Eine Stadt und ihr Patron Thessaloniki und der Heilige Demetrios (1)

May 25, 2017 | Author: Franz Alto Bauer | Category: THESSALONIKI, Monuments of Thessaloniki, History of Thessaloniki
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Description

Eine Stadt und ihr Patron Thessaloniki und der Heilige Demetrios

Franz Alto Bauer

Eine Stadt und ihr Patron Thessaloniki und der Heilige Demetrios

Inhaltsverzeichnis

Für Beat Brenk

Vorwort  I.

II.

Abbildung der vorderen Umschlagseite: Aquarellkopie eines Abschnittes der Mosaiken in Hagios Demetrios (siehe auch S. 189 Abb. 6b)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

1. Auflage 2013 © 2013 Verlag Schnell & Steiner GmbH, Leibnizstraße 13, 93055 Regensburg

Umschlaggestaltung: Anna Braungart, Tübingen Layout, Satz und Prepress: typegerecht, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Berlin ISBN 978 -3 -7954 -2760 -3

Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fototechnischem oder elektronischem Weg zu vervielfältigen. Weitere Informationen zum Verlagsprogramm erhalten Sie unter: www.schnell-und-steiner.de

9

Prolog: Die Überführung von Demetriosreliquien nach Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980 

13

Thessaloniki und Sirmium: Woher kommt der heilige Demetrios? 

27

Wer war der hl. Demetrios von Thessaloniki? 

28

Die Passionsberichte des hl. Demetrios 

32

Der Prätorianerpräfekt Leontios 

34

III. Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki 

41

Kirchen im spätantiken Thessaloniki 

46

Die Märtyrerheiligen Thessalonikis 

47

Hagios Georgios: eine Verehrungsstätte auswärtiger Heiliger? 

51

Eine Märtyrerkirche im Stadtzentrum? 

55

IV. Ein Heiliger erhält sein Zuhause: Die Kirche Hagios Demetrios 

63

Forschungsgeschichte 

70

Auf der Suche nach der Vorgängerbebauung der Demetrioskirche 

82

Ältere Baureste unter Hagios Demetrios  82  Ein älterer Kultbau?  83  Reste einer alten Vorgängerbasilika?  84

Ein erster Rundgang durch die Kirche Hagios Demetrios 

86

Versuch einer Baugeschichte (I): Was verraten die Anomalien in Grundriss und Aufriss? 

93

Übergang von den Seitenschiffen zum Querhaus  93  Anomalien in der Querhausgestaltung  95  Emporen über den äußeren Seitenschiffen  104  Emporen über den inneren Seitenschiffen  105  Eine mögliche Rekonstruktion des ursprünglichen Baus  105

Versuch einer Baugeschichte (II): Was verrät die Bauplastik?  Spolien oder eigens für den Bau gefertigte Kapitelle?  107

106

Varietas als bewusst gewähltes Gestaltungsprinzip? 

113

in der Kirche Hagios Demetrios 

242

Versuch einer Baugeschichte (III): Was verrät der opus sectile-Dekor? 

122

Der Kaiser bittet den Heiligen um Hilfe: Justinian II. und Demetrios 

247

Versuch einer Baugeschichte (IV): Was verraten planimetrische Überlegungen? 

126

Wo ist der hl. Demetrios? Die Eroberung Thessalonikis im Jahr 904 

248

Datierungsmöglichkeiten 

127

Der Kaiser macht den Heiligen in Konstantinopel ansässig: Kirchen und Feste für Demetrios 

254

Des Heiligen neue Kleider: vom hohen Beamten zum Feldherrn 

258

Datierung des Ursprungsbaus  127  Datierung des Wiederaufbaus  129

Gruppenbildung  260  Demetrios als Reiterheiliger  268  Des Kaisers Kriegsgefährte  268

V.

Wo sich irdische und himmlische Sphäre begegnen: Hagios Demetrios als Verehrungsort 

143

Eine vergebliche Suche nach den Reliquien des Heiligen 

144

Baugestalt und Erwartung 

144

Altarbereich und kreuzförmige Krypta 

147

Die Ostkrypta 

156

Die Räume im Nordwesten der Kirche 

165

Das sechseckige Ziborium 

166

VIII. Für wen entscheidet sich der Heilige? Byzanz und seine Nachbarn im Streit um den hl. Demetrios 

283

Der Kaiser gelobt Demut für Hilfe: Alexios I. Komnenos und Demetrios 

284

Gold und Silber statt Körperreliquien: Die Normannen plündern Thessaloniki 

288

Der hl. Demetrios als Schutzheiliger des bulgarischen Aufstands 

291

Der hl. Demetrios und die Slawenmission 

292

Demetrios’ Rückkehr nach Thessaloniki: die Lanzentötung des Zaren Kalojan 

294

Die Abdeckung des Demetriosschreins gelangt nach Konstantinopel 

296

Übertragungen des Demetrioskults in die Rus 

299

Die Serben und der hl. Demetrios 

307

Beschreibungen des Ziboriums  167  Bildliche Darstellungen  171  Zerstörungen und Wiederherstellungen  171

Wo liegt der heilige Demetrios? 

172

Zeichenhafte Verbreitung statt Reliquienverehrung – virtuelle statt physischer Präsenz 

178

VI. Bilder und Legenden, Gesehenes und Gehörtes: Vergegenwärtigungen eines Heiligen 

IX. Der hl. Demetrios in der Wahrnehmung des Westens  185

317

Eine lateinische Übersetzung der Vita und Wunderberichte des hl. Demetrios 

318

Demetrios als individueller Fürsprecher: die älteren Mosaiken 

189

Der hl. Demetrios und die Kreuzfahrer 

320

Demetrios als Patron hoher Würdenträger? Die jüngeren Mosaiken 

198

Demetriosreliquien im Westen? 

323

Die Lateiner in Thessaloniki 

324

Der byzantinische Kaiser holt sich den hl. Demetrios zurück 

328

Reliquien, Reliquiare und der Heiligenschrein in Thessaloniki 

335

Datierungsfragen  208  Weitere Heilige  209

Der hl. Demetrios zwischen Individualisierung und Standardisierung 

215

Dessen Name nur Gott weiß: bewusste Anonymität 

218

Hagios Demetrios als Rahmen für private Bildstiftungen 

220

Hagios Demetrios als Ort der Lesung von Wunderberichten 

223

Die Miracula Sancti Demetrii 

224

Demetriosreliquiare im Domschatz zu Halberstadt 

338

Gehörtes und Gesehenes: wechselseitige Affirmationen 

225

Demetrios als Myronspender 

344

Träume und Visionen – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft 

227

VII. Vom Schutzpatron Thessalonikis zum byzantinischen Soldatenheiligen 

235

Am Rande der Katastrophe: Slawen und Awaren vor den Mauern Thessalonikis 

238

Brände und Tumulte in der Stadt? Eine schwer zu deutende Wandmalerei

X.

Myronabsonderung als Anwesenheitsbeleg  345  Demetrios erhält Konkurrenz von einem heiligen Bischof  346

Myron und Blut als Reliquie 

351

Reliquiare als Spiegel des Heiligenschreins in Hagios Demetrios? 

351

Die frühesten Demetrioszyklen  353  Ein Reliquiar in Form eines Ziboriums  358

Das weitere Schicksal des Ziboriums von Hagios Demetrios 

366



Spätbyzantinische Enkolpionreliquiare des hl. Demetrios 

373

Die Lanzentötung des Demetrios 

375

Die Brunnenwurflegende 

378

XI. Demetriosverehrung zwischen städtischer Unabhängigkeit und türkischer Bedrohung  Eine Stadt feiert ihren Heiligen: Die Demetrien 

399

Der Konstantinopler Patriarch erhält Konkurrenz: Demetrios krönt Theodor Komnenos Dukas in Thessaloniki zum Kaiser 

408

Demetrios Palaiologos und der hl. Demetrios: das Oxforder Menolog 

411

Ein Zyklus des Titelheiligen in der Kirche Hagios Demetrios 

414

Die Bildausstattung von Hagios Demetrios in spätbyzantinischer Zeit 

417

Individuelle Stifterbilder  418  Demetrios als reitender Feldherr  424

Die Euthymioskapelle bei Hagios Demetrios 

426

Wird Demetrios zum Mönchsheiligen? 

431

439

Die Eroberung Thessalonikis durch die Osmanen 1430 

441

Hagios Demetrios wird zur Kasimiye Camii 

444

XIII. Epilog: Eine Stadt und ihr Heiliger 

453

Demetrios als Symbol für Byzanz: die Mosaikikone von Sassoferrato 

Vorwort

395

Die Muttergottes und der hl. Demetrios  404  Die Kataphyge  406

XII. Demetriosverehrung in osmanischer Zeit 

9

457

Anhang Bibliographie 

463

Glossar 

475

Register 

477

Abbildungsnachweis 

484

»Er stillt die Bedürfnisse des gesamten Erdkreises, sowohl der bewohnten wie der unbewohnten Teile, da er sich mitten in der Stadt aufhält und die Kontrahenten aller Parteien von allen Seiten bei sich versammelt, als Retter der Stadt, Vermittler unter der Bevölkerung und ihr Fürsprecher vor Gott. Doch nicht nur das, er ernennt milde Herrscher, die neben anderem die Steuern der Stadt senken, während er zugleich Anführer gegen äußere Feinde ist, indem er Furcht bei jenen erweckt, die es wagen, ihre Waffen gegen die Stadt zu erheben.« Diese treffende Beschreibung der Aufgaben, die der hl. Demetrios in Thessaloniki zu übernehmen hatte, stammt aus einer Zeit heftiger Unruhen im 14. Jh. (Deme­ trios Kydones, Monodie, c. 3, PG 109, 644A). Mitten unter den Bürgern der Stadt präsent, wird der Heilige als Vermittler bei Auseinandersetzungen, Fürsprecher für Bedürftige, Garant gerechter Verwaltung und Verteidiger der Stadt angerufen, kurzum als zentrale Instanz, die das städtische Leben reguliert. Er bildete einen Bezugspunkt jenseits staatlicher Autorität, gewährte seine Hilfe unterschiedslos arm wie reich und widersetzte sich erfolgreich Versuchen der Vereinnahmung von außen. Siege gegen Feinde und Wohlergehen wurden auf seine Hilfe zurückgeführt, Niederlagen und Not als Ausdruck der Strafe oder temporären Desinteresses gedeutet. Der hl. Demetrios war die Antwort auf individuelle wie kollektive Ängste, war die Entsprechung zu Hoffnungen und Wünschen, erfüllten wie unerfüllten. Wie aber war es dazu gekommen? Woher kam der Heilige, woher bezog er sein Ansehen und seine Autorität, warum machte unter den vielen Heiligen der Spätantike ausgerechnet Demetrios in der Stadt Thessaloniki eine Karriere, die bis heute fortdauert? Dieses Buch versucht hierauf eine Antwort zu geben. In den einzelnen Kapiteln erfährt man etwas über die dubiose Herkunft des Heiligen, über sein Zuhause in Thessaloniki, die Kirche Hagios Demetrios,

und über seinen Heiligenschrein, der sich immer wieder geänderten Erwartungen anpassen musste. Man hört von seiner Karriere als erfolgreicher Stadtverteidiger und Soldatenheiliger, aber auch von Eroberungen Thessalonikis, von erfolglosen Versuchen, den Heiligen aus der Stadt zu locken. Und schließlich ist die Rede von einer exzessiven Verehrung des Heiligen, die den Thessalonikern den Verwurf eintrug, sie würden Demetrios mehr als Christus ehren! Wesentliche Motivation für das Abfassen dieses Buchs war meine Faszination für Thessaloniki und den hl. Demetrios. ›Identität‹ ist inzwischen ein oft bemühter Begriff, aber genau diese städtische Identität, die mit der Gegenwart des Heiligen verbunden war, zog mich in den Bann: der Heilige als ein Pol innerhalb des städtischen Lebens einer mittelalterlichen Küstenstadt, der das Miteinander bestimmte, Ausdruck eines Selbstgefühls war und dieses zugleich vermittelte. Vorarbeiten zu diesem Buch reichen zurück ins Jahr 2004, als ich auf einen Artikel stieß, in dem die Überführung Demetriosreliquien von Italien nach Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980 beschrieben wird. Dann ruhte das Projekt lange Jahre. Erst am Wissenschaftskolleg zu Berlin konnte ich in den Jahren 2011 und 2012 das Manuskript dieses Buchs vollenden. Ich fand hier all das vor, was man sich als heutiger Universitätsprofessor nur wünschen kann, eine wunderbare Infrastruktur, die keinen Wunsch unerfüllt lässt, vor allem aber: endlich wieder Zeit, eigene Gedanken zu fassen, und reichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Fachgebieten. Dass dies so ist, ist das Verdienst des Rektors Luca Giuliani. Sein unendlich inspirierender und kritischer Geist prägt das Wissenschaftskolleg nachhaltig und macht es zu dem, als was es zu Recht bezeichnet wird: eine heitere Gelehrtenrepublik. Hier hatte ich höchst anregende und lehrreiche Gespräche mit so wunderbaren Kollegen wie Edhem Eldem, Wolfgang Eßbach,

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Roberto Pereira Guimarães, Olivier Jouanjan, Clemens Leonhard, Dirk von Petersdorff, Jurko Prochasko, Khaled el-Rouayheb, Israel Yuval und Bénédicte Zimmermann: Es war eine besondere Zeit mit Euch! Unbedingt erwähnen möchte ich Sonja Grund, Reinhart Meyer-Kalkus, und Petria Saleh: Ihr habt für uns Fellows auch in schwierigen Phasen immer Verständnis gezeigt und uns daran erinnert, dass letztlich (fast) alle nur mit Wasser kochen. Vermutlich wäre das Buch nicht geschrieben worden, wären nicht zuvor die prägenden Jahre am Deutschen Archäologischen Institut in Rom gewesen. Sein damaliger Direktor, Paul Zanker, ermutigte uns stets über die Fülle von Befunden hinaus größere Zusammenhänge zu erkennen und die Gegenwart als Verständnisfolie für Einsichten in die Vergangenheit aufzubauen. Erst so gewann unsere Arbeit einen tieferen Sinn. Mein Freund Rolf M. Schneider war mir über die Jahre einer der wichtigsten Gesprächspartner. Er ließ mich Vieles hinterfragen und aus anderen Blickwinkeln betrachten und half mir weit über den eigentlichen fachlichen Bereich hinaus. Vor allem aber sah er den Wald, wo ich nur Bäume sah, und fasste in wunderbare Worte, was ich nur denken konnte. Ebenso faszinierende wie inspirierende Unterhaltungen verbinden mich mit meinem Freund Avinoam Shalem. Wenn ich heute mehr nach Gemeinsamkeiten und weniger nach Unterschieden verschiedener Kulturen frage, dann ist es seinem Einfluss zuzuschreiben. Danken möchte ich ferner meinem Freund Albrecht Berger, mit dem ich über viele Aspekte dieses Buchs diskutieren konnte und der auch das Manuskript durchsah. Seinem nie versiegenden Wissen, vor allem aber seiner Geduld mit einem kunsthistorischen Kollegen, der in der Philologie wildert, verdanke ich zahllose Hinweise und Berichtigungen. Auf ihn gehen auch Übersetzungen schwieriger Quellentexte in diesem Buch zurück. Doch danke ich ihm vor allem dafür,

Vorwort

dass ich jeden Morgen voller Freude in unser Münchner Institut gehe. Das Manuskript war Gegenstand einer Vorlesung im Wintersemester 2012/13, in der meine Studierenden und ich fast alle Kapitel diskutiert haben. Ich danke allen Teilnehmern für Kritik und Anregungen und hoffe, es hat Spaß gemacht, einmal den Spieß umzudrehen und den Professor zu benoten! Besonders danken möchte ich Lucia Formato, André Lindörfer und Dorian Pirpamer. Vor allem Konstantinos Papanastasis, der eine maßgebliche Publikation über die spätantike Sakralarchitektur Griechenlands vorbereitet, hat viele wertvolle Hinweise beigesteuert. Mein ganz besonderer Dank geht an Sabine Berghoff: Sie hat die Mühe auf sich genommen, das Manuskript durchzuarbeiten, zahllose Fehler berichtigt und mich auch auf so manche inhaltliche Unstimmigkeit hingewiesen. Ebenso dankbar bin ich Elisabet Sotiroudi: Sie hat mehrere griechische Texte ins Deutsche übersetzt und so dazu beigetragen, dass dieses Buch über einen reichen Quellenapparat verfügt. Irene Högner half mir freundlicherweise bei der Fahnendurchsicht und der Erstellung des Registers. Für wertvolle Hinweise und Diskussionen danke ich ferner Polyxeni Adam-Veleni, Vater Akakios von der Mone tes Gephyras, Benjamin Anderson, Jonathan Bardill, Nadine Becker, Sible de Blaauw, Kim Bowes, Vincenzo Fiocchi Nicolai, Benjamin Fourlas, Federico Guidobaldi, Alessandra Guiglia Guidobaldi, Holger A. Klein, Michael Lychounas, Lise Marty, Aristoteles Mentzos, Susanne Muth, Robert Ousterhout, Urs Peschlow, Yvonne Petrina, Athanasios Semoglou, Ulrich Sieblist, Vassiliki Tsamakda und Ann Marie Yasin. Bei der Beschaffung von Abbildungen und Publikationsgenehmigungen halfen mir Armin Bergmeier, Slobodan Ćurčić, Evangelos Giassimakopoulos, Eva Helfenstein, Amalia G. Kakissis, Thomas Labusiak, Bonafede Lorenzo, Michael Lychounas, Alexis

Vorwort

Oepen, Vincenzo Passarini, Jana Pfirrmann und Katrin Tille. Für die Anfertigung von Fotografien und die Genehmigung zur Publikation der Demetriosreliquiare auf dem Berg Athos danke ich seiner Exzellenz, dem Archimandriten Efraim, sowie den verehrten Hieromönchen Theonas und Triphyllios vom Kloster Vatopedi, ferner dem verehrten Hieromönch Athanasios vom Kloster der Großen Lavra. Hervorheben möchte ich Athanasia Toubalis freundliche Unterstützung bei der Einholung von Abbildungen und Bildrechten bei griechischen Institutionen. Die historischen Karten hat Benedikt Huber dankenswerterweise gestaltet. Für die großzügige Überlassung von Abbildungen und Publikationsgenehmigungen danke ich der Biblioteca Marciana in Venedig, der Bodleian Library in Oxford, dem British Museum in London, der British School in Athen, dem Domschatzmuseum in Halberstadt, der Dumbarton Oaks Collection in Washington DC, den Klöstern der Großen Lavra und Vatopedi auf dem Berg Athos, dem Metropolitan Museum in New York, dem Museo Civico in Sassoferrato, der Procuratoria di San Marco in Venedig, dem Staatlichen Museum Eremitage in Sankt Petersburg, den Staatlichen Museen in Berlin und dem Walters Art Museum in Baltimore. Der Verlag Schnell und Steiner in Regensburg machte aus einem Manuskript dieses Buch, und ich hätte mir als Autor keine bessere Betreuung wünschen können. Danken möchte ich vor allem dem Geschäftsführer, Albrecht Weiland, der das Projekt von Anfang an mit großem Enthusiasmus begleitete, ebenso Jutta Dresken-Weiland und Elisabet Petersen für die akribische Redaktion des Manuskripts sowie Christian Gubelt für die professionelle Gestaltung des Bands. Widmen möchte ich dieses Buch Beat Brenk: Lieber Herr Brenk, Ihre Arbeiten zu Hagios Demetrios, in denen Sie  – wie so oft  – der weiteren Forschung die Richtung gewiesen haben und bereits wesentliche Ergebnisse vor-

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wegnehmen, gaben Anlass zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit diesem Heiligen, seiner Stadt und seinem Bau. Weit mehr als das zählt für mich, dass Sie über die Jahre immer mit Rat und Tat zur Seite standen und ich immer auf Ihre Hilfe zählen konnte. Vielleicht werden Sie nicht mit allem in diesem Buch einverstanden sein, aber Sie werden es als wunderbarer akademischer Lehrer interessiert aufnehmen und im Dialog konstruktiv weiterdenken. Ein großer Dank geht an meine Frau Tanja S. Scheer: Liebe Tanja, sicherlich erinnerst Du Dich – auf einer unserer ersten Exkursionen kamen wir 1989 nach Thessaloniki, besuchten gemeinsam Hagios Demetrios, und wie es so oft ist, führten uns unsere späteren Forschungen an die Orte unserer frühen Studientage zurück. Du hast das Werden dieses Buchs mit großem Einfühlungsvermögen und hilfreicher Kritik begleitet. Danken möchte ich ferner meinen beiden Kindern: Liebe Nike, lieber Kosmas, ich war in all den vergangenen Jahren nicht immer der Vater, den Ihr Euch gewünscht habt, und Ihr musstet es oft ausbaden, dass ich zu viel gearbeitet habe und in Gedanken woanders war. Aber ich konnte mich immer auf Euch verlassen. Ihr hattet viel Geduld mit Eurem Papa und macht Eure Sache prima – vielen Dank und tausend Bussis! Ein sehr guter Freund hat einmal zu mir gesagt, religiöse Phänomene könne man nur mit einem gewissen Maß an Irrationalität studieren. Anfangs wollte ich das nicht recht glauben, habe es wohl auch nicht recht verstanden, doch mit der Zeit habe ich mich an die beruhigende Vorstellung gewöhnt, der heilige Demetrios habe mir bei der Abfassung der nun folgenden Seiten lächelnd über die Schulter geblickt … Berlin, im Frühjahr 2013

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Prolog

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Prolog: Die Überführung von Demetriosreliquien nach Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980

Der 26. Oktober 1978 war ein besonderer Tag für die Stadt Thessaloniki. Die zahllosen Gläubigen, die in der Kirche Hagios Demetrios zusammenkamen, um das Fest ihres Stadtpatrons zu feiern, hatten diesmal allen Grund zur Freude. In der Kirche war die Kopfreliquie des Titelheiligen zur Verehrung ausgestellt, die man erst wenige Tage zuvor aus Italien erhalten hatte.1 Der damalige Metropolit von Thessaloniki, Panteleimon II., war eigens nach San Lorenzo in Campo bei Ancona gereist, um aus den Händen des dortigen Bischofs das Haupt des Großmärtyrers entgegenzunehmen (Abb. 2).2 Von dort kehrten der Metropolit, sein Gefolge und die Reliquie nach Griechenland zurück, nach Athen, wo bereits Journalisten warteten, um von dem außergewöhnlichen Ereignis zu berichten. Am Tag darauf ging es per Auto nach Thessaloniki. Vor der Stadt fand ein Empfang durch lokale Regierungsbeamte, Armeevertreter und den Klerus von Thessaloniki statt. Im großen Konvoi wurde das Haupt nun in die Stadt gebracht, wo es vorerst im Kloster der Koimesis der allsehenden Muttergottes aufbewahrt wurde. Am 25. Oktober war es dann so weit: Die blumengeschmückte Kopfreliquie wurde auf einer von einem Militärjeep gezogenen Lafette vom Koimesiskloster zur Kirche Hagios Demetrios gebracht. Dort wartete bereits eine große Volksmenge, aber auch eine Abordnung zahlreicher Bischöfe, sonstiger Kleriker und Regierungsvertreter. Eine Militärkapelle spielte auf. Nun begann der eigentliche Prozessionszug, angeführt von Studierenden, Mönchen, Sängern und einer Kapelle (Abb. 3 und 4). Hierauf folgten der Klerus und zwei Archimandriten, die eine lebensgroße Ikone des hl. Demetrios trugen, dann schließlich die Reliquie selbst, das verehrte Haupt. Hinter ihr schritten, gerahmt von 1  Heutige Besucher der Kirche Hagios Demetrios finden im äußeren nördlichen

Seitenschiff ein Marmorziborium, in dem Reliquien des Titelheiligen aufbewahrt werden. Diese Reliquien kamen erst in den Jahren 1978 und 1980 aus Italien nach Thessaloniki.

Soldaten, der Metropolit, Regierungsvertreter und die Bürger. So zog sich die Prozession durch die Innenstadt Thessalonikis, immer wieder unterbrochen von Dank- und Fürbittgebeten. Wieder an der Kirche Hagios Demetrios angelangt, wurde die Reliquie zur Verehrung ausgestellt. Am folgenden Tag, dem traditionellen Festtag des hl. Demetrios, fand ein feierlicher Gottesdienst statt, an dem sogar der damalige Staatspräsident Konstantinos Tsatzos teilnahm. Abermals hatte jeder die Möglichkeit, am Haupt des Demetrios vorbeizugehen und ihm die Verehrung zu erweisen. Nochmals wurde am Sonntag, dem 29. Oktober, eine feierliche Messe zelebriert, an der tausende Menschen teilnahmen, die sich bis vor die Kirche drängten. In einer Predigt bemerkte der Protopriester Dimitrios Vakaros, nicht nur wissenschaftlich sei der Beweis für die Echtheit der Reliquie erbracht worden, auch ströme von dem Haupt seit seiner Rückkehr ein wundersamer Duft aus. Keine Frage: Der Schädel war echt, man war wieder im Besitz der authentischen Reliquie des hl. Demetrios. Nach Jahrhunderten wechselvoller Geschichte konnte die Kirche stolz die Reliquie ihres Titelheiligen präsentieren, konnte sich Thessaloniki der sichtbaren Präsenz ihres Beschützers erfreuen, fand zusammen, was immer schon zusammengehörte: eine Stadt und ihr Heiliger. Der Überführung des Haupts folgte bald die Heimholung weiterer Körperreliquien.3 Am 8. April 1980 besuchte erneut eine Delegation hochrangiger Kleriker unter der Leitung des Metropoliten Panteleimon das kleine San Lorenzo in Campo. Zwei Tage später erhielt er vom Bischof Costanzo Micci in einer feierlichen Zeremonie die übrigen Gebeine des hl. Demetrios. Nur einige wenige Reliquien, darunter die Oberschenkelknochen, ein Wirbel und eine Rippe, sollten in Italien bleiben.4 Eine lebensgroße Ikone des hl. Demetrios, die man als Geschenk mitgebracht hatte, erinnert noch heute in der Kirche San Lorenzo an die denkwürdige Übergabe (Abb. 6). Am darauffolgenden Tag trat man die Heimreise an, flog man mit der heiligen Fracht nach Athen und

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Prolog

Die Überführung von Demetriosreliquien nach Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980

2  Übergabe der Kopfreliquie des hl.

4  Ankunft der Kopfreliquie des hl.

Demetrios an die Kirche von Thessaloniki im Jahre 1978. Der Erzbischof von Fano und Pergola, Costanzo Micci, überreicht das Märtyrerhaupt an den Metropoliten von Thessaloniki, Panteleimon II.

Demetrios in Thessaloniki. Nach dem Prozessionszug wurde die Reliquie in der Kirche Hagios Demetrios zur Verehrung durch das Volk ausgestellt.

3  Ankunft der Kopfreliquie des

hl. Demetrios in Thessa­loniki. Am 26. Oktober, dem Festtag des Stadtheiligen, fand eine feierliche Prozession statt, in deren Verlauf die Kopf­reliquie in die Kirche Hagios Demetrios gebracht wurde.

5  Für die Kopfreliquie wurde eigens

ein neues kugelförmiges Reliquiar angefertigt; für die übrigen Reliquien, die erst später nach Thessaloniki gelangten, schuf man einen reliefverzierten Silberkasten.

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Prolog

7  Für die Reliquien des hl. Demetrios wurde bis 1988

ein neues Ziborium errichtet, das sich im äußeren linken Seitenschiff von Hagios Demetrios befindet.

6  Noch heute erinnert eine lebensgroße Ikone des hl. Demetrios in San Lorenzo in Campo an die Rückgabe der Reliquien an die Kirche Hagios Demetrios in Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980.

begab sich wieder einen Tag später per Autokonvoi nach Thessaloniki. Am Spätnachmittag des 12 . April erreichte der Konvoi die Stadtgrenze, wo – erneut – ein großer Empfang durch ranghohe Politiker, Militärs und Geistliche stattfand. Und während die Sirenen aller Schiffe ertönten, bewegte sich der Autokorso durch die Hauptstraßen Thessalonikis zur Kirche Hagios Demetrios, wo neben weiteren Würdenträgern zahlreiche Gläubige warteten. Noch am selben

Abend fand unter der Leitung des Metropoliten eine Vesper statt. Am darauffolgenden Tag feierte man gemeinsam die Sonntagsliturgie, wobei neben dem Metropoliten auch der Pfarrer von San Lorenzo das Wort ergreifen durfte und die Reliquientranslation als Ausdruck der Verbundenheit zwischen katholischer und orthodoxen Kirche feierte. Für die Reliquien musste freilich ein würdiger Aufbewahrungsort geschaffen werden. Der Schädel wird seitdem in einem runden, mit Perlen und Appliken verzierten Reliquiar, die übrigen Knochen in einem länglichen Silberkasten mit Szenen aus dem Leben des Heiligen aufbewahrt (Abb.  5). Wo aber sollten die beiden Reliquiare mit ihrem heiligen Inhalt fürderhin ausgestellt werden? Schon bald kam die Idee auf, im Mittelschiff der Basilika ein Ziborium neu zu errichten, an jener Stelle, wo sich im Mittelalter jahrhundertelang ein solcher Schrein befunden hatte.5 Doch gestattete die für Fragen der Denkmalpflege zuständige Ephorie einen derartigen Eingriff in die Baugestalt der Kirche nicht. Daher musste das überkuppelte, sechseckige Ziborium im äußeren linken Seitenschiff errichtet werden, wo es sich noch heute befindet (Abb. 1 und 7).6 Der aus privaten Spenden finanzierte und 1988 fertiggestellte Schrein erfreut sich seitdem des regen Interesses der Besucher. Man betritt und verlässt ihn über zwei Türöffnungen, kann die Reliquien verehren, Gebete verrichten oder auf Papierzetteln schriftlich dem Heiligen Wünsche mitteilen (Abb. 8). Die aufrichtige Verehrung, die Demetrios bei der Thessaloniker Stadtbevölkerung genießt, lässt bisweilen vergessen, dass diese Kultinstallation nur wenige Jahrzehnte alt ist. Wie aber kam es zu dieser Reliquientranslation? Was war die Vorgeschichte dieser bemerkenswerten Rückführung eines Heiligen? Woher erhielten die Thessaloniker die Demetriosreliquien? Welcher Vorbesitzer schien Kirche und Bevölkerung Thessalonikis glaubwürdig genug, authentische Gebeine ihres Stadtheiligen verwahrt zu haben? Diese Fragen führen uns in die Marken, in den bereits erwähnten Ort San Lorenzo in Campo, unweit Ancona. Dort war bereits im 10. Jh. von Mönchen aus San Apollinare in Classe eine Benediktinerabtei gegründet worden, die sich schon bald verschiedener Privilegien und Gebietsstiftungen von Seiten des Kaisers wie des Papstes erfreute und überre-

Die Überführung von Demetriosreliquien nach Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980

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Prolog

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8  Das Ziborium mit den beiden Reliquiaren ist ein beliebtes Ziel von Gläubigen,

11  1530 fertigte der Maler Pietro Paolo Agapiti dieses Altarbild an, das die hll.

die hier auf Papierzetteln ihre Bitten an den Heiligen hinterlassen.

Laurentius und Demetrios zu Seiten der thronenden Muttergottes mit dem Christuskind zeigt. Demetrios ist mit langem Haar und Bart sowie mit einem Schwert in der Linken wiedergegeben, was vermutlich als Hinweis auf den gewaltsamen Tod zu verstehen ist (San Lorenzo in Campo, Chiesa di San Lorenzo).

gionale Bedeutung erlangte.7 Legenden berichten, eine erste Klosterkirche sei über den Ruinen eines Adonis-Tempels entstanden. Dieser Bau wurde um 1300 zerstört und kurz darauf als spätromanisch-frühgotische Basilika errichtet (Abb. 9).8 Ein Erdbeben im Jahre 1727 hatte schwere Schäden zur Folge und führte zu einer tiefgreifenden Instandsetzung und Barockisierung der Kirche. Alle diese späteren Einbauten und Veränderungen des 18. Jh. wurden in den Jahren 1936 –1942 im Zuge einer ›Renovierung‹ entfernt, da man dem Bau wieder sein mittelalterliches Erscheinungsbild zurückgeben wollte (Abb. 10).9 Diese Kirche war seit langem Ort eines stillen Demetrios­ kults. Ein Altarbild von Pietro Paolo Agapiti aus dem Jahre 9  San Lorenzo in Campo. Die Abtei des Orts geht bis ins 10. Jh. zurück. Im 14. Jh. errichtete man an der Stelle eines älteren Baus eine spätromanischfrühgotischen Kirche, die im 16. Jh. eine Renaissancefassade erhielt.

1530 zeigt den Titelheiligen Laurentius und den hl. Demet-

rios mit Schwert und Palmzweig zu Seiten der Muttergottes und belegt, dass man sich der Bedeutung des griechischen Märtyrers durchaus bewusst war (Abb. 11).10 Zur selben Zeit begegnet Demetrios erstmals in Dokumenten des Klosters, hört man von Reliquien des Heiligen unter dem Hauptaltar der Kirche.11 So erwähnt ein Edikt des Jahres 1592 , welches der Abtei die jährliche Feier eines Demetriosfests am 8. Oktober gewährt, die Auffindung der Heiligengebeine sotto l’altare maggiore im Jahre 1520. Eine 1599 angefertigte 10  Im Zuge einer tiefgreifenden Restaurierung entfernte man in den Jahren 1936 –1942 alle späteren barocken Zutaten und gab

dem Bau sein vermeintliches originales Erscheinungsbild zurück.

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Abschrift des Auffindungsberichts geht noch genauer auf die Umstände der Entdeckung ein (Text 1): Man habe im Zuge von Renovierungsarbeiten am 20. Juni 1520 unter dem Hauptaltar einen ›verborgenen Schatz‹ entdeckt, ein rötliches Holzbehältnis mit den Gebeinen des Demetrios und einer alten Bleitafel mit dem Namen des Heiligen. Wieder ein anderes Dokument, verfasst im Jahre 1779 aus Anlass der Neuanfertigung eines Holzreliquiars, berichtet von der Umbettung der Reliquien und inventarisiert die Knochen, die sich in dem alten Behältnis befanden. Erst nach und nach wurde man sich der Bedeutung dieser Reliquien bewusst. 1938 bat der damalige Bischof von Cagli

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Die Überführung von Demetriosreliquien nach Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980

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und Pergola, Filippo Mantini, den apostolischen Gesandten in Konstantinopel und Bischof von Mesembria, Angelo Giuseppe Roncalli, den späteren Papst Johannes XXIII., ob er nicht mehr über die Reliquien des hl. Demetrios in Erfahrung bringen könnte. Roncalli, der anfänglich starke Zweifel an der Echtheit der Reliquien hatte, kam zufällig in Kontakt mit dem Archäologen Georgios Soteriou, der zur gleichen Zeit in der Kirche Hagios Demetrios in Thessaloniki tätig war und von dem später noch ausführlich die Rede sein wird. Soteriou versicherte dem Nuntius, man habe in der Demetriosbasilika trotz intensiver Suche keine Reliquien gefunden.12 Dies wiederum zerstreute Roncallis Zweifel,

1.  Bericht des Jahres 1599 von der Auffindung der Demetriosreliquien im Jahre 1520: Im Namen unseres Herrn Jesus Christus, Auffindung des hochverehrten Leibs des heiligen Märtyrers Demetrius. »Es ist gut, das Geheimnis eines Königs zu wahren; die Taten Gottes aber soll man offen rühmen« (Tobit 12 , 7) so steht es geschrieben, und wie der königliche Prophet (David) in Psalm 67 bemerkt: »Gott ist wunderbar in seinen Heiligen«. Und Wunder hat Gott durch seinen Diener Demetrius aus Thessaloniki zu dessen Lebzeiten bewirkt. Es ist angemessen, die Wunder zu berichten, welche er täglich durch die geheiligten Reliquien seines hochverehrten Leibs bewirkte und bewirkt, der in einer wahrlich ehrwürdigen, seinem Namen geweihten Kapelle in der Klosterkirche von San Lorenzo in Campo ruht. Dort wird er von dem ganzen Volk von San Lorenzo, den Nachbarn, den Ausländern, Adligen und Fürsten fromm und inbrünstig verehrt. … Wundersam war seine Auffindung, wie sie einige Personen aus San Lorenzo überliefern, vor allem der berühmte und vortreffliche Giulio Novelli, ein Bürger von San Loren­zo, der (…) sein Leben in hohem und ehrwürdigem Alter beschloss und zu Lebzeiten mehrfach von seinen Vorfahren folgendes gehört hat: »Während in der Abteikirche der Gottesdienst gefeiert wurde, wurden von den Anwesenden mit Verwunderung Schläge und Rumpeln gehört, das man aber nicht genau lokalisieren konnte.« Es ereignete sich nicht ohne göttliche Vorsehung, dass man bei Grabungen im Zuge der Renovierung der Kirche dort, wo sich heute der Hauptaltar befindet, einen versteckten Schatz, nämlich den Leib des heiligen Demetrius entdeckte. Dies geschah am 20.

Juni im Jahre des Herrn 1520, wobei der ehrwürdige Bischof von Senigallia und Kommendatarabt der Klosterkirche, Marco Vigerio della Rovere, die Reliquien in einem Holzkästchen von rötlicher Farbe auffand, in dem ein Bleitäfelchen mit folgenden Buchstaben aufbewahrt wurde: H. R. Q. E. S. C. P. S. D. M. T. I. Diese wurden damals von dem Abt Vigerio wie folgt aufgelöst: »Hic requiescit corpus praeciosum sancti Demetrii Martyris Thessalonicensis incliti.« Eine Kopie dieses Täfelchens wurde nach Spanien gesandt, an den berühmten und ehrwürdigen D. Lorenzo Cocchi, einen Bürger San Lorenzos, der Sekretär des angesehenen und ehrwürdigen apostolischen Nuntius beim durchlauchtigen und großmütigen König von Spanien war, Campeggio, der die Deutung billigte und uns dankenswerterweise die Akten des heiligen Demetrius auf Griechisch und auf Latein zusandte, die Metaphrastes auf Griechisch überliefert. Nachdem nach mehr als hundert Jahren wieder das Fest des heiligen Demetrius erreicht war, bemühten sich die ehrwürdigen de Fontini, ebenfalls Bürger von San Lorenzo, um einen feierlich zu begehenden Gottesdienst, … damit ihren Erben ewiges Andenken bewahrt werde, wobei jedes Jahr am Fest des hl. Demetrius ein Gottesdienst zu feiern sei, an dem mindestens zehn Priester teilnehmen. (Lat. Text ediert bei Theochari 1979, 523 – 525)

12  Nachdem man sich der Bedeutung der aufgefundenen Demetriosreliquien bewusst geworden war, präsentierte man 1938 das Reliquiar mit den Knochen in einer mit Gitter versehenen Nische über dem Altar der Krypta der Kirche von San Lorenzo in Campo. Noch heute befinden sich dort einige wenige verbliebene Körperreliquien des hl. Demetrios.

und er gab in einem Antwortbrief an Bischof Mantini seiner Freude Ausdruck, mitteilen zu können, dass es sich bei den Reliquien in San Lorenzo in Campo durchaus um die des Thessaloniker Heiligen handeln könnte (Text 2)!13 Stolz über diese Aufwertung der Demetriosreliquien reagierte man in San Lorenzo in Campo mit einer neuen Präsentation des Reliquiars. Nun wurde es nicht mehr verschämt unter dem Hauptaltar verborgen; nun wurde im Zuge der Renovierungsarbeiten an der Kirche die gesamte Krypta unter dem Hauptaltar wieder instandgesetzt und in eine Demetrioskapelle umgewandelt. Seit 1938 konnte jeder Besucher der Krypta die Knochen in einer vergitterten Nische über dem Kryptenaltar betrachten und verehren (Abb. 12). Roncalli hatte eine Idee, wie die Reliquien nach San Lorenzo in Campo gelangt sein konnten: Denkbar wäre, dass sie in den Jahren nach der Eroberung und Plünderung von Byzanz durch einen Teilnehmer des vierten Kreuzzugs fortgenommen wurden.14 Nach 1204 gelangten zahlreiche echte

wie vermeintliche Reliquien in den Westen, wo sich die Kirchenschätze mit den Knochen östlicher Heiliger füllten.15 Nicht wenige Teilnehmer der Kreuzzüge bemächtigten sich der Heiltümer oder aber gaben irgendwelche Knochen als Heiligengebeine aus, um bei ihrer Rückkehr nicht mit leeren Händen dazustehen. Missbrauch und Täuschung waren Tür und Tor geöffnet, sodass sich der Papst gezwungen sah einzuschreiten. Ein Edikt des Jahres 1215 schrieb vor, dass nur solche Reliquien als echt anerkannt werden könnten, die sich in einem originalen Reliquiar befänden.16 Waren es also die beiden Jahrzehnte fränkischer Herrschaft in Thessaloniki, in denen die Reliquien entwendet wurden?17 Thessaloniki war seit 1204 Hauptstadt eines fränkischen Königsreichs unter Bonifaz I., dem Markgrafen von Montferrat. Erst 1224 wurden die lateinischen Herrscher vertrieben, bemächtigte sich der Despot von Epiros der Stadt. Vergriff man sich in diesen Jahren der Fremdherrschaft an vermeintlichen Demetriosreliquien? Roncalli scheint diese Frage bejaht zu haben. Denn schließlich sprach für die Echtheit der Gebeine eine alte Bleiauthentik, die man bereits im 16. Jh. in dem Reliquiar von San Lorenzo in Campo fand und die sich bis heute erhalten hat (Abb. 13). Diese Plakette mit der lateinischen Inschrift H(ic) r(e)q(ui)es(cit) c(or)p(us) S(ancti) D(e)m(e)t(ri)i  – hier ruht der Leib des heiligen

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2.  Brief des apostolischen Nuntius in Konstantinopel, des Erzbischofs von Mesembria, Giuseppe Roncalli, an den Bischof von Cagli und Pergola, Filippo Mantini, vom 18. November 1938: Apostolische Gesandtschaft in Griechenland An seine Exzellenz, Mons. Filippo M. Mantini Bischof von Cagli und Pergola Athen, Panepistimiou 22 18. November 1938 Ehrwürdigste und verbundenste Exzellenz, Am 10. April habe ich auf Ihren freundlichen Brief vom 28. März geantwortet, in dem Sie mich um Informationen baten, ob der Leib des hl. Demetrius von Thessaloniki identisch sein könnte mit einem Leib desselben Heiligen, der in San Lorenzo in Campo verehrt wird. Damals habe ich geantwortet, dass ich meine Zweifel an einer Gleichsetzung des Heiligen aus Makedonien mit dem Heiligen aus San Lorenzo in Campo hätte, dass ich durchaus aber der Sache in Thessaloniki und in Athen nachgehen wollte, dass es dafür aber der Zeit und Muße bedürfe. Heute habe ich die Freude, Ihnen mitteilen zu können, dass ich die Zeit und die Muße gefunden habe, eine Person zu befragen, die am meisten Kompetenz in dieser Angelegenheit besitzt, Professor Soteriou von der Universität Athen, den Gründer und Direktor des Byzantinischen Museums, der in besonderem Maße mit der Wiederherstellung der ehrwürdigen Kirche Hagios Demetrios in Thessaloniki betraut ist, die infolge eines Brands während des großen Kriegs zerstört wurde. Professor Soteriou versichert, dass sich der Leib des hl. Demetrius auf keinen Fall in Thessaloniki befindet, da inzwischen alle Details zum Grab bzw. zum Ort, wo sich der Leib zu früherer Zeit befunden hatte, gut bekannt sind. Professor Soteriou bereitet zusammen mit zwei gelehrten Engländern [sc. Walter S. George und Spencer Corbett] eine umfassende Arbeit zur Geschichte, zum Grab und zur Kirche des hl. Demetrius vor. Und er wäre überaus dankbar, wenn man ihm alle Details bekannt machen würde: Fotografien, Maße und ältere Hinweise auf den Sarkophag des hl. Demetrius in San Lorenzo in Campo. In meinem Brief vom 10. April brachte ich gegenüber Eurer Exzellenz meine Zweifel hinsichtlich der Identi-

tät der beiden Heiligen zum Ausdruck. Das Fehlen eines Leibs des hl. Demetrius in Thessaloniki lässt mich nun die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass zu Beginn des 13. Jh., als von Seiten der Venezianer und der Kreuzfahrer zahllose Diebstähle in den Kirchen des Ostens zugunsten der Kirchen in Italien, Frankreich und sonstwo begangen wurden, auch der echte Leib des hl. Demetrius entwendet und schließlich nach San Lorenzo gebracht wurde. Wenn man diese Annahme bekräftigen könnte, was für eine Ehre wäre das für Ihre Diözese von Pergola und insbesondere für die Klosterkirche von San Lorenzo! Bei den Ausgrabungen in Hagios Demetrios in Thessaloniki, die ich gut kenne, wurden von Professor Soteriou einige interessante Dinge gefunden: zum Beispiel eine Phiole mit einer Flüssigkeit, welche untersucht wurde und sich zumindest teilweise als Blut herausgestellt hat. Diese Phiole wird derzeit im Byzantinischen Museum von Athen aufbewahrt. Eine alte Legende spricht auch von Balsam, der von den Knochen des heiligen Märtyrers abgesondert wurde und das bei Kranken Wunder bewirkte. Es hat sich herausgestellt, dass dieser Balsam nichts anderes als das Ergebnis frommer Betriebsamkeit jener Priester war, die damals das Heiligtum betreuten. Es wäre hilfreich, wenn Eure Exzellenz zur Frage der Reliquien des hl. Demetrius weitere Forschungen zu [sc. Symeon] Metaphrastes anstellen würde (man findet den Text in der Ausgabe von Migne, die ich im Moment nicht mit Gewissheit zitieren kann). Wer weiß? Aus Zweifel erwächst Gewissheit. Nachforschungen Eurer Exzellenz und des Professor Soteriou könnten zu überraschenden und tröstlichen Ergebnissen führen. … Angetan im Herrn, Angelo Giuseppe Roncalli Erzbischof von Mesembria Apostolischer Legat (Abgedruckt bei Medici 1965, 185 –187, und Kalpakides 2005, 165 –166)

Die Überführung von Demetriosreliquien nach Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980

Demetrios – sollte offenkundig jeglichen Zweifel hinsichtlich der Authentizität zerstreuen. Alles schien somit auf die Echtheit der Reliquien hinzudeuten: eine Authentik aus der Zeit der Translation, ein plausibles historisches Szenario für die Überführung in den Westen und das Fehlen von Demetriosreliquien in der Kirche Hagios Demetrios. Und so öffnete man 1968 nochmals das Demetriosreliquiar, um weitere Untersuchungen vorzunehmen (Abb. 14).18 Dabei wurden zwar einige Unstimmigkeiten bemerkt, etwa das Fehlen oder doppelte Auftreten von Knochen, aber konnte dies nicht in Frage stellen, was doch offensichtlich war: dass man die Überreste des Thessaloniker Märtyrers vor sich hatte. Nun konnten sich auch andere Kirchen mit Demetriospatrozinium bedienen. So erhielt die Kirche San Demetrio von Morigerati bei Salerno am 10. August 1970 einen Oberarmknochen.19 Und es sollte nicht mehr lange dauern, bis man in Griechenland auf diese Angelegenheit aufmerksam wurde. Die Byzantinistin Maria Theochari rekonstruierte in einer ausführlichen Analyse minutiös die Geschichte der Demetriosreliquien von San Lorenzo in Campo und brachte diese ins Bewusstsein der griechischen Öffentlichkeit.20 Am 13. August 1978 titelte die lokale Tageszeitung ›Makedonia‹: »Befinden sich die Reli-

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13  In dem hölzernen Reliquiar mit den mutmaßlichen Knochen des hl. Demet-

rios fand man auch ein Bleitäfelchen, das jeden Zweifel hinsichtlich der Echtheit der Reliquien zerstreuen sollte: »hier ruht der Leib des heiligen Demetrius«.

quien des heiligen Demetrios in einem italienischen Dorf?« (Abb. 15). Nun gab es kein Halten mehr, nun wünschte man sich den Heiligen an den Ursprungsort seiner Verehrung zurück. Hinzu kam, dass die Stadt Thessaloniki am 20. Juni desselben Jahres von einem schweren Erdbeben erschüttert worden war. In diesem Klima der Angst und Schutzbedürf14  1968 fand eine erneute Öffnung des Reliquiars statt, um die Knochen zu

untersuchen. Dabei stellte man gewisse Unstimmigkeiten fest: manche Knochen fehlten, manche hingegen tauchten zweimal auf.

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Die Überführung von Demetriosreliquien nach Thessaloniki in den Jahren 1978 und 1980

tigkeit war die Sehnsucht nach dem Stadtpatron besonders groß, wollte man sich der Nähe des hl. Demetrios versichern.21 Und genau dieser Wunsch nach Nähe zum Beschützer Thessalonikis bestimmte auch das vorläufig letzte Kapitel der wechselvollen Geschichte dieses Heiligen: die Translation der Gebeine von San Lorenzo in Campo nach Thessaloniki. Aus Sicht der dortigen Kirche und Bürger hatten die Reliquien des hochverehrten Stadtpatrons in Italien nichts verloren. Sie genossen dort keine besondere Verehrung und erinnerten eher an ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Verhältnisses zwischen katholischer und orthodoxer Kirche, eben die Plünderung Konstantinopels im Jahre 1204 und die lateinische Fremdherrschaft über Byzanz. Und auch in San Lorenzo in Campo scheint man der Reliquienüberführung aufgeschlossen gegenübergestanden zu haben, und eingesehen zu haben, dass der Heilige eigentlich nach Thessaloniki gehörte. Man verlor zwar den Großteil der Reliquien eines bedeutenden Heiligen an dessen Heimatstadt, doch waren dafür die einbehaltenen Oberschenkelknochen über jeden Zweifel erhaben, endgültig als echt beglaubigt. Was lag also näher, als endlich eine offizielle Anfrage an die Metropolitie von Thessaloniki zu richten, in der man eine Übergabe anbot, die, wie wir hörten, in zwei Etappen in den Jahren 1978 und 1980 erfolgte? Dort empfing man die Knochen des Heiligen in Ehren, doch stand man zugleich vor dem unausgesprochenen Problem: War man tatsächlich all die Jahrhunderte ohne den Stadtheiligen ausgekommen? Wie konnte es sein, dass der Heilige abwesend war, wo man doch seine Anwesenheit immer vorausgesetzt hatte? Die denkwürdige ›Rückkehr‹ des Demetrios an den Ausgangspunkt seiner Verehrung, seine Heimatstadt Thessaloniki, mag daher Anlass geben, nach der Entstehung, dem Wandel und den Formen der Präsenz dieses byzantinischen Heiligen zu fragen, nach den individuellen und kollektiven Bedürfnissen, die sich hinter dieser Gestalt im Wandel der Zeit verbargen.

15  Am 13. August 1978 erschien auf der Titelseite der Tageszeitung Makedonia

folgende Schlagzeile: »Befinden sich die Reliquien des Heiligen Demetrios in einem italienischen Dorf?« Ausgangspunkt des Artikels war ein Vortrag von Maria Theochari in der Akademie der Wissenschaften in Athen, in dem sie auf die Demetriosreliquien in San Lorenzo in Campo aufmerksam machte.

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Anmerkungen   1 Zur Translation der Kopfreliquie des Demetrios s. Vakaros 1984 ,

8 –14; Angeloni – Giorgi 1989, 59 – 69 (mit Wiedergabe der einschlägigen Korrespondenz zwischen griechischen und italienischen Würdenträgern); Kalpakides 2005, 22 – 43; Tassias 2007, 131–134.   2 Vgl. hierzu den Bericht über die Öffnung des Reliquiars und die Entnahme der Kopfreliquie vom 22 . Oktober 1978, abgedruckt in Kalpakides 2005, 169 –171.   3 Vakaros 1984, 14 – 21; Angeloni – Giorgi 1989, 70 – 87 (mit Wiedergabe der einschlägigen Korrespondenz zwischen griechischen und italienischen Würdenträgern); Kalpakides 2005, 44 – 57.   4 Vgl. den Bericht über die erneute Öffnung des Reliquiars und die Entnahme weiterer Reliquien vom 7. April 1980, abgedruckt bei Kalpakides 2005, 185 –186 . Noch heute kann man durch ein Glasfenster im Demetriosreliquiar in der Krypta von San Lorenzo in Campo die verbliebenen Knochen erkennen.   5 S. u. S. 166 –172 .   6 Vgl. Kalpakides 1993 , 31; Kalpakides 2005, 140 –141.   7 Medici 1965 , 25 – 29.   8 Zu diesem Bau s. Medici 1965 , 153 –162 .   9 Zu dieser Restaurierung s. Medici 1965, 224 – 225 . 10 Kurz erwähnt im Guida d’Italia del Touring Club Italiano: Marche, Mailand 1979 ⁴, 305. 11 Zur Geschichte der Auffindung des Demetriosreliquien s. Medici 1965 , 162 –179 u. 189 – 203; Theochari 1979, 517 – 533 (jeweils mit Transkriptionen der älteren Auffindungsberichte); Kalpakides 2005, 13 –15 . 12 Vgl. u. S. 167. 13 Brief des apostolischen Nuntius in Konstantinopel, Angelo Giuseppe Roncalli, an den Bischof von Cagli und Pergola, Filippo M. Mantini, vom 18 . November 1938 , abgedruckt bei Medici 1965 , 185 –187, Angeloni – Giorgi 1989, 93 – 95; Kalpakides 2005, 165 –166 (mit falschem Datum). S. a. Kalpakides 2005, 14. 14 Theochari 1979, 519 – 520; Kalpakides 2005 , 13 . 15 S. hierzu ausführlicher u. S. 325 . 16 S. hierzu Viertes Laterankonzil, Constitutio Nr.  62 , in: Josef Wohlmuth (Hrsg.), Konzilien des Mittelalters, II, Paderborn 2000, 263 . 17 S. u. S. 324 – 328 . 18 Zur Öffnung des Demetriosreliquiars i. J. 1968 s. Angeloni – Giorgi 1989, 44 – 47 (mit Hinweisen auf ›Unstimmigkeiten‹ des Befunds) u. 98 –106 (Protokoll der Öffnung des Reliquiars am 2 . September 1968 und der Schließung am 3 . Mai 1971); Kalpakides 2005, 15 –16 . S. ferner den bei Theochari 1979, Taf. 18, abgebildeten Brief von Luigi Michelini Tocci, in dem dieser die Bleiauthentik ins 12 .–13 . Jh. datiert und sich auf die Expertise von Antonio Ferrua und Antonio Campana beruft. Die gesamte Briefkorrespondenz zur Frage der Echtheit und Datierung der Bleiauthentik ist wiedergegeben bei Angeloni – Giorgi 1989, 51– 55 . 19 Angeloni – Giorgi 1989, 55 u. 9697 (Schreiben des apostolischen Verwalters Vittorio Cecchi an den Pfarrer von Morigerati). 20 Theochari 1979; Angeloni – Giorgi 1989, 56 – 59. 21 Zur Verbindung des Erdbebens von 1978 mit der Rückführung der Demetriosreliquien s. Kalpakides 2005, 17, und die Homilie in Kalpakides 2005, 93 .

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Thessaloniki und Sirmium: Woher kommt der heilige Demetrios?

Rom, am 1. Mai des Jahres 2011: Papst Benedikt XVI. lässt im Rahmen einer feierlichen Messe auf dem Petersplatz seinen Vorgänger, Johannes Paul II., seligsprechen. Über eine Million Pilger sind eigens nach Rom gekommen, Hunderttausende füllen den Platz vor der Peterskirche, als der Papst folgende Formel spricht: »Der Diener Gottes Johannes Paul II., Papst, darf ab sofort Seliger genannt werden«. Nach diesen Worten wird ein riesiges Bild des neuen Seligen über dem Hauptportal des Petersdoms enthüllt (Abb.  2). Bereits vor dem Gottesdienst hat man den Sarg Johannes Pauls II. vor der Konfessio im Petersdom aufgebahrt, um den Gläubigen Gelegenheit zur Verehrung zu geben. Als künftiger Gedenktag wird der 22 . Oktober, der Tag der Inthronisation Johannes Pauls II. im Jahre 1978, festgesetzt.1 Bei aller Freude wird auch Kritik laut. Man habe nicht die vorgeschriebene Fünfjahresfrist zwischen Tod und Eröffnung des Seligsprechungsprozesses eingehalten, und auch die Heilungswunder seien nicht eindeutig belegt. Bedenken werden ferner auch gegenüber Bestrebungen geäußert, Johannes Paul  II. sofort heiligzusprechen: Zwar höre man die Pilger auf dem Petersplatz »Santo subito« rufen, doch sei zwischen Seligsprechung und Heiligsprechung eigentlich eine lange Frist üblich, in der sich noch ein weiteres Wunder ereignen müsse. Erst dann könne der Selige zur Ehre der Altäre erhoben werden und weltweit als Heiliger verehrt werden. Dieses aktuelle Beispiel führt in die Welt des kanonischen Rechts, zeigt uns, dass es jedenfalls in der katholischen Kirche feste Regeln gibt, nach denen ein Heiliger definiert wird.2 Die Heiligsprechung ist das Ergebnis eines mehrstufigen Verfahrens, das sich zumeist über einen sehr langen Zeitraum erstreckt. Auf Antrag des Bischofs einer Diözese

1  Mosaikdekor von San Apollinare Nuovo in Ravenna (nach 561): Die älteste fest datierte Darstellung des hl. Demetrios zeigt ihn noch auf eine sehr unpersönliche Weise, in einem weißen Pallium. Diese Gewandung entspricht weder dem Amt des hl. Demetrios von Sirmium, einem Diakon, noch dem hl. Demetrios von Thessaloniki, einem hohen Beamten.

oder eines Ordens kann zunächst ein Seligsprechungsverfahren eröffnet werden. Dabei geht es vor allem um die Prüfung der Lebensführung des Kandidaten oder um die Untersuchung eines angeblichen Wunders. Der sogenannte promotor iustitiae, bis 1983 der advocatus diaboli, hat dabei die Aufgabe, Tatsachen und Ereignisse herauszufinden, die einer Seligsprechung entgegenstehen. Die eigentliche Seligsprechung, die entweder der Papst oder der lokale Bischof oft erst nach Jahrzehnten vornehmen, ist die Grundlage für eine lokale Verehrung. Das Heiligsprechungsverfahren verläuft im Prinzip nach demselben Schema, nur dass die Anforderungen noch strenger sind. Die Prozesse, in die auswärtige Gutachter und Historiker einbezogen werden können, erstrecken sich bisweilen über Jahrzehnte und enden mit einem Schiedsspruch der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse. Dann wird der Heilige im Verlauf einer Eucharistiefeier proklamiert und sein Name in das Martyrologium, das Verzeichnis aller Heiligen, aufgenommen. Der Heilige kann nun Titelheiliger einer Kirche und international verehrt werden. Und dennoch: Heiligkeit ist kein Status, den die Kirche verleiht, sondern eine bestehende Eigenschaft, welche die Kirche feststellt. Ein Heiliger ist ein Heiliger, es geht darum, es zu erkennen. Um diese Deutungshoheit wurde immer wieder gerungen. Schon in karolingischer Zeit schritt man gegen die spontane Anrufung neuer Heiliger ein, und im 10. Jh. ist zum ersten Mal so etwas wie eine offizielle Kanonisation zu beobachten, als Papst Johannes XV. (985 – 996) Bischof Ulrich von Augsburg heiligsprach.3 Papst Alexander III. (1159 –1181) machte die Heiligsprechung durch den Papst zur Regel, und 1234 wurde dieses Exklusivrecht durch ein weiteres Dekret bestätigt.4 Da sich aber weiterhin Bischöfe nicht davon abhalten ließen zu kanonisieren, wurde die Unterscheidung zwischen selig und heilig eingeführt: Dezentral kanonisierte Personen galten als selig, heiliggesprochen werden konnte man nur in Rom.5 Und so ist es in

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der katholischen Kirche bis heute der Papst, der auf Empfehlung der zuständigen Kommission die Heiligkeit mit folgenden Worten feststellt: »Zu Ehren der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, zum Ruhm des katholischen Glaubens und zur Förderung des christlichen Lebens entscheiden wir nach reiflicher Überlegung und Anrufung der göttlichen Hilfe, dem Rat vieler unserer Brüder folgend, kraft der Autorität unseres Herrn Jesus Christus, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und in der Vollmacht des uns übertragenen Amtes, dass der selige (…) ein Heiliger ist. Wir nehmen ihn in das Verzeichnis der Heiligen auf und bestimmen, dass er in der gesamten Kirche als Heiliger verehrt wird. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Hätte man einem Bewohner des spätantiken Thessaloniki von dieser langwierigen Prozedur berichtet, er wäre vermutlich befremdet gewesen. Heiligmäßigkeit war doch nicht etwas, was erst postum in aufwendigen Verfahren festgestellt werden musste, sondern Teil der eigenen Lebenserfahrung. Charismatische Personen, die in ›öffentlicher Zurückgezogenheit‹ lebten und den Menschen mit Rat zur Seite standen, konnten als sog. ›holy men‹ schon zu Lebzeiten als Heilige angesehen werden.6 Überall gab es solche verehrten Lebenden: in Kirchen und Klöstern, ja auch auf Säulen oder in Höhlen vor den Städten (Abb. 3). Sie qualifizierten sich durch asketische Lebensweise, karitative Hilfsbereitschaft und visionären Rat. Nach ihrem Tod wandelten sich Grab und Wirkstätte oftmals in Pilgerziele. Märtyrer, die sich als standhaft erwiesen hatten, Bischöfe, Asketen, Frauen wie Männer, auch Kinder, ganze Gruppen wurden an ihren Gräbern verehrt, weil innerhalb der Gemeinschaft eine Übereinkunft bestand, dass diese Personen Übermenschliches geleistet hatten und hierfür die Gnade der Gegenwart Gottes erfuhren. Dieser Konsens hinsichtlich der Heiligkeit einer Person äußerte sich zunächst auf lokaler Ebene: durch die Verehrung am Jahrestag des Todes und, nichtchristliche Kultbräuche fortführend, die Abhaltung eines Gedächtnismahls am Grab des Verehrten. Aus dieser Praxis entwickelten sich die ersten lokalen Heiligenkalender, Verzeichnisse, wessen wann zu gedenken sei.7 Der Eintrag eines Namens und eines Todestags in ein solches Martyrologium war der erste Schritt zu kodifizierter Heiligkeit, zu institutionalisierter Verehrung. Diese lokalen Martyrologien wurden bereits seit dem 4. Jh. zu umfassenden Verzeichnissen zusammengefasst, die den Anspruch stellten, überregional alle Heiligen zu erfassen.8

Thessaloniki und Sirmium: Woher kommt der heilige Demetrios?

Wer heute nach den Qualitäten und Kriterien fragt, die damals einen Heiligen ausmachten, der erfährt etwas über vergangene Gesellschaften: über alltägliche Probleme, Krankheiten, Bedrohungen, Ängste und Hoffnungen. Der lernt etwas über Bedürfnisse bestimmter Personen, bestimmter Personengruppen aus den verschiedensten Segmenten der Gesellschaft. Wer hingegen nach der Historizität von Heiligen fragt, der läuft Gefahr, an einer gläsernen Wand zwischen beweisbarer Tatsache und Geglaubtem entlangzulaufen. Seit es den Heiligen- und Reliquienkult gibt, wandten sich kritische Geister gegen die Vorstellung, ein Heiliger sei in seinen Knochen vorhanden. Was für die einen Ausbund abwegiger Kultpraxis war, war für die anderen sichtbarer Beleg für Standhaftigkeit und Martyrium der Urchristen in einem heidnischen Umfeld. Man kann die Knochensplitter und ihre Verehrung mit rationalen Argumenten infrage stellen oder ebenso energisch den vergeblichen Versuch eines Echtheitsbeweises unternehmen  – beides wird nie den Heiligen widerlegen oder bestätigen können. Was diese unendliche Debatte jedoch zeigt, ist: es gibt in unserer Mitte einen Bereich, der sich einer naturwissenschaftlichen Erschließung entzieht – eben weil er erdacht und erwünscht ist und weil sich diese Wünsche und Ideale in Personen konkretisieren, deren Vorbildhaftigkeit sie über die Menschen hinaus in den Bereich des Numinosen hebt. Der Heilige ist das vollkommene Ziel in einer unvollkommenen Welt.

Wer war der hl. Demetrios von Thessaloniki? Wer aber war der hl. Demetrios von Thessaloniki? Konsultiert man einschlägige Lexika unter dem Stichwort ›Demetrius‹, so erfährt man, dass es sich bei diesem Heiligen um den Stadtpatron Thessalonikis handelt, seine Verehrung auf das 5. Jh. zurückgeht, er ein bedeutender byzantinischer Soldatenheiliger war, aber auch in der römisch-katholischen Kirche als Märtyrerheiliger anerkannt wird. Weiter liest man, er habe wohl im Jahre 304 unter Kaiser Maximian im pannonischen Sirmium das Martyrium erlitten, seine Thessaloniker Herkunft sei somit gar nicht gesichert. Sein Fest 2  Seligsprechung Papst Johannes Pauls II. am 1. Mai 2011 auf dem Petersplatz in Rom. In der Spät­antike gab es kein geordnetes Kanonisations­ verfahren. Am ehesten entsprach die Aufnahme in Heiligenkalender, sog. Martyrologien, einer offiziellen, überregionalen Anerkennung als Heiliger.

Wer war der hl. Demetrios von Thessaloniki?

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3  Basaltrelief des 6. Jhs. mit Darstellung des hl. Simeon Stylites. Der Heilige

lebte auf einer Säule, von wo er den zahlreichen Pilgern Ratschläge erteilte. Das Relief zeigt einen Mönch mit Weihrauchgefäß, der die Leiter zur Säulenspitze mit dem Heiligen emporsteigt (Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Bode-Museum).

wird in der orthodoxen Kirche am 26. Oktober gefeiert, in der katholischen Kirche hingegen am 9. April.9 Diese Informationen sind ein Kompilat aus verschiedensten Quellen, teils historischer, teils hagiographischer Natur, die ein ebenso uneinheitliches wie unzureichendes Bild von dem Heiligen, vor allem aber von der Entstehung seines Kults vermitteln. Insbesondere die Frage, ab wann die Demetriosverehrung greifbar ist und wo sie ihren Ausgangspunkt nahm, wird in der Fachwelt intensiv diskutiert. Dabei stehen sich  – bei aller notwendigen Differenzierung  – im Wesentlichen zwei Blöcke gegenüber: eine Thessaloniker Lokalforschung, die dazu tendiert, den Demetrioskult früh anzusetzen, und eine eher kritisch eingestellte auswärtige Forschung, die gesicherte Hinweise auf eine Verehrung des Heiligen in Thessaloniki erst vergleichsweise spät sieht. Hinzu kommt, dass die Untersuchung der Frühgeschichte des Kults mit einem großen Problem zu kämpfen hat. In den frühen Überlieferungen tauchen zwei Heilige dieses

Thessaloniki und Sirmium: Woher kommt der heilige Demetrios?

Namens auf, ein heiliger Diakon, der in Sirmium, dem heutigen Sremska Mitrovica in Serbien, wirkte und starb, und der hl. Demetrios von Thessaloniki. Der Versuch einer Klärung des komplexen Problems der Herkunft des Heiligen konfrontiert uns mit einer Reihe von historischen, vor allem aber überlieferungsgeschichtlichen Fragen. Nach Ausweis früher Martyrologien ist der hl. Demetrios von Sirmium der ältere, lässt sich die Verehrung eines Heiligen dieses Namens hier früher belegen als in Thessaloniki. Ein syrischer Märtyrerkalender des Jahres 411, der auf ein noch älteres griechisches Verzeichnis aus der Zeit vor 360 zurückgreift, nennt für den 9. April ἐν Σιρμίῳ Δημήτριος – in Sirmium Demetrius –, während in dem zwischen 431 und 450 in Rom verfassten Martyrologium Hieronymianum – ebenfalls für den 9. April  – in Sirmia Demetri diaconi vermerkt wird.10 Bei dem pannonischen Demetrios handelte es sich somit um einen Diakon. Hinweise auf einen Demetrios von Thessaloniki fehlen in diesen frühen Kalendern, obwohl durchaus andere Heilige dieser Stadt genannt werden.11 Verlässliche quellenschriftliche Hinweise auf einen Thessaloniker Heiligen dieses Namens erhalten wir erst viel später. Die älteste gesicherte Erwähnung findet sich in einer stark fragmentierten Inschrift aus der Regierungszeit Justinians I. (527–565), die im osmanischen Bodenbelag des äußeren nördlichen Seitenschiffs von Hagios Demetrios gefunden wurde. Sie erwähnt neben dem Kaisernamen und der Titulatur auch einen Märtyrer Demetrios und ein »ehrwürdiges Haus« (Abb. 4).12 Der genaue Inhalt der Inschrift lässt sich aufgrund des Erhaltungszustands nicht mehr klären. Man hat vermutet, es handle sich bei dem Fragment um den Rest einer Bauinschrift des Stifters Justinian, in der von einer künftigen Verehrung (προσευξόμενοι) die Rede ist.13 Doch ist dies aufgrund der geringen Ausmaße der Inschriftentafel eher unwahrscheinlich.14 Wahrscheinlicher ist es, dass die Inschrift im Zusammenhang mit einer kaiserlichen Schenkung angefertigt wurde, die Kirche des Heiligen in Thessaloniki zum Zeitpunkt der Anfertigung der Inschrift also schon existierte. Frühere gesicherte Verweise auf einen hl. Demetrios aus Thessaloniki fehlen. Man hat eine Erwähnung Thessalonikis in der um 450 verfassten Vita des Hypatios als indirekten Hinweis auf den hl. Demetrios gewertet. Hier wird die Stadt neben Jerusalem, Ägypten, Rom, Syrien und Asien als Pilgerzentrum erwähnt.15 Doch fehlt eben jeder Hinweis auf den hl. Demetrios, der – so er überhaupt schon in Thessaloniki verehrt wurde  – zu diesem Zeitpunkt kaum

Wer war der hl. Demetrios von Thessaloniki?

überregionalen Ruhm genossen haben dürfte. Der Heilige wird selbst dann nicht genannt, wenn man eine Erwähnung erwarten würde. In Malchos’ Bericht von der Belagerung Thessalonikis durch die Goten im Jahre 479 taucht Demetrios nicht auf, obwohl das Abwehren von Feinden später zu seiner ›Hauptaufgabe‹ werden sollte.16 Bilder des Heiligen findet man in Thessaloniki erst im 6. Jh., und eine der ältesten Demetriosdarstellungen überhaupt führt weit weg von Thessaloniki, nach Ravenna, in die Kirche San Apollinare Nuovo (Abb.  1).17 Hier ist er in einem Mosaik, das nach 561 angefertigt wurde, in einer Prozession zahlreicher Märtyrer zu sehen. Doch ist diese Heiligendarstellung mit der Beischrift SCS DEMITER insofern ambivalent, als sie den Heiligen nicht in seiner später üblichen Tracht, der Chlamys, zeigt, sondern wie die anderen hier dargestellten Heiligen im weißen Pallium.18 Daher lässt diese Darstellung keinen Schluss zu, ob es sich um den Diakon aus Sirmium oder den hohen Beamten aus Thessaloniki handelt. Wie aber ist diese merkwürdige Überlieferungssituation zu bewerten? Und wie ist die Doppelung des hl. Demetrios zu erklären? Handelt es sich um zwei verschiedene Heilige, deren Kulte sich unabhängig voneinander etabliert hatten? Oder ist von einem Heiligen auszugehen, der an beiden Orten in unterschiedlicher Form verehrt wurde? Hippolyte Delehaye zufolge habe der Demetrioskult seinen Ursprung in Sirmium genommen. Dann sei der Heilige nach Thessaloniki transferiert worden, was auch das Fehlen einer frühen Verehrung in Thessaloniki erklären würde.19 Dass es sich ursprünglich um einen Diakon handelte, habe man vergessen; aus Demetrios sei im Laufe der Zeit ein hoher Beamter geworden, der aus Thessaloniki stammte. Anlass für die Überführung des Heiligen nach Thessaloniki könnte die Eroberung Sirmiums durch die Hunnen im Jahre 441 gewesen sein (Abb. 5).20 Zu diesem Zeitpunkt hatte man den Sitz der Präfektur des Illyricum von Sirmium nach Thessaloniki verlegt.21 Auch die beiden divergierenden Festtage des Heiligen ließen sich so erklären. Der noch heute gültige orthodoxe Festtag des Heiligen, der 26. Oktober, markiere den Tag der Überführung des Heiligen nach Thessaloniki, während der schon in den frühen Martyrologien überlieferte 9. April der Tag des Martyriums des Heiligen in Sirmium sei.22 Mit dieser Annahme tat sich vor allem die griechische Forschung schwer, da Demetrios zu einem Importheiligen aus dem Balkanraum degradiert und ihm seine Thessaloniker Identität genommen wurde. Daher betonte man die

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4  Fragment einer Inschrift aus der Regierungszeit Justinians (527 – 565) mit ­ ennung des hl. Demetrios und eines »ehrwürdigen Hauses«. Die Inschriften­ N tafel wurde in osmanischer Zeit als Bodenbelag im äußeren nördlichen Seiten­ schiff von Hagios Demetrios wiederverwendet (Hagios Demetrios, Museum in der Ostkrypta).

Historizität des Heiligen, die Faktizität seines Martyriums im Jahre 304.23 Zugleich entwarf man als Antwort hierauf das Szenario zweier unabhängiger Märtyrerkulte, die erst nach und nach miteinander verschmolzen wurden.24 Ursprünglich habe es zwei verschiedene Heilige gegeben, einen Demetrios von Thessaloniki und einen Demetrius von Sirmium, dieser ein Diakon, jener nach Ausweis späterer Passionsberichte hoher Beamter aus senatorischer Familie.25 Nach der Eroberung Sirmiums durch die Hunnen im Jahre 441 sei der dortige Demetrioskult erloschen und erst in justinianischer Zeit, als Sirmium wieder kurzfristig zum byzantinischen Reich gehörte, erneuert worden – diesmal jedoch nach dem Vorbild des Demetrios aus Thessaloniki.26 Zwar erklärt diese These besser die Entstehung zweier verschiedener Demetriosgestalten, eines Diakons und eines hohen Beamten, doch müsste man dann die sehr unwahrscheinliche Verehrung zweier gleichnamiger Heiliger in zwei Städten derselben Präfektur voraussetzen.27

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5 Unter der Herrschaft des Königs Attila fielen die Hunnen in den Balkanraum ein. Im Jahre 441 wurde die Stadt Sirmium erobert, wo sich bereits im frühen 5. Jh. ein Demetrioskult etabliert hatte. Als Folge der Eroberung wurde der Sitz des Präfekten des Illyricum von Sirmium nach Thessaloniki verlegt. Vermutlich transferierte man aus diesem Anlass auch den Heiligen.

Die Überführung eines pannonischen Demetrios nach Thessaloniki besitzt durchaus hohe Wahrscheinlichkeit, wie jüngst Peter Tóth zeigen konnte, der als erster nach vergleichbaren Heiligentranslationen im pannonischen Raum suchte.28 Und in der Tat: Die Überführung von Heiligen in Erwartung von Barbareneinfällen ist kein Einzelfall. Der hl. Quirinus, Bischof von Siscia, dem heutigen Sisak in Kroatien, wurde im frühen 5. Jh. angesichts der Hunneninvasion nach Rom transloziert. Der hl. Hermagoras, der berühmte Urbischof von Aquileia, wurde in Sirmium hingerichtet und gelangte ebenfalls erst im frühen 5. Jh. über Belgrad in die Adriastadt. Die hl. Anastasia, die ebenfalls in Sirmium das Martyrium erlitt, wurde erfolgreich in Rom eingebürgert, wobei ihr die Existenz einer älteren Titelkirche dieses

Thessaloniki und Sirmium: Woher kommt der heilige Demetrios?

Namens zugutekam. Nach Rom gelangten auch die pannonischen Bildhauer Claudius, Nicostratus, Simpronianus und Castorius, besser bekannt als die hll. vier Gekrönten, wo ihre Legende mit der von vier lokalen Soldatenheiligen verknüpft wurde.29 Ähnliches mochte auch dem hl. Demetrios widerfahren sein: eine Translation angesichts höchster Gefahr in die Stadt Thessaloniki, deren Bevölkerung sich des Heiligen nach und nach bemächtigte, ihn durch Erzählungen von einer lokalen Abkunft, Hinrichtung und Bestattung einbürgerte und nach ihren Bedürfnissen umformte.

Die Passionsberichte des hl. Demetrios Die auffallende Rivalität zwischen Sirmium und Thessaloniki ist immer wieder Thema späterer hagiographischer Legenden. Diese Quellen müssen mit größter Vorsicht herangezogen werden. Ihrer Natur nach sind Heiligenlegenden bestrebt, Märtyrern einen Ursprung, eine Geschichte zu attestieren, die oftmals bis in die Zeit der Christenverfol-

Die Passionsberichte des hl. Demetrios

gungen reicht. Dabei warten die Geschichten mit ›Informationen‹ auf, die Authentizität suggerieren, keinesfalls aber authentisch sein müssen. Die Überlieferung zu Leben, Passion und Tod des hl. Demetrios wird in drei Varianten geschieden, eine Passio Prima, eine Passio Altera und eine späte Passio Tertia.30 Das zeitliche Verhältnis der Texte zueinander ist nicht unumstritten; mehrheitlich wird aber von folgender Abfolge ausgegangen:31 Die Passio Prima dürfte auf einen vergleichsweise frühen Text zurückgehen, der vielleicht schon gegen Ende des 6. Jh. im Umlauf war. Von ihm hängen mehrere erhaltene Varianten ab, eine lateinische Version, die 876 von Anastasius Bibliothecarius für Karl den Kahlen (875 – 877) angefertigt wurde, eine griechische Version, die Patriarch Photios (858 – 867; 878 – 886) für seine Bibliothek kompiliert hatte, sowie ein weiteres anonymes Manuskript.32 Diesen Erzählungen zufolge wurde Demetrios, ein eifriger Christ, von Kaiser Galerius (293 – 311)33 im Heizraum der Thermen von Thessaloniki eingekerkert, um sich später dem Gladiator Lyaios im Kampf zu stellen. Doch zuvor musste Nestor, ebenfalls Christ, gegen ebendiesen Lyaios antreten und besiegte den vermeintlich Unbesiegbaren – Demetrios hatte ihn vom Kerker aus mit Gebeten unterstützt. Erbost über diesen Zwischenfall ließ der Kaiser den Wundertäter mit Lanzen töten. Später bewirkte Demetrios am Ort seines Martyriums Wunder, woraufhin ein Präfekt namens Leontios dem Heiligen eine Kapelle errichten ließ. In dieser frühen Passionsvariante spielt Demetrios noch eine vergleichsweise bescheidene Rolle; alles konzentriert sich auf Nestors Kampf gegen Lyaios.34 Dies hat sogar zur Vermutung geführt, dass eine unabhängige Nestorerzählung erst nachträglich in die Demetriospassion eingefügt wurde.35 Die Passio Altera dürfte im 9. oder 10. Jh. entstanden sein.36 Sie unterscheidet sich von der älteren Version durch die Einfügung weiterer Legenden, welche die Bedeutung des hl. Demetrios gegenüber den anderen Protagonisten steigern. Demetrios wird nun als Mitglied einer senatorischen Familie in Thessaloniki beschrieben, als hochrangiger Offizier der Armee, ›Prokonsul‹ von Hellas und schließlich Konsul. Er wurde festgenommen, nachdem er öffentlich auf der Agora und in den Thermen gepredigt hatte, und schließlich dazu verurteilt, im Stadion gegen Lyaios zu kämpfen. Dieser gilt nun als Vandale, der seine Karriere als Gladiator in Sirmium begonnen hatte, bevor er nach Thessaloniki kam. Während Demetrios auch in der Passio Prima im Heizraum der Thermen eingekerkert war, wurde er laut dem jüngeren

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Bericht dort zudem von einem Skorpion angegriffen, den er aber mit dem Zeichen des Kreuzes tötete. Daraufhin stieg ein Engel herab und bekrönte den Heiligen mit einem Kranz. Nestor, der hier als Schüler des Demetrios beschrieben wird, besuchte diesen im Gefängnis und bot an, an seiner Statt gegen den Gladiator anzutreten. Demetrios betete nun für den Sieg seines Schülers, und tatsächlich: Nestor besiegte Lyaios, woraufhin ihn Kaiser Galerius aus Wut köpfen ließ. Als der Herrscher erfuhr, dass Nestors Erfolg auf Gebete des Demetrios zurückging, ließ er diesen durch Lanzen töten. Gegen Ende der Passio Altera wird der hl. Lupos eingeführt, auch er ein Schüler des Demetrios. Er soll neben dem blutgetränkten Orarion, also der Stola eines Diakons, auch den Ring des Heiligen an sich genommen haben, den er in das Demetriosblut tauchte und mit dem er Heilungswunder vollbringen konnte. Die Wunder, die sich bald am Ort der Hinrichtung des Demetrios ereigneten, machten den Heiligen bald im ganzen Land bekannt. Wie die Passio Prima berichtet auch die Passio Altera von der Heilung des Präfekten Leontios, der aus Dank dem Heiligen einen ersten Kirchenbau zwischen den Thermen und dem Stadion stiftete. Da dieser wenig später nach Pannonien aufbrechen musste, wollte er Körperreliquien des hl. Demetrios mitnehmen, um sie in eine Kirche zu überführen, die er in Sirmium zu Ehren des Heiligen zu errichten gedachte. Doch erschien ihm der hl. Demetrios im Traum und hielt ihn davon ab, sich an den Körperreliquien zu vergreifen. Und so beschränkte sich Leontios auf die Fortnahme der blutgetränkten Chlamys und einen Teil des Orarions. Diese Kontaktreliquien sicherten die gefährliche Überfahrt über die Donau und wurden schließlich in der neuerrichteten Demetrioskirche von Sirmium beigesetzt (Text 1).37 Die beiden Passionsberichte führen vor Augen, dass die merkwürdige Doppelung des hl. Demetrios nicht nur für die moderne Forschung ein schwer zu lösendes Problem ist. Bereits die frühmittelalterlichen Hagiographen suchten eine Erklärung für das Auftauchen zweier Heiliger desselben Namens in Thessaloniki und Sirmium und konstruierten Geschichten, in denen beide Städte miteinander verknüpft wurden. Der Hinweis in der Passio Altera, Lyaios habe vor seiner Gladiatorentätigkeit in Thessaloniki schon in Sirmium zahlreiche Gegner besiegt, ist nur als Antagonismus zwischen den beiden Städten erklärbar.38 Äußerst subtil lassen die Autoren der Passionserzählungen Demetrios für den Sieg Nestors in der Arena beten, und siehe da: Was in

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Sirmium nicht möglich war, nämlich den christentötenden Gladiator zu überwinden, das gelang offenbar in Thessaloniki. In Sirmium, so suggerieren es die Autoren, habe es eben keinen hl. Demetrios gegeben, der aus dem Verlies heraus für die Christen in der Arena betete!

Der Prätorianerpräfekt Leontios Die Erzählung in der Passio Altera darf man somit nicht als reine Fiktion abtun, spiegelt sich in ihr doch eine – offenbar historische  – Konkurrenz zwischen Thessaloniki und Sirmium, die mit dem Ursprung des hl. Demetrios zu tun hat.

Thessaloniki und Sirmium: Woher kommt der heilige Demetrios?

Dafür spricht auch, dass sich in der Stadt an der Save im Mittelalter eine Demetrioskirche nachweisen lässt – ganz wie in der Passio Altera erwähnt.39 Die Episode von der Translation der Demetriosreliquien nach Sirmium ist somit nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern gründet auf der Tatsache, dass es im Frühmittelalter in beiden Städten, Thessaloniki wie Sirmium, einen Demetrioskult gegeben hat.40 Was also hat es mit der Rivalität zwischen beiden Städten auf sich, und welche Rolle spielt dabei der Prätorianerpräfekt Leontios? In diesem Zusammenhang sind vor allem jene Passagen von Bedeutung, in denen von der Errichtung einer Demetrioskirche in Thessaloniki die Rede ist.41 In der anonymen

1  Der Präfekt Leontios lässt dem hl. Demetrios in Thessaloniki eine Kirche errichten, bevor er nach Sirmium aufbricht: Nachdem aber der Irrtum der Götzendienerei bereinigt und der lebensspendende und reine orthodoxe Glauben der Christen mit Glanz erfüllt war, wurde ein gewisser Leontios, der das Amt des Präfekten von Illyricum innehatte, von einer unheilbaren Krankheit befallen, während er durch das Gebiet der Daker reiste. Er wurde von seinen Begleitern auf einer Sänfte zur Stadt der Thessaloniker gebracht, wo er im ehrwürdigen Kirchenraum (σηκός) niedergelegt wurde, in dessen Untergrund sich die Gebeine des Heiligen befanden. Unmittelbar nachdem er auf das heilende Grab gelegt worden war, gewann er seine Gesundheit zurück, was sowohl bei ihm als auch bei seinen Begleitern Verwunderung über den raschen Besuch des Märtyrers hervorrief und dazu führte, dass sie ihre Dankbarkeit gegenüber Gott und gegenüber dem stets ruhmreichen Märtyrer Demetrios bekundeten. Daher ließ er sofort den überwölbten Bereich der Heizöfen und das Warmwasserbad reinigen, indem er die öffentlichen Säulenhallen und Läden abreißen ließ, die sich hier befanden. Hier ließ er zwischen dem öffentlichen Bad und dem Stadion dem Märtyrer ein allverehrtes Haus errichten und dieses reich ausstatten. Nachdem er beschlossen hatte, nach Illyricum aufzubrechen, wollte Leontios einige Reliquien des Märtyrers mit sich nehmen, um sie in einer Kirche niederzulegen, die er dort im Namen des Heiligen errichten würde. Jedoch erschien ihm in der Nacht der stets ruhmreiche Märtyrer Demetrios und hielt ihn von der Entnahme der Reliquien

ab. Daher nahm Leon­tios dessen Chlamys, die mit dem Blut des Heiligen getränkt war (χλαμὺς αὐτοῦ ἣ ἐκ τῶν ἁγίων αἱμάτων πεφυρμένη), sowie Teile des Orarions (μέρος τοῦ ὀραρίου) und bettete diese in ein eigens angefertigtes Silberreliquiar. Während seiner Reise erhob sich ein gewaltiger Sturm, sodass die Donau derart anschwoll, dass ein Übersetzen mit Schiffen unmöglich war. Der Sturm dauerte für einige Tage an und machte den Präfekten unwillig. Daraufhin sah Leontios den stets ruhmreichen Demetrios, der zu ihm Folgendes sprach: »Befreie dich von deinem Unglauben und Kleinmut. Nimm, was du mit dir führst und setze ohne Zögern über.« Am nächsten Morgen bestieg Leontios das Schiff, während er in seinen Händen das ehrwürdige Behältnis hielt, und konnte so den Fluss unversehrt überqueren. Nachdem er in Sirmium angekommen war, ließ er das heilige Behältnis mit den darin befindlichen Schätzen in der allverehrten von ihm zu Ehren des heiligen Märtyrers Demetrios errichteten Kirche niederlegen, die sich neben der ehrwürdigen Kirche der siegreichen Märtyrerin Anastasia befand. Und der Herr bewirkte Wunder und heilte zahlreiche Menschen entlang der Straße, wo sich die Wägen und Lasttiere aufhielten, durch die Gnade und Erbarmen und Menschenliebe unseres Herrn Jesus Christus, dem die Ehre und die Macht gehört, jetzt und immerdar und in Ewigkeit. Amen. (Passio Altera, PG 116, 1181 u.1184. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)

Der Prätorianerpräfekt Leontios

Variante der Passio Prima wird Leontios wie folgt eingeführt:42 »… Leontios, ein gottgeliebter Mann, ließ, während er den Sitz der Präfektur des Illyricum zierte, die Behausung (οἰκία), welche den heiligen Leib umschloss und von sehr kleiner Gestalt war, säubern, da sie mit Schutt bedeckt war. Er erweiterte den Bereich zwischen dem öffentlichen Bad und dem Stadion, wo sich die Anlage befand, und ließ eine Kirche errichten, wobei er der Stadt der Thessaloniker einen heimischen Märtyrer und Bürger brachte sowie eine ruhmreich verzierte Kirche, in der die Gebete erhört werden.« In der bei Photios überlieferten Variante der Passio Prima wird Leontios hingegen als künftiger Präfekt charakterisiert.43 In der lateinischen Fassung der Passio Prima heißt es wiederum, der Präfekt Leontios habe ein bescheidenes Haus, das den Leib des Märtyrers beherbergte, zusammen mit engen Säulenhallen einer Therme und eines Stadiums abreißen lassen, um ein oratorium für den Heiligen zu errichten.44 Die ausführlichste Schilderung stammt aus der späteren Passio Altera: Der sieche Leontios wurde »… auf einer Sänfte zur Stadt der Thessaloniker getragen, wo er im ehrwürdigen Kirchenraum niedergelegt wurde, in dessen Untergrund sich die Gebeine des Heiligen befanden.« Nach seiner Heilung erwies er Demetrios seinen Dank, indem er »den überwölbten Bereich der Heizöfen und des Warmwasserbads reinigen ließ, indem er die öffentlichen Säulenhallen und Läden abreißen ließ, die sich hier befanden. Hier ließ er zwischen dem öffentlichen Bad und dem Stadion dem Märtyrer ein allverehrtes Haus errichten und dieses reich ausstatten.«45 Ist dieser Leontios eine fiktive Person oder lässt sich in der Spätantike ein bekannter Träger dieses Namens identifizieren? Schon früh wurde vorgeschlagen, der Leontios der Passionsberichte sei mit einem Präfekten der Provinz Illyricum zu identifizieren, der im Codex Theodosianus genannt wird und sein Amt im Jahr 412/13 innehatte.46 Dieser Identifizierung schenkte man anfangs gerne Glauben, hatte man doch damit einen festen Anhaltspunkt für die Datierung der Demetrioskirche in Thessaloniki. Allmählich war es aber unter Bauhistorikern und Kapitellforschern zur Gewissheit geworden, dass die heutige fünfschiffige Querhausbasilika nicht so früh entstanden sein kann.47 Folglich müsste man annehmen, der Leontios der Passionsberichte sei ein nicht weiter bekannter hoher Beamter aus der zweiten Hälfte des 5. Jh.48 Dieser habe einen älteren Vorgängerbau aus dem 4. Jh. abgerissen und die heute noch erhaltene Kirche gestif-

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tet.49 Prosopographisch ist erst wieder für die Zeit um 510 ein möglicher Kandidat gleichen Namens überliefert, doch war dieser ein praefectus praetorio per Orientem und nicht der eigentlich zuständige praefectus praetorio per Illyricum, der in Thessaloniki seinen Sitz hatte.50 Die Angelegenheit wird noch durch den Eintrag in der bei Photios überlieferten Version der Passio Prima verkompliziert, demzufolge die Demetrioskirche von Thessaloniki vor Antritt der Präfektur errichtet worden sei. Leontios hätte somit zu Beginn des 6. Jh. die Demetrioskirche in Thessaloniki stiften und erst dann die Prätorianerpräfektur bekleiden können. 535 sei er schließlich in einer anderen offiziellen Funktion nach Sirmium gereist, habe Demetriosreliquien in diese Stadt gebracht und dort eine Kirche dieses Heiligen errichtet.51 Aber ist das wirklich wahrscheinlich? Oder ist dies nicht eher der zwanghafte Versuch, hagiographische Überlieferung bis ins Detail historisch plausibel zu machen? Während eine Stiftung der Demetrioskirche in Thessaloniki durch einen hohen Beamten namens Leontios nicht völlig unwahrscheinlich ist, so scheint die Erzählung von der Reise nach Sirmium fiktiv und von der Absicht geprägt, den Ursprung der Verehrung des Heiligen in Thessaloniki zu verorten und die Demetrioskirche in Sirmium als Ableger des Thessaloniker Kults darzustellen.52 Dafür sprechen einige Ungereimtheiten in der Passio Altera: Zum einen musste man, um von Thessaloniki nach Sirmium zu gelangen, nicht die Donau überqueren,53 und zum anderen erwecken die von Leontios mitgeführten Reliquien Verdacht: die blutgetränkte Chlamys und ein Teil des Orarions des Heiligen. Der hl. Lupos habe Demetrios nach seiner Hinrichtung das blutige Orarion abgenommen, das dann wenig später zusammen mit der Chlamys als Reliquie begegnet, die Leontios nach Sirmium transferieren ließ.54 Diese beiden Reliquien sind jedoch unvereinbar, denn die Chlamys war das zivile Kleidungsstück hoher Beamter, während das Orarion eine Stola war, die nur von geweihten Klerikern getragen wurde.55 Der Thessaloniker Beamte Demetrios kann nie ein Orarion getragen haben und wird auch – später – stets in Chlamys dargestellt. Umgekehrt wäre es für den Diakon Demetrios von Sirmium unmöglich, ein Beamtengewand zu tragen. Hier also muss dem Verfasser der Passio Altera  – bewusst oder unbewusst  – ein Fehler unterlaufen sein, wobei sich in diesem Irrtum eben die Verschmelzung zwischen dem Beamten und dem Diakon widerspiegelt: Vermutlich hatte sich in Sirmium der Kult, mindestens aber die Erinnerung

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an einen älteren Kult des Diakons Demetrios erhalten. Der Verfasser der Passio Altera jedoch suggeriert mit seinem fiktiven Reisebereicht und dem Reliquientransfer, der Demetrioskult habe seinen Ausgang in Thessaloniki genommen.56 Mehr und mehr gewinnt man den Eindruck, als habe man sich in Thessaloniki bewusst der Behauptung erwehrt, der hl. Demetrios stamme überhaupt nicht aus der eigenen Stadt. Das aber macht es sehr wahrscheinlich, dass an dieser Behauptung etwas dran war, dass der Thessaloniker Stadtheilige seinen Ursprung im pannonischen Sirmium hatte. Dort – so viel steht fest – muss es spätestens im frühen 5. Jh. eine  – wenn auch bescheidene  – Verehrungsstätte des Diakons Demetrius gegeben haben. Und von hier dürfte der Heilige im Laufe des 5. Jh. nach Thessaloniki transferiert worden sein, um dort allmählich als Beamter ›Karriere‹ zu machen. Das bedeutete jedoch nicht das Ende des Demetrioskults in Sirmium. Vielleicht kam er mit der Eroberung der Hunnen im Jahre 441 zeitweise zum Erliegen, vielleicht lief der Kult auf bescheidenem Niveau weiter. Jedenfalls gab es hier später eine Demetriuskirche, die an die Ursprünge des Kults anknüpfte. Offensichtlich ist jedoch: Die Stadt Thessaloniki, die im Gegensatz zu Sirmium das Glück hatte, nicht von Feinden erobert zu werden, setzte mit Erfolg die Priorität ihres eigenen Heiligen durch und degradierte Sirmium zur Stätte eines Filialkults.57 Und unser Leontios, der durchaus an der Stiftung der Thessaloniker Kirche beteiligt gewesen sein mochte, wurde in der Passio Altera zum willkommenen Vehikel einer fiktiven Übertragung des Demetrioskults nach Sirmium, um endgültig den Thessaloniker Anspruch auf einen Heiligen namens Demetrios zu untermauern.

Thessaloniki und Sirmium: Woher kommt der heilige Demetrios?

Anmerkungen   1 http://en.wikipedia.org/wiki/Beatification_and_canonisation_of_

Pope_John_Paul_II.   2 Vgl. hierzu Marcus Sieger, Die Heiligsprechung. Geschichte und heutige

Rechtslage, Würzburg 1995, bes. 269 – 416 . Sieger, a. O. 41– 42 . Sieger, a. O. 57 – 68 . Sieger, a. O. 83 –113 . Vgl. hierzu Peter Brown, The Rise and Function of the Holy Man in Late Antiquity, Journal of Roman Studies 61, 1971, 80 –171 (wieder abgedruckt in: Peter Brown, Society and the Holy in Late Antiquity, Berkeley – Los Angeles 1982 , 103 –152).   7 Zu den frühen Heiligenkalendern vgl. Sieger, a. O. 14 – 32 , u. Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1997, 129 –132 .   8 S. hierzu Henri Leclercq, DACL X.2 , 1932 , 2523 – 2619 s. v. ›Martyrologe‹.   9 Vgl. etwa Konrad Onasch, LexMA III, 1986 , 686 – 689 s. v. ›Demetrios‹, hl.; Christian Hannick, LThK³ III, 1995, 82 s. v. ›Demetrios‹; Josef Myslivec, LCI VI, 1974, 41, s. v. ›Demetrius von Saloniki‹. Wesentlich differenzierter ist Raymond Janins Artikel ›Demetrio di Tessalonica‹ in der Bibliotheca Sanctorum IV, Rom 1964, 556 – 564. Das Todesjahr 304 ermittelte man durch die Angabe in den Passiones, er sei unter Maximian (= Gaius Galerius Valerius Maximianus) hingerichtet worden, der 303 und 304 von Sirmium aus Feldzüge gegen die Goten unternahm. 10 Martyrologium Syriacum p. 15; Martyrologium Hieronymianum p. 41. Das Martyrologium Syriacum ist die syrische Übersetzung eines griechischen Heiligenkalenders aus den Jahren vor 360, daher ist das griechische Zitat eine Rückübersetzung aus dem Syrischen: Patrologia Orientalis 10, 7 – 8; Skedros 1999, 11. Zu diesem Heiligenkalender René Aigrain, L’hagiographie: Ses sources, ses méthodes, son histoire, Brüssel 1953, 23 – 26; Knut Schäferdiek, Bemerkungen zum »Martyrologium Syriacum«, Analecta Bollandiana 123, 2005, 5 – 22 . Zum Martyrologium Hieronymianum s. Aigrain, a. O. 32 – 50. 11 Das syrische Martyrologium nennt die Thessaloniker Heiligen Fronto mit drei Gefährten (14. März), Chione und Agape (2 . April) sowie Theodulos und Agathopus (4. April): Martyrologium Syriacum p. 14. 12 IG 10 II 1, Nr. 23; Oikonomos 1918 ( Justinian I.); Soteriou 1952 , 230; Spieser 1973, 153 –154 Nr. 4 ( Justinian I.); Feissel 1983, 81– 82 Nr. 81: [—————Ἰουσ]τινιανὸς Ἀλαμανικὸς Γοτ[θικὸς] [———————] νικητ(ὴς) τροπαιοῦχ(ος) ἀεισέβασ[τος] [———— μάρτυρο]ς Δημητρίου τοῦ κατὰ τ[————] [———————σ]εβασμίῳ οἴκῳ κατὰ τη[—————] [————————] προσευξόμενοι τῷ Θ[(ε)ὦ ———] [————————]πρακτων τῶν δ[————————] [————————] πρᾶγμα ἐλαττω[————————] [————————]ειναι αὐτὰς τ[————————] [———————ἀν]ακωχῆς κα[——————————] [————————]ιναι του[———————————] [—————————]ιστ[——————————————] Die Inschrift wird heute in der Krypta unter der Hauptapsis von Hagios Demetrios aufbewahrt (Loverdou–Tsigarida 2006, 17 Nr.  2). Zur Inschrift zuletzt Fourlas 2012 , 117.   3   4   5   6

Anmerkungen

13 Speck 1993 , 382 . Oikonomos 1918 , 47 – 48 , schloss aus dieser For-

mulierung, Kaiser Justinian sei zur Verehrung des hl. Demetrios nach Thessaloniki gekommen. Melina Païsidou in: Anastasia Lazaridou (Hrsg.), Transition to Christianity. Art of Late Antiquity, 3rd–7th Century AD, New York 2011, 136 Nr. 97, vermutet aufgrund der Buchstabenform gar eine Datierung ins 7. Jh. Man habe im 7. Jh., nach der Wiederherstellung der Basilika, an Justinians I. Bemühungen um die Kirche Hagios Demetrios erinnern wollen. 14 Erhaltene Höhe: 54 cm; erhaltene Breite: 45cm; Dicke: 3cm; Höhe der Buchstaben: 3,5cm 15 Gerhardus J. M. Bartelink (ed.), Callinicos, Vie d’Hypatios (= Sources Chrétiennes 177), Paris 1971, c. 36 .7 p. 226: Ἀκούσαντες δὲ περὶ αὐτοῦ ἐν τῇ δύσει καὶ ἐν τῇ ἀνατολῇ ἔγραφον αὐτῷ ὡς πατρί, καὶ εὐλογίας ἀπέστελλον αὐτῷ ἀπὸ Ἱεροσολύμων καὶ Αἰγύπτου καὶ Συρίας καὶ Ῥώμης Ἀσίας τε καὶ Θεσσαλονίκης – »Man hörte, dass von ihm (Hypatios) im Westen wie im Osten geredet wurde, man schrieb ihm wie einem Vater und man sandte ihm Eulogien aus Jerusalem, Ägypten, Syrien, Rom, Asien und Thessaloniki«. Bakirtzis 1995 , 66 . Zur Frage des Pilgerwesens vgl. Bakirtzis 1995, 66 – 67; Skedros 1999, 42 – 48 , mit zahlreichen Quellenbelegen. 16 Malchos, fr. 18 (FHG IV, 125). Tafel 1839, xlvii. Interessanterweise bemerkt Malchos, die Einwohner Thessalonikis hätten kein Vertrauen mehr in den Prätorianerpräfekten gehabt, ihm den Schlüssel der Stadt weggenommen und diesen dem Bischof anvertraut, der nun die Verteidigung der Stadt organisierte. 17 Friedrich Wilhelm Deichmann, Ravenna, Hauptstadt des spätantiken Abendlands, I: Geschichte und Monumente, Wiesbaden 1969, 199 – 200 u. II.1: Kommentar, 1. Teil, Wiesbaden 1974, 149 –150. Zuletzt Deborah Mauskopf Deliyannis, Ravenna in Late Antiquity, Cambridge 2010, 146 –174. 18 Vgl. Deliyannis, a. O. 167 –168 . 19 Delehaye 1909, 106 –108 . Diese Vermutung hatte zuvor bereits Ernst Lucius geäußert: Lucius 1904, 227 Anm. 3 . 20 Vgl. auch Jacques Zeiller, Les origines chrétiennes dans les provinces danubiennes de l’Empire Romain, Paris 1918, 81– 83; Diehl – Le Tourneau – Saladin 1918, 61; Andreas Alföldi, Der Untergang der Römerherrschaft in Pannonien, II, Berlin – Leipzig 1926, 96 mit Anm. 1; Franjo Barišić, Čuda Dimitrija Solunskog kao istoriski izvori, Belgrad 1953 , 16 –17; Raymond Janin, Bibliotheca Sanctorum IV, Rom 1964, 557 s. v. ›Demetrio di Tessalonica‹; Rudolf Egger, Die Christianisierung der pannonischen Provinzen, Südost-Forschungen 22 , 1963, 9 –13, hier 11; Vickers 1974, 348 – 350. Vgl. Skedros 1999, 12 –13 . Zur spätantiken Geschichte von Sirmium s. Miroslava Mirković, Sirmium – its history from the Ist century A.D. to 582 A.D., in: Vladislav Popović (Hrsg.), Sirmium: Archaeological Investigations in Syrmian Pannonia, I, Belgrad 1971, 5 – 94, hier 47 – 48; Mirja Jarak, Martyres Pannoniae: The Chronological Position of the Pannonian Martyrs in the Course of Diocletian’s Persecution, in: Rajko Bratož (Hrsg.), Westillyricum und Nordostitalien in der spätrömischen Zeit, Ljubljana 1996, 263 – 289, hier 274 –176; Rajko Bratož, Verzeichnis der Opfer der Christenverfolgungen in den Donau- und Balkanprovinzen, in: Alexander Demandt – Andreas Goltz – Heinrich Schlange-Schöningen (Hrsg.), Diokletian und die Tetrarchie. Aspekte einer Zeitenwende (= Millenium Studien 1), Berlin 2004, 209 – 251, hier 217 – 218 . 21 Zur Verlagerung des Sitzes des Praefectus Praetorio s. Vickers 1973 , 293 , und Vickers 1974, 345 – 346 . Dass die Verlegung der Präfektur

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auch eine Verlegung des Kults nach sich zog, vermutete als erster Zeiller, a. O. 83 Anm. 3 . 22 Vickers 1974, 349. 23 Zuletzt hat Pantelis M. Nigdelis mit Nachdruck die These vertreten, bei Demetrios habe es sich um eine historische Person gehandelt, die 304 unter Kaiser Galerius hingerichtet worden sei (Nigdelis 2009). Seiner Ansicht nach erinnere die Schilderung des Kampfs Nestors gegen den Gladiator Lyaios in der Passio Altera p. 1176 B, vor allem die Erwähnung eines Pentathlons, an agonistische Wettkämpfe, die durchaus noch im frühen 4. Jh. hätten stattfinden können. So belegen Münzen und Inschriften Thessalonikis, dass die Stadt noch im 3 . Jh. nicht nur einen Kaiserkult besaß, sondern auch Veranstaltungsort überregionaler Wettkämpfe wie der Epinikien, Kabirien und Pythien war (Steimle 2008, 158 –163). Nestors Sieg im Ringkampf gegen den Gladiator Lyaios sei als historische Begebenheit zu werten, die sich im Rahmen der Pythien des Jahres 304 ereignet habe. Entsprechend habe auch die ebenfalls in der Passio Altera berichtete Hinrichtung des Demetrios im Jahre 304 tatsächlich stattgefunden. Nigdelis’ Argumentation krankt daran, dass er die Erwähnung von Zweikämpfen und von λοιπὰ τοῦ πεντάθλου als Indiz für Historizität ansieht. Doch könnte sich der Verfasser der Passio auch an älteren Berichten über Gladiatorenkämpfe orientiert haben, sich vielleicht sogar von einer populären Erzählung inspiriert haben lassen. Immer schon ist gesehen worden, dass die älteren Passiones Demetrios einen untergeordneten Rang einordnen und hier Nestor, Lupos und Lyaios eine viel größere Bedeutung eingeräumt wird (s. u. S. 33). Einen Beleg für die Historizität des Demetriosmartyriums kann man aus der Erzählung der Passio Altera keinesfalls ableiten. 24 So bereits Tafrali 1919, 65 Anm. 2 , und Soteriou 1952 , 9. Ausführlicher Pelekanides 1970 (1977), 306 – 309; Theocharidis 1976 , bes. 289 – 290; Theocharidis 1980, 59 – 66; Popović 1987, 100 –102; Skedros 1999, 17 – 40. 25 Skedros 1999, 17 und 27. 26 Skedros 1999, 28 – 29. 27 Die unklare Überlieferungssituation hat noch eine weitere These zur Entstehung des Demetrioskults hervorgerufen: David Woods (2000, 226 – 234) zufolge seien noch im 4. Jh. Reliquien der hll. Emeterius und Chelidonius aus Spanien nach Thessaloniki gelangt, und zwar ein Orarium, also ein Priestergewand, und ein Ring. Die Reliquien der beiden spanischen Heiligen seien von Kaiser Theodosius I. (378 – 395) nach Thessaloniki gebracht worden, wo ihr Kultort allmählich in Vergessenheit geriet, bis ein Praetorianerpräfekt namens Leontios hier als Dank für eine Heilung eine Kirche errichten ließ. Vermutlich habe er eine dort befindliche Inschrift falsch gelesen, und so sei aus dem hl. Emeterius der hl. Demetrios geworden (Bogdanovic 2011, 279, scheint die Geschichte umzudrehen: Ihr zufolge sei der Emeterius-Kult in Calahorra (Calagurris) in Spanien der Ableger des Thessaloniker Demetrioskults). Doch bietet auch diese These keine plausible Erklärung für die Entstehung des Demetrioskults in Thessaloniki. Denn wieso soll ein Kultort, der unter Theodosius I. in Thessaloniki etabliert wurde, so schnell vernachlässigt worden sein? Und wenn dies der Fall war, wieso wurde dann die Kirche genau an dieser Stelle errichtet? Vgl. auch die Kritik an Woods These bei Skedros 2000 und Tóth 2010, 153 –154. 28 Tóth 2010. 29 Tóth 2010, 154 –161, mit allen Belegen.

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Thessaloniki und Sirmium: Woher kommt der heilige Demetrios?

30 Zur Passio Tertia s. die folgende Anmerkung. 31 Zu den verschiedenen Versionen der Passiones s. Skedros 1999, 7 – 40

(mit Verweis auf die ältere Literatur). Die allgemein akzeptierte Chronologie und Textgeschichte wurde in jüngerer Zeit von Aristoteles Mentzos in Frage gestellt. Mentzos zufolge könne die kürzere Fassung die spätere Variante sein, die für die Verbreitung außerhalb Thessalonikis gedacht war: Mentzos 1994, 67 – 90; vgl. Skedros 1999, 64. Skedros zufolge habe es bereits in der Zeit zwischen 412 und 500 einen ausführlichen Text gegeben, welcher der Passio Altera und der Passio Tertia in etwa geglichen habe. Die Passio Prima sei später entstanden. Doch ist diese Annahme vor allem deshalb unwahrscheinlich, weil sich die Bedeutung des Demetrios in der späteren Textvariante reduziert hätte: Aus dem Hauptprotagonisten Demetrios der Passio Altera und der Passio Tertia wäre in einem zweiten Schritt in der Passio Prima ein weniger prominenter Akteur neben weiteren geworden. 32 Zur lateinischen Übersetzung des Anastasius Bibliothecarius s. u. S. 318 – 320. 33 Im Text wird der Kaiser immer Maximian genannt, doch ist damit Galerius gemeint, dessen voller Name Gaius Galerius Valerius Maximianus lautete. 34 Vgl. Delehaye 1909, 105; Skedros 1999, 9. 35 Walter 2003 , 230. 36 Da eine kritische Ausgabe der Passio Altera fehlt, ist die Datierung problematisch: Skedros 2000, 238; Mentzos 1994, 68 . 37 Bakirtzis 1997, 46 – 47; Skedros 1999, 18 –19. 38 Tóth 2010, 166 –169. Vielleicht – so Tóth – gelangten nach der erneuten Einnahme Sirmiums 582 durch die Awaren Byzantiner nach Thessaloniki und brachten die Kunde von einem Demetrioskult mit. Der Verfasser der Passio Altera versuchte die verschiedenen Erzählungen sinnvoll zu verknüpfen, indem er die Reise des Statthalters nach Sirmium konstruierte. 39 Johannes Kinnamos erwähnt im 12 . Jh. eine Demetrioskirche, die von einem Präfekten des Illyricum errichtet worden sein soll: Johannes Kinnamos, epit. V.8 p. 22710 –14 Meineke. Vgl. auch Jacques Zeiller, Les origines chrétiennes dans les provinces danubiennes de l’empire romain, Paris 1918 , 81– 83; Popović 1969, 674. Auch die in der Passio Altera erwähnte Anastasiakirche scheint es tatsächlich gegeben zu haben. Das Güterverzeichnis eines Demetrioskonvents in Sirmium aus dem Jahr 1193 – 96 erwähnt unter den Besitztümern des Klosters eine Kirche der Anastasia. Zur Bedeutung des Demetrioskults im hochmittelalterlichen Sirmium, das nach dem Heiligen in Sremska Mitrovica umbenannt wurde, s. auch Sima Ćirković, Civitas Sancti Demetrii, in: Sremska Mitrovica, Sremska Mitrovica 1969, 59 – 71. Ferner geriet eine dreischiffige Basilika, die im 5 . Jh. innerhalb der Stadtbefestigung Sirmiums errichtet wurde, in den Verdacht, eine Demetrioskirche aus der Zeit vor dem Hunnensturm zu sein: Miroslav Jeremić, Култне грађевине хришћанског Сирмиiјума, in: Sirmium i na nebu i na zemlji (1700 godina od stradanja hrišćanskih mučenika), Sremska Mitrovica 2004, 43 – 78 , hier 64 – 73; Vladislav Popović, Kyлт Cвeтoг Димитpиja Coлyнcкoг y Cиpмиjyмy и Paвeни, in: Sirmium – grad careva i mučenika, Sremska Mitrovica 2003, 279 – 289. Da jedoch konkrete Anhaltspunkte für ein Demetriospatrozinium fehlen, muss dies eine Hypothese bleiben. Wegen der Lage innerhalb der Stadtmauern handelt es sich vermutlich nicht um eine Coemeterialbasilika. Die Vermutung, der Präfekt Leontios habe die Kirche errichten lassen – wie in der Passio Altera erwähnt –, ist m. E. sehr

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unwahrscheinlich, da Identität und Datierung dieser Person sehr problematisch sind, wie im Folgenden ausgeführt wird. Es ist durchaus denkbar, dass die Passio Altera ältere Traditionen verarbeitet: Skedros 1999, 62 – 63; Theocharidis 1976, 280. Der um 1145 verstorbene Thessaloniker Bischof Niketas erwähnt den Reliquientransfer ebenfalls in seiner Schrift über die Wunder des hl. Demetrios und bemerkt dabei, die Angaben über den Prätorianerpräfekten Leontios stammten aus älteren Schriften (vgl. Fourlas 2012 , 149 –150). Niketas bemerkt, die Episode sei älter als die Wundersammlung des Bischofs Johannes. Die Miracula des Johannes stuft Niketas als jüngere und verkürzte Version ein, die inhaltlich aber der älteren Fassung entspricht: Niketas, Wunder p. 334 8 –15 Sigalas. Sigalas 1936, 322 . Zusammenfassung bei Vickers 1974, 341– 343; Skedros 1999, 30 – 32 . Vgl. ferner Tóth 2010, 164 –169. Passio Prima (anon.) p. 26222 – 2633 Delehaye. Passio Prima (Phot.) p. 2155 –11 Henry: »Ein gewisser Leontios, ein gottgeliebter Mann, der zu späterer Zeit den Sitz der Präfektur für das Illyricum erlangen sollte (χρόνοις ὕστερον τῆς ἐπαρχότητος), ließ den Bereich säubern, in dem sich die Reliquien des Heiligen befanden, und das weithin berühmte Haus des Märtyrers errichten, welches ein gnadenspendender Zufluchtsort nicht nur für die Stadt der Thessaloniker, sondern für alle aus der Umgebung ist.« Skedros 1999, 30 – 31. Passio Prima (lat.) p. 1172 B: »Leontios … ließ das Haus, in dem sich der heiligste Körper des Märtyrers befand, da es überaus bescheiden war und allseits bedrängt und eingeengt wurde von den Säulenhallen des öffentlichen Bads und des Stadiums, von allen Beeinträchtigungen befreien. Er ließ es säubern, um weitere Grundstücke erweitern und errichtete dort eine Kapelle zu Ehren des hl. Märtyrers Demetrios …«. Passio Altera p. 1181–1184. Cod. Theod. VII.4, 32 (17. 8 . 412) u. XII.1, 177 (16 . 4. 413). Cornelius Byeus, Acta Sanctorum 51, Oktober 4, 68; Tafel 1839, 116 Anm. 98 . Ebenso Texier – Pullan 1864, 123; Diehl – Le Tourneau – Saladin 1918 , 63 . Die Vermutung wurde jüngst auch von Aristoteles Mentzos aufgegriffen, dem zufolge es durchaus denkbar sei, dieser Leontios habe in seiner Eigenschaft als Präfekt der Provinz Illyricum eine Demetrioskirche in Thessaloniki gestiftet: Mentzos 1998, 200. Zu diesem Leontios: PLRE II, 668 (Leontius 5). – Überblick über die Diskussion und die verschiedenen Identifizierungsversuche bei Popović 1987, 99 –102; Skedros 1999, 32 – 36 . S. hierzu u. S. 106 –112 und Brenk 1994, 37. Auch Georgios Soteriou vermutete zunächst in dem Leontios des Jahres 412/13 den wahrscheinlichsten Kandidaten für den Bau der Kirche (Soteriou 1918a, 4). Später jedoch nahm er Abstand von einer Frühdatierung der Kirche und sah in Leontios einen nicht weiter bekannten Beamten aus der 2 . Hälfte des 5. Jh. (Soteriou 1952 , 246). Ohne jede Grundlage ist Andreas Alföldis und Michael Vickers’ Annahme, bei Leontios handle es sich um den Stadtpräfekten Kon­ stantinopels des Jahres 434/5, der später zum Präfekten des Illyricum aufstieg: Andreas Alföldi, Der Untergang der Römerherrschaft in Pannonien, II, Berlin – Leipzig 1926, 96; Vickers 1974, 346 – 348 . PLRE II, 669 (Leontius 9). Vickers sah in diesem Leontios einen der Hauptprotagonisten eines angeblichen (auch kirchlichen) Baubooms, der die Stadt nach der Verlegung des Sitzes der Präfektur von Sirmium nach Thessaloniki im Jahre 441 ergriffen haben soll. Da dieser Leontios Heide war (Mentzos 1994, 103 Anm. 206), ist Alföldis und Vickers’

Anmerkungen

Annahme besonders unwahrscheinlich. Vgl. auch Skedros 1999, 34 – 36 . 50 Spieser 1984 , 214 Anm. 315; Tóth 2010 , 166 . PLRE II, 672 – 673 (Leontius 23). Theoretisch könnte dieser Leontios später die Präfektur des Illyricum übernommen haben, doch stehen dieser Annahme historische Überlegungen entgegen. Für eine Reise des Leontios nach Sirmium – wie sie in der Passio Altera erwähnt wird – war im 6 . Jh. kaum Gelegenheit: Sirmium war bis 535/6 unter ostgotischer Herrschaft; bereits ein Jahr später bemächtigten sich die Gepiden der Stadt (Vgl. hierzu Božidar Ferjančić, Сирмијум у Доба Византије, in: Sremska Mitrovica, Sremska Mitrovica 1969, 33 – 58, hier 44; Mirković 1971, 51). Historisch kommt also nur die kurze Zeitspanne nach 535/6 für eine solche Reise in Frage. Doch kann Leontios die Reise nicht als Prätorianerpräfekt des Illyricum gemacht haben, da dieses

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Amt von 535 – 540 ein gewisser Domnikos bekleidete (Skedros 1999, 27 – 28 . Zu Domnikos s. PLRE II, 415 (Domnicus 2)). 51 Fourlas 2012 , 155 –156 . Gegen die Historizität dieser Episode spricht sich Skedros 1999, 26 u. 39 aus: sie sei vom Autor der Passio Altera erfunden worden, um die Existenz eines Demetrioskults in Sirmium zu erklären. 52 So auch Skedros 1999, 26 . 53 Vickers 1974, 343 . 54 Passio Altera p. 1184B. 55 Auf die Widersinnigkeit des Orarions als Reliquie eines Beamten Demetrios wies auch Woods 2000, 224, hin. 56 Woods 2000, 277, geht m. E. zu Unrecht davon aus, dass es sich um reale Reliquien handelt. 57 Vgl. Lucius 1904, 227 Anm. 3

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Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki

Thessaloniki war nach antiken Maßstäben keine alte Stadt, konnte auf keine lange Geschichte zurückblicken. Sie kannte keinen Gründungsheros, der vor Urzeiten den Grundstein legte, sondern war erst im Jahr 316/315 vor Christus auf Veranlassung des Makedonenkönigs Kassander (317 – 305) entstanden. Er ließ durch die Zusammenlegung der Bevölkerung mehrerer kleiner Dörfer in der Umgebung des Thermäischen Golfs eine Stadt gründen, die er nach seiner Frau Thessalonike, einer Halbschwester Alexanders des Großen, benannte.1 Diese hellenistische Stadtanlage war vermutlich wesentlich kleiner als die etwa 300 Hektar umfassende spätantike Siedlung.2 Die südliche Hälfte Thessalonikis ist eine spätere Erweiterung aus römischer Zeit, was wiederum bedeutet, dass das ummauerte Gebiet zunächst nicht bis ans Meer reichte (Abb. 2a). Die Bebauung innerhalb der Mauern war nach einem regelmäßigen Straßenraster organisiert, dessen Abdruck sich noch bis ins frühe 20. Jh. erhalten hat (Abb. 3).3 Allmählich wurde aus der Gründung Kassanders ein bedeutendes Handels- und Verwaltungszentrum. Im Jahre 168 vor Christus, nach dem Sieg der Römer über die Makedonen, wurde Thessaloniki zunächst Hauptstadt des zweiten makedonischen μερίς, also Teilstaats, und bereits zwanzig Jahre später, nach dem römischen Sieg über den letzten Makedonenkönig Andriskos (149 –148), Sitz der Verwaltung der römischen Provinz Macedonia. Nun wurde aus einer Stadt an der Peripherie der griechischen Welt ein Knotenpunkt an der wichtigsten Westostverbindung eines mittelmeerumspannenden Reichs. Der Weg von Italien nach Kleinasien führte über die um 146 vor Christus angelegte Via Egnatia und damit durch Thessaloniki.4 Die wachsende Prosperität der Stadt zeigt sich in den zahlreichen Großbau1  Luftbild des Stadtzentrums des heutigen Thessaloniki. Im Vordergrund die

Kirche Hagios Demetrios, in der Bildmitte die ausgegrabene obere Agora und eine große Grünfläche im Bereich der ehemaligen unteren Agora.

ten, die sich seit der frühen Kaiserzeit nachweisen lassen und die nun auch zwischen der aufgelassenen hellenistischen Stadtmauer und dem Meer entstanden. Im Zentrum des Siedlungsgebiets war eine große Fläche von sechzehn insulae einer Agora auf zwei Ebenen und weiteren öffentlichen Bauten, darunter ein Theater, vorbehalten.5 Im Westen der Stadt scheint sich eine Art sakral-administratives Zentrum herausgebildet zu haben. In diesem Bereich wurde auch ein spätarchaischer Tempel, den man an einem anderen Ort zuvor abgetragen hatte, wiedererrichtet, vermutlich um als Kaiserkultbau zu dienen (Abb. 3).6 Dieser Wohlstand dürfte bis in die erste Hälfte des 3. Jh. angehalten haben. Unter der Regierung des Kaiser Decius (249 – 251) drangen die Goten erstmals in den Balkanbereich vor und bedrohten Thessaloniki in den folgenden Jahren immer wieder (Abb.  4). Eine Stadtbefestigung wurde zwingend notwendig. Im Norden konnte man auf die hellenistische Befestigung zurückgreifen, doch musste der gesamte südliche Teil der Stadt durch eine neue Land- und Seemauer umschlossen werden (Abb. 2c).7 Erst im späten 4. Jh. stabilisierte sich die Situation wieder, konnten die Kaiser der sogenannten Tetrarchie (Vierherrschaft) durch eine Aufteilung administrativer und militärischer Zuständigkeitsbereiche das Reich konsolidieren und erfolgreich weitere Einfälle verhindern. Kaiser Galerius (293 – 311), der für den östlichen Reichsteil verantwortlich war, hielt sich bis zu seinem Tod häufig in Thessaloniki auf, von 299 bis 303 und von 308 bis 311.8 In diesen Jahren wurde die Stadt um bedeutende Bauten bereichert, die das Stadtbild veränderten.9 Im Südosten wurde eine Residenz errichtet, zu der – neben repräsentativen Räumlichkeiten – auch ein Hippodrom gehörte (Abb. 5).10 Zum Palast zählten auch der Galeriusbogen, der die Via Egnatia überspannte, und nördlich davon ein Rundbau mit unklarer Zweckbestimmung, der später in die Kirche Hagios Georgios umgewandelt wurde.11

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2a–c  Ausdehnung der Stadt zur Zeit ihrer Gründung im Jahre 316 /315 (a), in späthellenistischer Zeit (b) und in der 2. Hälfte des 3. Jhs. (c). Ursprünglich grenzte die Stadt, die durch eine Zusammenlegung der Bewohner von 26 Dörfern und Kleinstädten im Gebiet des Thermäischen Golfs gegründet worden war, nicht ans Meer; erst

nach und nach dehnte sich die besiedelte Fläche bis zum Wasser aus und musste in der späten Kaiserzeit in die Stadtbefestigung integriert werden.

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2d–f  Ausdehnung der Stadt im frühen 4. Jh. (d), im 5. Jh. (e) und in spätbyzantinischer Zeit (f). Unter Kaiser Galerius wurde zu Beginn des 4. Jhs. im Südosten der Stadt ein großer Palastkomplex errichtet. Im 5. und frühen 6. Jh. entstanden mehrere, zum Teil monumentale Kirchen, darunter die Demetriosbasilika. In spätbyzantinischer Zeit fügte man der Stadt noch eine befestigte Akropolis hinzu.

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3 Thessaloniki, Stadtanlage zur Zeit

der Tetrarchie. Grün sind die insulae mit Wohnbebauung markiert, blau das Stadtzentrum mit der oberen und unteren Agora, gelb Bereiche mit öffentlichen Bädern, rotbraun der sog. Sakralbereich im Westen der Stadt und orangebraun der Palastkomplex des Galerius.

4 Einfälle germanischer Stämme in

die Balkanprovinzen des Römischen Reichs. Heruler und Goten drangen seit der Mitte des 3. Jhs. weit in die damaligen Provinzen Macedonia und Achaia ein und zwangen die dortigen Städte zum Bau von Befestigungsmauern. 5 Die unter dem Tetrarchenkaiser Galerius (293 – 311) errichtete Palastanlage

im Südosten des ummauerten Gebiets prägt noch heute das Stadtbild. Zum Palast gehörte nördlich der Via Egnatia der später Hagios Georgios genannte Rundbau, der Galeriusbogen, der die Via Egnatia überspannte, und südlich der Hauptstraße die Palasträumlichkeiten mit den repräsentativen Empfangsbereichen und der nordsüdlich verlaufende Hippodrom, der zugleich an die östliche Stadtmauer anschloss.

Nach dem Ende der Tetrarchie verlor die Stadt zwar ihren Status als kaiserliche Residenz, spielte aber zunächst noch eine große Rolle bei Konstantins (306 – 337) Kampf gegen Licinius (308 – 324). Im Zuge des Ausbaus Thessalonikis zu einer Militärbasis im Kampf gegen seinen Widersacher gab Konstantin den Befehl, ein künstliches Hafenbecken anzulegen und die Stadtmauern auszubessern.12 Vermutlich wurden damals auch Baumaßnahmen am tetrarchischen Kaiserpalast vorgenommen.13 Für das frühe 4. Jh. lassen sich auch an anderen Orten der Stadt Bauaktivitäten nachweisen: Das kleine Odeion an der Ostseite der Agora wurde zu einem großen Theaterbau erweitert, der jedoch wahrscheinlich nie vollendet wurde.14 Nach der verlorenen Schlacht von Adrianopel im Jahre 378 wurde Thessaloniki zum Sitz der Präfektur der Diözese Macedonia et Dacia. Damals regierte Theodosius I. (378 – 395), unter dem sich der Aufstand der Thessaloniker gegen

den germanischen Stadtkommandanten ereignete. Dieser hatte sich geweigert, einen allseits beliebten Wagenlenker aus der Haft zu entlassen. Die Folge war, dass sich die Thessaloniker erhoben und den kaiserlichen Beamten lynchten. Theodosius ließ nun ein Exempel statuieren. Auf seine Veranlassung tötete eine gotische Truppenabteilung 7.000 Bürger der Stadt. Dies wiederum brachte Bischof Ambrosius von Mailand auf den Plan, der vom Kaiser eine öffentliche Kirchenbuße einforderte.15 Auch im 5. Jh. konnte Thessaloniki seine Bedeutung wahren: 441 trat Thessaloniki an die Stelle von Sirmium, das von den Hunnen überrannt worden war, als Sitz der Präfektur des Illyricum.16 479 schwebte die Stadt wieder in großer Gefahr: Damals zogen die Goten von Thrakien nach Makedonien ab, zerstörten Stobi und belagerten auch Thessaloniki. Angesichts dieser Gefahr soll die Bevölkerung dem Präfekten, dem sie misstraute, die Schlüssel der Stadt abverlangt haben, um sie dem Bischof zu geben.17 Offensichtlich war das Vertrauen in die staatlichen Institutionen geschwunden, übernahm die Kirche mehr und mehr administrative Aufgaben. In dieser Zeit machte sich ein tiefgreifender Wandel im Stadtbild bemerkbar, der zugleich den Abschied von der antiken Stadt bedeutete. Die antiken Bauten verloren ihre Funktion, verfielen zunehmend oder wurden umge-

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6  Um Baumaterial für die Stadtmauer zu gewinnen, trug man die Sitzstufen des Hippodroms ab, der zusammen mit dem Palast des Tetrarchen Galerius errichtet worden war. Befunde wie diese zeigen zum einen den immensen Druck angesichts feindlicher Angriffe eine Stadtbefestigung zu errichten, zum anderen auch, dass die Großbauten zur Unterhaltung der Bevölkerung ihre Bedeutung verloren hatten.

nutzt. Im Bereich der Agora nisteten sich kleinere Werkstätten ein, die Keramik produzierten.18 Der erst unter Galerius errichtete Hippodrom im Osten diente als Steinbruch für die Verstärkung der Stadtmauer, die im 4. und 5. Jh. immer wieder instandgesetzt wurde (Abb. 6).19 Im Hinblick auf die Versorgung der Stadt im Belagerungsfall entstanden überall kleinere und größere Zisternen. So wurde das noch im 4. Jh. erweiterte Odeion in eine solche verwandelt und eine Wasserleitung zur Kryptoportikus der Agora verlegt, die fortan als Wasserspeicher diente (Abb. 7).20

Kirchen im spätantiken Thessaloniki Einen entscheidenden Eingriff in das antike Stadtbild markierten mehrere christliche Kultbauten (Abb. 8 und 9). Im Südosten der Stadt wurde eine gewaltige, über 120m lange

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und 53m breite fünfschiffige Basilika mit einem Atriumvorhof und einem Baptisterium errichtet, die als Kirche des Bischofs der Stadt diente.21 Einen Sakralbau dieser Größenordnung wird man sich kaum vor dem späteren 5. Jh. vorstellen können. Weiter im Norden, auf der gegenüberliegenden Seite der Via Egnatia, befand sich die Acheiropoietoskirche, eine dreischiffige Emporenbasilika, deren originales Patrozinium nicht mit Sicherheit bekannt ist, die aber in Quellen seit dem 9. Jh. als Kirche der Muttergottes begegnet (Abb. 10).22 Der Bau hat sich bis heute hervorragend erhalten und wird der Bauplastik nach zu urteilen im späten 5. Jh. entstanden sein.23 Weiter im Westen, etwa 100m nördlich der Via Egnatia, fand man die Reste eines etwa 50m breiten Oktogons mit Narthex im Westen und Apsis im Osten (Abb. 11).24 Auch hier gründet die Datierung auf den spärlichen Resten von Kapitellplastik, die im Laufe der Grabungen gefunden wurden und für eine Zeitstellung im frühen 6. Jh. sprechen.25 Welche Funktion dieser Sakralbau hatte, ob er einem Heiligen geweiht war, ist nicht bekannt. Zu den frühen innerstädtischen Kultbauten zählt ferner die Kirche Hosios David in der Oberstadt, ein kleiner Kuppelbau, der vermutlich im späteren 5. Jh. als Teil einer Klosteranlage entstand.26 Zählt man ferner noch die spätestens im frühen 6. Jh. in einen christlichen Kultraum umgewandelte Rotunde

Die Märtyrerheiligen Thessalonikis

7  Um die Wasserversorgung im Belagerungsfall sicherzustellen,

legte man seit der Spätantike zahlreiche Zisternen im Stadtgebiet an. So wurde die überwölbte Portikus zwischen Oberer und Unterer Agora geschlossen, um als gewaltiger Wasserspeicher zu dienen.

des Galeriuspalastes hinzu, so verfügte Thessaloniki – neben Hagios Demetrios – alleine innerhalb der Stadtmauern über sechs Kirchen, darunter eine gewaltige Kathedrale, deren Ausmaße nur von wenigen anderen christlichen Basiliken übertroffen wird.

Die Märtyrerheiligen Thessalonikis »Nach dem Brauch der wahren Verehrer der Märtyrer haben die christlichen Einwohner Thessalonikis zur Zeit des Heidentums die Leichname der Märtyrer heimlich bestattet, um nicht zu riskieren, sie der Raserei der Götzendiener auszuliefern. Dies geschah in einer Weise, dass wir von keinem unter ihnen die genauen Bestattungsorte kennen mit Ausnahme der hl. Matrona.« Mit diesen entschuldigenden, zugleich aber auch erklärenden Worten beginnt die Erzählung des fünften Wunders in der ersten Sammlung der Miracula Sancti Demetrii.27 Was der Verfasser, Erzbischof

47

Johannes, hier im frühen 7. Jh. schreibt, kann nicht zutreffen. Denn wenn auch unklar bleibt, wann und in welcher Form der hl. Demetrios in Thessaloniki Einzug hielt, so war die Stadt doch reich gesegnet mit anderen frühen Märtyrerheiligen, die keinesfalls versteckt blieben, sondern deren Bestattungs- und Verehrungsorte den Bereich vor den Mauern der Stadt prägten.28 Erwähnungen in den frühen Martyrologien bezeugen eine ganze Reihe lokaler Heiliger. Der bereits erwähnte syrische Märtyrerkalender des Jahres 411 nennt die Thessaloniker Heiligen Fronto mit drei anonymen Gefährten, ferner Chione und Agape sowie Theodulos und Agathopus.29 Der hl. Fronto und seine Begleiter sind ansonsten unbekannt und tauchen in keiner späteren Quelle auf. Mehr weiß man über Agape und Chione, die, zusammen mit einer hl. Eirene, auch in späteren Quellen erwähnt werden.30 Sie gelten als christliche Jungfrauen, die im Jahre 304 für ihren Glauben hingerichtet wurden. Dem Wunderbericht des Bischofs Johannes zufolge befand sich ihre Kirche unmittelbar vor der Stadtmauer Thessalonikis.31 Theodulos und Agathopus sollen ebenfalls Märtyrer der diokletianischen Verfolgung gewesen sein, wie aus einer späteren Heiligenvita hervorgeht.32 Angeblich zeigte man in Thessaloniki den Ort, in den die Leichname der beiden hineingeworfen wurden.33

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Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki

8 Seit der Spätantike füllt sich die

Stadt mit christlichen Kultbauten. Noch im 5. Jh. dürften die gewaltige Bischofskirche und die Acheiropoietos-Basilika entstanden sein. Im 6. Jh. folgten die kleine Kirche Hosios David und ein oktogonaler Bau im Westen der Stadt. Die Kirche Hagios Georgios ging aus der Umwandlung einer älteren Rotunde hervor. Die Datierung der Kirche Hagios Demetrios wird im folgenden Kapitel ausführlich diskutiert.

Die Märtyrerheiligen Thessalonikis

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H E i L iG E

F E St tAG

L AG E DE S GR A B S

Fronto und Begleiter

14. März

unbekannt

Matrona

27. März

»vor den Stadtmauern« (MSD I p. 12615 Lemerle), »nahe der breiten Straße« (Syn. Eccl. Const. 563)

Agape und Chione

2 . April

»unmittelbar vor Stadtmauer« (MSD I p. 12624 – 26 Lemerle)

Theodulos und Agathopus

4. April

unbekannt

Domninos

1. Oktober

unbekannt

Florentios

13 . Oktober

unbekannt

Alexander

9. November

»bei der Stadt« – kreuzförmige Kapelle bei der Basilika an der Tritis Septembriou-Straße?

Anysia

30. Dezember

zwei Stadien vor der östlichen Stadtmauer, »links der breiten Straße« (Syn. Eccl. Const 355)

Weitere Thessaloniker Heilige werden im Synaxar von Konstantinopel aufgeführt: ein hl. Domninos, der »an einem hohen Ort im Osten« der Stadt das Martyrium erlitten hatte,34 der hl. Florentios, der auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden sein soll,35 und der hl. Alexander von Thessaloniki, dessen Passio von einer Bestattung bei der Stadt spricht.36 Ein geosteter kreuzförmiger Bau mit Apsis, der an eine größere Kirche anschloss und 1980 bei Straßenarbeiten östlich der Stadtmauer, im Bereich der Tritis-Septembriou9 Ein Vergleich der drei großen

Basilikalbauten Thessalonikis führt nochmals die gewaltigen Dimensionen der Bischofskirche vor Augen, die mit 122 m Länge der mit Abstand größte Kirchenkomplex ist (grau der spätere Nachfolgebau), gefolgt von der Demetrioskirche mit 58 m und der Acheiropoietoskirche mit 55 m (jeweils Länge vom Narthex zum Apsisscheitel).

10 Die am besten erhaltene

spätantike Basilika ist die sogenannte Acheiropoietos-Basilika, die vermutlich in der 2. Hälfte des 5. Jh. errichtet wurde.

Straße entdeckt wurde, war möglicherweise das Martyrium dieses Heiligen (Abb. 12).37 Weiter wird die Märtyrerin Anysia von Thessaloniki erwähnt, deren Verehrungsort (εὐκτήριον) sich nach ihrer Heiligenvita zwei Stadien vor der östlichen Stadtmauer, »links der breiten Straße« befunden habe.38 Eine vorstädtische Kirche wird ferner für die hl. Matrona genannt.39 Auch ihr Leichnam wurde »nahe der breiten Straße« bestattet. Später errichtete man über dem Grab eine Kirche, die noch Bischof Johannes in seinem Wunderbericht

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Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki

Hagios Georgios: eine Verehrungsstätte auswärtiger Heiliger?

Märtyrerheiligen des 3. und frühen 4. Jh. – nach seinem Tod in der Stadt bestattet und verehrt worden sein.43 Thessaloniki war somit ein Ort, an dem sich schon früh die Verehrung mehrerer Märtyrer belegen lässt. Nicht wenige der ansonsten oft unbekannten Heiligen werden bereits in dem syrischen Martyrologium des frühen 5. Jh. erwähnt, und einige dieser Lokalheiligen scheinen eine Verehrungsstätte oder Memorialkirche vor den Mauern der Stadt gehabt zu haben. Doch damit nicht genug. Denn offenbar wurde in Thessaloniki nicht nur einheimischer Märtyrer gedacht; auch scheinen sich hier auswärtige Heilige reger Verehrung erfreut zu haben. Dies bezeugt ein Monument ganz besonderer Art: die Rotunde von Hagios Georgios.

13  Hagios Georgios. Die Rotunde, deren Zweckbestimmung unklar ist, wurde unter Galerius oder Konstantin errichtet. Wohl erst im 6. Jh. wurde

sie in eine christliche Verehrungsstätte verwandelt. Die Apsis wurde wiederum später angebaut. 11  Ein aufsehenerregender Fund kam bei Rettungsgrabungen in den 70er ­Jahren des 20. Jhs. zum Vorschein: eine oktogonale Kirche im Westen des ummauerten Stadtgebiets. Vermutlich entstand der Bau zu Beginn des 6. Jhs.

als vor den Stadtmauern gelegen nennt.40 Etwas hypothetisch bleibt die Annahme eines weiteren Märtyrers namens Johannes: Man fand im Bereich des heutigen Hagiou-Dimitriou-Krankenhauses eine Inschrift mit folgendem Text: Domest|icus posi|tus ad do(mnum) | Ioan(nem) dat sol(idos) | tres et semis pro memorium  – »Domesticus ist beigesetzt beim Herrn Johannes und gibt dreieinhalb Solidi zu seinem Gedächtnis«.41 Offenbar hatte ein gewisser Domesticus viel Geld bezahlt, um beim »Herrn« Johannes, vielleicht einem hl. Johannes, bestattet zu werden.42 Aber nicht nur Märtyrer der Verfolgungszeit wurden in Thessaloniki verehrt. Mit der Zeit kamen auch lokale Asketen hinzu, wie sie in allen Teilen des östlichen Mittelmeers zu finden sind. Der hl. David war ein solcher Heiliger. Er soll im 6. Jh. als Eremitenheiliger vor den Toren Thessalonikis gehaust haben und – anders als die 12  1980 entdeckte man westlich des spätantiken Stadtgebiets bei Straßenbauarbeiten die Reste einer dreischiffigen Basilika und eines kleinen kreuzförmigen Annexbaus. Vielleicht handelt es sich dabei um eine Memorialkapelle des hl. Alexander von Thessaloniki.

51

Hagios Georgios: eine Verehrungsstätte auswärtiger Heiliger? Wohl als Teil der Palastanlage wurde in tetrarchischer, vielleicht auch konstantinischer Zeit nördlich des Galeriusbogens ein Rundbau errichtet, dessen ursprüngliche Zweckbestimmung nach wie vor ungeklärt ist (Abb. 13). Man hat einen Mausoleumsbau für den Tetrarchen Galerius vermutet, doch wurde der Kaiser nicht in Thessaloniki, sondern in seiner Geburtsstadt Romuliana bestattet44 . Vielleicht handelte es sich also um einen Tempel, wobei man an ein Heiligtum für Jupiter, den Schutzgott der Tetrarchen, dachte.45 Oder aber die Rotunde ist erst später als geplantes, jedoch nicht vollendetes Mausoleum für Konstantin entstanden?46 Keine dieser Thesen konnte sich bisher durchsetzen; immer noch ist fraglich, wozu die Rotunde errichtet worden war. Die ursprüngliche Zweckbestimmung muss hier nicht weiter interessieren, sondern vielmehr die spätere Geschichte des Baus, dessen Wölbung nachträglich mit Mosaiken ausgestattet wurde (Abb. 14 –15). Wiederum

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Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki

Hagios Georgios: eine Verehrungsstätte auswärtiger Heiliger?

16  Die noch erhaltenen Reste an Mosaiken und Vorzeichnungen belegen,

dass sich im Zentrum der Kuppel ein von Engeln getragenes Medaillon mit einer Darstellung des stehenden Christus befand.

14  Bei der Umwandlung in einen christlichen Verehrungsort wurde die Kuppel der Rotunde mit Mosaiken dekoriert. In der untersten Zone sind Heilige vor phantasievollen Architekturkulissen dargestellt.

15  Der Längsschnitt durch die Anlage zeigt die hierarchische Staffelung der Mosaiken, die in dem Bild mit dem stehenden Christus im Scheitel der Kuppel kulminierten.

später wurde die Rotunde um eine umlaufende Säulenhalle und Apsis im Osten erweitert, wodurch Teile der Kuppelmosaiken zerstört wurden.47 Sie zeigten  – wie Vorzeichnungen noch erkennen lassen – einst im Zentrum den stehenden Christus in einem umkränzten Medaillon, das von vier Engeln getragen wird (Abb. 16). Um dieses Mittelmotiv lief eine weitere Zone, die heute fast vollständig verloren ist. Die wenigen Reste des unteren Randes zeigen, dass es sich um eine Figurenreihe vor paradiesischem Hintergrund gehandelt hat, wobei sich aus den erhaltenen Füßen mit Sandalen vierundzwanzig bis sechsundzwanzig Figuren rekonstruieren lassen.48 Vermutlich handelte es sich also um Darstellungen der Ältesten der Apokalypse, vielleicht auch von Engeln.49 Eine endzeitliche Thematik, die Wiederkunft Christi am Ende der Tage, bestimmte somit den mittleren Bereich der Kuppel.50 Unterhalb dieser Zone folgt ein breites Band mit einstmals acht opulenten zweigeschossigen Architekturkulissen auf goldenem Grund. Vor diesen haben sich im unteren Bereich teilweise Darstellungen von verschieden gewan-

53

deten männlichen Personen in Orantenhaltung erhalten; pro Architekturkulisse sind jeweils zwei oder drei Personen dargestellt (Abb. 17). Von den einstmals neunzehn oder zwanzig Oranten sind nur noch siebzehn zu sehen, da durch den nachträglichen Einbruch der Apsis ein Mosaikfeld verlorenging. Fünfzehn Personen werden von einer Namensbeischrift im Genitiv und einer Monatsangabe begleitet.51 Diese Inschriften nennen überwiegend auswärtige Heilige; nur der hl. Aristarchos weist als erster Bischof Thessalonikis einen Lokalbezug auf.52 Zunächst zur Datierung der Mosaiken, die in der bisherigen Forschung sehr kontrovers diskutiert wurde: Wegen fehlender fester Anhaltspunkte musste man sich auf Stilanalysen stützen, deren verschiedene Ergebnisse vom frühen 4. bis ins 6. Jh. reichen. Erst in jüngerer Zeit hat man durch eine C14 -Analyse der Putzschicht unter den Mosaiken einen sicheren Anhaltspunkt erhalten, der auf eine Entstehung um 500 hindeutet.53 Diesem späten Datierungsansatz entsprechen auch historische Überlegungen, etwa das vergleichsweise späte Aufkommen eines überregionalen Kults der beiden Ärzteheiligen Kosmas und Damian, die in den Mosaiken dargestellt sind.54 Und schließlich hat auch JeanMichel Spiesers sehr detaillierter Stil- und Ornamentvergleich zu datierten Monumenten das beginnende 6. Jh. als

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F eld

1

2

3

4

Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki

H e i l iger

Inschr i f t

H erk u nf t, »Beru f«

Todesdat u m u nd – ort

Monatsangabe lau t Inschr i f t

Romanos

Ῥωμανοῦ πρεσβυτέρου

Diakon aus Caesarea

303 , Antiochia

ohne Angabe

Eukarpion

Εὐκαρπιωνος στρατηλάτου μηνὶ δεκεμβρίῳ

Soldatenheiliger

300, Nikomedien

Dezember

Aristarchos

Ἀριστάρχου ἐπισκόπου μηνι ἀπριλλίῳ

Schüler des Paulus, Bischof von Thessaloniki

64, Rom

April

Ananias

– Ἀνανίου πρεσβυτέρου μηνὶ ἰανουαρίῳ (Ergebnis einer ­späteren Restaurierung? Feissel 1983, 107).

Priester aus Phönizien

303 , Ort unbekannt

Januar

Basiliskos

Βασιλίσκου στρατηλάτου μηνὶ ἀπριλλίῳ

Soldat aus Amaseia

306 , Komana (Kappadokien)

April

Priskos

Πρίσκου στρατηλάτου μηνὶ ὀκτωβρίῳ

Soldatenheiliger

259, Caesarea

Oktober

Philippos

Φιλίππου ἐπισκόπου μηνὶ ὀκτωβρίῳ

Bf. von Herakleia in Thrakien

304, Adrianopel

Therinos

Θερινοῦ στρατηλάτου μηνὶ ἰουλίῳ

Soldatenheiliger

303 , Ort unbekannt

Juli

Kyrillos

Κυρίλλου ἐπισκόπου μηνὶ …

Bf. von Gortyn

unter Decius (249 – 251) oder Maximinus Daia (305 – 313), Ort unbekannt

zerstört

unbekannter Heiliger in Chlamys

5

verloren, drei unbekannte Heilige

6

unbekannter Heiliger in Chlamys Leon

Λέοντος στρατηλάτου

Soldatenheiliger

unbekannt

ohne Angabe

Philemon

Φιλήμονος χοραυλοῦ μηνὶ μαρτίῳ

Flötenspieler

305 , Antiochia

März

7

Onesiphoros

Ὀνησιφόρου στρατηλάτου μηνὶ αὐγούστῳ

Soldatenheiliger

1. Jh., Parium in Phrygien

August

Porphyrios

Πορφοιρίου μηνὶ αὐγούστῳ

Diener des Onesiphoros

1. Jh., Parium in Phrygien

August

8

Kosmas

Κοσμᾶ ἰατροῦ μηνὶ σεπτεμβρίῳ

Arztheiliger

297, Kilikien

September

Damian

Δαμιανοῦ ἰατροῦ μηνὶ σεπτεμβρίῳ

Arztheiliger

297, Kilikien

September

Entstehungszeitraum bekräftigt.55 Der Bilddekor von Hagios Georgios führt somit nicht in die Frühzeit der Heiligenverehrung Thessalonikis, sondern in eine Epoche, in der sich der Kult mehrerer lokaler Heiliger und des hl. Demetrios bereits etabliert haben dürften. Damit zur Frage, wie dieser Bau und seine Ausstattung zu deuten sind: Bereits früh fiel auf, dass unter den Heiligendarstellungen in der Kuppel von Hagios Georgios kein lokaler Märtyrer Thessalonikis zu finden ist.56 Zwar besteht die theoretische Möglichkeit, dass das Mosaikfeld, das durch den nachträglichen Anbau der Apsis verlorenging, einst lokale Heilige zeigte, doch selbst wenn dem so wäre,

gäbe es immer noch ein deutliches Übergewicht zugunsten auswärtiger Heiliger. Bemerkenswert ist ferner, dass bis auf Kosmas und Damian keine bedeutenden, überregional verehrten, sondern eher unbekannte Märtyrer gezeigt werden, die kaum über eine eigene Heiligenvita verfügen. Damit bleibt eigentlich nur eine Deutungsmöglichkeit, die bereits Louis Bréhier in Erwägung gezogen hatte: Es wurden nur solche auswärtige Heilige abgebildet, deren Reliquien man in Thessaloniki besaß und verehrte.57 Viele der dargestellten Heiligen kamen aus ostmediterranen Küstenorten, und als Hafenstadt mochte Thessaloniki rasch in den Besitz ihrer Reliquien gelangt sein. Die spätantike Rotunde bot sich für

Eine Märtyrerkirche im Stadtzentrum?

eine solche Verehrungsstätte geradezu an, da sie mit dem Fortgang des Kaisers als Teil der Residenz funktionslos geworden war.58 Wo die Reliquien innerhalb des Baus verwahrt gewesen sein könnten, wird sich nicht mehr zweifelsfrei klären lassen. Die Nischen der Rotunde hätten sich als ideale Au ewahrungsorte freilich angeboten, da sich genau über ihnen die Architekturdarstellungen mit den Märtyrern befanden.59 Wenn auch die Anwesenheit von Heiligenreliquien nicht belegt werden kann, so scheint doch klar: Wer die Rotunde betrat, der gelangte in den Genuss der Fürsprache der hier versammelten Heiligen. Diese erhoben als Mediatoren zwischen Himmel und Erde ihre Hände im Orans-Gestus und versprachen am Tage der Wiederkunft Christi das Heil der in der Rotunde versammelten Gläubigen. Mit dem später Hagios Georgios genannten Kultraum schuf man sich im frühen 6. Jh. ein Pantheon auswärtiger Heiliger, die vor Christus für die Bürger Thessalonikis eintraten.60 Aber nicht nur in der ehemaligen Palastrotunde begegnete der Thessaloniker in der Spätantike zahlreichen Heiligen. Wie wir hörten, wurden auch an anderen Orten, vor allem vor den Stadtmauern, lokale Heilige verehrt, wurden bei den mutmaßlichen Gräbern Thessaloniker Märtyrer Memorialbauten und Kirchen angelegt. An Heiligen und Verehrungsstätten herrschte wahrlich kein Mangel, und einmal mehr fragt man sich: Wann und wie, vor allem aber warum etablierte sich gerade die Demetriosverehrung in Thessaloniki?

Eine Märtyrerkirche im Stadtzentrum? Während die meisten Gräber und Verehrungsorte von Heiligen außerhalb der Stadt gelegen waren, so erhebt sich die Kirche des hl. Demetrios im Zentrum des damaligen und heutigen Thessaloniki.61 Die Kirche und etwaige ältere Verehrungsorte an dieser Stelle befinden sich nördlich des großen Agorakomplexes, in unmittelbarem Anschluss an eine große West-Ost-Straße, die parallel zum decumanus maximus der Stadt verlief (Abb. 1 und 8).62 Die Position der Kirche über dem angeblichen Bestattungsort des Heiligen stellt somit ein Paradoxon dar, denn: Hinrichtungen von Heiligen mochten innerhalb der Stadt erfolgt sein, die Bestattung selbst jedoch stets außerhalb des besiedelten Gebiets, da innerstädtische Gräber bis in die Spätantike verboten waren.

55

Zwar lassen sich seit dem 5. Jh. immer wieder Ausnahmen beobachten, doch wurde dieses Verbot so lange eingehalten wie die städtische Infrastruktur funktionierte. Erst das Fehlen urbaner Kontroll- und Verwaltungsorgane ermöglichte innerstädtische Friedhöfe, die sich dann oftmals in und um Kirchen etablierten.63 In Thessaloniki lassen sich solche intra-muros-Bestattungen erst seit dem 7. Jh. belegen;64 vermutlich waren hierfür die zum Teil dramatischen Belagerungen im Frühmittelalter ursächlich. In tetrarchischer Zeit, als der hl. Demetrios zu Tode gekommen sein soll, war die Bestattung eines Hingerichteten im Zentrum der Stadt schlichtweg unmöglich.65 Selbst wenn er tatsächlich in einer Therme zu Tode gebracht worden wäre – was für sich genommen schon unwahrscheinlich ist – dann wäre der Leichnam mit Sicherheit vor die Mauern geschafft worden. Den Verfassern der späteren Heiligenlegenden war dieses Problem natürlich bewusst, und so suchten sie nach einer Erklärung. Diese bestand in der Regel in der Vorgabe spontaner Hinrichtungen und oft heimlicher Bestattungen am Todesort. Ein bekannter Fall dieser Art ereignete sich in Rom:66 Im Haus unter der noch vor 410 errichteten Kirche des titulus Pammachii auf dem Caelius, also innerhalb des Stadtgebiets, hatte sich eine Reliquienkapelle aus dem 4. Jh. erhalten, die man knapp zwei Jahrhunderte später als Teil einer authentischen Heiligenbestattung missverstand. So entstand eine Legende, der zufolge zwei christliche Palastbeamte, Johannes und Paulus, sich weigerten, dem heidnischen Kaiser Julian zu dienen. Daraufhin habe dieser die beiden in ihrem Haus töten und verscharren lassen. Bis zu den ersten Translationen lokaler Heiliger in die Stadt Rom im 7. Jh. war die den hll. Johannes und Paul geweihte Kirche der einzige innerstädtische Märtyrerverehrungsort. Entscheidend an dieser Legende ist weniger ihr fiktiver Charakter – weder ließ Julian in Rom Christen hinrichten, noch wird dies in deren Wohnhäusern erfolgt sein – sondern die Art und Weise, wie ein auffallender sichtbarer Befund nachträglich hagiographisch erklärt wurde. Das Unerklärliche befeuerte die Phantasie und forderte zugleich eine Lösung. Man war innerhalb der Stadt mit einem ungewöhnlichen Befund konfrontiert, und so entwarfen die Verfasser der Heiligenlegende ein ›plausibles‹ Szenario für eine innerstädtische Bestattung. Ähnliches dürfte auch in Thessaloniki der Fall gewesen sein. Hier gelangte man zur Überzeugung, der Heilige sei im Stadtzentrum bestattet, doch musste man diese

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17a und b  Die unterste Zone der Kuppel nehmen phantasievolle Architekturkulissen ein, vor denen Heilige dargestellt sind. Die meisten der überwiegend auswärtigen Heiligen besitzen eine Beischrift, die ihren Namen und einen Monat nennt. Die linke Abbildung zeigt die hll. Onesiphoros und Porphyrios, die rechte die beiden Ärzteheiligen Kosmas und Damian.

außergewöhnliche Begebenheit erklären. Deshalb schildern die Passionsberichte Tötung und Verscharrung des Heiligen am Ort seiner Gefangennahme und bemühen sich dabei trotz ihres fiktiven Charakters um Plausibilität. Damit war das Problem hagiographisch gelöst, der Heilige konnte in Thessaloniki heimisch werden. Der Hinweis auf den Bestattungsort des hl. Demetrios erfolgte erst im Zusammenhang mit der angeblichen Errichtung der Kirche durch den Präfekten Leontios.67 In der besonders ausführlichen Passio Altera wird berichtet, Demetrios habe vor seiner Festnahme in Kellerräumen der Thermen bei der Agora Versammlungen abgehalten.68 Nach seiner Verhaftung und dem wundersamen Sieg des Christen Nestor über den Gladiator Lyaios sei Demetrios mit Lanzen im Gefängnis hingerichtet und sein Leichnam dort achtlos liegengelassen worden. Weiter berichtet die Passio Altera, des Nachts seien heimlich Christen gekommen, um den Körper des Märtyrers an seinem Hinrichtungsort zu bestatten. Das

Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki

Grab des Heiligen habe sich in den Öfen bzw. dem Warmwasserraum der Therme befunden. Später habe der Präfekt Leontios Säulenhallen und Läden abreißen müssen, um eine Kirche zwischen Bad und Stadion errichten zu können. Die auffällige Detailfreude der Passiones hinsichtlich Vorgängerbebauung und Lage der Demetrioskirche hat immer wieder zur Annahme geführt, hier würden reale Gegebenheiten referiert. So wie man Leontios als historische Person rekonstruieren könne, so seien auch die topographischen Angaben für bare Münze zu nehmen. Das kann sein, muss aber nicht sein. Heiligenlegenden versuchten ein plausibles Bild von vergangenen Geschehnissen zu vermitteln, doch bilden sie nicht die spätantike Realität ab. Sie entstanden vor dem Hintergrund einer realen Stadterfahrung, suggerierten Glaubwürdigkeit, indem sie sich bekannter Personen- und Ortsnamen bedienten, und machten die Heiligen gegenwärtig, indem sie bestehende Bauten als Bühne ihres Todesdramas umdeuteten.69 In der spätantiken Stadt befanden sich zahlreiche Großbauten, die infolge allgemeinen gesellschaftlichen Wandels oder einer zerfallenden Infrastruktur funktions- und bedeutungslos geworden waren. Große ›Vergnügungsbauten‹ wie Amphitheater und Theater konnten nicht mehr in Betrieb gehalten werden, weil entweder die städtische Oberschicht

Eine Märtyrerkirche im Stadtzentrum?

die finanziellen Mittel nicht mehr aufbringen konnte, oder aber – etwa als Folge von Bevölkerungsschwund – schlichtweg kein Bedarf mehr bestand. Die großen Thermenanlagen waren von den tiefgreifenden Veränderungen in der spätantiken Stadt besonders betroffen. Ihr Betrieb wurde im Laufe der Spätantike eingestellt.70 Ursächlich konnte das Kappen einer Wasserleitung während einer Belagerung sein oder aber geschwächte städtische Ressourcen, welche das Beheizen der Thermen unmöglich machten. Ähnliches mochte auch in Thessaloniki passiert sein: So ist in den Wunderberichten des Johannes von einem funktionslosen Bad die Rede, das Obdachlosen als Behausung zugewiesen wurde.71 Die einstigen Großbauten verloren in der Spätantike nicht nur ihre Funktion, sie veränderten auch ihre Bedeutung. Zugleich waren sie aber auch wegen ihrer Monumentalität im frühmittelalterlichen Stadtbild allgegenwärtig. Dies kann dazu beigetragen haben, dass man solchen innerstädtischen Ruinen einen neuen Sinn gab und in ihnen nunmehr den Todes- und Bestattungsort von Heiligen sah. Unerklärliches und Sinnsuche trafen aufeinander; monumentale Strukturen, die nach einer Deutung riefen, und das tiefsitzende Bedürfnis nach Gegenwart übernatürlicher Helfer. Daher ist es kein Zufall, dass sich die Märtyrer der Spätantike gerne in den Großbauten ›aufhielten‹, dass sich der

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hl. Demetrius in einem aufgelassenen Gemäuer mit unterirdischen Gewölben und sickerndem Wasser einnistete. Die ehemalige Therme lag ungenutzt da und harrte einer Erklärung. Sie zog magisch eine Person an, die sich als Projektion kollektiver Wünsche etablierte. Denn mit dem Verfall der Infrastruktur steigerte sich in der Bevölkerung der spätantiken Stadt die Sehnsucht nach Helfern, übernatürlichen Patronen, Heilige, welche in die Rolle der staatlichen Instanzen schlüpften und Sicherheit und Wohlergehen zu garantieren hatten. Geschichten kursierten, Namen fielen, vielleicht fand man eine ältere Inschrift,72 irgendwo hörte man von einem Demetrios, wieder woanders von einem Leontios. Bestimmte für uns nicht mehr nachvollziehbare Befunde regten die Phantasie an und führten dazu, eine Geschichte zu erzählen – die Geschichte eines Heiligen. Damit ist zwar ein plausibles Szenario für die Verortung eines Heiligen in der spätantiken Stadt gefunden, aber noch keine Antwort auf die Frage, warum man sich in Thessaloniki neben zahlreichen Lokalmärtyrern noch einen weiteren Heiligen schuf. War es die Lage im Stadtzentrum, welche die Kirche Hagios Demetrios und ihre Vorgängerbauten so attraktiv machte? War es das Bedürfnis nach Nähe eines Heiligen zur Stadtbevölkerung in einer Zeit, in der die vorstädtischen Heiligenschreine von Verwüstung und Plünderung

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durch Feinde bedroht waren? War ein Heiligengrab inmitten der Stadt und geschützt durch die Mauer der Wunsch der Bevölkerung in einer Phase voller Belagerungen und Angriffe? Jede Suche nach dem ›historischen‹ Demetrios sowie nach einem ›historischen‹ Verehrungsort muss in die Irre führen. Heiligenlegenden beschreiben keine spätantiken Realitäten, sondern entwerfen Szenarien, die im frühmittelalterlichen Thessaloniki eine plausible Erklärung für das boten, was man sah. Deshalb gilt unsere Suche in den folgenden Kapiteln nicht mehr einem möglichst früh nachgewiesenen Heiligen oder einem seit alters bezeugten Verehrungsort; unsere Frage gilt vielmehr den Bedürfnissen der Thessaloniker Bevölkerung in der Spätantike, die sich diesen Heiligen erfahrbar machte durch einen gewaltigen Kultbau am Ort einer alten Thermenanlage: die Kirche Hagios Demetrios.

Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki

Anmerkungen   1 Strabo 7a, 1, 20. Zur frühen Geschichte der Stadt vgl. Eugen Ober-

hummer, RE VI A,1, 1936, 144 –146 s. v. ›Thessalonike‹.   2 Überblick über die archäologische Diskussion zum Verlauf der helle-

nistischen Stadtmauer bei Velenis 1998 , 17 – 42; Adam-Veleni 2003, 127 –128 , und Steimle 2008, 14 – 23 .   3 Michael Vickers, Hellenistic Thessaloniki, Journal of Hellenic Studies

92 , 1972 , 156 –170; Vitti 1996 , 67 – 86 .   4 Adam-Veleni 2003 , 135 –136 .   5 Vitti 1996 , 180 – 201; Adam-Veleni 2003 , 146 –148 .   6 Vgl. die ausführliche Diskussion bei Steimle 2008 , 28 – 49.   7 Velenis 1998 , 43 – 88; Jean-Michel Spieser, Les ramparts de Thessalo-

nique. A propos d’un livre récent, Byzantinoslavica 60, 1999, 557 – 574, hier 564 – 569; James Crow, Fortifications and Urbanism in Late Antiquity, in: Luke Lavan (Hrsg.), Recent Research in Late-Antique Urbanism, Portsmouth RI 2001, 89 –105, hier 93 – 98; zuletzt Natalia Poulou-Papademetriou, The Walls, in: Apotypomata – Impressions 2012 , 207 – 217.   8 Timothy Barnes, The New Empire of Diocletian and Constantine, Cambridge Mass. 1982 , 61– 62; Carol H. V. Sutherland, The Roman imperial coinage VI: From Diocletian’s reform (A.D. 294) to the death of Maximinus (A.D. 313), London 1976, 501.   9 Zusammenfassung bei Stephanidou-Tiberiou 1995 , 52 – 54; Steimle 2008, 69 – 78 . 10 Zum Galerius-Palast s. Hattersley-Smith 1996 , 127 –141; Emanuel Mayer, Rom ist dort, wo der Kaiser ist. Untersuchungen zu den Staatsdenkmälern des dezentralisierten Reiches von Diocletian bis zu Theodosius II., Mainz 2002 , 39 – 68; Adam-Veleni 2003, 164 –168; Ćurčić 2010a, 19 – 22 . 11 Zu Hagios Georgios s. u. S. 51– 55 . 12 Hafen: Zosimus, Hist. Nea II 22 . Élisabeth Malamut  – Jean-Pierre Grélois, Le port de Thessalonique (IV e–XVI e siecle), in: Actes des congrès de la Société des historiens médiévistes de l’enseignement supérieur public. 35 e congrès, La Rochelle 2004, 131–147, hier 136 . Stadtmauern: Velenis 1998, 89 –105. 13 So etwa Stephanidou-Tiberiou 1995 , 102 –103 , die vermutet, das Oktogon im Palast des Galerius sei erst unter Konstantin fertiggestellt worden. S. a. Fane Athanasiou et al., Νεα στοιχεία για το Οκτάγωνο του Γαλεριανού συγκροτήματος, To archaiologiko ergo ste Makedonia kai Thrake 8, 1994, 169 –179, hier 176 . Jüngst hat man gar vermutet, die Georgsrotunde sei unter Konstantin errichtet worden, als geplantes aber nicht vollendetes Mausoleum des Kaisers: Ćurčić 2000, 11–13; Ćurčić 2010 a, 53 – 54; Ćurčić 2010b, 214 – 216 . 14 Adam-Veleni 2003 , 148 –150. 15 Zu diesen Ereignissen s. Peter Brown, Power and Persuasion in Late Antiquity: Towards a Christian Empire, Madison 1992 , 109 –113; Daniel Washburn, The Thessalonian Affair in the Fifth-Century Histories, in: Harold A. Drake (Hrsg.), Violence in Late Antiquity: Perception and Practices, Aldershot 2006, 215 – 224. 16 Justinian, Nov. 11, 1. 17 Malchos, fr. 18 (FHG IV, 125). 18 Hattersley-Smith 1996 , 126 –127. 19 Zur spätantiken Baugeschichte der Stadtmauer s. Velenis 1998 , bes. 89 –159, und Jean-Michel Spieser, Les ramparts de Thessalonique. A propos d’un livre récent, Byzantinoslavica 60, 1999, 557 – 574, hier

Anmerkungen

569 – 574. Zur Spolienverwendung in der Stadtmauer zuletzt: Ludovico V. Geymonat, The Syntax of Spolia in Byzantine Thessalonike, in: Mark J. Johnson  – Robert Ousterhout  – Amy Papalexandrou (Hrsg.), Approaches to Byzantine Architecture and its Decoration. Studies in Honor of Slobodan Ćurčić, Farnham 2012 , 47 – 65, hier 49 – 54 (mit Hinweisen auf ältere Literatur). 20 Bakirtzis 1984, 13 . 21 Kalliope Theocharidou, The Architecture of Hagia Sophia, Thessaloniki, from its Erection up to the Turkish Conquest (= BAR IS 399), Oxford 1988, 10 –13; Hattersley-Smith 1996, 141–144; Euterpi Marki, Η Αγία Σοφία και τα προσκτίσματα της μέσα από τα αρχαιολογικά δεδομένα, in: Thessaloniki, Kulturhauptstadt Europas, Thessaloniki 1997, I, 54 – 61; Ćurčić 2010 a, 105 –106 . 22 Hattersley-Smith 1996 , 145 –149; Velenis 2003a, 19, 20 – 24 (mit älterer Literatur). 23 Vgl. hierzu Kautzsch 1936 , 134 –135; Joachim Kramer, Skulpturen mit Adlerfiguren an Bauten des 5 . Jh. n. Chr. in Konstantinopel, Köln 1968, 48 – 54; Sodini 1984, 224 – 226 . Jüngeren Untersuchungen zufolge sind die Kapitelle in das späte 5. Jh. bzw. um 500 zu datieren: Strube 1984, 25 – 26 Anm. 86 . Zuletzt Fourlas 2012 , 8 –13 u. 19 – 20. 24 Euterpi Marki, Ἕνας ἄγνωστος ὀκταγωνικὸς ναὸς στὴ Θεσσαλονίκη, Makedonika 23 , 1983 , 117 –133; Hattersley-Smith 1996 , 163 –165; Ćurčić 2010 a, 104 –105. 25 Vgl. Chrysanthi Mavropoulou-Tsioume  – Dimitra PapanikolaBakirtzi, Κιονοκρανία της συλλογής της Ροτόντας Θεσσαλονικης, Μέρος Α᾿· Κορινθιακά κιονόκρανα καιπαραλλαγές, Makedonika 19, 1979, 11– 39, hier 16 –17 u. 29 – 30, Nr.  11–15 (Kapitelle, die höchstwahrscheinlich vom Oktogon stammen). Hypothetisch ist Slobodan Ćurčićs Datierung in das frühe 5. Jh.: Ćurčić 2010b, 224 – 226 . 26 Ćurčić 2010 a, 109 –110. 27 Miracula Sancti Demetrii I.5 §50 p. 885 – 89 7 Lemerle. 28 Delehaye 1933 , 229 – 232; Skedros 1999, 15; Marki 1981 (2007), 22 – 33; Marki 2006 , 69 – 99. In Thessaloniki sind zwei große Nekropolen bekannt, eine im Westen, die andere im Osten vor der befestigten Stadt: Marki 2006, passim. Weitere Gräber listet auch Laskaris 2000, 225 – 236 , auf. 29 Martyrologium Syriacum p. 14. 30 Synaxarium Eccl. Const. p. 605 (16 . April). Delehaye 1933 , 229; Herbert Musurillo, Acts of the Christian Martyrs, Oxford 1972 , 280 – 293 . 31 Miracula Sancti Demetrii I.12 § 107 p. 12624 – 26 Lemerle. Marki 2000 (2007), 49; Marki 2006, 86 – 90. 32 Synaxarium Eccl. Const. p. 583; BHG² 1784 . Vermutlich handelt es sich bei ihm auch um den hl. Agapetos, der in einer Liste von Märtyrern der diokletianischen Verfolgung in der Passio der hll. Gurias und Samonas auftaucht: Delehaye 1933, 230. 33 Hypothetisch ist die Identifizierung eines fünfapsidalen Gebäudes westlich der Stadtmauer mit einem »Martyrion« der hll. Theodulos und Agathopus: Dimitrios Pandermalis, Ἀρχαιότητες καὶ μνημεῖα Κεντρικῆς Μακεδονίας, Archaiologikon Deltion 29, 1973/4, Chron. 653 – 700, hier 691; Euterpi Marki, Δύο ἄγνωστα μνημεῖα τῆς Θεσσαλονίκης, in: 5ο symposio byzantines kai metabyzantines archaiologias kai technes, Athen 1985, 52 – 53; Marki 2000 (2007), 48 – 49; Marki 2006, 91– 94. 34 Synaxarium Eccl. Const. p. 96 . Myron Michaelidis, Μεσαιωνικὰ Μακεδονίας, Archaiologikon Deltion 22 , 1967, Chron. 435 – 439, hier 437 – 438; Marki 2000 (2007), 46; Marki 2006 , 75 – 78 . Die Identifi-

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zierung eines »Martyrions« am Ort des öffentlichen Schwimmbads im Osten der Stadt ist m. E. völlig hypothetisch. 35 Synaxarium Eccl. Const. p. 136 . Stylianos Pelekanides hat ein weiteres, im Bereich der Kirche Hagia Triada im Osten der Stadt gelegenes »Martyrion« mit diesem Heiligen in Verbindung gebracht: Unpubliziertes Manuskript, erwähnt bei Marki 2000 (2007), 45; Marki 2006, 83 – 86 . 36 Synaxarium Eccl. Const. p. 208 . François Halkin, La prétendue passion inédite de S. Alexandre de Thessalonique, in: Recherches et documents d’hagiographie byzantine (= Subsidia Hagiographica 51), Brüssel 1971, 92 – 94. 37 Marki 1981 (2007), 29 – 33 . Despoina Makropoulou, Ὁ παλαιοχριστιανικὸς ναὸς ἔξω ἀπὸ τὰ ἀνατολικὰ ταίχη τῆς Θεσσαλονίκης, Makedonika 23, 1983 , 25 – 46; Laskaris 2000, 40 – 41; Marki 2006 , 79 – 83; Ćurčić 2010 a, 102 . 38 Synaxarium Eccl. Const. p. 355 . Joseph Viteau, Passions des Saints Écaterine et Pierre d’Alexandrie, Barbara et Anysia, Paris 1897, 119; Marki 2000 (2007), 47 – 48; Marki 2006, 74 – 75. 39 Synaxarium Eccl. Const. p. 563 . 40 Miracula Sancti Demetrii I.12 §106 p. 12615 Lemerle. Marki 2000 (2007), 49 – 50; Marki 2006, 94 – 95. 41 Feissel 1983 , 172 –173 Nr. 204. 42 Zwar sind verschiedentlich Heilige dieses Namens belegt, doch lässt sich keiner in Thessaloniki verorten: Delehaye 1933, 231. Dennoch hat man versucht, ein »Martyrion«, dessen Reste man im Bereich des Fundorts der Inschrift ergraben hatte, mit diesem Heiligen in Verbindung zu bringen: Elli Pelekanidou, Νέα ευρήματα στο ανατολικό νεκροταφείο της Θεσσαλονίκης, To archaiologiko ergo sto Makedonia kai Thrake 7, 1993, 373 – 387, hier 379 – 380; Marki 2006, 69 – 74. 43 Raymond-J. Loenertz, Saint David de Thessalonique. Sa vie, son culte, ses reliques, ses images, Revue des études byzantines 11, 1953, 205 – 223. 44 Entsprechend hätte der Bau als Kenotaph gedient: vgl. Beat Brenk, Innovation im Residenzbau der Spätantike, in: Beat Brenk (Hrsg.), Innovation in der Spätantike, Wiesbaden 1996, 67 – 114, hier 106 – 112 . 45 Vgl. hierzu Mentzos 2001/02 , 57 – 63 (mit Verweis auf ältere Literatur, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll). Zuletzt zu dieser Frage Laura Nasrallah, Empire and Apocalypse in Thessaloniki: Interpreting the Early Christian Rotunda, Journal of Early Christian Studies 13, 2005, 465 – 508 , hier 480. 46 Ćurčić 2010 a, 53 – 54, und jüngst Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 115. 47 Auf die komplexe Frage des Umbaus der Rotunde kann hier nicht eigens eingegangen werden. Vgl. hierzu Mentzos 2001/02 , 63 – 67. Mentzos weist zu Recht darauf hin, dass keinesfalls gesichert ist, ob die Mosaikausstattung gleichzeitig mit dem Umbau der Rotunde erfolgte. Die Mosaikausstattung wird ausführlich beschrieben bei Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – Mavropoulou-Tsioumi 2012 , 55 –114. 48 Hjalmar Torp, Mosaikkene i St. Georg-Rotunden i Thessaloniki, Oslo 1963, 30 – 32; Kleinbauer 1972 , 39 – 40. 49 S. hierzu die Diskussion bei Kleinbauer 1972 , 40 – 44. 50 Vgl. hierzu auch Spieser 1984, 157 –160. 51 Weigand 1939, 120 –124; Kleinbauer 1972 , 45 – 46; Georgios Gounaris, Αἱ ἑορταστικαὶ ἐπιγραφαὶ τῶν ψηφιδωτῶν τοῦ τρούλλου τοῦ Ἁγίου Γεωργίου (Rotonda) Θεσσαλονίκης, Makedonika 12 , 1972 , 201– 227; Feissel 1983, 103 –110 Nr. 110; Spieser 1984, 154 –155.

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52 W. Eugene Kleinbauer, The Orants in the Mosaic Decoration of the

Rotunda at Thessalonike: Martyr Saints or Donors?, Cahiers Archéologiques 30, 1982 , 25 – 45, hat angezweifelt, dass es sich um Darstellungen von Heiligen handelt und statt dessen Stifterdarstellungen vorgeschlagen. Dies scheint mir aufgrund der Position der Bilder innerhalb des Raums und der – durch die Inschriften – klaren Identifizierbarkeit als Heilige sehr unwahrscheinlich. Kleinbauers Ansicht wurde jüngst wiederholt bei Bakirtzis – Kourkoutidou-Nikolaidou – MavropoulouTsioumi 2012 , 111 u. 116 . 53 Maria Koroze – Giorgos Phakorelles – Georgios Maniates, Μελέτη και χρονολόγηση με Άνθρακα-14 ασβεστοκονιαμάτων εντοίχιων ψηφιδωτών, in: Joannes Basiakos – Elene Aloupe – Giorgos Phakorelles (Hrsg.), Αρχαιομετρικές μελέτες για την Ελληνική προιστορία και αρχαιότητα (Archaiometrikes meletes gia ten Ηellenike proistoria kai archaioteta), Athen 2001, 317 – 326, hier 319 – 320; Fourlas 2012 , 178 –179. 54 Weigand 1939, 124 –128 . 55 Spieser 1984 , 132 – 164 . Jean-Michel Spieser, Remarques sur les Mosaïques de la Rotonde de Thessalonique, in: Praktika tu 8u synedriu diethnus epitropes gia te synterese ton psefidoton (ICCM) – Proceedings of the VIII th Conference of the International Committee for the Conservation of Mosaics (ICCM), Thessaloniki 2005, 437 – 446. Diese Datierung entspricht auch der des Ambos von Hagios Georgios, der sich im Archäologischen Museum von Istanbul befindet: Rainer Warland, Der Ambo aus Thessaloniki. Bildprogramm, Rekonstruktion und Datierung, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 109, 1994, 371 – 385, hier 381 – 385 (mit Datierung des Ambos um die Mitte des 6. Jhs.). Datierung in die Zeit Theodosius’ I. zuletzt bei Ćurčić 2010a, 71. 56 Weigand 1939, 124: »… so ist es offensichtlich, dass hier bereits ein Heiligenkalender nicht mehr lokalen, sondern universellen Charakters vorliegt, in dem die einheimischen Märtyrer so gut wie keine Rolle spielen.« 57 Bréhier 1919, 6 ; Leclercq 1950 , 650 . Vgl. auch Kleinbauer 1972 , 55 – 56 u. 74; Feissel 1983 , 109; Spieser, a. O. (2005), 440 – 441. Daher ist das Fehlen einer Demetriosdarstellung kein Argument für das Fehlen einer Demetriosverehrung zum Zeitpunkt der Ausmosaizierung der Rotunde: vgl. Skedros 1999, 13 –14. Skeptisch gegenüber dieser Deutung ist Mentzos 2001/02 , 68, der aber keine stichhaltigen Gegenargumente liefert. 58 Der Vorschlag von Mentzos 2001/02 , 73 – 79, die Rotunde sei im Zusammenhang mit der Erhebung Valentinians III. zum Caesar in Thessaloniki im Jahre 424 oder für die Hochzeit Valentinians III. mit Eudoxia, die 437 in Thessaloniki stattfinden sollte, neugestaltet und

Demetrios’ Konkurrenten: Heilige im spätantiken Thessaloniki

mosaiziert worden, ist hypothetisch und bietet keine Erklärung für die Heiligendarstellungen. Die engen Bezüge zur imperialen Ikonographie betont Ćurčić 2010b, 218 – 222 . 59 Vgl. Bréhier 1919, 6 . Die Nischen wurden nachträglich durchbrochen, um Zugang zum äußeren Umgang zu gewähren. Eher unwahrscheinlich scheint mir die Annahme, etwaige Reliquien seien in den beiden Krypten aufbewahrt worden, die Ernest Hébrard und Ejnar Dyggve entdeckt hatten: Ernest Hébrard, Les travaux du Service Archéologique de l’Armée d’Orient à l’Arc de Triomphe »de Galère« et à l’église Saint-Georges de Salonique, Bulletin de Correspondance Hellenique 44, 1920, 5 – 40, Taf. III/IV; Ejnar Dyggve, Compte rendu succint des fouilles de Thessalonique 1939, Rivista di Archeologia Cristiana 17, 1940, 149 –156, hier 155 Abb. 7; Kleinbauer 1972 , 55 – 56 . 60 Leclercq 1950 , 651. Die Analogie des spätantiken Rundbaus zum römischen Pantheon betont Mentzos 2001/02 , 61 u. 63 . 61 Skedros 1999, 15 . 62 Zur Topographie vgl. Bakirtzis 1988 , 8 –10. 63 Vgl. hierzu Gilbert Dagron, La christianisme dans la ville byzantine, Dumbarton Oaks Papers 31, 1977, 3 – 25, hier 14 –15; Laskaris 2000, 145 –147; Saradi 2006 , 432 – 439. 64 Euterpi Marki, Το τέλος της αρχαιότητας και η εισαγωγή των νεκρών στην πόλη. Η περίπτωση της Θεσσαλονίκης, in: 10 ο symposio byzantines kai metabyzantines archaiologias kai technes, Athen 1990, 41– 43; Euterpi Marki, Τα χριστιανικά κοιμητήρια στην Ελλάδα. Οργάνωση, τυπολογία, ταφική ζωγραφική, μαρτύρια, κοιμητηριακές βασιλικές, Deltion tes Christianikes Archaiologikes Hetaireias 23, 2002 , 163 –175, hier 172 –175. Innerstädtische Gräber zusammengefasst bei Laskaris 2000, 236 – 238 . Marki 2000 (2007), 52 – 53; Marki 2006 , 47 – 48 . 65 Vgl. bereits Delehaye 1909, 107. 66 Vgl. zum Folgenden Beat Brenk, Microstoria sotto la chiesa dei Ss. Giovanni e Paolo: la cristianizzazione di una casa privata, Rivista dell’Istituto Nazionale d’Archeologia e Storia dell’Arte 18, 1995, 169 – 205. 67 S. o. S. 34 – 36 . 68 Passio Altera p. 1176 . 69 Vgl. für Ostia: Franz Alto Bauer, Stadtbild und Heiligenlegenden. Die Christianisierung Ostias in der spätantiken Gedankenwelt, in: Gunnar Brands – Hans-Georg Severin (Hrsg.), Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung, Wiesbaden 2003, 43 – 61. 70 Saradi 2006 , 325 – 343 . 71 Miracula Sancti Demetrii I.14 § 143 p. 150 27 –1514 Lemerle. 72 Soweit der durchaus plausible Teil der Hypothese von Woods 2000, 233: Oft genügte eine schwer leserliche Inschrift, die scheinbar Zeugnis von einem lange verstorbenen Heiligen gab.

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Vermutlich nahm die Katastrophe ihren Ausgang in einer armseligen Garküche im Westen der Stadt. Am 18. August 1917 gegen drei Uhr nachmittags soll der Funke eines Herdfeuers einen Strohhaufen in Brand gesetzt haben. Sofort griffen die Flammen auf die benachbarten Häuser über und breiteten sich in den engen Gassen Thessalonikis mit den zahlreichen Holzbauten rasch aus. Die Luft war trocken, das Wasser knapp, die Feuerwehr unorganisiert, und auch die vor der Stadt stationierten ausländischen Truppen der Entente reagierten nur langsam auf das drohende Inferno. So konnte sich das Feuer ungehindert durch die Stadt fressen und eine Schneise totaler Verwüstung hinterlassen (Abb. 2a–c). Den meisten Bewohnern gelang zwar die Flucht, doch mussten sie tatenlos mitansehen, wie ihre Häuser Opfer des Feuers wurden. Erst nach eineinhalb Tagen, in der Nacht zum 20. August, legten sich die Flammen. Weite Teile Thessalonikis waren ein rauchendes Trümmerfeld, 128 Hektar des Stadtgebiets verwüstet (Abb. 3 – 4).1 Zerstört waren nicht nur die wichtigsten administrativen und kommerziellen Gebäude sowie die Konsulate der europäischen Nationen, zerstört waren ferner drei orthodoxe Kirchen, zehn Moscheen und sechzehn Synagogen. Vor allem aber: 72 .500 Einwohner wurden durch das Feuer obdachlos. Die jüdische Bevölkerung traf es besonders hart, da der Brand hauptsächlich in ihren Stadtvierteln wütete, während die Oberstadt mit überwiegend moslemischer Bevölkerung verschont blieb (Text 1). Der Brand, der sich von Westen nach Südosten durch die Stadt fraß, erreichte noch die Kirche Hagios Demetrios. Der Bau wurde am Abend des 19. Augusts von den Flam1  Wer zu Beginn des 20. Jh. die Kirche Hagios Demetrios betrat, der sah einen reich mit Säulen, Kapitellen und Vertäfelungen in den verschiedensten Marmorsorten ausgestatteten Bau, den die Patina einer 1500jährigen Geschichte prägte. Auf der hohen Säulenbasis im linken Bildbereich sitzt ein Forscher und fertigt eine Skizze oder einen Plan des Bauwerks an, das bis 1913 noch als Moschee diente.

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2a–c  18. und 19. August 1917: Ein fürchterlicher Brand verwüstete das Stadtgebiet. Fotos des Brands wurden vor allem bei den in Thessaloniki stationierten französischen Soldaten zu einem beliebten Postkartenmotiv. a.) Das Feuer fraß sich von Nordwesten nach Südosten und vernichtete weite Teile der griechischen und jüdischen Wohnviertel. b.) Da sich das Feuer langsam ausbreitet, konnten sich fast alle Bewohner retten c.) In der Nacht vom 18. auf den 19. August erfassten die Flammen die Kirche Hagios Demetrios, deren Minarett rechts erkennbar ist.

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4  Plan der infolge des Stadtbrands des Jahres 1917 zerstörten Bereiche Thessalonikis. 128 Hektar Bebauung

fielen den Flammen zum Opfer; mehr als 72.000 Menschen wurden obdachlos.

6  Diese anonyme Aufnahme aus

den Tagen unmittelbar nach dem Stadtbrand zeigt einen Priester, der über die Trümmer der in weiten Teilen zerstörten Kirche Hagios Demetrios geht. Er befindet sich im Bereich der südlichen Seitenschiffe, deren Trennwand komplett eingestürzt ist. Hinter ihm ist der vergleichsweise gut erhaltene südliche Querhausarm zu erkennen. 5a

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3  Die Luftaufnahme, die in den Tagen nach dem Stadtbrand des Jahres 1917 entstanden ist, zeigt, wie sich das Feuer von Nordwesten nach Süd-

osten durch die Stadt fraß und vor allem die am Wasser gelegenen Viertel zerstörte. Am linken oberen Bildrand ist noch die ebenfalls die schwer zerstörte Kirche Hagios Demetrios erkennbar.

5a–b  In der Nacht vom 18. auf den 19. August brannte auch die Kirche Hagios

Demetrios aus. Zwei gleichzeitig gedruckte Postkarten mit Ansichten des Baus von demselben Standpunkt zeigen die Kirche vor dem Brand und danach. Dabei werden die immensen Schäden deutlich, die das Feuer anrichtete.

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7a–d  Bilder der schwer zerstörten Kirche Hagios begegnen häufig auf Ansichtskarten, welche die in Thessaloniki stationierten ausländischen Soldaten nach Hause schickten. Sie zeigen das ganze Ausmaß der Zerstörung: Bis auf den mittleren Abschnitt des Querhauses mit der Apsis war das gesamte Emporengeschoß eingestürzt. Zerstört waren ferner die Arkadenkolonnaden zwischen den Seitenschiffen, während die unteren Stützenreihen des Mittelschiffs weitgehend erhalten blieben. 8  Dieses Foto wurde vom noch erhaltenen Minarett der ehemaligen Moschee aufgenommen. Man hatte bereits erste Sicherungsmaßnahmen vorgenommen und den Trümmerschutt aufgeräumt. 9  Die Aufnahme stammt von dem Schweizer Photographen Frédéric Boissonnas und wurde 1918 angefertigt. Die Trümmer sind nun beseitigt worden; im Bildvordergrund erkennt man das soeben ausgegrabene Fundament des Ziboriums. Der Text lautet: »Das ist alles, was von der berühmten Basilika übriggeblieben ist. Auf den ersten Blick scheint die Zerstörung nicht behebbar zu sein. Der Ephor, Professor Soteriou, glaubt dennoch an die Möglichkeit eines Wiederaufbaus, da sich alle wichtigen Bauteile erhalten haben. Er hat alle Steinchen der zerstörten Mosaiken aufbewahrt. Auch hat er schon die berühmte Inschrift zur Gänze wiederherstellen lassen. Außerdem erlaubten ihm die Grabungen unter dem Fußboden die Freilegung einer unterirdischen Kapelle, einer geräumigen Krypta und eines Ziboriums, vermutlich aus dem 5. Jh. Nichts jedoch wird den silbernen Charme, der im Laufe der Zeit das Innere zierte, wiederauferstehen lassen.« 10  Die beiden Protagonisten des Wiederaufbaus der Kirche: der Architekt

Aristoteles Zachos und der Archäologe Georgios Soteriou. Zachos war mit der Wiederherstellung der Kirche beauftragt, Soteriou hingegen mit der Grabung im Inneren der Kirche und der Dokumentation der bauarchäologischen Befunde.

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1.  Augenzeugen berichten vom Brand des Jahres 1917: Ich habe eine Stadt sterben sehen, im Todeskampf gegen Flammen, Asche und Rauch. Weil eine alte Frau im Schatten ihrer Hütte aus trockenem Holz und Lehm kochendes Öl in die Glut ihres Herds vergossen hat, in dem ihr karges Essen aus Auberginen und Tomaten gebraten werden sollte, weil der Wind aus Vardar stark wie ein Sturm blies, weil die Juden am Tag des Shabbash-Fests ihre Läden verlassen haben, weil das Wasser fehlte – deshalb wurde für die Stadt in wenigen Stunden aus einem trägen Nachmittagsschlaf die Leichenstarre des Todes. Als die Sonne unterging, schien die Katastrophe unvermeidlich. Der schmerzhafte Auszug begann von neuem. Vom türkischen Viertel, wo das Feuer seinen Ausgang genommen hatte, erreichte die Panik das jüdische Viertel, den Bazar und das griechische Viertel. In verstreuten Gruppen, unschlüssig und verzweifelt, ließ die Bevölkerung in Scharen ihre Behausungen zurück. Seit so vielen Jahrhunderten sind die Menschen fürchterliche Ereignisse gewohnt, dass sie sich abgewöhnt haben zu klagen. Sie entflohen der zerstörerischen Macht ohne Schrei, ohne Wehklagen, und begaben sich in dem glutroten und rauchgeschwängerten Abend zum Meer, auf der instinktiven Suche nach Schutz. Die Nacht kam. Das Licht der zerstörerischen Flammen trat an die Stelle des letzten Tageslichts, wieder entfachten tödliche Windstöße, Molochs Atem wurde noch glühender. Wie brennender Schnee, wie glühende Wolken regneten die Funken auf den Kai und den Hafen herunter, sodass selbst die Schiffe Feuer fingen. Tapfer eilten auf den Ruf der griechischen Behörden die französischen, englischen und italienischen Truppen herbei, brachten ihre Wägen, ihre Laster, ihre Pumpen, ihre Werkzeuge und Dynamitstangen, um eine Feuerschneise zu schlagen, die eine Ausbreitung

der Feuersbrunst eindämmt. Vergebliche Mühen, nutzlose Anstrengungen. Es war zu spät. Die reiche Handelsstadt, die Perle der Chalkidike war gerichtet, verurteilt und bestraft worden. … Hagios Demetrios stürzte um zwei Uhr morgens ein. Der gedeckte Bazar war nur noch ein großes Feuer, die jüdische Plaça nur noch eine Erinnerung. Die Bank von Athen, die Nationalbank, die Osmanische Bank lagen in Schutt und Asche. Das gesamte Viertel des Handels, der Kredite, des Profits und der Gewinnsucht versank wie eine biblische Stadt in Asche. Die Massen, unbeweglich, niedergestreckt, wachten aus ihrem Alptraum auf und zogen sich Schritt für Schritt mit ihrer Habe, ihren Wägen und Tieren von dem Unheil zurück. Die Frauen starr vor Schreck, die Männer müde und entmutigt, die Kinder zu sehr erschreckt um zu weinen, blickten in Panik auf den unwirklichen Schreckenszauber der Flammen. … Hunderttausend waren ohne Unterkunft, ohne Nahrung, ohne Brot, ohne Kleidung, und sie verfluchten zugleich das Unheil, welches sie ruiniert hatte, wie auch jene, welche sie vor den Auswirkungen des Unheils bewahrt hatten. … Zur Oberstadt hin war die Basilika des heiligen Demetrios, des Stadtpatrons, vom Brand betroffen, eine Kirche mit wunderbaren byzantinischen Mosaiken. Eine griechische Bäuerin hält auf ihrer Flucht einen Moment inne und bekreuzigt sich einige Male. Dicke Tränen fließen ihr über das Gesicht. Sie blickt zum Himmel und breitet ihre beiden Arme aus, wie ein Priester, der vor dem Altar stehend Gott anfleht: »Heiliger Demetrios, heiliger Demetrios, hast Du die Stadt erschaffen, damit du sie derart preisgibst?«

men erfasst; rasch brannten der hölzerne Dachstuhl und die Emporenböden aus. Als die Eindeckung in den frühen Morgenstunden des folgenden Tags in sich zusammenfiel, wurden die oberen Wandpartien und die Stützenwände zwischen den Seitenschiffen mitgerissen (Abb. 7a–d). Zwar blieben die Arkadenkolonnaden des Mittelschiffs im Untergeschoss weitgehend erhalten, ebenso das Querhaus und die Außenwände (Abb. 8 – 9), doch gingen wertvolle Teile der einstigen Kirchenausstattung verloren: Mosaiken, ein Großteil des opus sectile-Dekors sowie Teile der Bauplastik. Trotz der tiefgreifenden Zerstörungen zögerte man nicht,

die Kirche des Stadtpatrons in den folgenden Jahrzehnten wiederaufzubauen.2 Zunächst jedoch war man mit Aufräum- und Sicherungsmaßnahmen beschäftigt; erst 1926 konnte unter der Leitung des Architekten Aristoteles Zachos mit dem Wiederaufbau begonnen werden.3 Doch wurden die Arbeiten infolge finanzieller Engpässe schon nach wenigen Jahren wieder eingestellt. Bis 1939, Zachos’ Todesjahr, konnte man lediglich die Außenwände und die Stützenreihen im Inneren errichten (Abb. 11–12).4 Während des zweiten Weltkriegs mussten die Arbeiten an der Kirche ruhen und konnten erst nach

12

(Inahim Jessé-Ascher, in: L’Illustration Nr. 3888 vom 8. September 1917, 253 – 254)

11  Erst nach 1926 konnten die Wiederaufbaumaßnahmen beginnen. 1931

hatte man bereits die Stützenreihen zwischen den Seitenschiffen wiedererrichtet. Ursprünglich handelte es sich um eine einheitliche Folge von Säulen ohne Pfeiler, doch entschloss sich Zachos zu Abweichungen vom alten Bauzustand, um dem Bau ein einheitliches Erscheinungsbild zu geben.

12  Für den Wiederaufbau der Kirche wurden zahlreiche Werkstücke neuangefertigt: Säulen, Basen, Kapitelle etc. Ursprünglich sollten alle alten Bauglieder erneuert werden, doch sah man aus denkmalpflegerischen Gründen davon ab.

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vollendet (Abb. 14). Am 26. Oktober 1949 – dem Festtag des hl. Demetrios – war es endlich soweit: Die Kirche wurde vom Thessaloniker Metropoliten eingeweiht (Abb. 15).6 Beim Wiederaufbau der Kirche nahm man sich die Freiheit, Unregelmäßigkeiten in Grund- und Aufriss zu bereinigen, spätere Veränderungen zu eliminieren, die Bauplastik teilweise frei zu ergänzen und den Altarbereich mit einer Skulpturausstattung zu versehen, die keinerlei Grundlage im alten Bau hatte (Abb. 16). Doch formierte sich bald Widerstand gegen eine zu freie Neugestaltung. Nach 1945 beteiligten sich zahlreiche namhafte Archäologen und Architekturhistoriker, neben Georgios Soteriou unter anderem Anastasios Orlandos, Andreas Xyngopoulos und Stylianos Pelekanides, mit Rat und Tat an dem Projekt und setzten durch, dass  – entgegen Zachos’ Plan  – nach Möglichkeit originale Bausubstanz erhalten und in den Wiederaufbau integriert werden sollte anstatt alle beschädigten Bauglieder durch Neuanfertigungen zu ersetzen.7 Daher weisen noch heute einige der Säulen und Kapitelle Spuren des großen Brands auf und erinnern an eine der schlimmsten Katastrophen in der Geschichte Thessalonikis.

Forschungsgeschichte

13a–b  Wohlfahrtsmarken zur Unterstützung des Wiederaufbaus von Hagios Demetrios aus den Jahren 1937 und 1948. Die ältere Marke (a) zeigt das Innere der Kirche vor dem Brand 1917, die jüngere Marke (b) das heute noch erhaltene Mosaik eines Heiligen auf dem nördlichen Querhauspfeiler.

1945 fortgesetzt werden. Infolge Geldmangels näherte sich

der Wiederaufbau nur langsam seiner Vollendung.5 Eine Art Förderverein wurde gegründet, und eine eigene Briefmarke herausgegeben, deren Erlös der Kirche zugutekam (Abb. 13). Ein weiteres Mal starb während der laufenden Arbeiten, im Jahr 1949, der leitende Architekt Leonidas Thanopoulos, doch war zu diesem Zeitpunkt die Wiederherstellung fast

Ergebnis dieses Wiederaufbaus war ein Kirchenraum, dessen Architektur und Ausstattung nur auf den ersten Blick dem 1917 zerstörten Bau entsprechen. Historisch interessierte Reisende des 18. und 19. Jh., die den Bau noch als Moschee kennengelernt hatten, sahen einen ganz anderen Raum, einen Raum voll historischer Patina (Abb. 1, 17 –18). Sie schwärmten von seiner Schönheit, dem Säulenreichtum und der Fülle an Marmor, ohne sich systematisch mit Architektur und Ausstattung auseinanderzusetzen (Text 2).8 Auch faszinierte westliche Besucher, wie sich im Kleid einer Moschee eine alte Kirche erhalten hatte.9 Erst allmählich setzte auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bau ein.10 1864 erschien eine erste ausführliche Analyse der Kirche in dem von Charles Texier und Richard P. Pullan veröffentlichten Überblickswerk zur byzantinischen Architektur.11 Beide Autoren beschränkten sich nicht auf eine Dokumentation der Architektur, sondern bemühten sich zugleich um eine historische Darlegung des Demetrioskults.12 Erstmals legten Texier und Pullan Grundriss, Längsschnitt und zwei Querschnitte der Kirche, einen Aufriss der

14  Luftaufnahme von Hagios Demetrios aus dem Jahr 1949. Die Kirche ist wiederhergestellt, nur an der Nordwestecke wird noch der Kirchturm errichtet, der im alten Bau kein Vorbild hatte.

15  Endlich ist es soweit: Am 26. Oktober des Jahres 1949, also mehr als 32 Jahre nachdem Hagios

Demetrios den Flammen zum Opfer gefallen ist, kann die Kirche wieder eingeweiht werden. Gläubige versammeln sich am Vorabend des Heiligenfests mit Lampen vor der Kirche.

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2a. Eine Beschreibung der Demetrioskirche des französischen Reisenden Paul Lucas: Es gab da auch viele schöne Moscheen, die einst Kirchen waren. Diejenige, welche die Christen vor der Türkenherrschaft Kirche des Demetrios nannten, ist besonders bemerkenswert. Sie ist ein sehr schönes Gebäude, das von schönen Säulen aus Marmor, Jaspis und Porphyr getragen wird. Dieses großartige Bauwerk hat unter sich noch ein anderes von der gleichen Schönheit, aber ich durfte es nicht sehen, da dort die Frauen Seide verarbeiten. Außerdem hat man mir versichert, dass es in den beiden Teilen der Kirche, die sich übereinander befinden, tausendundeine schöne Säule

gibt. Der Bodenbelag der oberen Kirche war aus Mosaik; sein Altarbereich ist wunderschön errichtet. Zwischen zwei Säulen, auf einem Grab in etwa 15 Fuß Höhe, fand ich eine griechische Versinschrift, eine von weiteren 50 Inschriften. Sie gibt einen Eindruck von dem Auftraggeber, weil sie erwähnt, dass er alle Tugenden besessen und Griechenland Ehre erwiesen hat. (Voyage dans la Grèce, L’Asie Mineure, La Macédoine et L’Afrique, Paris 1712 , 260; Tampake 1998, Beil. 19)

2b.  Eine Beschreibung der Demetrioskirche des englischen Reisenden Richard Pococke: Die schönste Mosche in der Stadt war einst eine Kirche und trug den Namen des heiligen Demetrios. Sie ist 71 Schritt lang und 41 Schritt breit. Auf beiden Seiten gibt es eine zweifache Kolonnade mit weißen Marmorsäulen, wobei jede eine Empore mit Säulen darüber trägt. Die Emporen, die von der äußeren Säulenreihe getragen werden, befinden sich unterhalb der Emporen, die von den Säulen zu Seiten

des Mittelschiffs getragen werden. Die ganze Kirche ist im Inneren mit Marmor verkleidet. Unter ihr befindet sich eine weitere Kirche, die allerdings geschlossen ist und von niemandem betreten werden kann. Man sagt, der heilige Paul habe hier gepredigt. (A Description of the East, and Some other Countries, London 1743, III, 151; Tampake 1998, Beil. 24)

2c. Eine Beschreibung der Demetrioskirche des englischen Reisenden Edward D. Clarke: Diese Moschee (sc. die ehemalige Demetrioskirche) haben wir ebenfalls besucht; einst war sie die Bischofskirche. Sie besitzt die Form eines Kreuzes. Pococke nennt sie die schönste Moschee in der Stadt. Auf beiden Seiten ist eine doppelte Kolonnade von Säulen aus verde antico mit ioni-

schen Kapitellen; und der gesamte Innenraum war mit Marmor ausgekleidet, von dem sich ein großer Teil erhalten hat. Die Moschee ist etwa 70 yards lang und 40 yards breit.

Langhaus- und Eingangswand sowie Detailzeichnungen der Bauskulptur und Marmorvertäfelung vor (Abb. 19).13 Nun da der Bau einem Fachpublikum bekannt gemacht worden war, zog er weitere Besucher an. 1889 statteten die Architekten Robert W. Schultz und Sidney H. Barnsley Thessaloniki einen Besuch ab und machten mehrere Photographien des Baus – die ältesten erhaltenen Aufnahmen des Innenraums (Abb. 17 –18).14

Der Startschuss für eine ausführliche wissenschaftliche Untersuchung fiel am ersten August 1907, als die osmanische Stadtverwaltung gestattete, Teile des Wandverputzes fortzunehmen, um den älteren Bildschmuck freizulegen.15 Dabei entdeckte man ausgedehnte Mosaikpartien im nördlichen Seitenschiff und an den Pfeilern des ehemaligen Altarraums, die der Fachwelt bald durch Beschreibungen, Fotos und Aquarelle bekannt gemacht wurden (Abb. 20).16 Als beson-

(Travels in Various Countries of Europe, Asia, and Africa, London 1818⁴, VII, 455 – 456; Tampake 1998, Beil. 31)

16  Inneres der Kirche Hagios Demetrios nach dem Abschluss der Wieder-

herstellungsarbeiten. Der Bau wirkt steril, ihm fehlt jede historische Patina. Noch fehlt die Ausmalung der Apsis, die erst 1989 erfolgte.

ders wertvolle Dokumentation entpuppten sich die Zeichnungen und Aquarelle des Engländers Walter S. George, der im Sommer 1909 in Thessaloniki weilte.17 Sein Interesse richtete sich nicht nur auf den Mosaikdekor, sondern auch auf die Architektur, von der er sehr genaue Grundrisse auf verschiedenen Ebenen, Längs- und Querschnitte sowie Ansichten der Außenfassaden anfertigte (Abb. 21– 22). Diese ersten Publikationen des Baus und seiner Ausstattung brachten den Stein ins Rollen und hatten eine Fülle weitergehender Untersuchungen zur Folge. Man wandte sich der Baugeschichte von Hagios Demetrios zu und begann sich für die Ikonographie und Datierung der verschiedenen Mosaiken zu interessieren.18 Es entstanden weitere Fotografien des Innenraums, darunter die ersten – und einzigen – Farbaufnahmen vor dem Stadtbrand 1917:19 sog. ›Autochrome‹ des südlichen Transeptpfeilers mit dem Stiftermosaik, der Apsis und der Mosaiken im nördlichen Seitenschiff (Abb. 23 u. Kap. VI Abb. 2).20 Zu dieser Zeit war der Bau noch eine Moschee, doch sollte sich dies bald ändern. Thessaloniki, das türkische

Selanik, gehörte offiziell bis 1913 zum osmanischen Reich, war aber schon im Jahr zuvor von griechischen Truppen eingenommen worden. Angeblich hatte dabei sogar der Stadtheilige seine Hand im Spiel:21 Denn es war der 26. Oktober 1912 , also der Festtag des hl. Demetrios, an dem das griechische Heer, angeblich nur Stunden vor Eintreffen eines bulgarischen Kontingents, die Stadt übernahm. Zunächst blieben die Acheiropoietosbasilika, die Hagia Sophia und die Demetriosbasilika noch Moscheen, doch war ihre Rückwandlung in Kirchen nur mehr eine Frage der Zeit. »Wozu haben wir die Türken besiegt? Um eine Moschee Allahs durchqueren zu müssen, wenn man zum hl. Demetrios beten möchte?« – So lauteten die Beschwerden dieser Tage (Text 3).22 Daher wurde die Kasimiye Camii wenig später in die Kirche des hl. Demetrios rückverwandelt, dessen Kult an diesem Ort, auch in der Zeit als Moschee, nie unterbrochen gewesen war.23 Infolge des ersten Weltkriegs war die Erforschung der Kirche ins Stocken geraten; erst 1918 erschien wieder eine

17 –18  (Nächste Doppelseite) Die ältesten Aufnahmen der Kirche stammen aus dem Jahr 1889. Damals waren die bekannten Architekturhistoriker Robert

W. Schultz und Sidney H. Barnsley nach Thessaloniki gekommen und fertigten hervorragende Aufnahmen des Inneren der Kasimiye Camii an, wie Hagios Demetrios in osmanischer Zeit genannt wurde, als der Bau als Moschee diente.

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19  Die erste wissenschaftliche Dokumentation des Baus stammt aus dem Jahr 1864. Die Architekten Charles Texier und Richard P. Pullan veröffentlichten in ihrem Werk über byzantinische Architektur Grundriss, Längs- und Querschnitte sowie genaue Umzeichnungen der Kapitelle und des opus-sectile-Dekors.

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20  Die Aufnahme entstand

unmittelbar nach der Freilegung der Mosaiken im nördlichen Seitenschiff im Dezember 1907. In den folgenden eineinhalb Jahren sollten die Mosaiken ausführlich durch Photographien und Aquarelle dokumentiert werden.

21 – 22  Im Sommer 1909 hielt sich der Engländer Walter S. George in Thessaloniki auf. Er fertigte eine sehr genaue

Bauaufnahme der Kirche Hagios Demetrios an, bestehend aus Grundrissen auf verschiedenen Ebenen, Längs- und Querschnitten sowie Ansichten des Außenbaus. Außerdem stammen von ihm detailreiche Aquarelle der Mosaiken im nördlichen Seitenschiff.

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24  Umgebung der Kirche

Hagios Demetrios. Unter und in unmittelbarer Nachbarschaft der Kirche haben sich zahlreiche Baureste erhalten, die teilweise zu einer älteren Thermenanlage gehören: 1. Reste einer antiken Straße, deren Verlauf dem des heutigen Hodos Hagiou Nikolaou entspricht; 2. Reste von Räumen einer älteren Thermenanlagen mit Hypokausten und Wandverkleidung; 3. Wand mit einer vorgeblendeten Säulenstellung (Basen erhalten); 4. Mauer mit Resten einer marmornen Wandverkleidung an der Nordwestseite; 5. Reste eines Wasserbeckens; 6. Mauer mit Quadermauerwerk im unteren Bereich und Ziegelmauerwerk im oberen Bereich.

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maßgebliche Publikation. Zusammen mit den Architekten Marcel Le Tourneau und Henri Saladin veröffentlichte der Kunsthistoriker Charles Diehl eine umfangreiche Studie zu den »Christlichen Denkmälern« Thessalonikis, in der die Kirche Hagios Demetrios noch in ihrem Zustand vor dem Brand des Jahres 1917 beschrieben und dokumentiert wird.24 Im selben Jahr erschien ein ausführlicher Bericht über die archäologischen Arbeiten nach dem Brand der Kirche, in dem Georgios Soteriou die Ergebnisse seiner Ausgrabungen in der zerstörten Kirche bekanntgemacht hat.25 Schnell wurde klar, dass die zahlreichen Erkenntnisse der laufenden Arbeiten in einer angemessenen Publikation vorgelegt werden müssten. Eigentlich sollte dies in einer

23  Im Jahr 1913 fertigte der Photograph Auguste Léon im Auftrag Albert Kahns

sog. Autochrome von Menschen und Bauten Thessalonikis an. Dabei entstanden die einzigen Farbaufnahmen vor dem Brand 1917. Die hier reproduzierte Aufnahme zeigt einen Blick auf die Mosaiken im nördlichen Seitenschiff.

griechisch-englischen Gemeinschaftspublikation erfolgen, für die auch Beiträge der Architekten Walter S. George, Arthur H. S. Megaw und G. U. Spencer Corbett vorgesehen waren.26 Doch entschloss sich Georgios Soteriou kurzfristig, mit seiner Frau Maria eine eigene Publikation vorzulegen, in der er sich großzügig des Materials der englischen Forscher bediente.27 Mit diesem Entschluss tat er weder sich noch der Fachwelt einen großen Gefallen. Eine gemeinsame Veröffentlichung hätte gewiss das Dokumentationsniveau erhöht; so jedoch ist die Befunddarlegung unvollständig und oft ungenau.28 Die Interpretation der Soterious wirkt ›geschönt‹; hinsichtlich Fragestellung und Methode gewinnt man den Eindruck, dass manche Ergebnisse bereits von vornherein feststanden und nicht kritisch aus dem Befund heraus entwickelt wurden.29 Unverkennbares Anliegen des Buchs ist es, die in den hagiographischen Quellen getroffenen Angaben zu verifizieren und den Beleg für eine zeitlich weit zurückreichende Verehrung des hl. Demetrios zu liefern. Und dennoch: die monographische Publikation von 1952 ist noch heute unerlässliche Grundlage für jede Beschäftigung mit dem Bau.30

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25  Grundriss von Hagios Demetrios. Auf diesem Plan Georgios Soterious sind die verschiedenen Bauphasen eingezeichnet, die von der römischen bis in die osmanische Zeit reichen.

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26  Dieser Grundriss gibt den

heutigen Zustand nach dem Wiederaufbau der Kirche im 20. Jh. wieder. Man bereinigte Konflikte und harmonisierte das Erscheinungsbild, was besonders am Übergang zwischen Seitenschiffen und Querhaus deutlich wird.

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27  Auf diesem Plan sind die älteren Baureste unter der Basilika verzeichnet. Besonders markant hebt sich die Apsis eines Vorgängerbaus ab, die von zahlreichen Forschern als Teil einer älteren Kultanlage interpretiert wurde.

28  Aristoteles Mentzos interpre-

tierte die langen westöstlich verlaufenden Mauerreste der Vorgängerbebauung als Fundamente einer älteren dreischiffigen Basilika. Doch bleiben bei dieser Rekonstruktion einige Fragen offen: Wieso gründen die Mauern der späteren Kirche nicht auf den Fundamenten des älteren Kultbaus? Wieso ist die Apsis asymmetrisch eingezogen? Wie muss man sich die nordsüdlich verlaufenden Mauern erklären? Reicht die Mauerstärke, um eine Stützenwand mit Fenstergaden zu tragen?

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Auf der Suche nach der Vorgängerbebauung der Demetrioskirche

wurden (Abb. 24). Was genau fanden die Ausgräber, und wie schlüssig sind ihre Deutungen des Befunds?

Für Georgios und Maria Soteriou stand von vornherein fest, dass sich an der Stelle der späteren Kirche zunächst ein römisches Bad und ein Stadion befunden haben mussten, die in späteren Heiligenlegenden erwähnt werden.31 Während man also ebenso bereitwillig wie unbegründet im Westen der heutigen Kirche ein Stadion lokalisierte, vermutete man direkt unter der Kirche eine ausgedehnte Thermenanlage römischer Zeit.32 Den Beleg hierfür wollte man in den Bauresten gefunden haben, die nach 1917 bei Grabungen sowohl im Umfeld als auch im Inneren der Kirche freigelegt

Ältere Baureste unter Hagios Demetrios  Bei ausgedehnten Sondagen im Inneren der Kirche kamen zahlreiche Mauerreste einer älteren Bebauung zum Vorschein, die von den Soterious als Teil einer römischen Thermenanlage gedeutet wurden (Abb. 25, 27).33 Besondere Aufmerksamkeit weckten mehrere parallel von West nach Ost verlaufende Mauerzüge, die fast genau der Ausrichtung der späteren Kirche entsprechen (Abb. 28: d, e, f), aber nicht konsequent als Fundamentierung für deren Stützen wiederverwendet wurden (Abb. 30a–c).34 Zu den älteren Befunden gehören

Auf der Suche nach der Vorgängerbebauung der Demetrioskirche

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3.  Griechische Soldaten besuchen nach der Eroberung Thessalonikis die Kasimiye Camii (Hagios Demetrios): In Hagios Demetrios riecht es genauso (sc. wie in den anderen in Moscheen umgewandelten Kirchen), aber die Szenerie ist unterschiedlich. Denn die Moschee enthält links und rechts des Mittelschiffs niedrige Seitenschiffe unter Emporen, die alle sehr schöne Säulen aus dunklem grünem Marmor und byzantinische Kapitelle von großer Schönheit aufweisen. Zwischen den Säulen haben die Türken Schnüre aufgespannt, an denen sie Stoffe oder alte Teppiche aufgehängt und so die Moschee in eine unübersehbare Zahl kleiner Bereiche unterteilt haben, kleine Rückzugsbereiche, in denen sich jede Familie geschützt vor neugierigen Blicken aufhalten kann. Alles ist in einen beißenden und undurchsichtigen Rauch getaucht. Auf den Wänden unter den Emporen erkennt man wunderbar erhaltene großartige byzantinische Mosaiken, die schönsten, die es gibt, schöner als die in Ravenna. Diese werden an manchen Stellen nur mit Mühe durch eine Kalkschicht »beschützt«. Da sie nicht auf den Mosaiken hält, müssen die Türken diese immer wieder durch eine neue Schicht ersetzen. In einem dunklen Winkel befindet sich eine niedrige Tür. Sie führt in eine große Höhle, wo sich alte behauene Steine befinden, Reliefplatten und alte Kapitelle. Dann eine zweite Höhle, die von zahlreichen kleinen Kerzen erleuchtet wird. Auf dem Boden, zur Wand hin, ein Grabstein mit Reliefverzierung … Das ist das Grab des heiligen Demetrios, dem Patron und Beschützer von Thessaloniki,

befreit am Tag seines Fests … Soldaten treten voller Ehrfurcht ein … Man bekreuzigt sich und legt einige Münzen auf das Marmorgrab. Jeder von ihnen entzündet eine kleine Kerze, verharrt dort für einen Augenblick nachdenklich und betend  … Nach und nach gehen sie fort, wobei sie sich bekreuzigen. Ein alter Priester schabt hingebungsvoll mit einem Taschenmesser den Stein des Grabs ab, um den Schmuck vom Dreck zu befreien, der ihn teilweise bedeckt. Armes kleines Grab, um das man sich während der Türkenzeit nicht kümmerte; wie viele Unglückselige sind wohl gekommen, um es fromm zu küssen, um den Heiligen tief drinnen anzuflehen, er möge die Stadt befreien …, weil die Türken die Kirche übernommen haben, um aus ihr eine Moschee zu machen. Aber der Teil, wo sich das Grab befindet, blieb christlich, zum großen Vorteil des Muftis und seiner Hodschas. Denn die Christen hatten das Recht einige Augenblicke in der heiligen Höhle zu beten … gegen Bezahlung. Nur durften sie sich dort nicht zu lange aufhalten. Ohne Zweifel war das mit Absicht! Denn so hatte man nur die Zeit für ein kurzes Gebet, und konnte das arme Grab nicht sorgfältig instand halten … Die Soldaten, die von hier fortgehen, sind traurig. Wozu haben wir die Türken besiegt? Um eine Moschee Allahs durchqueren zu müssen, wenn man zum hl. Demetrios beten möchte? … ( Jean Leune, Une revanche, une étape: campagne de l’Armée Hellénique en Macedoine 1912 , Paris 1914, 368 – 369)

29  Nordwestlich der Kirche Hagios Demetrios befinden sich noch ausgedehnte

Reste der älteren Thermenanlage. Große Teile dieses teilweise verfallenen Bauwerks waren das ganze Mittelalter über zu sehen.

ferner verschiedene nordsüdlich verlaufende Quermauern (Abb. 27: c), von denen eine nach Norden führt, den Bereich der späteren Kirche verlässt und dort mit einer Ziegelmauer der Räume nördlich der Kirche fluchtet.35 Dieser Befund legt nahe, dass es sich bei den Quermauern nicht um Einbauten aus der Zeit der Kirche handelt, sondern um Reste von Fundamentierungen eines antiken Baus. Zu diesem gehörten offenbar auch die überwölbte Exedra im Nordwesten der Kirche sowie der angrenzende Raum, in dem heute der Kenotaph des Heiligen untergebracht ist (Abb. 27: g, h).36 Im Nordwesten der Kirche befinden sich verschiedene Räume mit Resten von Marmorvertäfelung, Hypokausten, Wandheizungen und ein Wasserbecken, die offenbar den Kernbereich der Thermenanlage bildeten (Abb. 28).37 Die unter Hagios Demetrios erhaltenen Reste waren somit Teile der Rahmenbebauung, dienten aber nicht selbst als Badebereich.38 Zu dem Komplex zählten ferner die Befunde in der östlichen Krypta, dem überwölbten Bereich unterhalb der Apsis der heutigen Kirche (Abb. 31). Hier befand sich

auf tieferem Niveau ein von Portiken eingefasster Hof mit Brunnenfassade, der von der Straße aus zu betreten war und über den man vermutlich die weitläufige Thermenanlage erreichte.39 Ein älterer Kultbau?  Besondere Aufmerksamkeit weckte eine halbkreisförmige Apsis von 9,60m Durchmesser, die bei Nachgrabungen im Jahre 1948 zum Vorschein kam (Abb. 27, 32).40 Sie weist mit ihrem Scheitel nach Osten, ist also wie die spätere Kirche ausgerichtet, in deren Achse sie sich auch befindet. Die Soterious interpretierten die Apsis als Teil eines alten christlichen Kultbaus. Zwar gehöre sie in ihrer älteren Phase zu den römischen Thermen, doch habe man sie in frühchristlicher Zeit als Teil einer Demetrioskapelle wiederaufgebaut.41 Doch blieb diese spektakuläre These nicht ohne Widerspruch. Schon bald setzte sich Paul Lemerle in einem ausführlichen Artikel mit den Thesen der Soterious auseinander und kam zu dem Schluss, dass es für die Annahme eines frühen Verehrungsorts keine stichhaltigen Hinweise gibt.42 Die Apsis könne ebenso gut zu einem Profanbau gehört haben, vielleicht sogar zu einem Bauteil der Thermen. Erst später habe man in ihr den Bestattungsort des Heiligen gesehen, weshalb sie schließlich die Lage der noch heute erhaltenen fünfschiffigen Querhausbasilika bestimmt habe.43

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30a  Die Aufnahme zeigt den Blick vom nördlichen Querhausarm in das äußere nördliche Seitenschiff zur Zeit der Ausgrabung. Gut zu erkennen ist ältere Mauer (A), die neben dem späteren Stylobat der Kirche (C) verläuft.

30 b  Die Aufnahme zeigt den Blick vom Mittelschiff in die beiden nördlichen Seitenschiffe und auf den nördlichen Querhausarm im Hintergrund zur Zeit der Ausgrabung. Nach Fortnahme des Bodenbelags der Kirche stieß man auf ältere ostwestlich verlaufende Mauern (A), die von nordsüdlich verlaufenden Quermauern geschnitten werden (B). Die Ziegelstruktur links oben gehört zu einem temporär errichteten Grabungshaus.

30c  Blick von Ost nach West in die beiden nördlichen Seitenschiffe zum

Zeitpunkt der Ausgrabung. Im Zentrum des Bilds die ältere westöstlich verlaufende Mauer (A), links darüber der Stylobat der Stützenreihe zwischen den beiden Seitenschiffen (C). Rechts Reste der Quermauern (B). Im Hintergrund das temporär errichtete Grabungshaus.

31  Die heutige Krypta unter der Hauptapsis war einstmals ein offener Vorhof,

der an eine Straße anschloss. Die bogen- und gewölbetragenden Pfeiler wurden erst eingezogen, als man die Kirche errichtete. Die Mauerreste davor mit dem noch deutlich zu erkennenden Mittelzugang stammen von der östlichen Abschlusswand des Hofs aus vorchristlicher Zeit. 32  1948 kamen bei Nachgrabungen im Altarbereich die Reste einer älteren

Apsis aus Ziegelmauerwerk zutage. Sofort geriet die halbkreisförmige Mauer in Verdacht, Rest eines älteren Kultbaus zu sein, doch ist dies nicht sicher, wenn auch nicht unwahrscheinlich.

Um diese ältere Apsis entbrannte ein regelrechter Gelehrtenstreit: Reste eines alten Kultbaus oder nicht? Mit Hinweis auf die hagiographische Tradition, in der von einer älteren oikia oder einem älteren oikiskos die Rede ist, wurde die These der Soterious immer wiederholt, hat man immer wieder die Apsis als Teil einer ältesten Verehrungsstätte interpretiert.44 Es handle sich um die Reste einer kleinen Kapelle, an deren Stelle der Präfekt Leontios aus Dank für die Heilung von einer Krankheit eine erste Demetrioskirche errichtet haben soll.45 Andere wiederum verwiesen auf das grundsätzliche Problem, hagiographische Informationen aus zum Teil sehr späten Quellen als Deutungsgrundlage heranzuziehen, und lehnten die Rekonstruktion eines älteren Kultbaus ab.46 Eine Entscheidung in dieser Frage werden nur Grabungen bringen können. Doch machen es die Zweiphasigkeit der Apsis, ihre Ostausrichtung und die Übereinstimmung ihrer Achse mit der der späteren monumentalen Kirche nicht unwahrscheinlich, dass sich in den weitläufigen Räumlichkeiten der Thermen ein sacellum eingenistet hatte. Reste einer alten Vorgängerbasilika?  Die ganze Diskussion um einen möglichen älteren Kultbau ist damit noch nicht abgeschlossen. Betrachtet man Soterious Plan der Vorgängerbebauung (Abb. 27), bedarf es nicht allzu viel

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Phantasie, um sich hier die Fundamente einer dreischiffigen Basilika vorzustellen.47 Zuletzt hat Aristoteles Mentzos diese Idee aufgegriffen und versucht, anhand der überlieferten archäologischen Daten einen größeren Vorgängerbau zu rekonstruieren (Abb. 29). Ihm zufolge habe die fragliche Apsis zu einer älteren dreischiffigen Basilika gehört, die erst später zu einer Kirche mit fünf Schiffen erweitert wurde.48 Auch der tiefergelegene Atriumvorhof im Osten sei Teil dieses älteren Kirchenbaus gewesen.49 Allerdings stehen dieser Rekonstruktion gewichtige Einwände entgegen. Ein wesentliches Argument gegen eine große dreischiffige Basilika ist die geringe Dicke der Apsiswand, die mit 0,85m nicht besonders hoch gemauert werden konnte.50 Auch die westöstlich verlaufenden Mauern, die Mentzos zufolge die Obergadenwand getragen hätten, wären mit nicht einmal 0,8m Dicke kaum dieser Aufgabe gewachsen.51 Zu erklären wäre ferner, warum die Apsis asymmetrisch eingezogen ist, auf der Nordseite 1,5 m, auf der Südseite hingegen nur 1m.52 Schließlich ist auch die gesamte relative Chronologie der Baureste unter der heutigen Kirche ungeklärt: Stammen alle Vorgängermauern aus einer Phase? Und wenn ja: Wie würde man bei einer dreischiffigen Basilika die nordsüdlich verlaufenden Mauerabschnitte erklären? Diese Einwände machen es unwahrscheinlich, dass die schmale ältere Apsis zu einer größeren Basilika gehörte. Sie war zunächst Teil des profanen Vorgängerbaus und wurde in einer zweiten Phase vielleicht als Teil einer kleinen Kapelle in älteren Baustrukturen wiedererrichtet. Soweit ein erster Ausflug in die Grabungsarchäologie unter Hagios Demetrios. Es ist nunmehr an der Zeit, in die Kirche einzutreten.

Ein erster Rundgang durch die Kirche Hagios Demetrios Wer heute von dem großen Vorplatz aus die Kirche Hagios Demetrios betritt, betritt eine Vorhalle, die den Blick in das weite Innere des Baus freigibt.53 Durch das Tribelon – eine breite Öffnung mit zwei eingestellten Säulen – kann man das weite Mittelschiff der fünfschiffigen Basilika erfassen. Dieses mündet in eine reich durchfensterte Apsis (Abb.  33).54 Betritt man das Mittelschiff, fällt sofort die Zweigeschossigkeit der Anlage auf: zwei übereinandergestellte Arkadenkolonnaden auf beiden Seiten, hinter denen sich Seitenschiffe

Ein Heiliger erhält sein Zuhause: Die Kirche Hagios Demetrios

33  Inneres der Basilika Hagios Demetrios. Das einheitliche Erscheinungsbild lässt bisweilen vergessen, dass die Kirche im Laufe der vergangenen 1500 Jahre

immer wieder instandgesetzt, umgebaut und verändert wurde.

und Emporen verbergen. Beim Durchschreiten des Raums bemerkt man ferner den alternierenden Rhythmus der Stützenreihen (Abb. 34). Wuchtige Pfeiler gliedern die Säulen in Gruppen, nehmen dem Innenraum etwas von seiner Längsausrichtung und akzentuieren den zentralen Mittelschiffbereich. Dieser Rhythmus wird auch im Emporengeschoss und schließlich auch von den Fenstern des Obergadens aufgegriffen, die zu einzelnen Gruppen zusammengefasst sind (Abb. 34, 36). Die Monotonie eines basilikalen Längsbaus wird zudem durch die verschiedenen Materialien der Säulen aufgebrochen, von denen viele zwar in geschönter Formgebung, jedoch in den originalen Materialien erneuert wurden (Abb.  35). Meist handelt es sich um prokonnesischen Marmor, der an seiner sanften, zwischen hell- und dunkelgrau changierenden Maserung leicht zu erkennen ist. Doch werden bestimmte Orte innerhalb der Kirche auch durch andere Materialen hervorgehoben (Abb. 37).55 So sind die beiden Säulen des Tribelons zwischen Vorhalle und Hauptraum aus verde antico, einem grünlichen Konglomeratgestein, das in der Nähe von Larissa in Thessalien gebrochen wurde und sich in der Spätantike großer Beliebtheit erfreute.56 Auch die beiden Gruppen von vier Säulen zwischen den massiven Mittelschiffpfeilern wurden aus diesem Marmor gefertigt.57 Bekrönt werden die Säulen von unterschiedlichsten, paarweise angeordnet Kapitellen, wodurch der Eindruck der varietas und Reichhaltigkeit noch weiter gesteigert wird (Abb. 60).58 Die oberen Arkadenkolonnaden wurden im Zuge des Wiederaufbaus im zwanzigsten Jahrhundert komplett erneuert. Alte Aufnahmen lassen vergleichsweise gleichförmige Säulen aus prokonnesischem Marmor erkennen, die ionische Kämpferkapitelle bzw. einfache Kämpferkapitelle mit geringfügig wechselndem Dekor trugen (Abb. 38). Zu Seiten des Mittelschiffs befinden sich die Seitenschiffe der Kirche, je ein inneres und ein äußeres. Aus bis34  Blick von der Südempore ins Innere der Kirche. Nur noch die

Säulen und Kapitelle der untersten Ordnung sind teilweise original; die oberen Partien des Baus wurden komplett erneuert.

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36  Diese Rekonstruktion Spencer Corbetts zeigt, in welchem

Maße der Bau durchfenstert war. Nicht nur die Außenmauern und die Apsis besaßen Fenster, auch legte man über dem Mittelschiff und den Querhausarmen einen Fenstergaden an, der zusätzliches Licht in den Zentralbereich der Basilika lenkte.

35  Für die Säulen der Kirche wurden verschiedenste Materialien verwendet.

Besonders markant sind die Säulen aus verde antico im Zentrum des Mittelschiffs.

lang unbekanntem Grund sind die äußeren Schiffe etwas breiter als die inneren59 – eigentlich würde man das Gegenteil erwarten. Heute greifen die Stützenreihen zwischen den Seitenschiffen den Pfeiler-Säulen-Wechsel der Mittelschiffkolonnaden auf, doch war das vor 1917 nicht der Fall (Abb.  17, 20 u. 21).60 Ursprünglich gab es hier nur Säulen mit ionischen Kämpferkapitellen. Weiter fällt der extreme Größenunterschied zwischen der Arkadenkolonnade des Mittelschiffs und der der Seitenschiffe auf: Mit Basis und Kapitellen erreichen sie nur etwas mehr als die halbe Höhe der Mittelschiffsäulen. Folge ist, dass die Geschossebenen der Arkadenwände nicht miteinander korrespondierten und sich die Anlage der Zwischenböden der Emporen entsprechend kompliziert gestaltete (Abb. 46): Das führte dazu, dass die Emporen der äußeren Seitenschiffe wesentlich tiefer saßen und sich in das innere Seitenschiff öffneten. Außerdem griffen die Balken der Emporenböden und –dächer vor 1917 an verschiedenen Stellen in die Arkaden ein.61 Zwischen den fünf Schiffen und der Apsis befindet sich ein eigener Raumabschnitt, das Querhaus. Anders als bei

vergleichbaren Bauten ist es vom Mittelschiff nicht durch einen weiten Bogen, den sog. Triumphbogen, geschieden, sondern bildet in seinem zentralen Abschnitt eine Fortsetzung des Mittelschiffs (Abb. 48). Hier befand und befindet sich der Altarbereich der Kirche; von hier öffnen sich zwei weite und hohe Bögen zu den beiden Querhausarmen, um die doppelgeschossige Umgänge geführt wurden.62 Wie das Mittelschiff besaß auch das Querhaus einen Obergaden, der neben den Fenstern in den Außenwänden zusätzliches Licht in den Raum ließ (Abb. 36). Auch im Querhaus begegnen dem Besucher verschiedene Säulen- und Kapitellarten:63 Meist hat man prokonnesischen Marmor verwendet, doch bestehen die Säulen am Übergang zwischen den Seitenschiffen und den Querhausarmen aus ägyptischem Rosengranit (Abb. 50).64 Unter den Kapitellen befinden sich solche kompositer und korinthischer Ordnung, teilweise aus dunklem Basalt. Alle Säulen des Querhausobergeschosses stürzten beim Brand 1917 ein und wurden durch Neuanfertigungen aus prokonnesischem Marmor ersetzt, was vermutlich dem originalen Erscheinungsbild entsprechen dürfte. Nicht nur unterschiedliche Baumaterialien und Kapitelltypen bereicherten den Dekor des Kirchenraums, sondern auch ein komplexer Wandbelag aus opus sectile – eine feinteilige Ornamentvertäfelung in verschiedenen Steinsorten, die

noch 1917 weitgehend erhalten war, durch den Brand jedoch bis auf wenige Reste zerstört wurde (Abb. 38 – 39).65 In den Bogenzwickeln der Arkaden des Mittelschiffs sah man quadratische Ornamentfelder mit ineinander verschränkten Kreisen und Vierecken. Den oberen Abschluss bildete ein in verschiedenen Farben perspektivisch wiedergegebener Konsolfries. Die opus sectile-Verkleidung setzte sich im Emporengeschoss fort, hier allerdings in wesentlich bescheidenerer Form, als Abfolge einfacher Ornamentfelder (Abb. 40 – 41).66 Ganz anders der Dekor an der Westwand des Mittelschiffs (Abb. 42 – 43): In den Zwickeln zwischen den Bögen des Tribelons wurden in opus sectile zurückgezogene Vorhänge zwischen Pilastern dargestellt. Selbst so komplizierte Oberflächen wie die Unterzüge von Arkaden wurden mit kleinteiligen Marmorplatten verziert: Dabei bemühte man sich, mit unterschiedlichen Steinsorten aus Dreiecken, Quadraten und Sechsecken verschiedenartige Musterrapporte zusammenzusetzen (Abb. 44 – 45). Vom einstigen Fußboden der Kirche ist nur wenig bekannt.67 Der unregelmäßige Belag aus verschiedenen großen Platten, der auf Aufnahmen vor 1917 zu sehen ist, kann 37  Plan mit Angabe der für die Säulen verwendeten Materialen. Grau: prokonnesischer Marmor; grün: thessalischer Marmor (verde antico); rot: Rosengranit.

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38  Eine weitere Aufnahme von Schultz und Barnsley aus dem Jahr 1889 zeigt deutlich die Säulen der Emporen, die vermutlich alle aus prokonnesischem Marmor bestanden. Der Bereich über den Säulen wurde mit einer reichen opussectile-Verzierung versehen.

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39a  Diese Aufnahme aus dem frühen 20. Jh. vermittelt einen guten Eindruck

von der opus-sectile-Dekoration des Innenraums. Ein Großteil dieses Dekor ging beim Brand des Jahres 1917 verloren.

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39b  Besonders aufwendig war der Dekor über den Arkaden des Erdgeschosses:

quadratische Ornamentfelder in den Zwickeln zwischen den Arkaden und als oberer Abschluss ein perspektivisches Konsolgesimsband. In der Publikation von Charles Diehl, Marcel LeTourneau und Henri Saladin aus dem Jahr 1918 findet sich diese Farbreproduktion, welche die einzelnen opus-sectile-Felder wiedergibt. 40 – 41  Die Marmorvertäfelung über den Arkaden des Emporengeschosses wurde 1917 zur Gänze zerstört. Alte Aufnahmen zeigen, dass der Dekor wesent-

lich einfacher war als im Erdgeschoß. Walter S. George dokumentierte auch diese opus-sectile-Verkleidung, die vermutlich aus wiederverwendeten Platten zusammengesetzt wurde.

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nicht das originale Paviment gewesen sein, da er den Stylobat des Ziboriums bedeckte. Der einstige Boden muss wesentlich tiefer gelegen haben. Georgios Soteriou hat bei den Grabungen nach 1917 nur sehr unzureichend die Niveaus und sporadischen Reste ehemaliger Pavimente dokumentiert, sodass hieraus schwer ein verlässliches Bild zu gewinnen ist (Abb. 47).68 Das heutige Bodenniveau liegt im Mittelschiff knapp 40cm höher als das des 6. Jh. Das heißt, ursprünglich war der Abstand zwischen Basen der Mittelschiffsäulen und dem Bodenbelag noch größer als er in dem heutigen Bau ist.69 Urs Peschlow hat hieraus den überzeugenden Schluss gezogen, dass sich die Mittelschiffsäulen einst auf einem gemauerten Stylobat erhoben, somit eine kniehohe Barriere das Mittelschiff vom Seitenschiff trennte.70 Nur an einer Stelle war ein Durchgang möglich: an der Stelle des Ziboriums befand sich eine Aussparung, um den Gläubigen zu ermöglichen, vom nördlichen Seitenschiff vor das Ziborium zu gelangen.71 Eine andere Frage ist, ob das Mittelschiff und die Seitenschiffe unterschiedliche Bodenniveaus besaßen. Die Basen der Säulen zwischen den nördlichen und südlichen Seitenschiffen lagen ca. 40cm tiefer als die der verde antico-Säulen und ca. 20cm tiefer als die der anderen Mittelschiffsäulen. Dies lässt zunächst vermuten, dass das Mittelschiff höher lag als die Seitenschiffe. Doch konnte Soteriou in allen Seitenschiffen Reste einer Mörtelbettung beobachten, die bis auf wenige Zentimeter dem originalen Mittelschiffniveau entspricht. Das heißt, alle fünf Schiffe besaßen ein mehr oder weniger einheitliches Gehniveau, und auch die Seitenschiffe waren durch einen seichten gemauerten Stylobat voneinander geschieden.72 Hagios Demetrios war somit kein fließender Raum, in dem man sich ungehindert bewegen konnte, sondern in verschiedene Bereiche gegliedert: Wie dies auch bei anderen spätantiken Kirchenbauten der Fall war, war das Mittelschiff offenbar dem Klerus vorbehalten, während sich

die Gläubigen in den Seitenschiffen aufhielten. Doch selbst diese erlaubten kein freies Bewegen, sondern waren jeweils für sich abgegrenzte Bereiche. Soweit ein erster Rundgang durch die Kirche Hagios Demetrios, deren heutiges Erscheinungsbild sich deutlich von dem der Zeit vor dem Brand 1917 abhebt. Bereits dieser flüchtige Blick auf den Bau offenbart, dass die Kirche in ihrer Gestalt zu Beginn des 20. Jh. das Ergebnis einer komplexen Baugeschichte war. Wenn im Folgenden eine mögliche Abfolge einzelner Bauphasen entworfen wird, geht es im Wesentlichen um drei Fragen: ■■ Gehört das Querhaus zum ursprünglichen Baukonzept? Wurde es zusammen mit der fünfschiffigen Kirche errichtet? ■■ Gehören die Emporen in ihrer vor 1917 überlieferten Gestalt zum ursprünglichen Baukonzept? ■■ Entspricht die Gestalt der Arkadenkolonnaden des Mittelschiffs mit ihrem charakteristischen Stützenwechsel und den verschiedenartigen Kapitellen dem ursprünglichen Aussehen?

Versuch einer Baugeschichte (I): Was verraten die Anomalien in Grund- und Aufriss? Überall dort wo unorganische Übergänge zu beobachten sind, wo verschiedene Bauabschnitte unharmonisch miteinander verbunden sind, liegt der Verdacht auf spätere Veränderung nahe. Übergang von den Seitenschiffen zum Querhaus Der Übergang von den Seitenschiffen zu den Transeptarmen erwies sich im Bau vor 1917 als überaus problematisch: Nicht nur, dass innere und äußere Seitenschiffe verschieden breit waren, auch unterschied sich die Höhe der Arkadenwand zwischen den Seitenschiffen erheblich von der des Mittelschiffs und des Transepts. In die Säulenstellung des letzteren konnte die doppelgeschossige Stützenwand zwischen den Seitenschiffen daher nicht organisch einbinden. Stattdessen endeten die Stützenreihen der Seitenschiffe unvermittelt mit einem gemauerten Pfeiler auf Höhe des Übergangs zum Querhaus (Abb. 51– 52).73 Auch im Obergeschoss muss die Säulenstellung zwischen den Seitenschiffen gegen eine der großen oberen Bogenöffnungen des

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den des Tribelons zwischen Vorhalle und Mittelschiff: Er imitiert zurückgezogene Vorhänge. Die Aufnahme von Schultz und Barnsley zeigt den Zustand der Westwand des Mittelschiffs im Jahre 1889. Die Aquarellzeichnung ist ein Detail aus dem Querschnitt der Kirche von Walter S. George aus dem Jahre 1909. Heute sind von dem opus-sectile-Dekor nur noch geringe Reste erhalten.

Phase und wurde im Gegensatz zu den anderen Säulen auf einem späteren Bodenbelag errichtet.76 Beim Wiederaufbau der Kirche nach 1917 hat man diese Anomalien durch neue Querhausumgänge bereinigt. So umging man den unschönen Konflikt eines Einbindens der Seitenschiffstützenreihe ins Querhaus (Abb. 26).77

Transepts gelaufen sein und diese verstellt haben. Hierdurch wurde die gleichförmige Säulenstellung der Querhausarme empfindlich gestört, und es ist kaum denkbar, dass dies der ursprünglichen Baugestalt entsprach. Eine weitere Anomalie stellten die Interkolumnien der Stützenreihen zwischen den Seitenschiffen dar: Das letzte Interkolumnium nach Osten ist mit 3,03m viel weiter als die anderen, die zum Teil nur 2 ,40m erreichen (Abb. 53).74 In diesem Bereich haben also umfangreiche Veränderungen stattgefunden; doch wie muss man diese deuten? Im Grunde kommt nur eine Möglichkeit in Frage: Die Stützenreihe zwischen den Seitenschiffen existierte bereits, als man in einer späteren Phase ein Querhaus errichtete oder aber tiefgreifende Umgestaltungen an einem bestehenden Querhaus vornahm. Bei dieser Gelegenheit dehnte man den Abstand zwischen den Säulen vor dem Querhausansatz, wodurch das überlange Interkolumnium entstand.75 Hierfür sprechen auch Beobachtungen, die Georgios Soteriou während der Ausgrabungen im Inneren der Kirche gemacht hatte: Die äußerste östliche Säule zwischen den beiden südlichen Seitenschiffen stammt aus einer späteren

Anomalien in der Querhausgestaltung  Dass die Gestalt des Transepts das Ergebnis tiefgreifender Umbauten war, ist in der Forschung schon lange Konsens.78 Fraglich ist allerdings, ob der Bau schon von Beginn an ein Querhaus besaß oder dieses erst im Laufe der Zeit hinzugefügt wurde. Für tiefgreifende Neugestaltungen in diesem Bereich sprechen vor allem Bautechnik und Gestalt der Stützen des Querhauses. Die Pfeiler an den Ecken sind durchgehend aus Ziegeln gemauert und befinden sich teilweise auf älteren winkelförmigen Basen; das heißt, sie wurden vermutlich in einer späteren Phase wieder aufgemauert (Abb. 54a–b).79 Auch dort wo die Querhausarkaden in das Apsisrund einbinden, finden sich ältere Säulenbasen, auf denen nachträglich Halbsäulen aus Ziegeln aufgemauert wurden (Abb. 54 c).80 Offenbar wurden die östlichen Säulenstellungen der Querhausarme – jedenfalls in ihrer heutigen Anordnung – erst nachträglich an die Apsis angefügt.81 Für spätere Veränderungen sprechen auch die divergierenden Interkolumnien und die Gestaltung der Arkaden. Die Interkolumnien der nördlichen und südlichen Querhausarkaden sind wesentlich enger als die östlichen.82 Entsprechend sind die Bögen

42 – 43  Äußerst komplex wiederum ist der opus-sectile-Dekor über den Arka-

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44 – 45  Marmorverkleidung der Arkadenunterzüge im Tribelon zwischen

46  Zu Walter S. Georges Baudokumentation gehört auch ein Querschnitt

Vorhalle und Mittelschiff (oben) und im Querhaus (unten): Selbst gekrümmte Oberflächen wie die Bogenunterzüge wurden teilweise mit feingeschnittenem Marmorwerk überzogen. Dabei komponierte man geometrische Muster aus Dreiecken, Quadraten und Sechsecken.

durch die Basilika bei gleichzeitiger Ansicht der westlichen Abschlusswand. Die aquarellierte Zeichnung verdeutlicht die unterschiedlichen Geschoßhöhen der mittleren und seitlichen Stützenwände und die hieraus resultierenden Probleme bei der Anlage der Emporen.

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47  Bei der Ausgrabung nach 1917 fand man mehrere Reste älterer Bodenbeläge unter dem heutigen Gehniveau. Der einstige Boden dürfte ca. 80cm tiefer

gelegen haben; die Seitenschiffe waren vom Hauptschiff wohl durch einen niedrigen Stylobat geschieden.

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48  Blick von der Empore des nördlichen Querhausarms ins Querhaus. Die beiden Querhausarme sind durch große Bögen vom Altarbereich geschieden.

an den Schmalseiten des Transepts stärker gestelzt, eine Formgebung, die eher an Bauten der dark ages oder später erinnert und an der Hagia Sophia in Thessaloniki zu beobachten ist (Abb. 55 – 56). Bislang ohne Erklärung ist das höhere Bodenniveau des nördlichen Querhausarms im Vergleich zum südlichen (Abb. 57).83 Zudem lässt sich auf beiden Seiten eine nachträgliche Erhöhung des Fußbodens beobachten, die allerdings nur einen Teil der Querhausfläche erfasste. Eigenartigerweise wechseln die Basen der Stützen zwischen diesen beiden Niveaus.84 Will man nicht eine überaus komplizierte Theorie entwerfen, so bleibt eigentlich nur eine Schlussfolgerung: Die verschiedenen Niveaus der Querhausarme – wie auch ihre leicht unterschiedliche Ausrichtung – sind durch die ältere Vorgängerbebauung unter der Kirche bedingt, die besonders im Osten die Gestalt des Baus mitbestimmte. 49  Überarbeitete Skizze des Querhausaufbaus von Walter S. George, bei der

die Maßangaben entfernt wurden. Georges Längsschnitt durch das Transept macht den Aufbau dieses Raumteils verständlich: Die Querhausarme waren von zweigeschossigen Umgängen mit Emporen umfangen.

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Auch die Konstruktion der Emporen über den Querhausumgängen erforderte schwerwiegende Kompromisse. Der umlaufende Boden setzte oberhalb der Arkaden an, durchschnitt aber die Fensteröffnungen (Abb. 49). Die umlaufende Pultdachkonstruktion griff wiederum in die Arkaden der Säulenstellungen im Obergeschoss ein. Das Dach wurde bewusst so tief angesetzt, um darüber noch einen schmalen Fenstergaden zu erhalten, über den das Querhaus zusätzliches Licht empfing. Auch die Querhausemporen sind das Ergebnis einer späteren Bauphase und bestätigen, dass hier zu einem späteren Zeitpunkt erhebliche Neugestaltungen vorgenommen wurden.85 Die Schlussfolgerungen aus diesen Befunden lassen sich also wie folgt zusammenfassen: Die Anhebung des Bodenniveaus und die Unterschiede in der Stützenhöhe und Formgebung der Arkaden sind wohl auf eine umfassende Reparatur oder nachträgliche Umgestaltung zurückzuführen.86 Man hat die Eckpfeiler neu aufgemauert, einzelne Säulen ersetzt und dabei die Höhe der Basen variiert. Doch orientierte man sich an den Ausmaßen eines alten Querhauses, wie die älteren Basen unter den Eckpfeilern belegen. Warum aber hat man teilweise eine Niveauerhöhung vorgenommen? Dies  – so die Soterious – habe mit der Funktion der Räume unter den Querhausarmen zu tun: Um diese als Kapellen zu nutzen,

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50  Auch im Querhaus wurden besondere Materialen für die Säulen verwendet:

51  Diese alte Aufnahme aus der Zeit vor 1917 zeigt die Einbindung der Arkaden-

Die Säulen zwischen den Seitenschiffen und den Querhausarmen bestehen aus ägyptischen Rosengranit mit zugehörigen Kapitellen aus demselben Material.

kolonnade zwischen den nördlichen Seitenschiffen in den nördlichen Querhausarm. Diese unbefriedigende Lösung kann unmöglich auf die originale Bauplanung zurückgehen, sondern muss das Resultat späterer Veränderungen sein.

Versuch einer Baugeschichte (I): Was verraten die Anomalien in Grund- und Aufriss?

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52  Diese Aufnahme von William Harvey aus dem Jahr 1907/ 8 zeigt

den Blick vom südlichen Querhausarm auf den Anschluss der Stützenreihe zwischen den beiden Seitenschiffen. 53  In diesem Plan des Architekten

Aristoteles Zachos sind die Inter­ kolumnienweiten verzeichnet. Dabei zeigen sich erhebliche Schwankungen vor allem bei den Säulenabständen der seitlichen Arkaden­ kolonnaden. Auch dies ist ein Indiz für spätere Veränderungen. 53

Versuch einer Baugeschichte (I): Was verraten die Anomalien in Grund- und Aufriss?

54 a–c  Die gemauerten Wandvorla-

gen an der Apsis und die Winkelpfeiler der Querhausarme gründen auf älteren Basen. Dies belegt, dass hier ein späterer Wiederaufbau stattfand.

55  Auffallendes ­Charakteristikum

der Querhausarme sind die unterschiedlichen Interkolumnien: Jene an der Nord- und Südseite der Querhausarme sind schmaler, was gestelzte Bögen zur Folge hat. Offenbar fanden hier nachträglich tiefgreifende Veränderungen statt.

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spätere Errichtung oder eine Erneuerung hin. Als man die Balken für den Emporenboden einzog, durchbrach man die Arkadenwand zwischen den Seitenschiffen, wodurch die alten Mosaiken beschädigt wurden (Abb. 20).89 Da diese Beschädigungen auch in jenen Mosaikpartien begegnen, die erst in einer zweiten Phase eingefügt wurden,90 muss es sich um eine vergleichsweise späte Bauphase handeln. Für eine nachträgliche Entstehung der äußeren Emporen spricht außerdem der Befund an der Nordwand der Kirche. Hier fand man Reste von Malereien aus dem 10. Jh., die ebenfalls nachträglich durch die Einbringung von Balkenlöchern für den Emporenboden zerstört wurden (Abb. 58a–b).91 Auf eine spätere Veränderung der äußeren Seitenschiffe weist schließlich auch die unterschiedliche Höhe der Pultdächer (Abb. 46).92 Emporen über den inneren Seitenschiffen  Auch die inneren Emporen dürften im Ursprungsbau kaum so ausgesehen haben wie in der Kirche des frühen 20. Jh.93 Da die Geschosshöhen der Stützenwände divergierten, konnte weder in der ursprünglichen Planung noch später eine befriedigende Lösung für den Einzug von Emporenböden über den inneren Seitenschiffen gefunden werden. Der Boden setzte über den Bögen der Mittelschiffkolonnade an, griff aber in die Arkaden der oberen Ordnung der Seitenschiffkolonnade ein (Abb. 46). Der Wandaufbau in seinem Zustand vor 1917 war überhaupt nicht geeignet, Emporen aufzunehmen, und man muss sich fragen, ob es im 6. Jh. überhaupt innere Emporen gab. Die Unzulänglichkeiten wurden beim Wiederaufbau im 20. Jh. bereinigt, indem die Kirche ca. 2m höher wiedererrichtet wurde, sodass die Emporen überschneidungsfrei angelegt werden konnten (Abb. 59).

56  Diese Gegenüberstellung der westlichen und nördlichen Arkadenwand des nördlichen Querhausarms macht die unterschiedliche Arkadengestaltung anschaulich.

57  Dieser Schnitt durch das Querhaus gibt den Zustand des Baus nach der Brandkatastrophe 1917 wieder. Er zeigt, dass die beiden Querhausarme unterschiedliche Bodenniveaus hatten und sich auch die Basen der Pfeiler und Säulen innerhalb eines Querhausarms auf verschiedenen Ebenen befanden.

seien die unterirdischen Räume leicht erhöht worden, was eine Anhebung des darüber befindlichen Fußbodenniveaus erforderlich machte. Bei den Querhausarmen handelt es sich somit um einen von Anfang an geplanten Bestandteil der fünfschiffigen Basilika. Unklar ist hingegen, wann Wiederaufbau und Neugestaltung dieses Bereichs erfolgten.

Emporen über den äußeren Seitenschiffen Auch die Emporen über den äußeren Seitenschiffen müssen in einer zweiten Bauphase entstanden sein.87 Zwar scheint ein Absatz entlang der Südwand anzudeuten, dass eine Emporenkonstruktion von vornherein beabsichtigt war (Abb. 46),88 doch deuten bauarchäologische Befunde auf eine

Eine mögliche Rekonstruktion des ursprünglichen Baus  Offensichtlich wurden an der Kirche im Laufe der Zeit mehrere Veränderungen vorgenommen. Wie also muss man sich den spätantiken Ursprungsbau vorstellen? Die wahrscheinlichste Annahme ist, dass es sich von Beginn an um eine fünfschiffige Querhausbasilika handelte, deren Umrisse denen des heutigen Baus entsprachen. Das Querhaus dürfte mindestens einmal in veränderter Form wiedererrichtet worden sein, ebenso die mittleren Stützenreihen und entsprechend auch die Obergadenwände. Emporen wird es zunächst nur über den äußeren Seitenschiffen gegeben haben; das heißt, man wird sich den Bau des 6. Jh. zwar mit

58a–b  An der Innenseite der nördlichen Außenwand haben sich Malereien aus postikonoklastischer Zeit erhalten, die nachträglich durch Balkenlöcher für die äußere Empore verletzt wurden. Dies zeigt, dass die äußeren Emporen frühestens im 10. Jh. entstanden sein können.

einer doppelgeschossigen Säulenordnung vorstellen, jedoch ohne innere Emporen. Soweit ein vorläufiges Szenario der baugeschichtlichen Entwicklung von Hagios Demetrios. Welche Informationen lassen sich aus der Gestaltung der Mittelschiffkolonnade und der Kapitellplastik gewinnen?

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59  Um den unschönen Konflikt der Emporenböden mit den Arkaden der Stützenwände zu vermeiden, hat man die Kirche nach dem Brand des Jahres 1917 ca. 2 m höher errichtet.

Versuch einer Baugeschichte (II): Was verrät die Bauplastik? Auffallendstes Merkmal der Architektur von Hagios Demetrios ist der Stützenwechsel im Hauptschiff: Säulen aus verschiedenen Materialien werden durch mächtige Pfeiler in Gruppen zu je drei bzw. vier Säulen gegliedert. Diese Säulen tragen wiederum verschiedenartigste Kapitelle, die von einheitlichen Kämpferblöcken bekrönt werden (Abb. 60):94 Kompositkapitelle mit feingezahntem Akanthus (Abb. 61b), sog. Faltkapitelle, also Kapitelle mit gewelltem Körper, der von Akanthusranken umzogen ist (Abb. 61a), zweizonige Kapitelle mit Adlern und Füllhörnern (Abb. 61c), Kapitelle mit windbewegtem Akanthus (Abb. 61d), Kapitelle mit Tierprotomen und so fort.95 Erst beim zweiten Blick zeigt sich, dass der Verteilung ein klares System zugrunde liegt, dass die Kapitelle – bis auf eine Ausnahme – in paarweiser Entsprechung angeordnet wurden (Abb. 60).96 Einem Faltkapitell auf der linken Seite entsprach ein Kapitell gleichen Typs auf

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der rechten Seite; ein Kapitell mit Tierprotomen korrespondierte mit einem gleichartigen auf der gegenüberliegenden Seite. Trotz des Wunschs nach Verschiedenartigkeit des Dekors achtete man auf eine symmetrische Anordnung. Setzt sich die symmetrische Entsprechung heterogener Kapitelle auch im Querhausbereich fort (Abb. 62)? Ja und nein. Einerseits tragen die vier Säulen, die den Übergang zwischen Seitenschiffen und Querhausarmen bilden, einen einheitlichen Satz von älteren korinthischen Kapitellen aus Rosengranit. Andererseits gruppierte man bei den übrigen Kapitellen, korinthischen und kompositen Stücke mit Kämpfern, gleiche Typen immer nebeneinander, ohne dabei auf Bezüge zwischen den Querhausarmen zu achten. Da hier nicht nur einfache Säulenstützen begegnen, sondern auch Eckpfeiler, konnten nicht nur ältere Werkstücke wiederverwendet werden. Man behalf sich, indem man Kapitelle mit feingezahntem Akanthusdekor aus Stuck anfertigte (Abb. 66).97 Wie im Mittelschiff hat man auch im Querhaus Kapitelle mit nicht dazugehörigen Säulen kombiniert  – Ausnahmen scheinen allein die Rosengranitsäulen mit den Basaltkapitellen.98 Um die Höhe der verschieden langen Stützen auszugleichen, hat man sehr unterschiedliche Basen angefertigt und zum Teil nur Blöcke als Postamente wiederverwendet (Abb. 67).

Versuch einer Baugeschichte (II): Was verrät die Bauplastik?

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61a–e  Diese Zeichnungen von Marcel Le Tourneau illustrieren schön die

verschiedenen Kapitelltypen der Mittelschiffkolonnade von Hagios Demetrios. a. Faltkapitell; b. Kompositkapitell mit feingezahntem Akanthus; c. zweizoniges Kapitell mit Adlern und Füllhörnern in der oberen Zone; d. Kapitell mit windbewegtem Akanthus; e. Pilasterkapitell, das aus wiederverwendeten Einzelteilen zusammengesetzt wurde; f. Kompositkapitell mit zugehörigem Kämpferblock im nördlichen Querhausarm.

Doch trifft dieses Bild der Heterogenität nicht für alle Partien des Hauptraums zu: Denn die Tribelonöffnung zwischen Narthex und Mittelschiff besteht aus zwei exakt gleichdimensionierten verde antico-Säulen mit einem zugehörigen identischen Paar von Kompositkapitellen mit feingezahntem Akanthus, die eigens für die Säulen angefertigt wurden (Abb. 63a–b). Spolien oder eigens für den Bau gefertigte Kapitelle? Als der Kunsthistoriker Rudolf Kautzsch in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Thessaloniki besuchte und die Kapitelle der Kirche Hagios Demetrios studierte,

machte er eine wichtige Beobachtung. Kautzsch fiel auf, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Kapitelle der Kirche aus einem sehr engen Zeitraum stammen: »Sehr wohl dagegen können alle diese Kapitelle zu einer und derselben Zeit innerhalb des bezeichneten Zeitraums, also sagen wir: zwischen 490 und 510, gearbeitet sein. Und dann sind sie doch wohl eben für unsere Kirche neu geschaffen worden«.99 Das gelte auch für die Narthexkapitelle, die nicht im Verdacht stehen, infolge späterer Reparatur ersetzt worden zu sein: Diese könnten  – so Kautzsch  – ebenfalls nicht vor dem letzten Viertel des 5. Jh. entstanden sein.100 In den meisten Überblickswerken und Handbüchern findet sich seitdem eine Datierung der Kirche Hagios Demetrios in die zweite Hälfte bzw. ins letzte Viertel des 5. Jh.101 Dabei ist es nicht geblieben. Denn während es sich bei den korinthischen und kompositen Kapitellen um sehr traditionelle Formen handelt, die sich nur in Nuancen änderten und somit auch eine Datierung erschweren, begegnen in dem Bau auch »Modekapitelle« von ungewöhnlicher

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Pilaster Nordarkade

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Versuch einer Baugeschichte (II): Was verrät die Bauplastik?

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Pfeiler Tribelon ­Pilasterkapitell N

Tribelon N 60  Im Mittelschiff der Kirche findet sich eine

Fülle verschiedenster Kapitelle, die aus dem M i t t elsch i ff

Qu ersch i ff

1. Drittel des 6. Jh. datieren. Die jeweils paar-

weise angeordneten Kapitelle sind Spolien, die in Hagios Demetrios wiederverwendet wurden.

Tribelon S

Tribelon ­Pilasterkapitell S Pfeiler

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Pilaster Südarkade

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Versuch einer Baugeschichte (II): Was verrät die Bauplastik?

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62  Auch im Querhaus wurden

verschiedenste Kapitelle wiederverwendet, zum Teil auf zugehörigen Säulen. Hier gruppierte man gleichartige Kapitelle nebeneinander.

Pfeiler

M i t t elsch i ff

Qu ersch i ff

Pfeiler

63a–b  Die beiden Kapitelle, die für die Tribelonöffnung zwischen Vorhalle und Mittelschiff verwendet wurden, befinden sich auf zugehörigen Säulen und dürften zum originalen Baubestand der Kirche gehören.

64 a–b  Den beiden Kapitellen des Tribelons entsprechen an den Wandansätzen Pilasterkapitellen, die ebenfalls zum originalen Baubestand der Kirche gehören dürften.

Erscheinung, die nur in einem kurzen Zeitraum hergestellt wurden. Hierzu zählen die insgesamt vier Faltkapitelle, die sich auf den Säulen des ersten und dritten Stützenpaars von Westen befinden (Abb. 61a, 68a–b).102 Ganz ähnliche Kapitelle begegnen – wie schon früh erkannt wurde – in einem fest datierten Bau der Hauptstadt Konstantinopel, in der Kirche der hll. Sergios und Bakchos, die unter Justinian in den Jahren nach 527 errichtet wurde, oder aber in der 547

geweihten Kirche San Vitale in Ravenna (Abb. 68c–d).103 Dies bewog Jean-Pierre Sodini und Beat Brenk gar, die Datierung der Demetrioskirche in die Zeit nach 527 anzusetzen.104 Doch gerieten die charakteristischen Faltkapitelle von Hagios Demetrios in den Verdacht, nachträglich wiederverwendet worden zu sein.105 Die beiden Exemplare auf dem ersten Säulenpaar von Westen weisen vertikale Bossenleisten auf und sind somit nicht ihrer ursprünglichen Funk-

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Varietas als bewusst gewähltes Gestaltungsprinzip?

Ein Heiliger erhält sein Zuhause: Die Kirche Hagios Demetrios

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Varietas als bewusst gewähltes Gestaltungsprinzip? Man kann sich unschwer vorstellen, dass die Heterogenität der Kapitelle zu einem Prüfstein der These einer bewussten varietas wurde. Hat man die verschiedenen Kapitelle zu einem späteren Zeitpunkt als Recyclingmaterial verbaut oder hat man schon für den Ursprungsbau bewusst auf unterschiedliche Kapitelle zurückgegriffen, um dessen Aussehen varietas zu verleihen? War es im späten 5. und frühen 6. Jh. überhaupt denkbar, in einem Bau eine derartige Viel65b

67

65a–b  Pilasterkapitell am westlichen Ansatz der südlichen Arkadenkolonnade des Mittelschiffs. Das Pilasterkapitell wurde aus vier verschiedenen kleineren Pilasterkapitellen zusammengesetzt und mit einem Gesimsblock mit Akanthusfries bekrönt.

tion gemäß verbaut (Abb. 68a). Solche vertikalen Bossen wurden vor allem dann auf dem Kapitellkörper belassen, wenn schmale Wände, etwa Rahmen für Fenster- oder Türöffnungen, anschlossen106 . Diese Detailbeobachtung hat schwerwiegende Konsequenzen für die Datierung der Arkadenkolonnade, liefert sie doch zwei Erklärungsoptionen. Erstens, einzelne Kapitelle wurden im Zuge späterer Reparaturen ersetzt. In einem solchen Fall würde ein Kapitell aus dem zweiten Drittel des 6. Jh. nichts über die Datierung der Arkadenkolonnade aussagen.107 Zweitens, man hat die Arkadenkolonnade zu einem späteren Zeitpunkt komplett wiederaufgebaut und dabei ältere Spolienkapitelle verbaut, die lediglich einen terminus post quem für den Wiederaufbau, nicht aber für den Ursprungsbau liefern.108

falt verschiedener Kapitelle zu verwenden? Richtet man den Blick nach Rom und in den Westen, würde man diese Frage bejahen.112 Hier finden sich bereits seit dem 4. Jh. Bauten, in denen verschiedenartige Kapitelltypen – oftmals Spolien – miteinander kombiniert wurden. Nicht selten gruppierte man diese Kapitelle paarweise und schuf somit innerhalb 68a–d  Die Faltkapitelle von Hagios Demetrios lassen sich gut mit ähnlichen Kapitellen der Kirche der hll. Sergios und Bakchos in Konstantinopel und San Vitale in Ravenna vergleichen – beides Bauten justinianischer Zeit.

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68d

66  Für die Winkelpfeiler des Querhauses mussten aus Stuck Kapitelle angefertigt

werden, die schematische Blattlappen mit feingezahntem Akanthusdekor zeigen. 67  Um die unterschiedlichen Höhen der wiederverwendeten Säulen im Mittel-

schiff auszugleichen, hat man zum Teil sehr hohe Basen eingefügt.

Hiergegen hat man wiederum drei Argumente vorgebracht: Erstens, die Gruppierung der heterogenen Kapitelle erfolgte bis auf eine Ausnahme strikt paarweise, beruhe also auf einem übergreifenden Konzept.109 Zweitens, alle wiederverwendeten Kapitelle stammen trotz ihrer formalen Unterschiede aus einem engen zeitlichen Horizont.110 Selbst wenn es sich bei den Kapitellen um Spolien handelte, so wären diese doch zeitnah zu ihrer Herstellung wiederverwendet worden; anderenfalls würde man auch spätere Kapitelle finden.111 Und drittens, die Heterogenität der Kapitelle sei nicht Zeichen einer späteren Notlösung, sondern bewusst eingesetztes ästhetisches Mittel aus der Entstehungszeit der Kapitelle.

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Ein Heiliger erhält sein Zuhause: Die Kirche Hagios Demetrios

Varietas als bewusst gewähltes Gestaltungsprinzip?

115

70  Grundriss und Längsschnitt

der Basilika A von Nea Anchialos aus dem frühen 6. Jh. Bei dem Bau handelt es sich um eine sehr aufwendig gestaltete dreischiffige Emporenbasilika, der ein Atrium mit geschwungener Säulenstellung vorgelagert war.

69  In der älteren Acheiropoietos­kirche, die noch im 5. Jh. entstanden sein

dürfte, wurde ein einheitlicher Satz von Kapitellen mit Kämpfern verwendet.

der Unordnung eine Ordnung, in der sich eine bestimmte Wertigkeit ausdrückte. Meist wurden in Altarnähe besonders wertvolle Kapitelle platziert, wie auch der Wert der Spoliensäulen dort am höchsten war, wo sich das liturgische Zentrum befand. Doch kann man dieses Bild nicht bedenkenlos auf den Osten übertragen.113 Spolienverwendung ist hier im 5. und 6. Jh. wesentlich seltener als in Rom; in Konstantinopel lässt sie sich erst seit justinianischer Zeit beobachten und auch dann nur in Zisternen.114 Die meisten Kirchenbauten – das östliche Illyricum und Thessaloniki inbegriffen – erhielten einen einheitlichen Satz eigens hergestellter Säulen mit zugehörigen Kapitellen, was eine gewisse Homogenität im Erscheinungsbild zur Folge hatte. Großbauten wie die Basilika von Lechaion bei Korinth, die Basilika A von Nea Anchialos oder die Basilika A von Philippi, die im späten 5. oder frühen 6. Jh. entstanden sein dürften, weisen trotz zum Teil erheblicher Variation in der Formgebung innerhalb der einzelnen Bereiche stets gleichartige Kapitellserien auf.115 Dies illustriert auch die Acheiropoietosbasilika in Thessaloniki,

die aufgrund ihrer Kapitellplastik ins späte 5. Jh. datiert wird (Abb. 69).116 Hier wurden Mittel- und Seitenschiffe durch einheitliche Sätze von Säulen und Kapitellen aus prokonnesischem Marmor voneinander getrennt: Kompositkapitelle des sogenannten ›theodosianischen‹ Typs im Erdgeschoss, die eng an die Kapitelle der Johanneskirche des Studios in Konstantinopel anschließen, sowie Kämpferkapitelle im Obergeschoss. Doch selbst bei derart homogen durchgestalteten Bauten lassen sich immer wieder bestimmte Akzentuierungen feststellen.117 Die Bogendurchgänge zwischen Vorhalle und Mittelschiff waren oft durch besondere Kapitelle ausgezeichnet, und auch der Apsisbereich mit dem Hauptaltar konnte durch abweichende Kapitellformen hervorgehoben werden. Diese Tendenz zu einer stärkeren Variationsbreite intensivierte sich seit der Wende des 5. zum 6. Jh. Mehr und mehr machte sich nun ein bewusstes Spiel mit verschiedenen Formen bemerkbar.118 Bei der Basilika A von Nea Anchialos handelt es sich um eine dreischiffige Emporenbasilika mit einer sehr komplexen Atriumanlage (Abb. 70).119 Der Bau wird etwa im zweiten Viertel des 6. Jh. errichtet worden sein, wofür die sehr heterogene und formenreiche Bauornamentik spricht.120 Als Baumaterial begegnen sowohl grüner thessalischer Marmor (verde antico) wie auch prokonnesischer Mar-

mor, der aus Konstantinopel importiert wurde. Besonders auffallend ist die Vielfalt verschiedener Kapitelle. Für die Atriumhallen hat man korinthische Leierkapitelle angefertigt (Abb.  71a), während die korinthischen Pilasterkapitelle im Atrium spitzgezahnten Akanthus aufweisen (Abb. 71b).121 Besonders aufwendig sind die beiden von Kämpfern bekrönten zweizonigen Kapitelle des Tribelons, die feingezackten Akanthus mit Tierprotomen kombinieren (Abb.  71c).122 Für die Erdgeschossarkaden des Langhauses hat man einen einheitlichen Satz aus von Kämpfern bekrönten »theodosianischen« Kompositkapitellen mit feingezacktem Akanthus geschaffen (Abb.  71d), während auf dem Emporengeschoss ionische Kämpferkapitelle mit variierenden Akanthusdekor auf dem Kämpferblock begegneten (Abb.  71e).123 Besonders auffallend ist die Tendenz zu Ornamentvielfalt bei den Kämpferkapitellen der Apsisfenster, die auf beiden Seiten verschiedenen Dekor aufweisen (Abb.  71f)! Keine Frage: beim Bau hat man auf Formenreichtum Wert gelegt; das Schmuckrepertoire ist, wie schon mehrfach betont wurde, dem von Hagios Demetrios sehr ähnlich,124 wenn auch hier die Kapitelle eigens für den Bau geschaffen wurden. Ähnlich verhält es sich in der Bischofskirche von Stobi im heutigen Mazedonien aus dem frühen 6. Jh. Man trifft hier verschiedene Kapitellformen an, obwohl die gesamte

Bauplastik eigens für diesen Bau produziert worden war (Abb. 72).125 Im Erdgeschoss des Baus gab es wahrscheinlich drei unterschiedliche Kapitelltypen mit variierendem Dekor in Kombination mit verschieden ornamentierten Kämpfern. Auch der Stirnseitendekor der ionischen Kämpferkapitelle des Emporengeschosses zeigt eine enorme Variationsbreite. In Stobi wollte man die Verschiedenartigkeit des Baudekors, obwohl mit weit weniger Aufwand ein einheitlicher Kapitellsatz hätte hergestellt werden können. Ähnlich scheint man beim Bau der Euphrasiusbasilika in Parenzo vorgegangen zu sein. Die durchweg aus prokonnesischem Marmor und eigens für den Bau gefertigten Kapitelle weisen unterschiedlichen Dekor auf, wurden aber paarweise angeordnet, was auf eine bewusste Planung hinweist (Abb.  73).126 Auch in Konstantinopel entwickelte sich die varietas mehr und mehr zu einem gestalterischen Prinzip, wenn die Bauplastik wie in der 524 – 527 errichteten Polyeuktoskirche eigens angefertigt wurde. Auch wenn hier zumeist nicht klar ist, wo sich die einzelnen Kapitelle innerhalb des zerstörten Baus befanden, so muss doch die Bauornamentik von großer Verschiedenartigkeit und großem Ornamentreichtum geprägt gewesen sein.127 Gerade weil sich das Kapitell des frühen 6. Jh. von der Tektonik seines antiken Vorgängers gelöst hatte, wurde es

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71a–f  Für die Basilika A von Nea Anchialos wurden die verschiedensten

Kapitelle angefertigt: a.: korinthisches Leierkapitell aus dem Atrium – b.: Pilasterkapitell mit spitzgezacktem Akanthus aus dem Atrium –c.: zweizoniges Kapitell mit Tierprotomen vom Tribelon – d.: Kompositkapitell mit feingezahntem Akanthus aus der Mittelschiffkolonnade – e.: ionische Kämpferkapitelle von den Emporen – f.: Kämpferkapitell zwischen den Apsisfenstern.

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72  Für die Bischofskirche von Stobi, die vermutlich im frühen 6. Jh. errichtet wurde, hat man eigens verschiedene Kapitelle angefertigt, die dem Baudekor varietas verliehen.

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73  Für die Euphrasiusbasilika in Parenzo (Porec´) hat man ebenfalls paarweise angeordnet verschiedene eigens angefertigte Kapitelle verwendet.

von einem repetitiv verwendeten Serienstück zum Träger verschiedenartigster Ornamente, der keiner strengen Typologie mehr verpflichtet war, sondern den gewünschten Reichtum an dekorativer varietas zum Ausdruck bringen konnte. Wie es scheint, wurden Bauaufwand und Bedeutung einer Stiftung immer weniger durch die Homogenität eines Entwurfs kommuniziert, sondern durch Verschiedenartigkeit und Dekorreichtum.128 Doch kann man die Gestaltung dieser Kirchen mit Hagios Demetrios vergleichen? Einem Bau, der nachweislich in großer Zahl auf Spolien zurückgriff, auf Kapitelle und Säulen unterschiedlicher Dimensionen, die zum Teil durch unförmige Basen ausgeglichen werden mussten, um eine einheitliche Stützenhöhe zu erreichen? Nicht wirklich: Ein aufwendiger Bau der zweiten Hälfte des 5. oder der ersten Hälfte  des 6. Jh. hätte nach allem, was aus der ostmediterranen Architektur bekannt ist, einen eigens angefertigten Säulen- und Kapitellsatz erhalten. Dieser hätte zwar verschiedenartige Einzelstücke umfassen können, nicht aber die enorme Heterogenität unterschiedlicher Kapitelle wie sie in 74 a

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Hagios Demetrios zu beobachten ist. Für die nachträgliche Verwendung von Spolienkapitellen spricht noch ein weiteres Detail. Im Westen beginnt die südliche Stützenreihe mit einem großen Pilasterkapitell, das aus verschiedenen Einzelteilen zusammengesetzt wurde.129 Man fügte in der unteren Zone über Eck vier kleinere Pilasterkapitelle mit Akanthusund Tierdekor aneinander und bekrönte diese nach oben mit einer hohen, akanthusverzierten Abakusplatte (Abb. 61e, 65a–b). Auch hierbei handelte es sich nicht um für diesen Ort hergestellte Werkstücke, sondern um ein Kompositum aus wiederverwendeten Elementen, die aus einem älteren Kontext stammen. Damit aber liegt folgende Vermutung nahe: Die Arkadenkolonnaden zu beiden Seiten des Mittelschiffs sind erst in einer späteren Bauphase entstanden, wurden erst nachträglich an die noch originale Westwand mit dem Tribelon angefügt. Dafür spricht auch der Befund im Emporengeschoss, der in der bisherigen Forschung keine große Rolle spielte. Gute Aufnahmen der 1917 ausnahmslos verlorenen Kapitelle existieren nicht; die einzige Grundlage zur Beurteilung sind alte Innenaufnahmen des Baus. Dabei zeigt sich ein interessanter Befund: Denn was auf den ersten Blick als einheitlicher Satz von ionischen Kämpferkapitellen wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Mischung von

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man als Brüstungen wiederverwendete (Abb. 75a). Ihrer Formgebung nach dürfte es sich um Stücke aus den ersten beiden Dritteln des 6. Jh. handeln, die hier sekundär verwendet wurden. Besonders auffallend ist die Verschiedenheit der Schrankenplatten der Westempore über dem Tribelon (Abb. 75b). Auch hier wurden Spolien wiederverwendet,

was den Verdacht nahelegt, dass die Westempore ebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt wiedererrichtet wurde. 75a – b  Als Brüstung der Emporen verwendete man ältere Schrankenplatten des sechsten Jahrhunderts wieder. Die Stücke unterscheiden sich in Dekor und Ausmaßen, was zeigt, dass es sich um Spolienmaterial handelt. 75a

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74 a –f  Auch die Kapitelle der Emporen sind keinesfalls einheitlich gestaltet: Es handelt sich um ionische Kämpferkapitelle, wobei allerdings Ausmaße und Ornamentierung stark variieren. Bei den Stücken handelt es sich keinesfalls um eigens für Hagios Demetrios angefertigte Stücke. Auch sie sind Spolien.

flachen ionischen Kämpferkapitellen mit vollausgebildeten Echinus und Polster sowie solchen, bei denen diese Formelemente nur noch angedeutet sind.130 Ferner begegnen hohe, jedoch nur bossierte Exemplare, und auf der Südempore hat sich schließlich ein allseitig mit Akanthusdekor versehenes Kämpferkapitell eingeschlichen (Abb. 74a–f).131 Auch bei der Anlage der Emporen griff man auf Kapitellspolien zurück, die nicht vor dem 6. Jh. entstanden sein können.132 Diesen Eindruck bestätigen auch die verschieden dimensionierten und ornamentierten Schrankenplatten, die

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Baugeschichte (III): Was verrät der  opus sectile ‑Dekor?

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77  Diese alte Aufnahme zeigt den noch weitgehend intakten opus sectile-Dekor der Westwand. Die gekrümmten Profilleisten über den Arkaden wurden eigens für diesen Dekor angefertigt.

Eck erhalten. Eine alte Detailaufnahme eben jener Situation zeigt deutlich, wie unorganisch das Konsolband der späteren opus sectile-Phase an den über Eck geführten Pilaster anschließt (Abb. 78c). Für eine Nachzeitigkeit des opus sectile im Mittelschiff spricht ein weiteres Detail, auf das bislang nicht hingewiesen wurde. Sowohl der Dekor über den Arkaden des Tribelon wie über jenen des Mittelschiffs weisen eine Zahnschnittleiste als Rahmung der halbkreisförmig verlegten Marmorplatten über den Bögen auf (Abb. 76 – 77). Doch während es sich bei den Zahnschnittleisten im Tribelon um passgenau gearbeitete Werkstücke handelt, sind jene über den Mittelschiffarkaden aus wiederverwendeten Stücken zusammengesetzt (Abb. 79). Mitunter begegnen sogar gerade Leistenstücke, die zu erheblichen Konflikten bei den Bogenansätzen führen, wie man heute noch an den erhalten Resten sehen 76  Diese alte Aufnahme von Schultz und Barnsley zeigt, wie unvermittelt der

Konsolfries des opus sectile-Dekors an die Westwand anschließt. Dort wo im 15. Jahrhundert das Grab des Lukas Spandounis eingebaut wurde, fanden erhebliche Reparaturen statt.

Baugeschichte (III): Was verrät der opus sectile‑Dekor? In der Diskussion um die Datierung der einzelnen Bauphasen von Hagios Demetrios ist der opus sectile-Dekor immer etwas stiefmütterlich behandelt worden, obwohl er dazu beitragen kann, wesentliche Fragen der Bauabfolge zu klären. Aufnahmen vor 1917 zeigen einen reichen Dekor auf der Westwand und über den Arkaden in beiden Geschossen des Mittelschiffs: Imitationen von zurückgezogenen Vorhänge zwischen Pilastern über dem Tribelon und quadratische Ornamentfelder über den Arkadenzwickeln im Mittelschiff (Abb. 38 – 43, 76 – 77). Heute haben sich von dem einstigen Dekor jedoch nur spärliche Reste erhalten. Die Fragen an den Befund lauten nunmehr: Stammt der opus sectile-Dekor aus einer oder aus zwei Phasen? Gibt es weitere Indizien für eine Nachzeitigkeit der Stützenwand gegenüber der Eingangswand? Bereits die Soterious hatten angenommen, der kunstvolle Buntmarmordekor über

den Bögen des Mittelschiffs und der Eingangswand sei Teil zweier unterschiedlicher Entstehungszeiten.133 Einst könnte der Dekor über den Mittelschiffarkaden auch aus geöffneten Vorhängen zwischen Pseudopilastern bestanden, also dem opus sectile-Dekor über dem Tribelon entsprochen haben. Andere Forscher wiederum versuchten die Einheitlichkeit dieser Ausstattungsmaßnahme zu beweisen.134 Dabei verwiesen sie auf ein besonderes Detail: die Pseudopilaster in den Ecken zwischen der Westwand und den Arkadenwänden, wo sich noch heute zwei gespiegelte Platten aus verde anticoMarmor befinden (Abb. 78a–b). Hier könne man sehen, wie der opus sectile-Schmuck der Westwand auf die Arkadenwand übergreift. Dies lasse darauf schließen, dass die gesamte opus sectile-Ausstattung aus einer Zeit stammen müsse. Doch ist dies ein Irrtum. Die beiden über Eck verlegten Platten sind zwar Relikt der ältesten Ausstattung, doch ist alles, was hieran über den Mittelschiffarkaden anschließt, später hinzugefügt worden.135 Die Eckpilasterplatte hat sich nur erhalten, weil hier schon zuvor eine ältere Arkadenwand angeschlossen haben muss. Später hat man diese ältere durch die noch heute bestehende Arkadenwand ersetzt und einen neuen opus sectile-Dekor angeschlossen. So wie sich noch der Ansatz eines Bogens erhalten haben kann, so hat sich wohl ein kleiner Rest der Marmorvertäfelung über

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Baugeschichte (III): Was verrät der  opus sectile ‑Dekor?

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79  Die Profilleisten über den Arkaden der Mittelschiffkolonnade

bestehen aus wiederverwendeten Stücken, darunter zahlreiche kleine gerade Abschnitte, die zu Bögen zusammengefügt wurden.

dürfte die darüber befindliche Empore in einer späteren Wiederaufbauphase entstanden sein (Abb. 83). Unbeachtet blieb in der bisherigen Forschung zudem der heute noch sichtbare Rest der opus sectile-Verkleidung am Ansatz der großen Querhausbögen. Hierbei handelt es sich um Marmorplatten in wechselnden Farben entlang den Arkaden sowie Zahnschnittleisten als Rahmen (Abb.  84 – 85). Abermals zeigt eine genaue Beobachtung dieser Reste, dass die Zahnschnittleisten wiederverwendet sind. Auch die Querhauspfeiler und Querhausbögen wurden somit zu einem späteren Zeitpunkt wiedererrichtet, was unsere zuvor getroffenen Beobachtungen bestätigt und 78a – c  Dort wo die Mittelschiffkolonaden an die Westwand von Hagios Deme-

trios anschließen, zeigt sich deutlich ein Bruch in der opus sectile-Ausstattung: Die über Eck geführten Pilaster gehören noch zum originalen Bestand. An diese schließt über den Mittelschiffarkaden jedoch eine erheblich veränderte oder beeinträchtigte Marmorvertäfelung an. Eine alte Aufnahme der Südwestecke des Mittelschiffs zeigt besonders gut den unharmonischen Anschluss des Konsolfrieses an den Eckpilaster.

kann (Abb. 80a–b). Keine Frage: der opus sectile-Dekor über den Mittelschiffsarkaden wurde recycelt und setzt sich – wie die Kapitelle – zumindest teilweise aus älteren Werkstücken zusammen. Vermutlich lagen also die Soterious richtig: In der ersten Bauphase hatte die Basilika im Mittelschiff einen opus sectile-Dekor, der jenem über dem Tribelon entsprochen haben könnte.136 Bei der Neuerrichtung der Stützenwände hat man einen neuen opus sectile-Dekor aus wiederverwendeten Materialien verlegt. Vermutlich stammt aus

derselben Zeit das opus sectile-Imitat an der Rückseite der Arkadenwände (Abb. 81a–b). Man ahmte hier den Dekor des Mittelschiffs nach, bereicherte es aber um Imitationen von Porphyrrotae in den Bogenzwickeln und Rankenwerk in den übrigen Flächen. Auch der opus sectile-Dekor des Emporengeschosses setzt sich aus Spolien zusammen. Auch hier lässt sich die Wiederverwendung gerader Zahnschnittleisten für Rundungen und die zum Teil unsaubere Zusammenführung der Zahnschnittbögen über den Stützen beobachten (Abb.  82). Dies gilt auch für die Westempore: Während das Tribelon im Erdgeschoß der originalen Bauphase zuzuweisen ist,

80a – b  Noch heute lässt sich erkennen, dass die Wiederverwendung von geraden Leistenstücken für gekrümmte Abschnitte zu erheblichen Konflikten führte.

gleichzeitig eine neue Erkenntnis beisteuert: Der Wiederaufbau des Querhauses und der Arkadenkolonnaden des Mittelschiffs erfolgte wohl gleichzeitig. Warum hat man aber dann einen derart problematischen Übergang zwischen den Seitenschiffen und dem Querhaus geschaffen? Wieso hat man nicht versucht, die Stützenwände zwischen den Seitenschiffen organisch in die umlaufenden Stützen der Querhausarme einbinden zu lassen? Die Frage wird nicht dadurch gelöst, dass man von späteren Veränderungen ausgeht, da man auch in diesem Fall die ungewöhnliche Form des Anschlusses erklären müsste. Am wahrscheinlichsten scheint daher die Annahme, man habe das Querhaus bewusst als eigenständigen Raumkörper mit wertvollen Spoliensäulen errichtet und dabei dem Anschluss dieses Raumteils an die Seitenschiffe weniger Bedeutung zugemessen.

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Datierungsmöglichkeiten

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Baugeschichte (IV): Was verraten planimetrische Überlegungen?

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81a  Diese Farbaufnahme aus den 30er Jahren zeigt den gemalten Dekor auf

der Arkadenwand im inneren südlichen Seitenschiff. Er imitiert opus sectile. 81b  Über dem südlichen Querhauspfeiler lassen sich noch heute Reste der

opus sectile imitierenden Malerei beobachten. Vermutlich entstand sie im Zuge des Wiederaufbaus der Arkadenkolonnade nach dem Brand im 7. Jh.

Einen wesentlichen Impuls erhielt die Diskussion der Bauphasen und deren Datierung durch zwei Studien von JeanMichel Spieser aus den Jahren 1984 und 1992 .137 Spiesers Überlegungen sind im Wesentlichen planimetrischer Natur, beschäftigen sich mit dem geometrischen Entwurfsschema des Baus. Zwar weise die fünfschiffige Querhausbasilika erhebliche Unregelmäßigkeiten auf, doch liege dem Gesamtkonzept ein einheitliches Planraster zugrunde, das auf einem 0,32m langen Fußmaß beruhe.138 Die Länge des Mittelschiffs bis zur Apsissehne beträgt 44,39m (Süden) bzw. 44,93m (Norden), was in etwa 140 Fuß entspricht. Die Gesamtlänge wiederum entspricht 54m, also ca. 170 Fuß. Mit 32m ist der Bau genau 100 Fuß breit.139 Nun besagen diese Beobachtungen noch nichts zur Frage etwaiger Veränderungen im Zuge eines substantiellen Wiederaufbaus der Kirche, da die Außenwände und der Verlauf der Stützenwände nach allgemeinem Konsens nicht verändert wurden.140 Bedeutsam werden Spiesers Überlegung jedoch für die Frage etwaiger Veränderungen der Stützen. Das eigentliche Modul bei der Planung des Baus ist das Achtfache des verwendeten Fußmaßes, also eine Längeneinheit

von 2 ,56 m.141 An diesem Wert orientieren sich die Interkolumnien, deren Weite zwar Schwankungen unterworfen ist, aber diesem Durchschnittsmaß entspricht. Die Pfeiler der Mittelschiffstützenreihe sind in dieses System eingebunden, erweitern aber den Stützenabstand jeweils um ein halbes Interkolumnium. Das heißt, dass bei zwei Pfeilern pro Stützenwand insgesamt ein Interkolumnium hinzukommt. Dies wiederum bedeutet – so Spieser –, dass sich die Pfeiler bestens in die originale Planimetrie des Baus einpassen und damit zur ursprünglichen Planung gehören müssen.142 Doch haben Spiesers Überlegungen keine Konsequenzen hinsichtlich der Frage, ob die Stützenreihe zum Ursprungsbau gehört oder erst nachträglich eingebaut wurde. Selbst wenn der Stützenwechsel zwischen Pfeiler und Säule zum originalen Konzept gehört, so ist doch durchaus denkbar, dass man ihn später in analoger Form wiedererrichtete, allerdings unter Verwendung anderer Kapitelle.143 Spiesers planimetrische Überlegungen beweisen aber auch das nicht: Gerade weil die beiden Pfeiler pro Seite jeweils ein ganzes Interkolumnium beanspruchen, könnte sich hier einst auch eine homogene Säulenreihe mit dreizehn Stützen befunden haben, die später durch eine alternierende Reihe von zwölf Stützen – zehn Säulen und zwei Pfeiler – ersetzt wurde.

82  Der opus sectile-Dekor über den Arkaden der Emporen war wesentlich

einfacher und setzt sich ebenfalls aus Spolienmaterial zusammen: So begegnen auch hier wiederverwendete Zahnschnittleisten.

Datierungsmöglichkeiten Die Datierung ist immer noch Gegenstand einer intensiven Debatte, wobei die Vorschläge vom frühen 5. Jh. bis in die erste Hälfte des 6. Jh. reichen. Da im Falle von Hagios Demetrios die Bauplastik nur bedingt weiterhilft, stellt sich die Frage, welche anderen Datierungsanhaltspunkte herangezogen werden können. Datierung des Ursprungsbaus  Die Annahme, es handle sich um einen Bau des frühen 5. Jh., beruht auf der Identifikation des in den Heiligenlegenden erwähnten Leontios mit einem gleichnamigen Präfekten des Jahres 412/413.144 Doch wurde dieser Frühdatierung bald widersprochen, und man entwarf das Szenario eines gewaltigen Ausbaus Thessalonikis, nachdem die Stadt 441 Hauptstadt des Illyricum geworden war. Teil dieses Bauprogramms sei auch die Kirche Hagios Demetrios gewesen.145 Aber auch dieses Szenario rief bald Widerspruch hervor, vor allem weil solche his-

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Ein Heiliger erhält sein Zuhause: Die Kirche Hagios Demetrios

Datierungsmöglichkeiten

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83  Der opus sectile-Dekor über den Emporenöffnungen im Westen entspricht

dem der Emporen im Norden und Süden. Während der untere Abschnitt der Westwand mit dem Tribelon zur originalen Bauphase der Kirche gehört, hat man den oberen Abschnitt später zusammen mit der Mittelschiffkolonnade erneuert.

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torischen Überlegungen kaum als Grundlage zur Datierung eines Baus dienen können.146 Paul Lemerle wiederum datierte den Bau aufgrund der Form seines Querhauses in die zweite Hälfte, wenn nicht gar in das letzte Viertel des 5. Jh.147 Bei Hagios Demetrios handle es sich um eine Basilika mit einem »transept à nefs enveloppantes«, also mit einem Querhaus, das ganz oder teilweise von umlaufenden Seitenschiffen hinterfangen wird.148 Lemerle wies auf eine Reihe von Vergleichsbeispielen hin, die überwiegend noch vor 500 datiert werden (Abb. 86).149 Einen anderen Ansatz verfolgt Benjamin Fourlas in seiner stilistischen und ikonographischen Untersuchung der Mosaiken von Hagios Demetrios:150 Die ornamentalen Mosaiken seien gegenüber jenen der Acheiropoietoskirche flächiger und stilisierter, was auf eine Nachzeitigkeit hinweise (Abb. 87a–b). Die figürlichen Mosaiken von Hagios Demetrios weisen vor allem im Gewandstil Analogien zu anderen justinianischen Mosaiken auf, während die Landschaftskulissen  – bei fortgeschrittener Zweidimensionalität – eher jenen der Apsis von Hosios David entsprächen. Dies spräche für einen Zeitansatz im frühen 6. Jh. Für eine Datierung in diese Zeit sprechen ferner Reste ornamentaler Schrankenplatten, die vermutlich der ersten Ausstattungsphase der Basilika zuzuweisen sind, und die Ziegelstempel, die man nach 1917 im Schutt der herabgestürzten Mauern fand. Die doppelseitig dekorierten Schrankenplattenfragmente weisen eine Monogrammform auf, die nach der Mitte des 6. Jh. nicht mehr vorkommt (Abb. 88).151 Bislang ist es nicht gelungen, die Abkürzungen aufzulösen, sodass der Stifter unbekannt ist.152 Manche der Ziegelstempel zeigen wiederum kreuzförmige Monogramme, was wiederum auf eine spätere Datierung, allerfrühestens nach den 30er Jahren des 6. Jh. hinweist (Abb. 89).153 Vermutlich stammen die gestempelten Ziegel aus Mauerpartien, die im 7. Jh. wiederaufgerichtet wurden.154 84  Auch am Ansatz der großen Transeptbögen lassen sich

noch Reste von Spolien-opus-sectile beobachten. Es dürfte zusammen mit dem des Mittelschiffs entstanden sein.

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Unter den Kapitellen kommen für eine Datierung der ersten Bauphase allein jene des Tribelons zwischen Vorhalle und Mittelschiff in Betracht (Abb. 63a–b). Bei ihnen handelt es sich um fast identische Kompositkapitelle.155 Auf einem Fußwulst mit feingezahnten Akanthusblättern erheben sich zwei volle Blattkränze mit je acht Blättern feingezahntem Akanthus, der im Blattinneren nur durch Bohrungen angegeben ist. Die zungenförmigen Blätter fallen nach vorne über. Auf dem Kalathosrand verläuft ein Palmettenkragen. Die Stirnseiten der Voluten sind mit variierendem Blatt- und Rankendekor versehen. Ein Kapitell weist auf der Abakusplatte eine Kerbleiste aus stilistiertem Blattdekor auf. Ganz ähnliche, wenn auch etwas weiterentwickelte Stücke finden sich in der Basilika A von Nea Anchialos, die – allerdings auch nur aufgrund der Bauplastik – in das erste Drittel des 6. Jh. datiert (Abb. 71):156 Hier wurden die Blätter zunehmend ihrer organischen Form beraubt und in Träger flirrenden Ornaments verwandelt. Derartige Vergleiche legen, wie bereits mehrfach betont wurde, eine Datierung der Thessaloniker Kapitelle in die Zeit um oder nach 500 nahe. Vieles spricht also für eine Datierung der ersten Bauphase von Hagios Demetrios ins frühe 6. Jh. Datierung des Wiederaufbaus Wann aber erfolgte der Wiederaufbau der Stützenwände und des Querhauses? In der älteren Forschung ist hierfür immer wieder ein Ereignis angeführt worden, das im dritten Wunderbericht des zweiten Buchs der Miracula Sancti Demetrii überliefert wird. Es handelt sich um ein Feuer, dem um 620 Teile der Kirchenausstattung zum Opfer fielen (Text 4).157 Die Kirche habe aus unbekannten Gründen Feuer gefangen, sei von dem Brand »zerstört« worden, doch seien die benachbarten Häuser, darunter eine Thermenanlage, verschont geblieben. Das Dach von Hagios Demetrios sei, wie es in den Miracula heißt, dem Brand zum Opfer gefallen. Andererseits hätten die Thessaloniker angeblich nur zwei Stunden gebraucht, um den Brandschutt aus der Kirche zu räumen. Die Auswirkungen dieses Brands wurden und werden in der Forschung sehr kontrovers beurteilt. Für die einen handelte es sich um eine erhebliche Zerstörung, die umfassende 85  Eine alte Aufnahme zeigt noch den gesamten opus sectile-Dekor des nördlichen Querhausbogens. Er erhielt seine Verkleidung zusammen mit dem Mittelschiff, was vermuten lässt, dass er – wie das Mittelschiff – in einer späteren Bauphase wiedererrichtet wurde.

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Ein Heiliger erhält sein Zuhause: Die Kirche Hagios Demetrios

Datierungsmöglichkeiten

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86  Seit dem späten 5. Jh. lassen sich zum Teil sehr gewaltige Basiliken mit

Querhausumgängen beobachten: a. Hagios Demetrios; b. Leonidasbasilika in Lechaion bei Korinth; c. Basilika A in Philippi; d. Basilika von Abu Mena; e. Querhaus­basilika von Perge; f. Querhausbasilika von Patara; g. Querhausbasilika von Tropaeum Traiani.

87a – b  In den Fensteröffnungen der Westfassade von Hagios Demetrios haben sich noch Reste von ornamentalen Mosaiken erhalten, die zur ursprünglichen Ausstattung gehören (b). Vergleicht man diese mit motivisch ähnlichen Mosaiken aus der Acheiropoietoskirche (a), dann zeigt sich eine Tendenz zur Verflächigung der Motive, was möglicherweise auf eine Nachzeitigkeit der Demetrioskirche hinweist.

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Eine vergebliche Suche nach den Reliquien des Heiligen Die Kunde von Demetrios’ Ruhm scheint sich bald bis nach Konstantinopel verbreitet zu haben, und auch am Kaiserhof wurde man auf den Stadtheiligen Thessalonikis aufmerksam. Bald fasste man den Gedanken, seine Reliquien nach Konstantinopel zu überführen.2 Der fünfte Wunderbericht im ersten Buch der Miracula Sancti Demetrii erzählt, Kaiser Maurikios (582 – 602) habe den Erzbischof von Thessaloniki, Eusebios, gebeten, ihm Körperreliquien des hl. Demetrios zuzusenden (Text 1).3 Man kann sich die Reaktion des Erzbischofs unschwer vorstellen; er beschied die kaiserliche Anfrage abschlägig und begründete dies wie folgt: Zur Zeit des Heidentums hätten die Christen von Thessaloniki aus Furcht, die verehrungswürdigen Leiber der Märtyrer der Raserei der Götzendiener preiszugeben, deren Beerdigung im Geheimen und Verborgenen vollzogen. Daher kenne man bis auf eine Ausnahme deren Bestattungsorte nicht, und auch die genaue Lage des Demetriosgrabs sei unbekannt.4 In seiner Argumentation fährt der Erzbischof fort, die Bürger von Thessaloniki hätten es gar nicht nötig, ihre Heiligen auszustellen, um ihren Glaubenseifer zu stärken. Bereits als Kaiser Justinian (527 – 565) wenige Jahrzehnte zuvor eine vergleichbare Anfrage an den Bischof von Thessaloniki richtete, habe man, um dem kaiserlichen Wunsch zu entsprechen, die Basilika nach den Reliquien abgesucht. Singend und Kerzen sowie brennenden Weihrauch mit sich führend hätten sich die Kleriker »in einen unterirdischen Bereich« begeben. Als sie weiter vorangehen wollten und begannen, nach den Reliquien des Heiligen zu graben, hätten sie eine Flamme erblickt und eine Stimme gehört, die sie zum Einhalten aufforderte. Erschreckt hätten sich die Suchenden zurückgezogen, jedoch nicht ohne etwas von der Erde mitzunehmen, die den Duft des Feuers trug. Diese Erde sei zusammen mit einem Bericht über dieses Ereignis in der Hagia Sophia von Thessaloniki verwahrt worden. Justinians Wunsch nach Körperreliquien sei somit unerfüllt geblieben. Kaiser Maurikios könne sich daher glücklich schätzen, etwas von der geheiligten Erde zu erhalten, die man damals entnommen habe. Soweit der Ablauf der Ereignisse nach den Miracula Sancti Demetrii – was aber hat es mit dieser Geschichte auf sich? Man hat immer wieder vermutet, der Bericht  – so er denn der Wahrheit entspricht – sei eine Schutzbehauptung

Wo sich Himmel und Erde begegnen: Hagios Demetrios als Verehrungsort

der Thessaloniker gewesen, um sich gegen den Ausverkauf ihres Stadtheiligen zu stemmen.5 Um keine Reliquie hergeben zu müssen habe man dem Kaiser gegenüber Unkenntnis hinsichtlich des Heiligengrabs vorgetäuscht. Aber hätte man es tatsächlich gewagt, dem Kaiser gegenüber eine falsche Behauptung aufzustellen? Zu groß war die Gefahr, dass ein Thessalonikibesucher den Kaiser über die wahren Umstände aufklären konnte. Daher ist wahrscheinlicher, dass es de facto kein eindeutig lokalisierbares Heiligengrab gab. Vermutlich diente die Episode der Untermauerung, dass der Heilige zwar anwesend gedacht wurde, aber nicht präzise verortet werden konnte. Sie warnt auch davor, von einem konkreten Heiligengrab auszugehen. Wie aber erfolgte dann in der Kirche Hagios Demetrios die Begegnung zwischen dem Besucher und dem Titelheiligen? Wo war es den Kirchenbesuchern der Spätantike möglich, Kontakt zum Heiligen aufzubauen? Suchen wir die Kirche Hagios Demetrios nach möglichen Verehrungsorten ab und stellen uns dabei die Frage, ob es in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens überhaupt ein solches Heiligengrab gab.

Baugestalt und Erwartung Bereits die Baugestalt von Hagios Demetrios mochte Besuchern suggeriert haben, sie beträten einen besonderen Bereich, in dem das Heilige unmittelbar erfahrbar sei. Zahlreiche Zugänge führten in die Kirche: zwei Portale an der West-, eines an der Südseite, Zugänge im Norden und Osten, letzteres über eine große Freitreppe erreichbar (Abb.  2). Außerdem führten Treppen von der Ostkrypta unter der Hauptapsis ins Innere des Baus. Allein dieser Befund spricht dafür, dass es sich bei Hagios Demetrios um einen Raum handelte, der nicht nur im Verweilen, sondern auch im Durchschreiten erfahren wurde und Ziel zahlreicher Besucher war. Dem Querhaus mit seinen Umgängen kam dabei besondere Bedeutung zu: Es erlaubte die Besucher am Presbyterium vorbei zu schleusen, bildete aber zugleich einen eigenen Raumkörper, der sich über den Altarbereich der Kirche spannte. Mit dem Querhaus hat es in der Architekturgeschichte seine Bewandtnis: Es handelt sich um einen quergelagerten Raumabschnitt, der eine mehr oder weniger ausgeprägte Abgeschlossenheit gegenüber den anderen Raum-

Baugestalt und Erwartung

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1.  Vergebliche Suche nach den Demetriosgebeinen: Meine Lieben, lasst uns nun, falls es Euch gefällt, die meisten Dinge beiseitelassen und zu den Erscheinungen des großen und gotterfüllten Märtyrers kommen, denn auch diese zeigen den außerordentlichen Ruhm seines unbeschreiblichen Glanzes und seiner unaussprechlichen Macht. Da nämlich die Christen des gottgeliebten Thessaloniki die Märtyrer immer und besonders zur Zeit der Götzenverehrung geliebt haben, da verbargen die Christen die ehrwürdigen Körper der Märtyrer aus Furcht, die Leiber würden den Launen der Götzendiener preisgegeben werden, still und heimlich in der Erde, so dass bis heute von denen, die hier das Martyrium erlitten haben, die Lage der heiligen Schreine nicht eindeutig bekannt ist – mit Ausnahme desjenigen der ruhmreichen und heiligen Jungfrau Matrona. Als der Kaiser Maurikios seligen Angedenkens dies erfahren hatte und er die berühmte Verehrung der Bürger gegenüber den Märtyrern auf die Probe stellen wollte, er andererseits von göttlicher Liebe zu dem berühmten Märtyrer Demetrios erfüllt war, weil er, wie es heißt, »viel über ihn gehört hatte«(Lk. 23,8), da verlangte er als frömmigkeitsliebender Kaiser durch eine göttliche Botschaft, die er an den Hirten des christlichen Volks von Thessaloniki schickte, dass ihm eine Reliquie des christuserfüllten Märtyrers Demetrios übersandt werde, damit er in ihr durch seinen Glauben einen Verbündeten gewänne. Diesem antwortete der selige Erzbischof Eusebios, der die erwähnte Forderung des Kaisers erhalten hatte, mit folgendem Brief: »O Kaiser, die Kinder des gottgeliebten Thessaloniki pflegen nicht, wie es in anderen Regionen Brauch ist, die Körper der gemarterten Heiligen öffentlich auszustellen, sodass sie spürbar und fortwährend durch deren Anblick und Berührung die Frömmigkeit in ihren Seelen entfachen. Im Gegenteil, sie tragen den Glauben in ihren Herzen, schrecken infolge übergroßer Frömmigkeit vor deren Anblick zurück und sind der Ansicht, dass ihnen zur Gottgefälligkeit die Lauterkeit ihres Glaubens gereicht. Auch sie hielten es für richtig, dass die Gebeine der Märtyrer verborgen sein müssen, damit niemand den Ort der Bestattung kenne bis auf jene, die an der heiligen Beerdigung teilnahmen.

So hat, o Kaiser, auch euer Vater Justinian seligen Angedenkens ähnliche Formulierungen gegenüber jenen gebraucht, die damals den Thron des Erzbischofs innehatten, wie auch jetzt eure Majestät uns gegenüber. Denn auch jener war ebenso wie ihr von göttlicher und flammender Liebe zu dem ruhm- und siegreichen Märtyrer ergriffen. Weil sie seiner kaiserlichen und gottgefälligen Bitte nachkommen wollten, gruben sie an einem bestimmten Ort seiner verehrungswürdigen Kirche, wo sie seinen Leib vermuteten. Sie stiegen unter Absingen von Liedern und ausgestattet mit Lampen und Weihrauchfässern hinab, wobei sie andere gottwürdige Priester mitnahmen. Als sie einen Teil der Ausgrabungsarbeit vollbracht hatten und noch eifriger vorangehen wollten, da sahen sie plötzlich, wie eine Flamme aus dem Ort vor ihnen entgegenkam und eine Stimme ertönte: ›Haltet ein mit Eurem Ansinnen!‹ Jene aber, von Furcht und Zittern ergriffen, wandten sich sofort um. In ihrem übergroßen Glauben und im Bestreben, dem Kaiser gegenüber Gehorsam zu zeigen und die Gefährlichkeit des Unterfangens, der sie sich ausgesetzt hatten, zu veranschaulichen, bückten sie sich und sammelten, bevor das Feuer sie erreichte, soviel wie möglich von der Erde ein, die den Geruch des Feuers zusammen mit einem unbeschreiblichen Wohlduft mit sich zog. Sie verwahrten sie geziemend im Schatzhaus unserer Großen Kirche und sandten einen Teil davon mit einem Bericht der Ereignisse an jenen, der es fromm erbeten hatte und der sie mit großer Freude entgegennahm, als würde er den Körper des Märtyrers selbst entgegennehmen. Auch wir Unwürdige senden Euch, die ihr an Herrschaft gleich seid, an Frömmigkeit aber jenen übertrefft, als Gabe einen Teil von derselben Erde des Heiligen. Mehr zu versuchen wäre nach diesem göttlichen Zeichen, wie vorhin gesagt wurde, nicht nur unklug, sondern auch gefährlich.« Lob und Macht sei Gott in alle Ewigkeit. (Miracula Sancti Demetrii I.5 § 50 – 54, p. 881 – 9017 Lemerle. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)

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Altarbereich und kreuzförmige Krypta

des Pilgerziel überliefert.11 Mit anderen Worten: die Möglichkeit des Zirkulierens großer Menschenmassen bedeutet noch nicht deren tatsächliches Zirkulieren. Architektur geht über bloße Zweckansprüche hinaus. Die Fülle verschiedener Transeptformen und die mannigfachen funktionalen und semantischen Kontexte zeigen, dass das Querhaus für bestimmte Aufgaben nicht »zwingend vorgeschrieben« war, sondern eine Aufwandsarchitektur darstellt, die das liturgische Zentrum betonen konnte, vor allem aber dem Bauwerk Exklusivität verlieh.12 2  Besonderes Charakteristikum der

Basilika Hagios Demetrios ist das Querhaus mit eigenen Umgängen, die es erlauben, den Altarbereich von drei Seiten zu umschreiten. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Architektur auf die Bewältigung großer Zahlen von Besuchern und Pilgern ausgerichtet war.

teilen besitzt. Querhäuser können aus Annexbauten an den Seiten einer Basilika bestehen, sie können sich in der Dachlandschaft deutlich als erhöhte Raumpartien abzeichnen, sie können vom Mittelschiff durch einen gewaltigen Triumphbogen geschieden sein, und sie können eigene Umgänge besitzen.6 In jedem Fall bilden Querhäuser ein Gegengewicht zur Längsausrichtung einer Basilika und verleihen dem Bau eine zentralisierende Tendenz, wobei diese Betonung mit einem liturgischen Pol innerhalb des Raums, zumeist dem Hauptaltar, zusammenfällt. In der älteren, sehr stark typologisch geprägten Forschung war man bestrebt, für bestimmte Bauformen bestimmte Funktionen und Bedeutungen anzunehmen. So geriet auch das Querhaus in den Verdacht, Ausdruck einer spezifischen Funktion eines Baus zu sein, und diese Funktion definierte man im Rahmen des Heiligenkults.7 Man begriff nicht nur Zentral-, Rundund kreuzförmige Bauten als Martyria, sondern sah auch im Querhaus architektonischen Ausdruck der Überhöhung eines Heiligengrabs oder einer Heiligenreliquie. Schreinartig überfange es einen verehrten Ort und markiere so seine sakrale Bedeutung. Diese Interpretation ist freilich viel zu exklusiv gedacht: So gibt es zahlreiche Heiligenverehrungsstätten, die kein Transept aufweisen, vor allem in Nordafrika und im Nahen Osten, wo es nur eine geringe Bedeutung

besitzt. Umgekehrt gibt es zahlreiche Querhausbasiliken, in denen sich kein besonders verehrtes Heiligengrab feststellen lässt.8 Verführerisch wäre es auch, die Querhausbasiliken, vor allem jene mit Querhausumgängen, im Kontext der Pilger­ architektur zu sehen: Zugänge von Osten und Transeptumgänge, die in die Seitenschiffe münden, konnten das Zirkulieren großer Besucherströme ermöglicht haben. So zog man bereits früh einen Vergleich zwischen Hagios Demetrios und der Menaskirche im ägyptischen Abu Mena, deren analoge Querhausgestaltung als Ausdruck einer spezifischen Pilgerarchitektur gedeutet wurden.9 Neben der Basilika von Abu Mena sind es vor allem die Basiliken in Lechaion bei Korinth, die Basilika A von Philippi und die Basiliken von Perge und Patara, deren Querhausumgänge es erlauben, sich in einer äußeren Raumschale um das liturgische Zentrum des Baus zu bewegen (Kap. IV Abb. 86).10 Doch ist bei keiner der zuletzt genannten Basiliken eine Funktion als bedeuten-

3  Rekonstruktion der liturgischen Disposition der frühchristlichen Basilika von Thasos (nach Anastasios Orlandos) mit Hauptaltar (a), Bischofsthron (b), Synthronon (c), seitlichen Klerikerbänken (d) und Templonabschrankung. So ähnlich könnte die liturgische Einrichtung der Demetrioskirche in der Spätantike ausgesehen haben.

Altarbereich und kreuzförmige Krypta Das liturgische Zentrum der Kirche war und ist der Hauptaltar. In Hagios Demetrios befand sich das Presbyterium im Ostbereich des Mittelschiffs. Es bildete zugleich die Mitte des zweigeschossigen Querhauses und wurde von der Apsiskalotte hinterfangen. Aus den wenigen erhaltenen Resten, die während der Grabungen nach 1917 zutage kamen, lässt

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sich eine typische frühchristliche Altaranlage rekonstruieren, wie sie auch in anderen Bauten des östlichen Illyricum im 5. und 6. Jh. zu beobachten ist (Abb. 3).13 Dabei ist der von den Soterious beschriebene Befund keinesfalls einfach zu deuten, da abermals verschiedene Bau und Ausstattungsphasen zu beobachten sind.14 Noch bis zum Brand des Jahres 1917 haben sich im Altarbereich ausgedehnte Partien eines Bodenbelags aus verschiedenartigen Platten erhalten (Abb. 4 und 5): Aussparungen in diesem Bodenbelag zeigen die Standflächen eines fast quadratischen Ziboriums, das den Hauptaltar überfing. Passend zu diesem Befund sind die bei der Ausgrabung der Ostkrypta gefundenen Reste eines Marmorziboriums (Abb. 6a und b).15 Die nur unvollständig überlieferte Inschrift auf dem Medaillon eines der beiden Bogenfragmente nennt einen ruhmreichen πρόεδρος Theodor  – vermutlich einen Erzbischof Thessalonikis  –, der den »schönen Ort« mit Marmor verzierte.16 Die erhalten Bogenplatten fügen sich aufgrund ihres sparsamen Ornaments und Motivrepertoires gut in eine Gruppe von skulptierten Schrankenplatten ein,

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4 Die einzige erhaltene Aufnahme

des alten Bodenbelags im Altarbereich der Kirche stammt von Petros Papageorgiou (1908 ). Sie zeigt deutlich die nachträglich gefüllten Standspuren des Altarziboriums und die verschiedenen Marmorsorten.

6a – b Bei der Ausgrabung der Krypta unter der Hauptapsis der Kirche fand man Reste des einstmaligen Hauptaltarziboriums, das ein »ruhmreicher Proedros« namens Theodor im 11. Jh. gestiftet hat.

5 Umzeichnung des Bodenbelags

nach den Befunden der Grabungen unter Georgios Soteriou. Der Bodenbelag entspringt verschiedenen Phasen: Deutlich zeichnet sich der Standort des Altarziboriums ab.

die in der zweiten Hälfte des 11. Jh. in Thessaloniki gefertigt wurden.17 Offenbar fand zu dieser Zeit eine umfassende Neugestaltung des Altarbereichs statt.18 Vor dem Altar befand sich ein Bereich, der besonders ausgezeichnet war. Hier verwendete man als Bodenbelag rotgeäderten Marmor aus Skyros, wobei die geschnittenen Platten so verlegt wurden, dass die Äderung symmetrische Muster bildete. Dieser Bodenbelag gehört, wie auch die Soterious hervorheben, zu einer noch späteren Ausstattungsphase, in eine Zeit, als das Ziborium des 11. Jh. bereits errichtet worden war.19 Unter diesem späteren Bodenbelag fanden sich Spuren eines älteren Presbyteriums. Beim südwestlichen Pfeiler des Altarbereichs fand man unterhalb des Buntmarmorbelags Teile eines Stylobats, der allein schon aufgrund seiner Lage

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7  Reste eines Stylobats unter dem späteren Bodenbelag. Vermutlich dienten die Platten, auf denen die Standspur einer Säule gut zu erkennen ist, als Auflagen für die Abschrankung eines älteren Altarbereichs.

8  Umzeichnung des Bischofsthrons. Deutlich ist zu erkennen, dass im unteren

als Rest einer Schrankenanlage anzusehen ist (Abb. 7).20 Doch kann auch dieser Stylobat nicht zum Ursprungsbau gehört haben, da sich weitere 25cm tiefer Spuren eines noch älteren Belags aus gleichförmigen Marmorplatten sowie Reste der seitlichen Priesterbänke erhalten haben.21 Auf diesem Bodenniveau befand sich wohl die ursprüngliche Templonanlage, die den Altarbereich umschloss, deren Gestalt sich jedoch kaum mehr rekonstruieren lässt.22 Vermutlich können einige doppelseitig dekorierte Schrankenplattenfragmente, die Soteriou im Verlauf seiner Ausgrabung gefunden hat, dieser ersten Templonanlage zugerechnet werden.23 Zum liturgischen Mobiliar der ältesten Ausstattungsphase gehören auch die Reste einer Bischofskathedra, die sich im Scheitel der Apsis befand. Die erhaltenen profilierten Seitenplatten mit Knaufabschlüssen und Christogrammdekor lassen sich gut ins 6. Jh. datieren (Abb. 8).24 Der Dekor der Thronwangen berücksichtigt ferner seitlich anschließende Stufen, die zu einem halbkreisförmigen Synthronon in der Apsis gehören müssen.25 In diesem Punkt entspricht

die liturgische Disposition von Hagios Demetrios anderen Kirchen des 5. und 6. Jh., die in vergleichbarer Weise den Bischofsthron als Scheitel der Apsis inszenieren und hieran anschließend runde Priesterbänke besitzen.26 Auch die Priesterbänke zu Seiten des Altars lassen sich oft beobachten, wobei diese Disposition erst ab dem 6. Jh. zu greifen ist.27 Ansonsten ist der ältesten liturgischen Ausstattung der Kirche kein erhaltenes Werkstück mit Sicherheit zuzuweisen, auch nicht der reliefverzierte Bogen und die zugehörigen Ornamentpfeiler, die 1907 in osmanischen Kontexten vermauert gefunden wurden (Abb. 9 und 10).28 Der beidseitig verzierte Bogen, der sich heute im Museum für Byzantinische Kultur in Thessaloniki befindet, ist an den Schmalseiten und an der Unterseite leicht beschnitten – offenbar eine spätere Maßnahme, um das Werkstück in einen sekundären Kontext einzupassen. Der Dekor der Hauptansichtsseite des Bogens ist besonders aufwendig: In den Zwickeln zwischen dem breit ornamentierten Bogen und dem oberen Abschlussgesims befinden sich zwei geflügelte Niken mit

Bereich der Thronwangen die in der Apsis umlaufende Priesterbank anschloss.

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9a – d  1907 fand man diesen beidseitig verzierten Bogen, der vermutlich in justinianische Zeit zu datieren ist. Er wurde an den Rändern abgearbeitet, um in einen sekundären Kontext verbaut zu werden. Einst dürfte er Teil einer Art Abschrankung gewesen sein (Thessaloniki, Museum für Byzantinische Kultur). 10a – d  Neben dem Bogen fand man

vier – teilweise nur fragmentarisch erhaltene – Ornamentpfeiler, die gemeinsam mit dem Bogen gefertigt wurden. Zwei der Pfeiler zeigen Ansätze von Schrankenplatten, bei zwei wurden diese nachträglich abgearbeitet. Wie man sich die Erstverwendung vorstellen muss, ist unklar; in der Zweitverwendung scheinen sie zusammen mit drei Bögen eine repräsentative Abschrankung gebildet zu haben (Thessaloniki, Museum für Byzantinische Kultur; Museum der Krypta unter Hagios Demetrios). 11  Ein fast identischer reliefverzierter Bogen befindet sich heute in der Kirche der Geburt der Muttergottes in Kassandria (Valta). Beide Bögen gehörten einst wohl zur Innenausstattung der Kirche Hagios Demetrios.

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einem Modius als Kopfbedeckung, die dem Bogendurchgang eine triumphale Ikonographie verleihen. Die etwas bescheidener ausgeführte Rückseite zeigt in den Zwickeln zwei Pfauen. Ein fast identischer doppelseitig reliefverzierter Bogen, der sich am Zugang zur Kirche der Geburt der Muttergottes in Kassandria (Valta) befindet, stammt ebenfalls aus Thessaloniki und muss einst ein Ensemble mit dem Bogen von Hagios Demetrios gebildet haben (Abb. 11).29 Merkwürdigerweise ist auch dieser Bogen an den Seiten abgearbeitet, d. h. er war vermutlich mit seinem Pendant gemeinsam in einem sekundären Kontext verbaut. Zu den beiden Bögen gehören aufgrund ornamentaler Analogien auch vier reliefverzierte Pfeiler. Bei den beiden anderen haben sich Ansätze von ebenso hohen Schrankenplatten erhalten, bei zwei wurden diese nachträglich abgearbeitet. Dies legt – für die Nutzungsphase – die Rekonstruktion einer mindestens dreibogigen Abschrankung nahe, deren Seitenarkaden verschlossen waren, deren Mittelarkade hingegen einen Durchgang besaß. Wo aber kann sich in Hagios

Demetrios eine solche Trennwand befunden haben? Eine Abschrankung des Altarbereichs vom Mittelschiff kommt kaum in Frage, da eine solche Barriere 11,40m lang gewesen sein müsste und etwa sechs Bögen vorausgesetzt hätte. Eine gerade Zahl von Bögen hätte aber kein Mittelportal ermöglicht. Daher wichen die Soterious auf die ca. 6m breiten Durchgänge zu den Transeptarmen aus, für die sie eine – allerdings sehr unwahrscheinliche  – dreibogigen Anlage mit einem schmaleren geschlossenen Mitteljoch und zwei breiteren offenen Seitenjochen entwarfen (Abb. 12a).30 Viel wahrscheinlicher ist die Rekonstruktion einer gleichmäßigen dreibogigen Arkade, von der sich Schrankenplatten nach hinten zogen (Abb. 12b). Wo man sich in der Kirche diese Arkatur vorstellen muss, bleibt nach wie vor offen.31 Fasst man den komplizierten Befund zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: In einer erste Phase erfolgte die Anlage des Hauptaltars, der seitlichen Priesterbänke und einer Abschrankung des Altarbereichs, deren Verlauf sich kaum bestimmen lässt. In einer zweiten Phase wurde auf etwas höherem Bodenniveau eine neue Abschrankung angelegt, deren Stylobat aus Spolienmaterial zusammengefügt wurde. Die Position des Altars blieb unverändert. In einer dritten Phase, im 11. Jh., erhielt der Altarbereich einen neuen Belag aus skyrischem und prokonnesischem Marmor.

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13  Die kleine kreuzförmige Krypta unter dem Hauptaltar zum Zeitpunkt der Ausgrabung im Jahre 1948. Die quadratische Marmorplatte über der Aufmaue-

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14  Grundriss und Längsschnitt durch die kreuzförmige Krypta. Mit einer Höhe von nur 0,85m war die Anlage viel zu klein, um betreten werden zu können.

rung mit dem Reliquienflakon wurde bereits beiseite gerückt.

12a – b  Georgios Soteriou schlug die Rekonstruktion einer dreibogigen Schrankenanlage vor, deren - schmaleres - mittleres Joch verschlossen ist. Wahrscheinlicher ist für die Zweitverwendung der Stücke die Rekonstruktion einer gleichmäßigen dreibogige Anlage mit offenem Mitteljoch. Die Schrankenplatten dürften nach hinten an die Pfeiler angeschlossen haben. Wo sich diese Arkatur in Hagios Demetrios befand, ist unklar.

Die Priesterbänke wurden spätestens jetzt entfernt und auch die Treppenabgänge zur Krypta zugedeckt. Wiederum später wurden reliefierte Spolienplatten als Bodenbelag verlegt und, vielleicht schon in osmanischer Zeit, die runden Aussparungen des Altarziboriums gefüllt.32

Im Presbyterium von Hagios Demetrios machte man noch eine weitere Entdeckung, die bei der Frage der Verehrungsorte innerhalb der Kirche eine große Rolle spielt. Unterhalb des Hauptaltars fand man eine kleine Miniaturkrypta (Abb. 13 –14).33 Es handelt sich dabei um eine weniger als einen Meter hohe kreuzförmige Vertiefung mit Treppe, die viel zu klein war, um betreten werden zu können.34 Auf dem Boden dieser Krypta erhob sich eine kegelförmige Aufmauerung aus vermörtelten Bruchsteinen, in der sich wiederum ein mit Marmorplatten ausgekleidetes kleines Fach befand.35 Darin entdeckte man eine kleine Glasphiole, deren Inhalt die Soterious als »staubgewordene Reste von Blut« identifizierten (Abb. 15).36 Bedeckt wurde der Mittelteil der Miniaturkrypta durch eine Marmorplatte mit einer zentralen Öffnung (Abb. 16). Diese Platte wurde jedoch nicht in ihrer ursprünglichen Position aufgefunden, da sie trotz Libationsöffnung auf einer Mörtelpackung ruhte, die jede Kommunikation mit dem innenliegenden Reliquienfach unmöglich machte.37 Offenbar ließ man der Reliquie unter dem Altar

durch diese Öffnung Libationen zukommen.38 Spätestens im 7. Jh. – so die Soterious – habe ein leicht erhöhter Bodenbelag im Altarbereich die Miniaturkrypta vollständig bedeckt und sie so dem Vergessen anheimgegeben. Wie so oft interpretierten die Soterious die Befunde auf der Grundlage der hagiographischen Überlieferung:39 Die Krypta sei Teil einer älteren Kultanlage, sei zusammen mit der benachbarten halbkreisförmigen Apsis bereits im 4. Jh. als Teil eines ersten »oikiskos« entstanden (Kap. IV Abb.  25, 32). Ursprünglich habe sich gar in dem abgesenkten Raum das Grab des Heiligen befunden. Erst bei der Errichtung der großen Basilika habe man den Leib des Heiligen in das Hauptschiff transferiert, während in der Krypta nur die kleine Phiole mit dem Märtyrerblut verblieben sei. Diese Deutung blieb zu Recht nicht unwidersprochen: Paul Lemerle wies zunächst darauf hin, dass die kreuzförmige Krypta kaum mit der alten Apsis entstanden sein kann, sondern erst zusammen mit der fünfschiffigen Basilika angelegt wurde.40 Ihre Lage in unmittelbarer Nähe zur älteren Apsis-

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Die Ostkrypta

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15  In der kegelförmigen Aufmauerung in der kleinen kreuzförmigen Krypta fand man eine Glasphiole, deren Inhalt nie wissenschaftlich untersucht wurde. Oft liest man, es handle sich um Pulver getrockneten Bluts.

16  Einst konnte man über eine kleine Öffnung in der Abdeckplatte der Krypta

mauer lässt sich nur durch eine nachträgliche Einbringung erklären, als die alte Apsis bereits abgetragen war.41 Auch die Annahme, in der Krypta habe sich zunächst der Leib des Heiligen befunden, bevor er transferiert und durch eine Blutphiole ersetzt worden sei, ist nicht haltbar. Zum einen erwähnen die Quellen zur Kirche überhaupt keinen Heiligenleib, zum anderen sprechen typologische Vergleiche dafür, dass die Miniaturkrypta von vornherein als sogenanntes ἐγκαίνιον, als Reliquiendepot unter dem Hauptaltar der Kirche gedacht war.42 »Krypten« dieser Art lassen sich häufiger beobachten; sie finden sich in Konstantinopel, Griechenland und im Balkanraum.43 In keinem Fall ist bewiesen, dass es sich um die Grablege eines Heiligen handelte. Ihre unmittelbare Lage unter dem Altar weist vielmehr darauf hin, dass es sich um den Aufbewahrungsort der zumeist kleinen und unscheinbaren Hauptaltarreliquie handelt, die jedoch in liturgischer Hinsicht oder für die Heiligenverehrung nur eine untergeordnete Rolle spielte. Keine dieser »Krypten« sollte betreten werden; dafür waren sie viel zu klein. In der Regel wurden sie verschlossen und nicht selten auch vergessen, wie es auch in Thessaloniki der Fall war.44 Die Miniaturkrypta war somit

kein alter Verehrungsort, sondern entstand mit der Kirche Hagios Demetrios in der Zeit um 500.45 Unter dem Hauptaltar befand sich nur eine unspektakuläre Reliquie, die weder in den Quellen erwähnt wird, noch im Bewusstsein der Allgemeinheit gewesen sein dürfte. Fraglich ist, ob sie überhaupt mit dem Titelheiligen in Verbindung zu bringen ist.46 Wenn sich aber der Leib des Heiligen nicht unter dem Hauptaltar der Kirche befand, wo war er dann? Begeben wir uns hierzu erneut in den kryptenartigen Bereich unterhalb der Hauptapsis der fünfschiffigen Basilika.

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Libationen vornehmen. Man träufelte Flüssigkeiten in das Loch, die mit der Altarreliquie in Berührung kamen.

Die Ostkrypta Bevor die Soterious die irrige These eines oikiskos entwickelten, zu dem angeblich die alte Apsis und die Miniaturkrypta gehörten, vermuteten sie die Grablege des Heiligen in dem meist »Ostkrypta« genannten älteren Bereich unterhalb der Hauptapsis der heutigen Kirche (Abb. 17 – 19).47 Auch in der modernen Forschungsliteratur ist bisweilen zu lesen, Reliquien des Heiligen hätten sich möglicherweise in diesem Bereich befunden.48 Was hat es mit dieser Annahme auf sich?

17  Bei den Ausgrabungen in der Kirche nach 1917 kamen unter der Hauptapsis

und dem Querhaus gewölbte Räume zutage, deren Zentrum eine Brunnenanlage mit einem halbkreisförmigen Ziborium bildete. Ursprünglich war der gesamte Bereich der sogenannten Ostkrypta ein offener Vorhof mit Brunnenanlage. Erst bei der Errichtung der fünfschiffigen Basilika ließ man die Gewölbe einziehen.

18  Das Hagiasma war von einer halbkreisförmigen Pfeilerstellung umgeben, welche die Apsis der Kirche trugen. Auf der Aufnahme des Jahres 1918 fehlt die

Eindeckung des unterirdischen Raums, die zugleich den Boden in der Apsis der Kirche trug. Zum Zeitpunkt dieser Aufnahme hatte man bereits das halbkreisförmige Ziborium des Hagiasmas wiederhergestellt.

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19 Dieser Plan der Soterious verbindet die Befunde im Bereich der Krypta (schwarz) mit den darüber befindlichen Befunden der Kirche (rot). So wird deutlich, dass manche der Einbauten in die Räume der Krypta erfolgten, um als Fundamente für Wände und Stützen der Ostpartie der Kirche zu dienen.

Die Ostkrypta

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Es wurde bereits erwähnt, dass diese erst 1918 entdeckten Strukturen ursprünglich kein gedeckter oder gar unterirdischer Bereich waren, sondern erst nachträglich eingewölbt wurden.49 Davor handelte es sich um einen offenen Vorhof mit einem Brunnen an der Westwand, der den Zugangsbereich zu einem profanen Vorgängerbau der Kirche bildete. Mit der Errichtung der fünfschiffigen Basilika wurde der gesamte Bereich eingewölbt.50 Man betrat einen kryptenartigen Raum, dessen Zentrum ein Brunnen war, der eine kultische Aufwertung erfuhr (Abb. 20 – 21). Aus dem Nymphäum wurde mit der Zeit ein Hagiasma, also ein Ort heilspendenden Wassers, das in diesem Fall mit dem hl. Demetrios in Verbindung stand. Wie ging man dabei vor? Bei der Freilegung des Bereichs unter der Hauptapsis stieß man auf ein halbkreisförmiges Ziborium, das sich vor einer Nischenwand befand (Abb. 17 –18, 22). Diese Disposition ist das Ergebnis mehrerer Bau- und Ausstattungsphasen, in denen sich eine Intensivierung des Demetrioskults spiegelt.51 In einer ersten Phase befand sich vor der Nischenwand des Nymphäums eine durchgehende hüfthohe Abschrankung.52 Diese diente als Brüstung eines durchgehenden Brunnenbeckens, wie es auch aus anderen Orten in ähnlicher Form bekannt ist (Abb. 23a).53 Diese erste Einfassung, von der sich keine Reste erhalten haben, wurde später, als die Kirche errichtet wurde, durch eine neue Einfassung ersetzt, da erst jetzt die breiten Fundamentpfeiler der Apsis existierten, gegen welche die Abschrankung des Beckens gemauert wurde (Abb. 23b).54 Ob der von der Straße aus zugängliche Brunnen bereits zu dieser Zeit als heilspendende Quelle angesehen wurde, ist nicht bekannt.55 Als Hagiasma scheint der Bereich erst ab dem Moment gedient zu haben, als das markante halbkreisförmige Ziborium als architektonische Auszeichnung eines verehrten Orts hinzugefügt wurde (Abb. 24 – 25). Bei dieser Gelegenheit wurde der gerade profilierte Sockel des Beckens durch einen nachträglich eingeschobenen runden Abschnitt ergänzt und die gerade Abschrankung etwas nach hinten versetzt, wodurch das Wasserbecken etwas schmäler wurde (Abb. 22).56 Das Ziborium scheint eigens für diesen Ort gefertigt worden zu sein, jedoch unter Verwendung von

Spolien. Es besteht aus einem annähernd gleichförmigen Satz von sieben Säulen mit nicht zugehörigen spätantiken korinthischen Kapitellen (Abb. 26a–b). Diese tragen sechs Bogenplatten, die erst später und eigens für diesen Ort geschaffen wurden. Der ebenso einfache wie unkanonische Dekor von Akanthusblättern und Blättern mit eingerollten Spitzen in den Zwickeln und einem Lorbeerblattfries dazwischen deutet auf eine Entstehung im 10. oder 11. Jh. hin. Zwischen die Säulen waren wiederverwendete Schrankenplatten eingespannt, die ein zentrales Becken bildeten, von dem Wasser in die beiden Nebenbecken floss (Abb. 25).57 In einer weiteren Phase scheint man eine Zuleitung besonderer Art angelegt zu haben. Sie führte von einem Behältnis am Absatz des nördlichen Treppenaufgangs zur Mittelnische der Hagiasmawand und verzweigte sich von dort auf die drei Becken. Nun konnte man im Erdgeschoss der Kirche Flüssigkeit in ein Becken gießen, die über Rohrleitungen zum unterirdischen Hagiasma floss und hier als geheiligte Substanz wieder austrat und von den Gläubigen abgeschöpft wurde.58 Auf diese Installationen wird noch zurückzukommen sein. Vermutlich hängt mit der kultischen Aufwertung dieses Bereichs auch der Einbau eines kleinen Kapellenraums südlich des Hagiasmas zusammen.59 Seine Apsis weist zwei Öffnungen auf, die an fenestellae confessionis erinnern (Abb. 27a– b). Ob er unmittelbar mit dem Kult des hl. Demetrios in Verbindung steht, ist unklar.60 In jedem Fall belegt diese Installation, dass in der Krypta eigene Gottesdienste stattfinden konnten, dass die in den unterirdischen Räumlichkeiten Versammelten über die Öffnung in der Apsis der Kapelle an den liturgischen Vorgängen partizipieren konnten. Der Befund macht deutlich, dass auch in diesem Bereich, der erst nach der Errichtung der Demetriosbasilika zu einer gewölbten Krypta wurde, kein Heiligengrab existierte. Im 6.  Jh. befand sich hier zunächst eine Brunnenanlage, die sich erst nach und nach zu einem Hagiasma entwickeln sollte. Doch bewies diese Anlage auf ihre Art die Anwesenheit des Heiligen, wie Beat Brenk zu Recht hervorhob: »Die Rhetorik dieser eindrucksvollen Krypta bestand darin, den Aufenthaltsort des hl. Demetrios in einer Thermenanlage

20 (Nächste Seite oben) Man konnte die Räume unter der Apsis von Hagios

21 (Nächste Seite unten) Die durch den Einzug von Gewölben entstandene Ostkrypta bot zahlreichen Besuchern und Pilgern Platz. Mit der Zeit stieg die kultische Bedeutung dieses Bereich, wandelte sich das alte Nymphäum in ein Hagiasma, von dem man sich heiltätiges Wasser versprach.

Demetrios direkt von der Straße aus betreten. Bereits beim Betreten der Anlage fiel der Blick auf das Hagiasma mit dem Ziborium.

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22  Plan des Nymphäums / Hagias-

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mas in der Ostkrypta. Der Ausgräber Georgios Soteriou fand 1918 einen komplizierten Befund vor, der auf mehrere Bauphasen hinweist. So wurde das halbkreisförmige Ziborium erst nachträglich eingebaut. Vermutlich entwickelte sich im Lauf der Zeit aus einem profanen Nymphäum ein verehrtes Hagiasma.

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23a – b  Die beiden Ausstattungsund Bauphasen bevor das halbkreisförmige Ziborium des Hagiasmas eingebaut wurde. Ursprünglich handelte es sich um eine Nischenwand mit einem vorgelagerten Becken, dass vermutlich zu einem Profanbau gehörte (a). Mit dem Bau der Kirche verengte sich durch die Errichtung der mächtigen Stützpfeiler der Zugang. Zugleich wurde der zunächst offene Bereich überwölbt (b).

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24  Das halbkreisförmige Ziborium wurde erst

nachträglich in die Brunnenwand eingepasst, wie die Nahtstellen im Stylobat zeigen. Vermutlich handelte es sich um wiederverwendete Werkstücke aus verschiedenen Zeiten, die hier neu zusammengesetzt wurden.

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25  Das Becken innerhalb des Ziboriums war von den seitlichen Becken getrennt. Durch einen Überlauf konnte Wasser vom Mittelbecken in die Seitenbecken fließen.

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26  Die mit feingezahntem Akanthusdekor verse-

henen Kapitelle des Hagiasmas datieren spätantik und damit aus einer anderen Zeit als die ornamentierten Bogenplatten, die vermutlich dem 11. Jh. zugewiesen werden können.

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Die Räume im Nordwesten der Kirche

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27a – b  Im südlichen Bereich der Krypta wurde vermutlich nachträglich eine Kapelle eingebaut, deren Apsis über zwei Öffnungen, darunter ein großes vergittertes Fenster verfügt. So konnten auch die außerhalb der Kapelle befind­ lichen Besucher der Krypta an den kultischen Vorgängen teilhaben.

in Thessaloniki zu beweisen«.61 Die unterirdische Lage, das heilsame Wasser, das aus dem Bereich unter der Kirche hervordrang, all das mochte den Besucher davon überzeugt haben, dass Demetrios tatsächlich im Keller eines Bads seinen Tod gefunden hatte und die Kirche über dieser Stelle errichtet worden war. Abermals ließ sich das eigentliche Grab des Titelheiligen nicht auffinden. Befand es sich etwa dort, wo noch heute eine Art Kenotaph des Heiligen verehrt wird, in einem Annexraum im Nordwesten der Kirche?

Die Räume im Nordwesten der Kirche Heute übersehen die meisten Besucher der Kirche die beiden Räume, die vom Westende des inneren nördlichen Seitenschiffs aus zu betreten sind: ein überwölbter halbkreisförmiger Raum und, nördlich an diesen anschließend, ein rechteckiger Raum, in dem ein Schrein vor einer Mosaikni-

28  Im hinteren der beiden Räume im Nordwesten der Kirche befindet sich ein grabähnlicher Schrein, der nach 1917 erneuert wurde und ein Mosaik erhielt,

das den Titelheiligen im Orantengestus zeigt.

sche mit dem Bild des hl. Demetrios zu sehen ist (Abb. 28). Beide Räume gehören zum ältesten Bestand des Baukomplexes und entstanden als Teil der Thermenanlage, deren Zentralbereich sich nordwestlich der Kirche befunden hat.62 Offenbar hat man diese Räume ganz bewusst in die Basilika miteinbezogen, um architektonisch einen Hinweis auf den Ort der Gefangennahme und des Martyriums des Titelheiligen zu bewahren. Der halbkreisförmige Raum wurde nach Osten vermauert, um ihn vom äußeren nördlichen Seitenschiff abzuschließen; zugleich wurden zwei Durchgänge eingebrochen, damit eine Kommunikation mit dem inneren nördlichen Seitenschiff und dem nördlich anschließenden Rechteckraum hergestellt werden konnte. In diesem wurde vor einer nachträglich geschlossenen Türöffnung der heute sichtbare Demetriosschrein errichtet.63 Eine alte Aufnahme und eine Zeichnung aus der Zeit vor dem Brand des Jahres 1917 zeigen, dass sich hier bereits zuvor eine bescheidenere Verehrungsstätte befunden hat: ein aus Spolienplatten gefertigter Schrein vor einer gerahm-

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29  Walter S. George dokumentierte genau die beiden Räume, in deren hinterem sich ein grabähnlicher Schrein des hl. Demetrios befand: Der Längsschnitt durch beide Räume (links oben) zeigt die Nische mit dem Kenotaph des Heiligen, der Querschnitt durch den Vorraum (rechts oben) gibt die seltsame Mauertechnik der Wölbung wieder, während der Grundriss (links unten) nochmals die Verbindung der beiden Räume veranschaulicht.

Wo sich Himmel und Erde begegnen: Hagios Demetrios als Verehrungsort

im Weg stand.68 Auch die Räume im Nordwesten der Basilika bargen zunächst nicht das Grab des Titelheiligen. Wo kann es sich dann befunden haben?

Das sechseckige Ziborium ten Nische (Abb. 29 und 30).64 Dieser Befund hat bereits früh zur Vermutung geführt, hierbei könnte es sich um jene Räume handeln, in denen der hl. Demetrios einst gefangen gehalten, hingerichtet und bestattet wurde.65 Zwar ist nicht unwahrscheinlich, dass man die alten Gewölbe bereits früh als gebauten ›Beleg‹ für die Richtigkeit der Heiligenlegende von der Gefangennahme und der Hinrichtung in einem Bad ansah, doch gibt es keine gesicherten Hinweise auf eine konkrete Verehrungsstätte an dieser Stelle vor osmanischer Zeit.66 Im Gegenteil, Quellen aus der Zeit vor der Eroberung Thessalonikis belegen, dass sich der Grabschrein des Titelheiligen im Mittelschiff befunden haben muss.67 Vermutlich wurde der bescheidene Schrein, den man noch im frühen zwanzigsten Jahrhundert sah, erst angelegt, als man die Kirche 1493 in eine Moschee umwandelte – offenbar um einen älteren Verehrungsort in zentraler Lage im Kircheninneren zu ersetzen, der einer Nutzung als islamisches Gebetshaus

Die Ausgrabungen unmittelbar nach der Brandkatastrophe des Jahres 1917 brachten eine große Überraschung hervor. Man fand unter dem osmanischen Bodenbelag des Hauptschiffs eine sechseckige Struktur (Abb. 31– 32). Dabei konnte es sich nur um Reste des Ziboriums des hl. Demetrios handeln, das in den Wunderberichten des frühen 7. Jh. mehrfach genannt wird.69 Leider ist dieser Befund nur sehr unzureichend dokumentiert, sodass man sich auf alte Photographien und die Beschreibung in der Publikation der Soterious stützen muss. Das hexagonale Fundament befindet sich im nördlichen Bereich des Mittelschiffs, auf der Höhe der von zwei Pfeilern eingefassten Viersäulengruppe aus verde antico. Die Ausrichtung des Hexagons entspricht nicht genau der Mittelschiffachse, sondern ist leicht im Uhrzeigersinn verdreht (Kap. IV Abb. 25). Das Fundament besteht aus sechs Basisblöcken, die auf Gehrung aneinandergesetzt und an der

Das sechseckige Ziborium

Oberseite verklammert wurden.70 Die so gebildete Basis ragt 0,19 m über den anzunehmenden Boden der fünfschiffigen Basilika empor. Die Oberfläche der sechs länglichen Werkblöcke weist einige Auffälligkeiten auf:71 Zum einen fehlen Einarbeitungen zur Verdübelung von Säulen oder Pfeilern,72 zum anderen schließen alle Basisblöcke bis auf den nördlichen nach innen mit einem leicht erhabenen, ca. 10 cm breiten Streifen mit rauer Oberseite ab.73 Am ehesten ließe sich dieser Befund erklären, indem man fünf etwas über 10 cm starke Brüstungsplatten mit einer Abstufung an der Unterseite annimmt, die, ebenfalls auf Gehrung aneinander anschließend, den hexagonalen Bereich bis auf den Nordzugang einfassten.74 Der nördliche Basisblock zeigt deutliche Spuren der Abnutzung, die auf einen Zugang an dieser Seite schließen lassen.75 Ein sehr merkwürdiger Befund ist eine rechteckige Eintiefung innerhalb des Sechsecks, die man auf der Aufnahme des Jahres 1918 gut erkennen kann (Abb. 31). Diese verläuft in West-Ost-Richtung und berührt fast die Ränder der hexagonalen Basis.76 Wahrscheinlich handelt es sich dabei um das Werk der ersten Ausgräber, die unter dem Sechseckfundament nach der Grablege des hl. Demetrios suchten. Neben der Eintiefung sind Reste eines Bodenbelags aus wiederverwendeten ornamentierten Platten zu erkennen, die offensichtlich eine rechteckige Struktur – an der Stelle der Eintiefung  – berücksichtigen. Vermutlich darf man einen erhabenen rechteckigen Schrein rekonstruieren, der sich im inneren des Ziboriums erhob (Abb. 33).77 Es war genau jene Vermutung, hier habe sich ein Grabschrein des Heiligen befunden, welche die Ausgräber um Georgios Soteriou dazu verleitete, an dieser Stelle tiefer zu graben.78 Beschreibungen des Ziboriums Soweit die wenigen archäologischen Hinweise auf die Struktur. Weitere Information finden sich im ersten Buch der Miracula Sancti Demetrii.79 Mehrere Wunderberichte beschreiben die Brandzerstörung des Ziboriums am zweiten Tag des Fests des hl. Demetrios, unter dem Episkopat des Eusebios (Text  2).80 Die Berichte geben außerdem interessante Details zum Aussehen des Schreins. Sie sprechen von großen Mengen von Silber, die beim Brand des Ziboriums schmolzen und sich über den Kirchenboden verteilten. An einer Stelle ist zudem von einem Leuchter die Rede, der von der Decke der Kirche direkt über dem Ziborium hing.81 Im Bericht von der Heilung des Präfekten Marianos wird ein »sogenann-

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30  Diese Aufnahme des älteren Demetriosschreins stammt vermutlich aus dem Jahre 1908. Sie zeigt eine sehr bescheidene Konstruktion, die vermutlich erst in

osmanischer Zeit entstand.

tes Ziborium aus Silber, in dem sich, wie man sagt, unter der Erde die heiligen Reliquien befinden”, erwähnt.82 Nach seiner Heilung habe sich Marianos dem Ziborium genähert, wobei »er seinen Blick auf eine dort befindliche Liege aus Silber richtete, auf der das göttliche Antlitz dargestellt ist«.83 Der Begriff ἐντετύπωται lässt offen, wie man sich diese ­Darstellung vorstellen muss: Fasst man die Wortbedeutung enger, dann handelte es sich möglicherweise um ein »eingeprägtes« Bild, also um eine Darstellung in getriebenem Silberrelief auf der Liege.84 Fasst man den Begriff ἐντετύπωται weiter, dann befand sich auf der Silberliege eine Ikone mit einer Heiligendarstellung. Dafür spricht eine weitere Passage in den Miracula Sancti Demetrii: Ein hoher Funktionär träumte, wie er vor das Ziborium trat, sich dessen Türe öffnete und ihm der Heilige so erschien »wie er auf ältesten Bildern dargestellt ist«.85 Offenbar gab es zum Zeitpunkt der Abfassung des Wunderberichts, im frühen 7. Jh., eine Darstellungsform, die als altertümlich empfunden wurde, die aber genau der Erscheinung des Heiligen in seinem

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Das sechseckige Ziborium

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31  Fundamente des sechseckigen Ziboriums zum Zeitpunkt der Ausgrabung im Jahre 1918. Auf dem Foto sind die Einlassungen für den Aufbau des Ziboriums

zu erkennen, sowie eine rechteckige Vertiefung im Zentrum, die vermutlich auf die Ausgräber zurückgeht. Diese waren offenbar auf der Suche nach dem Grab des hl. Demetrios. 32  Diese Aufnahme von Margaret Hasluck aus dem Jahr 1922 zeigt die

e­ rgrabenen Fundamente des Ziboriums. Zu diesem Zeitpunkt hatte man bereits einen Großteil des Schutts aus der schwer beschädigten Kirche entfernt. 33  Die Ausgrabungsergebnisse deuten auf einen erhabenen Schrein im

Zentrum des Ziboriums hin, wie ihn auch diese Rekonstruktion zeigt, die in Details allerdings sehr hypothetisch ist.

Ziborium entsprach.86 Vermutlich handelt es sich dabei um eine Darstellung des thronenden Demetrios auf einem lehnenlosen Thron, wie sie auch in den verlorenen Mosaiken des Nordschiffs begegnete (Abb. 35). Weitere Informationen über das Aussehen sind dem siebten Wunderbericht zu entnehmen: Ein Sakristan, der beschuldigt wird, Kerzen aus dem Ziborium gestohlen zu haben, wird von Demetrios bestraft. Er fällt »vor den silbernen Türen des sogenannten Ziboriums zu Boden, um kleinere Kerzen an Stelle der großen zu entzünden, als der Heilige mit mächtiger Stimme, die von seiner silbernen Liege kam, rief: ›Fängst du damit schon wieder an?‹«87

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2. Das Silberziborium brennt ab und wird erneuert: Wir haben von diesem wahrheitsliebenden Priester (= Eusebios) folgenden Bericht über die große Vorsehung und Fürsorge des Märtyrers für die Stadt gehört, den ich im Folgenden mit Gottes Hilfe versuchen werde euch zu erklären. Es ereignete sich, so sagte er, dass das in seiner Kirche befindliche Ziborium, welches zur Gänze vor Silber glänzte, des Nachts abbrannte, das ganze Silber schmolz und ein Teil davon verlorenging. Daraufhin bemühte sich der schon erwähnte heiligste Erzbischof das genannte heilige Ziborium zu erneuern, aber er fand nicht das gesamte Gewicht des geschmolzenen Silbers wieder, um ein solches Werk zu vollenden. Und so beschloss er, den silbernen Thron, welcher sich in derselben ehrwürdigen Kirche befand, einzuschmelzen, da er die Erneuerung des Ziboriums für wichtiger erachtete: Denn es enthält angeblich das geheiligte Grab des Märtyrers und ist wahrhaftig die größte Zierde der gesamten Kirche. Und nachdem er dies bei sich beschlossen und keinen in seinen Plan eingeweiht hatte, da es keinen anderen Weg gab, das fehlende Silber zu ergänzen, da erschien unser Helfer und Großmärtyrer Christi Demetrios einem Mann von vorbildlicher Lebensführung, der die Würde eines Priesters hatte und Demetrios hieß, im Traum und sprach: »Geh und sprich zum Bischof der Stadt: ›wage es nicht, den Thron meines Hauses einzuschmelzen!‹« Nachdem der Priester dies getan hatte, war der Vorsteher erstaunt darüber, dass seine Gedanken offensichtlich geworden waren. Denn wie bereits gesagt: Kein anderer wusste, was dieser im Verborgenen beabsichtigt hatte. Daraufhin schöpfte er den Verdacht, der Priester habe all dies nur vorgegeben – denn er war auch der Verwalter der ehrwürdigen Kirche –, und er entließ ihn mit mahnenden Worten: »Was hast du gehört? Überlass das mir, mein Bruder!« Einige Tage später, nachdem er oftmals Für und Wider abgewogen hatte und zu keinem Schluss gekommen war, wie die Aufgabe zu bewältigen sei, da beschloss er abermals aus dem Thron (das Ziborium) anzufertigen. Und als er befahl, einen Silberschmied herbeizuholen, um ihn zu beauftragen, den Thron fortzunehmen, da kam plötzlich jemand dazwischen und sprach: »Der Priester Demetrios wünscht zu Eurer Heiligkeit einzutreten.« Als dieser eingetreten war, sprach er zu jenem: »Unser Beschützer, der Märtyrer Demetrios, der mir Sünder bereits zuvor erschienen ist, ist mir erneut im Traum begegnet, diesmal mit einem

zornigen Gesicht, und trug mir auf, Eurer Seligkeit folgende Worte mitzuteilen: ›Bei meiner Liebe, betrübe mich nicht durch die Fortnahme des Throns!‹« Als er dies gehört hatte, ärgerte er sich über den Priester, da er glaubte, diese erfinde das bloß, und er schickte ihn streng weg, wobei er seine Absichten mit folgenden Worten deutlich zum Ausdruck brachte: »Und woher, denkst du, soll die fehlende Menge Silber kommen? Wenn du eine andere Möglichkeit siehst, dann sag es! Wenn du keine siehst, dann kritisiere uns nicht so frech und spiel dich nicht als Philosoph in Angelegenheiten anderer auf!« Verwirrt ging der Mann weg, da ihm der Heilige nicht gesagt hatte, was zu tun sei, außer zu verhindern, dass der Thron fortgenommen werde. Und so wurde der Priester als unglaubwürdiger Berater angesehen. Denn er sagte, der Heilige befehle, dass der Thron von seinem Platz nicht entfernt werden solle, konnte aber nicht sagen, wie das Ziborium vervollständigt werden solle. Ungefähr achtzehn Monate vergingen, ohne dass etwas geschah, und da sich kein anderer Weg zeigte, das Fehlende zu ergänzen, da fasste der Erzbischof den Entschluss, seinen Plan in die Tat umzusetzen, um nicht länger mitanzusehen, dass die ganze Kirche entstellt war, da in ihrer Mitte die Zierde fehlte. Daraufhin reichte infolge Gottes Wohlgefallen der ruhmreiche Märtyrer seine freigebige Hand und erschien ein drittes Mal dem Priester, wobei er sprach: »Geh fort und teile dem Bischof mit: ›Vernachlässige nichts! Ich kümmere mich mehr als du um meine Kirche und meine Stadt! Sorge dich nicht!‹« Nachdem der Priester dies gehört hatte, begab er sich schnellen Schritts und dankbar zum Erzbischof und teilte ihm die freudige Botschaft mit, er könne ohne Sorge sein. Daraufhin vergoss der Erzbischof Freudentränen und war erstaunt über solches Mitgefühl und solche Vorsehung des Heiligen. Und er vertraute aus ganzem Herzen auf seinem Versprechen, das er (d. h. der Heilige) nicht früher deutlich gegeben hatte, um unsere Seelen, wie ich meine, durch größeren Sorgen zu prüfen. Nachdem der Priester fortgegangen war, sprach er nach einer Weile zu jenen, die Zeugen der Mitteilung des Priesters waren: »Warten wir noch eine Weile, meine Brüder, da das Versprechen des Märtyrers nicht trügerisch sein wird!« Er hatte seine Worte noch nicht fertig gesprochen, da sagte jemand von seinen Leuten: »Der Herr Menas ist unten, er will deine Fußspuren küssen und sagt, dass er

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privat mit dir sprechen will. Deswegen ist er zu dieser Uhrzeit gekommen« (es war die fünfte Stunde des Tages). Er kam herauf und sagte zum Erzbischof: »Da ich dem ruhmreichen Märtyrer Demetrios viel schuldig bin, da er mich öfters aus Gefahren und sogar vom Tod errettet hat, wollte ich mehrmals einen Teil meines von Gott gegebenen Vermögens seiner heiligen Kirche darbringen, habe aber in meiner Seele gefühlt, als ob jemand sagte: ›Warte, noch ist nicht die Zeit‹. Heute aber, seliger Vater, vom Morgen bis jetzt, drängen mich meine Gedanken, indem sie sagen: ›Bring dem Märtyrer dar, was du mehrmals versprochen hast, da jetzt die richtige Zeit ist, und dein Geschenk soll nicht in Gold, sondern in Silber sein‹. Ich bitte also deine Heiligkeit, vertreibe dein Kind nicht, sondern nimm meine Gabe wie die zwei Oboloi der Witwe entgegen und misch es ins (Silber des) Ziborium(s) unseres Stadtherrn. Denn ich bin überzeugt, dass genau das dem Märtyrer am besten dienen wird«. Dann rief er seine Diener und brachte 75 Pfund Silber. Dabei sprach er: »Wenn du dieses Silber nicht für diesen Zweck verwendest, so sollst du dafür vor dem Herrn Rechenschaft ablegen.« Der Erzbischof erkannte das Wal-

ten Gottes und die rasche Vorsehung des Heiligen und antwortete: »Mein Kind, der Herr segne dich; ich werde es so machen, wie du gebeten hast.« Und er schickte ihn los. Danach aß der Erzbischof ein wenig, da es dafür Zeit war, und als er kurz wartete, bevor er sich zurückzog, kam jemand mit der Nachricht, Johannes, einer der alten Rechtsanwälte des ruhmreichen Thessaloniki, sei gekommen und habe mit den gleichen Worten wie Menas 40 Pfund Silber dem heiligen Ziborium dargebracht. Auch andere brachten von Gott ermuntert heimlich etwas dar, ohne dass jemand außer dem Erzbischof davon wusste. Von all diesen Beiträgen wurde dieses allerschönste Werk, das wir heute sehen, sogleich aufgebaut, so dass die vielseitige Sorge des Heiligen und seine gottgefällige Vorsehung in der ganzen Stadt bekannt wurden. Im Namen Jesu Christi, unseres Herrn, dem jeder Ruhm, Ehre und Anbetung zusteht, zusammen mit dem unsterblichen Vater und dem allerheiligen und lebenspendenden Geist, jetzt und immerdar und in aller Ewigkeit. Amen.

Schließlich wird das Ziborium auch im zehnten Wunderbericht ausführlicher erwähnt:88 Ein Pilger träumt, wie er vor das Ziborium tritt und dort im Zentrum die Liege sieht. Der Heilige selbst sitzt aber in diesem Traum auf einem mit Edelsteinen besetzten goldenen Thron am Kopfende der Liege. Am anderen Ende der Liege befindet sich ein silberner Thron, der von einer vornehmen Dame eingenommen wird, die zu Demetrios blickt. Wie wörtlich diese Beschreibung zu nehmen ist, bleibt unklar: Befanden sich neben der Liege noch ein – vermutlich leerer – Thron im Ziborium? Ein solcher hätte besonders nachdrücklich die Präsenz des Heiligen unterstrichen.89

S. Georges gut bekannt ist, zeigt den Heiligen vor einem polygonalen Ziborium mit spitz zulaufendem Dach mit knaufähnlichem Aufsatz; eine Türe ist geöffnet. Die zweite – heute noch erhaltene  – Darstellung des Ziboriums zeigt Demetrios im Gestus eines Orans vor einer ziboriumartigen Struktur mit spitz zulaufendem Dach und spiralförmig kannelierten Säulen. Erkennbar sind ferner Bogenöffnungen unter einem umlaufenden Gesims und ein figürlicher Dekor der Außenwände. Die Unterschiede zwischen den beiden Darstellungen bedeuten nicht, dass hier zwei verschiedene Ziborien bzw. Ausstattungsphasen wiedergegeben wurden. Sie sind vielmehr einer gewissen Freiheit der Mosaizisten geschuldet, die hier keine fotografischen Abbildungen lieferten, sondern allgemeiner auf das Ziborium Bezug nahmen, ohne jedes Detail getreu zu reproduzieren. Immerhin scheint deutlich, dass es sich um eine abgeschlossene, bestenfalls im oberen Bereich über Bogen geöffnete Anlage handelte, die über eine Tür betreten werden konnte.

Bildliche Darstellungen  Das Ziborium war so wichtig als zeichenhafter Verweis auf die Behausung des Heiligen, dass es immer wieder auf Darstellungen des Heiligen begegnet. Eine dieser Darstellungen befand sich auf den heute verlorenen Mosaiken des nördlichen Seitenschiffs, die andere ist noch über dem westlichen Zugang zum südlichen Seitenschiff zu sehen (Abb. 34 und 35).90 Die verlorene Darstellung, die aus alten Aufnahmen und den Aquarellen Walter

(Miracula Sancti Demetrii I.6 § 55 – 61, p. 931 – 9528 Lemerle. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)

Zerstörungen und Wiederherstellungen In den Miracula Sancti Demetrii ist mehrfach von der Zerstörung des

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34  Mosaik an der Westwand des inneren südlichen Seitenschiffs: Es zeigt den

stehenden Titelheiligen im Gestus eines Oranten vor seinem Ziborium. Von links und rechts nähern sich Verehrende unterschiedlichen Alters.

Ziboriums die Rede. Wie bereits erwähnt, wurde es durch einen lokalen Brand unter Erzbischof Eusebios zerstört; das geschmolzene Silber ergoss sich über den Fußboden der Kirche.91 Nachdem der hl. Demetrios Eusebios immer wieder davon abgehalten hatte, den silbernen Bischofsthron einzuschmelzen, um das Ziborium reparieren zu können, fanden sich schließlich reiche Stifter namens Johannes und Menas, die genügend Silber zur Verfügung stellten (Text 2). Vermutlich handelt es sich hierbei um dieselbe Begebenheit, die im zwölften Wunderbericht referiert wird.92 Das Silberziborium habe Feuer gefangen, das geschmolzene Silber sei über den Fußboden geflossen, der Brand habe die Kirche bedroht.93 Im Folgenden ist jedoch nicht mehr von der Wiederherstellung des Ziboriums die Rede, sondern davon, dass das Feuer die Einwohner vor einem unerwarteten Angriff der Slawen warnte. Schließlich ereignete sich um 620 – wie bereits erwähnt wurde – ein weiterer Brand, der die Kirche in Mitleidenschaft zog (Text 3).94 Dabei könnte abermals das Ziborium zerstört worden sein. Man muss also

Wo sich Himmel und Erde begegnen: Hagios Demetrios als Verehrungsort

Wo liegt der heilige Demetrios?

35  Detail der Aquarellserie, die Walter S. George 1909 angefertigt hatte: Unter den 1917 zerstörten Mosaiken des inneren nördlichen Seitenschiffs befand sich auch eine Darstellung des thronenden Heiligen vor seinem geöffneten Ziborium, der ein Kind, das ihm von einer Mutter dargereicht wird, Gott anempfiehlt.

36  Sogenannter ›campitello‹ in San Marco in Venedig: Das Ziborium, in dem heute ein Tafelbild mit der Kreuzigung aufbewahrt wird, wurde im späten 13. Jh.

von verschiedenen Ziborien ausgehen, wobei es sich bei den ersten beiden Konstruktionen mit Sicherheit um einen Holzaufbau gehandelt hat, der mit Silber verkleidet war. Erst später wurde dieser durch ein dauerhaftes Marmorziborium ersetzt; auf die weitere Geschichte des Ziboriums wird noch zurückzukommen sein.95

bericht heißt es, Erzbischof Eusebios habe das durch Feuer beschädigte Ziborium repariert, da es die schönste Zierde der Basilika sei und »weil man sagt, es enthalte das geheiligte Grab (μνημεῖον) des Märtyrers«.97 Im zehnten Wunderbericht wird auf die Frage, warum sich das Ziborium an dieser Stelle befände, geantwortet: »weil nach der Überlieferung unserer Väter der ehrwürdige Märtyrer Demetrios hier liegt«.98 Ziborien begegnen immer wieder in der realen Architektur, wie auch in bildlichen Darstellungen.99 Es handelt sich um ein sehr allgemeines architektonisches Element, das im weitesten Sinne bedeutende Gegenstände oder verehrte Personen wie Orte auszeichnet und überhöht. Der Hauptaltar einer Kirche befindet sich meist unter einem von vier Säulen getragenen Ziborium, der Thron eines Herrschers wird seit der Spätantike gerne von einem Baldachin überfangen. Bis in unsere heutige Zeit bildet das Ziborium eine Architektur in der Architektur, einen eigens ausgezeichneten Bereich innerhalb eines Raums, ein ideelles oder sakrales Zentrum,

Wo liegt der heilige Demetrios? Die Ausgräber, die nach 1917 einen Suchschnitt im Ziborium anlegten, hatten gute Gründe für diese Maßnahme. Immer wieder wird in den Quellen angedeutet, das Grab des Heiligen habe sich unter dem Ziborium befunden, nie jedoch wird es explizit ausgesprochen.96 Dem ersten Wunderbericht der Miracula Sancti Demetrii zufolge sei das Ziborium über dem Grab des Heiligen errichtet worden, doch wird die Aussage gleich durch den Einschub φασίν τινες – »wie einige behaupten« – relativiert. Im vierten Wunder-

nach byzantinischem Vorbild errichtet, um ein heute noch verehrtes Christusbild aufzunehmen.

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37  Das hl. Grab Christi als Ziborium mit einem pyramidenförmigen Dach unter der Darstellung der Kreuzigung. Darstellungen dieser Art finden sich auf Pilgerampullen des 6. und 7. Jhs., die aus Palästina stammen.

das in der Regel auch abgeschrankt und damit nur eingeschränkt zugänglich, vor allem aber auch nur eingeschränkt einsehbar ist. Als solch eigenständiger Bereich kann das Ziborium auch eine eigenwillige Lage innerhalb des Raumganzen einnehmen. Das »il campitello« genannte Ziborium in San Marco, das sich an der Nordseite des Hauptschiffs der Kirche befindet, mag hiervon noch heute eine Vorstellung geben (Abb. 36): Dieses Ziborium wurde gegen Ende des 13. Jh. nach byzantinischem Vorbild und unter teilweiser Verwendung von Konstantinopler Spolien, die während der lateinischen Herrschaft demontiert und nach Venedig überführt worden waren, von venezianischen Handwerkern errichtet.100 Seit spätestens 1290 verwahrte man hier eine Kreuzreliquie, die 1205, also kurz nach der Eroberung Kon­stantinopels, in die Lagunenstadt gekommen war, sowie eine byzantinische Ikone, die man bereits 1025 erworben hatte. Noch bevor man die Reliquie und die Ikone sah, war jedem Besucher der Kirche klar, dass hier etwas Besonderes aufbewahrt wurde.

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Palästinensische Pilgerampullen aus dem 6. und 7. Jh., mit denen heiliges Öl transportiert wurde, zeigen oftmals ein solches Ziborium, eine mit Gittern abgeschlossene Anlage mit spitz zulaufendem Dach, die den Schrein über dem Grab Christi signalisierte (Abb. 37).101 Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, ob diese Ziboriumdarstellungen eine reale Architektur wiedergeben – aus Quellen ist bekannt, dass über dem mutmaßlichen Grab Christi in der G ­ rabeskirche zu Jerusalem eine ziboriumartige Struktur errichtet wurde.102 Entscheidend ist vielmehr, dass reale Architektur und bildliche Darstellungen einander entsprechen, dass in beiden Medien mit identischen semantischen Elementen gearbeitet wurde.

Wo sich Himmel und Erde begegnen: Hagios Demetrios als Verehrungsort

Immer wieder findet man in der byzantinischen Buchmalerei Darstellungen von verehrten Ikonen unter Ziborien, denen sich Verehrende demütig nähern. Oft gewinnt man dabei den Eindruck, als würde eine reale Person, gleichsam ein Herrscher unter einem Thronbaldachin, Untertanen empfangen (Abb. 38).103 Das Ziborium kann auch dazu beitragen, die Grenze zwischen bildlicher und realer Präsenz 38  Illustration in einem Psalter aus dem 13. Jh.: Zu sehen sind Verehrende vor einer Ikone der Muttergottes, die in einem Ziborium mit Gitterabschrankung verwahrt wird (Berlin, Staatliche Museen (Kupferstichkabinett), Ms. 78 A9 (Hamilton-Psalter 119 ), fol. 39 v).

3.  I ndem das Silberziborium durch Feuer zerstört wird, warnt der hl. Demetrios die Thessaloniker vor einem Angriff der Slawen: Das ganze Volk feierte das Fest des siegreichen und stadtliebenden Märtyrers Demetrios wie gewohnt am 26. Oktober. Während die Freude aller groß war, da Gott das Gebet seiner Diener erfüllt und ihnen vergönnt hatte, das Fest des Märtyrers in umfassendem Frieden zu feiern, und während sich von keiner Seite die Stimme der Barbaren hören ließ, da ergriff am zweiten Tag des Fests, mitten in der Nacht, ein Feuer das heilige silberne Ziborium des Märtyrers, über das wir schon oft gesprochen haben. Das war jedoch Absicht des großen Märtyrers, wie mich der Ausgang der Sache überzeugt hat. Diese Neuigkeit verbreitete sich rasch in der gesamten Stadt, und alle eilten schnell herbei, vor allem junge Menschen, die kräftiger sind und leichter aus ihrem Schlaf erwachen. Und als sich viele Leute versammelt hatten, so dass die Kirche voll war, sahen sie, dass das Silber durch das Feuer geschmolzen war, sich wie Wasser über den Boden ausgebreitet hatte, und schon zahlreiche Gefäße den Fluss umgaben. Durch dies und die Vorsehung Gottes war die Brandgefahr gebannt worden. Doch alle waren in Trauer und ratlos nicht nur wegen der Brandzerstörung des Ziboriums, sondern aus Furcht, die Flammen würden die Decke der Kirche erreichen. So waren auch die Herzen der Zuschauer geschmolzen. Doch schon bald ereignete sich Folgendes, und die Furcht, welche die Menschen befallen hatte, wurde, wie geschrieben steht, Wirklichkeit: Das Feuer kletterte wie eine Pflanze die Eisenkette empor, die über der Spitze des Ziboriums hing und einen Leuchter mit silber-

nen Lampen hielt, erreichte die Decke und schlug gegen die Deckenverkleidung. Schließlich gelang es mit Gottes Hilfe einigen Personen, die mit zahlreichen Wasserbehältern geschickt über die Balken kletterten, das Feuer zu besiegen. Nach all dem konnte sich die Menschenmenge nicht entschließen zu gehen, sondern blieb in der Kirche. Und da es niemandem gelang, die Menschenmenge mit Verweis auf die fortgeschrittene Uhrzeit wegzuschicken, fürchteten die Kirchenverwalter, Unbekannte würden im Schutz der Massen und der Dunkelheit versuchen, geschmolzenes Silber oder aber sonst einen Teil des Silberschmucks zu entwenden. Daraufhin ersann ein ehrwürdiger Mann aus dem dakischen Büro des hochrangigen Präfekten des Illyricum einen Weg, die Menschenmenge dazu zu bewegen, sich ohne Bedauern aus der Kirche zu entfernen, indem er vorgab, es ereigne sich ein plötzlicher Barbareneinfall. Inspiriert von dem Märtyrer begann er zu rufen: »Mitbürger, vor den Mauern erschienen plötzlich Barbaren, lauft, bewaffnet euch alle, um die Heimat zu retten!« Das rief er nicht im Ernst, sondern er hatte sich das ausgedacht, um die Menschenmenge aus der Kirche zu entfernen und die Tore zu schließen, damit das geschmolzene Silber in Ruhe aufgesammelt werden könne. Es geschah aber durch die Umsicht des ruhmreichen Märtyrers, damit die Stadt nicht mitten in der Nacht in eine Gefahr gerate, von der die Einwohner nichts wussten. (Miracula Sancti Demetrii I.12 § 102 –106 p. 1255 –12612 Lemerle. Übersetzung Elisabet Sotiroudi)

Wo liegt der heilige Demetrios?

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39  Grundriss der Kirche des hl. Kreuzes im georgischen Mzcheta (spätes 6. / frühes 7. Jh.): Die auf einem Felssporn hoch über Stadt Mzcheta gelegene Kirche umschließt ein Podest, auf dem sich einstmals ein freistehendes Kreuz befand. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die Plattform gegenüber dem Grundriss der Kirche leicht gedreht ist.

40  Podest mit Kreuz in nicht exakt zentraler Position in der Kirche des hl.

aufzuheben, kann als Würdezeichen die Grenzen zwischen Realem und Gedachten verschwimmen lassen. Auf diese Art und Weise, mit diesen inszenatorischen Kniffen entsteht heilige Präsenz: ein besonders hervorgehobener Bereich innerhalb eines größeren Raums, der Alter, Authentizität und Erhabenheit suggeriert; Bilder, die einen Heiligen zeigen; Lichter, die im Inneren brennen und so etwas wie eine übernatürliche Präsenz andeuten. Was liegt da näher als sich von der Vorstellung einfangen zu lassen, dies sei die Behausung eines Heiligen? So gelangten auch Forscher unserer Zeit zur Annahme, das Ziborium von Hagios Demetrios habe jenen Ort markiert, an dem sich der in den Passionsberichten erwähnte oikiskos befunden habe. Seine erratische Position und Ausrichtung seien Folge der Platzierung an der Stelle eines vormaligen Verehrungsorts.104 Das Ziborium wurde nicht in die Planimetrie des Baus einbezogen, sondern scheint sich geradezu von dem Bau absetzen und eine ältere Anlage aus einer

Zeit vor der Errichtung der fünfschiffigen Basilika darstellen zu wollen. Vermutlich handelte es sich bei dieser disachsialen Platzierung um ein bewusst eingesetztes gestalterisches Mittel, das dem Betrachter Alter und Authentizität signalisieren sollte.105 Die exzentrische Position suggeriert, die Verehrungsstätte sei bereits vor dem Bau der Kirche dagewesen, markiere also den Ort des Todes oder der Bestattung des hl. Demetrios. Immer wieder kann man dieses gestalterische Mittel in der spätantiken und frühmittelalterlichen Architektur beobachten: Die Kirche des hl. Kreuzes im georgischen Mzcheta, hoch auf einem Felsen über der Stadt gelegen, umschließt ein von der Kirchenachse leicht abweichend gelegenes Kultmal, das den Ort eines ehedem freistehenden Kreuzes markiert (Abb. 39 und 40).106 Die Kirche, ohnehin dramatisch nah an den Felsabgrund gerückt, hätte auch genau um dieses alte Kultmal errichtet werden können, doch wäre damit der Gesamtanlage des 6. Jh. ihre historische Dimension genommen worden. Erst durch das achsi-

Kreuzes im georgischen Mzcheta. Entweder geht die disachsiale Lage des Kreuzpodests auf einen älteren Verehrungsort zurück oder aber man deutete durch eine erratische Position Alter und Authentizität an.

Wo liegt der heilige Demetrios?

ale Voneinanderabsetzen der beiden Elemente wurden Alter und Authentizität evoziert. Hinzu kommt eine bewusste Präsentation des Thessaloniker Schreins durch die rahmende Architektur: Obwohl ohne Bezug zum Ziborium, so umfangen doch die vier Pfeiler der Hauptstützenwände das Ziborium gleich einem monumentalen Baldachin (Abb. 41). Sie verleihen dem mittleren Abschnitt des Hauptschiffs eine zentralisierende Tendenz, die in einem gewissen Widerspruch zur Längsausrichtung des Baus steht. Zudem wird durch die Wahl des Marmormaterials der Säulen die Bedeutung des Ziboriums unterstrichen.107 Denn während die Säulen im Westen und im Osten des Mittelschiffs aus prokonnesischem Marmor bestehen, wurde für die jeweils vier Säulen zwischen den Pfeilern der Arkadenkolonnade verde antico, also thessalischer Marmor verwendet. Die architektonischen Besonderheiten des Baus und die ungewöhnliche Verteilung wertvoller Materialien finden nun ihre Erklärung als Mittel zur Hervorhebung des Ziboriums. Auch kleine Ausstattungsdetails, die in der bisherigen Literatur kaum Beachtung fanden, lassen sich nun erklären: Im 1917 weitgehend zerstörten opus sectile-Dekor des Mittelschiffs waren immer wieder vereinzelte Miniaturmotive eingestreut.108 Die markantesten 41  Längsschnitt durch die Kirche Hagios Demetrios mit Rekonstruktion des Ziboriums. Deutlich wird die dezentrale Position des Ziboriums, das sich gleichwohl in dem von den vier massiven Pfeilern und acht Säulen aus verdeantico-Marmor gerahmten Mittelbereich der Kirche befindet.

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sind ein Dreifuß und ein Siegeskranz, die sich genau über der Mittelarkade der Viersäulengruppe der nördlichen Stützenwand befinden, also in unmittelbarer Nähe zum Ziborium (Abb. 42).109 Spontan scheinen die Handwerker, die mit der Marmorverkleidung des Baus betraut waren, ihrer Verehrung des Titelheiligen und der Bedeutung seines Ziboriums Nachdruck verliehen zu haben: durch ein verstecktes Motiv, das eigentlich aus dem antik-agonistischen Bereich stammt und hier die Sieghaftigkeit des Märtyrers Demetrios zum Ausdruck bringen sollte. Ähnlich verfuhren die Mosaizisten, welche die Laibungen der Arkaden zwischen den beiden nördlichen Seitenschiffen dekorierten. Ausgerechnet in jener Seitenschiffarkade, die auf der Höhe des Ziboriums liegt, begegnet ein Kreuzmedaillon als markantes Mittelmotiv (Abb. 43).110 Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage an Bedeutung, inwieweit das Ziborium, das nach außen geschlossen war, betreten werden konnte. Die Anlage befand sich im Mittelschiff, das den Gläubigen möglicherweise nicht zu allen Zeiten offenstand.111 Der Zugang zum Ziborium erfolgte von Norden, das heißt über das nördliche Seitenschiff. Immer wieder wird im ersten Buch der Miracula Sancti Demetrii angedeutet, hochgestellten Personen sei es möglich, es zu betreten oder aber durch die geöffnete Tür ins Innere zu blicken: Im ersten Wunder wird erzählt, der Präfekt Marianos sei in das Ziborium des Heiligen eingetreten;112 im siebten Wunderbericht wird ein Sakristan erwähnt, der den Zugang zum Schrein regelte;113 im zehnten Wunder ist von Traumvi-

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42  Aquarell der 1917 zerstörten Ausstattung aus opus sectile: In das aus

Buntmarmorplättchen gebildete perspektivische Konsolgesims haben die Handwerker als Streumotiv einen Dreifuß und einen Siegeskranz eingebracht.

sionen die Rede, in denen Besucher in die geöffnete Anlage blicken.114 Die vielleicht aufschlussreichste Schilderung eines Besuchs des Ziboriums entstammt dem fünfzehnten Wunderbericht:115 Ein namentlich nicht genannter Würdenträger betrat im Traum die Kirche und sah dort zwei Fremde, die einen Kirchendiener nach dem Hausherrn fragten. Dieser zeigte ihnen das Ziborium, woraufhin sich die Tür öffnete und der hl. Demetrios hervortrat. All dies beobachtete der Würdenträger »vor einem Interkolumnium des Ziboriums stehend«. Klar scheint daher, dass das Ziborium üblicherweise verschlossen war, aber auf Anfrage von einem Sakristan geöffnet werden konnte. Durch den Abschluss nach außen, durch das Verbergen der Liege und der Ikone, durch die Schaffung einer Barriere, die den Blick auf das, was man eigentlich sehen will, verstellt, entsteht in der Phantasie des Betrachters umso mehr ein Bild, das dem Wunsch nach Vergegenwärtigung entspricht.

Zeichenhafte Verbreitung statt Reliquien­ verteilung – virtuelle statt physischer Präsenz Aus dem bereits erwähnten Brief, den sein Vorgänger Eusebios an Kaiser Justinian gerichtet hatte, zitiert Erzbischof Johannes mit folgenden Worten: »Die Bewohner von Thessaloniki pflegen nicht den Brauch, wie dies anderenorts geschieht, die Leiber ihrer Märtyrer öffentlich auszustellen,

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um die Seelen durch den Anblick und die Berührung zur Frömmigkeit zu ermuntern. Im Gegenteil, sie gründen ihren Glauben geistig in ihren Herzen, da ihre tiefe Verehrung bewirkt, dass sie sich vor dem Anblick sichtbarer Reliquien fürchten. Ihnen reicht ihr wahrer Glaube, und sie glaubten, dass es notwendig sei, dass die Reliquien verborgen bleiben, sodass ihr Ort niemandem bekannt sei außer jenen, die bei der Bestattung zugegen waren.«116 Die Begründung für fehlende Kenntnis über den Aufenthaltsort des Heiligen bzw. die Erklärung für seine mangelnde physische Präsenz wird hier zu einer Frage des Glaubenseifers: Wahrer Glaube benötige keine visuelle oder haptische Erfahrung eines Heiligen. War auch deshalb die Suche nach einem Grab des hl. Demetrios vergeblich? Weder im Ziborium noch in der Ostkrypta, auch nicht in den alten Räumlichkeiten im Nordwesten der Kirche oder in der kleinen, nicht zugänglichen Altarkrypta befand sich der Heiligenleib. Die physische Existenz des Heiligen blieb im Ungefähren. Doch dachte man ihn sich in seinem Ziborium präsent, das in der Vorstellung der Gläubigen zu seiner Behausung avancierte.117 Hier nahm man Kontakt zum Heiligen auf, hier dankte man dem Wohltäter, hier wohnte Demetrios und weigerte sich selbst dann, sein Ziborium zu verlassen, als er von einem Engel Gottes aufgefordert wurde, fortzugehen und die belagerte Stadt aufzugeben.118 Wenn auch dieses Ziborium die Anwesenheit des Heiligen suggerierte, so fehlte doch die Reliquie als ultimativer Beweis. Doch hätte diese dem Heiligen eine Konkretheit erhalten, die im Widerspruch zu seiner imaginativen Qualität gestanden hätte. Sie hätte Demetrios präzise verortet, der so häufig in Träumen und Visionen erschien, dabei große Distanzen überwand, und ihm damit etwas von seiner Volatilität genommen. Deshalb erfolgte die Verbreitung

Zeichenhafte Verbreitung statt Reliquien­v erteilung – virtuelle statt physischer Präsenz

43  Um ihre Wertschätzung für das Ziborium zum Ausdruck zu bringen, haben

die Mosaizisten auf dem Unterzug jener Seitenschiffarkade, die auf der Höhe des Schreins gelegen war, ein Kreuz eingefügt. Das Aquarell der verlorenen Mosaiken fertigte Walter S. George an (British School at Athens).

des Demetrioskults auch nicht auf Grundlage einer Streuung von Primärreliquien, sondern durch eine zeichenhafte Imitation seines Thessaloniker Schreins. Wer dem Heiligen ein neues Zuhause bieten wollte, der durfte nicht auf ein Reliquiengeschenk hoffen. Vielmehr musste er einen Anreiz bieten umzuziehen, musste ein Zuhause schaffen, das der Demetrioskirche zu Thessaloniki gleichkam. Dies scheint Kyprianos, der Bischof von Thenai in Nordafrika, beherzigt zu haben, als er in seinem Heimatort eine Kirche für den Heiligen errichten ließ. Die Vorgeschichte dieser Kirchenstiftung ist dem sechsten und letzten Wunder des zweiten Buchs der Miracula Sancti Demetrii zu entnehmen:119 Kyprianos wurde auf einer Reise von Slawen gefangengenommen und versklavt. Daraufhin erschien ihm der hl. Demetrios und verhalf ihm zur Freiheit, ohne sich zu erkennen zu geben. Glücklich in Thessaloniki angekommen, suchte Kyprianos die nächsten Tage nach diesem Demetrios, um ihm zu danken. Doch war seine Suche vergebens, da es in der Stadt viele Träger dieses Namens gab. Schlussendlich betrat er die Kirche Hagios Demetrios, um Gott für seine Rettung zu danken, und merkte beim Anblick der umgebenden Bilder, wer ihm tatsächlich erschienen war: »Er erhebt sich, erblickt das Bild des Heiligen und ruft vor allen Anwesenden aus, dass dies derjenige war, der ihn gerettet und begleitet habe …«.

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Dankbar errichtete Kyprianos in seiner Heimatstadt Thenai eine Kirche »nach dem Vorbild der Demetrioskirche in Thessaloniki, mit besonderen Säulen, einem Ziborium und einem Ambo«.120 Was Kyprianos kopierte, waren einzelne Dekor- und Architekturelemente, die den Bau semantisch an die Mutterkirche anglichen: besondere Säulen, analog zu den verde antico-Säulen, die in Thessaloniki das Ziborium flankieren, ein Ambo und selbstverständlich das Ziborium selbst als unverwechselbares Sinnbild der Behausung und der Präsenz des Heiligen. Auf eine Reliquie des physisch nicht fassbaren, sichtbaren Heiligen konnte Kyprianos nicht hoffen, vermutlich war er auch gar nicht so erpicht darauf, weil seine Begegnung mit Demetrios ganz anderer Art war. Ihm war daran gelegen, wirksamere Vergegenwärtigungsformen des Heiligen in seine nordafrikanische Heimat zu transplantieren. Daher kopierte er dessen Behausung in der Hoffnung, der Heilige würde künftig hier Platz nehmen – übrigens mit Erfolg: Schon bald sorgte Demetrios dafür, dass die Skorpionplage in Thenai ihr Ende fand.121 War unsere Suche nach dem hl. Demetrios also erfolgreich? Physische Relikte oder sein Grab fanden sich zwar nicht, doch wurden immer wieder Orte erkennbar, deren besondere Lage und Ausgestaltung seine übernatürliche Präsenz nahelegten. Auch wenn er nicht als Leib in einem Grab gegenwärtig war, war er doch in allen Teilen der Kirche präsent – vor allem im kollektiven Wunschdenken. Bilder spielten hierbei eine zentrale Rolle, und daher ist es an der Zeit, dass wir uns den Mosaikdekor der Kirche vor Augen führen.

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Anmerkungen   1 Vgl. Bogdanovic 2011, 298: Vergleich des christlichen Kultraums mit

der Inkarnation, also der Gegenwart Gottes in Raum und Zeit.   2 Zur kaiserlichen Praxis, Reliquien nach Konstantinopel zu importie-

ren s. Liz James, Bearing Gifts From the East: Imperial Relic Hunters Abroad, in: Antony Eastmond (Hrsg.), Eastern Approaches to Byzantium, Aldershot 2001, 119 –131, bes. 124 –126; Edina Bozóky, La politique des reliques de Constantin à Saint Louis, Paris 2006, 73 –106 .   3 Miracula Sancti Demetrii I.5 § 51– 53 p. 89 7 – 9013 Lemerle. Skedros 1999, 85 – 88; Scholz 2007, 57 – 59.   4 S. o. S. 47.   5 Cormack 1989, 548; Skedros 1999, 85 – 88 u. 120 –121; Bakirtzis 2002 , 178 .   6 Typologischer Überblick bei Orlandos I, 1952 , 161–185; Stanzl 1979, 60 – 74.   7 Sehr guter Forschungsüberblick bei Laskaris 2000, 355 – 361.   8 Vgl. auch Lemerle 1953 , 687 – 694.   9 Bréhier 1919, 10. 10 Querhausbasilika von Abu Mena: Stanzl 1979, 71; Leonidasbasilika in Lechaion: Stanzl 1979, 66 – 68; Basilika A von Philippi: Stanzl 1979, 71– 72; Querhausbasilika von Perge: Stanzl 1979, 71; Querhausbasilika von Patara: Stephanie-Gerrit Bruer – Max Kunze, Der Stadtplan von Patara und Beobachtungen zu den Stadtmauern, Istanbul 2012 , 15. 11 Die Untergliederung eines Raums in einen inneren und einen Umgangsbereich, der um diesen herumführt, begegnet nicht nur in der Querhausarchitektur, sondern auch bei einer Reihe von Zentralbauten. Diese zusammengefasst bei Orlandos I, 1952 , 185 –194. 12 Vgl. hierzu Laskaris 2000, 361– 362 , mit Verweis auf Lemerle 1953 , 690, 692 u. 694. 13 Orlandos II, 1954 , 438 – 535; Pallas 1984 , 129 –140 ; Jean-Pierre Sodini, Les dispositifs liturgiques des basiliques paléochrétiennes en Grèce et dans les Balkans, 31. Corso di Cultura sull’arte Ravennate e Bizantina, 1984, 441– 473 . 14 Soteriou 1952 , 107 –110; Mentzos 2001b, 226 – 229. 15 Soteriou 1952 , 183 . Die erhaltenen Reste lassen auf eine Standfläche von ca. 3,50 m im Quadrat schließen, was gut mit dem Abstand der Aussparungen korrespondiert. 16 Soteriou 1952 , 226 ; Feissel  – Spieser 1979, 335 – 336 Nr.  14: - - [πρ]ο|έδρου παγκλε|οῦς Θεοδώρου | ἤλειφε τερπνό|τητα τὴν ἐκ μαρ|μάρου. Mentzos 2008b, 224, ergänzt überzeugend Πίστις προέδρου … 17 Mentzos 2008b. Zur Datierung ins 11. Jh. s. a. André Grabar, Sculptures byzantines du Moyen Age, II, Paris 1976 , 103 –104; Theocharis Pazaras, Sculpture in Macedonia in the Middle Byzantine Period, in: John Burke – Roger Scott (Hrsg.), Byzantine Macedonia. Architecture, Music and Hagiography, Melbourne 2001, 28 – 40, hier 34 – 35. Anders Velenis 2005, der sich v. a. aufgrund paläographischer Indizien für eine Datierung in die 2 . Hälfte des 9. Jh. entscheidet. Velenis’ Identifikation jenes Theodor mit einem Bischof Thessalonikis der Jahre 866 – 879 ist m. E. ebenso hypothetisch wie Mentzos’ Identifikation mit Theodoros Dalassenos, einem Statthalter und Dux von Thessaloniki, der sein Amt 1062 –1067 innehatte (Mentzos 2008b, 224 – 225). Die Soterious datierten die Platten ins 13 .–14. Jh.: Soteriou 1952 , 183 . 18 Ähnlich im Dekor und vermutlich von derselben Werkstatt sind jene Fragmente, die einem marmornen Ziborium zuzuweisen sind, das im 11. Jh. das ältere sechseckige Ziborium ersetzt habe: s. u. S. 368 .

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Zu dieser Gruppe gehören auch Reste von insgesamt sieben kleinen ornamentierten Platten, die überwiegend Ziborien zuzuweisen sein dürften: Soteriou 1952 , 181–182 mit Abb. 56 a. Gegen Soteriou ist zu vermuten, dass diese Fragmente einst zu kleinen Ziborien über kleineren Nebenaltären gehört haben. Bakirtzis wiederum rekonstruierte aus diesen Platten ein frühes achteckiges Ziborium, wofür es m. E. keine Anhaltspunkte gibt. 19 Soteriou 1952 , 107 –108 . Dafür spricht zum einen, dass die – nachträglich mit Plättchen verfüllten  – Aussparungen für die Säulen entstanden, indem man den Bodenbelag gegen bestehende Ziboriumsäulen führte. Anders Mentzos 2001a, 227, der die runden Marmorplättchen als Maßnahme gegen das Brechen von Bodenplatten durch das Aufstellen des Ziboriums ansieht. Vielleicht fügte man die Füllplättchen erst in osmanischer Zeit ein, als der Altar entfernt wurde. Ob Altar und Ziborium im Laufe der Geschichte ihre Position gewechselt haben, wie dies Aristoteles Mentzos vermutet (Mentzos 2001a, 227), ist fraglich. Das große Feld aus skyrischem Marmor mit hellgrauer Rahmung, das sich westlich des Standorts des Altarziboriums erstreckte, muss nicht unbedingt den Standort eines (früheren) Altars andeuten. Warum soll das Feld nicht den Bereich unmittelbar hinter dem Zugang zum Altarbereich markiert haben? 20 Soteriou 1952 , 107. Tatsächlich zeigt sich auf der publizierten Aufnahme deutlich die runde Standspur einer Säule. Die angeblichen Einarbeitungen für Schrankenplatten sind jedoch nicht erkennbar. Die Soterious scheinen die Einarbeitung für die Verklammerung der beiden Blöcke als Standspuren einer Schrankenplatte zu deuten. Runde Säulen wären für eine Templonanlage typologisch eher ungewöhnlich. Daher handelt es sich wohl um wiederverwendete Werkstücke aus einem anderen Kontext, die als Stylobat für eine Templonabschrankung recycelt wurden und mit zusätzlichen Zapflöchern für rechteckige Pfosten versehen wurden. 21 Soteriou 1952 , 109 –110. Dieser Belag verlief oberhalb der Verschlussplatte der kreuzförmigen Krypta unter dem Hauptaltar. 22 Soteriou 1952 , 110, konnte noch die Anschlussstellen der Templonabschrankung an die Schmalseiten der Priesterbänke beobachten. 23 Soteriou 1952 , 171–173 . 24 Die Soterious zählen sie wenig überzeugend zu einer Ausstattungsphase des 7. Jhs.: Soteriou 1952 , 108 –109. 25 Die Soterious vermuteten, das halbkreisförmige Synthronon habe im 7. Jh. die entfernten länglichen Priesterbänke zu Seiten des Altarziboriums ersetzt. Doch besteht für diese Annahme kein Grund, da ebenso gut beide Synthrona und der Bischofsthron gleichzeitig existiert haben konnten, wie dies auch bei anderen Kirchen des späten 5 . und 6 . Jh. der Fall ist: Orlandos II, 1954, 489 – 509; Pallas 1984, 134 –140; Sodini, a. O. (1984) bes. 441– 445. 26 Orlandos II, 1954, 489 – 509. 27 Sodini 1984, 443 – 444. 28 Papageorgiou 1908 , 371– 372; Soteriou 1952 , 175 –178; LoverdouTsigarida 2001. 29 Denis Feissel  – Jean-Pierre Sodini, Un arc byzantin à Kassandra (Valta), Bulletin de Correspondance Hellenique 103, 1979, 321– 326 . 30 Soteriou 1952 , 177 –178 mit Abb. 71. Kritik an der Rekonstruktion der Soterious bei Feissel – Sodini, a. O. 324 – 325, und Loverdou-Tsigarida 2001, 124. 31 Unsicher in dieser Frage auch Feissel – Sodini, a. O. 325 , und Loverdou-Tsigarida 2001, 124.

Anmerkungen

32 Zu den als Bodenbelag wiederverwendeten Schrankenplatten s. Papa-

georgiou 1908, 374 – 375. 33 Soteriou 1949, 136 –137; Soteriou 1952 , 61– 63; Lemerle 1953 , 663; Skedros 1999, 56 – 57; Laskaris 2000, 342 – 345. 34 Breite: 1,56 m; Länge: 2 ,67 m; Breite der Kreuzarme: 0,70 m; Höhe der Anlage: 0,85 m. 35 Breite des Fachs: 0,21 m; Länge: 0,22 m. Die Aufmauerung wird heute (2012) im südlichen Seitenschiff aufbewahrt. 36 Soteriou 1952 , 61: κονιοποιημένα λείψανα αἵματος. Skedros 1999, 59, resümiert alle Bezeichnungen, die in der Forschungsliteratur genannt werden: getrocknetes Blut, mit Blut getränkte Erde, Stoffreste mit Blut etc. Eine naturwissenschaftliche Untersuchung des immer noch unter dem heutigen Hauptaltar verborgenen Inhalts der Phiole wurde m. W. nie vorgenommen. 37 Lemerle 1953 , 663 . 38 Vgl. hierzu Urs Peschlow, Altar und Reliquie. Form und Nutzung des frühbyzantinischen Reliquienaltars in Konstantinopel, in: Michael Altripp – Ursula Nauerth (Hrsg.), Architektur und Liturgie, Wiesbaden 2006 , 175 – 202 , hier 198 –199. Die hier besprochene Bodenplatte mit Reliquienfächern und Vorrichtung zum Eingießen einer Flüssigkeit scheint mir eher Libationen gedient zu haben, weniger der Erzeugung von geheiligtem Öl als Kontaktreliquie. 39 Soteriou 1952 , 62 – 63 . 40 Lemerle 1953 , 663 – 664 u. 670 – 671. 41 Eine archäologische Nachuntersuchung fand nie statt, doch hat Aristoteles Mentzos darauf hingewiesen, dass der alte Plan mit der Apsis des »Vorgängerbaus« gepunktete Linien zeigt, was auf Beschädigungen hinweist. Möglicherweise entstanden diese Beschädigungen, als man die Krypta nachträglich einbaute: Mentzos 1994, 41. 42 Grabar 1946 , I, 456 . 43 Orlandos II, 1954, 463 – 466; Jean-Pierre Sodini, Les cryptes d’autel paleochrétiennes: essai de classification, Travaux et Mémoires 8, 1972 , 437 – 458, hier 447 – 449 u. 453 – 454; Laskaris 2000, 343 – 344. 44 Vgl. hierzu Urs Peschlow, Altar und Reliquie. Form und Nutzung des frühbyzantinischen Reliquienaltars in Konstantinopel, in: Michael Altripp – Ursula Nauerth (Hrsg.), Architektur und Liturgie, Wiesbaden 2006 , 175 – 202 , hier 190 –193 . 45 Lemerle 1953 , 663 u. 669 – 672; Brenk 1994 , 36; Skedros 1999, 58 . Obwohl kreuzförmige Miniaturkrypten nur in Kirchenbauten des 5. und 6. Jhs. nachgewiesen sind, vermutet A. Mentzos, die kreuzförmige Krypta von Hagios Demetrios sei erst im 7. Jh. angelegt worden: Mentzos 2006, 267. 46 Vgl. Brenk 1996 , 35: »Weil nur der messelesende Priester um die Existenz dieses Deponats wissen konnte, scheint es bald in Vergessenheit geraten zu sein«. 47 Soteriou 1918 a, 40 – 46 . Überblick über die Forschung zur Ostkrypta – allerdings ohne Mentzos 1994 zu berücksichtigen – bei Laskaris 2000, 337 – 342 . 48 Ćurčić 2010 a, 106: Reliquien könnten in der Ostkrypta aufbewahrt worden sein (wie etwa der Leib des hl. Artemios in der Johanneskirche auf einem Oxeia genannten Hügel in Konstantinopel: Cyril Mango, On the History of the Templon and the Martyrion of St. Artemios at Constantinople, Zograf 10, 1979, 40 – 43). 49 S. o. 83 . 50 Das Gewölbe, mit dem der einstmals offene Hof eingedeckt wurde, schließt sekundär an die massiven Stützpfeiler Apsis an, was zunächst

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eine spätere Bauphase vermuten lässt. Doch muß das Gewölbe bereits existiert haben, als man die Querhausarme errichtete, da diese teilweise auf dem überwölbten Bereich gründen. 51 Soteriou 1952 , 51– 55 . 52 Wie aus den noch erhaltenen Befestigungslöchern auf dem Absatz des profilierten Sockels hervorgeht (s. Soteriou 1952 , Taf. 16 α und β). Verfüllte Löcher zu Seiten der Nischen lassen vermuten, daß diese einst von Säulen auf Konsolen gerahmt waren. 53 So bereits Grabar 1946 , I, 453 – 454. Vgl. auch Mentzos 1994, 48 , der davon ausgeht, dass aus allen Nischen Wasser in ein großes Becken oder mehrere kleine Becken floss. Den Soterious zufolge habe die Abschrankung als Durchgang für den Klerus gedient, der sich über die beiden Treppen, die aus dem Altarbereich in die Ostkrypta herabführten, direkt vor die Brunnenwand begeben konnte. 54 Mentzos 1994, 48 – 49, postuliert ebenfalls eine Gleichzeitigkeit zwischen den Apsispfeilern und der ersten Brunneneinfassung, datiert diese Baumaßnahme jedoch ins 7. Jh., als man s. E. die Apsis einer älteren Kirche nach Osten verlegte. 55 Soteriou 1952 , 53 . Eine Funktion als Hagiasma vermutet für die erste Phase auch Loverdou-Tsigarida 2006, 10 u. 15. Eine Funktion als einfaches Nymphäum vermutet für die erste Phase Mentzos 1994, 49 – 50. 56 Vor der Mittelnische rekonstruierten die Soterious eine marmorne Brunnenschale, doch beruht diese Annahme lediglich auf Befestigungsspuren in der Bodenplatte und ist somit sehr fraglich: Soteriou 1952 , 52 . 57 Ferner vermuteten die Soterious ohne triftigen Grund, dass jene Schrankenplatten des Halbkreisziboriums, die es nach den Seiten abgrenzten und ein eigenes Becken bildeten, erst in einer weiteren, dritten Phase eingepasst wurden (Abb. 25): Soteriou 1952 , 54. Nun habe der Klerus über den abgeschrankten Zugang von zwei Seiten an das Ziboriumbecken herantreten können, das über ein Wasserrohr in der zentralen Nische gespeist wurde. Doch ist die Theorie eines Durchgangs, wie gesagt, unsinnig. Der ganze Bereich diente immer schon als Wasserbecken. Soteriou erwähnt die Einschnitte an den Schrankenplatten zwischen dem mittleren und den seitlichen Becken nicht, obwohl sie auf Soteriou 1952 , Taf. 15α, gut zu erkennen sind. 58 Auf diese Installation wird noch eingegangen: S. u. S. 378 – 388 . 59 Soteriou 1952 , 55 – 57; Mentzos 1994, 44 – 45; Skedros 1999, 51– 52 . 60 Grabar 1946 , I, 451, vermutete, die Kapelle imitiere das Grab des Heiligen; Skedros 1999, 52 , wiederum hält den Bau für eine Kapelle, die mit dem Hagiasma in Verbindung stand. 61 Brenk 1996 , 35 . Auf den Zusammenhang zwischen Therme, Hinrichtungsort des hl. Demetrios und dem Hagiasma hat bereits Lemerle 1953, 662 , hingewiesen. 62 Diehl  – Le Tourneau  – Saladin 1918 , 83 – 84; Soteriou 1952 , 40 u. 134 –135; Bakirtzis 2002 , 188 –189. Plan und Schnitt der Räume hatte bereits W. S. George angefertigt: Cormack 1985a, 64 Nr. 11. 63 Soteriou 1952 , 135 . 64 Papageorgiou 1908 , 335 – 336 Taf. XVII.1. Vgl. auch Cormack 1985a, 66 Nr.  19. Abb. auf S. 96 . Zu den wiederverwendeten Ornamentplatten: Soteriou 1952 , 173 Taf. 50 α und β. 65 Papageorgiou 1908 , 336 . 66 Anders Bakirtzis 2002 , 188 –190. 67 S. u. S. 400 – 404. 68 So bereits Soteriou 1952 , 18 und 40. S. u. S. 444. 69 Soteriou 1918a, 32 – 33; Soteriou 1952 , 100 –101; Pallas 1979; Bakirtzis 1995, 62 – 64; Skedros 1999, 88 – 94; Laskaris 2000, 347 – 348 .

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70 Jeder der Blöcke misst jeweils 2 ,45 m Länge und 0,50 m Dicke. Die

Blöcke ruhen auf einer Fundamentpackung aus Bruchsteinmauerwerk, deren Tiefe und Stratigraphie leider nicht näher bekannt sind. Daher ist nachträglich nicht mehr festzustellen, in welchem zeitlichen Verhältnis diese Struktur zur fünfschiffigen Basilika steht. 71 Soteriou 1952 , 101; Mentzos 1994, 33 . 72 Worauf auch Mentzos 1994, 34, explizit hinweist. 73 Mentzos 1994, 34, zufolge fehlt das erhabene Band auch im Mittelteil des südlichen Basisblocks. 74 M. E. erlaubt der Befund keine Rekonstruktion mit Säulen oder Pfeilerstützen (so Soteriou 1952 , 180 –181 Abb. 72), da sich von diesen Befestigungsspuren erhalten hätten. Mentzos 1994, 36, rekonstruiert ein offenes Ziborium ohne Abschrankung, wobei er sich auf eine bislang unpublizierte Zeichnung im Archiv der 9. Ephorie der byzantinischen Altertümer beruft (Mentzos 1994, 146 Abb. 4). 75 Auch der südliche Basisblock zeigt Abnutzungsspuren: Vielleicht hat man nachträglich auch einen Zugang im Süden angelegt. 76 Mentzos 1994, 34 – 36 . 77 Mentzos 1994, 34 – 36 . Ob dieser Schrein wiederum über eine Wasserleitung gespeist wurde, die mit dem Brunnen am Nordwestpfeiler des Altarbereichs in Verbindung stand (so Mentzos 1994, 37), werden nur weitere Grabungen ergeben können. 78 So gab Soteriou dem päpstliche Nuntius Roncalli gegenüber zu, intensiv nach dem Grab des Heiligen gesucht zu haben: s. o. S. 20. 79 Vgl. hierzu v. a. Lemerle II, 1981, 32 – 40 . Zusammenfassend zum Ziborium: Skedros 1999, 88 – 94. 80 Miracula Sancti Demetrii II.3 §216 – 229 p. 1931 –197 21 Lemerle. Zu den frühen Beschreibungen des Ziborium s. Pallas 1979, 44 – 46 . 81 Miracula Sancti Demetrii I.12 §104 p. 12522 – 23 Lemerle. 82 Miracula Sancti Demetrii I.1 §22 p. 6623 – 25 Lemerle: τὸ λεγόμενον κιβώριον τὸ ἀργυροῦν … ἔνθα φασίν τινες κεῖσθαι ὑπὸ γῆν τὸ πανάγιον λείψανον. 83 Miracula Sancti Demetrii I.1 §22 p. 6626 – 27 Lemerle: ἀπερείσας τὸ πρόσωπον εἰς τὸ ὂν αὐτόθι ὡς ἂν εἰ κραββάτιον ἐξ ἀργύρου, ἔνθα καὶ ἐντετύπωται τὸ θεοειδὲς προσώπιον τοῦ (μάρτυρος). 84 In diesem Sinne auch Pallas 1979, 45 . 85 Miracula Sancti Demetrii I.15 §167 p. 16216 – 20 Lemerle: Ἐγὼ δὲ πίπτω ἐπ’ ὄψιν, μὴ φέρων ὁρᾶν τὸ ἀγγελοειδὲς αὐτοῦ πρόσωπον· ἦν γὰρ τῇ ἰδέᾳ κατὰ τὴν γραφὴν τὴν ἐν ταῖς ἀρχαιοτέραις αὐτοῦ εἰκόσιν ἐγγεγραμμένην, ὁ δὲ χρὼς τοῦ προσώπου αὐτοῦ λαμπηδόνας ὡς ἡλιακῶν ἀκτίνων ἀπέπεμπεν, ὡς καὶ ἐπ’ ὄψιν κειμένου καταλάμπεσθαι τὸ πρόσωπόν μου τῇ ἀντιτυπίᾳ τοῦ ἐδάφους, τῆς αὐγῆς με περιαστραπτούσης. Lemerle 1980/81, 2 – 3 . 86 Paul Lemerle hatte noch angenommen, hierbei müsse es sich um eine Darstellung des Heiligen als Orant in Tunika handeln: Lemerle 1980/81, 3 u. 6 . Doch ist dies unwahrscheinlich, da es für eine Darstellung des hl. Demetrios in Tunika keine Parallele gibt. 87 Miracula Sancti Demetrii I.7 §66 p. 9911–13 Lemerle: καὶ δὴ ὀρμήσαντός μου τοῦ ἐπάραι καὶ σβέσαι αὐτοὺς, καὶ ἀντ᾽ αὐτῶν ἄψαι μικροτέρους, αὐτὸς ὁ ἅγιος ἐκ τοῦ ἁγίου σκίνποδος φωνὴν ἀφῆκεν πάνυ μεγίστην, οὕτως βοήσας πρός με: πάλιν αὐτὰ; 88 Miracula Sancti Demetrii I.10 §89 p. 11512 – 20 Lemerle. 89 Vgl. hierzu Grabar 1946 , I, 341. 90 Bereits Uspenskij 1909, 20 – 21, hat erkannt, dass das Ziborium in dem ex voto-Mosaik im nördlichen Seitenschiff das in den Quellen beschriebene ist.

Wo sich Himmel und Erde begegnen: Hagios Demetrios als Verehrungsort

  91 Miracula I.6 §55 – 61 p. 931 – 9528 Lemerle.   92 Vermutlich derselbe Vorgang wie in Miracula Sancti Demetrii I.6:

Lemerle II, 1981, 41– 42 .   93 Miracula I.12 §100 –115 p. 1241 –129 26 Lemerle.   94 Miracula II.3 §224 – 225 p. 19530 –19619 Lemerle.   95 S. u. S. 366 – 373 .   96 Zur Frage, ob man unter dem Ziborium ein Grab annahm: Skedros 1999, 92 .   97 Miracula Sancti Demetrii I.7 §5 p. 9312 –13 Lemerle: διότι καὶ τὸ ἡγιασμένον μνημεῖον τοῦ μάρτυρος λέγεται περιέχειν.   98 Miracula Sancti Demetrii I.10 §88 p. 1157 – 8 Lemerle: ἐκεῖσε παρὰ τῶν πατέρων ἠκούσαμεν κεῖσθαι θεοπρεπῶς ὑπερένδοξον ἀθλοφόρον Δημήτριον.   99 Henri Leclercq, DACL XIII.2 , 1948 , 1588 –1612 s. v. ›ciborium‹; Theodor Klauser, RAC III, 1957, 68 – 86 s. v. ›Ciborium‹; Klaus Wessel, RBK III, 1966, 1055 –1065 s. v. ›Ciborium‹. 100 Beat Brenk, Il ciborio di San Marco a Venezia, in: L’arte di Bisanzio e l’Italia al tempo dei Paleologi, 1261–1453 (= Milion 5), Rom 1999, 143 –158 . 101 André Grabar, Ampoules de Terre Sainte (Monza  – Bobbio), Paris 1958 . 102 Vgl. hierzu etwa Martin Biddle, Das Grab Christi. Neutestamentliche Quellen, historische und archäologische Forschungen, überraschende Erkenntnisse, Gießen 1998, 35 – 40, 80 – 92 . 103 Das abgebildete Beispiel ist die Darstellung der Verehrung einer Marienikone in einem Psalter aus der Zeit um 1300: Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, 78 A 9 (Hamilton 119). Annemarie Weyl Carr in: Faith and Power 2004, 153 Nr. 77; Robin Cormack in: Byzantium 2008, 423 Nr. 177. 104 Bakirtzis 2002 , 181. 105 Vgl. hierzu John Mitchell, The Asymmetry of Sanctity, in: Lauren Golden (Hrsg.), Raising the Eyebrow: John Onians and World Art Studies. An Album Amicorum in His Honour (= BAR International Series 996), Oxford 2001, 209 – 222 , hier 213 – 214. 106 Annegret Plontke-Lüning, Frühchristliche Architektur in Kaukasien. Die Entwicklung des christlichen Sakralbaus in Lazika, Iberien, Armenien, Albanien und den Grenzregionen vom 4 . bis zum 7. Jh., Wien 2007, Katalog (CD) S. 203 – 212 . 107 Brenk 1994 , 31: Pfeilerwechsel und Andersfarbigkeit der vier Säulen zwischen den Pfeilern hängen mit dem Ziborium zusammen. Brenk 1994, 33: Acht grüne Säulen aus thessalischem Marmor evozieren als Spolien in besonderem Maße die auctoritas und die dignitas des Ziboriums mit der Ikone des hl. Demetrios. Vgl. auch Brenk 1996, 34. 108 Papageorgiou 1908 , 351– 354. 109 Papageorgiou 1908 , 351– 352; Asimakopoulou-Atzaka 1980, 80 – 81 u. 89; Spieser 1984, 176 mit Anm. 67. 110 Fourlas 2012 , 135 . 111 Brenk 1994, 32: Das Mittelschiff konnte nicht betreten werden, Aufenthaltsraum für Gläubige und Pilger waren die Seitenschiffe, wo sich auch die Mosaiken befinden. 112 Miracula Sancti Demetrii I.1 §22 p. 6623 – 25 Lemerle. 113 Miracula Sancti Demetrii I.7 §63 p. 987 –10 Lemerle. 114 Miracula Sancti Demetrii I.10 §89 p. 1159 –12 Lemerle. 115 Miracula Sancti Demetrii I.15 §166 –167 p. 1629 –13 Lemerle. 116 Miracula Sancti Demetrii I.5 §52 p. 8917 – 25 Lemerle.

Anmerkungen

117 Bakirtzis 2002 , 178: »The ciborium was believed to be the saint’s

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dwelling place, and anyone who wanted to meet him would go there.« Miracula Sancti Demetrii I.15 §168 –175 p. 16221 –16527 Lemerle. Miracula Sancti Demetrii II.6 §307 – 317 p. 2371 – 24111 Lemerle. Miracula Sancti Demetrii II.6 §313 p. 23918 – 20 Lemerle: καθ᾿ ὁμοίωσιν τοῦ ἐν Θεσσαλονίκῃ ναοῦ, καὶ κίοσι καὶ κιβωρίῳ καὶ ἄμβωνι. Hierbei nimmt man offenbar auf die in der Passio Altera überlieferte Tötung eines Skorpions Bezug: Passio Altera p. 1178B.

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