so ähnlich genannt wird, von Thessaloniki zwei Tages-
ritte entfernt ist und von der Festung Berrhoia etwa zwei Meilen, fasste er den Vorsatz, vor allen anderen Dingen das väterliche Versäumnis gutzumachen, indem er die berühmte Bedeckung, die auf dem heiligen Schrein des unbesiegbaren Demetrios liegt, in diesem kaiserlichen Pantokratorkloster, das sein (sc. Manuels) Vater erbaut hatte, als wahrhaft überaus heiligen Schatz niederlegen wollte. 4. Er fand unseren allermächtigsten Kaiser, als dieser das hörte, dazu mit großer Freude geneigt, und sogleich wurde spontan die kaiserliche Urkunde für den damaligen höchst ruhmvollen Dux von Thessaloniki und Chartularios [verfasst], den Herrn Basileios, die befahl, dass beides geschehen sollte und einerseits [eine neue Bedeckung] oben auf das heilige Gemach des Märtyrers gelegt werden sollte, durch die Sorgfalt und Aufsicht des überaus erhabenen Rechnungsführers Herrn Joannes Smeniotes, der die Güter unseres kaiserlichen Pantokratorklosters um Thessaloniki beaufsichtigte und verwaltete, andererseits aber die alte, die auf dem glückseligsten und von der Welt begehrten Schrein liegt, von dort weggenommen und zu unserem kaiserlichen Kloster gebracht werde. Das geschah auch schneller als das Wort. Anstelle derer, die zuvor den allerheiligsten, vielge-
Übertragungen des Demetrioskults in die Rus
Darum zögerte Manuel auch nicht, reichlich Gold und Silber zu stiften, um eine noch wertvollere Abdeckung herstellen zu lassen:77 Ihm kam es nicht auf den Material-, sondern auf den Reliquienwert an. Doch scheint der hl. Demetrios mit der Entfernung wertvoller Ausstattungsgegenstände seines Schreins keinesfalls einverstanden gewesen sein! Johannes Staurakios zufolge soll der Heilige dem Kaiser Manuel nun aus Rache seinerseits ein Manteltuch gestohlen haben, das dieser für die Osterliturgie in seinem Palast hatte anfertigen lassen (Text 4).78 Erstaunt bemerkte eines Tages der Kustode der Demetrioskirche in Thessaloniki, dass sich der kaiserliche Umhang auf dem Grabschrein des Heiligen befand. So wurde der Kaiser für die Fortnahme des Prokalymma bestraft, ohne aber die wertvolle Demetriosreliquie wieder zu verlieren.
liebten und bewundernswerten Schrein des berühmten Märtyrers Demetrios bedeckt hatte, oder vielmehr den – ich weiß nicht, wie ich ihn nennen soll – Myron hervorbringenden Myronbehälter – denn ich erschrecke, wenn ich dieses übergroße und alle alten und auch danach von Gott hervorgegangenen übertreffende und unglaubliche Wunder betrachte, wie es täglich von allen Händen der Sterblichen der ganzen Welt ausgeschöpft, aber weder geleert wird noch jemals versagt –, wurde in der Folge ein anderes angebracht, das aus Gold und Silber gemacht war und im Vergleich mit dem früheren viel mehr Schönheit und viel größere Gnade besaß, weil es für die Bewunderer erstrahlte. 5. Das vollendete nun unser purpurgeborener und allerstärkster Kaiser Manuel Komnenos zum Schmuck und Ruhm des hellleuchtenden, vielmehr alles überstrahlenden großen Leuchters, des heller als die Sonne in allen Gegenden der Welt strahlenden Märtyrers, und befahl, es am Ort des früheren, so viel Gnade besitzenden und vielgeliebten Schreins als Bedeckung anzubringen. Was aber zuvor dort gewesen war, den segensreichen Schatz, der Grund tausender guter Dinge gewesen war und den großen Demetrios aufrecht stehend trug, schickte er mit ausgestreckten Händen zu uns, wobei er ihn durch Gesänge, Leuchter und Ehrengeleit ehrte. Als Joseph, unser allerverehrungswürdigster Vater und Leiter dieses kaiserlichen Klosters, hörte, dass er nahte und nicht
299
Übertragungen des Demetrioskults in die Rus Die Überführung des Prokalymma nach Konstantinopel auf Initiative des Kaisers scheint das Vorbild für eine weitere Reliquientranslation in die Rus gewesen zu sein. Auch im Großfürstentum Kiew hatte sich nach der Eroberung Thessalonikis durch die Normannen im Jahre 1185 herumgesprochen, dass Demetrios seine Stadt verlassen hatte, gewissermaßen ›auf dem Markt‹ war.79 Hier war die Demetriosverehrung schon lange besonders intensiv wie auch die byzantinischer Soldatenheiliger.80 Angeblich soll bereits Fürst Oleg, der 907 vergeblich Konstantinopel belagerte, mit dem hl. Demetrios verglichen worden sein. Der Nestorchronik zufolge hätten die Konstantinopler, nachdem ein Versuch, den Angreifer zu vergiften, gescheitert war, erschrocken ausgerufen: »Das ist nicht Oleg, sondern der hl. Demetrios, von Gott gegen uns gesandt!«81 Ob man
mehr als fünfzig Stadien von der Kaiserstadt entfernt war, empfing er ihn und führte ihn herein mit Ehrengeleit und einer sehr glanzvollen Prozession, mit Gesängen und Leuchtern, wobei die Prozession von den Adligen des Senats, den übrigen geheiligten und nicht geheiligten Männern und dem gemeinen Volk betrachtet wurde. Und als er am 23. Oktober der 13. Indiktion in unser kaiserliches Pantokrator-Kloster gebracht wurde, war zu sehen, wie das Volk mit der größten Freude, die man nur sagen konnte, zusammenströmte, nicht nur allein aus der Kaiserstadt, sondern auch von draußen in ungezählter Menge und keinem Maß unterworfen. Denn es spielte sich auch das Fest des allerruhmvollsten und berühmten Märtyrers rund um die Tore ab, und die Verehrung entfaltete ihre Wirkung ohne Unterbrechung bis zum Tag des Festes selbst, das in dieser Weise gnadenbringend und höchst glanzvoll verlief, und auch durch die Versammlung und das Zusammentreffen der hochberühmtesten Männer, des Pansebastos Sebastos und Gouverneurs Taronites selbst und der übrigen Adligen des Senats und nicht weniger von der Synode – ich unterlasse es, von den gemeinen Menschen zu sprechen, die drängten und gedrängt wurden, sich zusammenpressten und zusammen hinfielen – keinesfalls etwas fehlte zu der Feier des örtlichen Festes. (Nikasios, Mneme p. 24022 – 24310 Papadopoulos-Kerameus. Übersetzung Albrecht Berger)
VIII
VIII
300
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Übertragungen des Demetrioskults in die Rus
301
4. Der kaiserliche Mantel wird auf wundersame Weise von Konstantinopel nach Thessaloniki überführt: Jener Manuel, groß in seinen Heldentaten, der Herrscher der Römer war, aber auch elegant und groß in seinen Reden und erhaben in seiner Weisheit, prunkvoll in der Würde der Kaiserherrschaft und in seinem Glanz, wie Salomon sagt, zugleich gute und weltliche Dinge liebend: der wollte nun auch durch verschiedene und zugleich kostbare Gewänder die Würde der Kaiserherrschaft erhöhen und zum Erstaunen der Betrachter glänzend machen, und befahl, ihm ein kaiserliches Purpurgewand anzufertigen, damit er es an den glanzvollen Festtagen und dann, wenn er eine Rede vor ausländischen Gesandten hielt, umlegen könne. Es war aber eine Stickereiarbeit, sehenswert und bewundernswert, die jeden Blick durch den Glanz ihres Anblicks auf sich zog. Der Kaiser besetzte das Gewand mit wertvollen Steinen und brachte überall Rubine an, die man von selbst entstandene und selbst brennende Fackeln nennen könnte. Das Gewand war ein geradezu himmlisches Kleid, strahlend wie die Sterne und durch die Rubine reichlich Funken in alle Richtungen sprühend. Für den Kaiser war das ein außerordentliches Ding, das mit den kaiserlichen Schätzen aufbewahrt und verwahrt wurde. Als aber der glanzvolle Tag der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus nahte, brachten die Wächter jenes mit Edelsteinen und Perlen besetzte Purpurgewand gegen Abend zu den äußeren Gemächern, damit es bereit liege, um am folgenden Tag den Kaiser damit zu schmücken. Jedoch, größter Demetrios, deine Wunder sind ungeheuerlich und bezaubernd! Du stiehlst es nachts aus der kaiserlichen Schatzkammer und legst es um deinen göttlichen Sarkophag, indem du es von Kopf bis Fuß ausbreitest. Was geschieht dann? Im Kaiserpalast entsteht heftige Verwirrung unter den Gewand- und Schatzwächtern; als der Mesner dort (in Thessaloniki) zur Matutin den Märtyrerpalast öffnete und allein hineinging, erschrak er, als er jenes kaiserliche Purpurgewand auf dem Sarkophag des Märtyrers ausgebreitet vorfand, lief eilig hinaus und war voll tiefer Furcht, beinahe geblendet vom Glanz, der aus den Rubinen
hervorkam, und sehr verblüfft über das, was da unverhofft erschienen war. Er geht wieder hinein, sieht wieder jenes glanzvolle kaiserliche Gewand, erschrickt und macht die Sache bekannt. Man eilt herbei, streiten sich, was das bedeutet, begreift, dass das ein kaiserlicher Gegenstand ist, und teilt das Wunder sofort durch schnelle Boten dem Kaiser mit. Der Kaiser hört das, fragt nach dem Tag, an dem das Purpurgewand auf dem Sarkophag des Märtyrers liegend gefunden wurde, verwundert sich sehr, preist den Märtyrer, erschrickt über das Ungeheuerliche und bewundert in der Hauptstadt das Außerordentliche des Wunders. Und der Kaiser sagte: »Es scheint, dass der Märtyrer uns wegen der bisherigen Vernachlässigung tadelt, man könnte auch sagen Undankbarkeit, wo er doch oft in so vielen Schlachten gegen die Feinde kraftvoll gekämpft und die Gegner besiegt hat, während wir den Sieger nicht einmal mit irgendwelchen kleinen Weihegeschenken empfangen haben, sodass der Kämpfer deshalb gezwungen war, unser Purpurgewand als Pfand für die Schuld zu nehmen, weil wir es vernachlässigt haben, unseren Rückstand zu begleichen. Aber deine Gnade ist groß, göttlicher Demetrios, groß ist dein Ruhm, groß sind deine Wunder, der du für uns kämpfst, uns zu Hilfe eilst und uns tadelst.« So sprach der Kaiser, und sofort weiht er dem Großen ein in Rot geschriebenes, in Gold unterzeichnetes Dokument, das Dorf Melidonion, hinreichend viele Plethra (Flächenmaß von 100 × 100 Fuß) Land darum herum, und eine Gesandtschaft, die den Märtyrer um Verzeihung und um Vergebung für den unwissentlich geschehenen Fehler bat. Aber lassen wir nun doch die alten Wunder des Märtyrers beiseite (denn wer könnte sie aufzählen und berichten?), und beschäftigen wir uns mit den neuen, kürzlich geschehenen, und denen, wovon viele Betrachter und Zeugen heute noch am Leben sind.
a
b
c
d
e
( Johannes Staurakios, Wunder p. 3681 – 36912 Iberites. Übersetzung Albrecht Berger)
14 Siegel der Fürsten von Nowgorod, Kiew und Wladimir-Soustal mit Darstellungen des hl. Demetrios: a. Izjaslav Jaroslavicˇ (Nowgorod, 1052 –1054 ) – b. Izjaslav Jaroslavicˇ (Kiew, 1054 –1078 ) – c. und d. Svjatoslav Vsevolodivicˇ
(Nowgorod, 1200 –1205, 1208 –1210 ) – e. Jaroslav Wladimirovicˇ (Nowgorod, 1181–1184, 1187 –1196, 1197 –1199 ). Demetrios wird mal als Brustbild, mal als Vollfigur, mal sitzend dargestellt. Stets trägt der Heilige Waffen und Rüstung.
VIII
VIII
302
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
15 Mosaik des hl. Demetrios aus der 1934 zerstörten Kirche des Erzengels der Goldenen Kuppel. Das vor 1113 vollendete Mosaik zeigt den Heiligen als Streiter mit Speer und Schild. Es befand sich an nicht mehr sicher zu bestimmender Stelle im Sanktuar der Kirche (Moskau, Tretjakow-Galerie).
sich dies tatsächlich schon im frühen 10. Jh. erzählte, steht dahin; die im frühen 12 . Jh. kompilierte Nestorchronik könnte aktuelle Erzählungen auch rückprojiziert haben.82 Die hll. Boris und Gleb (gest. 1015), also die ersten ›kanonisierten‹ russischen Heiligen, wurden bereits seit dem 11. Jh. mit dem hl. Demetrios verglichen.83 In ihrer Biographie werden die ermordeten Prinzen wie folgt angesprochen: »Ihr kämpft wie der junge Demetrios helfend für sein Vaterland und sagtet ›Wenn ich bei ihnen bin, wenn sie triumphieren, so will ich auch sterben, wenn sie untergehen‹. Aber der große Demetrios sagte dies zu einer einzigen Stadt, während ihr nicht nur für eine oder zwei Städte sorgt und betet,
sondern für das ganze Land der Rus«.84 Ihr letzter Ruheort, Višgorod, wurde ›zweites Thessaloniki‹ genannt.85 In Kiew befand sich bereits seit 1051 ein Demetrioskloster, das von Izjaslav Jaroslavič in seiner Zeit als Großfürst (1054 –1078) gegründet wurde.86 Derselbe Fürst ließ mehrere Siegel mit dem stehenden Demetrios oder einem Brustbild des Heiligen und griechischer Beischrift prägen (Abb. 14a–b).87 Diesem Beispiel folgten später die Fürsten von Nowgorod, Jaroslaw Vladimirovič (1181–1184, 1187 –1196, 1197 –1199), Svjatoslav Vsevolodovič (1200 –1205 und 1208 –1210) und Konstantin Vsevolodovič (1205 –1208) (Abb. 14 c–d).88 Aus Kiew stammt auch die bekannte Mosaikdarstellung des Heiligen als Krieger mit Speer und Schild, die heute in der Tretjakow-Galerie in Moskau zu sehen ist (Abb. 15). Fürst Sviatopolk Izjaslavič (1093 –1113) hatte 1108 eine Kathedrale für den Erzengel Michael errichten lassen und diese mit reichem Mosaikschmuck versehen lassen, in dem der Thessaloniker Heilige eine besonders prominente Stellung einnahm.89 Die bereits vorhandene Demetriosverehrung erfuhr einen neuen Schub unter dem Fürsten von Vladimir-Soustal, Vsevolod III. (1176 –1212).90 Er war auf den Namen Demetrios getauft worden und gab diesen an seinen Sohn weiter, der am Vorabend des Demetriosfests, also dem 25. Oktober 1194 geboren wurde.91 Später ließ er an seinem Geburtsort Dimitrov ein Demetrioskloster stiften.92 Außerdem ließ er in Vladimir die Demetrioskathedrale vollenden (Abb. 16) und sie mit einer bedeutenden Reliquie versehen, wie die Laurentiuschronik vermerkt:93 »Der Fürst hat in seinem Palast eine schöne dem Märtyrer Demetrios geweihte Kirche errichtet und diese auf wunderbare Weise mit Ikonen und Wandmalereien verziert. Zugleich ließ er aus Thessaloniki die Grabplatte (доска гробная) des hl. Märtyrers Demetrios herbeibringen, aus der ohne Unterbrechung Myron hervorströmte, welches Kranke heilte. Diese ließ der Fürst in der Kirche aufstellen; zugleich ließ er in derselben Kirche ein Gewand (сорочка), ausstellen.« Wie im Falle des 1148 nach Konstantinopel transferierten Prokalymma (προκάλυμμα), so hat man sich auch bei der доска гробная gefragt, was damit gemeint sei, obwohl der Begriff eigentlich nur die Deutung als feste Abdeckplatte 16 Vladimir, Demetrioskathedrale: Der Bau zu Ehren des Thessaloniker Heiligen wurde unter Fürst Vsevolod III. (1176 –1212) vollendet. Angeblich erhielt die Kirche 1197 als Reliquien die ›Grabplatte‹ und das ›Hemd‹ des Heiligen.
Übertragungen des Demetrioskults in die Rus
303
VIII
VIII
304
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Übertragungen des Demetrioskults in die Rus
eines Grabs zulässt. Damit entspricht er genau dem Prokalymma, das der Kaiser ins Pantokratorkloster hatte transferieren lassen.94 Da auf der Schreinabdeckung auch der hl. Demetrios dargestellt war, konnte die Reliquie wie eine Ikone aufgestellt werden (постави). Die Tatsache, dass man dies betonte, zeigt, dass es sich nicht um eine herkömmliche Ikone handelte, sondern um einen Grabdeckel mit Demetriosdarstellung. Vsevolod war somit nicht nur an einer bedeutenden Demetriosreliquie gelegen, er imitierte zugleich den byzantinischen Kaiser.95 Was aber war die in der Laurentiuschronik erwähnte сорочка? Der Begriff meint eigentlich ein Hemd bzw. einen Rock oder im allgemeineren Sinne ein Gewand.96 Die Soročka muss also das Gewand – oder ein Teil dessen – des Märtyrers gewesen sein, das vielleicht sogar noch Blutspuren aufwies. Letzteres wäre dann sogar eine Reliquie aus der Zeit des Martyriums.97 Aber ist es denkbar, dass diese Reliquie in die Palastkirche Vsevolods III. gelangt war? Hätte man einen Thessaloniker gefragt, so hätte er das vermutlich vehement verneint. In Vladimir hingegen mochte man durchaus voller Überzeugung etwas präsentiert haben, das als Gewand des Heiligen galt. Hierin hätte man es dem Kaiser gleichgetan, der im Palast zu Konstantinopel ebenfalls das Gewand des Heiligen verwahrte, wie der isländische Konstantinopelpilger Nikolaus von Thingeyrar in seinem Reliquienverzeichnis von 1157 auflistet.98 Abermals scheint es nicht nur um eine Aneignung heilversprechender Demetriosreliquien gegangen zu sein, sondern auch um den Versuch einer Angleichung an den Konstantinopler Kaiser: Was dessen Herrschaft legitimierte, musste auch die der Großfürsten von Vladimir stützen. Wenig später, im Jahre 1212 , aber noch zu Lebzeiten Vsevolods III., wurde in Dimitrov eine weitere Demetrioskirche vollendet.99 Die Kirche erhielt eine Ikone, die den auf einem Thron sitzenden Demetrios zeigte, der mit der rechten Hand den Schwertknauf umfasste. Die Ikonographie dieser Ikone, die aus einer Kopie des späten 13. Jh. in der Tretjakow-Galerie (Abb. 17), aber auch vom Siegel eines
17 Großformatige Ikone (156 cm × 108 cm) mit Darstellung des sitzenden Demetrios, der im Begriff ist, sein Schwert in die Scheide zu stecken. Die um 1200 angefertigte Ikone dürfte auf ein Thessaloniker Vorbild zurückgehen. Der kleine heranschwebende Engel und die Rückenlehne sind spätere Hinzufügungen (Moskau, Tretjakow-Galerie).
305
Fürsten von Nowgorod aus der Zeit um 1200 (Abb. 14 e) bekannt ist, dürfte wiederum auf ein Thessaloniker Vorbild zurückgehen, das wohl um 1200 entstanden ist.100 Dafür spricht, dass sich noch weitere Darstellungen des thronenden Demetrios erhalten haben, so auf dem berühmten Relief byzantinischer Provenienz auf der Westfassade von San Marco in Venedig (Abb. 18).101 Auch diese Darstellung zeigt den Heiligen in Rüstung, auf einem Klappthron sitzend, das Schwert in die Scheide steckend. Welche inhaltlichen Konnotationen mit dieser Darstellungsform einhergehen, ergibt sich aus der Beschreibung einer Georgsikone in einem Epigramm des Dichters Manuel Philes.102 Es trägt die Überschrift »Auf den großen Georg, der bewaffnet vor der Stadt sitzt und sein Schwert halb gezogen hält« und lautet: »Zu Ende gebracht die Prüfung des Ringens, in der du den Feind der Seelen unterworfen hast, findest du dich erneut nachdenklich ruhend. In der Tat, als wachsamer Hüter bist du bewaffnet, Heiliger, und jetzt erstrahlst du auf diesem Sitz, während du dein scharfes Schwert entblößt, voll Vertrauen gegen die wilden Feinde aus der Ferne.« Anders als oft vermutet wurde, zeigt das Bild also einen Heiligen, der nicht im Begriff ist, sich in die Schlacht zu stürzen,103 sondern der nach erfolgter Schlacht ruht. In der bei Manuel Philes beschriebenen Ikone zückt der hl. Georg nicht das Schwert, er führt es in die Scheide zurück. Das Motiv des sitzenden Heiligen mit dem halbentblößten Schwert ist also weniger als spontaner Aufbruch in den Kampf zu interpretieren, sondern als Ruhe nach erfolgreichem Kampf. Daher ist auch Peter Schreiners Vermutung, das Bildmotiv sei nach der Schlacht von Klokotnica 1230 auf Siegeln des Bulgarenherrschers aufgegriffen worden, durchaus plausibel.104 Damals hatte Ivan Asen II. (1218 –1241) das Heer Thessalonikis geschlagen und Kaiser Theodor Angelos (1224 – 1230) gefangengenommen, ohne aber Thessaloniki selbst einzunehmen. Theodor hatte als erster Münzen mit dem sitzenden Heiligen auf einem lehnenlosen Thron geprägt (Abb. 19).105 Nun, nach der Gefangennahme Theodors, war es an Ivan Asen, dieses Motiv aufzugreifen: Ein Goldsiegel, das auf dem Berg Athos verwahrt wird, zeigt auf der Vorderseite den stehenden Zaren im Krönungsornat, während auf der Rückseite der hl. Demetrios auf einem gepolsterten faldistorium thronend dargestellt ist, wie er das Schwert in die Scheide schiebt (Abb. 11b).106 Das Siegel ist Ausdruck der Überzeugung, mit Hilfe des hl. Demetrios sei ein Sieg gegen die Streitmacht Thessalonikis gelungen.
VIII
VIII
306
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Die Serben und der hl. Demetrios
18 Venedig, San Marco: Als Spolie wiederverwendetes Relief an der Westfassade der Kirche. Das byzantinische Werk, das vermutlich nach 1204 nach
Venedig gelangte, zeigt den auf einem Klappstuhl sitzenden hl. Demetrios wie er das Schwert in die Scheide steckt.
Die Serben und der hl. Demetrios Auch in Serbien streckte man, wenn auch vergleichsweise spät, die Hand nach dem Heiligen aus. Die Verbreitung des Demetrioskults lässt sich hier bis in die Zeit des hl. Sava († 1236) zurückverfolgen. Sava war der jüngste Sohn des serbischen Königs Stefan Nemanja, verbrachte lange Zeit als Mönch auf dem Athos, unternahm zwei Pilgerfahrten ins Heilige Land, wurde 1220 schließlich Erzbischof von Serbien und gilt gewissermaßen als Begründer der serbisch-orthodoxen Kirche. 1219 kam Sava nach Thessalo-
307
19 Münzen Theodors Angelos I. (1224 –1230 ): Bevor der Kaiser von den Bulga-
ren in der Schlacht bei Klokotnica gefangen genommen wurde, ließ er Münzen prägen, deren Rückseite das Motiv des auf einem lehnenlosen Thron sitzenden Demetrios zeigen.
niki und machte dem hl. Demetrios seine Aufwartung: Er verneigte sich vor dem Schrein des Heiligen und »küsste auch seine ehrenvolle Hand«.107 Seinem Vater Stefan Nemanja prophezeite Sava, wenn er auf den Berg Athos komme, so werde er, Stefan, »als Gott, als großer Myronspender erscheinen, der selbst dem hl. Demetrios gewachsen ist«.108 Wie in Bulgarien oder in der Rus, so faszinierte auch die Serben die Identifikation des Heiligen mit seiner Heimat, das Eintreten für seine Stadt. Daher entstanden im mittelalterlichen Serbien zahlreiche Kirchen mit Demetriospatrozinium.109 Aus der Wandmalerei serbischer Kir-
VIII
VIII
308
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
20 Auch unter den Serbischen Königen war die Demetriosikonographie verbreitet. Stefan Uroš III. Decˇanski (1321–1331) ließ sich auf Münzen in jener Pose
darstellen, die man von dem Thessaloniker Heiligen kannte: auf einem lehnenlosen Thron mit einem Schwert auf den Knien.
chenstiftungen des 14. Jh. ist der Heilige nicht wegzudenken.110 Stets begegnet Demetrios hier als kampfbereiter Krieger, zumeist begleitet von anderen Soldatenheiligen. Diese Präferenz entsprach dem hohen Grad der Militarisierung des serbischen Adels, der sein Prestige über erfolgreiche Kriegstaten erwarb.111 Zu den bekanntesten Demetrioszyklen zählt jener in der Klosterkirche von Dečani aus dem 14. Jh., einer königlichen Stiftung Stefans Uroš III. Dečanski (1321–1331) und seines Sohns und Nachfolgers, Stefans Uroš IV. Dušan (1331–1355).112 Die Demetriosverehrung des ersteren lässt sich schon daran ablesen, dass sich in seinem hölzernen Sarkophag eine einst mit Myron gefüllte Bleiampulle mit Darstellungen des Demetrios und Nestor fand.113 Zudem scheint sich der König dem Thessaloniker Heiligen geradezu angeglichen zu haben: Münzen aus seiner Regierung zeigen ihn auf einem lehnenlosen Thron mit einem Schwert auf den Knien. Damit greift er, auch wenn das Schwert nicht in die Scheide gesteckt wird, den bekannten Ikonentyp des hl. Demetrios auf, lässt sich also wie der Heilige nach erfolgreicher Schlacht darstellen (Abb. 20).114 So verwundert es nicht, dass der nördliche Seitenraum der Klosterkirche von Dečani als Kapelle dem hl. Deme-
trios geweiht war und noch heute einen gemalten Zyklus aufweist, der aus zwölf Szenen besteht, wobei sich solche des Lebens und der Passion sowie solche der Wundertätigkeit die Waage halten (Abb. 21).115 Zur ersten Gruppe zählen die Darstellungen des almosenverteilenden Demetrios, seines Gebets im Kerker, der Segnung Nestors, der Tötung des Lyaios, der Hinrichtung Nestors und der Hinrichtung des Demetrios (Abb. 22a). Die zweite Gruppe umfasst die Heilung des Marianos, die Errettung der Stadt von der Hungersnot, das Verhindern des Einsturzes eines Turms, die Vertreibung der Angreifer, die Engelsvision und Demetrios’ Weigerung, die Stadt in höchster Gefahr zu verlassen sowie die Lanzentötung Kalojans (Abb. 22b). In Dečani begegnet somit, was für Thessaloniki nicht rekonstruiert werden kann: ausführliche Darstellungen der Miracula Sancti Demetrii, in denen das (militärische) Eintreten des Heiligen für seine Heimat illustriert wird. Etwa zur selben Zeit, in den Jahren 1321–1324, wurde in Pećs auf Initiative des Erzbischofs Nikodim die Kirche Sveti Dimitri errichtet.116 Hier haben sich fünf Szenen erhalten, die wiederum alle Episoden aus der Passion des Heiligen zeigen: die Vorführung vor den Kaiser, die Segnung Nestors (Abb. 23), der Sieg Nestors über Lyaios, die Hinrichtung des hl. Demetrios und seine Bestattung.117 Vielleicht lag die Ausrichtung auf weniger militärische Aspekte daran, dass es sich nicht um eine adlige oder königliche Stiftung handelte, sondern um eine des Erzbischofs. Ein weiterer Demetrioszyklus hat sich – wenn auch stark beschädigt – in der Demetrios-
Die Serben und der hl. Demetrios
21 Klosterkirche von Decˇani, Demetrioskapelle: Die Kapelle weist noch heute einen umfangreichen Zyklus aus der Passion und dem Wunderwirken des Heiligen auf. a: Demetrios gibt Almosen – b: Demetrios betet im Kerker zu Gott – c: Demetrios segnet Nestor – d: Nestor tötet Lyaios – e: Hinrichtung Nestors – f: Martyrium des hl. Demetrios – g: Demetrios verteidigt Thessaloniki gegen die Awaren – h: Heilung des Marianos – i: Demetrios tötet Kalojan – j: Demetrios beendet die Hungersnot – k: Engel fordern Demetrios zum Verlassen der Stadt auf – l: Demetrios stützt den einstürzenden Turm der Stadtmauer.
309
VIII
VIII
310
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
Die Serben und der hl. Demetrios
311
23a–b Pec´s, Demetrioskir-
che: a.) Der hl. Demetrios wird vor den Kaiser Galerius geführt. b.) Segnung Nestors. Bevor Nestor gegen den unbezwingbaren Gladiator kämpfen musste, wurde er vom hl. Demetrios gesegnet. Hinter Demetrios befindet sich der hl. Lupos, ein weiterer Begleiter des Heiligen.
22a–c Klosterkirche von Decˇani, Demetrioskapelle: a.) Hinrichtung des hl. Nestor. Nestor hatte infolge der Fürbitte des hl. Demetrios den Gladiator Lyaios im Zweikampf töten können. b.) Der hl. Demetrios verteidigt die Stadtmauern Thessalonikis gegen die Slaven. Der übergroß dargestellte Heilige sticht mit einer Lanze auf einen Angreifer ein. c.) Der Stadtpräfekt Marianos wird zur Kirche des hl. Demetrios getragen. Dort wird er am Zimborium des Heiligen von seiner Krankheit geheilt.
kapelle über dem äußeren Narthex der Bogorodica Ljeviška (1310 –1313) in Prizren erhalten (Abb. 24).118 Zu sehen sind in den oberen Wand- und Gewölbebereichen des kleinen Raums Nestors Sieg über Lyaios, die Hinrichtung des hl. Demetrios und eine Darstellung des Heiligenschreins mit dem liegenden Heiligen in Orantenhaltung. In der unteren Zone waren verschiedene stehende Heilige dargestellt, darunter auch der reich gerüstete Demetrios. Die Ausstattung des kleinen Andachtsraums legt somit den Schwerpunkt ganz auf das Martyrium des Heiligen. Man gewinnt fast den Eindruck, hier, in der Intimität der Kapelle, solle über das
Medium der Malerei die Gegenwart des Heiligenschreins evoziert werden. Dieser Überblick über ausgewählte Demetrioszyklen in Serbien zeigt, dass die Szenenwahl stark vom Kontext und den Intentionen des Stifters abhängt, dass diese Zyklen keine Derivate eines ›Urzyklus‹, sondern unabhängige Kompositionen sind. Ihre Ikonographie greift zwar verbindliche Grundformen auf, zeigt aber immer wieder spezifische Eigenarten, etwa die Szene des Stützens der Stadtmauer in Pećs oder die eigenwillige Darstellung des Demetriosschreins in der Kapelle der Bogorodica Ljeviška.119 Das Verhältnis zum hl. Demetrios war durchaus von einer gewissen Ambiguität geprägt: Die Verehrung galt einem Heiligen, der eine byzantinische Stadt gegen auswärtige Feinde verteidigte – und zu diesen auswärtigen Feinden in Byzanz zählte im 14. Jh. auch Serbien. Unter Stefan Uroš IV. Dušan (1331–1355), der mit seinem Vater die Klosterkirche von Pećs gestiftet hatte, dehnte sich Serbien im Osten bis nach Makedonien aus, so dass Thessaloniki nur mehr eine byzantinische Enklave war. Doch waren die Antagonismen zwischen Serbien und Byzanz im Hinblick auf die Demetriosverehrung zweitrangig. Hier interessierte vor allem das Eintreten des Heiligen für seine Heimat, das Abwehren von Feinden, die Allianz zwischen Soldaten und einem Heiligen, die zu militärischem Erfolg führt.120
Die Verehrung und Instrumentalisierung des hl. Demetrios war im slawischen und russischen Kulturkreis von einem unlösbaren Paradoxon gekennzeichnet. Denn was die enorme Attraktivität des Heiligen ausmachte, war schließlich sein Eintreten für Thessaloniki, war seine unverbrüchliche Loyalität gegenüber seiner Heimatstadt. Einen solchen Heiligen hätte jede Stadt, jedes Land gerne als Patron; mit einem solchen hätte sich jeder Herrscher gerne identifiziert. Doch in dem Moment, in dem man den hl. Demetrios abspenstig machen, ihn zum Verlassen seiner Heimat überreden wollte, musste ihm genau diese Qualität verlorengehen. In einem solchen Fall hätte sich der Heilige als wankelmütig und treulos erwiesen, hätte er bei nächster Gelegenheit wieder die Fronten wechseln können. Um diese wesentliche Qualität des hl. Demetrios als Schützer seiner Stadt zu wahren, musste er für immer in Thessaloniki bleiben. Zwar konnten auch auswärtige Herrscher durch die Überführung von bedeutenden Reliquien wie dem Prokalymma in den Genuss der Fürsprache kommen, zwar konnten zahlreiche Schutzbedürftige durch Myron in den Genuss der Heilung kommen, doch war unbestritten, dass das Kultzentrum Hagios Demetrios in Thessaloniki war. Nur aus dieser festen örtlichen Verankerung bezog der hl. Demetrios sein einzigartiges
VIII
VIII
312
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
24 Ein weiterer Demetrioszyklus hat sich in der Kapelle über dem Narthex
der Bogorodica Ljeviška in Prizren erhalten. Die Malereien aus dem frühen 14. Jh. zeigen u. a. Nestors Sieg über Lyaios, die Hinrichtung des hl. Demetrios und eine Darstellung des Heiligenschreins mit dem liegenden Heiligen in Orantenhaltung.
Ansehen als Stadtpatron. Andere durften an Schutz und Fürsprache partizipieren, doch lediglich auf der Grundlage der unverbrüchlichen Verbindung zwischen Heiligem
Anmerkungen 1 Vgl. Anton Legner, Reliquien in Kunst und Kult zwischen Antike und
Aufklärung, Darmstadt 1995, 11– 26 .
und Heimatstadt.121 Hieraus ergab sich auch eine gewisse Ambivalenz in der auswärtigen Wahrnehmung des Heiligen. Ein Bulgare mochte es einerseits bedauert haben, dass der hl. Demetrios bei der Verteidigung Thessalonikis half, andererseits zeigte dies das Eintreten des Heiligen für seine Schutzbefohlenen. Ebenso mochte er die Lanzentötung des Zaren Kalojan bedauert haben, doch bewunderte er zugleich die erneute Fürsorge des hl. Demetrios für die ihm anvertraute Stadt. 13 Wie Morrisson 2003 , 174, betont, wurden die Münzen als Sold für die
Soldaten geprägt. 14 Anna Komnene, Alexias XII 4.4 p. 370 42 – 46 Reinsch – Kambylis. 15 Stephenson, a. O. 179 –183 .
2 Patrick J. Geary, Furta Sacra. Thefts of Relics in the Central Middle Ages,
16 Paul Gautier, Le dossier d’un haut fonctionnaire d’Alexis Ier Com-
Princeton NJ 1978, 88 – 94. 3 Geary, a. O. 94 –103 . 4 S. o. S. 13 –16 . 5 Aleksandar Kirpičnikov, Ossobii vid tvorčestva v drevne russkoj literature, Šurnal Ministerstva Narodnogo Prosveščenja, April 1890, 306 – 313; Iliadou 1958, 129 –130. 6 Iliadou 1958 , 134 –135; Obolensky 1974, 16 . 7 Paul Stephenson, Byzantium’s Balkan Frontier. A Political Study of the Northern Balkans, 900 –1204, Cambridge 2000, 156 –173 . 8 Anna Komnene, Alexias V 5 .6 p. 15556 –156 66 Reinsch – Kambylis. 9 S. o. S. 242 – 247: 10 Vgl. Herbert Hunger, Reditus Imperatoris, in: Günter Prinzing – Dieter Simon (Hrsg.), Fest und Alltag in Byzanz, München 1990, 17 – 35. 11 Michael McCormick, Eternal Victory. Triumphal Rulership in Late Antiquity, Byzantium and the Early Medieval West, Cambridge Mass. 1986, 1–130. 12 Michael F. Hendy, Coinage and Money in the Byzantine Empire, 1081– 1261, Washington DC 1969, 78 – 79; DOC IV, 189 –190 u. 204 – 205 Nr. 4 u. 5; Morrisson 2003, 174 –175. Vaso Penna hat vorgeschlagen, die Münzserie müsse in Konstantinopel geprägt worden sein: Vaso Penna, Η aπεικόνιση του αγίου Δημητρίου σε νομισματικές εκδόσεις της Θεσσαλονίκης: μεσοβυζαντινή και ύστερη βυζαντινή περίοδο, Obolos 4, 2000, 195 – 210, hier 195 –198 .
nène, Manuel Straboromanos, Revue des études byzantines 23, 1965, 168 – 204, hier 201. Vgl. hierzu Tafrali 1919, 176 –182; Stephenson, a. O. 222 – 224. Lucia Travaini, Un follaro inedito con san Demetrio e la monetazione in rame di Ruggero II in Sicilia, Revue numismatique 33, 1991, 143 – 60; Lucia Travaini, La monetazione nell’Italia Normanna, Rom 1995, 65 – 66; Philip Grierson – Lucia Travaini, Medieval Coinage with a Catalogue of the Coins in the Fitzwilliam Museum, Cambridge, 14: Italy (III: South Italy, Sicily, Sardinia), Cambridge 1998, 626 Nr. 226; Morrisson 2003, 186 –187; Matthias Ehrhardt, Freiheit im Bild. Zu den Herrscherbildern unter Roger II. von Sizilien und ihren Auftraggebern, München 2012 , 120. Ernst Kitzinger, The Mosaics of the Cappella Palatina in Palermo: An Essay on the Choice and Arrangement of Subjects, Art Bulletin 31, 1949, 269 – 292 , hier 274; Benedetto Rocco, I mosaici delle chiese Normanne in Sicilia. Sguardo teologico, biblico, liturgico, II: La Cappella Palatina, Ho theologos 3, 1976 , 121–174, hier 147 u. 284 – 286; Überblick über die Mosaiken bei Beat Brenk (Hrsg.), La Cappella Palatina a Palermo – The Cappella Palatina in Palermo (= Mirablia Italiae 17), Modena 2010, Atlante 1, 148 . Ernst Kitzinger, The Mosaics of St. Mary’s of the Admiral in Palermo (= Dumbarton Oaks Studies 27), Washington DC 1990, 159 u. 290 – 291 Nr. 37.
17 18
19
20
Anmerkungen
21 Benedetto Rocco, I mosaici delle chiese Normanne in Sicilia. Sguardo
teologico, biblico, liturgico, IV: La Cattedrale di Cefalù, Ho theologos 5, 1978, 77 – 93, hier 91– 92 . 22 Tafrali 1919, 182 –191; Theocharidis 1980 , 289 – 298; Stephenson, a. O. 284 – 288 . 23 Eustathios, Eroberung c. 103 p. 11612 – 32 Kyriakidis. Übs. nach Hunger 1967², 110 –111. 24 Vgl. Eustathios, Eroberung c. 55 p. 683 – 7 Kyriakidis. 25 Eustathios, Eroberung c. 128 . p. 14015 – 25 Kyriakidis. Übs. nach Hunger 1967², 133 –134. 26 Cormack 1989, 553 Anm. 9. Cormack versteht die Beschreibung bei Eustathios so, dass die Normannen ein Bild des Heiligen fanden (von dem sie möglicherweise glaubten, es enthalte Reliquien). Janin 1975, 366 Anm. 4, vermutet, dass die Krone über la chasse hing. Dafür spricht auch, dass Eustathios berichtet, Graf Alboin habe wenig später ausreichend Gold und Silber gespendet, um das Verlorengegangene zu ersetzen. 27 Im Grunde verhielten sich die Normannen nicht anders als der byzantinische Kaiser Manuel I. Komnenos (1143 –1180), der sich wenige Jahrzehnte zuvor eine bedeutende Reliquie angeeignet hatte: S. u. S. 296 – 299. 28 Vgl. hierzu Ivan Dujčev, Проучвания върху Българското средновековие (Proučvanija vărchu bălgarskoto srednovekovie), Sofia 1945, 44 –51; Obolensky 1974, 18 –19; Tăpkova-Zaimova 1978, 262 –263; Prinzing 1999/2000. Zu den Hintergründen der Rebellion s. Paul Stephenson, Byzantium’s Balkan Frontier, Cambridge 2000, 288 –294. 29 Ćurčić 2010 a, 479 – 480 . S. ferner Jaika Nikolova, Църквата Св. Димитър във Велико Търново, Archeologija 27.1, 1985, 24 – 31, wo 29 – 30 auf die zügige Erbauung der Kirche hingewiesen wird. 30 Niketas Choniates, Hist. p. 371 van Dieten (Übs. n. Grabler 1958 , 174). Obolenski 1974, 18 . 31 Konstantin Horna, Die Epigramme des Theodoros Balsamon, Wiener Studien 25 , 1903 , 192 –193 Nr. 29. Dujčev, a. O. 48 – 50; TăpkovaZaimova 1978, 262 – 263 . 32 Teilweise übersetzt bei Tăpkova-Zaimova 1978 , 263 . Balsamons Bemerkung, die Verse auf der Ikone seien das wahre Gold und Silber, lassen vermuten, dass die Ikone mit einem vergoldeten Silberrahmen verziert war. 33 Allg.: Iliadou 1958; Papadopoulos 1971, 70 – 80; Obolenski 1974. 34 Obolenski 1974, 10. 35 Roman Jakobson, Methodius’ Canon to Demetrius of Thessalonica and the Old Church Slavonic Hymnoi, Sbornik Prací Filosofické
313
Fakulty Brnĕnské University, Ročník XIV, 1965, Řada Umĕnovĕdná, F. 9, 115 –121; Obolensky 1974, 11. Konstantinos Nichoritis, Der hl. Methodios und sein altslawischer Kanon auf den hl. Demetrios, in: Evangelos Konstantinou (Hrsg.), Leben und Werk der byzantinischen Slawenapostel Methodios und Kyrillos, Münsterschwarzach 1991, 59 – 64; Gerhard Podskalsky, Theologische Literatur des Mittelalters in Bulgarien und Serbien, München 2000, 427 – 428 . 36 Englische Übersetzung bei Obolensky 1974, 11–12 . 37 Vita Methodii XV, 3 (Vita Constantini, XVIII, 3): Fran Grivec – Fran Tomšič, Constantinus et Methodius Thessalonicenses: Fontes, Zagreb 1960, 164. 38 Kliment Okhridski, Sŭbrani Sŭchineniya, ed. B. St. Angelov, I, 1970, 221– 237. Deutsche Übersetzung bei Winfried Baumann, Die Faszination des Heiligen bei Kliment Ochridski, Neuried 1983, 135 –139. Iliadou 1958, 138; Obolensky 1974, 13 . Podskalsky, a. O. 182 . 39 S. o. S. 35 . 40 Allg.: Papadopoulos 1971, 81– 86 . 41 Jordanka Jurukova – Vladimir Pentchev, Български средновековни печати и монети (Bălgarska srednovekovni pečati i moneti), Sofia 1990, 50 – 51. 42 Jurukova – Pentchev, a. O. 78 – 79; Morrisson 2003 , Abb. 58 . 43 Jurukova – Pentchev, a. O. 79 – 80. 44 Jurukova – Pentchev, a. O. 52 – 53; Morrisson 2003 , 188 . 45 Iliadou 1958 , 136 ; Papadopoulos 1971, 86 – 89 (jeweils mit Paraphrase); Tăpkova-Zaimova 1987, 143 mit Anm. 16 a. 46 Zum folgenden vgl. Tăpkova-Zaimova 2005 . 47 Vgl. Walter 2003 , 88 . 48 Johannes Staurakios, Wunder p. 37028 – 34 Iberites. Im griechischen Text heißt es »σφετὶ Δημήτριε«, um die barbarische Abkunft Kalojans zu betonen. 49 Johannes Staurakios, Wunder p. 371–372 Iberites. Obolensky 1974, 19. 50 Tăpkova-Zaimova 2005 , 237. 51 Robert de Clari, La conquête de Constantinople 116 = Charles Hopf, Chroniques Gréco-Romains inédites ou peu connues, Berlin 1873, p. 83 – 84. Vgl. auch Chronica Albrici monachi Trium Fontium a monacho novi Monasterii Hoiensis interpolata, ed. Scheffer-Boichorst, MGH Script. XXIII, 1874, 885. Tăpkova-Zaimova 2005, 223. 52 Vgl. Lapina 2009, 109 –110. 53 Vgl. Zacharuk 1988 , 182 –187, mit v. a. späten Bildbeispielen. 54 S. u. S. 352 – 356 . Xyngopoulos 1936 , 101–109; Grabar 1950, 3 – 5 (= 1968, 435 – 437); Walter 2003, 85. 55 Xyngopoulos 1936 , 108; Grabar 1950, 5; Frolow 1953, 106; LoverdouTsigarida 1996, 475. 56 Grabar 1950, 5 . 57 Bereits André Grabar erwog eine Darstellung der Belagerung der Stadt durch die Bulgaren im Jahr 1207, doch entschied er sich gegen diese Annahme, da er, wie schon zuvor Andreas Xyngopoulos, das Kästchen ins 12 . Jh. datierte (Xyngopoulos 1936, 135; Grabar 1950, 5 mit Anm. 4 und 5 .). Er vermutete daher, es handle sich um die Darstellung eines Angriffs der Kumanen, der Uzen und Bulgaren auf die Stadt Thessaloniki. 58 André Grabar, La peinture religieuse en Bulgarie, Paris 1928 , 299 – 302 . 59 Vgl. Grabar, a. O. 301: »L’artiste bulgare fidèle à son modèle byzantin et peu soucieux des problèmes nationaux, copia le motif qu’il reçut de mains grecques et transcrivit le nom qu’il y trouva, sans reconnaître un des tsars les plus glorieux de son pays. Le régime
VIII
VIII
314
Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios
turc seul devait expliquer cet étrange oubli du passé national chez les artistes bulgares.« 60 Vgl. auch Lapina 2009, 110: »… Demetrius as represented on the walls of the church of Dragalevci was no longer a byzantine saint defending Thessaloniki, but a Bulgarian saint ready to protect Bulgaria.« 61 Miracula Sancti Demetrii III.1 p. 1385 A. 62 Eine fragwürdige Reliquie scheint der Nowgoroder Bischof Antonij bei seinem Besuch im späten 12 . Jh. gesehen zu haben. In der Kirche des hl. Lukas, unweit des Klosters des hl. Mokios im Westen Konstantinopels, hätten sich der Leib sowie eine Ikone mit der Darstellung eines hl. Demetrios befunden: Antonij von Nowgorod, Putešestvie novgorodskago archiepiskopa Antonija v Cařgrad v koncě 12-go stolětija, Sankt Petersburg 1872 , 123: в той же церкви святый Анастасий без главы есть, а главу его украли. А толе святый Димитрий лежит в теле белец; а образ его аки святаго Мины. Übs.: «In derselben Kirche befindet sich der hl. Anastasios ohne Haupt, da das Haupt entwendet wurde. Etwas weiter befindet sich der unverweste Leib des hl. Demetrios, eines Weißen. Sein Bild ist dort ebenso wie das des hl. Menas.« Da Antonij diesen Demetrios als »Weißen« bezeichnet, meint er einen Laienbruder des Namens Demetrios, nicht den hl. Demetrios von Thessaloniki. Ein Märtyrer aus Konstantinopel namens Demetrios, der angeblich unter Leon III. (717–751) enthauptet wurde (so Putešestvie, a. O. 123 Anm. 161), ist nicht belegt. Für diesen Hinweis danke ich Albrecht Berger und Tilman Berger. Vgl. auch Riant II, 1878, 226 (mit fehlerhafter Deutung). 63 Robert de Clari, La conquête de Constantinople 83 = Charles Hopf, Chroniques Gréco-Romains inédites ou peu connues, Berlin 1873, p. 66: Or avoit encore en chele sainte capele un autre saintuaire; car il i avoit un ymage de Saint Dimitre, qui estoit peinte en une taule; chis ymages si rendoit tant d’oile que on n’en savoit tant oster comme il decoroit de chel ymage. Riant II, 1878, 231. 64 Riant II, 1878, 214. Ein Hinweis auf Körperreliquien fehlt, was umso mehr auffällt, als Nikolaus unter anderem das Haupt, den Arm und die Hand des Täufers Johannes, den Arm des Andreas, die Hand des Philippus, das Haupt des Lukas, das Haupt des Theodor, das Haupt des Thomas und das Haupt des Gregorios Thaumatourgos erwähnt – um nur die bedeutendsten Körperreliquien zu nennen. Dies belegt die Nicht existenz einer Körperreliquie des hl. Demetrios in Konstantinopel. 65 Wolfgang Müller-Wiener, Bildlexikon Zur Topographie Istanbuls, Tübingen 1977, 209 – 215. 66 Paul Gautier, Le typikon du Christ Sauveur Pantocrateur, Revue des études byzantines 32 , 1974, 1–145 (Text: 27 –131); engl. Übs. bei John Thomas – Angela Constantinides Hero, Byzantine Monastic Foundation Documents, II, Washington DC 2000, 725 – 781. 67 Vgl. hierzu Robert Ousterhout, Architecture, Art and Komnenian Ideology at the Pantokrator Monastery, in: Nevra Necipoğlu (Hrsg.), Byzantine Constantinople. Monuments, Topography and Everyday Life, Leiden – Boston – Köln 2001, 133 –150, hier 149. Die Überführung des Salbsteins wird überliefert bei Niketas Choniates, Hist. p. 22276 – 82 van Dieten. Der Salbstein Christi wird von russischen Pilgern seit dem 14. Jh. erwähnt: Janin 1969 ², 521; Majeska 1984, 292 . 68 Athanasios Papadopoulos-Kerameus, Ἀνάλεκτα Ἱεροσολυμιτικῆς σταχυολογίας (Analekta Hierosolymitikes stachyologias) IV, St. Petersburg 1897, 238 – 246 . Tăpkova-Zaimova 1978, 263 – 264 u. 266 – 267. 69 Zur Chronologie s. Xyngopoulos 1969b, 187 –188 . 70 Synaxarium Eccl. Const. p. 16458 – 59 (im Anmerkungsapparat). Janin 1969 ², 521.
Anmerkungen
71 Vgl. hierzu Xyngopoulos 1969b, 187.
89 Die Kirche wurde 1934 abgerissen. Zu den Mosaiken s. Olenky Z.
72 Mamegris
Pevny, in: Glory of Byzantium 1997, 289 – 292 Nr. 195 . Das Deme triosmosaik muss sich im Sanktuar der Kirche befunden haben. Leider blieb der genaue Anbringungsort undokumentiert. Die Diskussion etwaiger Porträtangleichung an russische Herrscher resümiert bei Frank Kämpfer, Das russische Herrscherbild von den Anfängen bis zu Peter dem Großen, Recklinghausen 1978, 36 – 39. 90 Smirnova 1995 , 267. 91 Laurentius-Chronik, PSRL I, 412 . 92 PSRL XIV.1, Sankt Petersburg 1915 , 153 . 93 Laurentius-Chronik, PSRL I, 414 u. 436 – 437. Obolenski 1974, 15 . Chronik des Nikonov, ed. PSRL X, Sankt Petersburg 1885 (Ndr. Moskau 1965), 30. Zum Bau s. Hubert Faensen – Wladimir Iwanow, Altrussische Baukunst, Wien – München 1972 , 358 – 350; Pavel A. Rappoport, Русская архитектура X–XIII вв: каталог памятников (Russkaja architektura X–XIII vv. katalog pamjatnikov), Leningrad 1982 , 53 – 54 Nr. 76 . 94 Vgl. Smirnova 1995 , 269 – 272 , die von einer lebensgroßen Ikone auf Holzgrund ausgeht, die nach 1185 als provisorische Abdeckung des Schreins gedient hat. Wenig überzeugend ist Smirnovas mutmaßliche Identifikation einer lebensgroßen Demetriosikone im Historischen Museum zu Moskau als Kopie der Demetriosdarstellung auf der nach Vladimir transferierten Abdeckung des Schreins. 95 Smirnova 1995 , 273 . 96 Eine Decke kann der Begriff nicht meinen, obwohl einige wenige spätbyzantinische Darstellungen des Demetriosschreins dies nahelegen (Smirnova 1995, 272): Ein Fresko in der Klosterkirche von Dečani, welches die Aufforderung zweier Engel an den hl. Demetrios, die Stadt zu verlassen, zeigt, bildet auch den Heiligenschrein ab (Miracula Sancti Demetrii II.15. Xyngopoulos 1969b, 192 – 193; Radovanović 1987, 85 – 87). Er wird von einer bogenartigen Architektur überfangen, von der Lampen als Zeichen der Ehrwürdigkeit des Orts herabhängen. Beim Heiligenschrein selbst handelt sich um einen rechteckigen Block, der – wie ein Altar – mit einem Tuch bedeckt ist. Auf diesem befindet sich eine Darstellung des liegenden Heiligen, der seine Hände im Orantengestus erhoben hält. Die Art der Darstellung lässt keinen Zweifel daran, dass sich die Heiligendarstellung auf dem Tuch selbst befindet und keinesfalls plastischer Natur ist, da sich die Falten durch die Darstellung ziehen. Doch kann damit nicht die сорочка gemeint sein, denn wieso soll sich über einer Grabplatte mit Demetriosdarstellung noch eine Decke befunden haben? Die Darstellung in Dečani stammt aus dem 13. Jh., gibt somit einen etwas späteren Ausstattungszustand wieder. Vermutlich gab es in spätbyzantinischer Zeit keinen Deckel mit figürlicher Reliefdarstellung mehr, sondern nur noch einen einfachen Block mit einem Tuch darüber. 97 S. u. S. 296 . 98 Riant II, 1878 , 214. 99 S. o. Anm. 92 . Irina Sterligova (1997, 265 –269) vermutet hypothetisch, auch das achteckige Ziboriumreliquiar, das sich heute in Moskau befindet, sei unter Vsevolod III. nach Dimitrov transferiert worden. 100 Konrad Onasch, Ikonen, Berlin 1961, 343 –344 Nr. 4 (12 . Jh.); Valentina I. Antonova, Каталог древнерусской живописи (Katalog drevnerusskoj živopisi), I, Moskau 1963, 71–73 Nr. 10 (zweite Hälfte 12 . Jh.); Viktor Lazarev, Русская иконопись, I: От истоков до начала XVI века (Russkaja ikonopis’, I: Ot istokov do načala XVI veka), Moskau 1983, 167 Nr. 20 (Ende 12 . Jh.); Zacharuk 1988, 133 –134 Kat. Nr. 164
(keine Angabe des Vornamens), Μεταφορά ἐκ Θεσσαλονίκης εἰς την μονην τοῦ Παντοκράτορος τῆς πόλεως τοῦ προκαλύμματος τῆς σόρου τοῦ μεγαλομάρτυρος Δημητρίου ἐκ χειρόγραφου τῆς πατριαρχικῆς βιβλιοθήκης, Orthodoxia 24, 1949, 381– 389, hier 383 u. 385. 73 Nikodemos Hagiorites, Synaxaristes ton dodeka menon tou eniautou palai men ellenisti syggrapheis, I, Zakynthos 1868, 191–193 . 74 Nikodemos Hagiorites, a. O. 192: εἰκών τοῦ Ἁγίου Δημητρίου, ἥτις ἵστατο ἐπὶ τοῦ τάφου καὶ τῆς σοροῦ τοῦ λειψάνου του. 75 Nikodemos Hagiorites, a. O. 192: Καὶ κατεσκευάσθη μὲν ἄλλη νέα Εἰκὼν τοῦ Ἁγὶου Δημητρίου ἀπὸ χρυσὸν καὶ ἄργυρον, ὡραιοτέρα καὶ μεγαλητέρα τῆς πρώτης, καὶ ἐτέθη ἐπὶ τοῦ Θείου καὶ μυροβλύτου τάφου τοῦ Ἁγίου· ἡ δὲ παλαιὰ και πρώτη ἐκείνη τοῦ Ἁγίου Εἰκὼν, ἥ τις εἶχεν ἐζωγραφισμένον τὸν μέγαν Δημήτριον ὄρθιον, ὑψωμένας ἔχοντα τὰς χεῖρας εἰς Οὐρανὸν, αὕτη, λέγω, ἐστάλη εἰς Κωνσταντινούπολιν. 76 Anders Janin 1969 ², 520, der von einer Ikone und einer Abdeckung des Demetriosschreins ausgeht. Der Begriff προκάλυμμα kann sowohl eine feste Abdeckung meinen, aber auch ein Tuch, wie bisweilen vermutet wurde (Grabar 1950, 13 Anm. 31). Theochari 1962 , 258, vermutete, es handle sich um ein gewebtes Kleidungsstück. Doch ist die Annahme, es habe sich um eine Textilie gehandelt, eher unwahrscheinlich, da Manuel das alte Prokalymma durch ein festes aus Gold und Silber ersetzen ließ. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um eine Treibarbeit aus vergoldetem Silber – so auch Xyngopoulos 1969b, 192 –194, der Vergleiche zu den Reliquiaren auf dem Athos und in Halberstadt zieht. 77 Unklar ist, warum Mentzos 1994, 140, vermutet, das Grab des Demetrios sei nach der Überführung des Prokalymma ohne Deckel geblieben. 78 Johannes Staurakios, Wunder p. 368 – 369 Iberites. Macrides 1990, 193. 79 Obolensky 1974, 14 –17. Zur Verehrung ›byzantinischer‹ Heiliger in der Rus s. auch Monica White, Byzantine Saints in Rus’ and the Cult of Boris and Gleb, in: Haki Antonsson – Ildar Garipzanov (Hrsg.), Saints and Their Lives on the Periphery: Veneration of Saints in Scandinavia and Eastern Europe, Turnhout 2010, 95 –114. 80 Vgl. White, a. O. 110 –111. 81 Nestor-Chronik s. a. 907, p. 17 Trautmann. 82 Vielleicht ist es aber kein Zufall, dass diese Gleichsetzung unmittelbar nach der arabischen Eroberung Thessalonikis im Jahre 904 erfolgte: Hatte man schon damals angenommen, der Heilige hätte seine Heimatstadt verlassen? 83 Passion der hll. Märtyrer Boris und Gleb, ed. John Fennell – Dimitri Obolensky, A Historical Russian Reader, Oxford 1969, 37. Obolensky 1974, 15 –16; White, a. O. 111. 84 Eine offenkundige Bezugnahme auf Miracula Sancti Demetrii I.15 §170 p. 16329 – 30 Lemerle. 85 ibid. White, a. O. 112 . 86 Laurentius-Chronik, PSRL I, 159. 87 Valentin Janin, Актовые Печати Древней Руси, I: Печати Х – начала ХIII в. (Aktovye pečati Drevnej Rusi, I: pečati X – načala XIII v.), Moskau 1970, 106 –107; Obolensky 1974, 15. Siegel Isjaslavs I.: Janin, a. O. 166 –167 Nr. 3 u. 6 – 9. 88 Janin, a. O. 204 , Nr. 189 –191. Swjatoslav Vsevolodovič (Nowgorod, 1200 –1205; 1208 –1210): Janin, a. O. 205 – 206 Nr. 196 – 200. Konstantin Vsevolodovič (Nowgorod, 1205 –1208): Janin, a. O. 206 Nr. 201– 202 .
315
(Ende 12 . Jh.); Smirnova 1995, 274 –276 (frühes 13. Jh.). Siegel: Janin, a. O. 205 Nr. 192 mit Zuweisung an Jaroslav Wladimirovič (1181– 1184, 1187–1196, 1197–1199). Die Diskussion etwaiger Porträtangleichung an russische Herrscher resümiert Kämpfer, a. O. 36 –39. 101 Otto Demus, Die Reliefikonen der Westfassade von San Marco, Jahrbuch der Österreichischen Byzantinischen Gesellschaft 3, 1954, 87 –108, hier 95; Otto Demus, The Church of San Marco in Venice. History, Architecture, Sculpture, Washington DC 1960, 128 –135; Zacharuk 1988, 134 Kat. Nr. 165a; Belting 1990, 221. 102 Manuel Philes, carm. 226 = p. I, 119 Miller. Diese Analogie hatte bereits Adolfo Venturi, Storia dell’arte italiana, II, Mailand 1902 , 528 – 530, gesehen. 103 So etwa Demus, a. O. 1960, 129; Zacharuk 1988 133; Belting 1990, 221. 104 Schreiner 1986, 100. Anders Prinzing 1999/2000, 263 – 264 Anm. 19. 105 Morrisson 2003 , 181. 106 Schreiner 1986 . 107 Radovanović 1987, 75 . 108 Radovanović 1987, 75 . 109 Wichtige Kirchen mit Demetriospatrozinium waren die Kirchen von Prilep (ca. 1283), Davidovica (1281– 90), Ochrid (3 . Viertel des 14. Jh.), Pećs (1345) und die Kirche des Markov-Klosters (1376 – 81). 110 Allg.: Djordjević 1987; Zacharuk 1988 , 98 –107; Walter 2003 , 89. 111 Djordjević 1987, 69 – 71. 112 Stojaković 1966 , 25 – 35; Radovanović 1987; Sanja Pajić, Циклус Св. Димитрија, in: Vojislav J. Djurić (Hrsg.), Зидно сликарство манастира Дечана. Граћа и студије (Zidno slikarstvo manastira Dečana. Građa i studije), Belgrad 1995 , 353 – 360. Zur Kirche s. Ćurčić 2010a, 659 – 661. 113 Bakirtzis 1990, 143 . 114 Dieser Münztyp begegnet bereits unter seinem Vorvorgänger Stefan Dragutin (1276 –1316): Sime Ljubića, Opis Jugoslavenskih Novaca, Zagreb 1875, 69 – 74 Taf. V.19 – 24 u. Taf. VI.1– 6; Vujadin Ivanišević, Новчарство средњовековне Србије (Novčarstvo srednjovekovne Srbije) – Serbian Medieval Coinage, Belgrad 2001, 239 Nr. 2 .4. Münzen Stefans Uroš III.: Ljubića, a. O. 84 – 86 Taf. VI.14 – 21; Ivanišević, a. O. 243 Nr. 5.2 , 5.3 u. 5.4. Stefan Dušan IV.: Ljubića, a. O. 105 –107 Taf. VII.16 –18; Ivanišević 244 Nr. 6 .2 u. 6 .3 . Allg.: Philip Grierson, The Coins of Medieval Europe, London 1991, 172; Morrisson 2003, 188 . 115 Branislav Todić – Milka Čanak-Medić, Манастир Дечани (Manastir Dečani), Belgrad 2005, 404 – 409. 116 Zur Kirche s. Ćurčić 2010 a, 667 – 668 . 117 Stojaković 1966 , 27 – 35; Vojislav J. Djurić, Byzantinische Fresken in Jugoslawien, München 1976, 82 – 83 . 118 Djurić, a. O. 68; Draga Panić – Gordana Babić, Богородица Љевишка (Bogorodica Ljeviška), Belgrad 1975 , 68; Branislav Živković, Богородица Љевишка (Bogorodica Ljeviška), Belgrad 1991, 61– 63 . Zur Kirche s. Ćurčić 2010 a, 645 – 648 . 119 Anders Stojaković 1966 , 34 – 35 , die davon ausgeht, dass die Zyklen in Dećani und Pećs den Zyklus in Hagios Demetrios getreu kopieren. 120 Die Projektion des Ideals militärischer Tugend der serbischen Aristokratie auf die hll. Demetrios und Georg betont auch Djordjević 1987, passim. 121 Spätbyzantinische Beischriften auf Darstellungen des Heiligen im Balkanraum oder in der Rus nennen den Namen in Verbindung mit der Herkunftsangabe, also Dimitri Solunski o. ä.
VIII
IX
316
IX
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
Rom war im Frühmittelalter ein multikultureller Kosmos, der von zahlreichen Pilgern, vor allem aber von einer starken griechischen Bevölkerungsgruppe geprägt war.1 Seit dem 6. Jh. lassen sich vermehrt Heilige östlichen Ursprungs beobachten; mit der justinianischen Wiedereroberung Italiens dürfte sich eine griechische Verwaltung etabliert haben, mochten mit den hier stationierten Einheiten weitere östliche Heilige nach Rom gelangt sein.2 So erhielten die kilikischen Ärzteheiligen Kosmas und Damian in den Jahren 526 – 30 eine prächtige Kirche am Forum Romanum, wenig später die ebenfalls kleinasiatischen Märtyrer Quiricus und Julitta hinter dem Nervaforum. Im späten 7. Jh. folgten die hll. Kyros und Johannes, östliche Ärzteheilige, die auf dem Hügel hinter dem Trajansforum eine Kirche erhielten. Infolge der arabischen Eroberungen im Nahen Osten dürfte es seit dem 7. Jh. weitere griechischsprachige Flüchtlinge nach Rom verschlagen haben. Mit ihnen kamen der Kult und die Reliquien weiterer östlicher Heiliger nach Rom: der Mönchsheilige Sabas aus Jerusalem und der hl. Anastasios der Perser. Später, im 8. und 9. Jh., gelangten wohl vor allem bilderfreundliche Kleriker und Mönche in die Tiberstadt. Wie groß der östliche Einfluss auf das Leben der Stadt Rom war, zeigen die griechischen Papstnamen, die griechischen Klöster und eine schola Graecorum, also eine Art griechisches Viertel beim ehemaligen Forum Boarium. Hier befand sich auch die Kirche San Giorgio in Velabro, in der die Kopfreliquie des hl. Georg verwahrt wurde.3 Angeblich habe man das Haupt unter Papst Zacharias (741– 752) im Lateranspalast gefunden und dann in die Kirche am Forum Boarium transferiert.4 Gleich daneben, am Abhang des Pala-
1 Diese unter westlichem Einfluss gefertigte Ikone des 13. Jh. zeigt die beiden
Reiterheiligen Theodor und Demetrios zu Pferd in einer ungewöhnlichen räumlichen Staffelung. Auffällig sind ferner die Kopfwendung des weißen Pferds und der typisch kreuzfahrerzeitliche lange Mantel des hl. Demetrios (Sinai, Katharinenkloster).
tins, befand sich die Kirche San Teodoro, die im späten 8. Jh. zum ersten Mal erwähnt wird.5 Anders als die beiden Soldatenheiligen Georg und Theodor fand der hl. Demetrios nur sehr zaghaft den Weg ins frühmittelalterliche Rom. Eine Kirche mit seinem Patrozinium gab es nicht, nur eine gemalte Darstellung des Heiligen erinnert an die bescheidene Verehrung, welche Demetrios in der Tiberstadt genoss. In der Kirche Santa Maria Antiqua am Forum Romanum, die 846 infolge eines Erdbebens von herabrutschenden Erdmassen begraben wurde, hat sich ein wahres Panoptikum frühmittelalterlicher Wandmalereien erhalten, das wesentliche Aufschlüsse über die Art der Kirchenausstattung in jenen Jahrhunderten gibt (Abb. 2).6 Päpste haben immer wieder den Altarbereich neu ausmalen lassen, während sich im Gemeinderaum zahlreiche Votivbilder finden, die auf private Stifter zurückgehen. Unter diesen Darstellungen Christi, der Muttergottes und verschiedener Heiliger findet sich auch eine solche des hl. Demetrios (Abb. 3). Er tritt dem Betrachter als jugendlicher Heiliger, angetan mit langärmliger Tunika und reichverzierter Chlamys, entgegen. In der verhüllten Linken hält er den Kranz seines Martyriums, in der Rechten ein Tragekreuz. Die Beischrift lässt keinen Zweifel an der Identifikation des Heiligen: O ΑΓΙΟC ΔΗΜΗΤΡΙ(Ο)C. Zwei Aspekte machen diese Darstellung in unserem Zusammenhang bedeutsam. Zum einen handelt es sich um die früheste und für lange Zeit einzige Darstellung des Beamten Demetrios im Westen; zum anderen ist die identifizierende Beischrift nicht lateinisch, sondern griechisch. Offenbar wurde die Kirche am Forum Romanum auch von griechischsprachigen Bewohnern der Stadt frequentiert, von denen einer die Erinnerung an der hl. Demetrios aus dem Osten mitgenommen hatte. So kam es, dass der Stadtpatron Thessalonikis Eingang fand in eine römische Kirche, wo er – jedenfalls nach Ausweis der erhaltenen Befunde jener Zeit – ein Fremdkörper blieb. Er erinnert noch heute an eine Phase vielsprachigen Nebeneinan-
IX
318
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
Eine lateinische Übersetzung der Vita und Wunderberichte des hl. Demetrios
Freunde Gottes sowie durch das Gebet dieses (Heiligen, sc. Demetrios) bei Gott Gnade zu erlangen vermöge und den Genuss ewigen Ruhms erwerbe. Möge der König der Könige und der Herr der Herren mit seiner Rechten eure Herrschaft beschützen und aus der zeitlichen Herrschaft eine ewige machen.«
2 Rom, Santa Maria Antiqua. Die frühmittelalterliche Malereiausstattung der Kirche hat sich so gut erhalten, weil der Bau um die Mitte des 9. Jh. infolge eines Erdbebens verschüttet wurde.
ders, die mit dem starken karolingischen Einfluss auf Rom seit dem späten 8. Jh. allmählich ihr Ende fand.7
Eine lateinische Übersetzung der Vita und Wunderberichte des hl. Demetrios Die Kirche Santa Maria Antiqua war bereits seit einigen Jahren unter Erdmassen begraben, als Anastasius Bibliothecarius nach Konstantinopel aufbrach, um in den Jahren 869 und 870 als Abgesandter des Papstes am achten ökumenischen Konzil teilzunehmen. Anastasius war, wie sein ›Titel‹ belegt, Bibliothekar unter den Päpsten Hadrian II. (867 – 872) und Johannes VIII. (872 – 882), und es waren offenbar seine Griechischkenntnisse, die ihn prädestinierten, den Papst auf der Kirchenversammlung zu vertreten. Vermutlich gelangte Anastasius im Verlauf seiner Reise –
die ihn auch über Thessaloniki geführt haben dürfte – in den Besitz hagiographischer Schriften, und zu diesen zählte eine frühe Version der Passion und der Miracula Sancti Demetrii. Kaum nach Rom zurückgekehrt fertigte er eine lateinische Übersetzung der Texte an, wobei er im Vorwort dem Leser seine Beweggründe und Absichten mitteilt:8 »Ich habe neulich die Passion und die Wunder des heiligen Märtyrers Demetrios vom Griechischen ins Lateinische übersetzt, da mich (meine) Brüder ermutigten, vor allem aber jener überaus bewanderte Diakon Johannes, der wohlbekannt ist durch die Reinheit seines Glaubens und die Berühmtheit seines Wissens. Dieser Johannes besaß in seinem Haus eine Kapelle dieses Märtyrers von staunenswertem Alter und Schönheit; dennoch wusste er nicht, um wen es sich bei diesem Märtyrer Christi handelte. Ich aber, der ich über Thessaloniki Bescheid weiß, wo sein wertvoller Leib bestattet liegt, Duft verbreitet und durch den Glanz von Wundern scheint, habe ihn auf seinen Wunsch hin bekannt gemacht. Aber da ich Eure Herrschaft nicht der Kenntnis eines solchen Glaubenskämpfers berauben wollte, bemühte ich mich, Euch gleichfalls (diesen Bericht) zuzusenden, damit Eure Großartigkeit durch die Fürbitte der Heiligen und
W u nder
Inhalt
Ü bs.
I, 1
Heilung des Marianos
x
I, 2
Heilung des blutflüssigen Statthalters
x
I, 3
Heilung der Pestkranken
I, 4
Heilung des besessenen Soldaten
I, 5
Erfolglose Suche nach Reliquien
I, 6
Brandzerstörung des Silberziboriums
x
I, 7
Betrügerischer Sakristan
x
I, 8
Schiffsladung Weizen wird nach Th. gebracht
x
I, 9
Getreideschiffe erreichen die Stadt
x
I, 10
Eutaxia
I, 11
Bestrafung des Eparchen für Blasphemie
I, 12
Brandzerstörung des Ziboriums
I, 13
Abwehr der Awaren
I, 14
Barbaren fliehen vor der Erscheinung des D.
I, 15
D. weigert sich die Stadt zu verlassen
II, 1
Rettung der belagerten Stadt
II, 2
Verteidigung der belagerten Stadt
II, 3
Brand und Wiederaufbau der Kirche
II, 4
Rettung der belagerten Stadt
II, 5
Vereitelung eines Komplotts
II, 6
Rettung des Bischofs Kyprianos
x
x
x
Dieses Vorwort lässt keinen Zweifel daran, dass Demetrios im Westen weitgehend unbekannt war. Angeblich habe ein Diakon namens Johannes in seinem Haus eine Demetrioskapelle gehabt ohne zu wissen, wer eigentlich dieser Heilige sei, und auch König Karl der Kahle (843 – 877), dem Anastasius seine Übersetzung widmet, soll durch das Schriftstück etwas von dem im Westen unbekannten Heiligen erfahren. Dabei ging Anastasius folgendermaßen vor: Er übersetzte die griechische Vorlage der Passionsgeschichte mehr oder weniger genau, traf aber bei der Übersetzung der Wunder 3 Rom, Santa Maria Antiqua: Votivbild mit Darstellung des hl. Demetrios. Die Darstellung dieses Heiligen im Rom des 8. und 9. Jh. ist ein
absolutes Unikum. Möglicherweise hängt sie mit der starken griechischen Präsenz zu dieser Zeit zusammen.
319
IX
IX
320
eine Auswahl. Obwohl ihm sowohl das erste wie auch das zweite Buch der Miracula Sancti Demetrii komplett vorlagen, übersetzte er bei weitem nicht alle Wunder.9 Dennoch scheint seine Zusammenstellung durchaus repräsentativ für die verschiedenen Wunderberichte: Heilungsberichte, Rettung der vom Hunger bedrohten Bevölkerung, Abwehr von Barbaren. Auf die ausführlichen Berichte des zweiten Buchs verzichtete Anastasius weitgehend, da sie sehr detailreich sind und genaue Kenntnis der lokalen Gegebenheiten voraussetzen. Nur die Erzählung von Bischof Kyprianos von Thenai, ohnehin ein Fremdkörper im zweiten Buch der Miracula, fand Eingang in Anastasius’ Übersetzung, da es sich um eine spannende Rettungsgeschichte handelt. So Demetrios überhaupt durch Anastasius’ Übersetzung im lateinischen Westen Bekanntheit erlangte, dann nicht als Stadtverteidiger, sondern vor allem als individueller Heiler und Retter. Auch bemühte sich Anastasius nicht um eine Schwerpunktverschiebung innerhalb der Texte. Eine lateinische Übersetzung hätte ihm die Möglichkeiten gegeben, ganz neuartige Akzente zu setzen, den Heiligen gewissermaßen zu ›adaptieren‹. Doch hat er stattdessen eine fast wörtliche Übersetzung der griechischen Vorlagen geschaffen. Deshalb ist eine tiefere (kirchen)politische Intention der Übersetzung eher unwahrscheinlich: Man hat vermutet, dass die Übersetzung die Grundlage einer westlichen Bulgarenmission bilden sollte. Mit einer lateinischen Demetriosübersetzung in der Hand habe man dem östlichen Missionar Methodios Konkurrenz machen und den Bulgaren die Konversion zur lateinischen Liturgie schmackhaft machen wollen.10 Doch ist diese Vermutung abwegig: Einer solchen Absicht widerspräche es, Passiones und Miracula zu referieren, deren Lokalbezug zu Thessaloniki unverkennbar ist. Einer ›Aneignung‹ durch die Kirche widerspricht obendrein die Widmung der Übersetzung an Karl den Kahlen. Warum sollten wir Anastasius’ Worten nicht glauben, ein Diakon Johannes habe von ihm, dem Konstantinopelreisenden, mehr erfahren wollen über diesen Heiligen? Genau aus diesem Grund blieb Anastasius’ Demetriosübersetzung im Westen eine Episode. Sie gab keine weiteren Impulse und war schon gar nicht die Grundlage für die zaghafte Demetriosverehrung der Kreuzfahrer: Diese speiste sich vielmehr aus der allmählichen Auseinandersetzung der westlichen Ritter mit den heiligen Streitern von Byzanz.
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
Der hl. Demetrios und die Kreuzfahrer
321
Der hl. Demetrios und die Kreuzfahrer Im Jahre 1095 hatte Papst Urban II. (1088 –1099) in Clermont die Christenheit zu einem Kreuzzug gegen die Ungläubigen aufgerufen (Abb. 4). Anlass gab ihm ein angebliches Gesuch des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos (1081–1118), der um Beistand gegen die Türken bat, die nach der verlorenen Schlacht von Manzikert (1071) weite Teile Kleinasiens überrannt hatten.11 Das auf Latein verfasste Schreiben an Robert von Flandern erwähnt die Einfälle der Seldschuken und Petschenegen auf byzantinisches Gebiet, schildert die angeblich von marodierenden Türken an Christen begangenen Grausamkeiten und fordert die westlichen Heerführer zur Hilfe gegen die Ungläubigen auf. Als weiteren Grund für seinen Hilfeschrei führt der Kaiser an, Konstantinopel müsse vor den Ungläubigen geschützt werden:12 »Es ist besser, Ihr besitzt Konstantinopel bevor die Heiden sich der Stadt bemächtigen. Denn die Stadt verwahrt die wertvollsten Herrenreliquien, als da wären: die Geißelsäule, die Geißel, mit der er ausgepeitscht wurde, das Purpurgewand, das ihm angezogen wurde, die Dornenkrone, mit der er gekrönt wurde, das Schilfrohr, das er anstelle eines Zepters in seinen Händen hielt, die Kleider, derer er vor dem Kreuz beraubt wurde, ein großer Teil des Kreuzesholzes, an das er geschlagen wurde, die Nägel, mit denen er befestigt wurde, die Leinengewänder, die nach der Auferstehung in seinem Grab gefunden wurden …« Der fragliche Brief listet noch zahlreiche bedeutende Heiligenreliquien auf und mahnt, diese Schätze sollten nicht in die Hände der Ungläubigen fallen. Schließlich endet er mit einem Argument, dem sich der potentielle westliche Kreuzfahrer nicht entziehen konnte:13 »Und wenn ihr nicht willens seid, für diese Reliquien zu kämpfen, und euer Wunsch nach Gold größer ist, so findet ihr mehr davon hier als sonst wo in der Welt. Denn die Schatzkammern der Kirchen Konstantinopels bersten vor Silber, Gold, Edelsteinen und Seidenstoffen, also Altardecken, die für alle Kirchen in der Welt reichen würden. Und die unermesslichen Schätze der Hagia Sophia – also der Weisheit Gottes – genannten Mutterkirche übertreffen die aller anderen Kirchen und kommen ohne Zweifeln den Schätzen des Salomonischen Tempels nahe.« Uns interessiert im Folgenden nicht die philologische Diskussion um dieses Schriftstück, das mitunter als Fälschung oder aber auch als populäre Fassung eines tatsächlichen Kaiserbriefs angesehen wurde. Denn unabhängig
4 Karte mit Routen des ersten Kreuzzugs ins Heilige Land (1096 -1099 ). Der
Landweg führte die Kreuzfahrer über Thessaloniki und machte sie vermutlich mit dem dort hochverehrten hl. Demetrios bekannt.
davon, wer der Urheber des Briefs ist, spiegelt das Schriftstück doch genau die Vorstellungen wieder, die man im Westen von Byzanz und speziell von der Kaiserstadt Konstantinopel hatte:14 Unermesslich bedeutende Reliquien befanden sich dort, unbeschreibliche Schätze, Gold, Edelsteine und Seide. All diese Reichtümer, so scheint es der Brief anzudeuten, waren zum Greifen nahe. Die Kreuzfahrer wurden geradezu mit dem Argument nach Konstantinopel gelockt, es sei immer noch besser, die Schätze fielen in die Hände westlicher Christen als in die ungläubiger Moslems. Mit solchen Gedanken zogen also Könige, Ritter, Söldner und Gauner in den Osten. Ein erstes Heer, der sogenannte Volkskreuzzug unter der Führung Peters des Einsiedlers, gelangte 1097 nur mit Schwierigkeiten nach Kleinasien und wurde dort von den Seldschuken aufgerieben. Wenig später schlug sich ein Ritterheer unter großen Entbehrungen, aber militärisch erfolgreich bis nach Antiochia durch, wo gegen Ende Oktober desselben Jahres eine achtmonatige Belagerung begann (Abb. 5). Am dritten Juni 1098 öffneten Verräter den Kreuzfahrern die Stadttore. Doch schon bald änderte sich die Situation, wurden aus Belagerern Belagerte.
Kurz nach der Einnahme erreichte ein Heer der Emire von Mossul, Aleppo und Damaskus Antiochia und riegelte die Stadt ab. Diese Gegenbelagerung traf die Kreuzfahrer hart. Da man keine Vorräte hatte, brach eine Hungernot aus; der Kampfgeist war am Boden. In dieser hochdramatischen Situation ›entdeckte‹ man plötzlich die heilige Lanze.15 Anfangs fand dieses Gerücht kaum Glauben, doch als ein Priester die Auffindung auf eine entsprechende Vision zurückführte, da setzte sich bei den Eingeschlossenen allmählich die Überzeugung durch, man verfüge über ein siegbringendes Heiltum. Nun trat man dem Feind entgegen und konnte die Belagerung aufbrechen – was freilich auch durch Streitereien unter den Heeren der moslemischen Belagerer begünstigt wurde. Bohemund von Tarent ernannte sich nun zum Fürsten von Antiochia und gründete – nach der Grafschaft Edessa – den zweiten unabhängigen Kreuzfahrerstaat im Nahen Osten. Zuvor, in den langen Wintermonaten, in denen die von Hunger und Seuchen geplagten Kreuzfahrer in Antiochia belagert waren, verfassten Symeon, der Patriarch von Jerusalem, und einige Bischöfe im Heer der Kreuzfahrer einen kurzen Brief »an die Bewohner des Westens« (ad occidentales).16 In dem Schreiben wird dramatisch die militärische Unterlegenheit der Kreuzfahrer beschrieben: »Wo wir einen Fürsten haben, haben sie elf Könige, wo wir eine Schar haben, haben sie eine Legion, wo wir einen Soldaten haben,
IX
IX
322
5 Dieser Stich von William H. Bartlett aus dem Jahr 1836 zeigt die Stadt Antio-
chia (Antakya) mit den imposanten Resten des spätantiken Befestigungsrings. Antiochia war 1098 Schauplatz eines dramatischen Kampfs der Kreuzfahrer gegen ein Heer der Emire von Mossul, Aleppo und Damaskus. Damals rief man auch den hl. Demetrios als militärischen Beistand an.
haben sie einen Anführer, wo wir einen Fußsoldaten haben, haben sie einen Feldherrn, wo wir ein Lager haben, haben sie ein Königreich.« Eigentlich eine aussichtslose Situation, doch dann fährt der Brief fort: »Wir aber konnten nicht auf unsere Truppenstärke, auf unsere Kräfte oder auf eine andere Voraussetzung vertrauen, sondern auf den Schild Christi, beschützt von der Gerechtigkeit, durch Georg, Theodor, Demetrios und den heiligen Basileios, durch die Soldaten Christi, die uns begleiteten, trieben und treiben wir geschützt einen Keil in unsere Feinde, und in fünf großen Feldschlachten haben wir mit Gottes Hilfe gesiegt.« Hätte dies ein byzantinischer Feldherr gesagt, dann wäre es nicht weiter erwähnenswert, da man in Byzanz seit dem 10. Jh. die bedeutenden östlichen Militärheiligen als Schützer anrief. Nun aber beriefen sich westliche Kreuzfahrer in ihrer Not und Bedrängnis auf Georg, Theodor und Demetrios; offenbar hatten sich die Lateiner, die offiziell mit Billigung des
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
byzantinischen Kaisers kämpften und ihm eigentlich einen Lehnseid geleistet hatten, nach und nach auch die Schutzpatrone des Kaisers angeeignet. Auch am Brechen der moslemischen Blockade waren die byzantinischen Soldatenheiligen tatkräftig beteiligt. Der anonyme Autor der Gesta Francorum berichtet, während der Entscheidungsschlacht hätten sich von Ferne drei Reiter genähert:17 »Mittlerweile wurden andere türkische Kräfte zwischen dem Fluss und dem Berg, der zwei Meilen entfernt liegt, aufgezogen, und auf jedem Flügel begannen sich Truppen zu zeigen, welche die Unseren umschwärmten, Geschosse schleuderten, Pfeile verschossen und sie verwundeten. Dann tauchte von den Bergen herab eine unzählige Schar von Männern auf Schimmeln auf, deren Banner allesamt weiß waren. Als die Unseren dies sahen, verstanden sie nicht, was vorging oder wer diese Männer sein könnten, bis sie erkannten, dass dies der Beistand war, den Christus schickte, und dass die Führer der heilige Georg, der heilige Merkurios und der heilige Demetrios waren. Dies ist wirklich wahr, denn viele der Unseren beobachteten es. Als sie sahen, dass sie uns nicht länger standhalten konnten, steckten die Türken, die sich auf dem in Richtung Meer erstreckenden Flügel befanden, inzwischen das Gras in Brand, sodass ihre Gefährten, welche im Lager waren, es möglicherweise sehen
Demetriosreliquien im Westen?
und fliehen konnten. Jene erkannten das Signal, packten all ihre Wertsachen und wandten sich zur Flucht.« Ein anderer Kreuzzugschronist, Petrus Tudebode, wähnte die Heiligen Georg, Demetrios und Theodor mitten unter den Kämpfenden:18 »Zudem ritt eine große Armee, auf weißen Pferden mit weißen Fahnen von den Bergen. Unsere Soldaten waren erstaunt von dem Anblick dieser Armee bis sie merkten, dass es sich um die Hilfe Christi handelte, so wie es der Priester Stephan vorhergesagt hatte. Deren Anführer waren der heilige Georg, der heilige Demetrios und der heilige Theodor. Diese Erzählung ist glaubwürdig, da viele Christen es sahen.« Die Soldatenheiligen von Byzanz hatten sich den Kreuzfahrern im Kampf gegen die Moslems angeschlossen. Die zaghafte Übernahme der byzantinischen Soldatenheiligen lässt sich auch an Bildzeugnissen beobachten. Ikonen aus der Kreuzfahrerzeit zeigen mehrfach byzantinische Reiterheilige, wenn auch nicht mit typisch byzantinischen Ausdrucksformen.19 Neben Georg, Theodor, Sergios und Bakchos begegnet auch der hl. Demetrios, so etwa auf einer Ikone des 13. Jh. im Katharinenkloster auf dem Sinai, die Theodor und Demetrios zeigt, hier jedoch in einer für byzantinische Ikonen eher ungewöhnlichen räumlichen Staffelung (Abb. 1).20 Und so wie man byzantinische Motive adaptierte und umformte, so speiste sich auch die Vorstellung von Soldatenheiligen, die zu Pferd gegen den Feind ziehen, aus byzantinischen Vorstellungen: Hier waren die Heiligen durch eine entsprechende Ikonographie zu Reitersoldaten geworden, und Quellen berichten immer wieder von Visionen, in denen Heilige zu Pferd gegen den Feind ziehen.21 Die zweite Möglichkeit, mit dem Heiligen in Kontakt zu kommen, war der Besuch Thessalonikis. Vermutlich ließen sich Kreuzfahrer oder Heilig-Land-Pilger, die auf ihrem Weg hier vorbeikamen, von der Demetriosverehrung anstecken.22 So gelangte im Jahre 1054 auch Lietbert, der Bischof von Cambrai, mit einem Gefolge von 3.000 Pilgern in Demetrios’ Heimatstadt und erwies dem Heiligen seine Verehrung:23 »Er kam nach Dalmatien, durchwanderte jene Orte, in denen Diokletian für den Bau seiner Thermen den Märtyrern Christi verschiedene Arten von Todesstrafen auferlegte, und änderte seine Route in Richtung Isaurien. Dorthin ziehend gelangte er nach Korinth, wo er neben vielen berühmten Märtyrern auch vom heiligen Demetrios hörte, dass dessen Leib (in einem Grab) ruhte. Er suchte dessen Grab auf und erbat voll Inbrunst und aufgrund sei-
323
ner Verdienste dessen göttliche Hilfe. Von dort brach er auf und gelangte nach Laodikeia in Syrien.« Der kurze Bericht zeigt, dass der Verfasser, der Mönch Rudolf vom Kloster des hl. Grabs in Cambrai, die Reiseroute nur sehr summarisch, vielleicht auch fehlerhaft wiedergibt. So hat die Nichterwähnung der Stadt Thessaloniki zur Annahme geführt, Lietbert habe das sepulchrum des Heiligen in Korinth verehrt!24 Vor allem aber zeigt die Passage, dass die westlichen Pilger den hl. Demetrios nicht kannten: Denn Lietbert erfährt erst in Korinth von dem Heiligen, äußert dann erst den Wunsch, ihn zu verehren und Thessaloniki zu besuchen. Im Falle der Kreuzfahrer dürfte die Wertschätzung des hl. Demetrios weniger aus einem persönlichen Besuch seiner Kirche in Thessaloniki resultieren – der byzantinische Kaiser achtete darauf, dass die lateinischen Soldaten nicht die großen Städte betraten –, sondern aus einer allmählichen Imitation der byzantinischen Verehrung der Soldatenheiligen.25 Vermutlich äußerte sich die Unterstützung des Kreuzfahrerheers durch Alexios I. Komnenos nicht nur logistisch, sondern auch spirituell. Die Kreuzfahrer hatten dem Kaiser ja einen Eid geschworen, ihm alle Länder, die sich einst in seinem Besitz befunden haben, wieder zurückzugeben.26 Die Gegenleistung mochte nicht nur in der Zusage konkreter militärischer Hilfe bestanden haben (die ausblieb), sondern auch in der Übertragung der Schutzfunktion byzantinischer Soldatenheiliger auf die Kreuzfahrer, deren Vorgehen gegen die Araber vorerst byzantinischen Interessen entgegenkam. Militärische Begleiter und orthodoxe Kleriker schlossen sich dem Kreuzfahrerkontingent an, und in Situationen der Gefahr mit ungewissem Ausgang, in Zeiten der Not und des Hungers, als Fremde in unbekannten Ländern, dürfte man besonders aufgeschlossen gewesen sein gegenüber Legenden, in denen sich auch ›einheimische‹ Heilige der Kreuzfahrer annahmen. Sie signalisierten als Vertreter einer eher als östlich begriffenen Christenheit ihr Einverständnis und die Unterstützung für die Rückgewinnung des Heiligen Lands.
Demetriosreliquien im Westen? Seit dieser Zeit ist immer wieder von tatsächlichen und angeblichen Demetriosreliquien in den Kirchenschätzen des Westens die Rede. Im späten 11. Jh. scheint die Abtei der Heiligen Dreifaltigkeit in Caen über eine Reliquie des hl.
IX
IX
324
Demetrios verfügt zu haben, wobei nicht klar ist, ob es sich um eine Körperreliquie, um blutgetränkte Erde oder Ähnliches gehandelt hat. Eine Urkunde des 12 . Jh. nennt neben bedeutenden Christus- und Marienreliquien unter anderen de pulvere et ossibus sancti Vincentii et Demetrii, Saviani atque Potentiani.27 Wenig später wird in demselben Dokument noch de oleo sanctae Katerine et de sancto Demetrio aufgelistet. Letztere Reliquie war vermutlich eine Ampulle mit Myron des hl. Demetrios, das bereits im 11. Jh. von großer Popularität war. Angeblich soll die Kathedrale von Le Mans, in der an jedem 8. Oktober das Demetriosfest gefeiert wurde, eine Fingerreliquie des Heiligen besessen haben.28 Gottfried von Mayenne, Bischof von Angers (1093 –1101), habe diese neben anderen Reliquien, die in einer yconia enthalten waren, der Kathedrale überlassen.29 Zu diesem Zeitpunkt, also im späten 11. Jh., gab es allerdings keine Gelegenheit, eine Körperreliquie des Thessaloniker Heiligen zu ergattern – weder für den Kaiser, noch für sonstige byzantinische Würdenträger und schon gar nicht für westliche Reisende. Die Fingerreliquie von Le Mans kann also unmöglich aus Thessaloniki stammen. Offenbar fiel man in Le Mans auf einen Reliquiendealer herein. Eher ›ernst‹ zu nehmen ist die Erwähnung eines Knochens des hl. Demetrios in einer Schenkungsurkunde des Jahres 1205 aus der Feder Lamberts von Noyon, eines Kapellans Kaiser Balduins I. (1204 –1205). Lambert listet ganz erstaunliche Reliquien auf, die angeblich dem Kloster St.-Jean-des-Vignes in Soissons zugekommen waren. Er erwähnt unter anderem eine Reliquie des Wahren Kreuzes, einen Goldflakon mit dem Blut Christi und andere Körperreliquien bedeutender Heiliger, ferner unum vas argenteum, in quo oleum sancti Demetrii continetur, et aliud argenteum in quo unum de ossibus eiusdem habetur, also »ein Silberbehältnis, welches Öl des hl. Demetrios enthält, sowie ein anderes (Silberbehältnis), welches einen von seinen Knochen birgt.«30 Nun ist über die Herkunft dieser Reliquien nur bekannt, dass Lambert sie im Dienst des Lateinerkaisers »erworben« hat (adquisivi). Dies muss wohl in Konstantinopel erfolgt sein, da Balduin keine Macht in Thessaloniki hatte. Woher die Reliquien im Einzelnen stammen, wie die angebliche Knochenreliquie zuvor nach Konstantinopel gelangt ist, all das bleibt unbekannt. Die merkwürdig unspezifische Formulierung »einen von seinen Knochen« deutet auf ein Missverständnis hin: Vermutlich identifizierte man
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
den Inhalt eines Reliquiars nicht korrekt, sei es dass man den Knochenrest irgendeines Heiligen für Demetrios in Anspruch nahm, sei es dass man den Inhalt eines Demetriosreliquiars fälschlich als Knochenrest erkannte. Angeblich soll sich auch in der Kirche Saint Dénis du Pas hinter Notre-Dame in Paris eine Kapelle mit dem Demetriospatrozinium befunden haben, wo man eine Reliquie des Heiligen verwahrt habe.31 Doch verliert sich auch diese Spur einer angeblichen Reliquie des Thessaloniker Heiligen: Die bereits im 12 . Jh. bezeugte Kirche wurde 1790 aufgegeben und 1813 abgerissen.32 Und schließlich habe man 1653 unter einem Altar der Kathedrale von Pola in Istrien unter anderem die Gebeine der hll. Theodor, Demetrios und Georg gefunden.33 Diese Reliquien scheinen vom Bischof Michele Ursino 1487 dort beigesetzt worden zu sein. Wie die angeblichen Märtyrergebeine dorthin gelangten ist unklar. An eine Entnahme von Körperreliquien in Hagios Demetrios ist im 14. und 15. Jh. nicht zu denken.34 Durchaus möglich ist jedoch, dass Venezianer auf ihrem Rückzug vor den Osmanen Gebeine mit sich nahmen, die sie zuhause als authentische Reliquien ausgaben.
Die Lateiner in Thessaloniki Die angebliche Knochenreliquie in Soissons führt in die Zeit der lateinischen Herrschaft in Konstantinopel und Thessaloniki. Der Kreuzzug des Jahres 1098 war nur der erste in einer ganzen Reihe, die sich gegen eine wachsende Bedrohung des jungen Königreichs Jerusalem zu stemmen hatten. Denn nach anfänglichen Erfolgen wendete sich das Blatt gegen die Kreuzfahrer. Im Jahre 1187 gelang es Saladin, dem Sultan von Ägypten, die heilige Stadt nach kurzer Belagerung zu erobern. Dem König von Jerusalem blieb seitdem nur mehr ein kleines Gebiet um die Hafenstadt Tyros. Dieser in den Augen der westlichen Christen schmerzliche Verlust bewog Papst Innozenz III. (1198 –1216) zu Beginn seines Pontifikats zu einem weiteren Kreuzzug aufzurufen, um das Heilige Land zurückzuerobern. Um Spannungen mit Byzanz zu vermeiden, sollte diesmal der Seeweg genommen und die vor allem aus Nordfrankreich stammenden Kreuzfahrer mit Hilfe Venedigs in den Nahen Osten gebracht werden. Schon 1202 eroberte man das ungarische Zara (Zadar), um dort zu überwintern; spätestens jetzt musste
Die Lateiner in Thessaloniki
6 Karte des lateinischen Griechenland im Jahre 1214. Thessaloniki stand von 1204 bis 1222 unter lateinischer Herrschaft. Der Markgraf Bonifaz von Mont-
ferrat überließ die Kirche Hagios Demetrios den Kanonikern vom hl. Grab in Jerusalem.
klar sein, dass man Byzanz nicht als Verbündeten, sondern als Gegner betrachtete. Bald kam unter den Kreuzfahrern die Idee auf, Konstantinopel anzugreifen und sich der unermesslichen Schätze der Stadt zu bemächtigen. Eine nachhaltige Schwächung von Byzanz musste vor allem der aufstrebenden Seerepublik Venedig zugutekommen, deren Doge Andrea Dandolo (1192 –1205) das gesamte Unternehmen für seine Ostmittelmeerpolitik instrumentalisierte. Ziel war bald nicht mehr ein Feldzug im Heiligen Land, sondern die byzantinische Hauptstadt. Entsprechend führte der Weg der Kreuzfahrer weiter über Korfu, Euböa und die Dardanellen bis nach Konstantinopel, das nach längerer und wechselvoller Belagerung im April 1204 eingenommen wurde. Der byzantinische Kaiser wurde vertrieben, ein eigenes Lateinisches Kaisertum installiert, das die Geschicke der Hauptstadt bis 1261 lenkte (Abb. 6). Die Eroberung bedeutete für die Kaiserstadt einen Aderlass sondergleichen. Man plünderte Kirchen, den Kaiserpalast und Häuser der Aristo-
325
kratie. Unvorstellbare Mengen von Kunstschätzen und Reliquien gelangten in die Hände der Kreuzfahrer und wurden nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt, wobei Venedig den Löwenanteil erhielt. Ein Blick auf die Kirche San Marco offenbart noch heute, welch immensen Schätze sich der Doge aneignete: Architekturteile und Bronzeskulpturen, die an der Fassade angebracht wurden (Abb. 7), unermessliche Schätze an Edelmetall– und Emailarbeiten, die am Hauptaltar und im Schatzhaus untergebracht wurden, die bedeutendsten Reliquien, darunter zahlreiche Christusreliquien, die man in einer eigenen Kapelle im Tesoro von San Marco verwahrte (Abb. 8). Erst wenn man sich all die Schätze vor Augen geführt hat, von denen wohl nicht wenige aus der Hagia Sophia und dem Kaiserpalast stammten, kann man ermessen, welch unendliche Reichtümer in die Hände der Kreuzfahrer fielen. Wie aber erging es Thessaloniki in jenen Jahren? Man möchte vermuten, die Kreuzfahrer hätten wie in Konstantinopel auch hier zahlreiche Schätze und Reliquien geraubt, um sie in den Westen zu schaffen. Doch gibt es keinen Hinweis für eine solche Annahme. Weder berichten Quellen von Plünderungen, noch sind aus den Kirchenschätzen des Westens Wertobjekte bekannt, die erwiesenermaßen als Beute aus Thessaloniki kamen. Allenfalls die drei Halber-
IX
IX
326
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
Die Lateiner in Thessaloniki
327
1. Die Lateiner bemächtigen sich Thessalonikis ohne Gewalt:
7 Venedig, San Marco: Nach der Eroberung und Plünderung Konstantinopels im Jahre 1204 gelangten zahllose Architekturteile, Skulpturen und Pretiosen in die Lagunenstadt, wo sie noch heute die Fassade von San Marco zieren.
städter Demetriosreliquiare mögen den Gedanken an Plünderungen aufkommen lassen (Kap. X Abb. 7 –10): Konrad von Krosigk, der 1205 zahlreiche Pretiosen in sein Bistum Halberstadt zurückbrachte, machte in Thessaloniki Station und könnte dort in deren Besitz gekommen sein.35 Doch ist keinesfalls gesagt, dass Konrad sich gewaltsam die Objekte aneignete; er könnte sie ebenso gut legal erworben haben. Auch die historischen Rahmenumstände sprechen gegen Plünderungen. Thessaloniki wurde im Gegensatz zu Kon stantinopel nicht im Rausch der Eroberung ausgeraubt, sondern erst gegen Ende 1204 vom lateinischen Kaiser Balduin dem Markgrafen Bonifaz von Montferrat übertragen, der sich fortan als König von Thessaloniki bezeichnete (Text 1).36 Die Übergabe der Stadt scheint ohne Gewalt vonstattengegangen zu sein. Es musste keine Soldateska durch Plünderung für eine Belagerung und Eroberung belohnt
werden, und nur einige Häuser der Reichen scheinen enteignet worden zu sein.37 Vielleicht war man den neuen Herren sogar gewogen, hatte man doch die ewigen Querelen verschiedener byzantinischer Thronprätendenten satt und war Bonifaz immerhin durch die Heirat mit Maria (Margarete), der Witwe Kaiser Isaaks II. Angelos (1185 –1195 und 1203 –1204), legitimiert. König Bonifaz suchte das Wohlwollen der lokalen Bevölkerung, indem er seinen Sohn und Thronfolger Demetrios nannte. Zudem gelang ihm im Jahr 1207 die Abwehr eines Bulgarenangriffs, und man erzählte sich, der hl. Demetrios habe Zar Kalojan getötet.38 Doch machte sich der neue König schnell unbeliebt, da er die Kathedrale der Stadt nach dem Vorbild Konstantinopels an einen lateinischen Erzbischof übertrug. Zugleich wurde aus Hagios Demetrios nun Sankt Demetrius; man entzog dem orthodoxen Klerus – zumindest teilweise – auch die Kirche des Stadtpatrons und übergab sie den Kanonikern des Heiligen Grabs in Jerusalem.39 Über diese Entscheidung, die vermutlich auf den päpstlichen Legaten zurückging, kann man nur spekulieren: Offenbar sollte den Kanonikern, die ja das Pilgerwesen ins Heilige
Land schützen sollten, eine feste Basis in der Hauptstadt des Königreichs Thessaloniki gegeben werden, und zugleich erachtete man die Hüter des Grabes Christi als besonders geeignet, auch die Aufsicht über den Demetriosschrein zu erhalten. Doch barg die Entscheidung gewaltiges Konfliktpotential, da der lateinische Erzbischof von Thessaloniki nach wie vor auf den Einkünften der Besitzungen von Hagios Demetrios beharrte. Erst ein Brief Papst Innozenz’ III. aus dem Jahre 1212 schaffte hier Klarheit und bestätigt die Privilegien der Heilig-Grab-Kanoniker (Text 2).40 Später tauchte als weitere Konfliktpartei zudem das orthodoxe Kapitel von Sankt Demetrius auf, ein Teil des lokalen Klerus, der ebenfalls auf seinen Rechten bestand. In einem Brief des Jahres 1218 forderte Papst Honorius III. (1216 –1227) den Abt des Klosters von Corsier-sur-Vevey auf, dem unseligen Streit endlich ein Ende zu bereiten.41 Weitere sechs Jahre später, also bereits kurz vor der Wiedereinnahme Thessalonikis durch Theodor Komnenos Dukas (1224 –1230), wandte sich derselbe Papst an den Erzbischof von Larissa mit der Bitte, auf die Einhaltung des Abkommens zwischen dem Klerus von Sankt Demetrius und den Kanonikern des Heiligen Grabs zu dringen.42 Die ständigen päpstlichen Aufforderungen, den Streit um die Besitztümer und Einnahmen von Hagios Demetrios beizulegen, deuten auf erhebliche Konflikte zwischen den Kanonikern, dem lateinischen Erzbischof und dem lokalen orthodoxen Klerus. Letzterer scheint keinesfalls völlig entrechtet gewesen zu sein. Offenbar hatten auch er und die überwiegend orthodoxe Bevölkerung Anteil an der Verehrung des Heiligen. Ohne hier das naive Bild eines harmonischen Nebeneinanders malen zu wollen, so scheint es doch als sei ein gemeinsamer Kultraum entstanden, der auf der überkonfessionellen Verehrung des Heiligen durch Griechen wie Lateiner gründete. Daher ist auch sehr unwahrscheinlich, dass das »Grab« des Titelheiligen geplündert wurde oder Reliquien in den Westen gelangten.43 Trotzdem ist Warinus, seit 1209 lateinischer Erzbischof von Thessaloniki, in den Verdacht geraten, Reliquien in den Westen geschafft zu haben.44 Doch gibt es hierfür keine Anhaltspunkte in mittelalterlichen oder neuzeitlichen Quellen. Nur an einer Stelle, in einem Brief des Erzbischofs aus dem Jahr 1216, wird die Schenkung eines Zahns Johannes’ des Täufers an das Kloster in Phalempin erwähnt.45 Demetriosreliquien hat sich Warinus hingegen nicht angeeignet. Mit Argusaugen wachten Kanoniker des Hl. Grabs, Erzbi-
Balduin aber zog, ohne noch einmal auf Widerstand zu stoßen, weiter, der Metropole Thessaloniki zu. In seinem Gefolge befand sich der Markgraf Bonifaz … Als Balduin bei Mosynopolis lagerte, erfuhr Bonifaz von vielen Seiten, dass Balduin niemals gesonnen gewesen sei, ihm die berühmte Stadt Thessaloniki zu überlassen, wie er sich verpflichtet hatte, und dass er deshalb so eilig dorthin ziehe, weil er die Stadt sich selbst aneignen wolle. Lange Zeit stand der Markgraf starr und wie vom Blitz gerührt da. … Als Balduin in die Nähe von Thessaloniki kam, strömte ihm alles Volk entgegen und übergab sich und die Stadt bereitwillig und mit Segenswünschen seinen Händen. Sie flehten ihn aber an, er möge weder selbst die Stadt betreten noch sein Heer einziehen lassen, weil sie fürchteten, seine Leute könnten seine Befehle missachten und die Stadt plündern, zumal sie ja nicht unter einem Führer standen, sondern aus vielen Völkerschaften kamen und vielen Herren untertan waren. Teils von ihren wohlbegründeten Reden beeindruckt, teils auch beunruhigt wegen der nichts Gutes verheißenden, zornigen Abreise des Markgrafen, von dessen Umtrieben er schon viel Schmerzliches hatte hören müssen, gab Balduin den Thessalonikern nach und stellte ihnen ein rotgezeichnetes Schreiben aus, in dem er alle hergebrachten Einrichtungen der Stadt bestätigte. Er lagerte mehrere Tage außerhalb der Stadt, wurde mit gebührender Ehrerbietung behandelt und kehrte wieder nach Byzanz zurück. Nachdem Balduin in der Stadt (sc. Konstantinopel) angekommen war, ließ er den Markgrafen … holen. Er sicherte dem Markgrafen zu, dass ihm kein Leid widerfahren sollte, wenn er zurückkehrte. Daraufhin kam Bonifaz mit Balduin zusammen und schloss ein Abkommen mit ihm, räumte Didymoteichon und ging nach Thessaloniki. Er wurde von allen ohne Widerstreben aufgenommen und zog in die Stadt ein, fügte sich für den Augenblick den Umständen und verbarg sein falsches, verschlagenes Wesen. Aber er blieb nicht lange so gesonnen … Er legte den Thessalonikern Geldbußen auf, als er ihren Reichtum bemerkte, entriss die schönsten Häuser ihren Besitzern und gab sie seinen Rittern zur Wohnung. (Niketas Choniates, Hist. p. 5983 – 60057 van Dieten. Übersetzung Grabler 1958, 177 –179)
IX
IX
328
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
Der byzantinische Kaiser holt sich den hl. Demetrios zurück
gen zum Ausdruck, dessen Hilfe es angeblich zu verdanken war, dass die Palaiologen die Lateiner aus Konstantinopel vertreiben und sich der Kaiserkrone bemächtigen konnten (Text 3).53 So rächte sich, dass die Lateiner die Demetrioskapelle angeblich verwüstet hatten: »Aber die Tyrannei der Lateiner, die sich gegen die Absicht seines Bauwerks richtete, riss es bis auf die Grundmauern ab und verwandelte es zu Staub, sodass man kaum die Spuren von dem, was es einst war, ausmachen konnte. Als ich durch die Gnade Gottes und mit Hilfe des göttlichen Märtyrers Demetrios an die Macht kam, da ließ ich dieses Gebäude erneut aufrichten, welches verfallen und in Ruinen dalag, und es freimütig und großzügig in seinem früheren Glanz wiederherstellen.« Wieder einmal hatte der Thessaloniker Stadtheilige gegen auswärtige Feinde geholfen. Diesmal richtete sich sein Zorn gegen die verhassten Lateiner, die Konstantinopel leergeplündert hatten.
8 Venedig, San Marco: In der Reliquienkapelle der Schatzkammer von San Marco werden bedeutende Heiltümer, darunter Christusreliquien, aufbewahrt, die aus der Beute von Konstantinopel stammen.
schof und lokaler Klerus über den Heiligenschrein. Alleine aus dieser machtpolitischen Pattsituation heraus, die immer wieder päpstliche Interventionen erforderlich machte, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich jemand an dem Demetriosschrein vergreifen konnte.
Der byzantinische Kaiser holt sich den hl. Demetrios zurück In Thessaloniki blieb die lateinische Herrschaft Episode: 1222 eroberte Theodoros Komnenos Dukas von Epiros die Stadt, in der er sich wenige Jahre später zum Kaiser ausrufen ließ.46 1246 bemächtigte sich Johannes III. Vatatzes (1222 – 1254), der Kaiser von Nikaia, Thessalonikis, womit die Stadt wieder Teil des ›rechtmäßigen‹ byzantinischen Kaiserreichs war, das mit der Rückeroberung Konstantinopels im Jahre 1261 auch seine alte Hauptstadt zurückgewinnen sollte. Mit der Herrschaft der Palaiologen erlebte der Demetrioskult
eine erneute Blüte, in Thessaloniki wie in Konstantinopel. Gegen Ende der byzantinischen Herrschaft befanden sich in der Hauptstadt fast ein Dutzend Kirchen mit Demetriospatrozinium.47 Nicht wenige Kirchen dürften auf kaiserliche Patronage oder auf Patronage aus dem kaiserlichen Umfeld zurückgehen, doch taten sich auch private Stifter hervor.48 Manche dieser Kirchen scheinen über wertvolle Kontaktreliquien verfügt zu haben: Im bedeutenden Johanneskloster des Studios sah der russische Pilger Alexander im Jahre 1394/5 »das heilige Öl des Märtyrers Demetrios und viele Reliquien dieses Heiligen«.49 Die bedeutendste späte Stiftung für den Thessaloniker Heiligen war ein Kloster, das auf die Palaiologenfamilie zurückging. Um die Mitte des 12 . Jh. hatte Georgios Palaiologos auf der Serailspitze eine Demetrioskapelle gestiftet, die unter den Lateinern verfallen war.50 Kaiser Michael VIII. Palaiologos (1259 –1282), Nachfahre Georgs, ließ nach der Vertreibung der Lateiner die Kapelle instand setzen und zugleich mit einem Kloster verbinden, dessen Mönche sich nach dem Titelheiligen ›Hagiodemetritai‹ (ἁγιοδημητρίται) nannten.51 In spätbyzantinischer Zeit wird der Hof das Demetriosfest auch nicht mehr in der älteren Palastkapelle gefeiert haben, sondern in diesem Kloster.52 Im Klostertypikon, das erst aus dem Jahre 1282 stammt, kommt die intensive Verehrung des Heili-
329
Der hl. Demetrios blieb ein byzantinischer Heiliger; er konnte im Westen nie wirklich Fuß fassen.54 Hinweise auf Reliquien oder die Verehrung des Thessaloniker Stadtheiligen sind sehr spärlich – ganz im Gegensatz zum hl. Georg, der nicht in dem Maße ortsgebunden war und daher viel leichter seine Reise in den Westen antreten konnte. Nie unternahmen die Lateiner den ernsthaften Versuch, sich den Heiligen anzueignen, wie man das von Seiten der Bulgaren und Russen getan hatte. Vermutlich lag das auch an einem prinzipiell verschiedenen Kultverständnis in Ost und West. Während im östlichen Kulturkreis Vergegenwärtigungen von Heiligen sehr stark über Ikonen erfolgten, waren es im lateinischen Westen doch eher Primärreliquien. Genau damit konnte und wollte Demetrios jedoch nicht dienen, weil es diese Primärreliquien nicht gab. Dafür aber verteilte er überaus freigebig eine Reliquie ganz anderer Art: Myron, ein wundertätiges Öl, das angeblich dem Leib des
2. Der Papst überträgt die Aufsicht und die Einkünfte der Kirche des hl. Demetrios in Thessaloniki an die Kanoniker vom Heiligen Grab: Als infolge des schismatischen Ungehorsams die Rache des höchsten Herrschers das Land der Griechen mit der Geißel der Zurechtweisung bestraft hatte, und er dieses (sc. Land) infolge seines geheimen und unergründlichen Ratschlusses in die Hände der Lateiner zurückgeführt hatte, da erhielten zahlreiche Gottesfürchtige, die aus verschiedenen Gegenden herbeikamen, verschiedene Wohltaten, sowohl Kardinäle, als auch Fürsten wie Barone und andere Gläubige. Unter diesen erfreuten sich die Kanoniker des Heiligen Grabs des Erhalts der Kirche des heiligen Demetrius in Thessaloniki, welche sie bis zu meiner Inthronisierung mit großen Mühen und, wie ich gestehe, auch zum Nutzen dieses Landes verwalteten. Und obwohl die Kirche des heiligen Demetrius vernünftigerweise als zu meiner Gerichtsbarkeit gehörig anerkannt wird, so schien es mir doch aus Verehrung gegenüber dem Grab unseres Herrn, wo die Erlösung des Menschengeschlechts erfolgt ist, und zu dessen Unterstützung das Heer der Kreuzfahrer das Land der Romania in Besitz genommen hat, … und zumal in der genannten Kirche, die mit dem Leib eines solchen Märtyrers verziert ist, reguläre Kanoniker ehrwürdiger zu dienen vermögen als Laien …, dass es nützlich und ehrenvoll sei, wenn die Kanoniker des
Grabs des Herrn alle Besitzungen, Einkünfte, Ernteerträge, Ausstände, Erbschenkungen und Almosen, die gerechterweise zur Kirche des heiligen Demetrius gehören, für ihren Dienst an der genannten Kirche erhalten … Die Häuser, welche die Kleriker von Sankt Demetrius zur Zeit der Griechen in Thessaloniki besaßen, werden die Kanoniker des Heiligen Grabs außerdem besitzen; zudem werden sie ebenso die Opferspenden, sowohl Gaben wie Hinterlassenschaften einer bestimmten Person, als zusätzlichen Teil erhalten. Das aber, was über dem Grab (tumba) des heiligen Demetrius gespendet wird oder der Kirche von einer bestimmten Person vermacht wird, wird nach dem oben genannten Schlüssel verteilt. … Die Ausgaben, welche zur Eindeckung und für die Beleuchtung der Kirche und die Bewachung des Grabs anfallen, sollen durch die Gemeinschaft in einem bestimmten Verhältnis übernommen werden. Außerdem wird der Prior, der in der Kirche des heiligen Demetrius vom Patriarchen von Jerusalem und seinem Kapitel ernannt wird, mir und meinen Nachfolgern bei Amtsantritt seinen Gehorsam und seine Verehrung erweisen. (Innozenz III., Brief XV, 86 = PL 216, 603D– 605C, hier 604A– 605B)
IX
IX
330
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
Anmerkungen
331
7 Frühmittelalterliche Demetriospatrozinien sind im Westen so gut
3. Der hl. Demetrios als Schutzpatron der Palaiologendynastie (aus dem Typikon Michaels VIII. Palaiologos für das Demetrioskloster in Konstantinopel): 11. Dies sind die zahlreichen Hinweise auf die große Barm-
herzigkeit, die mir Gott erweist, und ich verdanke sie der Fürbitte all meiner heiligen Patrone, vor allem aber meines großen Schützers, des Myronspender genannten Demetrios. Wie mein Gesandter, da bin ich mir sicher, stellt er sich Gott vor. Schon seit langem und bis zum heutigen Tag bildet er von Gott beauftragt einen Schutzschild, um mein Leben und das Reich zu verteidigen, und ich habe keinen Zweifel, dass er mir seine Wertschätzung gewährt. Bei allen Maßnahmen, die ich als Kaiser ergriff, vor allem bei jenen, die wahrhaft kaiserlich waren, da sie das Gemeinwohl betrafen, gibt es nicht eine, bei der er mir nicht sofort seine Gegenwart und Hilfe zukommen ließ, wenn ich ihn anrief. Da er so häufig und auf so bezeichnende Weise mir zu Hilfe gekommen ist, haben wir stets seiner gedacht und dem Märtyrer Christi unseren Dank erwiesen. Doch müssen wir unsere guten Absichten in Taten umsetzen und unsere große Liebe, die wir inmitten unseres Herzens für den göttlichen Demetrius fühlen, auf konkrete Weise ausdrücken. Denn wie seine Fürsprache, so soll auch unser Dank, der nun in die Tat umgesetzt wurde, »Gott Frucht bringen« (Römer 7, 4). Denn was auch immer man aus Verehrung für seine Diener tut, das kommt in Form von Verehrung zurück. 12 . In längst vergangenen Zeiten war der gesegnete
Heiligen entsprang, das vor Krankheiten wie vor Feinden schützte, das zunächst eher verhalten floss, dann jedoch in großen Mengen von zahllosen Besuchern der Kirche Hagios Demetrios in Empfang genommen wurde und bisweilen in überaus kunstvollen Reliquiaren aufbewahrt wurde. Welche Aufschlüsse geben uns diese Objekte über den Kult und den Heiligenschrein in Hagios Demetrios?
Georgios Palaiologos berühmt für seinen flammenden Glaubenseifer und seine große Gottesliebe, wie auch für seine Bildung, seinen Mut und seine militärische Erfahrung, die er in kriegerischen Konflikten dieser Zeit bewies, die ihm zahlreiche Ehrungen durch den Kaiser eintrug und ihn mit Ruhm bedeckte. Er hatte die Absicht, in der Kaiserstadt von den Fundamenten ein ehrwürdiges und heiliges Haus für den Märtyrer Christi zu errichten. Denn der Myron spender ist der angestammte Schutzpatron des Geschlechts der Palaiologen. Aber die Tyrannei der Lateiner, die sich gegen die Absicht seines Bauwerks richtete, riss es bis auf die Grundmauern ab und verwandelte es zu Staub, sodass man kaum die Spuren von dem, was es einst war, ausmachen konnte. Als ich durch die Gnade Gottes und mit Hilfe des göttlichen Märtyrers Demetrios an die Macht kam, da ließ ich dieses Gebäude erneut aufrichten, welches verfallen und in Ruinen dalag, und es freimütig und großzügig in seinem früheren Glanz wiederherstellen. Ich ließ auch ein Kloster einrichten und Mönche ansiedeln, damit diese zur Freude Gottes ihren Dienst verrichten. Und ich wies ihnen Grundbesitz und Einkommensquellen zu, sodass sie ihre Ausgaben bestreiten und für ihr leibliches Wohl aufkommen können. (ed. Henri Grégoire, Imperatoris Michaelis Palaeologi de vita sua, Byzantion 29/30, 1959/60, 447 – 476, hier 461– 463)
8 9
10 11
12
Anmerkungen 1 Vgl. hierzu Jean-Marie Sansterre, Les moines grecs et orientaux à Rome
2 3
4 5 6
aux époques byzantine et carolingienne (milieu du VIe s. – fin du IXe s.), Brüssel 1980. Vgl. Richard Krautheimer, Rom, Schicksal einer Stadt, 312 –1308, München 1987, 89 – 90. Mariangela Marinone, Lexicon Topographicum Urbis Romae II, 1995, 370 – 371 s. v. ›S. Georgius ad Velum Aureum, diaconia, ecclesia, basilica‹. Lib. Pont. I, p. 434 Duchesne. Barbarella Belardini, Lexicon Topographicum Urbis Romae V, 1999, 40 s. v. ›S. Theodorus, diaconia‹. Zu S. Maria Antiqua s. die Beiträge im Sammelband von John Osborne – Rasmus Brandt – Giuseppe Morganti (Hrsg.), Santa Maria Antiqua al Foro Romano cento anni dopo, Rom 2004.
13 14
15
16 17
18
wie nicht überliefert. In Ravenna gab es sechs Meilen vor den Mauern der Stadt eine Demetrioskirche, die in Agnellus’ Bischofschronik erwähnt wird (Liber Pontificalis Rav. c. 99 p. 9816 –18 Nauerth): Iterumque eum coegerunt et ab urbe proiecerunt non longe ab hac miliario 6, ubi ecclesia beati Demetrii antiqua structa est. Hippolyte Delehaye, L’hagiographie ancienne de Ravenne, Analecta Bollandiana 47, 1929, 5 – 30, hier 12 , vermerkt ohne Grund, die älteste Kapelle von Classe sei dem hl. Demetrios geweiht gewesen. Man hat versucht, eine südlich von San Apollinare in Classe gelegene fünfschiffige Basilika, deren frühere Bauphase auf das späte 5 . oder 6 . Jh. zurückgeht, mit der Demetrioskirche in Verbindung zu bringen, doch ist die Identifi zierung sehr hypothetisch und gründet sich nur auf topographische Überlegungen, nicht auf archäologische Indizien: s. hierzu jüngst Deborah Mauskopf Deliyannis, Ravenna in Late Antiquity, Cambridge 2010, 197 –198 . Ebenso Friedrich Wilhelm Deichmann, Ravenna, Hauptstadt des spätantiken Abendlandes, 2/2: Kommentar, Wiesbaden 1976 , 321– 322 . Ältere Literatur zur Basilica von Casa Bianca: Giu seppe Cortesi, La basilica della Casa Bianca, in: Atti del I congresso nazionale di studi bizantini, Ravenna 1965, 43 – 64; Giuseppe Bovini, Note sull’edificio paleocristiano di culto rinvenuto nel 1965 a 2 km. a sud di S. Apollinare in Classe, Felix Ravenna 3, fasc. 42 , 1966 , 104 –115, ders., Recenti scoperte di edifici paleocristiani di culto nel territorio di Classe (Ravenna), in: Akten des VII. internationalen Kongresses für Christliche Archäologie, Rom – Berlin 1969, I, 391– 399, hier 398 – 399; Gino Vinicio Gentili, Origini e fasi costruttive del complesso ecclesiale della Ca Bianca presso Classe di Ravenna, Acta Archaeologica, Academia scientiarum et artium slovenica 23, 1972 , 196 – 211. Passio Prima (lat.) p. 1167D–1170A. Lapina 2009, 97. Paul Speck erklärt dies mit einer späteren Datierung der Zusammenstellung des ersten und zweiten Buchs der Miracula Sancti Demetrii, die – so Speck – Anastasius noch gar nicht komplett vorgelegen hätten: Paul Speck, Nochmals zu den Miracula Sancti Demetrii. Die Version des Anastasius Bibliothecarius, in: Varia 5 (= Poikila Byzantina 13), Bonn 1994, 317 – 429. So etwa Lapina 2009, 102 –104. Einar Joranson, The Problem of the Spurious Letter of Emperor Alexius to the Count of Flanders, American Historical Review 55, 1950, 811– 832 . Heinrich Hagenmeyer, Die Kreuzzugsbriefe aus den Jahren 1088 –1100. Eine Quellensammlung zur Geschichte des ersten Kreuzzuges, Innsbruck 1901, 134. Hagenmeyer, a. O. 135. Vgl. Anthony Cutler, From Loot to Scholarship. Changing Modes in the Italian Response to Byzantine Artifacts, Dumbarton Oaks Papers 49, 1995, 237 – 267, hier 239. Hans-Werner, Goetz, LexMA IV, 1989, 2020 – 2021 s. v. ›Heilige Lanze‹. Die Heilige Lanze wurde im Westen schon seit dem 10. Jh. als besondere Herrschaftsinsignie verehrt. Hagenmeyer, a. O. 146 –149. Lapina 2009, 93 . Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum IX, 29. Carl Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935 (Ndr. Darmstadt 1965), 257; Lapina 2009, 94. Tudebodus Historia de Hierosolymitano itinere, ed. Recueil des historiens des croisades: historiens occidentaux, III, Paris 1866 (Ndr. Westmead 1967), 80 – 81. Petrus Tudebodus: Historia de Hierosolymitano itinere,
19 20
21
22 23
24
25
26
27
28
29
translated by John Hugh Hill and Laurita L. Hill, Philadelphia 1974, 87 – 88 . Vgl. hierzu allg. Zacharuk 1988, 161–164. Kurt Weitzmann, Icon Painting in the Crusader Kingdom, in: ders., Studies in the Arts at Sinai, Princeton NJ 1982 , 325 – 386 , hier 354; Kurt Weitzmann, Thirteenth-Century Crusader Icons on Mount Sinai, in: ders., Studies in the Arts at Sinai, Princeton NJ 1982 , 291– 324, hier 195; Jaroslav Folda in: Faith and Power 377 Nr. 232; Jaroslav Folda, Crusader Art in the Holy Land, from the Third Crusade to the Fall of Acre, 1187 –1291, Cambridge Mass. 2005, 330. Vgl. auch Lapina 2009, 100 –101, die allerdings suggeriert, diese Vision sei durch die lateinische Übersetzung des 14. Wunders im ersten Buch der Miracula durch Anastasius Bibliothecarius inspiriert. Vgl. auch Lapina 2009, 102 . Reise Lietberts ins Heilige Land, ed. MGH Scriptores XXX.2 , 1934, 85526 – 30 . Édouard de Moreau, Histoire de l’eglise en Belgique, II: La formation de l’Église médiévale, Brüssel 1945², 438 . De Bye 1866, 77. Vermutlich vergaß der Autor Rudolf in seiner sehr kursorischen Wegbeschreibung einen Aufenthalt in Thessaloniki, von wo Lietbert mit dem Schiff in den Nahen Osten gefahren sein dürfte. Deshalb tritt Demetrios auch nicht alleine auf, sondern zusammen mit anderen heiligen Kriegern wie Georg, Theodor, Merkurios. So soll Gerold von Avranches, ein Kleriker am Hof Hugos von Avranches, neben anderen die hll. Demetrios, Georg und Theodor als Vorbild für Ritter empfohlen haben (Orderic Vitalis, The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, trans. Marjorie Chibnall, III, Oxford 1972 , 216): »Er (sc. Gerold) erzählte ihnen lebhafte Geschichten von den Kämpfen des Demetrios und des Georg, des Theodor und Sebastian, der Thebäischen Legion und seinem Anführen Mauritius, und von Eustathios, dem Oberbefehlshaber der Armee, und seinen Gefährten, welche im Himmel die Krone des Martyriums erlangten.« Zwar berichtet Orderic von Ereignissen aus dem 70 er Jahren des 11. Jh., doch wurde die Kirchengeschichte erst in den späten 30 er Jahren des 12 . Jh. verfasst. Vermutlich projizierte Orderic also die infolge des ersten Kreuzzugs gestiegene Popularität byzantinischer Soldatenheiliger zu Unrecht in die Zeit vor dem ersten Kreuzzug. Vgl. James B. MacGregor, The Ministry of Gerold d’Avranches: WarriorSaints and Knightly Piety on the Eve of the First Crusade, Journal of Medieval History 29, 2003 , 219 – 237, hier 228 – 231 u. 233 – 235; Lapina 2009, 101. Vgl. Lapina 2009, 106: »If the crusaders could not get Byzantine soldiers, they got Byzantine saints. … When Demetrius and other saints joined the crusaders, they abandoned the byzantines.« Lucien Musset (Hrsg.), Les Actes de Guillaume le Conquérant et de la Reine Mathilde pour les Abbayes Caennaises, Caen 1967, 141 Nr. 29. Lapina 2009, 108 . Ambrose Ledru, Le bienheureux Démétrius de la Fontaine-SaintMartin, La Province du Maine 9, 1901, 129 –142 , hier 140; Georges Busson – Ambroise Ledru, Acta Pontificum Cenomannis in urbe degentium, Le Mans 1901, 418; Scholz 2007, 65; Lapina 2009, 108 . Jean Mabillon, Vetera Analecta, Paris 1723², 318 (der den Inhalts des Dokuments allerdings nicht genau wiedergibt). Da diese Schenkung bereits unter Bischof Hildebert (1097 –1125) erfolgte, kann es sich kaum um Gottfried III. von Mayenne handeln, der 1158 das Kreuz nahm und bis 1162 im Heiligen Land blieb. Vermutlich handelt es sich also um Gottfried von Mayenne, den Bischof von Angers (1093 –
IX
IX
332
1101), wobei unklar ist, wie dieser in den Besitz der yconia mit den
Reliquien gekommen sein soll. 30 Riant II, 1878 , 61. 31 Adrien Baillet, Les vies des Saints, composes sur ce qui nous est resté de plus authentique, et de plus assuré dans leur histoire, III, Paris 1715, 115. 32 http://fr.wikipedia.org/wiki/Eglise_Saint-Denis-du-Pas. 33 De Bye 1866 , 78 . 34 S. u. S. 395 – 432 . 35 S. u. S. 338 . S. hierzu Johannes Irmscher, Konrad von Krosigk, Bischof von Halberstadt, als Teilnehmer des Kreuzzugs, Byzantino-Bulgarica 7, 1981, 187 –193 . 36 Niketas Choniates, Hist. p. 599 van Dieten. Zur Geschichte Thessalonikis während der Lateinerherrschaft s. Tafrali 1919, 192 – 211; Theocharidis 1980, 310 – 322 . 37 Vgl. auch Robert S. Nelson, Tales of Two Cities: The Patronage of Early Palaeologan Art and Architecture in Constantinople and Thessaloniki, in: Ο Μανουήλ Πανσέλινος και η εποχή του (Ho Manuel Panselinos kai he epoche tou), Athen 1999, 127 – 140, hier 136. Die Enteignung von Häusern erwähnt Niketas Choniates, Hist. p. 599 van Dieten. 38 S. o. S. 294 – 295 39 Janin 1958 , 211– 214. 40 Innozenz III., ep. XV, 86 = PL 216 , 603 – 605 . 41 August Potthast, Regesta Pontifica romanorum, I, Berlin 1874 , 511 Nr. 5825: Abbati de Corciaco ord. Cisterc. causam, quae inter fratres Dominici Sepulchri Thessalonicens. dioc. et capitulum ecclesiae s. Demetrii a longo tempore vertebatur, terminandam committit. iv kal. Iun. a° 2°. 42 Petrus Pressuti, Regesta Honorii papae III, II, Rom 1895 , 273 Nr. 5126: Archiepiscopo Larisseno, cantori et Girardo de Bisuntio canonico Thebanis. Compositionem inter decanum et capitulum ecclesiae sancti Demetrii Thesalonicensis ex una parte, et priorem et fratres Dominici Sepulcri Thesalonicensis ex altera, super quibusdam possessionibus et rebus aliis, mediante P(elagio) Albanensi episcopo tunc
Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens
Apost(olicae) Sedis Legato initam, per quam iidem prior et fratres sex perpetuos vicarios habere tenentur in ecclesia supradicta, observari faciant. Laterani V. Idus Octubris anno nono. 43 Der einzige Hinweis auf die Translation eines Thessaloniker Heiligen in den Westen betrifft Hosios David. Seine Gebeine sind im Jahr 1236 in Pavia bezeugt; offenbar hat man sie während der Lateinerherrschaft entwendet, oder aber man gab im Westen vor, sie entwendet zu haben: Raymond-J. Loenertz, Saint David de Thessalonique. Sa vie, son culte, ses reliquies, ses images, Revue des études byzantines 11, 1975, 205 – 223, hier 221– 222 . 44 So grundlos Bakirtzis 2002 , 186 . 45 Riant I, 1877, clxx, und II, 1878 , 104 –105 Nr. xliii. 46 S. o. S. 405 – 411. 47 Aufgelistet bei Janin 1969 ², 88 – 94. 48 Demetrioskirche τοῦ Ἐλαφροῦ, vermutlich eine Stiftung, die auf einen gewissen Demetrios Elaphros zurückgeht und sich im Bereich der Serailspitze befunden haben muss: Janin 1969 ², 90. Demetrioskirche τοῦ Ῥαδηνοῦ: Janin 1969 ², 94. 49 Majeska 1984, 165 . 50 Wo sich Kirche und Kloster befanden, ist nicht mit Sicherheit bestimmbar, doch lag es vermutlich an der Nordseite des heutigen Topkapı Sarayı: Janin 1969 ², 93 – 94. 51 Raymond Janin, Les sanctuaires byzantins des saints militaires, Echos d’Orient 33 , 1934, 163 –180, 331– 340, hier 334 – 337; Janin 1969 ², 92 – 94. 52 Ps.-Kodinos, off. c. IV p. 24218 – 21 Verpeaux: Κατὰ τὴν μνήμην τοῦ μεγάλου Δημητρίου εἰς τὴν ἐπ᾿ ὀνόματι αὐτοῦ τιμωμένην σεβασμίαν μονὴν τὴν τῶν Παλαιολόγων. 53 Typikon Michaels VIII. Palaiologos für das Demetrioskloster in Konstantinopel c. 12 . ed. Henri Grégoire, Imperatoris Michaelis Palaeologi de vita sua, Byzantion 29/30, 1959/60, 447 – 476, hier 463 . 54 Anders Lapina 2009 passim, welche die Verehrung des Heiligen im Westen bei weitem überschätzt.
333
IX
X
334
X
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Um die Echtheit von Reliquien nachzuweisen, werden heutzutage nicht selten naturwissenschaftliche Methoden angewandt. Das vielleicht bekannteste Beispiel, das Gegenstand moderner Untersuchungsmethoden wurde, ist das Turiner Grabtuch (Abb. 2).1 Man hat Farbpigmente untersucht, Gewebeproben analysiert, Pollenreste identifiziert und schließlich auch die Webtechnik in Augenschein genommen. Auf jedem erdenklichen Weg ist versucht worden, die Echtheit zu belegen oder zu widerlegen. Beglaubigung bzw. Falsifizierung haben sich ganz in den Bereich der Naturwissenschaft verlagert, ihre Analyseverfahren haben in unserer heutigen Welt Beweischarakter. Oder anders ausgedrückt: Es besteht weitgehender Konsens, dass sich über diese Methoden Echtheit nachweisen oder aber widerlegen lässt. In der Spätantike und im Mittelalter fehlten solche Untersuchungsverfahren, gab es keine Labore und Materialuntersuchungsanstalten. Und dennoch gab es kollektiven Konsens hinsichtlich der Authentizität bestimmter Gegenstände. Was aber bewog einen damaligen Menschen zur Annahme, etwas sei original? Die Reliquie selbst ist meist nur ein bescheidener, unansehnlicher Rest, ein Knochen, oft gar nur ein Knochensplitter.2 Sie trägt kein sichtbares Zeichen der Heiligkeit und bedarf somit einer Authentifizierung. Dieser Beleg konnte durch besondere Ereignisse – etwa Heilungswunder – erfolgen. Vor allem aber erfuhr die Reliquie Beglaubigung durch ihren Kontext, ihre Rahmung und Inszenierung. Knochen, die sich im Dunkel einer römischen Katakombe bestattet fanden, besaßen mehr Überzeugungskraft als solche, die ein Reliquienhändler auf seinem Tisch ausbreitete. Eine auf-
1 Seit dem 11. Jh. wurden sehr aufwendige Reliquiare gefertigt, in denen man »Myron« und »Blut« des Märtyrers verwahrte. Einige dieser Kästchen gelangten im 13. Jh. in den Westen, so auch drei Reliquiare im Domschatz von Halberstadt, die Bischof Konrad von Krosigk aus Thessaloniki in seine Heimat brachte (Halberstadt, Domschatz).
2 Negativaufnahme des Grabtuchs von Turin. Um die Echtheit dieser angebli-
chen Christusreliquie werden bis heute intensive Debatten geführt. Anhänger wie Gegner der Echtheitstheorie bedienen sich modernster wissenschaftlicher Methoden, um ihren Standpunkt zu belegen.
X
336
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
wendige architektonische Inszenierung im Rahmen einer Krypta oder einer Kapelle verlieh einer Reliquie Autorität und wies jeden Betrachter unmissverständlich auf die Heiligkeit der Reliquie hin. Nichts anderes galt für das Reliquienbehältnis.3 Reliquiare waren wie kleine Architekturen, die etwas Heiliges umschlossen.4 Sie steckten einen sakralen Bereich ab, verwiesen auf den wertvollen Inhalt und kanalisierten die visuelle Annäherung an die Reliquie. Sie verbargen, ermöglichten zugleich aber Zugang. Sie steigerten den Wunsch, dem Heiligen nahezukommen, reglementierten
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
337
5a
X
5b
3 Diese Tonampulle aus dem 6. oder 7. Jh. enthielt einst Öl vom Schrein des
hl. Menas im Nildelta. Die Abbildung des betenden Heiligen zwischen zwei demütig niederknienden Kamelen belegte unzweifelhaft die Echtheit des Inhalts (Paris, Musée du Louvre). 4 Im Altar der Sancta Sanctorum Kapelle im Lateranspalast fand man dieses Reliquiar aus dem 7. Jh. mit Steinen, die von Orten stammen, an denen sich
Christus aufhielt. Der gemalte Dekor des Deckels zeigt die Szenen der Geburt, Taufe, Kreuzigung, der Frauen am Grabe und der Himmelfahrt und verwies so auf die Herkunft der Reliquien (Rom, Vatikanische Museen).
aber den Zugriff. Eben hierdurch gewann das Unscheinbare an Wert. Ein Knochen oder Holzsplitter wurde erst durch seine Fassung oder sein Behältnis zur Reliquie. Pilgerampullen waren keine Behältnisse für ›stationäre‹ Primärreliquien, sondern mobile Flakons, mittels derer wunderwirksames Öl in alle Gebiete der Oikumene verbreitet wurde.5 Manche dieser Ampullen zeigen das Bild eines Heiligen und verweisen so darauf, dass das Öl aus einem Heiligenschrein stammt (Abb. 3). Aufwendiger war die ›Beweisführung‹ etwa im Falle einer Holzlade, die im Altar der Sancta-Sanctorum-Kapelle in Rom entdeckt wurde. Ihr Schiebedeckel zeigt die Szenen der Geburt Christi, Taufe, Kreuzigung, der Frauen am Grabe und Himmelfahrt (Abb. 4).6 Im Inneren enthält die Lade in Wachs gebettete Steine, auf denen inschriftlich vermerkt war, woher sie stammten, nämlich von jenen Orten, die Christus mit seinen Füßen berührt haben soll. Bild und Reliquie gingen hier eine enge Symbiose ein; beim Wegziehen des Deckels traten die Kontaktreliquien Christi an die Stelle des Bilds und waren so beglaubigt.
5a–b Ein besonders aufwendiges Reliquiar ist die Staurothek von Pliska in Bulgarien aus dem 9. Jh. Der aus Gold gefertigte Anhänger besteht aus einer äußeren Kapsel, in der sich ein weiteres kreuzförmiges Behältnis befindet. Die Kreuzigungsdarstellung weist Aussparungen auf, so dass die Reliquie des Wahren Kreuzes durchschien (Sofia, Archäologisches Nationalmuseum).
Noch eindrücklicher erfolgte eine solche Verschmelzung von Bild und Reliquie im Falle der sog. Staurothek von Pliska, eines wohl im 9. Jh. gefertigten Anhängers, der in überaus vielschichtiger Weise den darin enthaltenen Splitter des Wahren Kreuzes inszeniert (Abb. 5).7 Der Reliquienbehälter zeigt eine Kreuzigung, wobei man die Kreuzarme mit Aussparungen versah, sodass das Holz der Reliquie gesehen werden konnte. Das Bild in seiner zeichenhaften Qualität verschmolz mit der Substanz der Reliquie.8 Nachdrücklicher konnte die Authentizität des Kreuzsplitters nicht belegt werden. Etwa zur selben Zeit wurde in Konstantinopel die berühmte Fieschi-Morgan-Staurothek gefertigt, ein emailverziertes Behältnis mit Schiebedeckel (Abb. 6).9 Das Innere der Lade enthielt eine Kreuzreliquie, wie aus der Form des
X
338
Fachs hervorgeht. Der Deckel wiederum zeigt als zentrale Szene die Kreuzigung, die genau über der darunter befindlichen Reliquie positioniert ist. Durch dieses Übereinander von Bild und Reliquie, die im Moment des Öffnens ineinander übergingen, wurde die Echtheit der Reliquie verdeutlicht. Es wurde klar gemacht, dass es sich bei dem Inhalt des Kästchens um das Holz handelte, an das Christus geschlagen worden war. Für den byzantinischen Betrachter, der es gewohnt war, Bilder als stellvertretende Präsenz des Dargestellten zu sehen, war klar: die Reliquie war echt.
Demetriosreliquiare im Domschatz zu Halberstadt Dass diese einleitenden Überlegungen nicht zu hoch gegriffen sind, zeigt eine Gruppe kostbarer Demetriosreliquiare, die von den damaligen Besitzern als Anhänger getragen werden konnten. Drei der Reliquiare befinden sich im Domschatz von Halberstadt und dürften als Besitz des damaligen Bischofs Konrad von Krosigk im frühen 13. Jh. in den Westen gekommen sein.10 Das älteste dieser drei Objekte ist ein rechteckiges Enkolpionreliquiar aus feuervergoldetem Silber, das ohne Aufhängering nur 4,5 cm hoch ist (Abb. 1,
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Demetriosreliquiare im Domschatz zu Halberstadt
339
X
7a
7b
7c
7d
7a–d).11 Das separat in den Deckel eingesetzte Emailplätt-
chen zeigt den stehenden Demetrios in Chlamys mit Tragekreuz. Durch eine Beischrift ist der Heilige eindeutig identifiziert. Auf der Rückseite des Reliquiars befindet sich eine Darstellung des hl. Nestor in Treibtechnik. Öffnet man den emaillierten Deckel, so sieht man zwei Fächer. Hinter den beiden Türflügelchen des oberen Fachs ist ein Brustbild des hl. Demetrios mit verschlossenen Augen und vor dem Körper überkreuzten Armen. Im unteren Fach haben sich Reste einer amorphen Substanz erhalten, bei der es sich offenbar um eine Reliquie handelt.12 Zudem bildet der Ring für die Aufhängung des Reliquiars den Schraubverschluss für einen Hohlraum, der die gesamte Rückseite einnimmt und in dem offenbar eine Flüssigreliquie aufbewahrt werden konnte (Abb. 8). Ausschlaggebend für die Datierung des Halberstädter Reliquiars ist der Stil des Emails, das mit Arbeiten des 10. und 11. Jh. verglichen wird.13 Man hat als Parallelen die Emails der Limburger Staurothek, des Einbands des Perikopenbuchs Heinrichs II., der Monomachos-Krone, der Pala d’Oro des Ordelaffo Falier und der Stephanskrone angeführt, doch überzeugen nicht alle Vergleiche.14 Die Gewänder der Figuren auf den in etwa gleichgroßen Emails des Limburger Reliquiars, das in den 60er Jahren des 10. Jh.
6
6 Die nach zwei Vorbesitzern sogenannte Fieschi-Morgan-Staurothek aus dem frühen 9. Jh. zeigt auf dem Schiebedeckel eine Kreuzigung. Direkt unter dem
Bild befindet sich die Reliquie des Wahren Kreuzes in einem kreuzförmigen Fach (New York, Metropolitan Museum).
7 Das kleinste der Halberstädter Demetriosreliquiare zeigt auf dem Deckel eine
Emaildarstellung des Heiligen. Klappt man den Deckel weg, so sieht man zwei weitere mit Flügeltürchen verschlossene Fächer. Im oberen befindet sich eine Reliefdarstellung des verstorbenen Heiligen, im unteren eine dunkle Substanz, die bislang noch nicht identifiziert wurde. Die Rückseite des Reliquiars ziert eine Darstellung des hl. Nestor (Halberstadt, Domschatz).
X
340
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
8 Schematischer Schnitt durch das emailverzierte Halberstädter Enkolpionreliquiar: Unter dem Hauptdeckel verbergen sich zwei Fächer mit eigenen Deckeln, in denen sich ein Reliefbild des toten Heiligen (oben) und eine dunkle Substanz (unten) befinden. Der gesamte rückwärtige Raum des Reliquiars diente als Behältnis für geheiligte Flüssigkeit.
9 Bei diesem Halberstädter Reliquiar ist die Darstellung auf dem Deckel
gefertigt wurde, weisen einen viel weicheren Schwung auf; Zacken und Spiralen fehlen völlig. Dies gilt auch für die – wiederverwendeten – Emails auf dem Einband des Perikopenbuchs Heinrichs II. aus den Jahren 1007 bis 1012: Sie sind in ihrer Farbgebung und ihrem weichen Faltenschwung eher mit denen aus Limburg zu vergleichen als mit dem Halberstädter Reliquiar. Größere Ähnlichkeiten weisen die Emails der Monomachoskrone auf, die zwischen 1042 und 1050 entstanden ist: Hier lassen sich bereits spitze Zacken und die charakteristischen Spiralen an Knien und Ellenbogen beobachten. Dieser Gewandstil ist typisch für Emails der komnenischen Zeit. Er begegnet auf denen der StephansKrone, die für den Ungarnkönig Geza I. (1074 –1077) gefertigt wurden, und auf der Pala d’Oro des Ordelaffo Falier aus dem frühen 12 . Jh. Auf dem Halberstädter Reliquiar erfolgte die Gestaltung der Gewandfalten aufgrund der Kleinheit der Darstellung wesentlich summarischer und wirkt daher weniger elaboriert. Doch bemühte sich der Emailkünstler Elemente jenes Spiral- und Zackenstils aufzugreifen: eine Spiralfalte über dem rechten Knie und, hiervon ausgehend, Zackenfalten, die das leichte Hervortreten des rechten Beins unterstreichen. Dies wiederum bedeutet, dass das gesamte 11. und vielleicht auch das frühe 12 . Jh. als Entstehungszeitraum in Frage kommen.15
Die Ineinanderschachtelung von verschiedenen bildlichen Darstellungen des Heiligen findet sich auch auf einem weiteren Demetriosreliquiar im Halberstädter Domschatz (Abb. 9a–d): Hierbei handelt es sich um ein etwas größeres Enkolpion aus feuervergoldetem Silber von 5 cm Höhe.16 Das einstige Email auf dem Deckel ging verloren, nur der gekerbte Perlstabrand hat sich erhalten. Auf der Rückseite sieht man das lebensspendende Kreuz in Treibarbeit. Im Inneren des Kästchens findet sich eine doppelflüglige Türöffnung, hinter der ein Brustbild des Märtyrers mit geschlossenen Augen und vor dem Körper überkreuzten Armen zu sehen ist. Reste einer schwarzen Substanz lassen vermuten, dass man in diesem Fach gleichzeitig auch eine Reliquie verwahrt hat. Eine Flüssigreliquie wiederum wurde in einem flachen rückwärtigen Hohlraum aufbewahrt, wobei der Anhänger zugleich als Schraubverschluss diente. Das Objekt dürfte wie auch das zuvor erwähnte emailverzierte Reliquiar im 11. oder frühen 12 . Jh. entstanden sein.17 Etwas aufwendiger in der Gestaltung ist ein drittes Demetriosreliquiar, ebenfalls im Halberstädter Domschatz. Mit 10 cm Höhe ist das Kästchen wesentlich größer als die anderen beiden Reliquiare. Es besteht aus vergoldetem Silber und weist keinen Klapp-, sondern einen Schiebedeckel auf (Abb. 10a–d).18 Dieser zeigt in getriebener Arbeit den
verlorengegangen. Im Inneren enthält es ein verschlossenes Fach mit Relief darstellung des verstorbenen hl. Demetrios (Halberstadt, Domschatz). Die Rückseite zeigt das mit einer Beischrift IC XC (Jesus Christus) versehene lebensspendende Kreuz, dessen Fuß Ranken entspringen.
Demetriosreliquiare im Domschatz zu Halberstadt
341
X
9a
9b
9c
9d
stehenden Demetrios als Oranten in Chlamys. Das Bildfeld ist erhöht und setzt sich vom Rahmen ab. Einzelne Elemente der Darstellung, der Nimbus und das Tablion auf der Chlamys, waren in Email ausgeführt. Die stark beschädigte Rückseite zeigt das Lebenskreuz zwischen Akanthusranken. Öffnet man den Schiebedeckel, sieht man zwei rechteckige Vertiefungen mit jeweils doppelflügligen Verschlüssen, wobei der untere linke Flügel fehlt. Auf den
oberen Türflügeln sind in getriebener Arbeit die hll. Nestor und Lupos dargestellt, auf den unteren der hl. Damian und demnach einst wohl auch der hl. Kosmas. Hinter den Türflügelchen befindet sich in der oberen Öffnung ein Brustbild des Demetrios mit geschlossenen Augen und überkreuzten Armen. Im unteren Fach wurde wiederum eine Reliquie aufbewahrt. Abermals wird der gesamte rückwärtige Bereich von einem Hohlraum eingenommen, in
X
342
10 Das größte der Halberstädter Reliquiare zeigt auf dem Deckel Demetrios als
Oranten. Hinter dem Schiebedeckel befinden sich zwei Fächer mit Flügeltürchen, die Nestor und Lupos (oben) sowie Damian und damit einst wohl auch Kosmas
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
(unten) zeigen. Das obere Fach enthält abermals eine Reliefdarstellung des toten Heiligen. Eine umlaufene Inschrift gibt Aufschluss über den Inhalt des Reliquiars: Blut und Myron (Halberstadt, Domschatz).
Demetrios als Myronspender
dem sich heute noch die Reste einer harzartigen Substanz befinden. Dabei handelt es sich um die Eintrocknung einer Flüssigkeit, die einst über eine runde Öffnung an der oberen Schmalseite eingefüllt wurde. Der Deckel der Öffnung ging verloren, sodass nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob es sich um ein Enkolpionreliquiar handelte. Seine zeitliche Einordnung gestaltet sich insofern schwierig, als die Chronologie mittelbyzantinischer Treibarbeiten nur in Umrissen bekannt ist. Das feine Perlstabornament findet sich auch auf den beiden anderen Halberstädter Reliquiaren, und die Ornamentik auf der Rückseite zeigt noch nicht die Elaboriertheit der späteren metallenen Ikonenrahmen.19 Die teilweise Emailverzierung von in getriebener Technik dargestellten Figuren findet sich etwa auf der Michaelsikone im Tesoro von San Marco in Venedig. Diese kann über die flankierenden kleinen Emails ins 11. Jh. datiert werden (Kap. VII Abb. 26).20 Enge Parallelen bestehen ferner zwischen dem Ornament des unteren Abschlusses der Chlamys und dem des Gewands des Erzengels Michael auf der Pala d’Oro. Diese Email ist zwar erst nach 1204 als Beute nach Venedig gekommen, dürfte aber im frühen 12 . Jh. entstanden sein.21 In beiden Fällen lässt sich eine schematisierte Ranke beobachten, die an den Seiten nach oben zieht. Vermutlich entstand das dritte Halberstädter Reliquiar nach den anderen beiden, im späten 11. oder in der ersten Hälfte des 12 . Jh.22
343
Entlang der drei Schmalseiten des Reliquiars verläuft eine zweizeilige griechische Inschrift in Niellotechnik (Abb. 10e): »Nicht Blut allein, sondern auch Myron trage ich, gegenwärtiges Grab des Märtyrers Demetrios, das denen Stärke verleiht, die (sc. Blut und Myron) mit Sehnsucht empfangen haben.«23 Diese Inschrift ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich, denn nun erfährt man endlich etwas über den Inhalt des Reliquiars. Es enthielt nicht nur Myron, sondern angeblich auch Blut des Märtyrers Demetrios. Man hört also von zwei Reliquienarten: Myron, eine ölartige Flüssigkeit, die angeblich dem Leib des hl. Demetrios entsprang, und Blut, also eine Primärreliquie, ein Teil der Physis des Heiligen. Woher aber stammten diese beiden Reliquien? Wie gelangten die Substanzen in das Reliquiar, bevor es in den Westen gebracht wurde?
Demetrios als Myronspender Wesentliche Eigenschaft des Demetrioskults ist das Fehlen einer Körperreliquie oder eines verehrten Leibs. Doch waren Knochen nicht die einzige Art von wundertätigen Überbleibseln von Heiligen. Auch Gegenstände, die Christus oder ein Heiliger zu Lebzeiten berührte, erfüllten sich mit übernatürlicher Wirkmacht, hatten fortan Anteil an einer übermenschlichen Dynamis.24 Daher hielt man vor
X
X
344
allem Gewänder oder die Folter- wie Todeswerkzeuge Christi und der Heiligen in Ehren: das Wahre Kreuz, die Dornenkrone, der Mantel Mariens, der Rost des hl. Laurentius, die Ketten des hl. Petrus. Auch betrachtete man Dinge oder Flüssigkeiten als wirkmächtig, die mit dem Leib eines verstorbenen Heiligen in Kontakt gebracht worden waren. In Sankt Peter zu Rom ließ man in der Nische, die zum Grab des Heiligen führte, Tücher hinab, die sich so Heilkraft aneigneten und dadurch angeblich auch schwerer wurden.25 Vor allem aus dem syrischen Bereich sind kleine Reliquiare bekannt, die über zwei Öffnungen zum Einfüllen und zum Auffangen einer Flüssigkeit verfügten (Abb. 11). Eingegossenes Öl kam so mit den Heiligenknochen in Berührung, lud sich mit Wirkmacht auf und trat als heilbringende Substanz wieder aus.26 Doch bedurfte es hierzu eines heiligen Leibs, eines Grabs oder eines Reliquiars mit den physischen Resten eines Heiligen. In Hagios Demetrios gab es – jedenfalls in den ersten Jahrhunderten nach der Errichtung der Kirche – weder ein solches Grab noch eine verehrte Stätte, wo der Leib des Heiligen hätte berührt oder gesehen werden können. Daher konnten etwaige Berührungsreliquien nur einem sehr vagen Kontakt mit dem Heiligen entspringen. Im Wunderbericht von der vergeblichen Suche nach dem Demetriosgrab wird behauptet, man habe nach dem plötzlichen Abbruch der Suchgrabung im unteren Bereich der Kirche geheiligte Erde mitgenommen, um sie in der Sakristei der Bischofskirche Thessalonikis, der Hagia Sophia, aufzubewahren.27 Dies deutet aber darauf hin, dass man in Hagios Demetrios Erdreliquien nicht systematisch und dauerhaft
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
gewann, etwa für Besucher oder Pilger. Vielmehr handelte sich um eine Reliquie, die im 6. Jh. aus einer einzigartigen Situation heraus entstanden war. Als amorphe Masse konnte Erde mit dem nicht exakt lokalisierten Heiligenkorpus in Berührung kommen und belegte so durch ihre Wirkkraft dessen Existenz.28 Als weitere Kontaktreliquienart wird im zweiten Buch der Miracula Sancti Demetrii Öl erwähnt. Hierbei handelt es sich um Öl aus Lampen der Demetrioskirche von Thenai in Nordafrika, die Bischof Kyprianos aus Dank für seine Errettung gestiftet hatte.29 Obwohl das Öl nur sehr mittelbaren Kontakt zu dem Heiligen hatte, so habe es doch die Kraft besessen, Kranke zu heilen. Solche Lampenölreliquien sind im Frühmittelalter relativ häufig. Bekanntestes Beispiel ist die Sammlung von Ölreliquien, die der Rompilger Johannes um 600 nach Monza brachte. Im Auftrag der Königin Theodelinde (589 – 626) sammelte er von den Lampen, die vor den Märtyrergräbern in den Katakomben Roms brannten, Öl, füllte dieses in Flakons, legte eine Liste an und brachte sie in die Langobardenhauptstadt.30 Auch für Heiligenschreine im byzantinischen Kulturkreis ist wirkmächtiges Öl aus Lampen mehrfach bezeugt; immer wieder ist zu hören, dass es für Heilzwecke entnommen wurde.31 Für die Demetrioskirche in Thessaloniki lässt sich dieser Usus erst ab dem 11. Jh. greifen. So wird in der um das Jahr 1000 verfassten Vita des hl. Phantinos erwähnt, dieser Heilige habe beabsichtigt, die Augen einer Magd mit dem Öl (ἔλαιον) des Großmärtyrers Demetrios zu heilen (Text 1).32 Vermutlich handelt es sich bei dieser heiltätigen Flüssigkeit um Öl aus
1. Der heilige Phantinos plant, die Augen einer Magd mit Öl des hl. Demetrios zu heilen: Ein weiterer Statthalter, der aufrichtigen Glauben an den ruhmreichen Heiligen (Phantinos) hatte, pflegte ihm zweioder dreimal pro Woche Brot zu schicken. Er hatte eine Magd mit einer Augenkrankheit. Eines Tages geschah es, dass sie die übliche Gabe bringen sollte. Als der Heilige die Krankheit bemerkte und erkannte, dass sie schon seit geraumer Zeit an dieser gelitten haben musste, da sprach er: ›Komm morgen, Frau, und ich gebe dir Öl vom Großmärtyrer Demetrios, um dich zu heilen.‹ Am Morgen begab sich die Magd erneut zu Phantinos und bat ihn um die Heilung ihrer Augen, die voll von Runzeln waren. Er aber sprach:
›Das ehrwürdige Öl, welches ich Dir versprochen habe, habe ich noch nicht geholt.‹ Daraufhin hob er ein Stück Erde auf, schmierte diese in ihre Augen, sodass man sie nicht mehr sehen konnte, und forderte sie auf, sich das Gesicht zu waschen. Die Magd reinigte sich das Gesicht und die Augen und erreichte durch ihren Glauben, dass sie wieder schöne Augen hatte … (Enrica Follieri, La Vita di San Fantino il Giovane. Introduzione, testo greco, traduzione, commentario e indici, Brüssel 1993, c. 43 p. 450/452)
Demetrios als Myronspender
345
11 Libationsreliquiar aus Dehes. Man konnte in diesen Behälter von Heiligengebeinen über Öffnungen im Deckel Öl eingießen, das als sanktifizierte Flüssigkeit aus unteren Ausgüssen hervortrat.
einer Lampe der Demetrioskirche, wobei unklar bleiben muss, an welchem Ort genau diese brannte. Dieses Lampenöl darf nicht mit dem Myron (μύρον) verwechselt werden, dessen Ursprung ein ganz anderer ist. Myron stellte man sich als Ausfluss eines Heiligenkörpers vor; es entsprang einem Schrein in der Kirche Hagios Demetrios, in den man sich den Heiligen hineindachte. Wann man zum ersten Mal Myron abschöpfte, ist in der Forschung allerdings umstritten. Bislang galt Johannes Kameniates’ Bericht über die Eroberung und Plünderung Thessalonikis durch die Araber im Jahre 904 als ältester Hinweis auf die Absonderung heilbringender Substanz. In dieser Quelle wird Demetrios mehrfach als μυροβλύτης bezeichnet, also als Myronspender.33 Da jedoch gleichzeitige Quellenerwähnungen von Demetriosmyron fehlen, hat man diesen Bericht als wesentlich spätere Komposition, mindestens aber als nachträgliche Überarbeitung eines älteren Texts angesehen, der keine verlässlichen Aussagen über das frühe 10. Jh. gibt.34 Als entscheidendes Argument gegen eine Myroblysie in der Zeit um 900 sah man die Erwähnung von Myron einer
anderen Heiligen Thessalonikis, der hl. Theodora. Ihrer 894 verfassten Vita zufolge sei selbst ein Kleriker der Demetriosbasilika – mit Namen Demetrios! – durch diese Heilige von Krankheiten geheilt worden (Text 2).35 Dies wiederum – so wurde vermutet – sei undenkbar, wenn es zur selben Zeit bereits Demetriosmyron gegeben hätte.36 Liest man die einschlägige Textpassage, erkennt man sofort die Schwachstelle dieser Argumentation: Der Diakon Demetrios begab sich zur hl. Theodora, da er sie schon lange kannte, und erlangte die Heilung nicht durch Myron der Theodora, sondern durch eine Umarmung der eben Verstorbenen. Hieraus kann man keinesfalls folgern, es habe im späten 9. Jh. noch kein Demetriosmyron gegeben. Außerdem könnte Gregorios, der Autor der Vita der hl. Theodora, diese Episode bewusst eingefügt haben, um die Heilige gegenüber dem Stadtpatron Demetrios aufzuwerten.37 Myronabsonderung als Anwesenheitsbeleg Das Absondern von Myron lässt sich seit dem Ikonoklasmus immer wieder beobachten.38 Der Ikonoklasmus, keinesfalls ein systematischer Bildersturm, der das byzantinische Reich
X
X
346
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Demetrios als Myronspender
347
X 12
ergriff, aber doch eine Phase, in der sehr intensiv darüber nachgedacht wurde, was ein Bild letztlich zu leisten vermag, mit welchem Recht es an die Stelle des oder der Dargestellten trat, endete zwar im Jahre 843 mit der ›Rehabilitierung‹ der Bilder, rief aber das Bedürfnis nach anderen Arten heiliger Präsenz hervor. Eben weil man eineinhalb Jahrhunderte Bilder auf den Prüfstand gestellt hatte, mochte man neue Formen der Vergegenwärtigung gesucht haben. Dort wo Heilige eine nur sehr vage physische Präsenz besaßen, unterstrich man diese durch konkrete Verortung oder aber durch kontinuierliche Wunderwirksamkeit am Grab. Johannes von Damaskus, ein Theologe, der noch die ersten Jahrzehnte des Bildstreits mitbekommen hatte, forderte auf, den Ausfluss von Myron aus Heiligenleibern als ein Wunder zu betrachten und nicht daran zu zweifeln.39 Myron war offenbar ideales Mittel, physischer Präsenz und Wirkmächtigkeit eines Heiligen Nachdruck zu verleihen. Deshalb ist es sicherlich kein Zufall, dass sich die Nachrichten von Myroblysie seit dem Ikonoklasmus häuften. Myron spielte im Kult der hl. Euphemia in Konstantinopel angeblich bereits um 800 eine bedeutende Rolle. Blut sei aus dem Leib herausgeflossen, das als Myron zur Heilung von Kranken diente.40 Seit dem späten 9. Jh. entfaltete eine ganze Reihe von Heiligen die Fähigkeit, Myron abzusondern, neben der hl. Theodora von Thessaloniki der hl. Petros von Atroa, der hl. Eugenios von Trapezunt, der hl. Nikolaus von Myra, die hl. Maria die Jüngere von Bizye, der hl. Nikon von Sparta und der hl. Paul der Jüngere, der sein Leben im Latmosgebirge verbrachte.41 Myronausfluss war stets der Beleg für die heilende Wirkmächtigkeit eines Heiligenleibs. Wann genau der hl. Demetrios begann, Myron abzusondern, lässt sich nicht genau bestimmen. Man könnte natürlich als Stichtag die arabische Eroberung Thessalonikis im Jahre 904 vermuten:42 Als sich der Heilige durch Abstinenz und Gleichgültigkeit gegenüber seiner Stadt ausgezeichnet hatte, dürfte das Bedürfnis besonders groß gewesen sein, sich seiner Gegenwart zu versichern. Vielleicht gaben auch Zerstörungen und Plünderungen in der Kirche Anlass zu einer tiefgreifenden Umgestaltung, deren Ergebnis ein myronspendender Schrein war. Doch würde man durch eine solche Annahme vielschichtige und tiefgreifende Veränderungen in der Wahrnehmung des Heiligen auf ein einzelnes Ereignis reduzieren. Denn mindestens ebenso nachhaltig dürften auch Wundertätigkeit und Aufbewahrung der hl. Theodora die Wahrnehmung des Demetriosschreins beein-
flusst haben. Theodora starb 892 in Thessaloniki, wenig später ereigneten sich an ihrem Grab Wunder: Lampen entzündeten sich von selbst, ihr Öl entfaltete heiltätige Wirkung.43 Eine Ikone der Heiligen – nicht der Leib selbst – sonderte heiltätiges Myronöl (ἔλαιον μυρίπνοον) ab, das nicht wenigen Kranken Heilung verschaffte.44 So sehr schätzte man die Heilige, dass sie mit dem Apostelfürsten Petrus verglichen wurde.45 Schließlich beschloss man die Überführung des unverwesten Leibs an einen würdigeren Ort. Man schuf einen verzierten Marmorsarkophag mit einer Öffnung für den Myronausfluss.46 Eine weitere Öffnung über dem Kopf der Heiligen erlaubte den Blick auf die »lebende Reliquie« (τὸ ζῶν λείψανον).47 Heiltätigkeit in Verbindung mit einem erfahrbaren Leib, der auf wundersame Weise dem Verfall entzogen war, sowie ein Grab, das den Beleg für die physische Anwesenheit der Heiligen garantierte, ließen den Wert eines Heiligen im 9. Jh. steigen – nicht nur in Thessaloniki. Genau das – nicht die Araberplünderung – war es, was allmählich die Wahrnehmung des hl. Demetrios veränderte und ihn zu einem stärker physisch präsenten, heiltätigen Myronspender machte.48
Demetrios erhält Konkurrenz von einem heiligen Bischof Für diese Interpretation sprechen auch weitere Hinweise in den Schriftquellen des 9. Jh. So soll sich am Grab eines Bischofs bei Hagios Demetrios ein Kult entwickelt haben, der drohte, die Verehrung des Titelheiligen in den Schatten zu stellen. Nördlich der Basilika befinden sich heute Spuren weiterer Strukturen, die zum Teil das Ergebnis späterer Bauphasen sind (Abb. 12).49 Nach und nach entstanden hier verschiedene Anbauten, eine Zisterne, ein rechteckiger Bereich im Anschluss an die alten Räume im Nordwesten, den man als Baptisterium angesprochen hat, ein Grabareal, in dem späte Gräber entdeckt wurden, und schließlich eine geostete dreischiffige Basilika (Abb. 13). Diese ist vermutlich mit der überlieferten Kapelle Johannes’ des Täufers identisch, in der 843 der Erzbischof Antonios bestattet wurde (Text 3).50 Aus der Vita der hl. Theodora geht hervor, dass dieser »auf der linken Seite der göttlichen Kirche des ruhmreichen Märtyrers Demetrios, in der dort befindlichen Kapelle des … Täufers Johannes« seine letzte Ruhe fand.51 Ferner erfahren wir, dass es sich dabei um ein verehrtes Grab handelte, an dem Besucher sogar auf Heilung hoffen durften, und dass dieses Grab 46 Jahre nach Antonios’ Tod, also 889, geöffnet wurde, um einem weite-
13
12 Nördlich von Hagios Demetrios finden sich noch zahlreiche Reste späterer Anbauten. Hierzu zählt auch eine dem Täufer Johannes geweihte Kapelle, in der 843 ein Bischof namens Antonios bestattet wurde.
13 Bei der Johanneskapelle handelte es sich um eine kleine dreischiffige
Basilika. An sie schlossen kleine Zisternen und ein Grabbereich mit spätbyzantinischen Gräbern an.
X
348
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
2. Ein Kleriker der Kirche Hagios Demetrios wird durch Umarmung des Leibs der hl. Theodora von Thessaloniki geheilt: Als sie aber zum letzten Mal den heiligen Leib umarmt und ihm mit Lobliedern Ehre erwiesen hatten, da (kam auch) ein gewisser Demetrios (hinzu), der in den ehrwürdigen Rang eines Diakons der Kirche des heiligen und ehrwürdigen Großmärtyrers Demetrios erhoben worden war und seit langer Zeit als Freund der seligen Theodora bekannt war. In jenem Augenblick, nach neun Monaten sehr schwerer Krankheit und Strapazen, die seinen ganzen Körper und seinen Magen gänzlich geschwächt und daher auch in seinem Kopf schreckliches Leiden hervorgerufen hatte, hörte er, dass die Selige zum Herrn gegangen war und zögerte nicht, bei der Bestattung der Seligen anwesend zu sein. Nur durch dreifache Rast gelang es ihm seinen Fußweg zu vollenden, und nur mit Mühe, da sein schwacher und trockener Atem seine Schultern zusammenzwang, gelang es ihm bis zum Ende des Lobgesangs einzutreffen. Aber als er sich auf den Körper der Heiligen warf und diesem voll Vertrauen eine letzte Umarmung gab, da erlangte er sofort seine Gesundheit, konnte am selben Tag wieder je nach Appetit Nahrung aufnehmen, sich des Schlafs erfreuen und zu Fuß nach Hause gehen, wozu er lange Zeit nicht in der Lage war. (Gregorios, Leben der hl. Theodora c. 44 p. 1541 –15618 Paschalides)
3. Bischof Antonios wird im Jahr 843 bei der Demetriosbasilika bestattet: Nachdem an dem Leib dieses allheiligen Glaubensstreiters ehrwürdig die Grabriten vollzogen worden waren, wurde er auf der linken Seite der göttlichen Kirche des ruhmreichen Märtyrers Demetrios beigesetzt, und zwar in der Kapelle jenes Propheten, der über allen Männern steht, die von Frauen geboren wurden, nämlich Johannes’ des Vorläufers und Täufers. Und bis heute bewahrt Christus, unser Gott, zu seinem Ruhm diese heiligen Reliquien sorgfältig und unverwest. Und durch diesen (sc. Leib) gewährt der Herr, der Bringer alles Guten, jenen, die sich im Glauben nähern, Heilung. Auch ich Unwürdiger durfte sie (sc. Reliquien)
Demetrios als Myronspender
349
betrachten. Denn sechsundvierzig Jahre nach seinem Fortgang zu Gott, als ein anderer unserer Bischöfe verstorben war und wir seinen Leib in das Grab des Antonios legen wollten, da fanden wir den allheiligen Leib des Antonios zur Gänze unverändert und mit einem erzbischöflichen Gewand angetan vor, so dass man noch die Anordnung der Kreuze auf seinem Omophorion und alle anderen Details seiner erzbischöflichen Kleidung erkennen konnte. (Gregorios, Leben der hl. Theodora c. 18, p. 1021–17 Paschalides)
4. Die Thessaloniker verteidigen im Jahr 1040 mit Hilfe des hl. Demetrios erfolgreich ihre Stadt gegen die angreifenden Bulgaren: Zu dieser Zeit wurde die Stadt Thessaloniki von dem Patrikios Konstantinos, dem Neffen des Kaisers, verwaltet. Er zog vor die Stadt, legte um sie einen Graben an und konnte so der Belagerung standhalten. Sechs Tage lang griff Alusian die Stadt mit Belagerungsmaschinen und anderen Geräten an, doch wurde er überall zurückgeschlagen. So stellte er die Angriffe ein und beschloss, die Stadt zu belagern, um das Gewünschte zu erreichen. An einem dieser Tage begaben sich alle Einwohner zum Grab des Großmärtyrers Demetrios, brachten die ganze Nacht Fürbitten vor und salbten sich mit dem Myron, das dem heiligen Grab (ἐκ τοῦ θείου τάφου) entfloss. Dann, auf einmal, öffneten sie die Tore und zogen gegen die Bulgaren. Die Thessaloniker wurden von der Einheit der Megathymoi (»Beherzten«) unterstützt. Sie zogen aus, stürzten die Bulgaren in Chaos, indem der Angriff unerwartet erfolgte, und schlugen sie zurück. Die Bulgaren waren nicht in der Lage, dauerhaft und mutig Widerstand zu leisten, da der Märtyrer das rhomäische Heer anführte und ihm einen Weg bahnte. Dies beeideten selbst die gefangengenommenen Bulgaren, wobei sie sagten, sie hätten einen jungen Reiter gesehen, der die rhomäischen Schlachtreihe anführte und ein Feuer verbreitete, das die Feinde verbrannte. Mindestens 15.000 fielen, und mindestens ebenso viele wurden gefangengenommen. Die übrigen, darunter Alusian, flüchteten sich zu Deljan in Sicherheit. ( Johannes Skylitzes, Synopsis Hist. p. 4139 – 41426 Thurn)
14 Bevor die Thessaloniker aus ihrer Stadt gegen die belagernden Bulgaren anstürmten, rieben sie sich mit Myron vom Schrein des hl. Demetrios ein. Darstellung aus der illustrierten Chronik des Johannes Skylitzes (Madrid, Spanische Nationalbibliothek).
ren verstorbenen Erzbischof eine Bestattung ad sanctos zu gewähren. Dann aber verlieren sich alle Hinweise auf dieses verehrte Bischofsgrab, und es ist zu vermuten, dass es seine Bedeutung verloren hatte.52 Entscheidend an dieser Erzählung ist, dass sich Verehrung und Heilsuche im 9. Jh. nicht allein auf den Stadtheiligen richteten. Selbst Bischöfe, die bei der Kirche bestattet wurden, stiegen im Schatten des Stadtpatrons zu verehrten Personen auf, um die sich ein Kult entwickelte, deren Nähe man im Tod suchte. Höchste Zeit, dass der Heilige wieder nachdrücklich und allseits erfahrbar als individueller Heiler in Erscheinung trat, und was konnte diese Qualität eindrücklicher demonstrieren als die Absonderung heiltätigen Myrons? Schnell scheint sich die heilende und schützende Kraft des Demetriosmyron herumgesprochen haben. Hierfür spricht auch eine Passage in dem gegen Ende des 11. Jh. verfassten Geschichtswerk des Johannes Skylitzes, in dem für das Jahr 1040 folgende Begebenheit referiert wird (Text 4): Angesichts der Belagerung der Stadt durch ein Heer von
40.000 Soldaten unter der Führung des bulgarischen Königssohns Alusian versammelte sich die Bevölkerung in der Kirche Hagios Demetrios, um den Beistand des Heiligen zu erbitten. Die mit der Verteidigung betrauten Soldaten rieben sich mit Myron ein, das dem »heiligen Grab« entfloss, bevor sie gegen die belagernden Bulgaren zogen (Abb. 14).53 Demetriosmyron konnte zu dieser Zeit offenbar in großen Mengen gewonnen werden. Der Bedarf an Myron war aber nicht nur in Kriegszeiten groß. Michael Choniates beschreibt im 12 . Jh. die Vorgänge am Schrein des hl. Demetrios mit folgenden Worten:54 »Denn dessen Grabstein, oben scharf abgeschnitten wie der des Moses, funkelt wie die Quelle der Heilung, die durch den Schlag seines Stocks entsprang. Aus dem hier verwahrten heiligen Körper des Wunderwirkers saugt die Masse der Thessaloniker wie Honig aus einem Fels das wohlriechende Öl (ἔλαιον) aus dem Schrein (λάρναξ) des myronspendenden (μυρόχευμος) Märtyrers. Wenn eines von den Gliedern gelähmt ist, so soll er sogleich den Stein wie den Saum des (Gewands des) Herrschers berühren und augenblicklich wird er in den Genuss der Heilung kommen.« Anna Komnene († 1154) beschreibt es als etablierte Praxis, dass Gläubige am Schrein des Heiligen Myron empfiengen und ihre Krankheiten dadurch geheilt würden.55 Selbst der
X
X
350
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Myron und Blut als Reliquien
Myron und Blut als Reliquien 5. K aiser Andronikos III. wird durch Demetriosmyron geheilt: Der Mitkaiser indessen begab sich nach der erfolgreich aufrechterhaltenen Blockade der Akropolis zum heiligen Schrein des Märtyrers und Myronspenders Demetrios, den er von seiner frühesten Jugend an schätzte und in den er sein Vertrauen setzte, mehr als in alle anderen Märtyrer, und den er geradezu glühend verehrte; ihm wollte er seine Reverenz erweisen und zugleich seinen Dank abstatten für den gegenwärtigen Erfolg. Nun war er aber im Kampf gegen die Perser (= Türken) am Fuß verletzt worden, und diese Wunde war trotz intensiver Bemühungen der Ärzte selbst in vierzehn Monaten nicht geheilt, sondern immer noch entzündet und bereitete ihm unerträgliche Schmerzen. Also löste er nach der Reverenz und der Danksagung seinen Schuh, um den Fuß mit dem Balsam des Heiligen zu salben, da er glaubte, was Kunst und Eifer der Menschen nicht zustande bringe, das zu vollbringen habe Gott seinen heiligen Märtyrern gewährt. Als er nun den Fuß
entblößt und die Binden, mit denen er umwickelt war, abgenommen hatte – o der reichen Gnade, die Gott seinen Märtyrern zuteilwerden lässt! – da zeigte sich, dass der Verbandsmull abgefallen und der Fuß gesund war, derart, dass nicht einmal die Spur einer Narbe oder Wunde zu erkennen war und niemand merken konnte, ob er jemals eine Verletzung erlitt. Als der Mitkaiser dies sah, freute er sich darüber mehr als über die Einnahme von Thessaloniki, und entsprechend waren auch seine Dankgebete inniger und zahlreicher. Da die Kunde von dem Wunder, das an dem Mitkaiser geschehen war, sich verbreitete, sang die ganze Stadt Lobeshymnen auf Gott und seinen Diener Demetrios. Als der Tag sich neigte, verließ der Mitkaiser das Heiligtum und begab sich zum kaiserlichen Palast, wo er die Nacht verbrachte. ( Johannes Kantakuzenos, Hist. p. I, 27010 – 27112 Schopen. Übersetzung Fatouros –Krischer I, 1982 , 184 –185)
6. Die Normannen zweckentfremden das Myron des hl. Demetrios: Sie (sc. die Normannen) wurden nicht erschüttert bei dem ungeheuren, unerhörten Anblick, sondern schöpften das Myron, das aus dem Sarg des berühmten Märtyrers und Wundertäters Demetrios fließt, in Kannen und Schalen und brieten sich damit ihre Fische, schmierten sich damit die Schuhe ein und verwendeten es in heilloser Verschwendung für alle übrigen Zwecke, welche ihnen das vorhandene
Öl nur leiten konnte. Dieses aber floss wie aus einer unerschöpflichen, grundlosen Quelle nur noch reichlicher in nie gesehener Fülle herauf, sodass selbst die Barbaren schließlich das für ein Wunder hielten und über die Gnadengabe, die Gott seinen Blutzeugen verliehen, außer sich gerieten.
Kaiser kurierte seine Krankheiten mit Myron des hl. Demetrios: Kaiser Michael IV. der Paphlagonier (1034 –1041), den epileptische Anfälle plagten, besuchte häufig das »Grab des siegreichen Märtyrers Demetrios, in der aufrichtigen Hoffnung, von seinem Leiden kuriert zu werden.«56 Nachdem der junge Kaiser Andronikos III. Palaiologos im Jahre 1328 in Thessaloniki eingezogen war, begab er sich nach Hagios Demetrios, um dem Märtyrer Dank abzustatten. Zugleich ließ er seinen verletzten Fuß mit Myron einreiben, woraufhin sich die Wunde schloss und die Schmerzen vergingen (Text 5).57 So groß war die Bedeutung der Myroblysie,
dass in späteren Quellen oft von einem ›myronspendenden Schrein‹ die Rede ist, ja die Bezeichnung ›Myroblyt‹ geradezu Synonym für den hl. Demetrios wurde.58 Der vielleicht dramatischste Hinweis auf die Unmengen an Myron, die der Demetriosschrein in mittelbyzantinischer Zeit absonderte, findet sich in einer Beschreibung der Eroberung Thessalonikis durch die Normannen. Niketas Choniates zufolge hätten sich die Eroberer Thessalonikis mit dem reichlich fließenden Myronöl die Schuhe eingerieben und Fische gebraten (Text 6)!
(Niketas Choniates, Hist. p. 30539 – 306 47 van Dieten. Übersetzung bei Grabler 1958, 101)
Soweit zur Myronreliquie, die in den hinteren Hohlräumen der Halberstädter Reliquiare aufbewahrt wurde. Unbeantwortet blieb bislang die Frage, wie man sich die Blutreliquie vorstellen muss. Denn das größte dieser Reliquiare spricht nicht nur von einer Myronreliquie, sondern auch vom Blut des Heiligen. Damit ist zum ersten Mal eine neuartige Demetriosreliquie zu greifen, die als Teil der Physis des Heiligen einen wesentlich höheren Stellenwert als Myron hatte. Wie aber kann man sich das vorstellen? Wie wurde das Blut des Heiligen in den Reliquiaren verwahrt? Wie kam man überhaupt in den Besitz der Blutreliquie? Alle drei Halberstädter Reliquiare, also auch jenes, das nur einen rückwärtigen Hohlraum – und kein eigenes Reliquienfach auf der Vorderseite – hatte, weisen eine nach innen gewölbte Rückseite auf. Dies ist nach Auskunft des Konservators Ulrich Sieblist Folge des langen Ausdunstungsprozesses einer ölartigen Flüssigkeit, die sich harzartig verdichtete und dabei das rückseitige Silberblech nach innen zog. Die Blutreliquie muss sich somit in dem vorderen Fach befunden haben. Dieses ist jedoch nicht geeignet, eine Flüssigreliquie aufzunehmen. Daher kann das Blut nur in verfestigter Form verwahrt worden sein, am wahrscheinlichsten als kleiner blutgetränkter Textilrest oder als blutgetränkte Erde. Dies wiederum bedeutet, dass es sich nicht um Blut handelt, das zum Zeitpunkt der Anfertigung der Reliquiare aus dem Körper des Heiligen ausgeflossen war, sondern um eine Blutreliquie, die aus der Zeit des Martyriums des Heiligen stammt:59 das blutgetränkte Gewand. Demetrios erhielt wie Christus einen tödlichen Lanzenstich und vergoss in diesem Moment sein Blut. So wie Blutreliquien Christi den Anspruch erheben, im Moment der Kreuzigung vergossen worden zu sein, so mochte auch die Blutreliquie des Demetrios nicht als frisch gewonnene sondern als über lange Zeit erhaltene Reliquie aus der Zeit des Martyriums gegolten haben. Die im 9. oder 10. Jh. verfasste Passio Altera erwähnt zum ersten Mal die mit Blut getränkte Chlamys des Heiligen, allerdings im Kontext einer Translation der Reliquie nach Sirmium.60 Spätestens seit dieser Zeit waren mit Märtyrerblut getränkte Textilreste denkbar und können als Inhalt besonders aufwendiger Reliquiare an hochrangige Empfänger vergeben worden sein.61 Jedenfalls sind die Blutreliquiare in Halberstadt keinesfalls Belege für einen Demetriosschrein, der Blut absonderte.
351
Immer wieder hat man Textstellen spätbyzantinischer Autoren als Belege für einen Blutausfluss des hl. Demetrios angeführt. So scheint Erzbischof Eustathios in seiner Lobrede auf den hl. Demetrios auf Blut Bezug zu nehmen, das dessen Körper entströmt.62 Doch spricht Eustathios nicht von einem konkreten Blutausfluss am Grabschrein des Heiligen, sondern vom Blut des Heiligen, das dieser zum Zeitpunkt seines Martyriums vergossen hatte und das eine Analogie zum aktuellen Myronausfluss bildet. Auch die mehrfach in diesem Zusammenhang angeführte Traumvision des Pilgers Vitalios – ein von Johannes Staurakios im 13. Jh. verfasster Text – kann nicht als Beleg für einen blutspendenden Leib angeführt werden (Text 10).63 Zwar ist in dieser Vision von einem mit Wunden überzogenen Körper des Heiligen die Rede, doch sondert dieser Myron, kein Blut ab. Die inschriftlichen Hinweise auf Blut in den Demetriosreliquiaren hatten somit eine doppelte Funktion. Sie verwiesen auf die tatsächliche Blutreliquie, setzten aber auch rhetorisch Myron mit Blut gleich. Wer den Schiebedeckel der teuren Enkolpionreliquiare zurückzog und die inneren Fächer öffnete, sah blutgetränkte Erde, vielleicht auch einen Stoffrest des Märtyrers, der in dem Fach darüber als toter Heiliger mit geschlossenen Augen dargestellt ist! Wieder begegnet die überaus eindringliche Überlagerung von Reliquie und Bild; wieder dient das Bild einer Bestätigung der Reliquie, während die Blutreliquie dem Bild des verstorbenen Demetrios eine geradezu dramatische Suggestionskraft verleiht. So konnte auch das Myron im rückwärtigen Teil der Reliquiare zusätzlich sanktifiziert und als Ausfluss der Physis des Heiligen anschaulich gemacht werden. Das Myron gewann in den Augen des Reliquiarbesitzers jene Qualität, die er sich von ihm erhoffte: Heilung von Krankheiten und Stärkung.
Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios? Die Reliquiare in Halberstadt begriffen sich geradezu als Analogien des myronspendenden Demetriosschreins in Thessaloniki. Sie suggerierten dem Betrachter beim Öffnen, er werfe einen Blick in das Grab mit dem Leib des verstorbenen Heiligen, dem die wirkmächtige Myronreliquie entspringt. Deshalb bezeichnet sich eines dieser Reliquiare auch als »gegenwärtiges Grab« des hl. Demetrios. Wer die-
X
X
352
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios?
353
15b
15a
15a–h Das aufwendigste Demetriosreliquiar befindet sich im Kloster Vatopedi
auf dem Berg Athos: Es zeigt auf seinem Deckel den Heiligen in Orantenhaltung und an den Schmalseiten Szenen aus der Vita und dem Wunderwirken des Demetrios. Im Inneren folgt das Reliquiar dem Aufbau des großen Halberstädter Reliquiars.Vermutlich entstand dieses Reliquiar erst im 13. Jh.
ses Reliquienbehältnis besaß, der verfügte über eine tragbare Kopie des Demetriosschreins. Eine ähnliche Gleichsetzung zwischen Heiligengrab und Reliquiar findet sich in einem anonymen Epigramm in einem Kodex des 13. Jh., das einst ein weiteres Demetriosreliquiar verziert haben dürfte:64 »Ich aber, ein Mönch aus der Fremde und fern von göttlichen Tugenden, trage im Glauben und von glühender Sehnsucht ergriffen ein aus Silber zusammengesetztes Abbild deines Grabs, in welches ich dein Myron hineingetan habe.« Immer mehr verdichtet sich der Verdacht, diese aufwendigen Reliquiare würden in ihrer Gestaltung ganz bewusst den myronspendenden Demetriosschrein widerspiegeln und geradezu tragbare Abbilder des Heiligengrabs in Thessaloniki darstellen. Diese Idee hatte bereits Andreas Xyngopoulos, als er ein besonders aufwendiges Demetriosre-
liquiar untersuchte, das sich im Kloster Vatopedi auf dem Berg Athos befindet (Abb. 15a–h).65 Hierbei handelt es sich um einen 11,7 cm × 6,5 cm × 6,5 cm großen Kasten aus vergoldetem Silber, dessen Deckel in dem bereits bekannten Schema den hl. Demetrios in Orantenhaltung zeigt. Beim Wegklappen des Deckels trifft man auf zwei Fächer mit doppelflügligen Verschlüssen mit vollfigurigen Heiligendarstellungen: oben Kosmas und Lupos, unten Nestor und Damian.66 Hinter der oberen Öffnung befindet sich ein Brustbild des hl. Demetrios mit geschlossenen Augen und überkreuzten Armen; die untere Öffnung ist heute leer, sie enthielt einst wohl eine Myronreliquie. Soweit entspricht das Reliquiar dem Aufbau seiner Halberstädter Pendants. Neu hingegen ist der reiche figürliche und szenische Dekor. Im Gegensatz zu den anderen Reliquiaren weist dieses Behältnis an den Seitenwänden Szenen aus der Passion und den Wundern des hl. Demetrios auf: Der Zyklus beginnt auf der linken Längsseite mit der Darstellung des gefangenen Demetrios in den Thermen, die als überkuppeltes Ziborium wiedergegeben werden. Der stehende Heilige hält Zwiesprache mit Gott, der seine Hand aus einem Himmelsegment
X 15c
darreicht (Abb. 15e).67 Rechts davon ist zu sehen, wie Demetrios im Gefängnis den Skorpion durch das Kreuzzeichen tötet. Links wird die Szene begrenzt durch die bereits aus der Vorszene bekannte Thermendarstellung, rechts davon der sitzende Heilige, der in Richtung Skorpion die rechte Hand hebt.68 Die vordere Schmalseite zeigt Demetrios‹ Begegnung mit Nestor (Abb. 15g). Den linken Abschluss bildet die Thermenarchitektur, davor sitzt der hl. Demetrios in Chlamys mit erhobener Rechter, rechts von ihm steht der hl. Nestor in Rüstung und mit Speer.69 Auf der rechten Längsseite folgen die Tötung des Gladiator Lyaios und die Lanzentötung des hl. Demetrios. Links ist Nestor in Rüstung in Ausfallschritt mit erhobener Rechter, rechts der gefallene Lyaios mit einem Speer in der Brust zu sehen; hinter dem gefallenen Nestor erkennt man den zuschauenden Kaiser in seiner Loge (Abb. 15f).70 In der Szene des Martyriums wird der Heilige gezeigt, wie er die Speerstöße zweiter Soldaten empfängt. Demetrios hebt seine Hände zu Gott, dessen Hand aus einem Himmelsegment erscheint.71 Auf der oberen Schmalseite wechselt der Zyklus zu Szenen der Miracula Sancti Demetrii. Hier ist die Heilung des Statthalters Maria-
nos dargestellt. Links sieht man den gelagerten Marianos, rechts von ihm stehend den hl. Demetrios mit erhobener Rechter (Abb. 15h).72 Die Szenenfolge umfasst auf drei der Schmalseiten nur Gefangennahme und Martyrium, war also besonders geeignet, die Gegenwart des gemarterten Heiligenleibs zu veranschaulichen. Die Szene der Lanzentötung auf der Rückseite des Kästchens, vielleicht eine Darstellung der Tötung Kalojans, veranschaulicht wiederum die Folge der Anwesenheit des Heiligen in Thessaloniki: das Eintreten für jenes Gemeinwesen, in dessen Mitte er sich befand (Kap. VIII Abb. 1). Der reiche szenische Schmuck an den Außenseiten hat die bisherige Forschung dazu bewogen, das Kästchen – anders als die nichtszenisch dekorierten Reliquiare – ins 12 . Jh. zu datieren.73 Wie wahrscheinlich ist diese Datierung? Ab wann lassen sich szenische Zyklen der Vita und Passion des hl. Demetrios beobachten? Die frühesten Demetrioszyklen Zyklen mit Szenen aus dem Leben, Leiden und Wunderwirken des hl. Demetrios begegnen auf den verschiedensten Bildträgern: Toreutik, Buchmalerei und Wandmalerei.74 Die ältesten Demetrioszy-
X
354
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios?
355
15d
X 15f
klen tauchen erst im Laufe des 13. Jh. auf, was in etwa auch für Bilderfolgen anderer Heiliger zutrifft.75 Ältere Darstellungen des Heiligen zeigen ihn zwar in bestimmten Situationen seines Wunderwirkens oder seiner Passion, nie jedoch in einer szenischen Sequenz. Erste Ansätze einer Szenenfolge finden sich in den Randillustrationen des Theodor-Psalters, der 1066 entstand (Abb. 16):76 Hier ist der hl. Demetrios zu sehen, der sich einer Christusikone zuwendet und für Nestor bittet, ferner dessen Kampf gegen Lyaios, sowie der sitzende Kaiser, dem ein ratloser Soldat offenbar mitteilt, dass der hl. Demetrios für den Sieg verantwortlich sei. Doch geht es in diesem Fall weniger um eine zyklische Erzählung der Demetriosvita, sondern um eine dezidiert antiikonoklastische Illustration eines Psalms, in dem die Rache Gottes an den Ungläubigen thematisiert wird.77 Als Exemplum hierfür dient der hl. Demetrios, der, ein Christusbild anbetend, seine Feinde besiegt. Ausführliche Demetrioszyklen lassen sich in der Kleinkunst und Malerei nicht vor dem 13. Jh. beobachten. So wurde die dem hl. Demetrios geweihte Metropolis von Mistra nach 1291/2 mit Malereien versehen, zu denen ein Zyklus des Titelheiligen gehört. Im Nordschiff sieht man – in Fortführung eines christologischen Zyklus – die Szenen des
15g
15h
15e
lehrenden Demetrios, der Vorführung vor Kaiser Galerios, des Heiligen im Kerker, der Segnung Nestors, der Vorführung Nestors vor Galerios, des Kampfs zwischen Nestor und Lyaios, des Tods des Lyaios, des Martyriums des hl. Nestor, des Martyriums des hl. Demetrios und der Bestattung des Titelheiligen (Abb. 17 –18).78 Der Zyklus kulminiert gleichsam in einem Brustbild des Heiligen in der Seitenapsis des Nordschiffs. Das Fehlen früherer Demetrioszyklen macht
es eher unwahrscheinlich, dass das Reliquiar im Vatopedi bereits im 12 . oder gar 11. Jh. entstanden ist. Hierfür spricht auch die großformatige Szene der Speertötung Kalojans auf der Rückseite, die nicht vor 1207 möglich ist (Kap. VIII Abb. 1).79 Aus der Gestalt des Reliquiars in Vatopedi kann man jedoch nur bedingt auf das Aussehen des Demetriosschreins im 13. Jh. schließen. Objekte der Kleinkunst kopieren nicht sklavisch ortsstabile Monumente, sondern greifen nur
X
356
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios? 17a
17b
17a–b Die gegen Ende des 13. Jhs. errichtete Metropolis von
Mistra war dem hl. Demetrios geweiht und enthielt im nördlichen Seitenschiff einen Zyklus mit Szenen aus seiner Passion. 18 In der Metropolis von Mistra sind unter anderem Szenen des lehren-
den Demetrios, der Einkerkerung, der Hinrichtung Nestors und des Martyriums des Heiligen zu sehen.
16 Randillustration aus dem Theodor-Psalter (1066 ), fol. 125v: Als Kommentar
zu einem Psalm, in dem die Rache Gottes an Ungläubigen thematisiert wird, bildet der Buchmaler den Sieg Nestors über Lyaios und einen ratlosen Soldaten vor dem thronenden Kaiser Galerius ab (London, British Library, Add. 19.352).
einige grundlegende Charakteristika auf, die man als typisch empfand. Die Szenen auf den Schmalseiten des Reliquiars dürften keine Entsprechung am Heiligenschrein in Hagios Demetrios gehabt haben: Vermutlich waren sie von Vorlagen in der Miniatur- oder Monumentalmalerei inspiriert. Für eine eher freie ›Kopie‹ des Grabschreins spricht auch ein weiteres Demetriosreliquiar in der Großen Lavra auf dem Berg Athos, das aus Marmor gefertigt wurde (Abb. 19a–e).80 Gewicht und Maße (24,5 cm × 20 cm
× 13 cm) belegen, dass es sich um ein ›statisches‹ Reliquiar gehandelt hat, keinesfalls um ein mobiles Objekt oder gar einen Anhänger. Auf den vier Außenseiten findet sich figürlicher Dekor: Eine Längsseite zeigt den stehenden Demetrios mit nach hinten geworfener Chlamys im Fürbittgestus. Da man eine Vollfigur in ein querrechteckiges Feld einpasste, ist die Demetriosdarstellung um neunzig Grad gedreht. Auf der gegenüberliegenden Längsseite ist in einem von Rankenstreifen begrenzten quadratischen Feld ein Brustbild des hl. Georg zu sehen. Die Schmalseiten des Reliquiars werden von den hll. Nestor und Lupos eingenommen, auch sie jeweils als Brustbild wiedergegeben. Der Boden im Inneren des Reliquiars weist ebenfalls eine Reliefdarstellung auf. Sie ist nur sehr roh ausgeführt, lässt aber eine stehende nimbierte Person in langem Gewand erkennen. Dabei muss es sich um eine Darstellung des verstorbenen Demetrios handeln, wie sie von Edelmetallreliquiaren bekannt ist.81 Was
357
X
X
358
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios?
359
19 Zum Reliefdekor dieses Marmorkästchens zählen die ganzfigurige Darstellung des hl. Demetrios in Fürbitthaltung, Brustbilder der hll. Georg, Nestor und Lupos sowie eine Darstellung des verstorbenen Demetrios im Inneren des Kästchens (Berg Athos, Kloster der Großen Lavra).
20 Diese gerade einmal daumennagelgroße Demetriosreliquiar verzichtet auf
Analogien zum Grabschein in Hagios Demetrios. Es zeigt ein Brustbild des Märtyrers mit einem Kreuz in der Rechten (Berg Athos, Kloster der Großen Lavra).
auf dem verlorenen Deckel zu sehen war, ist nicht sicher.82 Sinnvoll wäre eine Christusdarstellung oder ein Bild der Muttergottes mit dem Christuskind, an die die Fürbitten gerichtet waren.83 Abermals scheint man bei der Gestaltung dieses Reliquiars den Grabschrein des Heiligen im Hinterkopf gehabt zu haben. Man wollte nicht nur ein Behältnis für eine Reliquie schaffen, sondern eine Analogie zu jenem Schrein in Hagios Demetrios herstellen, in dem man den Heiligen wähnte. Doch zitierte man nur allgemeine Elemente des Vorbilds, ohne eine exakte Kopie anzufertigen. Wieder ein anderes Reliquiar in der Großen Lavra, das bislang unveröffentlicht ist, verzichtet auf jede Bezugnahme auf den Grabschrein (Abb. 20). Die kleine, ca. 2 cm hohe Kapsel aus feuervergoldetem Silber zeigt auf dem von Perlstab gerahmten Klappdeckel ein Brustbild des Märtyrers, der ›lebend‹ mit geöffneten Augen wiedergegeben ist. Er trägt die Chlamys und ein Märtyrerkreuz in seiner rechten Hand, während die linke Hand im Gebetsgestus geöffnet ist. Stilistische und paläographische Analogien – der Heilige
wird von einer Namensbeischrift flankiert – zu den Reliquiaren aus Halberstadt und vom Berg Athos machen es wahrscheinlich, dass die kleine Kapsel im 11. oder 12 . Jh. entstanden ist, aber eine wesentlich bescheidenere Version darstellt. Und weil es sich um ein unaufwendigeres Stück handelt, mussten die vielschichtigen Analogien zum Heiligenschrein in Hagios Demetrios entfallen. Ein Reliquiar in Form eines Ziboriums Vor diesem Hintergrund ist ein weiteres Reliquiar zu betrachten, das heute in den Staatlichen Museen des Moskauer Kremls aufbewahrt wird (Abb. 21a–e).84 Es handelt sich um ein 15cm hohes oktogonales Ziborium von 11cm Durchmesser, das aus getriebenem Silber gefertigt ist. Es besteht aus acht Säulchen, zwischen die verschieden große Bild-, Ornament- und Inschriftenfelder eingepasst sind. Über den Feldern befinden sich Bogenöffnungen mit eingepassten Kelchen. Die acht Bögen tragen ein pyramidales Dach, dessen – nicht mehr originale Spitze – abgeflacht ist.85 Figürlicher Dekor
und Inschrift erlauben Aufschluss über Datierung und Intention dieses Objekts. Jeweils an gegenüberliegenden Seiten befinden sich eine Darstellung der Krönung Konstantins X. Dukas (1059 –1067) und seiner zweiten Frau Eudokia Makrembolitissa sowie – auf der doppelflügligen Tür – Nestors und Lupos’ als Soldatenheilige mit Waffen. Zwei weitere, einander gegenüberliegende Felder weisen folgende Inschrift auf:86 »Ich bin das treue Abbild des Ziboriums des von der Lanze durchbohrten Märtyrers Demetrios. Ich enthalte Christus, der außen dargestellt ist und der mit den Händen das schöne Paar krönt. Der wiederum, der mich geschaffen hat, (ist) Johannes aus dem Geschlecht der Autoreianoi, vom Stand Privatsekretär des Kaisers.« Das Objekt bezeichnet sich somit als Kopie des Ziboriums des hl. Demetrios, und entsprechend nahe liegt die Vermutung, dies habe auch für den Inhalt des Ziboriums gegolten. So hat Grabar die zunächst attraktive These aufgestellt, das
21 Dieser aus feuervergoldetem Silber hergestellte ziboriumförmige Schrein imitiert das Ziborium in Hagios Demetrios, ist aber keine exakte Kopie. Seine Flügeltüren zeigen die hll. Nestor und Lupos, während auf der Rückseite das Kaiserpaar Konstantin X. Dukas (1059 –1067) und Eudokia Makrembolitissa dargestellt ist. In der Inschrift bezeichnet sich das Reliquiar als »Typos« des Ziboriums in Thessaloniki (Moskau, Historisches Museum im Kreml).
Moskauer Ziborium sei gewissermaßen die äußere Hülle eines weiteren kleinen Demetriosreliquiars in der Großen Lavra auf dem Berg Athos (Abb. 22a–h).87 Bei diesem handelt es sich um ein feuervergoldetes Silberkästchen, das mit 4,3 cm Höhe in etwa den Ausmaßen des kleinsten der Halberstädter Reliquiare entspricht. Der Schiebedeckel weist in getriebener Technik eine Darstellung des hl. Demetrios in Orantenhaltung auf. Das Tablion der Chlamys war in Emailtechnik gearbeitet; auch Nimbus und Beischriften waren separat montiert, wie die kleinen Befestigungslöcher auf dem Goldgrund zu Seiten des Kopfes belegen.88 Die Rückseite zeigt in Treibarbeit das Lebenskreuz. Zieht man den Schiebedeckel mit der Demetriosdarstellung nach unten, so erscheinen zwei Fächer, die einst wohl mit Flügeltürchen verschlossen waren. Im oberen Fach zeigt sich eine Darstellung des verstorbenen Demetrios, während das untere Fach noch Reste einer dunklen Substanz aufweist (Abb. 22c–d).89
X
X
360
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios?
361
X 22a
X 22b
362
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios?
363
X 22c
X
364
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
22d
Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios?
365
X 22e
22f
22g
22h
22a–d Dieses ladenförmige Reliquiar aus feuervergoldetem Silber zeigt auf dem Deckel den hl. Demetrios in Orantenhaltung und im Inneren eine Darstellung des verstorbenen Heiligen sowie ein Fach mit dunkler Substanz.
Die Rückseite ist mit dem lebensspendendem Kreuz verziert (Berg Athos, Kloster der Großen Lavra).
X
366
22e–h Eine auf drei Seiten umlaufende Inschrift nennt als Besitzer einen
gewissen Johannes. Neben dem Schraubverschluss auf der Oberseite befand sich einst ein dunkelroter Edelstein und eine Inschrift, die »heiliges Blut« und »heiliges Myron« erwähnt (Berg Athos, Kloster der Großen Lavra).
Eine Inschrift in Niellotechnik umzieht das Kästchen auf drei Seiten (Abb. 22e–g):90 »Das ehrwürdige Blut des Märtyrers Demetrios wird hier aufbewahrt, welches den göttlichen Glauben und die Sehnsucht des Johannes stärkt.« Auf der oberen Schmalseite des Kästchens befindet sich ein dezentral angebrachter Schraubverschluss mit Ringanhänger sowie die Fassung für einen dunkelroten halbkugelförmigen Edelstein, der inzwischen verlorengegangen ist (Abb. 22h).91 Daneben befinden sich in Niellotechnik, jedoch mit abweichenden Buchstabentypen, die Bezeichnungen ἅγιον αἷμα bzw. ἅγιον μύρον, also »heiliges Blut« bzw. »heiliges Myron«.92 Eine Untersuchung des Innenaufbaus des Reliquiars war bislang nicht möglich, doch folgt dieser vermutlich dem der Halberstädter Reliquiare. Ob dieses Reliquiar und das Moskauer Ziboriumsreliquiar einst zusammengehörten, muss natürlich fraglich bleiben, wenn auch davon auszugehen ist, dass sich im Inneren des Ziboriumschreins ein weiteres Reliquiar befunden hat.93 Denn ein Ziboriumbehältnis mit Flügelöffnung hätte kaum Sinn ohne Inhalt gehabt. Die Analogien zwischen gebauter Architektur und Reliquiargestaltung gingen also über die Inszenierung eines Grabschreins hinaus. Sie konnten im Einzelfall auch die rahmende Einfassung des Ziboriums miteinbeziehen, das seit der Spätantike wesentliches Merkmal des Demetriosschreins war. Gegen diese attraktive These wurde vor allem vorgebracht, dass das Moskauer Reliquiar achteckig ist, wohingegen das Ziborium in der Kirche Hagios Demetrios bekanntlich sechseckig war. Grabar hatte daher angenommen, das sechseckige Ziborium sei nach dem Arabersturm 904 durch ein achteckiges ersetzt worden.94 Da es von einer solchen oktogonalen Struktur keine archäologischen Spuren gibt und zudem die Intaktheit des Ziboriums unmittelbar nach der Plünderung bezeugt ist, ist diese Vermutung eher unwahrscheinlich.95 Andere Forscher gingen so weit anzunehmen, man habe nicht das Thessaloniker Ziborium imitiert, sondern ein angebliches achteckiges Demetriosziborium in Konstantinopel.96 Doch verlagert diese These – abgesehen davon, dass über ein solches Konstantinopler Ziborium nichts bekannt ist – das Problem nur nach hinten:
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Wieso hätte man in der Konstantinopler Demetrioskirche das hexagonale Ziborium Thessalonikis ›unkorrekt‹, also achteckig, kopiert? Vor allem aber bedarf es einer solchen Hilfskonstruktion gar nicht. Architektur wurde sowohl in der Bild- wie auch in der Kleinkunst frei wiedergegeben, wobei man zwar die wesentlichen Charakteristika des Vorbilds übernahm, keinesfalls aber getreue Kopien anfertigte.97 Aus einem gebauten sechseckigen Ziborium konnte im Medium der Toreutik schnell ein achteckiges Ziborium werden, um Platz für einen bestimmten Bilddekor und die Widmungsinschrift zu bieten. Welchen Zweck mochte das Objekt also einst gehabt haben? Die Krönungsdarstellung deutet darauf hin, dass das Kaiserpaar Empfänger, der kaiserliche Schreiber Johannes Autoreianos hingegen sein Stifter war. Ioli Kalavrezou hat vermutet, das Objekt sei zusammen mit einer Demetriosreliquie dem kranken Kaiser als Geschenk zugekommen, um dessen Heilung zu beschleunigen.98 Zwar ist das reine Spekulation, doch darf man davon ausgehen, dass der sieche Kaiser das Demetriosziborium kannte. Unabhängig davon verdeutlichte allein schon das Ziborium als Würdeformel den hohen Wert des Inhalts. Beim Lesen der Inschrift wurden alle eventuellen Zweifel zerstreut: Dies ist ein Abbild des Demetriosziboriums. Der spezifische Hinweis auf die Todesart des Märtyrers, die Tötung durch Lanzen, bildet einen weiteren Verweis auf das Innere des Ziboriums, das es erst noch zu ergründen galt. Als Türwächter dienen Nestor und Lupos, Gefährten des Demetrios, die hier als Soldatenheilige gezeigt werden. Im Inneren dieser Miniaturkopie des Thessaloniker Ziboriums befand sich vermutlich ein weiteres Reliquiar mit einem Abbild des überzeitlichen Heiligen in Orantenhaltung und einer weiteren Darstellung des toten Heiligen im Inneren. Damit war für den Empfänger dieses Reliquiars der Beweis erbracht: die Myroneliquie war authentisch und wirkmächtig.
Das weitere Schicksal des Ziboriums von Hagios Demetrios Dem Thessaloniker Ziborium des Heiligen kam offenbar noch im 11. Jh. eine bedeutende Rolle bei der Authentifizierung des Demetriosschreins zu. Fraglich ist allerdings, wie lange dies andauerte, ob das Ziborium bis in osmanische Zeit bestand oder zuvor abgebaut wurde. Wird das
Das weitere Schicksal des Ziboriums von Hagios Demetrios
Ziborium im ersten Buch der Miracula Sancti Demetrii noch mehrfach erwähnt, so taucht es im zweiten Buch nur noch an einer Stelle auf, in der Erzählung von der Errettung des Bischofs Kyprianos, und zwar als Vorbild für ein Ziborium in der Demetrioskirche von Thenai.99 Im 8. und 9. Jh. fehlt jeglicher Hinweis auf das Ziborium, doch haben sich aus dieser Periode nur sehr wenige literarische Quellen zu Thessaloniki überhaupt erhalten.100 Erst wieder im frühen 10. Jh. hört man von der Anlage. Am 16. August 904, also unmittelbar nach dem Abzug der Araber, gelangte der hl. Elias der Jüngere in die geplünderte Stadt.101 Seiner Vita zufolge fand Elias eine demoralisierte Bevölkerung vor, doch lässt die knappe Beschreibung der Kirche Hagios Demetrios erahnen, dass die Basilika intakt war und auch das Ziborium noch existierte (Text 7).102 Auch Johannes Kameniates’ Schilderung der Eroberung und Plünderung der Stadt erwähnt keine Verwüstung oder Plünderung der Kirche. In diesem Bericht ist von Hagios Demetrios nur als Zufluchtsort der verängstigen und bittflehenden Massen die Rede. Bis zur nächsten Erwähnung des Ziboriums vergeht geraume Zeit. Dabei handelt es sich um eine Neufassung der Miracula Sancti Demetrii, die vermutlich ein Erzbischof
367
namens Niketas um die Mitte des 12 . Jh. verfasst hatte.103 Niketas räumt an einer anderen Stelle seiner Nacherzählung der Demetrioswunder ein, dass er sie auf ältere Aufzeichnungen gründete.104 Was aber bedeutet dies? Bezieht sich der Autor damit auf seine Neufassung älterer Wunderberichte? Oder betrifft dies auch die wenigen beschreibenden Bezugnahmen auf die Kirche Hagios Demetrios? Die Frage ist durchaus relevant, beschreibt Niketas doch an einer Stelle sehr ausführlich das Ziborium als Konstruktion aus verschiedenen Marmorsorten, die den Schrein des myron spendenden Heiligen umschließt (Text 8).105 Kopiert Niketas hier eine ältere Beschreibung des Ziboriums oder nimmt er auf eine zeitgenössische Struktur Bezug? In Niketas’ ausführlicher Beschreibung wird mit keinem Wort der Silberschmuck des Ziboriums erwähnt, auf den er eigentlich eingehen müsste, hätte er aus den Miracula Sancti Demetrii des Johannes abgeschrieben. Stattdessen hebt er vor allem auf die Marmorsorten ab, was zeigt, dass er eine andere Struktur vor Augen hatte als noch Erzbischof Johannes im 7. Jh. Was also liegt näher als anzunehmen, dass er ein steinernes Ziborium beschreibt, welches das zu unbekannter Zeit entfernte ältere silberverkleidete Ziborium
7. Der hl. Elias d. Jüngere besucht mit einem Mönch aus Thessaloniki die Kirche Hagios Demetrios unmittelbar nach der Eroberung der Stadt durch die Araber: Nachdem er (Elias d. J.) Naupaktos verlassen hatte, durchreiste er Griechenland, wurde aber, als er einen bestimmten Teil des Illyricums erreicht hatte, krank, jedoch nicht schwer. Also beschloss er, erhellt von Gott, Kolumbos einen Brief zu senden mit der Bitte, ihn an den Kaiser weiterzuleiten. Nachdem er ihn abgeschickt hatte, erreichte er die Stadt Thessaloniki, doch begab er sich nicht ins Stadtzentrum, sondern zog es vor, sich außerhalb, in den Außenbezirken, bei der Kirche der Apostel aufzuhalten. Am darauffolgenden Tag, gegen Mittag, als sich die Kirchen von den Menschenmassen erholten, bat er jenen Mönch, der sich bei dieser heiligen Kirche der Apostel aufhielt, ihn zu jener heiligen Kirche des ruhmreichen Märtyrers Demetrios zu begleiten. Und jener stimmte gerne zu. Als sie auf dem Weg waren, da beklagte jener Gottesmann die Stadt, und sprach seufzend, als wäre er verwundet, zum Märtyrer: ›O Märtyrer Christi, Demetrios, wo bist
du jetzt? An welchen Orten hältst du dich auf? in welchen Himmelsbögen befindest du dich?‹ Ähnliche Worte brachte er auch hervor, als sie in der Kirche waren und er neben dem heiligen Ziborium des Märtyrers stand. Dieser Mönch, der ihn begleitet hatte, erregte sich hörbar und brachte in seinem Herzen Vorwürfe gegen jenen vor. Nach dem Gebet wandte sich der Heilige an den Mönch und sprach: ›Warum, Bruder, erregen dich meine Beschlüsse, als würde ich schlecht denken und schlecht reden? Außerdem: dort wo Reue erfolgt und Tugend herrscht, dort ist auch die Barmherzigkeit Gottes im Überfluss.‹ Da sah der Mönch, dass er (seine Gedanken) nicht verbergen konnte, und er warf sich vor dessen Füße und bat um Vergebung. Diese erhielt er auch umgehend, und er ging verwundert fort und teilte diese Begebenheit allen mit, denen er begegnete. (Vita des hl. Elias c. 69 p. 1101494 –1121523 Rossi Taibbi)
X
X
368
ersetzt hatte?106 Zu dieser späteren Konstruktion gehören aller Wahrscheinlichkeit nach auch einige Marmorwerkstücke, die heute in der Ostkrypta ausgestellt sind (Abb. 23a–b, 24). Dabei handelt es sich um eine Bogenplatte mit Dekor aus Kreuzen in Kreisen und stilisierten Blättern bzw. Palmwedeln und eine hochrechteckige Platte mit einem ikonographischen Motiv, das sich erst seit dem 9. Jh. fassen lässt: das Doppelkreuz auf einem Stufensockel.107 André Grabar hatte diese Platten ins 12 . oder 13. Jh. datiert. Georgios Soteriou wiederum vermutete, das Ziborium sei nach der arabischen Eroberung im Jahre 904 wiedererrichtet worden. Wie bereits gezeigt, kann dies nicht richtig sein, da das Ziborium bei diesem Ereignis keinen Schaden genommen hatte.108 Am überzeugendsten erscheint ein Vergleich zu den Reliefplatten des Hauptaltarziboriums, die Aristoteles Mentzos sehr überzeugend ins spätere 11. Jh. datiert und einer
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
369
lokalen Werkstatt zuweist.109 Wie diese zeigen auch die mutmaßlichen Platten des Marmorziboriums über dem Heiligenschrein eine sehr sparsame Verwendung von Einzelmotiven, die additiv aneinandergefügt wurden ohne durch ein komplexes Rahmensystem miteinander verbunden zu werden. Aber nicht nur das Ziborium wurde erneuert und durch eine weniger brandanfällige Marmorkonstruktion ersetzt, auch sein Innenleben hatte sich gewandelt. Anstelle der Liege mit der Abbildung des Heiligen, die noch im ersten Wunderbuch erwähnt wird, errichtete man einen Heiligenschrein, der Myron spendete. Man fand bei den Grabungen nach 1917 innerhalb des Ziboriums Spuren eines späteren Bodenbelags, der offenbar eine rechteckige Struktur berücksichtigte (Kap. V Abb. 31). Dieser Bodenbelag wurde aus Spolienplatten gefertigt, wird also erst im Früh-
8. Eine Beschreibung der Kirche Hagios Demetrios und des hexagonalen Marmorziboriums aus dem 12. Jh.: Ihr wisst alle, dass die Kirchen der heiligen Paläste größere Pracht vor allem durch ihre Form und Größe und die wertvolle Schönheit ihres Materials verdienen. All dessen rühmt sich auch diese Kirche großartig, doch dadurch, dass sie die Weisheit und die Kunst harmonisch miteinander verbunden und in ein gutes Verhältnis zueinander gebracht hat, übertrifft sie die anderen Kirchen. Sie hat die Form des Kreuzes, und zwar insofern, als zwei querlaufende gegen eine aufrecht stehende Stange positioniert sind und somit das lebensspendende Zeichen nachbilden; diese Kreuzform bildet sich im östlichen Teil des Baus auf überaus weise und kunstgerechte Art und Weise. Aber nicht nur das, sondern auch das Allerheiligste hat ein großer und wunderbarer Geist innen kreuzförmig gestaltet. Dieser klugen und hervorragenden Gesamtbauform folgend erheben sich alle hundert Säulen über der Erde, darunter die meisten und größten aus thessalischem, die restlichen aus Marmor von Chersonnesos. Von diesen Säulen ruhen die einen auf der Erde und halten das Gewicht der darüber befindlichen (Säulen), während diejenigen, die darüber stehen und in der Luft schweben, die Decke stützen und das Pultdach der Kirche gestalten und zusammenhalten. Wieder andere Säulen umlaufen schmuckvoll das Sanktuarium und dienen hier-
Das weitere Schicksal des Ziboriums von Hagios Demetrios
bei als Gitter oder Vorhang, der dieses umschließt. Ebenso sieht man auch das heilige Ziborium, das entsprechend geschmückt aufgestellt ist und den wundertätigen Schrein umschreibt, auf der linken Seite des Schiffs, zur Mitte hin, wie einen weiteren großartigen Schmuck im Kleinen, der in etwas Großes hineingesetzt wurde. Die Säulen, die es umgeben, stehen in der Farbe dem peganusischem Marmor nicht nach, und bilden, zusammengehalten von weißem Marmor, die Gestalt eines gewinkelten Sechsecks. Obenauf sitzen Bögen aus schimmerndem Stein, die mit einem sechseckigen Gesims geschmückt sind, von dem aus sich weißglänzender Marmor zu einem spitzen Scheitelpunkt vereinigt. An dem obersten Verbindungspunkt trägt es eine Art Lilie mit steinerner Kugel, auf der das lebensspendende, strahlende, göttliche Kreuz ruht. Von all diesem wird sogleich nach dem wundertätigen und myronspendenden Schrein auch der Altar selbst nicht weniger als die einstmals berühmten Wunder bestaunt. Mir scheint, dass es (das Ziborium) hinsichtlich der Größe des künstlerischen Ausführens jene eher übertrifft. Einen solchen Tempel hat der gottliebende Leontios dem Heiler (Demetrios) gebaut. (Erzbischof Niketas, Wunder p. 3329 – 3337 Sigalas. Übersetzung Konstantinos Papanastasis)
23a–b In der Ostkrypta von Hagios Demetrios fand man Fragmente des Ziboriums, die vermutlich ins späte 11. Jh. datieren und somit spätere Instandsetzungen des Schreins bezeugen (Hagios Demetrios, Krypta).
mittelalter oder später entstanden sein, entweder zusammen mit einem festen Grabschrein oder erst nach Anlage eines solches Schreins. Und genau diese Disposition wurde vor 1057 durch den Silberschmied des Moskauer Reliquiars imitiert: ein Ziborium, das einen festen Heiligenschrein umschloss.110 Doch hat sich das Ziborium nicht bis in spätbyzantinische Zeit erhalten. Im späteren 12 . Jh. verliert sich jede Spur des Baldachins, und selbst genaue Beschreibungen des Heiligenschreins lassen Hinweise vermissen. Eustathios von Thessaloniki, der in seiner Schilderung der Eroberung Thessalonikis durch die Normannen im Jahre 1185 vergleichsweise genaue Informationen zum Heiligenschrein gibt, nennt das Ziborium nicht, und auch spätere Autoren des 13. bis 15. Jh., die auffallend oft auf den Demetriosschrein Bezug nahmen, erwähnen es nie. Besonders auffallend ist dies in einer sehr ausführlichen Beschreibung des Demetriosschreins bei Johannes Staurakios, der als Chartophylax von Hagios Demetrios bestens mit den Kulteinrichtungen der Kirche vertraut war. Er referiert unter anderem jene Wunder, die bereits in den Miracula Sancti Demetrii überliefert werden, doch lokalisiert er sie nicht mehr beim Zibo-
24 Etwa so könnte das Marmorziborium ausgesehen haben, das man vermutlich im 11. Jh. als Ersatz für einen älteren Schrein errichtet hatte (Rekonstruktion
Georgios und Maria Soteriou).
X
X
370
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Das weitere Schicksal des Ziboriums von Hagios Demetrios
schrein, der von einer bogenartigen Architektur überfangen wird (Abb. 25).118 Vom Bogen hängen Lampen als Zeichen der Ehrwürdigkeit des Orts; der Heiligenschrein selbst ist ein rechteckiger Block, der – wie ein Altar – mit einem Tuch bedeckt ist. Auf dem Tuch befindet sich eine Darstellung des liegenden Heiligen im Orantengestus. Die Art der Darstellung lässt keinen Zweifel daran, dass sich die Darstellung auf dem Tuch selbst befindet, keinesfalls plastischer Natur ist.119 Abgesehen von der Kleidung entspricht die Darstellung des stehenden Oranten derjenigen, die auch auf den Reliquiaren
371
in Halberstadt und auf dem Athos zu finden ist. Eine weitere vergleichbare Darstellung des Demetriosschreins findet sich in einem Fresko in der Muttergotteskirche Ljeviška in Prizren.120 Die im frühen 14. Jh. von dem Maler Michael Astrapas ausgeführten Fresken zeigen in einer Kapelle über dem Narthex Szenen aus dem Martyrium des hl. Demetrios.121 Hierzu zählt auch eine Darstellung des Heiligenschreins in der Stadt Thessaloniki, die den Heiligen in Orantenhaltung auf einem flachen rechteckigen Block zeigt (Abb. 26). Nichts verbarg mehr den Blick auf den Schrein; anders als in der
9. Der hl. Demetrios verhindert, dass die Massen vom Empfang des Myrons abgehalten werden:
25 Ein Fresko in der Klosterkirche von Decˇani zeigt das Wunder der Engel, die vergebens den hl. Demetrios zum Verlassen von Thessaloniki auffordern. Der Heilige wird vor seinem Grabschrein dargestellt, über dem Lampen hängen und den ein Tuch mit der Darstellung des Heiligen bedeckt.
rium.111 Während Erzbischof Johannes in seinem Wunderbericht des frühen 7. Jh. die Dame Eutaxia zusammen mit dem hl. Demetrios im Ziborium verortet, so lokalisiert Johannes Staurakios die beiden an einem Ort, den er metaphorisch göttliche Wohnung (θεῖον ἀνάκτορον) nennt.112 In diesem auch κιβωτός, also Schrein, wörtlich eigentlich ›Kasten‹ oder ›Kiste‹, genannten Bereich befand sich das Grab (τάφος) oder der Sarg (λάρναξ) des Heiligen, den Johannes an einer Stelle detailliert beschreibt (Text 9).113 Es scheint sich um eine zweigeteilte Struktur aus Marmor gehandelt zu haben, mit einem sichtbaren oberen Bereich, dem Kenotaph und dem eigentlichen Sarg darunter, in dem man sich den Leib des Heiligen vorstellte und aus dem das Myron entsprang.114 Die Türen des Schreins waren in der Regel geschlossen, man betrat ihn in Begleitung eines Sakristans von der linken Seite, also vom nördlichen Seitenschiff aus.115 Das Myron strömte aus dem Leib des Heiligen und floss
durch Röhren in Behälter, die um seinen Sarg gruppiert waren. Von dort konnten es die Besucher und Pilger entnehmen.116 Offenbar hat sich das Ziborium bis ins 12 . Jh. erhalten, wurde dann aber zerstört oder entfernt. Dies hatte den Vorteil, dass man uneingeschränkten Zugang zum myronspendenden Schrein gewähren konnte. Doch war der eigentliche Grund für die Entfernung des Ziboriums ein tiefergreifender: Es hatte als semantisches Mittel zur Vergegenwärtigung des Heiligen ausgedient. Die Gegenwart des Heiligen wurde nun nicht mehr durch einen geschlossenen Baldachin, in den man sich den Heiligen hineindachte, erzeugt, sondern durch das Absondern von Myron belegt, dessen sich breite Massen der Bevölkerung erfreuen konnten.117 So zeigen auch späte Darstellungen des Demetriosschreins diesen nicht in einem geschlossenen Ziborium, sondern in einer frei einsehbaren Bogenarchitektur. Ein Fresko in der Klosterkirche von Dečani, das jene Szene darstellt, in der ein vir illustris träumt, zwei Engel träten an das Ziborium des hl. Demetrios heran und forderten ihn vergeblich auf, die bedrohte Stadt zu verlassen, zeigt diese eben nicht vor dem geschlossenen Ziborium, wie es der ältere Wunderbericht des Johannes erwarten ließe, sondern vor einem Heiligen-
Wer kennt nicht die Myronquelle, die aus dem Körper des verehrten Demetrios hervorsprudelt? Sie verströmt eine solche Menge, dass selbst jene Behälter es nicht empfangen können, die den Schrein wie einen Kreis umgeben. Diese empfangen von der Quelle des Seligen Myron, bis sie mit dem Überfluss an Wohlduft gesegnet sind, und sie bilden eine ehrwürdige, jederzeit zur Verfügung stehende Heilstätte für diejenigen Christen aller Generationen und Alter, die sich in dem überreichen Versammlungsort mit dem Myron des Märtyrers bereichern wollen, Männer, Frauen und Kinder, die von hier das Myron mit Händen und Gefäßen empfangen. Die einen weihen ihre Augen, die anderen ihren Mund, andere ihre Ohren, wieder andere reiben sich mit Myron ihre Brust und alle Glieder ihres Körpers ein, und sie bekommen, allgemein gesagt, von seinem Wohlduft nicht genug. Einem Mann also, der das mönchische Leben angenommen und das Gewand Gottes angezogen hatte, wird wegen seines untadeligen Lebens der Dienst am Schrein des Märtyrers anvertraut. Dieser sieht jeden Tag, wie sich Menschen jeden Alters und Geschlechts unersättlich mit Myron einrieben, wie sich Frauen gierig die Augen, Brüste und Arme weihten, und fragt sein Gewissen, ob das wohl dem Märtyrer gefalle. Und er geht und schließt die myronspendenden Auffangbecken, weil er offensichtlich nicht weiß, dass der große Märtyrer Christi sich sehr freut, sich durch sein Myron mit den Menschen zu vermischen, jeden und jede mit Myron zu weihen und sie allein durch die Berührung des Myrons zu heiligen; und dass er kaum jemanden verabscheut oder ablehnt, selbst wenn sein Leben unrein ist, selbst wenn er
sich mit kaum lobenswerten Taten beschmutzt hat. Denn er ist ein Jünger und ein Nachahmer desjenigen, der gekommen ist, um die Sünder, und nicht die Gerechten, zur Buße aufzurufen, der unsere Sünden und Krankheiten auf sich genommen hat und mit Sündern und Zöllnern am selben Tisch gesessen hat. Daher erscheint ihm im Traum der Große (Demetrios) und tadelt seine Tat, indem er spricht: »Warum verweigerst du aus Neid den Gläubigen den Fluss aus meinen Wunden, der reichlich jeden Tag strömt, und warum hast du die Christusliebenden von den myronspendenden Auffangbecken ausgeschlossen? Ich selber vergebe Myron nicht tropfenweise oder in Maßen, sondern reichlich, du aber gibst dich geizig und neidisch. Aber damit du lernst, den Heilbrunnen niemals den Märtyrerliebenden zu versperren, öffne ich hier den Gläubigen die Tür zu meinem Myron«. So sprach er, während er einen dünnen Stab in der Hand hielt und mit diesem den Weg nachzeichnete, der das Myron von dem myronbergenden Schrein geradewegs über den Fußboden der Kirche führte. Auf diese Angabe hin entspringt ein Fluss von Myron, der sich gleichmäßig und langsam über den Fußboden der Kirche verteilt. Und sieh, wie nach David der Fluss mit klatschender Hand das Wunder billigt (vgl. Psalm 97, 8) so staunt der Diener des Märtyrerschreins, öffnet sogleich die zuvor von ihm geschlossenen myronspendenden Auffangbecken und entschuldigt sich für seine Fehler. So schafft er es nur knapp, dass der myronspendende Fluss mitten in der Kirche anhält. ( Johannes Staurakios, Wunder p. 3731 – 3742 Iberites. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)
X
X
372
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Spätbyzantinische Enkolpionreliquiare des hl. Demetrios
373
26
26 In der Demetrioskapelle im Obergeschoß der Vorhalle der Muttergottes
kirche Ljeviška in Prizren findet sich eine Darstellung des Demetriosschreins, die vermuten lässt, dass der Heilige auf dem Deckel als Ganzfigur im Orantengestus dargestellt war.
Frühzeit der Demetriosverehrung war das Grab konkret geworden, hatte der Leib des Märtyrers seinen festen Platz in der Kirche Hagios Demetrios.
Spätbyzantinische Enkolpionreliquiare des hl. Demetrios 27
Diese Eindringlichkeit bei der Authentifizierung der Reliquie begegnet auch im Fall der etwas späteren Demetriosreliquiare in London und Washington. Das runde Enkolpionreliquiar im British Museum ist mit 3,9 cm Durchmesser zwar sehr klein, aber umso kunstvoller gestaltet (Abb. 27).122 Die Kapsel besitzt nicht mehr den ursprünglichen Deckel; einst wird sich hier eine Emaildarstellung des hl. Demetrios als Brustbild befunden haben – analog zur Georgsdarstellung auf der Rückseite.123 Höchstwahrscheinlich wurde Demetrios als Soldat mit Speer oder/und Schwert gezeigt, worauf die Inschrift auf der Rückseite und auf der Schmalseite der Kapsel hinweist.124 »Mit deinem Blut und Myron gesalbt bittet (sc. der Träger des Medaillons), dich als eifrigen Beschützer in Kämpfen zu haben.« Offenbar war auch dieses Enkolpion eine Ampulle für Myron: Der Anhänger diente zugleich als Deckel, und über die Öffnung konnte die Flüssigreliquie im rückwärtigen Hohlraum ausgeträufelt werden. Hinter dem verlorenen Hauptdeckel befindet sich auf einer Türöffnung ein quadratisches Emailbild des Demetrios, das den Heiligen unter einer Bogenöffnung auf einem Sockel liegend, mit geschlossenen Augen und über der Brust gekreuzten Armen zeigt. Über dem Heiligen hängt von dem Bogen eine Lampe herab, wie es bei verehrten Stätten üblich war. Dieses Emailbild kann weggeklappt werden; dahinter befindet sich ein kleines Fach mit einer weiteren plastischen Darstellung des verstorbenen Demetrios.125 Die Myronreliquie wird sich in dem rückwärtigen Hohlraum befunden haben, dessen Wand um das zentrale Fach aufgebrochen ist und den Blick auf eine dunkle Substanz freigibt, in die einzelne Partikel eingebettet sind.126 Platz für eine Blutreliquie war in dem Reliquiar somit nicht; die Inschrift, die von einer Salbung mit »Blut und Myron« spricht, ist also kein Hin-
27 Das Enkolpionreliquiar, dessen originaler Deckel verlorenging, zeigt im Inneren ein emailverziertes Türchen, hinter dem sich eine Reliefdarstellung des verstorbenen Heiligen verbirgt. Auf der Rückseite des Reliquiars ist der hl. Georg dargestellt (London, British Museum).
weis auf eine Blutreliquie, sondern als Ausdruck der Gleichsetzung von Myron und Märtyrerblut zu interpretieren. In vergleichbarer Art und Weise präsentiert sich der verstorbene Demetrios in einem weiteren Reliquiar in Dumbarton Oaks (Abb. 28).127 Dieses Enkolpion zeigt auf dem Deckel den Heiligen als Brustbild mit Speer und umfasstem Schwertknauf. Umgeben wird die Darstellung von folgender Inschrift:128 »Das ehrwürdige Gefäß des Blutes des Demetrios zusammen mit Myron trägt der Glaube des Sergios.« Eine weitere Inschrift auf der Schmalseite des Reliquiars lautet:129 »Er bittet, dich sowohl im Leben als auch im Sterben als Beschützer zu haben, zusammen mit den beiden Märtyrern und Siegern im Kampf.« Die Rückseite zeigt die beiden Heiligen Sergios und Bakchos. Öffnet man den Deckel, so erscheint eine zweiflüglige Tür. Hinter dieser verbirgt sich eine plastische Darstellung des Demetrios als Verstorbener, in einer Öffnung, die durch den Bogen ein Ziborium andeutet, mit vor der Brust überkreuzten Armen und geschlossenen Augen. Abermals ist der Heilige nicht frontal als Brustbild, sondern seitlich liegend wiedergegeben. Wie bei dem Londoner Reliquiar diente der Anhängerring zugleich als Deckel mit Schraubgewinde, der den rückwärtigen Hohlraum mit der Flüssigreliquie verschloss. Dabei handelte es sich um Myron, das in der Inschrift abermals mit Blut gleichgesetzt wird: Auch hier wird das Reliquiar als Blutbehältnis angesprochen, in dem sich Myron befindet. Grabar hat als Datierung für die beiden Reliquiare in London und Dumbarton Oaks das 13. Jh. vorgeschlagen, da die Darstellung des von der Seite betrachteten Demetrios wohl auf westlichen Einfluss zurückgehe, der über die Kreuzfahrer vermittelt worden sei.130 Doch bedarf es einer solchen Einflussnahme durch die westliche Kunst nicht, denn auch die byzantinische Ikonographie der Marienentschlafung zeigt seit dem 10. Jh. aus der Seitenansicht die liegende Muttergottes mit geschlossenen Augen.131 Vermutlich dürften die beiden Reliquiare in der zweiten Hälfte des 12 . oder in der ersten Hälfte des 13. Jh. entstanden sein, wie Vergleiche zu festdatierten Emailarbeiten, etwa dem Enkolpionkreuz in dem Grab der 1212 verstorbenen dänischen Königin Dagmar, nahelegen.132 Wie auch immer man die
X
X
374
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
28 Wie das Exemplar im British Museum enthält die Rundkapsel im Inneren
ein verschließbares Fach mit einer Darstellung des verstorbenen Demetrios (Washington DC, Dumbarton Oaks Collection).
Datierung der beiden Objekte beurteilt, so untermauern sie doch bis in spätbyzantinische Zeit die Bedeutung der Myronreliquie, die immer wieder in besonders aufwendigen Anhängern begegnet und in den Besitz besonders reicher und bedeutender Personen kam. Zu Recht ist mehrfach vermutet worden, dass die Reliquiarproduktion in Thessaloniki erfolgt sein muss, dass man hier, wo Zugriff auf Myron bestand, Reliquiare für hochstehende Personen fertigte.133 Auch fällt auf, dass sich die Ikonographie des Demetrios nunmehr geändert hatte: Die Außenseiten der Reliquiare zeigen Demetrios – jedenfalls im Fall des Washingtoner Enkolpions – nicht mehr als hohen Beamten, sondern als bewaffneten Soldatenheiligen.134 Myron war für die Besitzer dieser Reliquiare nicht mehr Medizin gegen Krankheiten, sondern Schutz vor bewaffneten Feinden im Krieg.135 In diesen späten Reliquiaranhängern, die sich vermutlich im Besitz ranghoher Militärs befanden, wird die soldatische Qualität des Heiligen betont und dient der Heilige als individueller Helfer im Krieg.
Die Lanzentötung des Demetrios
29 Die älteste überlieferte Szene des Martyriums des hl. Demetrios stammt aus dem Menolog Basileios‘ II. aus der Zeit nach 1000 (Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Ms. Vat. gr. 1613 ).
Die Lanzentötung des Demetrios Mit dem Bedürfnis nach heiltätigem Myron, das wie Blut aus dem Körper des Märtyrers herausströmte, verstärkte sich auch das Interesse am Moment der Tötung des Heiligen, in dem Soldaten auf Befehl des Kaisers mit ihren Lanzen auf ihn einstachen. Die älteste Darstellung dieser Szene findet sich in dem Menolog Basileios’ II. aus den Jahren um 1000. Sie zeigt einen Bärtigen, der mit einer Lanze auf den jugendlichen Heiligen in Tunika und Chlamys einsticht (Abb. 29).136 Gegen den Inhalt der bekannten Passionserzählung wird der Heilige vor einer kleinen Zierarchitektur in einer Landschaft ermordet. Der Illustrator des Menologs hat also – wie auch bei anderen Heiligen – nur allgemeinere Informationen bildlich umgesetzt ohne auf die spezifischen Umstände des Todes einzugehen. Die älteste Martyriumsszene, die eng mit der Passion des Heiligen abgestimmt ist, findet sich auf dem Reliquiar des Klosters Vatopedi (Abb. 15f): Sie zeigt rechts den Heiligen, der seine Hände
375
im Fürbittgestus zu Gott hebt, der als Hand aus einem Himmelssegment erscheint. Von links stechen zwei Soldaten auf den Heiligen ein, wobei sich die Hiebe gegen dessen rechte Flanke richten. Dieselbe Szene in der Metropolis von Mis tra zeigt bereits vier Soldaten, die den thronenden Heiligen durchbohren wollen (Abb. 18d). Ähnlich ist die Szene in dem Zyklus des Oxforder Menologs aufgebaut: Abermals stechen zwei Soldaten auf den thronenden Heiligen ein, der seine Arme im Gebet erhoben hält (Kap. XI Abb. 10). Bereits die Todeswaffe lässt spontan an eine Analogie mit Christus denken, dem von Longinus die Lanze in die Seite gebohrt wurde. So wie der Lanzenstich gegen Christus die bedeutendste Reliquie überhaupt zur Folge hatte, das Blut Christi, so waren es die Lanzenwunden des Demetrios, aus denen Blut geflossen war und immer noch Myron austrat. Weil das Interesse an Myron so groß war, musste der Szene der Tötung des Heiligen gesteigertes Interesse gelten und seine Passion drastisch bebildert werden. Die besondere Bedeutung, welche diese Szene für Thessaloniki hatte, illustriert eine Darstellung im Narthex der Apostelkirche von Thessaloniki. Dieser Bau stellt eine Stiftung des Patriarchen Niphon I. (1310 –1314) dar und muss somit vor 1314 vollendet worden sein.137 Die Ausstattung der Kirche mit Malereien zog sich noch hin; so ließ sich über
X
X
376
30a–b Die Szene des Lanzentods des hl. Demetrios erfreute sich gerade im 14. und 15. großer Beliebtheit. Die Darstellung befindet sich in der im frühen 14. Jh. errichteten Apostelkirche in Thessaloniki. Sie bildet nicht Teil eines Zyklus, sondern wurde in einen Marienzyklus eingepasst.
dem Mittelportal zwischen Narthex und Naos Niphons Schüler Paulos als Stifter darstellen. Die Martyriumsszene befindet sich im inneren Narthex der Kirche, über dem nördlichen Durchgang zum Hauptraum der Kirche (Abb. 30).138 Dort ist sie aber nicht Teil eines Demetrioszyklus, sondern stellt ein isoliertes Bild innerhalb eines Raumteils dar, in dem sich sonst nur Szenen aus dem Leben Mariens finden.139 Die Darstellung ist infolge einer nachträglichen Veränderung des Durchgangs im unteren Bereich schwer beschädigt; dennoch ist die Komposition gut zu erkennen. Links befinden sich vor einer Hin-
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
tergrundarchitektur der Heilige, der die Lanzenstöße empfängt, sein Begleiter Lupos und ein Engel, der den Kranz des Martyriums herbeiträgt. Rechts erkennt man eine Gruppe von vier Soldaten, die ihre Lanzen gegen den Heiligen richten. Xyngopoulos hat vermutet, die Szene sei von einer Konstantinopler Ikone inspiriert, die aus einer Beschreibung des Makarios Makres bekannt ist.140 In Anlehnung an die Eikones des Philostrat beschrieb dieser im 15. Jh. die Szene des Martyriums des hl. Demetrios mit besonders bewegenden Worten, wobei er die Analogien zwischen dem Kreuzestod Christi und dem Martyrium des Heiligen hervorhebt (Text 11). Doch geht aus der ›Beschreibung‹ nicht hervor, dass es sich um eine Konstantinopler Ikone handelt, und außerdem stimmt sie nicht mit dem Fresko in der Apostelkirche überein. Sie ist ein unabhängiges Zeugnis für die hohe Bedeutung, die
Die Lanzentötung des Demetrios
der Martyriumsszene im 14. und 15. Jh. zukommt, und belegt, dass sie nun auch Sujet eigener Ikonen war. Sogar auf Münzen wurde die Szene abgebildet: Unter Johannes V. Palaiologos (1341–1391) wurde in Thessaloniki eine Münzserie geprägt, die ein weiteres Mal den Kaiser und den Stadtheiligen zeigt, diesmal jedoch in einer neuartigen Ikonographie (Abb. 31).141 Auf der Vorderseite der kleinen Kupfermünzen ist ein Herrscher mit Zepter neben einer stilisierten Architekturdarstellung zu sehen, die durch ein verschlossenes Tor und turmartige Aufsätze gekennzeichnet ist. Dabei handelt es sich vermutlich um eine stilisierte Darstellung der Stadt Thessaloniki. Eine Münze in der Dumbarton Oaks Collection lässt vermuten, dass hier der Heiligenschrein wiedergegeben ist, da sich hier deutlich ein sechseckiger Aufsatz abzuzeichnen scheint (Abb. 32);142 bei
377
genauer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch auf dieser Münze eine Stadtdarstellung zu sehen ist.143 Der hl. Demetrios erscheint auf der Rückseite, allerdings höchst ungewöhnlich als Märtyrer. Er empfängt in gekrümmter Haltung die Stöße mehrerer Lanzen, die ihm die Soldaten beibringen. Er trägt nicht mehr Rüstung, sondern das traditionelle Beamtenkostüm. Doch wie erklärt man diese Darstellung? Wie ist die Abkehr vom siegbringenden Demetrios zugunsten eines Heiligen, der Opfer kaiserlicher Willkür ist, zu verstehen? Man hat vermutet, dass die Angriffe der Osmanen auf die Stadt mit der Verwundung und Tötung des Stadtheiligen durch die römischen Soldaten parallelisiert wurden.144 Den Ungläubigen sollte mit dem Bild des sterbenden Demetrios das eigene Leiden vor Augen geführt werden.145 Eine solch ›anklagende‹, fast schon moralisierende Ikonographie
X
X
378
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
31 Münzen des Kaisers Johannes V. Palaiologos (1341–1391) zeigen auf der Rückseite die Szene des Martyriums des Heiligen: Soldaten stechen mit ihren Lanzen auf den sitzenden Heiligen ein.
32 Die Vorderseite dieser Münze zeigt neben dem Kaiser eine sechseckige Struktur, die man nicht mit dem Demetriosziborium verwechseln darf. Vielmehr handelt es sich um einen Turm der Stadtmauer von Thessaloniki. Auf der Rückseite befindet sich wiederum das Motiv des Lanzentods des Heiligen.
Die Brunnenwurflegende
handen, dass es jedem Gläubigen gestattet war, sich so viel davon zu nehmen, wie er nur wolle. Angeblich besaß das Myron sogar die Fähigkeit, sich selbst zu ergänzen: Einmal in Gefäße abgefüllt und in den Häusern der Frommen aufgestellt, habe es sich von selbst nachgefüllt. An seinem Festtag scheint der Heilige besonders viel Myron abgesondert zu haben. Dies jedenfalls legt ein Eintrag in einem Synaxar aus dem 14. Jh. nahe, der wie folgt lautet:148 »Jeden Tag fließt duftendes Öl, welches jene heilt, die es im Glauben empfangen, insbesondere am Fest des hl. Demetrios. An diesem Tag fließt es reicher als an anderen Tagen, sogar von den Wänden und den Säulen der Kirche.
379
In großer Zahl wischen es die Menschen von den Wänden und füllen das Öl in Flakons. Dieses Wunder wird sich bis zum Ende der Zeit ereignen. Glaubhafte Priester, die dies gesehen haben, berichteten davon und bezeugten es.« Und nochmals später berichtete der deutsche Soldat und Reisende Johann Schiltperger von der Myroblysie am Festtag des Heiligen. Schiltperger hielt sich nach langer Odyssee 1427, also nur wenige Jahre vor der osmanischen Eroberung in Thessaloniki auf:149 »Auch ligt ein grosse stadt pey dem wälschen mere in Kriechenlandt und hayst Salonick; und in der stat ligt ein heyllig, der ist genandt San Timiter, und öl fleust auß seinem grab und mitten in der kir-
10. Ein Pilger namens Vitalios träumt, zum Grab des hl. Demetrios vorzudringen:
ist jedoch unwahrscheinlich. Vermutlich ist die Martyriumsikonographie auf den Thessaloniker Münzen des 14. Jh. im Zusammenhang mit der Intensivierung des Myronkults zu verstehen. Die Szene des Martyriums des Heiligen sollte in besonderer Weise nochmals den wundersamen Ursprung dieser Substanz illustrieren.
Die Brunnenwurflegende Die Traumgeschichte des Mönchs Vitalios gab bereits Einblick in die Vorstellung, die man von dem Heiligengrab hatte: ein Heiliger, der tief unter dem Schrein bestattet war und fortwährend Myron absonderte (Text 10). Damit ist noch nicht die Frage beantwortet, wie man sich die Myron-
entnahme technisch vorzustellen hat. Wer durfte an den Schrein herantreten, um heiliges Öl zu entnehmen? Und wo befand sich der Demetriosschrein? Die in dieser Hinsicht aufschlussreichste Schilderung stammt von Demetrios Chrysoloras, einem kaiserlichen Vertrauten und Verfasser einer Lobrede auf den hl. Demetrios, der sich zu Beginn des 15. Jh. mehrere Jahre in Thessaloniki aufhielt.146 Demetrios beschäftigt sich ausführlich mit der Entnahme des Myrons, das zu seiner Zeit in reichen Strömen floss (Text 13).147 Seinen Ausführungen lässt sich folgendes entnehmen: Auf dem Schrein des Heiligen scheinen sich die Öffnungen zweier Rohre befunden zu haben, aus denen Myron floss. Dieses wurde von einem nicht näher beschriebenen Bereich auf die Ebene der Kirche (ἰσόπεδον τῷ ναῷ) gepumpt. Myron war in so großen Mengen vor-
Er sah im Traum, wie er sich in der Stadt Thessaloniki befand, die Kirche des Märtyrers erreichte, dort einen Küster vorfand, diesen ansprach und dessen Worte hörte: »Möchtest du den Märtyrer sehen?«. Und Vitalios bejahte dies. Denn er sehnte sich sehr danach, ihn zu sehen und zu verehren. Und so ging der Küster voran, während ihm Vitalios folgte. Sowie sie zum göttlichen Schrein (κιβωτός) des Märtyrers gekommen waren, traten beide durch die linke Seite ein, bewegten die Türen und entfernten den heiligen Sarg (λάρναξ), wobei sie aus der Mitte sieben Marmorplatten entfernten (μαρμάροι). Sie wechselten sich ab, die Erde wegzugraben. Die ausgeschaufelte Erde war zunächst lehmig, ein Gemisch aus Myron und Erde; schließlich wurde eine andere, reine Erde herausgegraben, voll angenehmen Dufts. Nachdem sie in eine Tiefe von bis zu drei Ellen gegraben hatten, erschien diesen ein kleiner Sarg (λάρναξ), der mit einer Platte aus weißem Marmor bedeckt war. Als sie diese entfernt und den Sarg geöffnet hatten, da sahen sie den strahlenden Märtyrer liegen, als wäre er lebendig und würde schlafen, lächelnd und mit heiterem Gesicht. Und sieh: unzählige Wunden, die dem Märtyrer vom Hals bis zu den Lenden zugefügt wurden und ihn geordnet wie Bienenwaben bedecken! Er sah wie ein Gefäß mit tausend Löchern aus, und aus den Löchern sprudelte wie aus unzähligen Adern Myron hervor, als ob sie von unten geradezu von Lebensgeist durchblasen würden. Es hätte nicht viel gefehlt, da wären die Männer in dem hervorsprudelnden Myronstrom ertrunken. Als Vitalios dies erstaunt gesehen hatte, da grüßte er diesen göttlichen
Leib voll Verehrung und füllte ein Koutrouvion genanntes Gefäß, das er in seinen Händen hielt, mit dem ausfließenden Myron. Danach schlossen sie den myronspendenden Sarg, bedeckten ihn mit der wohlduftenden Erde, dann mit der schlammigen Erde, und bedeckten den Sarg mit den Marmorplatten. Danach verschlossen sie den verehrten Märtyrerschrein so wie er zuvor gewesen war, und verließen die Kirche und die Stadt. Vitalios kehrte, wie es scheint, dorthin zurück, woher er gekommen war, und der Küster begleitete ihn bis zu einem Ort namens Almyros.169 Dort verabschiedete er Vitalios und machte sich auf den Weg zurück. Davor hatte er Vitalios gebeten, ihm ein wenig von dem Myron zu geben, das dieser von dem Märtyrerleib geschöpft hatte, aber sein Wunsch blieb unerfüllt. Er bekam nur einen kleinen Tropfen, womit er sich bekreuzigend seine Stirn weihte. Dann wachte Vitalios auf, und siehe: er hielt in seinen Händen das Myron des Märtyrers, war ganz mit Öl getränkt und mit Wohlduft angefüllt, voll von Verwunderung und Begeisterung. Außer sich vor Freude und Furcht sagte er: »Träume ich vielleicht noch und stelle ich mir in meinem Traum vor, dass ich das Myron des Märtyrers besitze? Nein, denn wie es scheint war das, was ich gesehen habe, kein Traum und keine Phantasie; ich war körperlich anwesend am ehrwürdigen Schrein des Großmärtyrers, der – o göttliches Wunder! – alle Vorsorge traf, damit ich nicht der Blasphemie verfalle!« ( Johannes Staurakios, Wunder p. 353 4 – 3545 Iberites. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)
X
X
380
chen, da der heyllig liegt, da ist ein prunn und an seinem tag so wirt der prunn vol wassers und sunst über jare so ist er trucken; und in der stat pin ich gewesen.« Wenn man bedenkt, dass dies die einzige Begebenheit ist, die der Autor von seinem Aufenthalt in Thessaloniki berichtet, so kann man sich vorstellen, welchen Eindruck der Vorgang auf ihn machte. Schiltperger erwähnt neben dem Grab inmitten der Kirche aber auch einen Brunnen, und dieser Brunnen spielt im spätbyzantinischen Demetrioskult eine besondere Rolle: Nikephoros Gregoras erwähnt 1330 in einem Lobgedicht auf den hl. Demetrios als erster eine Legende, der zufolge der Leichnam des Märtyrers nicht in einem Kellerraum der Thermen verscharrt wurde. Vielmehr habe man ihn in einen Brunnen geworfen, dessen Wasser sich nun mit dem Myron vermengte (Text 13).150 Spätere Erzbischöfe von Thessaloniki wiederholen diese Erzählung, was zeigt, dass es sich um eine sehr populäre Vorstellung gehandelt hat.151 Isidor vergleicht den in den Brunnen geworfenen Leib des Märty-
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
rers mit verborgenem Gold. Alle Welt dränge sich wie dürstende Hirsche an der Quelle, um in den Genuss des Myrons zu kommen (Text 16).152 Symeon wiederum vergleicht das Brunnengrab des hl. Demetrios mit dem Felsengrab Christi (Text 14).153 Und schließlich greift auch die Inschrift auf dem Rahmen der berühmten Mosaikikone in Sassoferrato die Brunnenlegende auf (Kap. XIII Abb. 1):154 »Dieses Gefäß birgt das heilige Myron, welches dem Brunnen entnommen ist, in welchem der Körper des Myron spendenden göttlichen Demetrios ruht und Wunder für die ganze Welt und die Gläubigen bewirkt.« Der Hintergrund dieser in spätbyzantinischer Zeit überaus populären Legende ist offensichtlich das stark gestiegene Bedürfnis nach heilkräftiger Substanz. Reines Myron war bei weitem nicht ausreichend, um die Bedürfnisse der Besucher zu befriedigen; daher musste man es verdünnen und dies zugleich rechtfertigen. Und dies erfolgte durch die Legende vom Brunnenwurf des Heiligen, welche die ideale Grundlage für einen Kult abgab, in dem nunmehr Myron-
11. Beschreibung einer Ikone mit der Darstellung des Martyriums des hl. Demetrios: Diese Ikone ist ein deutliches Zeichen des Muts und der Frömmigkeit. Demetrios, der Märtyrer Christi, ist, wie es aussieht, eben aus dem Gefängnis gekommen, sitzt davor, wie du siehst, auf Steinstufen und empfängt die kommenden Scharfrichter voll Freude und Mut. Denn er sehnte sich danach, für Christus zu sterben, und es sieht so aus, als sehnte er sich auch danach, denselben Tod mit ihm zu teilen. Da aber kein Kreuz vorhanden ist, bedient er sich voll Eifer und bis zum Ende des Vorhandenen: Er stützt nämlich die linke Hand fest auf den Sitz, streckt die rechte nach oben und bietet so seine Flanke den Lanzen an, voll Freude und Stolz angesichts der Menge (der Lanzen). Mit glücklichen Gesichtszügen und Augen voller Gnade empfängt er seine Mörder. Fast ist es, als würde er sie einladen und auffordern, mit den Lanzen zuzustechen. Man könnte sagen, dass sie ihn bekränzen und nicht schlachten wollten. Aber kein gnadenvoller Gesichtsausdruck kann die Scharfrichter veranlassen, ihre Absicht zu ändern oder ihren Gesichtsausdruck zu wechseln. Voll Wut und Grimm stechen sie mit grausamen Bewegungen in seine Flanke und in seine Brust, überall wo sie ihn nur treffen können. Nur einen
hat die Gnade des Märtyrers ergriffen und bezaubert, und dieser eine hat Mitleid empfunden, was ihn – so denke ich – bewogen hat, seine Lanze zurückzuhalten und sie nicht in die gesegnete Flanke stoßen zu wollen. Dahinter steht der Diener des Märtyrers, der selige Lupos, der angesichts dessen erschaudert, zusammenzuckt und so aussieht, als denke er daran zu flüchten. Er wird aber vom Mitleid und von der Liebe zu seinem Herrn besiegt und verharrt trotz seinem Herzschmerz, um an seinen Leiden teilzunehmen. Seinen Schmerz und seine Angst zeigt er durch seine Haltung und seine Hände. Mit der einen Hand ergreift er den Saum seines Chitons und er zuckt zusammen, als suchte er Befreiung von den Leiden. Die andere Hand streckt er voll Erstaunen aus, als könne sie ihn vor dem Anblick der Grausamkeiten schützen. In seinem Gesicht herrscht deutlich Traurigkeit, und er sieht aus, als würde er weinen. Der Lohn für all diese Kämpfe befindet sich nicht fern von Demetrios; der Kranz hängt schon über seinem Kopf, gehalten von einem vom Himmel herabfliegenden Engel. (Makarios Makres, Ekphrasis p. 167 –168 Argyriou. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)
Die Brunnenwurflegende
381
12. Der hl. Demetrios spendet an seinem Schrein Myron: Aber was ist das? Sein heiliger erschlagener Körper lag da hingeworfen, dem näherten sich nachts die Gottesfürchtigen und begruben gottesfürchtig den Gottesfürchtigen. Nach einiger Zeit aber entsprang eine neue Quelle über dem Körper, die – o Wunder! – mit Myron statt Wasser fließt, aus der ein Fluss Ströme des Wohlgeruchs trägt, von der Seen voll mit allem Duft, aus der ein neuer Ozean Wellen von Myron hervorbringt, das vom Charakter kein Wasser, sondern dicker ist, und so keinem feuchteren oder trockeneren Stoff auf der Welt oder um sie herum ähnelt, aber auch keinem anderen, künstlich hergestellten gleicht. Das Phänomen scheint Fleisch zu sein, und wiederum ist es nicht nur wunderbarer als alle wohlriechenden Dinge, nicht nur die künstlich hergestellten, sondern auch die natürlich von Gott aus entstehenden und entstandenen, und das zu Recht. Denn Gott hat den Wohlgeruch allen zum Geschenk gemacht, das hier vorhandene Myron aber schenkt er wahrlich, wie es sich geziemt, dem, der für ihn gekämpft hat. Der Märtyrer aber empfängt es durch seine eigenen Mühen, nicht aus Gnade. Und das Myron teilt sich beim Austreten in zwei Ströme, die von Rohren aufgenommen werden, und obwohl es schon erhaben ist, heben sie es in die Höhe, als ob es jemand von unten drücken würde, und das Schwere wird gegen die Natur hinaufgetragen, und wenn es kraftvoll auf dieselbe Höhe wie die Kirche angelangt ist, kommt es dort zur Ruhe, und jedes der beiden Rohre wird still, als ob es das Verschluckte aufstauen oder vielmehr das Zurückfließende und Gehemmte den Ausfluss wie mit unsichtbaren Zügeln zurückhalten würde. Die Rohre sind voll mit Myron, und stets frohlockt, wer daraus schöpft, es aber nicht vermindert, wer etwas entnimmt, aber nicht leert, wer daran Anteil hat und als gesund erwiesen wird. Und was austritt, ist fast unermesslich, jedem Gläubigen steht es zu, sich zu nehmen so viel er will, die Quelle bleibt unerschöpflich und eine Verminderung ist nirgends zu beobachten. Der Anblick ist wunderbar nicht nur für die Frommen, sondern auch für alle Gottlosen, und wenn es einen Häretiker oder Gottesfeind gibt, kann er doch nichts Gotteslästerliches tun, so stark sind Wirkung und Ruhm des hier vorhandenen Myrons. Das Großartigste aber ist, was sich mit dem Gesagten nicht vergleichen lässt, dass Gefäße, die aus den Rohren mit Myron gefüllt wurden und die einer von den Frommen
mit nach Hause nimmt und an einem heiligen Ort aufstellt, sie nicht nur zur Heilung der Körper hat, sondern auch der Seelen der Leute im Haus und der Nachbarn, oft auch der unvernünftigen Tiere. Wenn sie einmal natürlicherweise geleert sind, so ist, wenn man sie reinen Sinns im Andenken an den Märtyrer gebraucht, o Wunder! jedes Gefäß sofort wieder gefüllt, wie es anfangs war. Was kann es gleiches oder ähnliches Großartigeres geben als das? Die Heiden feiern Seen und Quellen, von denen jeder auf andere Weise Wunderkraft besitzt. Wenn das einstmals Erzählte nicht eine Sage ist, so ist doch das hier Vorliegende viel größer. Sollte aber auch das eine Sage sein, so ist es doch, wie mir scheint, vor den Schatten die offenkundige Wahrheit, ein wunderbares Ding für die es sehen, ein Wunder für die davon hören, das mit nichts anderem verglichen werden kann. Und was sage ich, unter den außerordentlichen Dingen auf dieser Welt ist es nicht geringer als die von Gott einst bewirkten Wunder. Hier sollen die Häretiker die Zunge nicht rühren, auch nicht die Dämonen nachahmen. Selbst wenn sie sich gemeinsam widrige Dinge ausdenken, können sie die Frommen nicht betrügen wie einstmals die Dämonen den ersten Menschen. Darum soll schweigen, wer auch immer es ist. Aber dies soll uns darüber genügen, denn um dies denen, die es wollen, ausführlich zu erzählen, würde das Leben nicht ausreichen. Jeder fasst sich kurz über die Wunder des Märtyrers, weil du, o bewundernswerter und guter Demetrios, wunderbarer Soldat Christi, die Stadt oft aus den Händen der Fremdstämmigen und aller möglichen anderen errettet hast, der beste Arzt für die Krankheiten geworden bist und dich über unser Volk erbarmt hast. Deshalb bitten wir dich auch jetzt noch, richte auf, was darniederliegt und Hilfe braucht, befreie die Kranken und hilf uns, bring den Bedrängten in einen ruhigen Hafen, erlöse den noch vom Feuer der Barbaren unbeweglich gemachten, heile durch deine Milde den, der durch ihre Wut verbrannt wird, und durch deinen wärmenden Tau, und tu alles für die Heilung der Seelen und des Körpers zugleich durch die Fürsprache der unbefleckten Mutter unseres Herrn Jesus Christus, dem Ruhm, Macht, Ehre und Anbetung gebührt von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. (Demetrios Chrysoloras, Enkomion p. 349235 – 351296 Laourdas. Übersetzung Albrecht Berger)
X
X
382
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Die Brunnenwurflegende
383
13. Der Leichnam des hl. Demetrios wird in einen Brunnen geworfen:
15. Erzbischof Symeon vergleicht das Brunnengrab des hl. Demetrios mit dem Felsgrab Christi:
Er (sc. Kaiser Maximianus) machte dies selbst durch das Folgende höchst offenkundig: Seine zusätzliche Bosheit bestand ja darin, jenen Leib des Märtyrer nicht zur Speise der Vögel und Hunde werden zu lassen, sondern in den tiefsten Abgrund eines Brunnens zu werfen, damit die Betrachter seine Machenschaften nicht sicher überprüfen konnten, indem er etwas tat, was dem Mangel an Ordnung bei den Wolken ähnelte, wenn sie versuchen, jenem überreichen, aller Welt gemeinsamen Ausfluss des Lichts zu widerstehen und dagegen anzukämpfen. Weil es oft geschieht, dass die göttlichen Ratschlüsse denen der Menschen diametral entgegengesetzt sind und oft das Beste durch das Gegenteil bewirkt wird, führten auch hier die Bemühungen der Übeltäter zum Gegenteil. Denn das die Kraft übersteigende Unterfangen wird zur gefährlichen Krankheit und bringt viel mehr dem Täter das Verderben als denjenigen, gegen die der Täter seinen Anschlag unternimmt. Aus den tiefsten Abgründen, in die der Kör-
Dann starb er ohne bestattet werden zu können, ehrte so das Grab Christi, ersuchte Vergebung und wurde bestattet wie ein Fremder, ohne seine Anhänger, doch statt in einem Felsgrab Fremder – denn es war nicht Christi Grab, er wurde in Armut geboren, er, der alleinige Herr der Herrlichkeit – fand Demetrios sein Grab in einem Brunnen, und vollzog so die Leiden des Herrn nach. Und der Brunnen, welcher sein Grab wurde, wird von den Nachfolgenden eine ehr-
würdige und unerschöpfliche Quelle zu Ehren Gottes genannt, da ihr Ströme heilsamen Myrons entspringen und der Bereich um sie herum nicht länger ein Gefängnis ist, sondern ein heiliges Haus, die Kirche Gottes, welche jene tröstet, die bekümmert sind, jene heilt, die leiden, Schwache aufrichtet, Beladene tröstet und eine gemeinsame heilbringende Zuflucht bildet.
wasser in großen Mengen ausgeschüttet und verteilt wurde. Man stellte sich den Heiligen nicht mehr in einem Schrein im Inneren der Basilika vor, sondern am Grunde eines Brunnens, der sich unter der Kirche befand und Ursprung von Unmengen heiltätigen Myrons war. Offenbar erfreute sich die Kirche eines regen Andrangs von Gläubigen, deren Wunsch nach heiltätiger Substanz nur durch eine überreiche ›Produktion‹ von Myron befriedigt werden konnte. Die Brunnenlegende bot sich als Erklärung für die Massenproduktion von Myron in idealer Weise an: Denn indem sich das Myron, welches der Leichnam des Demetrios absonderte, mit dem Wasser des Brunnens vermischte, ergaben sich gewaltige Mengen an heiltätiger Substanz, und das Myronwasser konnte in großen Mengen abgeschöpft werden.155 Wie aber ging die Myronverteilung vor sich? Wer sich heute in die Kirche Hagios Demetrios begibt, dem wird am nördlichen Querhauspfeiler eine moderne Ädikula auffallen. Deren Rückwand ist mit einem Mosaik verziert, das Soldaten zeigt, die den hl. Demetrios in einen Brunnen werfen (Abb. 33 – 34).156 Die Ädikula bildet die Einfassung eines älteren Brunnens, der im Demetrioskult eine große Rolle gespielt hat. Bei diesem Brunnen, aus dem man noch heute Wasser schöpfen kann, handelt es sich um einen besonders alten Bauteil, der vielleicht auf die vorchristliche Zeit zurückgeht und mit der Rahmenbebauung der römischen Therme in Verbindung stand.157 In spätbyzantinischer Zeit scheint man heiltätige Flüssigkeit nach oben gezogen und in großen Mengen verteilt zu haben. Die Ausgabe von Myronwasser erfolgte jedoch nicht am Brunnen
selbst, sondern am Schrein des Märtyrers und in der Krypta unter der Hauptapsis. Mit dem Heiligenschrein im Mittelschiff stand der Brunnen über Rohrleitungen in Verbindung, deren Reste bei den Ausgrabungen nach 1917 entdeckt wurden.158 Möglicherweise handelte es sich dabei um ebenjene Myronleitungen, über welche die geheiligte Substanz vom Brunnen zum Heiligengrab geleitet wurde. Allerdings bleibt unklar, wie man erreichte, dass das Myronwasser aus zwei Öffnungen über dem Schrein herausfloss, wie dies Demetrios Chrysoloras berichtet. Vermutlich goss man das Myronwasser in einen erhöhten Behälter neben dem Brunnen ein, um den notwendigen Wasserdruck aufzubauen.159 Daneben etablierte sich die Krypta unter dem Hauptaltar zu einem Ort des Myronkults.160 Aus dem unterirdischen Hagiasma, das bislang nur Heilwasser spendete, floss nun auch verdünntes Myron. Hierzu musste die Flüssigkeit zunächst aus dem Brunnen emporgezogen werden und in ein Becken gegossen werden, das über Rohrleitungen im nördlichen Treppenabgang zur Ostkrypta mit dem unterirdischen Hagiasmabecken in Verbindung stand (Abb. 35).161 In der Krypta konnte man die Substanz direkt aus dem Becken mit dem halbkreisförmigen Ziborium schöpfen. Später wurde davor ein weiteres kreisrundes Becken angelegt, an dem man eventuell auch Besprengungen oder gar Waschungen vornehmen konnte (Abb. 36).162 Grabungen in diesem Bereich brachten unter anderem die Koutrouvia genannten Bleiampullen mit dem Bild des Demetrios und anderer Heiliger zutage, die zur Aufnahme der Myronflüssigkeit dienten und die Pilger mit sich führten (Abb. 37).163 Da man sie auch außerhalb Thessalonikis fand, scheinen sie
per des Heiligen geworfen worden war, ergoss sich nämlich ein Strom von Wohlduft und Myron und umschloss sozusagen die ganze Welt, besser als der große Ozean, der in allen Büchern besungen wird. Denn jener umgibt die ganze Erde im Kreis wie ein Kranz oder Gürtel, die Ströme dieses Myrons dagegen, die wie aus einem Mittelpunkt in großen Mengen geradewegs hervorfließen, folgen allen, die sie suchen, in den Umkreis, in die Zwischenräume, die Städte, die Häuser und auf ihren Spuren, und sie nähren die ganze Erde, das Meer, die Inseln und das Festland, und keine Zeit kann sie jemals zum Verschwinden bringen, und solange die ganze Welt besteht, können sie weder Herbstregen wegschwemmen, die Sommerhitze verwelken noch den Frost des Winters erstarren lassen, noch können sie die Anschläge der Tempelräuber und kriegerische Hände zum Versiegen bringen. (Nikephoros Gregoras, Enkomion c. 10 p. 92350 – 93377 Laourdas. Übersetzung Albrecht Berger)
14. Gläubige sehnen sich nach der myronspendenden Quelle: Denn hier hat er (der hl. Demetrios) seinen strahlenden Körper wie Gold unter Erde versteckt. Deshalb kann man mit Recht die Erde, die ihn verbirgt, als golden und die Metallverkleidung als ehrwürdig bezeichnen. Denn er hat die myronspendende Quelle, ich meine seinen heiligen Körper, im Innersten der Erde versteckt, hat aber einen tiefen Brunnen des heiligen Myrons zutage gebracht, von dem diejenigen, die schöpfen möchten (die sind nämlich die Christen) und die gesamte Erde bewohnen, als durstige Hirsche zur Quelle rennend, reichlich Myron erhalten und es in die ganze Welt weitergeben. Und ihr, die ihr per Los bestimmt worden seid, an diesem Ort der Welt zu leben, seid diejenigen, die diesen Brunnen bewachen und auch
den anderen das Schöpfen erlauben. Wer könnte seliger sein als ihr, die ihr der heiligen Quelle so nah wohnt, die ihr den heilenden Brunnen umgebt, der mehr Staunen und Wunder hervorruft als jener Schafteich ( Joh. 5, 1–15)? Dort bewegte ein Engel ab und zu das Wasser, und der erste, der hineinstieg, wurde von seiner Krankheit geheilt; hier aber verteilt der andere Engel Gottes, der lichtvolle Demetrios, jedes Mal das Myron dieses Brunnes, als ob es Wasser wäre, und alle, die davon schöpfen, erhalten ihre körperliche Gesundheit zurück und werden von der seelischen Schwäche befreit. (Isidoros Glabas, hom. 1 p. 2220 – 37 Laourdas. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)
(Symeon von Thess. p. 191183 –192201 Balfour)
X
X
384
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Die Brunnenwurflegende
385
35 Am nördlichen Treppenabgang vom Altarbereich zur Krypta befindet sich dieses gemauerte Becken, das eine Zuleitung vom Altarbereich mit einer Leitung zum Hagiasmabecken in der Ostkrypta verbindet. Hat man hier Wasser mit Myron vermischt, um die Menge heiltätiger Substanz zu vermehren?
34 Das moderne Ziborium über der alten Brunneneinfassung erhielt ein
Mosaik mit der Darstellung des Brunnenwurfs des hl. Demetrios.
als Souvenir beliebt gewesen zu sein, womöglich teilweise sogar in Konstantinopel produziert worden zu sein.164 Ferner fand man zahllose glasierte Keramikschalen mit dem Monogramm oder Darstellungen des Heiligen; sie dürften zum Abschöpfen des Myronwassers und zu Waschungen gedient haben (Abb. 38a–b).165 Λάρναξ, σορός, τάφος – Schrein, Sarg, Grab – mit der Zeit hatte sich die Benennung für den Verehrungsort des hl. 33 Am nordwestlichen Pfeiler befand sich vermutlich seit spätbyzantinischer
Zeit ein Brunnen, aus dem wundertätiges Myronwasser geschöpft werden konnte. Im Jahre 2007 erhielt der Brunnen eine moderne Einfassung.
Demetrios geändert. Man bezeichnete ihn mit Begriffen, die im weiteren wie im engeren Sinne die Bedeutung von ›Grab‹ hatten und so dazu beitrugen, die bislang eher vage Präsenz des Demetriosleibs zu konkretisieren. Und erst auf der Grundlage dieser Vorstellung konnte die Myroblysie einsetzen, als Ausfluss aus einem realen Leib, den man sich in den Heiligenschrein hineindachte. Die Absonderung heiltätigen Öls war zunächst Beleg für die Existenz und die Wirkmächtigkeit des Heiligenleibs.166 Myron war nicht nur schützende Medizin; als Ausfluss aus dem Körper des Demetrios bewies es die Gegenwart des Heiligen. Mit der Myroblysie reagierte der Heilige nicht nur auf den Bedarf nach heilender Substanz; auch beantwortete er so mögliche Zweifel hinsichtlich seiner Existenz und Wirkmächtigkeit. Myroblysie war nicht nur das Ergebnis einer geeigneten Kultinstallation an einem Heiligengrab, sie basierte zunächst auf Gerüchten, die sich allmählich verdichteten, geglaubt wurden und irgendwann auch eine reale Entsprechung hatten: eine Installation in der Kirche Hagios Demetrios, über die Myron gewonnen werden konnte. Myron hatte hierbei einen großen Vorteil. Es war fast unbeschränkt vermehrbar. Flüssigkeiten konnten in beliebigem Umfang hergestellt, sanktifiziert und verteilt werden. Der hl. Demetrios produzierte somit Reliquien ohne
X
X
386
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Die Brunnenwurflegende
37a
36 Um noch mehr Besuchern das Schöpfen von verdünntem Myron zu gestat-
ten hat man vor dem Ziborium des Hagiasmas in der Krypta unter der Haupt apsis ein flaches Becken errichtet.
37a–c Einfachere Myronflakons stellen die sog. Koutrouvia dar, aus Blei gefertigte Ampullen mit Darstellungen des hl. Demetrios und anderer Heiliger (Thessaloniki, Byzantinisches Museum).
selbst von seiner Substanz zu zehren. Myron war individuell dosierbar, gut zu transportieren und konnte über Pilgerampullen leicht verteilt werden. Hierdurch wurde der Wunsch nach Teilhaftigkeit an der Wunderwirksamkeit und Fürbitte des Heiligen auch bei jenen befriedigt, die fern von Thessaloniki wohnten. Wie jeder Pilgerbetrieb funktionierte auch Hagios Demetrios nach dem Prinzip des »do ut des«: Bereitwillige Abgabe von Myron bei gleichzeitiger Anerkennung Thessalonikis als Heimstatt des Heiligen. Jeder Versuch, den Demetrioskult zu transferieren, musste an diesem Referenzsystem scheitern: einer fortwährenden Beglaubigung von breit verteilten Myronreliquien, die Wert und Wirkung deshalb behielten, weil die kollektive Überzeugung bestand, der Heilige befinde sich in Hagios Demetrios.167 Innerhalb dieses Referenzsystems spielten auch die aufwendigen Demetriosreliquiare ihre Rolle, indem sie auf den Bezugsort, Hagios Demetrios, verweisen und die Disposition des Demetriosschreins miniaturhaft in die Kleinkunst übersetzen. Sie führen auf
einzigartige Weise die Myronreliquie als Ausfluss des Grabschreins vor. Ihre Deckel zeigen den Heiligen als Ganzfigur, versprachen also Reliquien des Heiligen. Nach dem Öffnen begegnet man weiteren verschlossenen Fächern, die dem damaligen Betrachter nahelegten, hier endlich befand sich die Reliquie. Doch nein: im oberen Fach entdeckte man ein Bild des toten Heiligen! Erst das Öffnen des unteren Fachs erlaubte den Kontakt zu einer Reliquie, während der – nicht sichtbare – rückwärtige Hohlraum der Reliquiare mit Myron angefüllt wurde. So wie man am Heiligengrab Myron erhalten konnte, so konnte man sich aus der oberen Reliquiaröffnung heiltätige Substanz in die Hände träufeln. Diese engen Analogien zwischen Grabschrein und Reliquiar dienten als Echtheitsbeleg. Die Demetriosreliquiare in Halberstadt und auf dem Athos beglaubigten die Reliquie durch ihre Analogie zum Heiligenschrein in Hagios Demetrios, bestätigten aber zugleich auch die Thessaloniker Kirche als Heimstadt des Heiligen. Wer die Reliquiare in die Welt trug, trug einen Teil von Hagios Demetrios mit
387
37b
38a–b Glasierte Schalen dieser Art mit einem Demetriosmonogramm fanden sich bei der Grabung in der Krypta unter der Hauptapsis von Hagios Demetrios.
37c
Vermutlich dienten sie zum Abschöpfen von verdünntem Myron (Thessaloniki, Byzantinisches Museum und Krypta von Hagios Demetrios).
X
X
388
sich, wahrte aber den Bezug zur Heimstatt des Heiligen. Das galt auch für den Kaiser: Er erhielt eine wirkmächtige Demetriosreliquie in einem aufwendigen ziboriumförmigen Behältnis, das sich als Abbild des Thessaloniker Schreins bezeichnet. Auch er partizipierte an der Fürbitte eines Heiligen, der örtlich klar in Thessaloniki verankert war. Mit diesen Reliquiaren gelang etwas, was man viel-
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
leicht am ehesten mit den Grabeskirchenkopien in Westeuropa vergleichen kann: die gestalterische Analogie zu einem locus sanctus, die beim Betrachter – im Moment der Betrachtung – eine imaginäre Verpflanzung an den heiligen Urort bewirkt.168 Mit Hilfe der Reliquien in ihren besonderen Behältnissen konnte der Besitzer in Hagios Demetrios sein ohne in Hagios Demetrios zu sein.
Anmerkungen 1 Wikipedia, s. v. ›Turiner Grabtuch‹ (mit ausführlicher Bibliographie). 2 Patrick J. Geary, Furta Sacra. Thefts of Relics in the Central Middle Ages,
im Kontext von Kultstrategien, Heilserwartung und sozialer Selbstdarstellung, Wiesbaden 2011, und Galit Noga-Banai, The Trophies of the Martyrs. An Art Historical Study of Early Christian Silver Reliquaries, Oxford 2008 . Vgl. Hahn 1997, 1104. S. hierzu Gary Vikan, Early Byzantine Pilgrimage Art, Washington DC 2010 ², 33 – 36 . Zu den Menas-Ampullen s. Monica Gilli, Le ampolle di San Mena. Religiosità, cultura materiale e sistema produttivo, Rom 2002 . Charles R. Morey, The Painted Panel from the Sancta Sanctorum, in: Festschrift P. Clemen, Düsseldorf 1926, 151–167; Anton Legner in: ders. (Hrsg.), Ornamenta Ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik, Köln 1985, III, 80 Nr. H8; Gabriele Mietke, Wundertätige Pilgerandenken. Reliquien und ihr Bildschmuck, in: Matthias Brandt – Arne Effenberger (Hrsg.), Byzanz. Die Macht der Bilder. Katalog zur Ausstellung im Dom-Museum Hildesheim, Hildesheim 1998 , 40 – 55, hier 40 mit Abb. 27 und 28; Gisela Jeremias-Büttner, Zum Verhältnis von Reliquie und Ikone: Der Bilddeckel des Holzkästchens aus Sancta Sanctorum in Rom mit Reliquien aus dem Heiligen Land, in: Evgenia Gerousis – Guntram Koch (Hrsg.), Griechische Ikonen, Athen 2010, 123 –137; Cristina Pantanella in: Treasures of Heaven 2010, 36 Nr. 13 . Anna Kartsonis, Anastasis. The Making of an Image, Princeton NJ 1986, 94 –125; Sarah Taft in: Glory of Byzantium 1997, 331– 332 Nr. 225; Katya Melamed in: Byzantium 2008, 391 Nr. 53; Georgi R. Parpulov in: Treasures of Heaven 2010, 49 Nr. 32 . Ähnlich auch das Enkolpion mit Kreuzigungsdarstellung im BenakiMuseum in Athen: Anastasia Drandaki in: Byzantium 2008 , 428 Nr. 194. Kartsonis, a. O. 94 –125; Thomas F. Mathews in: Glory of Byzantium 1997, 74 – 75 Nr. 34; Helen C. Evans in: Byzantium 2008, 102 Nr. 52; Barbara Drake Boehm in: Treasures of Heaven 2010, 81– 82 Nr. 37. S. den anonymen Bericht von der Reliquientranslation nach Halberstadt bei Riant I, 1877, 10 – 21, hier 21: … reliquie S. Laurencii, Cosme et Damiani, Iohannis et Pauli, Georgii, Procopii, Theodorii, Demetrii, Abel iusti, Processi et Martiniani, Pantaleonis, Hermolai, Hermagore …. Janke 2006 , 64 – 68 . Allerdings bleibt das Problem, dass die Reliquiare in der Stiftungsurkunde von 1208 nicht identifiziert werden können: Arne Effenberger, Provenienzgeschichtliche Probleme des byzantinischen Kunstbesitzes in der DDR, in: Heinrich L. Nickel (Hrsg.),
Byzantinischer Kunstexport. Seine gesellschaftliche und künstlerische Bedeutung für die Länder Mittel- und Osteuropas (= Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 13), Halle 1978, 171–184, hier 177. 11 Halberstadt, Domschatz Inv. 16 a. Grabar 1950, 6 Nr. 2; Arne Effenberger, in: Byzantinische Kostbarkeiten 1977, 56 Nr. 108; Marie-Madeleine Gauthier, Les routes de la foi: reliques et reliquaires de Jérusalem à Compostelle, Fribourg 1983, 40 Nr. 17; William D. Wixom in: Glory of Byzantium 1997, 161–162 Nr. 108; Janke 2006, 137 –140 Nr. 2a. 12 Nach Auskunft der zuständigen Konservatoren fand bislang noch keine Materialanalyse statt. 13 Grabar 1950, 6 (10. Jh.); Arne Effenberger, in: Byzantinische Kostbarkeiten 1977, 56 (2 . Hälfte des 10. Jh.); William D. Wixom in: Glory of Byzantium 1997, 161–162 (um 1000). 14 Limburger Staurothek: Wessel 1967, 77 – 78 Nr. 22; Anthony Cutler – Jean-Michel Spieser, Das mittelalterliche Byzanz, 725 –1204, München 1996 , 166 –169, Holger A. Klein, Byzanz, der Westen und das ›wahre‹ Kreuz. Die Geschichte einer Reliquie und ihrer künstlerischen Fassung, Wiesbaden 2004, 105 –112 . Perikopenbuch Heinrichs II.: Wessel 1967, 82 – 87 Nr. 26; Rainer Kashnitz, in: Rom und Byzanz 1998 , 136 –141 Nr. 28 . Monomachos-Krone: Wessel 1967, 98 –106 Nr. 32; Henry Maguire in: Glory of Byzantium 1997, 210 – 212 Nr. 145 . Pala d’Oro: Wessel 1967, 133 –155 Nr. 46; Hans R. Hahnloser – Renato Polacco, La Pala d’Oro, Venedig 1994, 5 – 38 . Stephanskrone: Wessel 1967, 113 –117 Nr. 37; Cutler – Spieser, a. O. 332 . 15 Loverdou-Tsigarida 2004, 398 , vermutet für die gesamte Gruppe der Demetriosreliquiare in Halberstadt und auf dem Berg Athos eine Entstehung im 12 . Jh. 16 Halberstadt, Domschatz Inv. 26 . Grabar 1950, 6 – 7 Nr. 4; Arne Effenberger, in: Byzantinische Kostbarkeiten 1977, 57 Nr. 109; Janke 2006 , 140 –141 Nr. 2b. 17 Anders Grabar 1950, 6; Janke 2006 , 141 (um 1000). 18 Halberstadt, Domschatz Inv. 24. Grabar 1950, 6 Nr. 3; Arne Effenberger, in: Byzantinische Kostbarkeiten 1977, 57 – 58 Nr. 110; Janke 2006, 140 –143 Nr. 2c. 19 Vgl. hierzu André Grabar, Les revêtements des icones byzantines, Venedig 1975. 20 Vgl. Janke 2006 , 143 . 21 Wessel 1967, 151; Hans R. Hahnloser – Renato Polacco, La Pala d’Oro, Venedig 1994, 39 Nr. 79. 22 Datierung ins 12 . Jh. bei Grabar 1950, 6 . 23 Rhoby 2010 , 156 –157 (dessen Übersetzung mit wenigen Verän-
Anmerkungen
derungen übernommen wurde): Οὐχ αἷμα μόνον, ἀλλὰ κ(αὶ) μῦρον φέρω τάφος ὁ παρὼν μάρτυρος Δημητρίου ῥῶσιν παρέχων τοῖς πόθῳ εἰληφόσιν. 24 Zu Kontaktreliquien allg. s. Lucius 1904 , 194 –195; Henri Leclercq, DACL XIV.2 , 1948, 2313 – 2318 s. v. ›reliques et reliquaires‹; Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 19972 , 156 –157; Bauer 2009, 63 – 65 . 25 Gregor v. Tours, gloria mart. c. 27. Zu diesen sog. brandea s. Henri Leclercq, DACL II.2 , 1925, 1132 –1137 s. v. ›brandeum‹; Friedrich Pfister, RAC II, 1954, 522 – 523 s. v. brandeum. 26 Zusammenfassend: Anne Michel, Les églises d’époque byzantine et umayyade de la Jordanie, Ve – VIIIe siècle, Turnhout 2001, 74 – 77; Anja Kalinowski, Frühchristliche Reliquiare im Kontext von Kultstrategien, Heilserwartung und sozialer Selbstdarstellung, Wiesbaden 2011, 102 – 104. Zu Öl als Kontaktreliquie vgl. Lucius 1904, 194 mit Anm. 8 . 27 Miracula Sancti Demetrii I.5 §53 – 54 p. 89 25 – 9017 Lemerle. S. o. S. 144. 28 Die in den Miracula Sancti Demetrii erwähnte Erde ist keine Blutreliquie. Die theoretische Möglichkeit, dass es sich um Erde handelt, die beim Martyrium des Demetrios Blut des Heiligen empfing, wird nie erwähnt. 29 Miracula Sancti Demetrii II.6 §315 p. 24018 Lemerle: ἔλαιον τῆς κανδήλας. Bakirtzis 2002 , 179 –180. 30 Angelo Lipinsky, Der Theodelindeschatz im Dom zu Monza, Das Münster 13, 1960, 146 –173, hier 166 –167; Franz Alto Bauer, Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter. Papststiftungen im Spiegel des Liber Pontificalis von Gregor III. bis zu Leo III., Wiesbaden 2004, 17. 31 Talbot 2002 , 159 –161. Vgl. etwa das Öl von den Lampen am Schrein des hl. Artemios: Wunder des hl. Artemios c. 19 u. 37 p. 1223 u. 19622 Crisafulli – Nesbitt. 32 Enrica Follieri, La Vita di San Fantino il Giovane. Introduzione, testo greco, traduzione, commentario e indici (= Subsidia Hagiographica 77), Brüssel 1993, c. 43 p. 450/452 . 33 Johannes Kameniates, Einnahme Thessalonikes c. 3 , Übs. nach Böhlig 1975, 17 –18: »Nach ihm (= Paulus) gab es in Thessalonike den großen Märtyrer und bewundernswürdigen Kämpfer Demetrios Myroblytes, der viele Kämpfe für den Glauben bestanden hat. Neben aller anderen Vortrefflichkeit war er berühmt wegen seiner Lehre und zeichnete sich besonders durch Sorgfalt in dieser aus, sodass sich sein Ruhm bis ans Ende der Welt verbreitete.« 34 Bakirtzis 1987, 208; Bakitzis 1990 , 146 . Zur Frage der Abfassungszeit s. Alexander Kazhdan, Some questions addressed to those scholars who believe in the authenticity of Kameniates‹ »Capture of Thessalonica«, Byzantinische Zeitschrift 71, 1978 , 301–314 . Selbst wenn man geneigt ist, die Authentizität des Texts anzuerkennen, könnte das Epitheton μυροβλύτης die Einfügung eines späteren Kopisten sein (So etwa Frendo 1997, 216 –217). Auf das Fehlen paralleler Überlieferungen von Demetriosmyron hat bereits Soteriou 1952 , 21, hingewiesen. 35 Gregorios, Leben der hl. Theodora c. 44 p. 1541 –15625 Paschalides. Evelyne Patlagean, Theodora de Thessalonique. Une sainte moniale et un culte citadin (IXe–XXe siècle), in: Sofia Boesch Gajano – Lucia Sebastini (Hrsg.), Culto dei santi, istituzioni e classi sociale in età preindustriale, Rom 1984, 37 – 67, hier 41; Kaplan 1999, 31. 36 Bakirtzis 1987, 208; Bakirtzis 1990, 146 . Vgl. auch Alice-Mary Talbot, Family Cults in Byzantium: The Case of St. Theodora of Thessalonike,
389
37
38
39 40
41
42
43 44 45 46 47 48
in: Jan Olof Rosenqvist (Hrsg.), Leimon. Studies Presented to Lennart Rydén on His Sixty-Fifth Birthday, Uppsala 1996, 49 – 69, hier 55 – 56 u. 61– 62 . Vgl. Patlagean, a. O. 43 . Vermutlich darf man in diesem Sinne auch die Episode von der Heilung einer Tochter eines gewissen Kosmas, Priester der Kirche Hagios Demetrios, interpretieren: Nachdem sie sich mit dem Öl der hl. Theodora eingerieben hatte, erlangte sie ihre Gesundheit wieder. Abermals wird eine Person aus dem Umkreis von Hagios Demetrios nicht durch den Stadtpatron, sondern durch die hl. Theodora geheilt: Gregorios, Leben der hl. Theodora c. 60 p. 1841 –18626 Paschalides (Talbot 1996 , 215 – 216). Beispiele von Heiligen, die Myron absondern, bei Patlagean, a. O. 46 – 47; Michel Kaplan, De la dépouille à la relique: formation du culte des saints à Byzance du Ve au XIIe siècle, in: Edina Bozóky – Anne-Marie Helvétius (Hrsg.), Les reliquies. Objets, cultes, symboles, Turnhout 1999, 19 – 38, hier 35; Talbot 2002 , hier 155 –157. Johannes von Damaskus, de fide orthodoxa, IV, PG 94, 1165 AB, und ders., über die Bilder, PG 95, 212 D. Konstantin von Tios, Geschichte der Reliquien der hl. Euphemia, ed. François Halkin, Euphémie de Chalcédoine (= Subsidia Hagiographica 41), Brüssel 1965, 88: αἷμα γὰρ ἐκ τοῦ τιμίου αὐτῆς λειψάνου εὐωδίας πεπληρωμένον ἐξήρχετο· ὅπερ ὡς μύρον θεοχορήγητον τοῖς νοσοῦσιν ἐδίδοτο. Mentzos 1994, 113 . Zur Gleichsetzung von Blut und Myron s. u. S. 373 . Theodora von Thessaloniki: s. u. Anm. 43 . Petros von Atroa: Petros von Atroa, La vita retractata et les miracles posthumes de Saint Pierre d’Atroa, ed. Vitalien Laurent, Brüssel 1958 , c. 97 – 98 p. 147 –149. Eugenios von Trapezunt: Johannes Lazaropoulos, Bericht über die Wunder des hl. Eugenios, ed. Jan Olof Rosenqvist, The Hagiographic Dossier of St Eugenios of Trebizond in Codex Athens Dionysiou 154 . A Critical Edition with Introduction, Translation, Commentary and Indexes (= Acta Universitatis Upsaliensis. Studia Byzantina Upsaliensia 5), Upsala 1996, c. 20 p. 300 – 304 (mit Kommentar auf S. 431). Nikolaus von Myra: Gustav Anrich, Hagios Nikolaos. Der Heilige Nikolaos in der griechischen Kirche, Berlin 1917, II, 516 – 517. Paul der Jüngere: Vita des hl. Pauls des Jüngeren, c. 47, ed. Theodor Wiegand, Der Latmos (= Milet III.1), Berlin 1913, 1338 –1342 . Hier ist jedoch nicht von Myron, sondern von ἔλαιον die Rede. Vgl. Grabar 1950, 12; Marita Horster, Ein Demetrius-Elfenbein des 10. Jh., Felix Ravenna 63, 1957, 33 – 51, hier 43 – 45 . Vgl. ferner Grabar 1950, 15: Diejenigen, die das Myron visuell mit dem Heiligen bringen wollten (Grabar nennt sie »les réformateurs du culte«) mussten den toten Heiligen vergegenwärtigen, um den Gläubigen die Präsenz der Reliquien anzuzeigen. Gregorios, Leben der hl. Theodora c. 47 – 49 p. 1601 –16620 Paschalides. Kaplan 1999, 31. Gregorios, Leben der hl. Theodora c. 54 p. 17428 –17625 Paschalides. Talbot, a. O. 56 – 57. Gregorios, Leben der hl. Theodora c. 61 p. 18810 –13 Paschalides. Gregorios, Translation der hl. Theodora c. 3 p. 1941 –19627 Paschalides. Gregorios, Translation der hl. Theodora c. 4 p. 1961 –19813 Paschalides. Patlagean 1984, 43 – 44; Talbot, a. O. 59 – 60. Vgl. auch Cormack 1989, 550. Zum Konkurrenzverhältnis zwischen Demetrios und Theodora s. Evelyne Patlagean, Theodora de Thessalonique. Une sainte moniale et un culte citadin (IXe–XXe siècle), in: Sofia Boesch Gajano – Lucia Sebastini (Hrsg.), Culto dei santi, istituzi-
X
X
390
oni e classi sociale in età preindustriale, Rom 1984, 37 – 67, hier 46 – 48, und Scholz 2007, 63 . 49 Soteriou 1952 , 135 –138; Pelekanides 1959; Moutsopoulos 1995/96 . 50 Soteriou 1952 , 136 –137. Moutsopoulos rekonstruiert ohne gesicherte Grundlage ein verehrtes Grab dieses hl. Bischofs, das sich zunächst in der Grabkapelle befunden hat, dann aber in den älteren Raum im Nordwesten der Basilika transferiert wurde, wo sich heute der Kenotaph des hl. Demetrios befindet: Moutsopoulos 1995/96, 313 – 316 . 51 Gregorios, Leben der hl. Theodora c. 18 p. 1021– 6 Paschalides: Τὸ γοῦν πανάγιον καὶ ἀθλητικώτατον αὐτοῦ σῶμα ἐνδόξως κηδεύσαντες, κατέθεντο ἐν τοῖς λαιοῖς μέρεσι τοῦ περικλύτου τεμένους τοῦ ἁγίου καὶ πανενδόξου μεγαλομάρτυρος Δημητρίου ἐν τῷ ἐκεῖσε ὄντι ναῷ τοῦ ἐν γεννητοῖς γυναικῶν ὑπὲρ ἅπαντας προφήτου, προδρόμου καὶ βαπτιστοῦ Ἰωάννου. Moutsopoulos 1991, 152 –153; Moutsopoulos 1995/96, 311. Zu Bischof Antonios s. Louis Petit, Les évêques de Thessalonique, Echos d’Orient 4, 1900/01, 136 –143, 212 – 221, hier 217. 52 Bei dem später hier bestatteten Erzbischof handelt es sich um den 889 verstorbenen Methodios: Alice-Mary Talbot, Holy Women of Byzantium. Ten Saints’ Lives in English Translation, Washington DC 1996 , 179 Anm. 101. Zu diesem s. Petit, a. O. 220. 53 Johannes Skylitzes, Synopsis Hist. p. 41313 –17 Thurn. Macrides 1990, 194; Bakirtzis 2002 , 176 . 54 Spyridon Lambros, Neos Hellenomnemon 13 , 1916 , 361. Pallas 1979, 52 Anm. 102 . 55 Anna Komnene, Alexias II 8 .3 p. 7656 – 59 Reinsch – Kambylis. 56 Johannes Skylitzes, Synopsis Hist. p. 40851– 53 Thurn: … προσλιπαρῶν τῷ τάφῳ τοῦ καλλινίκου μάρτυρος Δημητρίου καὶ ἀπαλλαγὴν εὑρέσθαι τῆς νόσου γλιχόμενος. 57 Johannes Kantakuzenos, Hist. p. I, 27010 – 27112 Schopen. 58 Um die Mitte des 12 . Jh. beschreibt Erzbischof Niketas von Thessaloniki Kirche und Ziborium des hl. Demetrios und erwähnt in diesem Zusammenhang einen μυρορρόη σορός, also einen Schrein, der Myron absondert: Niketas, Wunder p. 3333 Sigalas. Etwa zur selben Zeit bezeichnet ein gewisser Nikasios, ein Diakon des Pantokrator-Klosters in Konstantinopel, den Demetriosschrein etwas tautologisch als »Myron hervorbringenden Myronbehälter« (μυρόβρυτος μυροθήκη): Nikasios, Mneme p. 2422 Papadopoulos-Kerameus. Schließlich beschreibt auch Erzbischof Eustathios von Thessaloniki, Augenzeuge der normannischen Eroberung der Stadt im Jahre 1185, nicht nur den Demetriosschrein als reichverziertes Grab (τάφος), sondern nennt den Heiligen immer wieder μυροβλύτης: Eustathios, Eroberung p. 9425 , 10617, 11218 , 11612 , 12423 , 12620 , 13612 , 14019, 15616 u. 15815 Kyriakidis. 59 Vgl. bereits Grabar 1954, 312 . 60 Passio Altera p. 1184B. 61 Ein isländisches Reliquienverzeichnis des Jahres 1157 erwähnt als Besitz des Kaiserpalasts zu Konstantinopel ein Gewand des Märtyrers Demetrios: Riant II, 1878, 214. Möglicherweise entnahm man dieser Gewandreliquie, als sie sich noch in Thessaloniki befand, kleine Partikel für die Reliquiare. 62 Eustathios, Enkomion c. 23 – 25 , p. 185B–188B. 63 Johannes Staurakios, Wunder p. 353 4 – 3545 Iberites. Resümiert bei Grabar 1950, 9 –11. Vakaros 2008, 38 – 40. 64 Cod. Marc. gr. 524 , fol. 35v. Rhoby 2010, 157 mit Anm. 66: ἐγὼ δὲ θερμῷ σῷ πόθῳ τετρωμένος | ξένος μοναστής, ἀρετῶν θείων ξένος, | τάφου τύπον σοῦ συντιθεὶς ἐξ ἀργύρου | σὸν μῦρον ἔνδον ἐμβαλὼν πίστει φέρω.
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Tsigarida 2003, 243 – 244; Loverdou-Tsigarida 2004, 397 – 398 . 66 Vermutlich hat man zu einem späteren Zeitpunkt die Flügeltüren vertauscht. 67 Übs. und Transkription der Beischrift nach Rhoby 2010, 207: Σὺ μὲν εἶ, Χ(ριστ)έ, σκέπη μου, μάρτυς λέγει· θεῖος δ᾿ ἄγγελος στέφει κορυφὴν δέει. »Du bist mein Schutz, Christus, sagt der Märtyrer. Der göttliche Engel aber verbindet das Haupt mit dem Kranz.« 68 Übs. und Transskription nach Rhoby 2010 , 208: εἱρκτῇ βληθεὶ[ς] ὁ γεννάδας εὐθέως, στ(αυ)ρο[ῦ] σφραγῖδι θαατοῖ τὸν σκορπίο[ν]. »Ins Gefängnis geworfen tötet der Tapfere alsbald mit dem Kreuzzeichen den Skorpion.« 69 Übs. und Transkription nach Rhoby 2010, 209: Καὶ ἄμφὶ διπλῷ στέφει ταινιω[θ]ήσῃ βαλὼν Λυαῖον καὶ σεπτῶς ἐναθλήσας. »Und du wirst rundherum mit dem doppelten Kranz umwunden werden, wenn du Lyaios niederwirfst und ehrwürdig kämpfst.« 70 Übs. und Transkription nach Rhoby 2010, 210 : [Λυαῖον) χειρὶ Νέστωρ βάλλει καὶ τάφῳ … »Nestor stößt Lyaios mit der Hand ins Grab …« 71 Übs. und Transkription nach Rhoby 2010, 211: Λόγχ[αι]ς τρω[θ]εὶς πέπτωκε σῶμα μ[ὲν …] πρὸς Χρι[σ]τὸν πν[ε]ῦμα δ᾿ ἔπτ[η]. »Von Lanzen durchbohrt fiel der Körper … der Geist aber flog zu Christus.« 72 Übs. und Transkription nach Rhoby 2010, 212: Κ(ύριό)ς σε ῥώννυσιν ὁ Θ(εὸ)ς ἡμῶν ὁ ἀνορθῶν ἀεὶ τοὺς κατερ[ραγμένους]. »Der Herr stärkt dich, unser Gott, der immer die Gestürzten aufrichtet.« 73 Xyngopoulos 1936 , 135; Grabar 1950, 5 . 74 Grundlegend Xyngopoulos 1970. S. a. Walter 2003 , 84 – 93 75 Vgl. hierzu Nancy Patterson Ševčenko, The Vita Icon and the Painter as Hagiographer, Dumbarton Oaks Papers 53, 1999, 149 –165. 76 Theodor-Psalter (London, Add. 19.352), fol. 125v: Sirapie der Nersessian, L’illustration des psautiers grecs du moyen age, II, Paris 1970, 46 u. 94 Taf. 74 Abb. 204. www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx?ref=add_ ms_19352_f001r. 77 Psalm 94, 1. 78 Gabriel Millet, Monuments byzantins de Mistra (= Monuments de l’art byzantin 11), Paris 1910, Taf. 68 – 70; Suzy Dufrenne, Les programmes iconographiques des églises byzantines de Mistra, Paris 1970, 7 – 8; Manolis Chatzidakis, Νεώτερα γιὰ τὴν ἱστορία καὶ τὴν τέχνην τῆς Μητρόπολις τοῦ Μυστρᾶ, Deltion tes Christianikes Archaiologikes Hetaireias 4/9, 1977/79, 143 –179. 79 Andreas Rhoby (2012 , 135) hat jüngst mit Hinweis auf stilistische Parallelen zu einem Silberenkolpion in Belgrad (Byzantium 2008, 327 Nr. 282) eine Datierung ins 14. Jh. vorgeschlagen. 80 Orlandos 1955/56; Loverdou-Tsigarida 2003 , 244; Loverdou-Tsigarida 2004, 391– 393 . 81 Loverdou-Tsigarida 2004, 393 – 394. Loverdou-Tsigarida 2004, 394 – 395, vermutet, das Reliquiar könnte nach dem Vorbild der larnax im Ziborium gestaltet worden sein. Doch ist dies eher unwahrscheinlich: Wieso sollte man den stehenden Demetrios horizontal an der Seitenwand dargestellt haben? Warum hätte es eine Darstellung des hl. Georg auf dem Schrein geben sollen? 82 Vgl. Orlandos 1955/56 , 104; Loverdou-Tsigarida 2004, 391. 83 Über den Inhalt des Reliquiars läßt sich nur spekulieren. Man hat vermutet, es sei nur die äußere Hülle eines der erhaltenen Edelmetallreliquiare, doch ist das sehr spekulativ (vgl. Loverdou-Tsigarida 2004, 395). Anderseits ist der Gedanke, die eigentliche Reliquie, entweder Myron oder blutgetränkter Stoff, habe sich in einem separaten Behält-
Anmerkungen
nis in der Marmorlarnax befunden, durchaus richtig: Weder wird man Myronöl direkt in das Marmorbehältnis gegossen noch Textilreste ohne weitere Fassung in das Steinkästchen gelegt haben. Die Datierung des Steinkästchens gestaltet sich überaus schwierig. Orlandos hatte eine Datierung ins 14. Jh. vertreten, doch scheint das zu spät (Orlandos 1955/56 , 104). Vermutlich entstand der Schrein wie die Edelmetallreliquiare im 11. oder 12 . Jh. (Mentzos 1994, 139: »um 1200«; Loverdou-Tsigarida 2004, 394: »Mitte des 12 . Jhs.«). 84 Moskau, Historisches und Kultur-Museum, Inv. MZ. 1148 . Grabar 1950, 18 – 28 Nr. 7; Theotoka 1956, 406 – 413; Walter 1973, 161–162; Alice Bank, Byzantine Art in the Collections of the Soviet Museums, Moskau 1985², 308; Sterligova 1997; Ioli Kalavrezou in: Glory of Byzantium 1997, 77 – 78 Nr. 36 . 85 Kurzer Verweis auf Restaurierungen des Jahres 1966 bei Sterligova 1997, 257. 86 Rhoby 2010, 285 – 287, dessen Übersetzung hier übernommen wird. (1. Seite) Σαφὴς πέφυκα τοῦ κηβωρίου τύπος | τοῦ λογχονύκτου μάρτυρος Δητρίου. | Ἔχω δὲ Χριστὸν ἐκτὸς ἐστηλωμένον | (2 . Seite) στέφοντα χερσὶ τὴν καλὴν ξυνωρίδα· | ὁ δ᾿ αὖ με τεύξας Ἰωάννης γένους | Αὐτορειανῶν τὴν τύχην μυστογράφος. 87 Grabar 1950 , 26 – 28 . Skeptisch gegenüber dieser These Mentzos 1994, 133; Loverdou-Tsigarida 2004, 396 . Reliquiar in der Großen Lavra: Xyngopoulos 1936 , 109 mit Anm. 1; Grabar 1950, 7 Nr. 5; Loverdou-Tsigarida 2003, 244; Loverdou-Tsigarida 2004, 395 – 398 . 88 Loverdou-Tsigarida 2004, 397 mit Anm. 40. 89 Loverdou-Tsigarida 2004 , 397, beschreibt diese Substanz als σκοτεινόχρωμη μάζα, πιθανότατα λύθρου – also als »dunkle Substanz, vermutlich Blut«. 90 Rhoby 2010, 200 – 201 Nr. Me33: Τὸ σεπτὸν αἷμα μάρτυρος Δημητρίου | Συντετήρηται ἐνθαυτα θείαν | πίστιν βεβαιοῦν Ἰωάννου καὶ πόθον. Die Übersetzung orientiert sich an den französischen und englischen Übersetzungen bei Grabar 1950, 7, und Walter 1973, 162 . 91 Loverdou-Tsigarida 2004, 395 . Der Edelstein fehlt heute, wie die hier abgebildete aktuelle Aufnahme vom April 2013 belegt. 92 Eine spätere Entstehung dieser Inschriften vermuten Xyngopoulos 1936, 109; Mentzos 1994, 137; Rhoby 2010, 200. Ich folge der Ansicht von Loverdou-Tsigarida 2004, 395 Anm. 27, dass die Beischriften aus der Zeit der Fertigung des Reliquiars stammen müssen, da anderenfalls ein erneuter Brennvorgang notwendig gewesen wäre. 93 Zuletzt wurde die Zusammengehörigkeit der beiden Reliquiare von Irina A. Sterligova bezweifelt. Sie zitiert aus einem Restaurierungsbericht, in dem davon die Rede ist, dass auf dem Boden des Moskauer Ziboriumreliquiars eine eigene rechteckige Kapsel (8 ,6 cm × 5,2 cm × 2 ,5 cm) montiert war, deren Deckel verlorenging (Sterligova 1997, 257). 94 Grabar 1950, 20 – 21. 95 Zu dem hexagonalen Fundament s. o. S. 166 –167. Zur Erwähnung des Ziboriums in der Vita des hl. Elias d. Jüngeren s. u. S. 367. 96 Theotoka 1956 , 409 – 413 . Theotoka vermutet, das Moskauer Ziborium kopiere gar nicht das Thessaloniker Ziborium, sondern ein Demetriosziborium in Konstantinopel. Dort haben sich zehn Kirchen mit Demetriospatrozinium befunden, eine dieser Kirchen wird in den Synaxarien als Martyrion bezeichnet, nämlich die Demetrioskirche im Deuteron, wo jeden 26 . Oktober das Fest des Heiligen begangen wurde. Hier habe sich ein weiteres – achteckiges – Ziborium befunden, das Vorlage für das Moskauer Ziborium war. Diese
391
97
98 99
100 101
102 103
104 105 106
Annahme ist rein hypothetisch und zu Recht bereits mehrfach kritisiert worden, zuletzt von Sterligova 1997, 262 – 263, und Ioli Kalavrezou in: Glory of Byzantium 1997, 78 . Grundlegend zum Kopiebegriff im Mittelalter Richard Krautheimer, Einführung zu einer Ikonographie der mittelalterlichen Architektur, in: ders., Ausgewählte Aufsätze zur Europäischen Kunstgeschichte, Köln 1988, 142 –197. Ioli Kalavrezou in: Glory of Byzantium 1997, 78 . Miracula Sancti Demetrii II.6 §313 p. 23919 Lemerle. Lemerle zufolge ist an dieser Stelle nicht vom hexagonalen Ziborium, sondern vom Altarziborium die Rede. Vgl. auch bereits Grabar 1950, 20 – 21. Panayotis Yannopoulos, La Grèce dans la vie de S. Élie le Jeune et dans celle de S. Élie le Spéléote, Byzantion 64, 1994, 193 – 221, bes. 215 – 216 . Vgl. bereits Soteriou 1952 , 15 . Vita des hl. Elias d. J. c. 69 p. 1101494 –1515 Rossi Taibbi. Zur Person, zum Abfassungsdatum und zum Verhältnis zur Wundersammlung des Johannes s. Antonios Sigalas, Νικήτα ἀρχιεπισκόπου Θεσσαλονίκης εἰς τά θαύματα τοῦ ἁγίου Δημητρίου, Epeteris Hetaireias Byzantinon Spoudon 12 , 1936, 317 – 360, hier 321– 324. Niketas von Thessaloniki (möglicherweise identisch mit Niketas von Maroneia) war Chartophylax der Hagia Sophia in Konstantinopel und von 1132/3 an Erzbischof von Thessaloniki. In jedem Fall handelt es sich bei dem Wunderbericht des hl. Demetrios um eine Schrift aus der ersten Hälfte des 12 . Jh., die in erheblichem Maß den Wunderbericht des Johannes rezipiert. Vgl. zum Autor Kaltsogianni – Kotzabassi – Paraskevopoulou 2002 , 140. Niketas, Wunder p. 334 8 –15 Sigalas. Bakirtzis 2002 , 180 –181. Niketas, Wunder p. 33224 – 3338 Sigalas. Die Existenz eines solchen mittelbyzantinischen Ziboriums ist von Charalambos Bakirtzis bezweifelt worden (Bakirtzis 2002 , 180 – 180). Er vermutet, dass das von Niketas beschriebene Marmorziborium noch älter als das in den Miracula Sancti Demetrii beschriebene silberne war. Das Marmorziborium sei möglicherweise unter Justinian durch das silberne ersetzt worden (Bakirtzis 2002 , 182 Anm. 48, verbindet völlig hypothetisch die justinianische Stifterinschrift Feissel 1983, 81– 82 Nr. 81, mit dieser angeblichen Ziboriumstiftung). Im 7. Jh. sei das Ziborium endgültig zerstört und nicht mehr aufgerichtet worden. Bakirtzis zufolge seien auf den beiden Mosaikdarstellungen des Ziboriums, der im südlichen Seitenschiff und der auf den verlorenen Mosaiken im nördlichen Seitenschiff (S. o. S. 171–172) zwei verschiedene Anlagen abgebildet: die Silberkonstruktion aus der Zeit des Erzbischofs Johannes (nördliches Seitenschiff) und die angeblich noch ältere Marmorkonstruktion (südliches Seitenschiff). Letztere bilde das Marmorziborium ab, dessen (alte) Beschreibung Niketas exzerpiert. Richtig ist, dass beide Ziboriumsdarstellungen voneinander abweichen. Fraglich ist allerdings, ob dies angesichts der Topik spätantiker Architekturdarstellungen bedeutet, hier seien zwei Strukturen gemeint (zu den engen Analogien der beiden Darstellungen s. auch Fourlas 2012 , 139 –140 mit Anm. 124, der zugleich Bakirtzis’ These widerlegt). Selbst wenn dem so sei, selbst wenn das Mosaik im südlichen Seitenschiff älter als das im nördlichen Seitenschiff wäre und einen älteren Zustand des Ziboriums abbildete, so widerspricht es doch der Beschreibung des Niketas: Es zeigt auf der Außenseite einen Figurenschmuck, den Niketas – anders als Bakirtzis dies glauben lässt – nicht erwähnt.
X
X
392
107 Soteriou 1952 , 179 –182; André Grabar, Sculptures byzantines du
Moyen Âge, II: XIe –XIVe siècle, Paris 1976 , 1976 , 103 –104 Nr. 86 . Erstmals zeigen Solidi des Kaisers Theophilos (829 – 842) das Motiv: Holger A. Klein, Byzanz, der Westen und das ›Wahre Kreuz‹. Die Geschichte einer Reliquie und ihrer künstlerischen Fassung in Byzanz und im Abendland, Wiesbaden 2004, 52 . Um seine These von der frühen Zerstörung des Demetriosziboriums zu stützen, vermutet Charalambos Bakirtzis, die Werkstücke gehörten zu einem anderen – achteckigen – Ziborium: Bakirtzis 2003, 184. 108 Soteriou 1952 , 182 . Grabars Datierung ins 12 . Jh. folgen Mentzos 1994, 140, und Theocharis Pazaras, Sculpture in Macedonia in the Middle Byzantine Period, in: John Burke – Roger Scott, Byzantine Macedonia. Architecture, Music and Hagiography, Melbourne 2001, 28 – 40, hier 35. 109 Mentzos 2008b. 110 Bakirtzis wiederum vermutet, man habe ein Reliquiar des 6 . Jh. kopiert, das damals als Nachahmung des Ziboriums des hl. Demetrios entstanden sei (Bakirtzis 2002 , 180). Doch ist dies sehr unwahrscheinlich, da Krönungsdarstellung und Darstellungsmodus der hl. Nestor und Lupos als Soldatenheilige in mittelbyzantinischer Tradition stehen. Das Reliquiar dürfte somit eine eigenständige Schöpfung des 11. Jhs. sein; auf eine Vorlage aus dem 5. oder 6 . Jh. gibt es keine Hinweise. 111 Vgl. hierzu Grabar 1950, 12; Bakirtzis 2002 , 182 . 112 Johannes Staurakios, Wunder 350 22 Iberites. Vgl. auch 36823 – 25 . 113 Johannes Staurakios, Wunder 35310 –15 Iberites. 114 Vergleichsbeispiele solcher doppelgeschossiger Grabanlagen bei Theocharis Pazaras, Ο τάφος των κτητόρων στο καθολικό της μονής Βατοπεδίου, Byzantina 17, 1994, 407 – 440, hier 418 – 21. 115 Johannes Staurakios, Wunder 3538 –10 , 35716 –18 , 3581–3 , 37515 –17 Iberites. 116 Johannes Staurakios, Wunder 35318 – 22 , 3733 –17, 37334 – 3742 Iberites. 117 Vgl. auch Walter 2003, 75, und Bakirtzis 2002 , 183 –184: »Hence, although in the period before the myron the sources mention the ciborium and say nothing about the tomb, in the following period, after the myron had appeared, they mention the tomb and say nothing about the ciborium. This means that, since there was no reason to conceal the relics, after the appearance of the myron the interest of pilgrims shifted from the ciborium to the tomb of St. Demetrios.« 118 Xyngopoulos 1969b, 192 –193; Janko Radovanovic, Heiliger Demetrius – Die Ikonographie seines Lebens auf den Fresken des Klosters Dečani, in: L’art de Thessalonique et des pays balkaniques et les courants spirituels XIVe siècle, Belgrad 1987, 75 – 88 , hier 85 – 87. Textgrundlage: Miracula Sancti Demetrii I.15 §166 –175 p. 159 –161 Lemerle. 119 Die Falten des Tuchs ziehen sich durch die Darstellung der Figur durch. 120 Ćurčić 2010 a, 644 – 648 . 121 Draga Panić – Gordana Babić, , Bogorodica Ljeviška, Belgrad 1975 , 136 –137; Andreas Xyngopoulos, Ἡ τοιχογραφία τῆς Παναγίας Λιέβισκας καὶ ἡ σαρκόφαγος τοῦ Ἁγίου Δημητρίου, Deltion tes Christianikes Archaiologikes Hetaireias, ser. 4, Bd. 9, 1979, 181–184. Xyngopoulos betont a. O. 182 –183, dass Michael Astrapas mit Thessaloniki gut vertraut war, vgl. auch Sotirios Kissas, Solunska umetnička porodica Astrapa, Zograf 5, 1974, 35 – 37. 122 Ormonde M. Dalton, An Enamelled Gold Reliquiary, in: Recueil d’études dédiées à la mémoire de Nikodim P. Kondakov, Prag 1926 , 275 – 277; Grabar 1950, 16 –18 Nr. 6; Walter 1973 , 164; Dimitrios
Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki
Katsarelias in: Glory of Byzantium 167 –168 Nr. 116; David Buckton in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 178 –180 Nr. 201; Kathryn B. Gerry in: Treasures of Heaven 2010, 47 Nr. 30. 123 Grabar 1950, 17; Grabar 1954, 309. 124 Rhoby 2010 , 216 – 217: Αἰτεῖ σε θερμὸν φρουνὸν ἐν μάχαις ἔχειν | Αἵματι τῷ σῷ καὶ μύρῳ κεχρισμένον. Vgl. auch die deutsche Übs. bei Horster 1957, 43 . 125 Zu nicht sicher bestimmbarer Zeit, aber wohl nicht zur Zeit der Herstellung des Reliquiars, hat man den Bereich zwischen der runden Kapsel und dem Emailbild mit Reliquien aufgefüllt (vielleicht Kreuzreliquien, auf die die georgische Inschrift Bezug nimmt: 17./18 . Jh.). 126 Hierbei handelt es sich freilich um eine spätere Veränderung, als der Anhänger Reliquien der georgischen Königin Kethevan und des Wahren Kreuzes enthielt. Die georgische Inschrift aus dem 18 . Jh. auf dem Verschlussring, der heute den einstigen Deckel ersetzt, nennt eine Kreuzreliquie und den Namen der hl. Königin, die 1624 den Märtyrertod erlitten hat: Dalton, a. O. 275; Grabar 1950, 17; Wessel 1967, 192 –193; David Buckton in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 178 . 127 Grabar 1954; Walter 1973 , 164; Ioli Kalavrezou in: Glory of Byzantium 1997, 168 Nr. 117; Susan Boyd in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 180 –183 Nr. 202; Gudrun Bühl in: Treasures of Heaven 2010, 46 Nr. 29. 128 Rhoby 2010, 305 – 307: Σεπτὸν δοχεῖον αἱματος Δημητρίου | σὺν μύρῳ φέρει πίστις ἡ τοῦ Σεργίου. 129 Rhoby 2010, 305 – 307: Αἰτεῖ σε καὶ ζῶν καὶ θανῶν ῥύστην ἔχ[ειν] | σὺν τοῖς δυσὶν μάρτυσι καὶ ἀθλοφόροις. 130 So bereits Dalton, a. O. 276 mit Anm. 6 ; Grabar 1954 , 310 – 311; David Buckton in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 179 –180. 131 Josef Myslivec, LCI IV, 1972 , 333 – 335 s. v. ›Tod Mariens‹; Karoline Kreidl-Papadopoulos, RBK IV, 1990, 136 –182 s. v. ›Koimesis‹. 132 David Buckton in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 179. Kreuz der Dagmar: Helen C. Evans in: Glory of Byzantium 1997, 498 – 499 Nr. 335. 133 Hierfür sprechen die Nennung des Besitzers in der Inschrift des Enkolpions von Washington und die Bezugnahme der Ikonographie des Anhängers (die hll. Sergios und Bakchos auf der Rückseite) auf den Namen des Besitzers (Sergios): vgl. Grabar 1954, 308 – 309. 134 Grabar 1954, 309 – 310. 135 Vgl. hierzu die bei Johannes Skylitzes überlieferte Episode von der Myronsalbung der Thessaloniker Soldaten: s. o. S. 349. 136 Bibliotheca Apostolica Vaticana, Ms. Vat. gr. 1613 , fol. 139. Il Menologio di Basilio II, Turin 1907, Abb. 139; Faksimile: El »Menologio di Basilio II«, Rom 2005. Xyngopoulos 1970, 12 . Vgl. Nancy Patterson Ševčenko, The Imperial Menologia and the »Menologion« of Basil II., in: dies., The Celebration of Saints in Byzantine Art and Liturgy, Farnham 2013, Study II, 1– 32 . 137 Marcus Rautman, The Church of the Holy Apostles in Thessaloniki: A Study in Early Palaeologan Architecture, Univ. Indiana 1984; Ćurčić 2010 a, 552 – 559. 138 Andreas Xyngopoulos, Ἡ τοιχογραφία τοῦ μαρτυρίου τοῦ Ἁγίου Δημητρίου εἰς τοὺς Ἁγίους Ἀποστόλους Θεσσαλονίκης, Deltion tes Christianikes Archaiologikes Hetaireias, ser. 4, Bd. 8 , 1975/76 , 1–18 (wieder abgedruckt in ders., Thessalonikeia meletemata (1925 –1979), Thessaloniki 1999, 531– 548). 139 Christine Stephan, Ein byzantinisches Bildensemble. Die Mosaiken
Anmerkungen
und Fresken der Apostelkirche zu Thessaloniki, Worms 1986 , 178 –180. Stephan, a. O. 180, erklärt die Anbringung der Martyriumsszene mit einer »Porträtikone« des Heiligen links neben dem Durchgang, den der noch geringe Reste erhalten sind. Doch ist nicht klar, ob es sich um eine Darstellung des hl. Demetrios handelt. Über dem südlichen Zugang zum Naos findet sich die Szene der 40 Märtyrer von Sebaste. 140 Makarios Makres, Ekphrasis p. 167–168 Argyriou. Die Beschreibung wurde fälschlich als Werk des Markos Eugenikos ediert bei Karl Ludwig Kayser, Philostratei libri de gymnastica quae supersunt, Heidelberg 1840, 129 –133 . Auch Xyngopoulos ging noch von der Autorschaft des Markos Eugenikos aus. Vgl. hierzu Herbert Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, München 1978 , I, 183 . 141 DOC V, 204 – 205 Nr. 1251–1254. Ioannes Motsianos – Maria Polychronake, Τύπος παλαιολόγειου νομίσματος της συλλογής της 9 ης EBA με παράσταση του μαρτυρίου του αγίου Δημητρίου, Obolos 4, 2000, 211– 231. 142 So Robert Hallmann in: Faith and Power 2004, 40 Nr. 12J. 143 Das Sechseck ist vermutlich als Stadtturm aufzufassen; die Darstellung zog sich weiter nach rechts, ist hier jedoch abgerieben. 144 So Bakirtzis 2003 , 39. 145 S. Evangelos N. Kyriakoudis, The Scene of the Martyrdom of Saint Demetrios in Post-Byzantine Art, Zograf 31, 2006/07, 203 – 213 . 146 Alice-Mary Talbot, ODB I, 1991, 454 s. v. ›Chrysoloras, Demetrios‹. 147 Demetrios Chrysoloras, Enkomion p. 349 235 – 351296 Laourdas. 148 Jakobitisches Synaxar, ed. René Basset, Bibliotheca Orientalis I.3 , Paris 1903, 376 – 377 (mit französischer Übersetzung). 149 Hans Schildbergers Reisebuch nach der Nürnberger Handschrift, hrsg. von Valentin Langmantel, Tübingen 1885, 117. Tampake 1998, Beil. Nr. 4. 150 Nikephoros Gregoras, Enkomion c. 10 p. 92 350 – 93377 Laourdas. Vakaros 2008, 27 – 28; Russell 2010, 93 – 94. Zur Brunnenwurflegende s. Vakaros 2008 , 27 – 31. Nikephoros Blemmydes kannte die Brunnenwurflegende noch nicht (anders Bakirtzis 2002 , 186). Er spricht in einem Gedicht des Jahres 1239 nur von einer trockenen Grube (λάκκος), in der Demetrios bestattet wurde und in der er begann, Myron abzusondern: August Heisenberg, Nicephori Blemmydae curriculum vitae et carmina, Leipzig 1896, 119 –121. 151 Russell 2010, 95 . Isidor Glabas und Symeon. 152 Isidoros Glabas, hom. 1 p. 2220 – 37 Laourdas. Vakaros 2008 , 28 – 29. 153 Symeon von Thess. p. 191183 –192201 Balfour. Vakaros 2008 , 29 – 30. 154 Lazarev 1950, 32 . 155 Vgl. Bakirtzis 2002 , 185 –186 . 156 Dieser wurde 1989 errichtet, das Mosaik hingegen erst 2007 hinzugefügt: Vakaros 2008, 30. 157 Gute Aufnahmen bei Tassias 2007, 101–103 . 158 Mentzos 1994, 37. Vgl. auch Soteriou 1952 , 38 , der die Rohrleitungen unter dem Mittelschiff wenig plausibel mit der römischen Thermenanlage in Verbindung bringt. 159 Das ist eine reine Vermutung, die von keinerlei archäologischem Befund gestützt wird. 160 Bakirtzis 2002 , 185 –187. 161 Soteriou 1952 , 54 – 55; Bakirtzis 2002 185 –186 . Andere haben dieser Ansicht widersprochen, vor allem mit dem Hinweis darauf, dass in einem solchen Fall sehr große Mengen von Myron hätten produ-
393
ziert werden müssen: Grabar 1946 , I, 453; Mentzos 1994, 49; Skedros 1999, 54 – 55 Anm. 46 . Genau das war aber der Fall, da man das Myron verdünnte. 162 Soteriou 1952 , 55 . 163 Papaevangelos 1972; Bakirtzis 1987; Bakirtzis 1990; Vicky Foskolou, Blessing for Sale? On the Production and Distribution of Pilgrim Mementoes in Byzantium, Byzantinische Zeitschrift 105, 2012 , 53 – 84, hier 68 – 79. Die Bezeichnung »Koutrouvia« geht auf Johannes Staurakios, Wunder 35326 Iberites, zurück. Hl. Demetrios und Muttergottes: Bakirtzis 1990, 143 –144; Charalambos Bakirtzis in: Glory of Byzantium 1997, 169 Nr. 118; Charalambos Bakirtzis in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 184 Nr. 203 . Hl. Demetrios und Nestor: Bakirtzis 1990, 142; Varvara N. Papadopoulou in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 184 –185 Nr. 204. Hl. Demetrios und hl. Theodora: Bakirtzis 1990, 142 –143; Eleni Ghini-Tsofopoulou in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 185 Nr. 205. Hl. Demetrios und hl. Georg (?): Bakirtzis 1990, 142 . Nur wenige Flakons zeigen nicht Demetrios: Ein Exemplar in der Eremitage von Sankt Petersburg zeigt die hll. Theodulos und Matrona, also Heilige mit einem Lokalbezug zu Thessaloniki: Zaless kaya 1980, 263 – 269 Nr. 3; Bakirtzis 1990, 144 (Identifikation der hll. Theodulos und Matrona ist unsicher). Denkbar ist theoretisch auch, dass manche Ampullen Myron der hl. Theodora enthielten, das ja bereits für 892 bezeugt ist (s. o. S. 345 – 346 . Papaevangelos 1972 , 18 –19; Bakirtzis 1987, 206 – 207). 164 Vgl. hierzu Sylvie Yona Waksman, The First Workshop of Byzantine Ceramics Discovered in Constantinople/Istanbul: Chemical Characterization and Preliminary Typological Study, in: Sauro Gelichi (Hrsg.), Atti del IX Conresso Internazionale sulla Ceramica Medievale nel Mediterraneo, Florenz 2012 , 147 –151 (mit weiteren Literaturangaben). Diesen Hinweis verdanke ich Beate Boehlendorf-Arslan. 165 Dimitra Papanikola Bakirtzi, The Palaeologan Glazed Pottery of Thessaloniki, in: L’art de Thessalonique et des pays balkaniques et les courants spirituels au XIVe siècle, Belgrad 1987, 193 – 204, hier 204; Dimitra Papanikola-Bakirtzi in: Everyday Life in Byzantium 2002 , 186 Nr. 206; Ioannis O. Kanonidis in: ibid. 186 –187 Nr. 207; LoverdouTsigarida 2003, 245 – 246 . Zum Transport von Myronwasser eignen sich diese Gefäße kaum; man muss davon ausgehen, dass eine ›Verabreichung‹ – in welcher Form auch immer – vor Ort stattfand. Interessanterweise fand man solche Gefäße mit Demetriosmonogramm auch in Konstantinopel und Varna. Besucher bzw. Pilger haben diese offenbar mit nach Hause genommen, nicht aber als Behälter von Myronwasser, sondern als Gefäße, die man fern von Hagios Demetrios nutzen konnte, denen man vielleicht zutraute, ihrerseits eingefüllte Flüssigkeiten zu sanktifizieren. 166 Vgl. hierzu die wichtigen Ausführungen von Michel Kaplan, Les normes de la sainteté à Byzance (VIe–Xie siècles), Mentalités 4, 1990, 15 – 34. 167 Vgl. auch Talbot 2002 , 161: Die Abgabe von Myron habe verhindert, dass sich Pilger der Primärreliquien bemächtigten. 168 Vgl. etwa Robert Ousterhout, Loca Sancta and the Architectural Response to Pilgrimage, in: ders. (Hrsg.), The Blessings of Pilgrimage, Urbana-Champaign 1990, 108 –124. 169 Ort östlich von Thessaloniki: Paul Magdalino, Some Additions and Corrections to the List of Byzantine Churches and Monasteries in Thessalonica, Revue des études byzantines 35 , 1977, 277 – 285 , hier 280 – 281.
X
Comments
Report "Eine Stadt und ihr Patron Thessaloniki und der Heilige Demetrios (2) "