(Diplomabeit) Zwischen Sozialismus und Gesellschaftslehre: Die \'Disziplinierung\' der Soziologie in Österreich vor 1918. Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien, Wien 2006.
Zwischen Sozialismus und Gesellschaftslehre Die 'Disziplinierung' der Soziologie in Österreich vor 1918
DIPLOMARBEIT zur Erlangung des Magistergrades der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien
Eingereicht von Jan Jakub Surman
Wien, Juni 2006
(Diese Version ist Textidentisch, aber nicht Seitenidentisch mit der in Druck abgegebener Dissertation. Für die zitierbare Fassung bitte die gedruckte Arbeit konsultieren)
2
Vorwort ........................................................................................................... 4 Methodische Überlegungen ........................................................................... 7 Zur begrifflichen Spezifizierung der „Disziplin“ ......................................................... 9 Diskursanalyse - Boundary Work ............................................................................... 12 Netzwerke ................................................................................................................... 18 Die Auswahlkriterien .................................................................................................. 22 Die Quellenlage .......................................................................................................... 25
Der kulturgeschichtliche Hintergrund ....................................................... 27 „Ordinarien Universität“ und die beschränkte Lehrfreiheit ........................................ 37 Die Auslandsrezeption österreichischer Soziologen ................................................... 44 Zwischen thematischer Eigenständigkeit und institutioneller Verankerung: Der deutsche und der österreichische Soziologiediskurs ...................................................................... 46
Zur wissenschaftlichen Landschaft ............................................................ 47 Die Politik und Soziologie: Wissenschaftspolitik? ..................................................... 48 Disziplinenlandschaft: „Boundary work“ in der Zeit der „Disziplinierungen“ .......... 52 Medienlandschaft ........................................................................................................ 55
„Forerunners“ : Die „Zu früh gekommenen“ ........................................... 70 Die Gründerväter ......................................................................................... 79 Die Ausbildung erster Netzwerkstrukturen: Institutionelle Gründungen und Grenzziehungsprozesse ...................................................................... 120 Zwischen Kampf um die Institutionelle Anerkennung und Volksbildung – die Gesellschaften für Soziologie ................................................................................... 120 Eugen Ehrlich und Hans Kelsen: Der Kampf um die Soziologie des Rechts ........... 129 Soziologie und Statistik: Die Methodendebatte ........................................................ 139 Sozialistische Soziologie und soziologischer Sozialismus ....................................... 143 Příbram, Menzel und von Wieser: die konservative Annäherung an die Soziologie 148 Der Erste Weltkrieg: Thematische Verengung? ....................................................... 153
Zwischen Fragmentierung und Kristallisierung: Die Ausgangssituation nach dem Ersten Weltkrieg ....................................................................... 159 Othmar Spann und die konservative Gesellschaftslehre ............................................... 160
3
Die Soziologie zwischen von Stein und von Wieser: Ein Überblick als Resümee ....................................................................................................... 166 Die Semantik: Gesellschaftslehre und Soziologie .................................................... 166 Boundary Work ......................................................................................................... 168 Die „Disziplinierung“: Kognitive Komponente ....................................................... 169 Die „Disziplinierung“: Soziale Komponente ............................................................ 171 Neue Ergebisse und offene Fragen ........................................................................... 172 Die „Disziplinierung“: Endergebnis ......................................................................... 173
Vorwort Stefan Zweig, ein österreichischer Literat ersten Ranges, hat in seiner historischen Rückschau „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“ (1942), einen sehr merkwürdig klingenden Satz geschrieben: „Soziologen und Professoren wetteiferten, die Lebenserhaltung des Proletariats gesünder und sogar glücklicher zu gestalten“. 1 Der aufmerksame Leser beginnt sich in diesem Moment zu fragen, wen er wohl gemeint haben könnte. Wer war damals offiziell Soziologe? Wer wurde für einen solchen gehalten? Oder geht es gar nicht um die „Soziologie“, sondern haben wir es mit einem sprachlichen Missgriff zu tun? Die vorliegende Arbeit stellt keine Suche nach den Zweigschen Soziologen dar; trotzdem liegt ihr ein ähnliches Konzept zugrunde. Die drei gestellte Fragen: wer war offiziell Soziologe, wer war es kognitiv, und welche sprachlichen Konnotationen und Verwechslungen mit dem Comtschen Begriff angestellt wurden, stellen – gemeinsam mit der Frage der disziplinären Netzwerkes – das Rückgrat dieser Untersuchung dar. Die Arbeit versteht sich als eine „Historisierung“ und „Soziologisierung“ der disziplinären Entwicklung, die zumindest in oberflächlicher Betrachtung in das mündete, was jetzt als „Soziologie“ verstanden wird. Allerdings, so zumindest das Ziel, soll hier gezeigt werden, dass es eine Linearität nicht gab – wohl aber Kontinuitäten. Stanisław Posner sagte 1911 über Österreich – „es gibt keine Soziologie, nur Soziologen“2, was darauf deuten soll, dass bis dato weder eine soziale noch kognitive Entität entstanden ist. Trotzdem, nicht jeder Gelehrte hat seine Soziologie neu erfunden – wie Hans Freyer über die Situation in Deutschland zu sagen pflegte. Die Wahrheit – wenn man dieses „Unwort“ hier verwenden darf – liegt, wie so oft, dazwischen.
1
Zweig, Stefan (2005 [1942]) Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (Frankfurt am
Main: Fischer Taschenbuch), 18 2
Posner, Stanisław (1911) Ludwik Gumplowicz 1838-1909 : zarys życia i pracy [dt. Ludwig
Gumplowicz 1838-1909 : Eine Skizze über Leben und Arbeit] (Warszawa: Tow. Akc. S. Orgelbranda S-ów), 180. (Meine Übersetzung – J.S.)
5 An die Quellen! forderte 1995 Gerald Mozetič die Soziologiehistoriker auf.3 Dieser Forderung wurde zum Teil schon früher entsprochen – etwa in den Publikationen von AGSÖ, Christian Fleck oder Joseph Langer, und auch punktuell findet man eine Weiterführung von historischen Untersuchungen – auch in Form von Diplomarbeiten und Dissertationen.4 Dieser Trend steht als Gegensatz – oder vielleicht doch bloß als eine Ergänzung – zu den früheren „Rekonstruktionen“ der soziologischen Aktivität, die etwa durch Anton Amann5, John Torrance6, Reinhold Knoll/Gerhard Majce/Hilde Weiss/Georg Wieser7, oder Reinhold Knoll8 publiziert wurden. Allerdings kann eine bloße Quellenrekonstruktion
die
dringendsten
Fragen
nicht
genügend
beantworten.
„Soziologisierung“ – also eine Untersuchung der sozialen Entitäten in der Suche nach Kontinuitäten und Brüche, wird in letzter Zeit stärker gefördert.9 Diese Arbeit versteht sich genau als ein bescheidener Beitrag zu solch neuorientierter Disziplingeschichtsschreibung. Die Intention war, sowohl die künstlichen Kontinuitäten, als auch Grenzen und Brüche zu hinterfragen, und einen soziologisch-historischen Blick auf die Entstehungsmechanismen dessen zu werfen, was teilweise vereinfacht als „österreichische Soziologie“ abgestempelt
3
Mozetič, Gerald (1995) 'Geschichte der Soziologie - quo Vadis?' Österreichische Zeitschrift für
Soziologie 20/4: 3-17 4
Z.B. Mang, Elisabeth (2003) Die Entwicklung der Soziologie/Sozialforschung in Wien bis zum 2.
Weltkrieg (Unpublizierte Diplomarbeit an der Universität Wien) 5
Amann, Anton (2004 [1988]) 'Soziologie in Wien. Entstehung und Emigration bis 1938', in Stadler,
Friedrich (Hrsg.), Vertriebene Vernunft I. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930-1940 (Münster: LIT): 214-237 6
Torrance, John (1981) 'Die Entstehung der Soziologie in Österreich 1885-1935', in Lepenies, Wolf
(Hrsg.), schichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin. Band 3. (Frankfurt am Main: Suhrkamp): 443-495 7
Knoll, Reinhold/Majce, Gerhard/Weiss, Hilde/Wieser, Georg (1981) 'Der österreichische Beitrag
zur Soziologie von der Jahrhundertwende bis 1938', in Lepsius, Rainer M. (Hrsg.), Soziologie in Deutschland und Österreich 1918-1945. Marerialien zur Entwicklung, Emigration und Wirkungsgeschichte. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 23/81 (Opladen: Westdeutscher Verlag): 59-101 8
Knoll, Reinhold (1984) Soziologie aus Österreich (bis 1933) (Unpublizierte Habilitationsschrift an
der Universität Wien) 9
Fleck, Christian (1999) 'Für eine soziologische Geschichte der Soziologie', Österreichische
Zeitschrift für Soziologie 24/2: 52-65
6 wird. Ob es diese gab, oder ob doch über eine Soziologie in Österreich, oder gar „Soziologien“ die Rede sein soll, wird noch zur Sprache kommen. Die Wahl des Zeitrahmen – bis zum Ende des ersten Weltkrieges, mit einem kurzen Ausblick in das nachfolgende Jahrzehnt – geht von meiner Überzeugung aus, dass in dieser Zeit die wichtigsten Mechanismen, die die Entstehung einer homogenen Soziologie in Österreich verhindert haben, bereits in Erscheinung getreten sind, und dass der Krieg, bekanntlich „Vater aller Dinge“, die Wissenschaftslandschaft so umstrukturiert hat, dass man wohl über eine Trennlinie in dem Diskurs sprechen kann. Die soziologische Aktivität, die sich nach dem Krieg entwickelt hat, besitzt zwar persönliche Kontinuität mit der Vorkriegs-Periode, trotzdem ist sie qualitativ anders, so dass die Behandlung der Zeit von 1918-1933/38, ohne einen künstlichen Bruch vornehmen zu müssen, nicht möglich ist. Dieses Problem ist auch bei der Unterbrechung im Jahr 1918 sichtbar, daher wird ein kurzer Überblick notwendig, um einerseits die Auswirkungen der Vorkriegssituation auf die Nachkriegssoziologie zu verdeutlichen, und andererseits neue Strömung(en) aufzuzeigen. An diesem Platz möchte ich mich bei allen den bedanken, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Mein besonderer Dank gilt meiner Mutter Teresa Surman und Paul Frankl, ohne deren Unterstützung all das nicht denkbar wäre. Für wertvolle Tipps und Ratschläge danke ich besonders meinem Betreuer Anton Amann, Christian Fleck und Reinhard Müller. Zur guter Letzt danke ich den Mitarbeiter von Universitätsbibliothek Wien (Außenstelle Teinfaltstrasse und Wirtschaftswissenschaften), Nationalbibliothek Wien,
Landesbibliothek
Linz,
des
Dokumentationszentrums
für
österreichische
Philosophie Graz, und Universitätsarchivs Wien für zahlreiche Sondererlaubnisse, wertvolle Ratschläge und Geduld.10
10
Editorische Notiz: Die Zitate wurden gemäß den originellen Wortlaut übernommen, die
Hervorhebungen sind, wenn nicht anders angemerkt, mit dem Original gleich. Auf die Anmerkung der falschen Schreibweise mit „sic!“ wurde verzichtet, auch bei den Vornamen wurden die abweichenden Schreibweisen nicht angemerkt – auch, weil viele der aus nicht-deutschsprachigen Ländern stammenden Wissenschaftler beide Vornamen angewendet haben (etwa Ludwik/Ludwig Gumplowicz, Lotar/Lothar Dargun.
7
Methodische Überlegungen Wenn „science is what scientists do”, wie die gängige Definition der Wissenschaft lautet, sind die Disziplinhistoriker mit vielfältigen Problemen konfrontiert. Vor allem müssen sie die schwere Frage beantworten, wer ein „scientist“ denn sei, und warum. Wärend dieses für die Naturwissenschaften ein geringfügiges Problem ist, wird es im Fall der Human- und Sozialwissenschaften zu einer vitalen Frage, die auch die Methode dieser Untersuchung betrifft. Am Beispiel der Soziologie können wir sehen, wie breit die Vielfalt der sich mit der Disziplin befassenden Autoren war: von den klassischen Soziologen wie Gumplowicz (1839-1909), Sozialutopisten wie Theodor Hertzka (1845-1924), Amateurwissenschaftlern à’la Ratzenhofer (1842-1904), bis zur Auch-Soziologen11 wie Hans Kelsen (1881-1973) oder Eugen Ehrlich (1863-1922), usw. Dieser Reichtum stellt die Frage, ob und wie man diese Anzahl der Autoren und den von ihnen aufgearbeiteten Forschungsfeldern in einem Untersuchungs-Design vereinigen kann, und wie die Auswahl der Personen getroffen werden soll. In seiner an Joseph A. Schumpeter (1883-1950)12 angelehnten Typologie unterscheidet Jerzy Szacki drei Möglichkeiten der Fachgeschichtsschreibung über Soziologie, die sich nach den genuinen Fragestellungen unterscheiden:
1.
Die Verfolgung der Verwendung der Erkenntnisaktivität, die explizit als
Soziologie geführt worden ist. (Entscheidung nach formalen Kriterien) 2. Untersuchung der soziologischen Probleme und Fragestellungen in ihrer Entwicklung (meritorische Kriterien) 3. Das Kriterium der wissenschaftlichen Methode – wo bestimmte Erkenntnisse als Kern der Untersuchung gewählt werden13
11
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal": von den Anfängen der Soziologie in Österreich bis
zu ihrer Vertreibung (Wien: Verlag für Gesellschaftskritik) 12
Schumpeter, Joseph A. (1972) History of economic analysis (London [u.a.]: Allen & Unwin), 38ff
13
Szacki, Jerzy (2002) Historia Myśli Socjologicznej. Wydanie Nowe. [dt. Geschichte der
soziologischer Gedanke. Neue Ausgabe] (Warszawa: PWN)
8 Der unter dem ersten Punkt vorgeführten Arbeitsweise wird dabei der geringste Erkenntnisgewinn zugebilligt, da wichtige Autoren, die soziologische Beiträge geliefert haben, diese aber anders benannten, nicht berücksichtigt werden. Dieser erste Ansatz steht aber genau in dem Gleichklang mit der Feststellung „what the scientists do“, und kann, im Sinne des kulturgeschichtlichen Verständnisses der Wissenschaftsanalyse angewendet werden. Diese sucht nämlich nach der Kontextualisierung der Wissensproduktion, d.h. verortet diese in Zeit und Ort, und untersucht sie aus der externalistischen Perspektive. Gefragt wird nicht, wie eine Entwicklung verlief, sondern vielmehr warum gerade so und nicht anders, und, im Gegensatz zu der typischen Disziplingeschichtsschreibung, wird nach Brüchen und nicht künstlich hergestellten Kontinuitäten gesucht. Man kann sagen, dass eine Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Geschichte vorgenommen wird. Während die erste voll Irrtümer und wenig bedeutsamer Fehlentwicklungen ist, konstruiert die zweite eine
„Reihe verehrungswürdiger Vorläufer [die] sich auf die wahren
Erkenntnisse der Gegenwartsdisziplin [zubewegen].“14 Die Methode, die ich hier wähle, ist ein Versuch, die Vergangenheit der Soziologie zu umschreiben. Durch die entlang des Konzeptes des „Boundary Work“
15
von Thomas
Gieryn durchgeführte Diskursanalyse werde ich zeigen, was unter Soziologie in der von mir behandelten Zeit verstanden wurde und welche Eigenschaften der neuen Disziplin/Methode zugeschrieben wurden. Die Hauptfragestellung lautet: wie hat sich das Verständnis der Soziologie bis 1925 entwickelt, und welche Faktoren kann man als bedeutend für das Ausbleiben einer akademisch anerkannten Disziplin namens Soziologie16, oder auch einer österreichischen Schule der Soziologie17 anführen. Die Darstellung des soziologischen Diskurses wird allerdings erweitert. Neben dem „Boundary Work“, die die Auseinandersetzungen um die Grenze der sich neu
14
Lepenies, Wolf (1981) 'Einleitung. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität der
Soziologie', in Ders. (Hrsg.), Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin. Band 1 (Frankfurt am Main: Suhrkamp): I-XXXV. Hier VII 15
Gieryn, Thomas F. (1995) 'Boundaries of Science', in Jasanoff, Sheila et.al. (Hrsg.), Handbook of
Science and Technology Studies (Thousand Oaks: Sage): 393-443 16
Nur die Lehrstühle für die Gesellschaftslehre waren zu damaliger Zeit an den Universitäten präsent.
17
Vgl. Mozetič, Gerald (1991) 'Österreichische Soziologie? Einige Bemerkungen zu den Anfängen
der Soziologie in Österreich', AGSÖ Newsletter 5: 1-4
9 konstituierenden Disziplin mit den Vertreter anderer Fächer – vor allem Philosophie und Staatswissenschaften, analysieren soll, werde ich als zweite methodische Grundfrage der Entstehung der
innerwissenschaftlichen
Netzwerke
nachgehen.
Wenn
man
die
Wissenschaft als eine Forschergemeinschaft beschreibt, die durch ihre Kommunikation sowohl einen Korpus des Wissens, auf den sich alle gemeinsam beziehen aufstellt, als auch eine disziplinäre „scientific community“ bildet, die sich von den anderen disziplinären Diskursen abgrenzt, wird die Rolle des Kommunikations-Netzwerkes
für die
Herausbildung einer stabilen, sowohl von den anderen Wissenschaftlern, als auch von dem außerwissenschaftlichen Publikum als distinkt wahrnehmbarer Disziplin sichtbar.
Zur begrifflichen Spezifizierung der „Disziplin“ Die Frage nach der Disziplinierung der Soziologie lässt sich nicht ohne eine definitorische Einschränkung, was eine Disziplin denn sei, beantworten. Rudolf Stichweh, einer der bedeutendsten deutschen Forscher auf dem Gebiet der Disziplinierung, definierte eine wissenschaftliche
Disziplin
als
„eine
Forschungsgemeinschaft
und
ein
Kommunikationszusammenhang von Wissenschaftlern und Gelehrten, der durch gemeinsame Problemstellungen und [...] durch die Entstehung effektiver Mechanismen disziplinärer Kommunikation zusammengehalten wird.“18 Stichweh geht von einem, an Niklas Luhmann angelehnten Konzept der Autopoiesis19, also einer operationellen Geschlossenheit aller gesellschaftlichen Subsysteme aus. Das wissenschaftliche System wird dadurch von den anderen abgesondert, da in diesem „die Wahrheit“ kommuniziert wird. Dieses Konzept wird hier nur mit einer geringfügigen Veränderung übernommen. „Wenn Wissenschaft eine Kultur ist, heißt das, dass die 18
Stichweh, Rudolf (1993) 'Wissenschaftliche Disziplinen: Bedingungen ihrer Stabilität im 19. und
20. Jahrhundert', in Schriewer, Jürgen et.al (Hrsg.), Sozialer Raum und akademische Kulturen: Studien zur europäischen Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert = A la Recherche de l'espace universitaire européen (Frankfurt am Main: Peter Lang): 235-250. Hier 241 19
Selbstspezifikation der Elemente des Systems, 4) System produziert auch die Elemente selbst 5) System hat Kontrolle über die Demarkation (Abgrenzung) ihrer Grenzen. Vgl. Stichweh, Rudolf (1994) Wissenschaft, Universität, Professionen: Soziologische Analysen (Frankfurt am Main: Suhrkamp), 54f
10 Wissenschaft eigene Werte und Bedeutungen kreiert und nicht lediglich solche aus anderen Sphären entlehnt“20, schrieb Lorraine Daston. Wir ersetzen also „die Wahrheit“ durch die eigens durch die Wissenschaftler festgelegten Werte21, die diese Systeme von den anderen absondern sollen.22 Was trotzdem bleibt, ist die relative Autonomie der Wissenschaft, die eigene Grenzen setzen kann und selbst bestimmt, was als wissenschaftlich gilt und was nicht. In diesem Kontext ändert sich auch die Definition der Disziplin. Sie ist nicht mehr nur durch ihren Gegenstand oder die Methode definiert, sondern wird vor allem durch Bestätigung als eine distinkte Einheit in dem System der Wissenschaft konstituiert. Es ist aber nicht nur eine interne, sondern auch externe Anerkennung: „Die Disziplin scheint als eine sehr generelle Adresse oder als ein Umschlagspunkt für alle externen Kontakte, Nachfragen und Transfers zu fungieren“23, hält Stichweh fest. Damit müssen wir auch voraussetzen, dass, um ihren Fortbestand zu sichern, eine Disziplin sowohl intern als auch extern anerkannt werden muss – zum Beispiel um die Schüler zu rekrutieren (dank interner Anerkennung), oder Forschungsaufträge zu bekommen (externe Akzeptanz). Die Frage der externen Kontakte wird im weiteren Teil, beim „Boundary Work“, behandelt. Hier will ich noch die Bedienungen der innerwissenschaftlichen Durchsetzung skizzieren. Damit eine Disziplin in der wissenschaftlichen Welt wahrgenommen wird, muss sie eine Reihe von Eigenschaften besitzen. Diese sind:24 a)
Daston, Lorraine (2000) 'Die Kultur der wissenschaftlichen Objektivität', in Oexle, Otto Gerhard Naturwissenschaft,
Geisteswissenschaft,
Kulturwissenschaft
:
Einheit
-
Gegensatz
-
Komplementarität? (Göttingen: Wallstein): 11-39. Hier 29 21
Natürlich kann auch die Wahrheit eines dieser Werte sein
22
Karl Popper wählte zum Beispiel ein logisches Kriterium, Robert K. Merton nahm soziale
Eigenschaften des Feldes – beide argumentierten aber, Wissenschaft sei etwas spezielles und besitzt Eigenschaften, die sie über anderen gesellschaftlichen Felder auszeichnet (in diesem Fall hierarchisch höher stellt und nicht bloß unterscheidet). Und beide haben sich durch die Festlegung der Kriterien der Wissenschaftlichkeit bekanntlich von den anderen „Wissensformen“ abzugrenzen: Popper von der Psychoanalyse und dem Sozialismus, Merton von der deutschen Wissenschaft 23
Stichweh, Rudolf (1993) 'Wissenschaftliche Disziplinen', 248
24
Nach, Stichweh, Rudolf (1994) Wissenschaft, Universität, Professionen, 17ff
11 b) Korpus wissenschaftlichen Wissens, das in Lehrbüchern repräsentiert ist c)
Eine Mehrzahl je gegenwärtig problematischer Fragestellungen
d) „Set“ von Forschungsmethoden, und paradigmatischen Problemlösungen e) Disziplinspezifische
Karrierestruktur
und
institutionalisierte
Sozialisationsprozesse, die der Selektion und „Indoktrination“ des Nachwuchses dienen. Diese Charakteristika könnte man auf zwei Komponente reduzieren: die „soziale Komponente“, die die Punkte A und E umfasst, und die „kognitive Komponente“ (B, C und D).25 Diese Aufzählung ist überdies nur eine statische Beschreibung eines Disziplinären status quo, und erklärt nicht hinreichend, wie es zur Konstituierung neuer Disziplinen kommt. Um von diesen Eigenschaften auf ein Modell der Entwicklung eines neuen Denkansatzes zu kommen, und dessen Institutionalisierung zu umschreiben, müssen weitere Schritte unternommen werden. Die Frage nach der „sozialen Komponente“ wird durch die Untersuchung der Netzwerke, ihrer Entstehungsgeschichte und Struktur, entsprechend behandelt.26 Das „kognitive“ Element wird in einem dynamischen Modell zur Frage von Grenzziehungen und Demarkationen – zum „Boundary Work“. Darunter verstehe ich nach Thomas Gieryn „the discursive attribution of selected qualities to scientists, scientific methods, and scientific claims for the purpose of drawing a rhetorical boundary between science and some less authoritative residual non-science”27, wobei einnzusehen ist, dass bei dem Aufkommen einer neuen Disziplin diese immer aus der Position der residualen Noch-nicht-Wissenschaft um ihre Anerkennung kämpfen muss, also das „Boundary Work“ für sie eine Frage des Überlebens ist. Erst die Anerkennung des Wissenskorpus in Form des Lehrbuches, der Methode, der neuartigen Fragestellungen
25
Krohn, Wolfgang/Küppers, Günther (1989) Die Selbstorganisation der Wissenschaft (Frankfurt am
Main: Suhrkamp), 36 26
Automatisch werden hier noch die „emotionalen Komponente” (Engagement und Verpflichtung
innerhalb einer Forschergruppe) und „reflexive Komponente“ (kollektive Gruppenidentität wird durch gegenseitige Berücksichtigung im Zuge des Forschungsprozesses – z.B. Zitation, verstärkt). Krohn, Wolfgang/Küppers, Günther (1989) Die Selbstorganisation der Wissenschaft, 36 27
Gieryn, Thomas F. (1999) Cultural Boundaries of Science: Credibility On the Line (Chicago:
University of Chicago Press), 4f
12 etc., in Verbindung mit einem kommunikativen Netzwerk, erlaubt eine erfolgreiche Institutionalisierung. Dieser Dualismus bestimmt auch die Methode dieser Untersuchung. Die Netzwerkbildung wird mithilfe der Konzepte von Nicholas Mullins28 analysiert, die Erforschung des „Boundary Work“ wird als eine begriffsgeschichtliche Diskursanalyse durchgeführt.
Diskursanalyse - Boundary Work
Der Prozess der Konsolidierung einer Disziplin lässt sich ohne ein diskursives Element der Grenzziehungen mit der Urdisziplin einerseits und den benachbarten Gebieten andererseits29 nicht verstehen. In einem System der Wissenschaften, in dem nur beschränke Ressourcen30 vorhanden sind, hat jede neue Disziplin um das soziale und kulturelle Kapital zu kämpfen, das ihr in weiterer Folge Zugang zu den angestrebten Geldern, Positionen oder Schülern erlaubt.31 In einer Analyse der österreichischen Soziologie heißt es, dass „[d]ie Herausbildung, Etablierung und Institutionalisierung der Soziologie nur unter dem Vorzeichen der prätendierten Überlegenheit einer neuen Art der wissenschaftlichen Analyse“ zu verstehen ist, und dass „diese Überlegenheit gegenüber bereits existierenden Wissenschaften ebenso beansprucht werden [musste] wie gegenüber dem Alltagswissen und dem kulturell verfügbaren Wissensfundus“.32 Diese Prozesse der
28
Mullins, Nicholas C. (1981) 'Ein Modell der Entwicklung soziologischer Theorien', in Lepenies,
Wolf (Hrsg.), Geschichte der Soziologie. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin. Band 2. (Frankfurt am Main: Suhrkamp): 69-96 29
Nicht nur den benachbarten Disziplinen, sondern auch der Populärwissenschaft (im Fall der
Soziologie zum Beispiel der Publizistik). Vgl. Dazu: Dolby, RGA (1980) 'On the Autonomy of Pure Science: The Construction and Maintenance Of Barriers between Scientific Establishment and Popular Culture', in Elias, Norbert/Martins, Herminio/Whiteley, Richard (Hrsg.), Scientific Establishment and Hierarchies. Sociology of the Sciences (Boston: D. Reidel Publishing Company): 267-292 30
Hier: Lehrstühle, Forschungsgelder, Stipendien, etc.
31
Bourdieu, Pierre (1998) Vom Gebrauch der Wissenschaften. Für eine klinische Soziologie des
Mozetič, Gerald/Kuzmics, Helmut (2003) Literatur als Soziologie: Zum Verhältnis von literarischer
und gesellschaftlicher Wirklichkeit (Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft), 20
13 Demonstration der Überlegenheit nenne ich hier nach Thomas Gieryn „Boundary Working“.33 Sie bestehen aus (vor allem rhetorischen) Kämpfen um die Durchsetzung des eigenen Konzeptes der Wissenschaft/Wissenschaftlichkeit, um durch diese Zuschreibung die Ressourcen zu sichern. Da die Wissenschaft nicht nur in der Verfügungsgewalt der Wissenschaftler steht, sondern diese von der Außenwelt abhängig ist, verwendet Gieryn die von Andrew Abbott vorgeschlagenen Plätze des Konfliktes um professionelle Anerkennung – die Arenen: „legislative and court“, „world of media and publicity“, „work site of professional public“.34 Erst die Durchsetzung in allen Arenen bedeutet eine Anerkennung der Professionalität und Zugang zu notwendigen Ressourcen. Im Falle der Wissenschaftler bedeutet das die Bestätigung ihrer Wissenschaftlichkeit, Teilnahme an der „scientific community“ und Zugang zu externen Kapitalquellen. Um die Anerkennung zu finden, muss das sich neu konstrukturierende Feld seine „credibility“ bei der Bewältigung von aufgestellten Problemen beweisen. Die Wissenschaften haben für ihr System die Zuschreibung von „credibility“ in der Form der Anerkennung bzw. Ablehnung in den Rezensionen und Artikeln institutionalisiert.35 Wer positive Rezensionen bekommt, dessen „Wissenschaftlichkeit“ wird in der „scientific community“ anerkannt. Wer aber durchwegs mit ablehnenden Besprechungen zu kämpfen hat, wird durch diese stigmatisiert und zum Außenseiter im wissenschaftlichen Betrieb. Der wichtigste Unterschied in diesem Modus ist, dass im Unterschied zu anderen Demarkationsideen (Karl Popper
(1902-1994), Imre Lakatos (1922-1974), Robert K.
Merton (1910-2003)), die Rolle der epistemologischen Inhalte in den Hintergrund geriet. Diese werden zwar in dem Diskurs angesprochen, aber sie sind für den Verlauf der Demarkation nicht entscheidend – sie bleiben nur ein Argument von vielen, das sich gegen andere durchsetzen hat müssen. Dieses Modell hat also keine festen Kriterien, wie die „klassischen“ wissenschaftstheoretische Entwürfe, wo man aufgrund logischer Kriterien über Wissenschaftlichkeit entscheiden konnte, sondern erklärt sie aus den zu gegebener Zeit in einer gegebenen „community“ herrschenden Regeln. 33
Gieryn, Thomas F. (1999) Cultural Boundaries of Science
34
Diese Arenen können allerdings ausgetauscht und durch andere ersetzt werden. Vgl. Small, Mario
L. (1999) 'Departmental Conditions and the Emergence of New Disciplines: Two Cases of the Legitimation of African-American Studies', Theory and Society 28: 659-707. Hier 667 35
Gieryn, Thomas F. (1995) 'Boundaries of Science'
14 Die erfolgreiche Durchsetzung in zwei anderen Arenen folgt einem ähnlichen Muster, wobei die Strategien unterschiedlich sind. In der Arena der „publicity“ sind es verkaufte Buchexemplare und Präsenz in den populärwissenschaftlichen Zeitschriften, die einer Anerkennung gleich kommen. In der juridischen Arena ist die juristische Anerkennung der Profession als Ziel vorgeschrieben. Für die Wissenschaftler bedeutet das vor allem die Errichtung neuer Professuren, oder die Konstituierung einer neuen Studienrichtung – insofern diese von den staatlichen Organen ausgeht, was in Österreich der Fall war. Anknüpfend an Gieryn hat zum Beispiel Mario L. Small die Geschichte der AfricanStudies in den USA aufgezeichnet und ließ dabei die epistemologischen Inhalte aus, sich konzentrierend auf die finanziell-juristischen Probleme und willkürlich erscheinenden Entscheidungen innerhalb einzelner Universitäten.36 Nico Stehr und Reiner Grundmann zeigten, dass John Maynard Keynes (1884-1946) „the notion of the complexity of social phenomena [...] as a symbolic and useful rhetorical weapon”37 im Kampf um Durchsetzung seiner sozialwissenschaftlichen Analysen erfolgreich anwendete, und dass eher diese Strategie als seine wissenschaftliche Überlegenheit für seinen Erfolg ausschlaggebend war. Für den Fall der Soziologie können wir ebenfalls ein entsprechendes Netz der Kontroversen in den Grenzbereichen aufzeigen, die mit der „credibility“ zu tun hatten: etwa die Frage der besseren Kompetenz zur Lösung des Nationalitätenproblems als die Staatswissenschaften, oder den Konflikt zwischen der Soziologie des Rechtes (Eugen Ehrlich) und der reinen Rechtslehre (Hans Kelsen).38 Obwohl die Frage der expliziten Konflikte nicht im Zentrum meiner Arbeit steht, werde ich an plakativen Beispielen zeigen, wie die Vertreter der neuen Disziplin ein „Boundary Work“ betrieben, und wie die
36
Small, Mario L. (1999) ‘Departmental Conditions and the Emergence of New Disciplines’
37
Stehr, Nico/Grundmann, Reiner (2001) 'The Authority of Complexity', The British Journal of
Sociology 25/2: 313-329. Hier 314. (Meine Hervorhebung – J.S) 38
Als ein Beispiel für einen Konflikt auf dem akademischen Feld zwischen zwei benachbarten
Disziplinen und den Strategien der diskursiven Grenzziehungen steht die Auseinandersetzung Pitrim Sorokins (1889-1968) (sociology) mit Richard Cabot (1868-1939) (social ethics) in Harvard, In: Nichols, Lawrence T. (1992) 'The Establishment of Sociology at Harvard', in Elliott, Clark A./Rossiter, Margaret W. (Hrsg.), Science at Harvard University: Historical Perspectives (London, Toronto: Associated University Press): 191-223
15 Ergebnisse dieser Konflikte die Weiterentwicklung der Soziologie mitentschieden haben. Die Felder (Arenen) werden nicht analog zu den von Abbott vorgeschlagenen, sondern entsprechend dem Wissenschaftsumfeld gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts definiert. Die wichtigsten Arenen sind die Universitäten, da sie in den deutschsprachigen Länder für eine erfolgreiche Etablierung neuer Disziplin bestimmend sind.39 In weiterer Reihenfolge werden die Einrichtungen der Popularisierung der Wissenschaft – hier vor allem die Gesellschaften für Soziologie, die Volksbildung und die Publizistik- behandelt. Da mir zur Zeit der Fertigstellung der Arbeit die genaue Rekonstruktion des dritten Feldes unmöglich war, bleibt der Bereich der offiziellen Arena – wie zum Beispiel Auseinandersetzungen über Neuorganisation des Studiums, parlamentarische Debatten über Sozialdemokratie40 usw. – unbehandelt. Die Frage des „Boundary Work“, wie ich sie hier dargestellt habe, lässt sich im breiteren Rahmen als eine Spezialfrage der Diskursanalyse denken. Unter Diskurs verstehe ich hier einen „Fluss von Wissen bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit“ 41 mittels semantischer Konnotationen. So erhärtete Sprachinhalte bestimmen und verfestigen das Handeln der in dem Wirkungsbereich des Diskurses sich befindlichen Personen und üben in dieser Art und Weise Macht aus.42 Allerdings beeinflusst der „Kontext“ wiederum den „Text“, und die Besetzung des Begriffes wandelt sich in der Zeit. Im Zentrum steht hier also die Relation zwischen dem Begriff und der Realität, in der er verwendet wird. Besonders wichtig in diesem Kontext ist die Frage wer, und wer nicht, warum, bzw. warum gerade dieser und nicht der andere Begriff für die Darstellung jeweiliger Aktivität gewählt wird. In weiterer Folge wird auch gefragt, mit welchen Synonymen gearbeitet 39
Ein gutes Beispiel für die unterschiedliche Bedeutung des Universitären Feldes in Frankreich,
Deutschland und in den USA liefert Joseph Ben-David in: ders. (1984 [1971]) The Scientist's Role in Society: A Comparative Study (Chicago, London: University of Chicago Press) 40
Wie ich zeigen werde, sind Soziologie und Sozialismus, sowohl auf persönlicher als auch
kognitiver Ebene, in einem sehr nahen Verhältnis gestanden, und dieses schlägt auch in politischen Debatten durch 41
Jäger, Siegfried (2001) 'Theoretische und methodische Aspekte einer kritischen Diskurs- und
Dispositivanalyse', in Keller, Rainer/Hirseland, Andreas/Schneider, Werner/Viehöver, Willy (Hrsg.), Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Bd. 1. Theorien und Methoden (Opladen: VS Verlag für Sozialwissenschaften): 81-112. Hier 82 42
Ebda.
16 wird, und – ob die Synonyme für die einen, Antonyme für die anderen darstellen, und warum. Entscheidend ist hier aber die Definition des Feldes des Diskurses – analog zu der von mir oben vorgenommenen Autonomisierung der Wissenschaft wird ein Diskurs eben auch dieser eigen – wobei es sich auch mit anderen oben definierten Arenen überlappt. Die zentrale Position der Arena der Wissenschaft entfließt einerseits meiner Fragestellung, andererseits aber den Bemühungen der behandelten Akteure, deren erklärtes Ziel es war, Soziologie als eine anerkannte akademische Disziplin zu etablieren. Die im Kontext dieser Untersuchung wichtigste Frage betrifft die sprachliche Besetzung des Wortes Soziologie. Diese Comtesche horrible dictu wurde durch seine und unmittelbar nachfolgende Publikationen (etwa Herbert Spencer (1820-1903)) mit einem Set von Eigenschaften besetzt, und es war eine Entscheidung jedes einzelnen Wissenschaftlers, ob er durch seine Begriffswahl in den soziologischen Diskurs explizit einbezogen werden will, oder durch sprachliche Absonderung sich von diesem distanziert. Obwohl sich das Wort „Soziologie“ sehr schnell durchgesetzt hat, existierten sehr lange mehrere Synonyme, wie etwa die nahliegenden „physique sociale“, „soziale Statik“ und „Gesellschaftslehre“, oder etwas in ihrer Bedeutung mehr entfernte „Sozialpolitik“, oder „Sozialwissenschaft“: diese wurden mit Soziologie oft abwechselnd verwendet, aber auch durchaus als ihre Gegensätze – abhängig vom jeweiligen Gelehrten und seiner wissenschaftlichen Ausrichtung. Die Bedeutung des Wortes „Soziologie“ in Österreich kann man sich sehr schnell veranschaulichen, wenn man die Publikationen Lorenz von Steins (1815-1890) analysiert und sich dabei sein Beharren auf der Gesellschaftslehre vor Augen führt43, oder die Grenzziehungsprozesse Othmar Spanns (1878-1950) untersucht. Auch wenn die Gesellschaftslehre und Soziologie oft analog verwendet worden sind (etwa von Wilhelm Jerusalem
(1854-1923),
„[drückt]
die
damals
übliche
Fachbezeichnung
[...]
'Gesellschaftslehre' und die Wortwahl, [...] mehr Distanz zur Soziologie aus, als man
43
Siehe Gumplowicz, Ludwig (1889) '[Besprechung von]: von Stein, Lorenz: Verwaltungslehre und
Sociologie. Handbuch der Verwaltungslehre ' Grünhuts Zeitschrift 16: 705-714
17 vermuten würde.“44 Die Daseinsberechtigung des französischen Neologismus gegenüber dem deutschen Begriff war lange hart umkämpft und auch für die verspätete Etablierung der Soziologie als akademische Disziplin mitverantwortlich. Der Definition der Disziplin folgend verstehe ich die kognitiven Elemente jeder Wissenschaft als einen an ihre Selbstbezeichnung angehafteten Diskursstrang. 45 Die Gesamtheit der Diskursstränge bildet den Diskurs der Wissenschaft. Da die Wissenschaft ein autopoietisches System ist, ist die Festlegung, was als Teil des wissenschaftlichen Diskurses gilt, und was ausgeschlossen bleibt, die Sache der bereits anerkannten Akteure, dass heißt, dass jede sich neu konstituierende Disziplin die zu gegebenem Zeitpunkt akzeptierten Kriterien erfüllen muss, ergo muss dieses Kriterium auch dem Diskursstrang zugeschrieben werden, also vor allem der Selbstbezeichnung der Disziplin. Wenn wir diese Argumentation mit den Kriterien von Stichweh verbinden, muss das zum Rang der Disziplin
aspirierende
Paradigma,
einen
kodifizierten
Wissensvorrat,
aktuelle
Fragestellungen und distinkte Forschungsmethoden besitzen, und diese auch gegenüber bereits bestehenden Disziplinen durchsetzen, um an dem wissenschaftlichen Diskurs teilzunehmen.46 Um bei dem Beispiel Soziologie zu bleiben: sie hatte zwar durch die Forschungen von Comte und Spencer bereits Anerkennung gefunden, musste sich aber als eine „französische“ Wissenschaft erst gegenüber der „deutschen“ Gesellschaftslehre47 durchsetzen, dann kam die Kodifizierung in Form der Festlegung an Form (Methode/Disziplin/Metadisziplin)
und
Inhalt
(Gegenstand
der
Forschung
–
Gesellschaft/Volk/Gruppe etc.), und sie musste ihre Methoden und Fragestellungen
44
Fleck, Christian (1988) 'Vertrieben und vergessen: Ein Überblick über die aus Österreich
emigrierten Soziologen', in Langer, Josef (Hrsg.), Geschichte der österreichischen Soziologie: Konstituierung, Entwicklung und europäische Bezüge (Wien: Verlag für Gesellschaftskritik): 257-278 45
Das heißt thematisch einheitliche Diskursverläufe. Vgl. Jäger, Siegfried (2001) 'Theoretische und
methodische Aspekte einer kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse', 97 46
Diese kognitive Ebene funktioniert natürlich nicht ohne entsprechende Träger des Spezialdiskurses
d.h. den „sozialen Komponenten“ 47
Dieser Dualismus französischer und deutscher Wissenschaft verwendete auch Émile Durkheim in
seiner Besprechung von Gumplowicz' Grundriss der Soziologie. Durkheim, Émile (1975 [1885]) 'La Sociologie selon Gumplowicz', in Durkheim, Émile (Hrsg.), Textes I. Éléments d’une théorie sociale. Présentation de Victor Karady (Paris: Éditions de Minuit): 344-354
18 gegenüber anderen Disziplinen (Sozialstatistik, Staatslehre, Nationalökonomie etc.) verteidigen, um dann schließlich als eine Disziplin anerkannt zu werden.
Netzwerke Das Konzept des Diskurses wird in meinem Design stärker personenbezogen vorgestellt als es in diskursanalytischen Modellen der Fall ist. Einerseits werde ich eine Gruppe der Akteure umreißen, die in den Diskurs einbezogen sind, andererseits will ich auch zeigen, welche ihre Argumente waren, und welches Verständnis des Faches Soziologie sie hatten. Eine Disziplin, so wie sie oben definiert wurde, besteht nicht nur aus dem distinkten, wahrnehmbaren Diskurs-Strang innerhalb des wissenschaftlichen Systems, sondern auch aus einer „scientific community“, die den neuen Denkstil vertritt. Nur durch die Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern, die Entwicklung eines Schülerkreises, und einer Kritikergruppe, wird eine Paradigma zur etablierten Disziplin. Um diesen Prozess auf der Kommunikations-Ebene darzustellen, werde ich hier das Konzept der Netzwerke verwenden. Der Begriff Netzwerk wird als eine Menge von Akteuren und ihren Beziehungen verstanden, wobei die Beziehungen und die Akteure zwecks Analyse trennbar sein müssen.48 In dem Kontext des Wissenschaftlichen Feldes sind die Zitationsmechanismen,
Konferenzen
und
Vorträge
in
den
Fachverbänden/Fachorganisationen die wichtigsten Felder der Kommunikation. In weiterer Folge werden persönliche Kontakte in den Lehrveranstaltungen, die für die Etablierung einer Schule notwendig sind, ebenfalls in das Konzept einbezogen. Nicholas Mullins (1981) hat ein idealtypisches Modell der Entwicklung einer wissenschaftlichen Disziplin beschrieben, das sich auf die Kommunikationsebene konzentriert und so die Entwicklung von einer Paradigmagruppe zum Stadium der Spezialdisziplin beschrieben. In Verbindung zu den theoretischen Annahmen, die ich im oberen Abschnitt gemacht habe, scheint dieses Modell am besten geeignet zu sein, um eine Disziplinentwicklung auf der interpersonellen Ebene zu zeichnen. Mullins beschreibt vier Stadien, durch die jede Disziplin durchgehen muss, bevor sie sich etablieren kann.49
48
Holzer, Boris (2006) Netzwerke (Bielefeld: transcript Verlag), 34f
49
Mullins, Nicholas C. (1981) 'Ein Modell der Entwicklung soziologischer Theorien'
19 1.
Paradigmagruppe: Entspricht der intellektuellen Übereinstimmung der aus
unterschiedlichen Wissensgebieten stammenden Forscher50, die zwar noch innerhalb des Stadiums “normaler Wissenschaft“51 forschen, aber mit einer neuen Sichtweise auf ein bestimmtes Problem. Die Kommunikationsstruktur kann mit einem „invisible college“ eines jeden Wissenschaftlers identifiziert werden, also einer losen informellen Kommunikationsgemeinschaft. Es werden keine oder nur wenige Lehrer-Schüler Verbindungen geknüpft und keine Schülergruppen ausgebildet. Die das neue Paradigma betreffende Literatur wird von wenigen Personen52 veröffentlicht, die sich meistens auch in unterschiedlichen Institutionen befinden. Durch die noch nicht wahrnehmbare Eigenständigkeit haben die Forscher auch keine fest umrissene Kritikergruppe. 2.
Das Netzwerk Stadium: Wird vor allem durch Auftauchen anregender
intellektueller Produkte53, um die herum sich verschiedene Forscher sammeln, hervorgebracht. Die Akzeptanz seitens der Kritiker und Konsens innerhalb der Gruppe bezüglich der Fragestellung und/oder Methode werden stärker. Die Intensität von Verbindungen zu Wissenschaftlern, die außerhalb des neuen Paradigmas stehen, nimmt ab und die Abgeschlossenheit der Gruppe zu. Es kommt zur Verdichtung der Kontakte und Intensivierung von Lehrer-Schüler Beziehungen. Es werden erste Abmachungen
50
Weingart, Peter (2003) Wissenschaftssoziologie (Bielefeld: transcript Verlag), 46
51
Kuhn, Thomas S. (1976) Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (Frankfurt am Main:
Suhrkamp) 52
Auch “Forerunners” genannt, vgl. Clark, Terry N. (1972) 'The stages of scientific
institutionalization', International Social Science Journal XXIV: 658-671, und ferner: Eisenstadt, Samuel Noah/Curelaru, Miriam (1976) The Form of Sociology - Paradigms and Crises (New York, London, Sydney, Toronto: John Wiley & Sons), 22f, wo unter anderem Lorenz von Stein zu den “Forerunners” angerechnet wird. 53
Nach Thomas Kuhn und Robert Geiger könnte man sie Musterbeispiele (exemplars) nennen: Sie
sind „konkrete wissenschaftliche Leistungen, die von einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft eine zeitlang als Grundlagen für ihre weitere Arbeit anerkannt werden“ (Geiger, Robert (1981) 'Die Institutionalisierung soziologischer Paradigmen. Drei Beispiele aus der Frühzeit der französischen Soziologie', in Lepenies, Wolf (Hrsg.), Geschichte der Soziologie. Band 2: 137-156. Hier 139. Ebendort, 150 wird „Le Suicide“ von Émile Durkheim als solches Musterbeispiel beschrieben.
20 über Regeln und Stil der Forschung getroffen. Aus diesem Konsens sollen Ergebnisse herausfließen, die später den Übergang zum Cluster-Stadium bedeuten würden. 3.
Das Cluster-Stadium: Besteht aus drei oder mehr Fachleuten, die ihre Interessen
gegenseitig verstärken, plus graduierten Studenten, die bereits das neue Paradigma übernehmen. Dieses Stadium ist von den Rekrutierungsmöglichkeiten abhängig, was eine starke institutionelle Verankerung nötig macht. Es wird intensiv an der Identitätsbildung gearbeitet.54 Außenkontakte zu Wissenschaftlern in ähnlichen Bereichen werden intensiviert, dagegen werden die Kontakte mit anderen Disziplinen schwächer. Die Gruppe wird auch von außen wahrgenommen; sie wird intensiver beobachtet und beschrieben. Abweichungen zu der „Urdisziplin“ wird immer offenbarer. Es ergeben sich folgende Entwicklungsmöglichkeiten: 1. „Elitäre Gruppe“ – die Wissenschaftler werden an die Spitze der „Urdisziplin“ gestellt und durch Anziehen neuer Schüler die Mutterdisziplin verändert. 2. „Revolutionäre“ – die Vertreter des neuen Paradigmas werden als gefährlich oder unsinnig angesehen, ihre Ideen werden zurückgewiesen, die Gruppe wird eingekapselt und immer mehr von der Mutterdisziplin isoliert. Sie kann absterben oder bei genügender Mobilisation der Studenten sich als neue Disziplin herauskristallisieren. 4.
Das Stadium der Spezialdisziplin: Die Schüler werden selbst erfolgreich und auf
neue Forschungsstätten geschickt. Die Verbreitung kann eine langsame Auflösung der Kommunikation bedeuten, die allerdings keine Bedrohung für die bereits etablierte Disziplin mehr darstellt. Immer stärkere Institutionalisierung in Form von Zeitschriften und neuen Positionen. Die Studenten bilden auch abweichende Interessen aus, diese werden kritisiert und zum Zurück zur Reinheit der Theorie angewiesen. Es werden Lehrbücher, die die „reine Theorie“ des Spezialgebietes darstellen sollen, publiziert, um die Homogenität zu gewährleisten.
Mullins bindet die erfolgreiche Entstehung einer Disziplin einerseits an ihre Fähigkeit, eine Homogenität innerhalb der Reihen zu bilden und sich so von der Mutterdisziplin
54
z.B. durch die Interaktionsrituale (Goffman): vgl. Collins, Randall (1988) The Sociology of
Philosophies. A Global Theory of Intellectual Change (Cambridge, London: The Belknap Press of Harvard University Press), bes. 7, 22f
21 abzusondern, anderseits an ihren Erfolg, die Schüler zu rekrutieren und so den eigenen Fortbestand zu sichern. Die Frage der gegenseitigen Anerkennung kann man durch das gegenseitige Zitieren operationalisieren. Durch das häufige Zitieren entstehen die Cluster von Co-Zitationen, die von gemeinsamer Beachtung zeugen 55 und auch auf die Kanonisierung eines bestimmten Wissensbestandes hinweist. Falls die Zitations-Cluster von Dritten wahrgenommen und
als zugehörig zu einem bestimmten Paradigma
angesehen werden, weist das auch schon die Existenz des jeweiligen Forschungsfeldes auf.56 Den Schlusspunkt bildet hier die Erstellung eines von möglichst vielen Mitglieder des Denkkollektives anerkannten Lehrbuches (auf das häufigst Bezug genommen wird), was bereits Ludwik Fleck (1896-1961) als eine Notwendigkeit in dem Prozess der Institutionalisierung eines Denkstiles anerkannte: „[i]m geordneten System einer Wissenschaft, wie ein Handbuch es darstellt, erscheint eine Aussage eo ipso viel gewisser, viel bewiesener als in der fragmentarischen Zeitschrift-Darstellung. Sie wird zu einem bestimmten Denkzwang.“57 Dieses wird also auf diskursiver Ebene in mehreren Arenen bedeutender als die früher fragmentarischen Wissenselemente, vor allem, weil es in einer geordneten, synthetischen Form erscheint, aber auch, weil es als Lehrbuch einen Anspruch erhebt, dass ein Forschungsfeld bereits einen bindenden und anerkannten, das heißt „wahren“ (im Sinne der Intersubjektivität) Korpus des Wissens besitzt. Eine entwickelte Reihe von Kritiker (wichtig – nicht bloß Rezensenten), die das neue Paradigma anfechten, weist ebenfalls auf ihre Beständigkeit hin. Die „Kritik als Legitimation“58 bedeutet, dass die neue Richtung bereits bestimmte Konturen und Grundcharakteristika ausweist, die von Nicht-Teilnehmern als eigenständige und als kritikwürdige identifiziert worden sind, und die äußere Kritik wirkt stärkend auf das WirGefühl. Diese Deutungsweise der externen kritischen Anerkennung ist auch in anderen
55
Halten wir noch fest, dass „der intrakollektive Denkverkehr ipso sociologico facto – ohne Rücksicht
auf den Inhalt
und die logische Berechtigung – zur Bestärkung der Denkgebilde führt“ (meine
Hervorhebung – J.S.). Fleck, Ludwik (1980 [1935]) Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache: Einführung in die Lehre von Denkstil und Denkkollektiv (Frankfurt am Main: Suhrkamp), 140 56
vgl. Small, Henry/Sweeney, E. (1985): Clustering the Science Citation Index using Co-Citations.
Fleck, Ludwik (1980 [1935]) Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 160
58
vgl. Krohn, Wolfgang/Küppers, Günther (1989) Die Selbstorganisation der Wissenschaft
22 Kontexten virulent: die Abwesenheit der Witze über Soziologie wird noch jetzt als ein Beweis für das Fehlen von charakteristischen Eigenschaften der Disziplin verstanden.59
Die Auswahlkriterien Da es zur Zeit der Jahrhundertwende noch kein etabliertes Forschungsfeld „Soziologie“ gegeben hat, ist die Frage der in die Untersuchung einbezogenen Personen vital. Man könnte die Analyse des Feldes mit Adam Müller (1779-1829)60, Gustav Adolph Lindner (1828-1887)61 oder Lorenz von Stein beginnen, deren Denkstil als soziologisch anerkannt wurde. Oder gar mit den Stadtuntersuchungen des 15. Jahrhundert oder „Kameralisten“ wie Philipp Wilhelm von Hoernigk (1640-1714), die methodisch nahe an die Soziologie herankommen.62 Oder nach formellen Kriterien vorgehend mit Ludwig Gumplowicz, der als erster explizit soziologische Publikationen verfasste. Für die Österreichische Soziologie hat Christan Fleck in seiner Studie „Rund um Marienthal“ die Methode der Zuschreibung, wer ein Soziologie sei und wer nicht, wesentlich verfeinert, und das Wort „Selbstverständnis“ als Kriterium seiner Auswahl eingeführt, wobei die Kriterien dieser Zuschreibung nicht immer klar sichtbar blieben. In meinem Beitrag wird auch diese Methode, mit kleinen Korrekturen versehen, fortgeführt. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Personen, die sich als Soziologen verstanden haben, und dieses entsprechend in ihren Beiträgen artikulierten. Da es sich aber um eine 59
Diekmann, Andreas (2000) 'Soziologie und Nachbardisziplinen. Standortbestimmung und
Perspektiven', in Funken, Christiane (Hrsg.), Soziologischer Eigensinn: Zur "Disziplinierung" der Sozialwissenschaften (Opladen: Leske + Budrich): 77-88 60
Ein Diplomat in Diensten der österreichischen Monarchie. In seinen Schriften, allen voran in
„Elementen der Staatskunst“, setzte er sich deutlich von dem Rationalismus und Individualismus ab. Sein Staat wird an Gott zurückgeführt, die Gesellschaft basiert dagegen an der „Gegenseitigkeit“ und „Gezweiung“. Vgl. Prischnig, Manfred (2000) 'Politische Theorie', in Acham, Karl (Hrsg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Band 3.2: Menschliches Verhalten und gesellschaftliche Institutionen: Wirtschaft, Politik und Recht (Wien: Passagen Verlag): 261-340. Hier 302 61
Autor des Buches „Ideen zur Psychologie der Gesellschaft als Grundlage der Socialwissenschaft”
das 1871 erschien. vgl. Menzel, Adolf (1938) Grundriss der Soziologie (Wien, Leipzig: Rudolph M. Rohrer ), 74f 62
Rosenmayr, Leopold (1966) 'Vorgeschichte und Entwicklung der Soziologie in Österreich bis
1933', Zeitschrift für Nationalökonomie XXVI: 268-282. Hier 270
23 Analyse der Diskurses handelt, wird der berücksichtigte Personenkreis nicht nur die normalerweise im Zentrum der Untersuchungen stehenden Wissenschaftler wie Gumplowicz, Ratzenhofer oder Jerusalem umfassen, sondern wird das Netzwerk der teilnehmenden Akteure um die Personen, deren Rolle in der Disziplingeschichtsschreibung bis dato wenig Platz eingenommen hat, erweitert:
-
die „Nicht-Soziologen“ die aber zu soziologischen Themen das Wort ergriffen – als
Beispiele des „Boundary Work“ (Karl Theodor Inama-Sternegg (1843-1908), oder methodischen Beiträgen (Franz Žižek (1876-1938)), -
die Personen, die im Umfeld der Disziplin gestanden sind, und durch ihre
Handlungen den Diskurs beeinflusst haben – wie zum Beispiel Mitglieder der Wiener Soziologischen Gesellschaft, oder Ordinarien an den jeweiligen Universitäten, -
die ausländischen Gelehrten: erstens im Sinne der Identitätsbildung, aber auch, da
der österreichische Diskurs sehr stark an den deutschen angelehnt war, als mächtige Diskursstimmen, -
die Personen, deren Werke in der Untersuchungsperiode als soziologische Beiträge
bewertet wurden (etwa Lorenz von Stein), zu ihrer Ausgabezeit aber als solche nicht benannt wurden, werden hier im Sinne der historischen Identität einer Disziplin einbezogen.63
Wie aus dieser Aufzählung hervorging, wird hier von einem starren Korpus ausgegangen, der als zentraler Punkt des Diskurses gewertet worden ist, und um den es eine Reihe weiterer Akteure gibt, deren Beiträge ein gewichtiges Umfeld des Nukleus bilden. Unterschieden wird hier nach den zentralen Personen, und noch solchen, die abseits des Mainstream gestanden sind, und trotzdem durch ihr Vorhandensein für den Gang des Diskurses mitentscheidend waren. Die zentralen Personen sind vor allem die Universitätsgelehrten – Ludwig Gumplowicz, Wilhelm Jerusalem, Ludo Moritz Hartmann (1865-1924) (etc., aber auch Privatgelehrte wie Rudolf Eisler (1873-1926), oder Rudolf Goldscheid (1870-1931). Im Umfeld stehen so unterschiedliche Personen wie Anton
63
Lepenies, Wolf (1981) 'Einleitung. Studien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität der
Soziologie'
24 Menger (1841-1906), Thomas Masaryk (1850-1937), Ignatz Kornfeld, oder Karl H. Brunner (1887-1960). Die Rolle und die Bedeutung einzelner Personen für den Diskurs wird im Laufe der Arbeit näher erörtert. Explizit ausgelassen wurden die Gelehrten aus den Teilen der Monarchie, die zwar offiziell „österreichische Soziologen“ gewesen sind, aber in dem österreichischen deutschsprachigen Diskurs nicht als solche vorkommen. Nebenbei sei nur bemerkt, dass die Soziologie in der „Peripherie“ oft schneller anerkannt worden ist als in Österreich. So wurde die erste Soziologische Gesellschaft der Monarchie – Társadalomtudományi Társaság, 1901 in Budapest gegründet, und die erste Professur für Soziologie wurde an der Jagiellonnen-Universität in Krakau 1910 an der Theologischen Fakultät (!) an den Priester Kazimierz Zimmermann (1874-1925), vergeben.64 Für die Beschreibung der Rolle die für die Soziologie zentralen Personen will ich hier noch eine von Christian Fleck entwickelte, soziologische, an Robert K. Merton65 angelehnte, Typologie der Organisationspersonen erweitern.66 Ausgehend von den zwei Dichotomien: Kristallisiert/Fragmentiert (hier als Dimensionen der „Disziplinierung“ einer Disziplin) vs. Dimensionen des Selbstverständnisses der Forscher (bei Fleck „Sozialorganisation“): Professionell und Tribal67, kann man nach Fleck die Rolle einzelner Wissenschaftler für die Disziplinierung eines Paradigma beantworten.
64
Die Berufung von Zimmermann, der ein katholischer Ökonom war, und dessen erste soziologische
Publikation „Moja Pani. Studium z natury. Przyczynek do psychologii księżych gospodyń” [Meine Frau. Eine Studie aus Natur. Einführung in die Psychologie der Pfarrerköchinnen] mit Gelächter aufgenommen wurde, wurde in Krakau heftigst kritisiert. Auf die Nachricht, seine Vorlesungen würde für alle Höher der Universität verpflichtend sein brach sog. „Zimmermaniada“ aus – mehrmonatige Proteste der liberalen und sozialistischen Studenten in Krakau und Lemberg, die eine Schaffung des Lehrstuhles für Soziologie an der philosophischen Fakultät gefordert haben. Kraśko, Nina (1996) Instytucjonalizacja socjologii w Polsce 19201970 (Warszawa: PWN), 33 65
Merton, Robert K. (1972 [1942]) 'Wissenschaft und demokratische Sozialstruktur', in Weingart,
Peter (Hrsg.), Wissenschaftssoziologie 1. Wissenschaftliche Entwicklung als sozialer Prozeß (Frankfurt am Main: Athenäum Fischer) 66
Fleck, Christian (2000) 'Fragmentierung, Tribalismus und das Streben der Soziologen nach
Statusgewinn', in Funken, Christiane (Hrsg.), Soziologischer Eigensinn: 49-64 67
Entspricht Universell/Partikular bei Merton.
25 Tabelle 1: Verhältnis von Disziplinierung und Sozialorganisation. 68
Sozialorganisation Professionell
Tribal
Kristallisation
A
B
Fragmentierung
C
D
Disziplinierung
Die Typen die mit B und D bezeichnet werden, akzeptieren nur das, was von ihnen bzw. ihresgleichen stammt, und ignorieren andere Erkenntnisse – die Beispiele wären hier Othmar Spann, oder Theodor W. Adorno. Dadurch wirken sie für die Gesamtdisziplin eher zerstörerisch – sie können aber für ihre Schule durchaus förderlich sein, wie wir am Beispiel Spanns sehen werden. Ihre Gegensätze – A und C, sind Integrationsfiguren, die entweder zur Zementierung einer Disziplin beitragen, oder in dem bereits abgegrenzten Gebiet nicht nur ihre eigene Sichtweise oder eigene Schule fördern, sondern sich für den Fortbestand der Disziplin als Ganzes einsetzen.69 Diese Personen-Typologie wird dann im weiteren Verlauf der Arbeit bei der Frage nach den (möglichen) Knotenpunkten und zentralen Gestalten des Diskurses dazu dienen, ihren Beitrag zur Fortsetzung des disziplinären Denkens, oder den von ihnen geförderten Brüche, die die frühere „Soziologie“ in ihrem Erfolgslauf hinderte, zu untersuchen.
Die Quellenlage Die Arbeit stützt sich vor allem auf die in dem angegebenen Zeitrahmen herausgegebenen Bücher und die in den Zeitschriften gedruckten Artikel und Rezensionen. Es wurden sowohl die wichtigsten österreichischen, wie auch deutschen Fachjournale analysiert, die in den Fachkreisen die größte Leserschaft fanden. Ausgeschlossen blieben die Publikationen in den Fremdsprachen (insofern auf diese nicht in dem österreichischen Diskurs Bezug genommen wurde), und die Beiträge aus der „Neuen Freien Presse“, einem damals sehr wichtigen (auch populärwissenschaftlichen) Medium. Die Analyse dieser 68
Ebda., 61
69
Nach: Ebda., 61
26 Beiträge, die für ein breiteres Publikum gedacht waren, hätten meines Erachtens den Erkenntnisgewinn in Bezug auf die zentrale Fragestellung nicht wesentlich erweitert, und die genaue Analyse der soziologischen Abhandlungen in der NFP würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die Untersuchung der öffentlichen Durchsetzung wird vor allem am Beispiel der Wiener und Grazer Soziologischen Gesellschaften vorgenommen, wobei der Schwerpunkt hier in Richtung innerwissenschaftlichen Diskurs liegt. Hier wird auch teilweise über die Zeitperiode hinaus analysiert, um die Idee, die die beiden Vereine für die Soziologie hatten, besser veranschaulichen zu können. Für die an den Universitäten tätigen Personen wird auch deren Lehre nachgegangen und auch ein Teil der Verwaltungsakte angeführt, die ein Bild über deren Tätigkeit und die von ihnen angetroffenen Schwierigkeiten geben, insofern sie für die Institutionalisierung der Soziologie Bedeutung haben. Die biographischen Daten werden nur in den Fällen angeführt, in denen die einzelnen Biographien auf die Karriere Einfluss hatten (Gumplowicz), Schulenbildung an der Universität veranschaulichen (Friedrich von Wieser (1851-1926), Adolf Menzel (18571938), Othmar Spann), oder wichtige Fakten für die Analyse der Rezeption bilden (Goldscheid, Ratzenhofer).
27
Der kulturgeschichtliche Hintergrund Die Frage nach dem Aufkommen der Soziologie ist inhärent mit ihrem Selbstverständnis verbunden. Allgemein wird das Aufkommen der Soziologie mit den Phänomenen der bürgerlichen Gesellschaft und Industrialisierung verbunden. Dagegen kann man allerdings anführen, dass es eine sich aus der Romantik entwickelnde Gesellschaftslehre gibt, die gerade durch das Gegenteil hervorgerufen worden ist, und auch „soziologische“ Themen im Mittelpunkt hatte. Wenn für die Soziologie Henri de Saint-Simon (1760-1825) , Auguste Comte (1798-1857), Herbert Spencer oder Émile Durkheim als Gründerväter angeführt werden, sind es für die Gesellschaftslehre Adam Müller, Bruno Hildebrand (1812-1878) oder Karl Knies70 (1821-1898), die das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft – also eine genuin soziologische Fragestellung, untersuchten. Die starken Auswirkungen dieser doppelten Basis der Soziologie kann man noch bei Lorenz von Stein in Österreich, oder Ferdinand Tönnies (1855-1936) in Deutschland beobachten, Soziologen, die zwischen beiden Systemen standen, und von beiden Teilinhalte übernahmen. Am deutlichsten sieht man das bei Othmar Spann, der sich ausdrücklich als Nachfolger Müllers verstand, und die, in seinem Verständnis, naturalistische Soziologie ausdrücklich ablehnte.71 Die Soziologie als die von Comte begründete „physique sociale“ gilt als Kind der Aufklärung und der bürgerlichen Gesellschaft, und das verspätete Aufkommen der Soziologie in Deutschland wird häufig mit der fehlenden Entwicklung dieser beiden Tendenzen in Verbindung gebracht. Ebenfalls gilt Österreich als Land des „Verdrängtem Humanismus und der verzögerten Aufklärung“ – so der Titel der von Michael Benedikt, Reinhold Knoll und Endre Kiss herausgegebenen Serie zur Geschichte österreichischer Philosophie. Ohne pauschal dieses Urteil zu übernehmen, will ich hier einige Aspekte
70
Below, Georg von (1928) Die Entstehung Der Soziologie. Hrsg. von Othmar Spann (Jena: Gustav
Fischer) 71
Spann, Othmar (1930) Gesellschaftslehre. 3., abermals neu bearbeitete Auflage (Leipzig: Quelle &
Meyer), 52
28 anführen, die pro und contra dieser sogenannten „kultursoziologischen Hypothese“72 für das verspätete Aufkommen der Soziologie im Donauraum, sprechen. Österreich ist ein Land, in dem die Moderne relativ spät Fuß hat fassen können. Diese Meinung ist durchgehend in der sich mit der kulturellen Entwicklung beschäftigenden Literatur vertreten, und das sowohl der ausländischen (Endre Kiss, William Johnston, Carl Schorske), als auch der österreichischen (Johann Dvořák, Arnold Gehlen, Reinhold Knoll). Der ersten Welle der Aufklärung blieb Österreich tatsächlich fern, wie zum Beispiel dem Naturalismus, der für die Soziologie in Frankreich und England sehr förderlich war, und in Österreich abgelehnt, und noch um 1890, etwa durch Hermann Bahr, heftigst bekämpft wurde.73 Dieses Phänomen hatte auch mit dem Fehlen des Bürgertums in Österreich zu tun. Erst mit den Veränderungen, die als Folge des Aufstandes aus dem Jahr 1848 verstanden werden müssen, vor allem den Bildungsreformen, die institutionelle und kognitive Voraussetzungen für den sozialen Aufstieg der Nichtadeligen schufen, wurde die Grundlage für die Entstehung einer neuen Schicht, der Bourgeoise, gelegt.74 Trotzdem blieb die Maxime „Besitz und Bildung“ asymmetrisch, da die Bildungschancen von dem Vermögen stark abhängig waren, also die soziale Mobilität entscheidend beschränkt blieb. Auch wenn theoretisch die Gegebenheiten für die Ausbildung des Bürgertums vorhanden waren, kam es kaum zu diesen. Nur in Zentren wie Wien und Graz konnte man die schwache Schicht betrachten, die sich auch vor allem aus den jüdischen Bewohnern rekrutierte. Das Versagen des Liberalismus als politische Leitidee was bereits 1879 sichtbar, als die liberale Regierung entlassen wurde, und der politische „Eiserne Ring“ mit Eduard Taaffe als Ministerpräsident (1879-1893) seinen antimodernistischen Kampf anfing.75 72
Langer, Josef (1988) 'Allgemeine gesellschaftliche Hintergründe für die Entwicklung der
Soziologie in Österreich', in ders. (Hrsg.), Geschichte der österreichischen Soziologie: 11-34. Hier 15 73
Kiss, Endre (1986) Der Tod der k. u. k. Weltordnung in Wien: Ideengeschichte Österreichs um die
Stachel, Peter 'Das österreichische Bildungssystem zwischen 1749 und 1918', in Acham, Karl Geschichte
der
österreichischen
Humanwissenschaften.
Bd.
1:
Historischer
Kontext,
wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen (Wien: Passagen Verlag): 115-146 75
Vgl. Pulzer, Peter G.J. (2004 [1964]) Die Entstehung des Politischen Antisemitismus in
Deutschland und Österreich 1867 bis 1914 (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht), 165-173
29 Das Übergewicht der Habsburger, die wie keine anderen Fürsten in Europa einen Kampf gegen allen neuzeitlichen Errungenschaften – Reformation, Aufklärung und bürgerliche Gesellschaft, führten, führte zur Kultur der Untertänigkeit und Unterdrücktheit, auch in anderen Ländern, wo das revolutionäre Bürgertum gezähmt wurde. 76 In diesem Sinne wurde nicht nur jegliches kritische Denken bekämpft, sondern auch vieles unternommen, um kein ausländisches Gedankengut zu importieren. Den Erfolg dieser Bestrebungen kann man sehr gut daran erkennen, dass in der Vorkriegsliteratur nicht nur kaum eine Forderung nach der Auflösung der Monarchie, sondern die Überzeugung einer Notwendigkeit monarchistischer Herrschaft auch in den Reihen der progressivsten Denker, wie Sigmund Freud oder Karl Renner (1870-1950), zu finden ist. Es gab natürlich auch oppositionelle Kräfte. „Die Fackel“ von Karl Kraus (1874-1936) war bis 1918 nicht nur ein Organ, in dem die moderne Kultur aus Westeuropa nicht nur der breiten Öffentlichkeit präsentiert, sondern auch kritisch diskutiert worden ist.77 Es wurden offen Dispute über Demokratie, Antisemitismus etc., geführt, die Zeitschrift blieb aber eine Ausnahmeerscheinung in der Donaumonarchie. Die Beständigkeit des monarchistischen Denkens kann man auch in der Nachkriegszeit beobachten. Hans Kelsen war der einzige, der eine Vorlesung über Demokratie an den Universitäten gehalten hat.78 Bei den in der Zwischenkriegszeit abgelegten historischen Dissertationen haben sich nur zwei mit der Geschichte der demokratischen Bewegungen oder Strömungen beschäftigt, zwei über die Geschichte der Sozialdemokratie, und keine einzige über Parlamentarismus. 45 behandelten dagegen das Reich, die deutsche Frage und das Auslandsdeutschtum.79 Auf der geistlichen Ebene blieb für lange Zeit der Katholizismus mit seinem organischganzheitlichen Denken vorherrschend. Diese Rückständigkeit dauerte sogar bis hin zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Sprachrohr der Gegenaufklärer dieser Zeit war die sehr 76
Dvořák, Johann (2005) Theodor W. Adorno und die Wiener Moderne. Ästhetische Theorie, Politik
und Gesellschaft. (Frankfurt am Main, New York, Wien [u.a]: Peter Lang) 77
Ebda.
78
Weinzierl, Erika (1981) 'Hochschulleben und Hochschulpolitik zwischen den Kriegen', in Leser,
Norbert (Hrsg.), Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit (Wien: Österreichischer Bundesverlag): 72-85 79
Ebda.
30 einflussreiche Zeitschrift „Das Vaterland“, wo Karl Freiherr von Vogelsang seine Thesen pries: der Nihilismus und die zerstörerische Kraft des Kapitalismus sollen mit der Restauration der christlichen Wirtschaftsordnung bekämpft werden. Die fehlende Durchsetzungskraft des Liberalismus mit der ihr entspringenden sozialen und kulturellen Revolution kann man sehr gut am Beispiel der Literatur beobachten, da in Österreich des 19. Jahrhundert etwa das Genre des Sozialromans, das oft mit reformerischen Kräften in Verbindung gebracht wird, gänzlich fehlte. 80 Pointiert kann man sagen, dass die moderne, protestantische „Kultur des Buches“ sich sehr lange nicht durchsetzen konnte, und gegenüber den christlichen Ideen immer zurückgeblieben ist. Man kann aber von den Prozessen einer langsamen Auflösung der formal-deduktiven Denkfiguren und einem Aufschwung empirisch-induktiver Verfahrensweisen, die für die modernen Wissenschaften charakteristisch sind, ausgehen, die im 19. Jahrhundert stattgefunden haben.81 Eine der Ursachen dafür war die Tatsache, dass in Österreich keineswegs von friedlicher Koexistenz der sozialen Gruppen zu sprechen ist. Damit ist auch das Potential für die Sozialwissenschaften geschaffen worden, die ein Seismograph des sozialen Konfliktpotenzials waren, und deren Aufkommen von den existierenden sozialen Spannungen untrennbar ist. Die Ursachen für diesen Prozess kann man mit drei (Wissenschafts-)externen Faktoren in Verbindung bringen.
1.
Soziale, kulturelle, ökonomische Transformationsprozesse der zweiten Hälfte des
19. Jahrhundert. Österreich kann man vor dem Ersten Weltkrieg als einen „agrarisierten Industriestaat“ bezeichnen. Die Entwicklung der Industrie und Dienstleistungen vollzog sich nicht so sprunghaft wie in anderen Ländern, die Landwirtschaft blieb weiter der dominierende Sektor. Die Industrieentwicklung war auf wenige Gebiete (besonders Böhmen und Wiener Becken) beschränkt. Das schuf auch eine deutliche Polarisierung, da die Reformbedürfnisse der unterschiedlich entwickelten Teile oft gegensätzlich waren. Die Dualität zwischen Land und Stadt hat sich dann in dem politischen System mit zwei polarisierten Parteien, die mit den 80
Mozetič, Gerald/Kuzmics, Helmut (2003) Literatur als Soziologie
81
Nach: Feichtinger, Johannes (2004) 'Der Wissenschaftswandel in Österreich (1848-1938). Versuch
einer kulturwissenschaftlichen Annäherung', in Arnold, Markus/Dressel, Gert (Hrsg.), Wissenschaftskulturen – Experimentalkulturen – Gelehrtenkulturen (Wien: Turia + Kant): 53–68
31 entsprechenden Bevölkerungsgruppen auf das Engste verbunden blieben, verschärft. Das vorhandene soziale Konfliktpotential ging in die Fragestellungen der jeweiligen Disziplinen über, und hat sehr stark zur ihrer Evolution beigetragen. So waren die Agrarfrage und die soziale Frage Knotenpunkte der empirisch ausgerichteten Sozialwissenschaften wie Sozialstatistik oder Staatswissenschaft. Ähnliches kann man über die Nationalitätenfrage sagen, die in der Vorkriegszeit so deutliche Spannungen hervorrief, dass man die Wissenschaft zu Hilfe bei deren Klärung rief. 2.
Die politisch-ideologischen Zäsuren, die eine Verschiebung im staatspolitischen
Charakter in den Jahren 1848/49, 1867, 1918, 1934, 1938 hervorbrachten. Die aufeinanderfolgenden Perioden von Liberalismus und Konservatismus machten sich auch in den Wissenschaften – etwa in der Berufungspolitik an den Universitäten, bemerkbar. Auch konnten an den Universitäten, allerdings auf niedrigen Posten, Personen, die dem Mainstream nicht entsprachen - wie zum Beispiel deklarierte Sozialisten, unterrichten. Mit der Konstituierung der Sozialistischen Partei Österreichs wurde die Frage der Arbeiter zu einem offen artikulierten politischen Anliegen. Das Selbstverständnis des Sozialismus als eine angewandte Wissenschaft schlug sich in zahlreichen hochqualitativen wissenschaftlichen Publikationen, etwa von Karl Renner oder Otto Bauer (1881-1931), nieder. Ebenfalls schöpfte das christlich-konservative82 Lager
aus
dem
akademischen Feld
–
sowohl durch Personenrekrutierung
(Ministerienposten) als auch durch theoretische Modelle, die aus christlichen Lehren übernommen wurden. Die Trennungen zwischen den zwei Systemen – Wissenschaft und Politik, wurden auch in die andere Richtung überschritten. In Schriften von Gelehrten wie Albert Schäffle (1831-1903) oder Anton Menger wurde die Politik und die Wissenschaft aufs untrennbarste verbunden. 3.
Pluralität der Wissensorte d.h. der Städte. Diese waren dank der Migration
sprachlich, kulturell, und religiös heterogen, was die Analyse der in ihnen vorgehenden
82
Für die Beschreibung der Wissenschaftsideale der Christlich-Konservativen vgl. Suppanz, Werner
(2000) '"Die Gesellschaft treibt der Auflösung zu." Das christlich-konservative Lager in Österreich und die Unübersichtlichkeit der Moderne', in Boisits, Barbara/Stachel, Peter (Hrsg.), Das Ende der Eindeutigkeit: zur Frage des Pluralismus in Moderne und Postmoderne (Wien: Passagen Verlag): 27-45
32 Prozesse nötig gemacht hat. Vor allem das „Kosmopolis“83 Wien, geistiges Zentrum der Monarchie, war eine Stadt mit zwei Gesichtern: antimodern und antikapitalistisch, aber zugleich durch Zuzug der Arbeiter, der Ingenieure, von Intellektuellen und Künstler eine besonders moderne Stadt, in der damals mehr als 20 Sprachen gesprochen wurden. Gerade in Wien „vollzog sich, wie nirgendwo sonst um die Jahrhundertwende, die letzte, unerbittlichste und folgenreichste Auseinandersetzung jener alten aristokratischen, ständisch-hierarchischen, hieratisch-sakralen Kultur des christlichen Abendlandes mit den Forderungen einer demokratisch-szientistischen Weltzivilisation, [...] die Konfrontation von ‚Reaktion’ und ‚Revolution’, von ‚Ancien Régime’ und Zukunftsgesellschaft.“84
Diese hier kurz skizzierten Fakten sind ein Beweis dafür, dass es in Österreich an der Pluralität, einer der Voraussetzungen der Moderne, nicht gefehlt hat. Und auch wenn die erste Welle der Aufklärung die Donaumonarchie nicht erreichte, so kann man von einer „zweiten Welle“ sprechen, die bürgerlich und antimetaphysisch war und in Österreich ihre Blüte erlebte. Endre Kiss hat diese Bezeichnung für die letzten zwanzig bis dreißig Jahre der Donaumonarchie verwendet, mit den Hauptvertretern Josef Popper-Lynkeus (18381921), Ernst Mach (1838-1916), Friedrich Jodl (1849-1914), Robert Musil (1880-1942), Gustav Ratzenhofer und Ludwig Gumplowicz.85 Man muss hier allerdings von einem beschränkten Einfluss dieser Gelehrten ausgehen, was die Frage aufwirft, ob diese „Aufklärung“ nicht eine Minderheitserscheinung geblieben ist. Allerdings sind hier die Namen aufgetreten, die für die österreichische Soziologie bedeutend sind. Nicht nur die „Soziologen“ Gumplowicz und Ratzenhofer, sondern auch der Physiker und Philosoph Ernst Mach, dessen prägender Einfluss auf die Soziologen Wilhelm Jerusalem86 und Otto
83
Toulmin, Stephen E. (1994) Kosmopolis : die unerkannten Aufgaben der Moderne (Frankfurt am
Main: Suhrkamp) 84
Sombart, Nikolaus (1987) „Freuds Vienna“, Nachdenken über Deutschland (München: Piper), 53
85
Kiss, Endre (1986) Der Tod der k. u. k. Weltordnung in Wien, 96
86
Mach und Jerusalem korrespondierten miteinander, obzwar Jerusalem Machs Ansichten aber auch
kritisch gegenübergestellt war, da er die Negation des Individuellen Ich ablehnte. Auch in seinen Schriften wie "Der kritische Realismus und Reine Logik" (1905) und Artikel "Die Logik des Unlogischen" sprach er sich über Mach affirmativ aus. In seinem "Lehrbuch der Psychologie" empfiehlt er Machs "Erkenntnis und
33 Neurath (1882-1945) bekannt ist, oder der Sozialtheoretiker und Sozialutopist PopperLynkeus, und der „Amateursoziologe“ 87 Musil. Das Potential und zugleich die Krisenhaftigkeit der österreichischen Moderne kann man sehr deutlich in der Kunst beobachten. In der Musik setzen Arnold Schönberg (18741951), Anton Webern (1883-1945) und Alban Berg (1885-1935) die Atonalität durch. Diese ist zugleich ein Protest gegen den klassischen Klang und auch der Ausdruck des Gefühls, dass die klassische Musik nicht das entsprechende Medium für die moderne Gesellschaft sei. In der Malerei wird durch Egon Schiele (1890-1918) ein neuartiger Blick geschaffen, in der das Gefahrbewusstsein deutlich erkennbar ist. Ebenso bei Gustav Klimt (1862-1918), dessen revolutionäre Darstellungen der Wissenschaften an der Wiener Universität für sehr langwierige und intensive Diskussionen sorgten.88 Allerdings ist in der Nachkriegszeit eine Rückkehr der antimodernistischen, oder, wenn man die moderne Terminologie übernehmen will – altermodernistischen Bewegungen in der
österreichischen
akademischen
Landschaft,
feststellbar.
Die
katholischen
Staatstheorien Ignaz Seipels (1876-1932), die zwischen links und rechts zerrissene Katholische Aktion89 (August Maria Knoll (1900-1963), Ernst Karl Winter (1895-1959)), und vor allem die universalistische Gesellschaftslehre von Othmar Spann, sind ein Indikator für diese Neu-Rückentwicklung. Dagegen konnten die progressiven Tendenzen kaum Fuß fassen. Man denke hier nur an Ludwig Wittgenstein, der in Österreich keinen Platz fand, oder den Wiener Kreis, deren Vertreter schon sehr früh in die Emigration gehen mussten (z.B. Rudolf Carnap (1891-1970) nach Prag im Jahr 1931), weil in Wien
Irrtum" als Grundlegendes Werk der Erkenntnistheorie. Ausführlicher: Stadler, Friedrich (1982) Vom Positivismus zur "wissenschaftlichen Weltauffassung". Am Beispiel der Wirkungsgeschichte von Ernst Mach in Österreich 1895-1934 (Wien, München: Löcker), 42f 87
Näheres zum Verhältnis von Musil und Soziologie in: Mozetič, Gerald/Kuzmics, Helmut (2003)
Literatur als Soziologie, 225ff 88
In diesem nahmen auch Soziologen Teil: Siehe z.B. Ratzenhofer, Gustav (1903) '[Gustav] Klimts
,Philosophie`, Medizin` und ,Jurisprudenz'', Die Wage 50 (5. Dezember): 1328-1332 89
„Rechts stehen und links denken“ war das Motto einer ihrer Gründer, Ernst Karl Winter. Sehe
Knoll, August Maria/Zeßner-Spitzenberg, Hans-Karl/Missong, Alfred/Schmid, Wilhelm (1927) Die Österreichische Aktion. Programmatische Studien (Wien), 9
34 analytische Philosophie höchst unwillkommen war.90 Wien war ein Ort höchst gegensätzlicher Entwicklungstendenzen, wo die auf Bolzanos Logik berufenden und für die vollständige Transparenz plädierenden Philosophen des logischen Empirismus mit einem romantisch verschleierten Ganzheitsutopismus Othmar Spanns konfrontiert waren. Was allerdings beiden gemeinsam war, war ein Versuch, eine universalistische Philosophie zu gründen – so waren die „Unity of Science“ Neuraths und die Gesellschaftslehre Spanns, wie unterschiedlich ihre erkenntnistheoretische Fundierung auch gewesen ist, die zwei Seiten derselben Medaille. Die extreme Polarisierung zwischen diesen Vorläufer der Moderne und den Verfechter des Konservatismus, die in dem akademischen Feld mit der politischen Auseinandersetzung in der ersten Republik durchaus vergleichbar ist, hat ihren blutigen Höhepunkt am 22. Juni 1936 gefunden.
Nun möchte ich auch die Argumente gegen die Hypothese, dass es die verspätete Moderne gewesen ist, die die Soziologie verhinderte, anführen. Gerade in Österreich und in Deutschland hat die soziologische Forschung ganz anders angefangen, als in Frankreich und England. Soziologie war vor allem eine durch ihren Forschungsgegenstand definierte Wissenschaft, und ihr Charakteristikum war die Festlegung des sozialen Gegenstandes – sei
es
eine
Gruppe,
Volksgemeinschaft,
Stamm,
Sippe
etc.,
als
prinzipielle
Untersuchungseinheit. Die Neuartigkeit dieses Forschungsgegenstandes, das für Schäffle und von Stein für ihre Gesellschaftslehre, und bei Carl Grünberg (1861-1940) und Hartmann für ihre Sozialgeschichte, als prinzipielles Abgrenzungsobjekt von anderen Disziplinen gewesen ist, zeugt von grundsätzlichem Interesse an dem, was Soziologie ausmachte. Inhaltlich war aber die Soziologie durch Comte und Spencer naturalistisch behaftet, was ihre Durchsetzung in Österreich in den ersten Phasen verhinderte. Rückwirkend kann man sehr wohl sagen, dass die österreichische Wissenslandschaft durchwegs „soziologisiert“ worden ist, das heißt, mit den (jetzt als solche anerkannten) soziologischen
90
Inhalten
und
Methoden
angefüllt.91
Beispiele
dafür
sind
die
Vgl. Stadler, Friedrich (1997) Studien zum Wiener Kreis. Ursprung, Entwicklung und Wirkung des
Logischen Empirismus im Kontext (Frankfurt am Main: Suhrkamp) 91
Knoll, Reinhold (1998) 'Soziologie-Politik-Ästhetik', in Benedikt, Michael/Knoll, Reinhold/Kiss,
Endre (Hrsg.), Verdrängter Humanismus - Verzögerte Aufklärung. Band 4. Anspruch und Echo. Sezession
35 Grenznutzenlehre
in
der
Nationalökonomie,
die
Psychoanalyse,
oder
der
Austromarxismus, der sich durchwegs als eine (angewandte) Wissenschaft verstand. Das Problem allerdings war, dass diese „Soziologisierung“ nicht unter dem Decknamen einer Soziologie verlief. Dieser Befund zeigt, dass die Soziologie keineswegs automatisch durch die verspätete Industrialisierung am Aufkommen behindert war, sondern dass die Idee einer Soziologie eine ganz andere als die uns jetzt geläufige gewesen ist. Es ist klar, dass eine mechanische Verpflanzung der Idee der Soziologie aus Frankreich oder England nicht möglich war, da es in einer anderen Wissenslandschaft, mit anderen Methoden, Fragestellungen und Werten, die Soziologie automatisch als eine wissenschaftliche Disziplin diskreditieren würde. Nun aber lässt sich zeigen, dass es der österreichischen Soziologie nicht an Fragestellungen gefehlt hat. Gumplowicz schrieb 1894: „Dans aucun pays du monde il n’y a tant de phénomènes er tant processus sociologiques qu’ici. Ce ne sont pas seulement des classes économiques qui se combattent incessamment, mais en outre, des peuples des nationalités, des confessions et des églises.“92 Die Differenzen zwischen den Klassen und Ethnien blieben aber nicht die einzige Fragestellung, vielmehr hat sich die österreichische Soziologie mit einem breitem Spektrum der Fragen – von der Rechtssoziologie, über Finanzsoziologie, bis zur Machtsoziologie, beschäftigt. Wir können also annehmen, dass die Soziologen ihre Forschungsfelder durchgehend selbst wählen konnten, insofern diese in Österreich noch nicht präfiguriert waren, was, wie ich in weiterer Folge der Arbeit zeigen werde, der Fall war. Damit ist die kausale Verbindung zur verspäteten Moderne aufgelöst. Interessant ist auch der Fall von Bronisław Malinowski. Justin Stagl hat gezeigt, dass die Theorie des Funktionalismus ihren Ursprung in der kulturell-wissenschaftlichen Situation Österreichs haben könnte.93 Folgende Faktoren haben seiner Meinung nach die
und Aufbrüche in den Kronländern zum Fin-de-Siécle. Philosophie in Österreich (1880-1920). (KlausenLeopoldsdorf: Leben - Kunst - Wissenschaft. Edituria Triade): 73-83 92
La Riforma Sociale: Rassegna di Scienze Sociali e Politiche (Torino), 1. Jg., Bd. 1 (1894), 273
Zitiert in: Weiler, Bernd (2001) 'Ludwig Gumplowicz (1838-1909) und sein begabtester Schüler: Der Triestiner Franco Savorgan (1879-1963)', AGSÖ Newsletter 22: 26-50 93
Kulturwissenschaften im Vielvölkerstaat: Zur Geschichte der Ethnologie und verwandter Gebiete in Österreich, ca.1780 bis 1918. (Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag): 284-299
36 wissenschaftliche Sozialisation des englisch-polnisch-österreichischen Soziologen geprägt: 1) Freud (Ödipus Komplex und Mythostheorie), 2) Carl Mengers subjektive Wertlehre, 3) Ernst Mach (Dissertation Malinowskis „Über das Prinzip der Ökonomie des Denkens“ war eine Auseinandersetzung mit Machs Denkökonomie), 4) Funktionalismus in der Architektur (Otto Wagner (1841-1918), Sezession, Adolf Loos (1870-1933)).94 Auch das zeigt, wie förderlich die österreichische Wissenschaftslandschaft für aufkommende Neuerungen auf dem Feld der Sozialwissenschaften war, insofern diesen Ideen Platz gegeben wurde, um zu gedeihen.
Eine analoge Situation von nicht-modernen Quellen der Soziologie kann man auch in Deutschland beobachten. Herman Korte zeigte am Beispiel von Ferdinand Tönnies, dass dieser zwar noch tief im Wilhelminischen Klima blieb, aber die neue Wissenschaft auch übernehmen wollte. Auch wenn er es nicht vollständig bewerkstelligte, sich von den lebensphilosophisch-historischen Strömungen in Deutschland abzukoppeln, sein Beitrag zur Soziologie war und ist allgemein anerkannt.95 Auch bei den anderen deutschen Soziologen kann man noch den starken Einfluss der Geschichtsphilosophie erkennen96 – jede Wissenschaftskultur hat auf ihrer eigentümlichen Grundlage eine ihr entsprechende Soziologie gebildet. Die Gemeinsamkeiten an der methodischen Ebene wurden oft mit kognitiven Unterschieden konfrontiert und vice versa, trotzdem überwogen die Gemeinsamkeiten die Trennlinien. Auch ist das Aufkommen der Soziologie in den für sie als typisch anerkannten westlichen Staaten (Frankreich, England) nicht homogen verlaufen, und kann sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Während Comte’s Physique Sociale in den Typus der Krisenwissenschaft der Moderne fällt, ist es in England nicht mehr eindeutig der Fall. Steve Fuller konstantiert etwa, dass die Bewegungen, die in die Soziologie mündeten, "came into existence not through academic initiatives but political platforms of ‘philosophical radicalism’, most notably utilitarianism. Here I refer to the journalism and pamphlets of such London-based intellectuals as Jeremy Bentham, John Stuart Mill and
Korte, Hermann (2000) Einführung in die Geschichte der Soziologie (Opladen: Leske + Budrich)
96
Heckmann, Friedrich/Kröll, Friedhelm (1984) Einführung in die Geschichte der Soziologie
37 Herbert Spencer – and, of course, the German expatriate Karl Marx".97 Bereits hier können wir also unterschiedliche soziale Ausgangspunkte der aufstrebenden Disziplin beobachten. Dagegen kann man auch ein Beispiel anführen, das ein umgekehrtes Verhältnis zeigt, das die kognitiven Entsprechungen bei den aus unterschiedlichen Wissenskulturen stammenden Soziologen auszeichnet. Aron Raymond schildert die Parallelen zwischen Vilfredo Pareto (1848-1923), Émile Durkheim und Max Weber (1864-1920), die durch die Auseinandersetzung mit ihren gemeinsamen Feinden – Marxismus und Religion, hervorgebracht worden sind.98 Wie unterschiedlich die Ausrichtung dieser drei Soziologen auch sein möge, und in wie unterschiedlichen Wissenschaftssystemen sie sozialisiert worden sind und tätig waren, blieben die Punkte, die sie alle kritisierten, gleich. Diese Impressionen sollen nur zeigen, dass, auch wenn man innerhalb der Soziologie auf bestimmte Gemeinsamkeiten trifft, so muss man auch einsehen, dass es ebenfalls viele Trennlinien gibt, die gegen der kultursoziologischen These als eine monokausale Erklärung sprechen, und beweisen, dass andere Theoreme für die Erklärung der „Rückständigkeit“ einbezogen werden müssen.99
„Ordinarien Universität“ und die beschränkte Lehrfreiheit Wie oben festgestellt wurde, ist die Universität die primäre Arena für eine neue Disziplin, daher ist die Struktur des akademischen Feldes für die Analyse der Etablierung ein gewichtiger Faktor. In Österreich, wie auch in Deutschland, haben wir es mit einem hierarchisch gegliederten Typus der Universitäten zu tun, wo die Macht bei den einzelnen Ordinarien liegt. Johan Galtung nannte diesen Typus teutonisch, und unterschied noch weitere drei Typen: sachsonische, gallische und nipponische.100 Der teutonische Typus 97
Fuller, Steve (2002) 'Prolegomena to a Sociology of Philosophy in the Twentieth-Century English-
Speaking World', Philosophy of the Social Sciences 32/2: 155-177. Hier 156 98
Aron, Raymond (1971) Haupttrömungen des soziologischen Denkens. Zweiter Band: Émile
Durkheim, Vilfredo Pareto, Max Weber (Köln: Kiepenheuer & Witsch) 99
Vgl. auch Rehberg, Karl-Siegbert (2000) 'Erfahrungswissenschaft und Medium der Reflexion -
Thesen zur soziologischen Kompetenz', in Funken, Christiane (Hrsg.), Soziologischer Eigensinn: 29-49, vor allem 37 100
Galtung, Johan (1983) 'Struktur, Kultur und intellektueller Stil. Ein vergleichender Essay über
sachsonische, teutonische, gallische und nipponische Wissenschaft', Leviathan 11: 303-338
38 charakterisiert sich durch starre Struktur, die eine hierarchische Stufen-Rangordnung konstruiert, wo ein Überspringen einer Position kaum möglich ist.101 Wir haben auch mit einer dualen Rangordnung zu tun, da die Position innerhalb der universitären Hierarchie mit dem (innerwissenschaftlichen) Ansehen nicht unbedingt korreliert. An der Spitze der Hierarchie stehen jeweilige Ordinarien, deren Verfügungsbereich fast uneingeschränkt ist. Es sind auch sie, die – durch den direkten Einfluss auf die Vergabe akademischer Titel, sowohl der Doktor-Titel, als auch der Habilitationen, die Macht haben zu entscheiden, was als neue akademische Disziplin anerkannt wird.102 Folgende Zahlen verdeutlichen die Möglichkeiten, die die einflussreichen Ordinarien haben konnten. Insgesamt waren 13 von 16 in der Ersten Republik Habilitierten Rechts-, und Staatswissenschaftler, Schüler bzw. Anhänger nur zweier Professoren – Othmars Spanns und Hans Kelsens, von Spann weißt man auch, dass er die Habilitation von Ernst Karl Winter verhinderte. 103 Diese Möglichkeiten waren auch den Betroffenen sehr gut bewusst. Im Jahr 1924 warnte etwa Ludo Moritz Hartmann über den Missbrauch der Habilitationen: „[...] wissenschaftliche Erfordernisse
müssen
in
erster
Linie
erwogen
und
alle
Cliquenerfordernisse
zurückgewiesen werden, welche sich dabei geltend machen können.“104 Die Frage der Berufungen wurde ebenfalls durch die Ordinarien geprägt. Das Professorencolleg, ein Zusammenkommen der Professoren der jeweiligen Fakultät, war ausschließlich deren Angelegenheit, da die Zahl der außerordentlichen Professoren die Hälfte der Zahl der ordentlichen Professoren in dem Colleg nicht übersteigen durfte. Von den Privatdozenten konnten nur zwei, und nur mit beratender Stimme, den Sitzungen
101
Ich werde im weiteren Verlauf der Arbeit zeigen, dass wir bei den Soziologen mit einem solchen
Fall zu tun haben. 102
Vgl. Müller, Albert (2000) 'Grenzziehungen in der Geschichtswissenschaft: Habilitationsverfahren
1900-1950 (am Beispiel der Universität Wien)', in Fleck, Christian (Hrsg.), Soziologische und historische Analysen der Sozialwissenschaften (=Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Sonderband 5) (Opladen: Westdeutscher Verlag): 287-307 103
Preglau-Hämmerle, Susanne (1986) Die politische und soziale Funktion der österreichischen
Universität : von den Anfängen bis zur Gegenwart (Innsbruck: Inn-Verlag) 104
Zit. in: Taschwer, Klaus (2002) Wissenschaft für viele. Zur Wissenschaftsvermittlung im Rahmen
der Wiener Volksbildungsbewegung um 1900 (Unpublizierte Dissertation an der Universität Wien), 262
39 angehören (§.5.).105 Das Professorencolleg hatte unter anderem einen Vorschlag für eine jeweilige Neubesetzung zu erarbeiten, der dann an das Unterrichtsministerium ging. Dieses hat dann die Möglichkeit gehabt, eine Person aus den Vorgeschlagenen zu berufen, wobei die Reihenfolge für das Ministerium nicht bindend war (§. 14. Abs. 1.). Hier haben wir es also mit noch einem Machtfaktor zu tun – (singulären Kollektiv) Staat – vor allem Unterrichtsministerium, aber auch dem Kaiser, der die Ernennungen besiegelte, oder, was in einigen Fällen auch tatsächlich passiert ist, seine Zustimmung verweigern konnte. Diese antiliberale Einschränkung der universitären Autonomie war die Folge des ThunHohesteinschen Reformen der frühen 1850-er Jahre, die im Jahre 1873 ihre Vervollständigung fanden. Erst 1922 traten wichtige Novellen in Kraft, und ab 1955, mit dem Hochschulorganisationsgesetz (HOG), wurde eine Neunorganisation durchgesetzt.106 Auch wenn angenommen werden kann, dass in der liberalen Periode die Professoren ihre Vorschläge meistens durchsetzen konnten107, so blieb allerdings dem Verwaltungsapparat die Möglichkeit der Ablehnung unliebsamer Kandidaten erhalten. Die von ThunHohenstein eingeführte „beschränkte Lehrfreiheit“, die dem Staat das Fernhalten unliebsamer Professoren erlaubte, hat die ganze Periode bis zum ersten Weltkrieg entscheidend geprägt.108 Wenn wir an die Spitze der Hierarchie die Ordinarien setzen, so sind die Privatdozenten an die unterste Stufe zu setzen. Dieses betrifft sowohl das Dienstverhältnis, das Mitbestimmungsrecht, als auch die finanzielle Situation. Die mit den Reformen von 1853 geschaffene Institution der Privatdozentur war dem deutschen Vorbild nachgeahmt. Die Privatdozenten waren nicht vom Staat berufene, sondern lediglich akzeptierte Hochschullehrer, bekamen auch keine Besoldung von der Universität. Ihre einzige
105
des Gesetzes von 27. April 1873, betreffend die Organisation der Universitätsbehörden. Abgedruckt
in: Engelbrecht, Helmut (1986) Geschichte des österreichischen Bildungswesens : Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 4. Von 1848 bis zum Ende der Monarchie (Wien: Österreichischer Bundesverlag), 573-577 106
Preglau-Hämmerle, Susanne (1986) Die politische und soziale Funktion der österreichischen
Universität, 109 107
Engelbrecht, Helmut (1986) Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Bd. 4, 235
108
Preglau-Hämmerle, Susanne (1986) Die politische und soziale Funktion der österreichischen
Universität, 103
40 Einkommensquelle an den Hochschulen waren die Kollegiengelder, die jeder Student für die Teilnahme an der Lehrveranstaltung des betreffenden Gelehrten entrichten hat müssen. Damit waren die Positionen der Privatdozenten entweder für Personen, die eine andere Einkommensquelle besaßen, zum Beispiel für pensionierte Lehrer und Adelige, oder die Personen, die eine Doppel-, oder Dreifachbelastung zu akzeptieren bereit waren, vorbehalten. Die Verbesserung der Position dieser „Proletarier der Geistesarbeit“109 wurde letztendlich 1920 erreicht, in einer Novelle, die ihnen eine ständige materielle Förderung und bessere Aufstiegsmöglichkeiten brachte.110 Um die Frage nach der „Employability“ und Durchsetzungskraft von Lehrenden in der Universitätslandschaft zu klären, können wir noch ein Profil des Lehrkörpers vornehmen, um die prinzipielle Ausrichtung der Karrierechancen zu sehen. Drei „Eigenschaften“ scheinen hier besonders benachteiligend zu wirken: jüdische Konfession, Nähe zur Sozialdemokratie und aggressiver Antiklerikalismus. Die Lage der jüdischen Gelehrten in Österreich wurde bereits mehrfach untersucht, die Frage, ob die Zugehörigkeit zur jüdischen Konfession ein wirklicher Benachteiligungsgrund war, scheint aber noch nicht restlos geklärt zu sein, worauf die ausgefochtenen Debatten hinweisen.111 Halten wir aber fest, dass die Überrepräsentanz der Juden in der Gruppe der Dozenten und Extraordinarien sehr stark mit der Unterrepräsentanz in der einflussreichsten Gruppe der Ordinarien
109
Neuböck, Inge (1982) Die Geschichte der Institution Privatdozentum in Österreich (Unpublizierte
Dissertation an der Universität Wien), 43 110
Engelbrecht, Helmut (1988) Geschichte des österreichischen Bildungswesens : Erziehung und
Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 5. Von 1918 bis zur Gegenwart (Wien: Österreichischer Bundesverlag), 221f 111
Die Rotschild-Fleck Debatte in der „Presse“: sehe Rothschild, Thomas (2005) 'Österreich: Die
armen Ariseure', Die Presse (Wien): Spectrum 16.04.2005/(Online unter: http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=sp&ressort=S100&id=476519&archiv=false, letzter Zugriff 12.03.2005). Fleck, Christian (2005) 'Ariseure: Was Rothschild nicht sehen will', Die Presse (Wien): Spectrum 23.04.2005/(Online unter: http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=sp&ressort=S100&id=477923&archiv=false, letzter Zugriff 12.03.2005), Rothschild, Thomas (2005) 'Nachfragen: Schaum, Christian Fleck?' Die Presse (Wien): Spectrum 30.04.2005/Online unter: http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=sp&ressort=S100&id=479454&archiv=false, letzter Zugriff 12.03.2005).
41 kontrastierte112, und dass bei einigen Habilitationsverfahren auf die jüdische Herkunft dezidiert Bezug genommen wurde.113 Ob es sich um ein strukturelles Problem handelt, oder ob die Gründe von Fall zu Fall abgesondert zu untersuchen sind, ist für den weiteren Verlauf der Arbeit ohne Belang. Die Bedeutung zweier anderer Eigenschaften lässt sich ex negativo dadurch zeigen, dass es unter den Ordinarien, also der Gruppe, die für Berufungen entscheidend war, gerade entgegengesetzte Tendenzen vorherrschend waren. Hier sei auch auf die Bedeutung des Kaisers, der nicht-christliche Gelehrte verhindern konnte, und die in dem akademischen Bereich wirksamen „Pressure Groups“, die ihre Interessen ebenfalls zu artikulieren wussten114, hingewiesen. Für das Verständnis der wissenschaftlichen Landschaft kann der Fall von Carl Grünberg aus dem Jahr 1924 angeführt werden: als er das Angebot aus Frankfurt bekam, wurde ein Antrag von Dekan Wlassak (1854-1939) (zusammen mit einer Mehrheit der Mitglieder der Recht-, und Staatwissenschaftlichen Fakultät), der Grünberg zu bleiben bewegen wollte, mit einem Sonderantrag von deutschnational gesinnten Professoren (Mitglieder der sogenannten „Deutschen Gemeinschaft“) mit der Argument beantwortet, dass es nicht nur für Grünberg, sondern vor allem für die Fakultät besser wäre, wenn er dem Rufe in die Ferne folgen würde.115 Die Frage der möglichen Berufungen hängt noch schließlich mit den offenen Stellen zusammen. Wenn die Professuren nur durch Emeritierung und Nachfolge vergeben werden (stagnierendes Universitätssystem) ist die Wahrscheinlichkeit für die Neuberufung eines Vertreters der neuen Disziplin kleiner als in einem progressiven System, in dem eine Reihe neuer Professuren geschaffen wird.116 In Österreich kann man bis zum ersten Weltkrieg 112
Preglau-Hämmerle, Susanne (1986) Die politische und soziale Funktion der österreichischen
Universität, 112 113
Zum Beispiel Sigmund Freud (1856-1939), Carl Grünberg, Fritz Machlup (1902-1983), Edgar
Zilsel (1891-1944) oder Max Adler. Nach: Müller, Karl H. (1999) 'Sozialwissenschaftliche Kreativität in der Ersten und in der Zweiten Republik', Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 7/1: 9-43. Hier 18 114
Vgl. z.B. Siegert, Michael (1971) 'Warum Adler nicht Ordinarius wurde', Neues Forum 11: 30
115
Stadler, Friedrich (1979) 'Aspekte des gesellschaftlichen Hintergrunds und Standorts der Wiener
Kreises am Beispiel der Universität Wien', in Berger, Hal/ Hübner, Adolf/ Köhler, Eckehardt (Hrsg.), Wittgenstein, der Wiener Kreis und der Kritische Rationalismus (Wien: Hölder-Pichler-Temsky): 41-59 116
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 65
42 von einer sehr dynamisch expandierenden Universitätslandschaft sprechen, nach dem Ersten Weltkrieg hat sich die Entwicklung praktisch in eine Stagnation verwandelt. Während sich die Zahl des Lehrpersonals zwischen 1851 und 1881/1882 verdreifacht hat, und in den nachfolgenden zwanzig Jahren wiederum verdoppelt117, ist zwischen 1913/1914 und 1932/1933 nur ein sehr kleiner Anstieg von 7% festzustellen.118 Dazu kommt noch, dass vor allem die Zahl der Privatdozenten und Außerordinarien angestiegen ist – an der Universität Wien betrug der prozentuelle Anteil der Ordinarien 1851 noch 41%, 1909 nur 14% – was aufgrund der immer zunehmenden Konkurrenz auf eine geringere Wahrscheinlichkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses, eine aussichtsvolle akademische Karriere zu starten, hinweist. An den für die Soziologie wichtigen Fakultäten war die Entwicklung noch deutlicher zu spüren: an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät in Wien verringerte sich der Anteil der Ordinarien in diesen Zeitrahmen beinahe um die Hälfte (von 46 auf 26 %), dagegen verdoppelte sich die Anteil der Privatdozenten (von 37 auf 65%). Auf der philosophischen Fakultät fiel der Anteil der Ordinarien an dem gesamten Lehrkörper von 52%, 1851, auf 20%, 1909/1910, die Zahl der Privatdozenten stieg von 14 auf 37% – dazu kamen aber noch die neugeschaffenen Assistentenposten, deren Anteil 23% betrug.119 Wir haben es also in Österreich mit einem dynamischen universitären System, mit Übermacht auf der Seite der Ordinarien, und starkem Einfluss des Staates, zu tun. Dieses System, wie jedes „teutonische“ hat eine Neigung zur Selbstreproduktivität und zum Konservatismus, und stellt im Vergleich zum sachsonischen und gallischen System sehr beschränkte Aussichten zur Durchsetzung neuer Disziplinen dar.120 Allerdings, durch die hohe Nachfrage nach Lehrkräften in der Periode bis zur Jahrhundertwende konnten auch Außenseiter an die Universitäten berufen werden – der beste Beweis dafür ist Ludwig Gumplowicz. Die darauffolgende Periode bis zum Ersten Weltkrieg ist wiederum durch 117
Preglau-Hämmerle, Susanne (1986) Die politische und soziale Funktion der österreichischen
Universität, 126 118
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 79
119
Preglau-Hämmerle, Susanne (1986) Die politische und soziale Funktion der österreichischen
Universität, 128 120
Galtung, Johan (1983) 'Struktur, Kultur und intellektueller Stil. Ein vergleichender Essay über
sachsonische, teutonische, gallische und nipponische Wissenschaft'
43 einsetzende Stagnation gekennzeichnet. Nach dem Weltkrieg hat sich die Situation nicht sonderlich verbessert. Auch nach der Krisenperiode in den Jahren 1918-1922 kann man nicht nur über keine Erholung sprechen, sondern es wird sogar von einer „Regression“121 in der universitären Landschaft gesprochen. Die Beständigkeit der alten Ordinarien und der Zuzug neuer konservativer Machtfiguren haben auch im akademischen Feld die Situation angespannt gelassen. In diesem Kontext ist auch zu erwähnen, dass die Sozialwissenschaften an der Universität kaum ihren Platz behaupten konnten. Sie waren entweder im Bereich der Rechts-, Staats-, und Wirtschaftswissenschaften beheimatet, wo sie allerdings eine sehr geringe Rolle spielten, und an der Philosophischen Fakultät, wo sie ebenfalls in peripherer Stellung standen. Diese Schwäche wurde noch dadurch verstärkt, dass die sozialwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen mit einer sehr geringen Popularität ausgestattet waren, und oft nur von einer Handvoll Hörer besucht wurden122 – was diese Fächer für die Privatdozenten besonders unattraktiv machte. Auch Eugen Ehrlich in Czernowitz beklagte, dass die Studenten der Rechtswissenschaften, deren erklärtes Ziel es ist, schnell das Studium zu beenden und nur für wenige Lehrveranstaltungen über dem Mindeststudienplan Zeit aufbringen konnten, für seine Seminare nur sehr schwer zu interessieren seien.123 Durch die fehlende Introduktion in dem Schulalter entwickelten nur wenige Studenten das Interesse für diese Disziplinen. In diesem Zusammenhang kann man sehr gut die Bemühungen verstehen, die Sozialwissenschaften in das schulische Curriculum einzuführen.
Die
Forderungen
nach
dieser
Einführung
wurden
von
dem
Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein, der Wiener Soziologischen Gesellschaft, der Grazer Gesellschaft für Soziologe, Eugen Ehrlich und vielen anderen sowohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg gestellt, haben ihre Erfüllung aber nicht gefunden.
121
Fleck, Christian (2004 [1988]) 'Rückkehr unerwünscht. Der Weg der österreichischen
Sozialforschung ins Exil', in Stadler, Friedrich (Hrsg.), Vertriebene Vernunft I.: 182-213 122
Müller, Reinhard (2004) 'Die Stunde der Pioniere. Der Wiener "Socialwissenschaftliche
Bildungsverein" 1895 bis 1905', in Balog, Andreas / Mozetič, Gerald (Hrsg.), Soziologie in und aus Wien (Frankfurt am Main, New York, Wien [u.a]: Peter Lang): 17-48 123
Ehrlich, Eugen (1911) 'Die Erforschung des lebenden Rechts', Schmollers Jahrbuch 35: 129-147
44
Die Auslandsrezeption österreichischer Soziologen
Die Frage der Nichtexistenz der österreichischen Schule der Soziologie wird nicht ohne die kurze Analyse ausländischer, nichtdeutschsprachiger Rezeption möglich sein. Wie aus den theoretischen Erörterungen hervorgeht, wird erstens das Wir-Gefühl durch externe Anerkennung als ein Kollektiv gestärkt, zweitens zeugt solches bereits von einer Distinktion der Disziplin innerhalb des nationalen wissenschaftlichen Systems. Die kurze Analyse zeigt, dass die österreichischen Autoren durchaus im Ausland anerkannt waren. Die erste Publikation von Emile Durkheim (1885) war eine Rezension von Albert Schäffle „Bau und Leben des socialen Körpers“, wo der französische Soziologe sie „als eine Arbeit präsentiert[e], die für die französische Sozialwissenschaft als vorbildlich zu gelten habe, mit deren Aufnahme gar das Schicksal der französischen Soziologie verbunden sei.“124 Schäffle und Durkheim standen seitdem in einem regelmäßigen Kontakt.125 Im gleichen Jahr rezensierte Durkheim auch Gumplowicz, allerdings kam er ihm mit weniger Begeisterung, entgegen.126 Ein anderer wichtiger Symbolischer Akt war die Rezension von Wilhelm Jerusalems „Soziologie des Erkennens“ in „Année Sociologique“, die auch ein Gründungsakt der Rubrik „Les conditions sociologiques de la connaissance“ war.127 Dieser Artikel (erschienen zuerst 1909 in der „Zukunft“) wurde auch von Henri Bergson (1859-1941) und William James (1842-1910) gewürdigt.128 Wichtig war auch die Teilnahme von österreichischen Gelehrten an dem „Institut International de Sociologie“, das zu der Zeit die wichtigste internationale soziologische Institution war. Gumplowicz war seit ihrer Entstehung im Jahr 1893 Mitglied, 1895 wurde er zum
124
Gephart, Werner (1982) 'Soziologie im Aufbruch. Zur Wechselwirkung von Durkheim, Schäffle,
Tönnies und Simmel', Kölner Zeitschrift 34: 1-25. Hier 3 125
Ebda.
126
Durkheim, Émile (1975 [1885]) 'La Sociologie selon Gumplowicz', in Durkheim, Émile, Textes I.
Éléments d’une théorie sociale. Présentation de Victor Karady (Paris: Éditions de Minuit): 344-354 127
Jerusalem, Wilhelm (1924) 'Die soziologische Bedingtheit des Denkens und der Denkformen', in
Max Scheler (Hrsg.), Versuche zu einer Soziologie des Wissens (München und Leipzig: Duncker & Humblot): 182-207. Hier 184 128
Eckstein, Walther (1935) Wilhelm Jerusalem. Sein leben und Wirken. (Wien und Leipzig: Carl
Gerold’s Sohn), 68
45 Vizepräsidenten ernannt, 1909 wurde ihm die Kandidatur für den Präsidenten nahegelegt, die er allerdings wegen seines Todes nicht annehmen konnte.129 Außer Gumplowicz, der, ohne an den Treffen persönlich anwesend zu sein, für die Konferenzen insgesamt drei Beiträge lieferte130, hatten wichtige Funktionen auch Carl Menger (Vizepräsident 1896, Präsident 1901), Eugen Ritter von Böhm-Bawerk (Vizepräsident 1906, Präsident 1912) und Anton Menger (Vizepräsident 1904) inne. Darüber hinaus nahmen auch die sich in Österreich von der Soziologie distanzierenden Gelehrten wie Eugen von Phillippovich (1858-1917), oder Karl Theodor Inama-Sternegg, teil.131 Die österreichischen Mitglieder konnten sogar erreichen, dass der 9. Internationale Soziologische Kongress 1915 in Wien stattfinden sollte, was allerdings durch den Krieg verhindert wurde.132 Ironischerweise scheint der in Österreich deutlich in einer Außenseiterposition stehende Ludwig Gumplowicz der am meisten im Ausland anerkannte österreichische Soziologe zu sein. Er publizierte sehr viel auf Französisch, Italienisch, Englisch und in seiner Muttersprache Polnisch. Unbestreitbar ist sein Einfluss auf die italienische Soziologie, wo er in “Rivista Italiana di Sociologia” veröffentlichte, und durch seinen Schüler Franco Savorgnan (1879-1963) popularisiert wurde. In der ersten Nummer der Zeitschrift war sein Artikel als erster abgedruckt, gefolgt von Beiträgen von Durkheim und Jacques Novicov (1849-1912). Insgesamt erschienen in „Rivista“ acht seiner Artikel, davon einer posthum.133 Ein anderer Schüler, Bogumil Vošnjak (1882-1959), popularisierte seine Lehre in Slowenien134, in Ungarn wurde Gumplowicz durch die Zeitschrift „Huszadik Század“ 129
Wincławski, Włodzimierz (2001) 'Gumplowicz, Ludwik', in Ders. (Hrsg.), Słownik Biograficzny
Socjologii Polskiej. Tom 1: A-H [dt. Biographisches Wörterbuch der polnischen Soziologie] (Warszawa: PWN): 211-215 130
1894: Un programme de sociologie, 1895: La familie, sa genèse et son evolution. 1905: Le rôle des
luttes sociales. 131
Mitglieder waren auch Emil Reich, Rudolf Goldscheid, Rudolf Eisler und Wilhelm Jerusalem.
Müller, Reinhard (1989) 'Vergessene Geburtshelfer. Zur Geschichte der Soziologischen Gesellschaft in Graz (1908-1935)', AGSÖ Newsletter 2: 3-21 132
Ebda., 12 Fn 42
133
vgl. Strassoldo, Raimondo (1988) 'The Austrian Influence on Italian Sociology', in Langer, Josef
(Hrsg.), Geschichte der österreichischen Soziologie: 101-117 134
Jogan, Maca (1988) 'Katholische Soziologie in Slowenien als Produzentin sozialer Harmonie in
Österreich (bis 1918)', in Langer, Josef (Hrsg.), Geschichte der österreichischen Soziologie: 117-133
46 popularisiert und fand dort großen Widerhall.135 Seine Bücher wurden zudem auf Englisch, Spanisch, Japanisch und Russisch übersetzt. Von den Soziologen erfuhren nur Jerusalem und Spann ähnlich erfolgreiche Auslandsrezeption, allerdings zu einer unterschiedlichen Zeit und mit gänzlich anderen Vorzeichen. Interessant ist die Anerkennung, die die österreichischen Soziologen Gumplowicz und Ratzenhofer in den USA erfahren haben. In dem Fall von Lester Frank Ward (1841-1913) und Albion W. Small (1854-1926) kann man auch von einem deutlichen Einfluss Gumplowicz und Ratzenhofer sprechen, wobei es Gumplowicz war, der der Rezeption Ratzenhofers durch seine Kontakte mit Ward geholfen hat, wenn nicht gar ganz ermöglichte.136 Durch die Übersetzung und eine starke Agitation seitens Roscoe Pounds (1870-1864) galt Eugen Ehrlich in den USA als wichtigster Vertreter der Rechtssoziologie. Auch Wilhelm Jerusalem hatte, durch seine Freundschaft mit William James, eine gewisse Anerkennung in den Vereinigten Staaten gefunden. Insgesamt kann man konstatieren, dass die österreichische Soziologie punktuell im Ausland anerkannt worden ist. Dabei handelt sich aber vor allem um Personen, die in Österreich keine genügende Würdigung erhalten hatten, was man im Falle von Gumplowicz, Ratzenhofer und Jerusalem ohne Bedenken sagen kann. Eine kollektive Anerkennung ist aber nicht feststellbar. Die Rezeption österreichischer Soziologie im Ausland wartet aber bis dato auf entsprechende Untersuchungen, was die Aussagen über dieses Thema noch in die Sphäre der Spekulationen rückt.
Zwischen thematischer Eigenständigkeit und institutioneller Verankerung: Der deutsche und der österreichische Soziologiediskurs Die Verschränkung des österreichischen Diskurses mit dem Deutschen durch die gemeinsamen Medien macht die beiden Diskurse geradezu untrennbar. Dazu kommt noch das großdeutsche Verständnis zahlreicher österreichischer Soziologen als ein bedeutender 135
Kiss, Endre (1986) Der Tod der k. u. k. Weltordnung in Wien, 107
136
Ratzenhofer wurde zunächst durch eine Besprechung von Wesen und Zweck der Politik
von
Ludwig Gumplowicz in den Annals of the American Academy of Political and Social Science 5/1 (Juli 1894), 128-136, bekannt gemacht. Oberhuber, Florian (2002) Das Problem des Politischen in der Habsburgermonarchie. Ideengeschichtliche Studien zu Gustav Ratzenhofer, 1842 - 1904 (Unpublizierte Dissertation an der Universität Wien), 100
47 Faktor. Die Wissenschaftsentwicklungen in Österreich und in Deutschland waren aber nicht identisch, und so kam es zu bedeutenden Konflikten, wie etwa zum sogenannten Methodenstreit, zwischen Carl Menger (1840-1921) und Gustav Schmoller (1838-1917). Die Sprachgemeinsamkeit hat aber auch die häufigen gegenseitigen Berufungen ermöglicht. Nach Deutschland gingen etwa Carl Grünberg (1924 gründete er das Institut für Empirische Sozialforschung) oder Hans Kelsen (1930), dagegen kamen etwa Franz Brentano (1838-1917) (1873), Friedrich Jodl (1896) oder Moritz Schlick (1882-1936) (1921) – und auch die Urväter der österreichischen Soziologie, Ludwig von Stein und Albert Schäffle. Österreich hatte aber durchaus andere Problemfelder, die für die Wissenschaft Soziologie konstituierend waren. Die Frage der Nation, die für Gumplowicz, Hartmann oder Ehrlich in ihren soziologischen Untersuchungen bedeutend waren, fanden keine Entsprechung in dem
national
homogenen
Inkommensurabilität:
die
Deutschland. ersten
Dazu
österreichischen
kam
noch
Soziologen,
eine
theoretische
Ratzenhofer
und
Gumplowicz, waren beide Sozialdarwinisten (Ratzenhofer sogar ein Soziallamarckist), was ihre Rezeption in Deutschland, wo dieses als unwissenschaftlich galt, und, wie man am Beispiel des 1. Kongresses für Soziologie und der Auseinandersetzung zwischen Ferdinand Ploetz (1860-1940) und Max Weber dargestellt bekommt, sehr heftig bekämpft wurde, erschwerte. Nur Franz Oppenheimer (1864-1943) und Richard Thurnwald (1869-1954) (beide direkte Schüler von Gumplowicz), Roberto Michels (1876-1936) und Alexander Rüstow (1885-1963) haben die Popularisierung der beiden Österreicher in Deutschland vorangetrieben.137 Dieses Verhältnis wurde aber durch die nachfolgende Generation, die eine andere theoretische Fundierung hatte, überwunden, und etwa ab der Jahrhundertwende kann man über eine deutliche Verschränkung beider Diskurse sprechen mit einer immer stärker werdenden theoretischen Annäherung.
Zur wissenschaftlichen Landschaft 137
Stagl, Justin (1997) 'Gustav Ratzenhofers "Soziologie" und das Nationalitätenproblem Österreich-
Ungarns', in Endre Kiss (Hrsg.), Nation und Nationalismus in wissenschaftlichen Standardwerken Österreich-Ungarns, ca. 1876-1918 (Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag): 78-92
48
Die Politik und Soziologie: Wissenschaftspolitik?
In der Analyse der österreichischen Wissenschaftslandschaft spielt die Polarisierung der Fronten eine gewichtige Rolle. Ähnlich der in Lager gespaltenen politischen Landschaft waren auch die Gelehrten in ihrer ideologischen Ausrichtung gegensätzlich ausgerichtet. Hier möchte ich nun auf die Frage eingehen, wie berechtigt die in Österreich intuitive Nähe zwischen Soziologie und Sozialismus im Alltagsbewusstsein138 ist, und in welchen Umfang man über den Einfluss der politischen Motive auf die Entwicklung des Faches sprechen kann. Wenn man sich die frühe österreichische Soziologie anschaut, wird man sehr schnell erkennen, dass die ersten Soziologen, Schäffle und Gumplowicz139, nicht nur keine Sozialisten waren, sondern sich von diesen auch sehr deutlich distanziert haben. Schäffles Verhältnis zur Sozialdemokratie war sehr gespalten. 1874 schrieb er „Quintesenz des Sozialismus“, das im Zuge der Sozialistengesetze verboten wurde, und war unter den Sozialdemokraten sehr populär. Dagegen sprach er in „Die Aussichtslosigkeit der Sozialdemokratie: Drei Briefe an einen Staatsmann“ (1885), die liberalen und industriellen Schichten sehr stark an, und hat den Sozialismus abgelehnt.140 Vor allem seine Schrift „Bekämpfung der Sozialdemokratie ohne Ausnahmegesetz“ (1890) dürfte bei den Sozialisten einen sehr langen negativen Eindruck hinterlassen haben, 141 und die späteren Annäherungsversuche Schäffles zunichte machen. Ebenfalls hat sich Gumplowicz negativ bezüglich der politischen Linken geäußert. „[E]ine solche vorsorgende und das Individuum versorgende Gesamtheit [ist] ebenso eine Utopie [...], wie das freie, sich
138
Langer, Josef (1988) 'Allgemeine gesellschaftliche Hintergründe für die Entwicklung der
Soziologie in Österreich', 11 139
Wobei Gumplowicz vor allem gegenüber den politischen Vertretern des Sozialismus skeptisch
gegenüberstand, und trotzdem mit mehreren sozialistischen Ideen sympatisierte. In der polnischer Literatur wird er – meines Erachtens viel zu pauschal – allerdings meistens als Sozialist abgestempelt. 140
Mann, Fritz Karl (1932) Albert Schäffle als Wirtschafts- und Finanzsoziologe (Jena: Fischer), 26
141
Vgl. H.C., (Anonym) (1891) 'Herr. Dr. Albert Schäffle als Soziolog', Die neue Zeit IX/2: 492-498,
533-539, 561-570
49 selbst bestimmende Individuum“142 schrieb er in „Grundriss der Soziologie“. Im Jahr 1907, in „Allgemeines Staatsrecht“, wiederholte er seine Vorwürfe, und griff überdies den führenden sozialistischen Denker Anton Menger bezüglich seiner Überzeugungen zur Realisierbarkeit der Demokratie an: „Was berechtigt zu solcher Annahme [, dass die Demokratie durchführbar ist – J.S.]? Etwa das Regime in den sozialistischen Parteien? Da herrschen wohl die breiten Arbeitermassen oder vielleicht doch die Bebels, Adlers und Daszinskis?“143 Noch extremer haben die um Othmar Spann organisierten Vertreter der „Konservativen
Revolution“144
den
Sozialismus
abgelehnt.
Ihre
romantische
Staatskonzeption, die auf Plato, Heiligen Augustinus, Vogelsang und Müller rekurrierte, wurde dann im Ständestaat teilweise verwirklicht. Seine Angriffe auf Marxismus jeglicher Prägung, die er in seinen Büchern und Lehrveranstaltungen pries 145, haben ihrerseits das Hochschulleben der Zwischenkriegszeit nachhaltig beeinflusst146. Die anti-marxistische Wendung vollzog sich bei Spann aber erst im Laufe der frühen 20-er Jahre, da er noch in der ersten Nummer von Grünbergs Archiv für Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung rezensiert hat147, und wurde noch 1921 von Ernst Seidler mit folgenden Worten besprochen „Sp[ann]’s Schrift ist sicherlich die eines Sozialisten. Das Ganze ist
142
Gumplowicz, Ludwig (1926 [1885]) Grundriss der Soziologie (Innsbruck: Universitäts-Verlag
Ludwig Gumplowicz ', Kölner Zeitschrift 37: 621-647 144
Braunschweiger, Karl (2005) 'Othmar Spann. Ein österreichischer Vertreter der konservativen
Revolution?' in Benedikt, Michael/Knoll, Reinhold/Zehetner, Cornelius (Hrsg.), Verdrängter Humanismus verzögerte Aufklärung. Band V, Im Schatten der Totalitarismen. Vom Philosophischen Empirismus zur kritischen Anthropologie. Philosophie in Österreich 1920-1951 (Wien: WUV): 467-474 145
Siegfried, Klaus-Jörg (1974) Universalismus und Faschismus. Das Gesellschaftsbild Othmar
Spanns. Zur politischen Funktion seiner Gesellschaftslehre und Ständestaatkonzeption. V.a. 71f 146
Weinzierl, Erika (1981) 'Hochschulleben und Hochschulpolitik zwischen den Kriegen'
147
Spann, Othmar (1911) '[Besprechung von] Voländer, Karl: Kant und Marx. Ein Beitrag zur
Philosophie des Marxismus., und: Voländer, Karl: Kantische und Marxische Sozialphilosophie', Grünbergs Archiv 2: 128-134. Diese Schrift ist vor allem gegen die Verknüpfung von Kant (den Spann als Individualisten ablehnt) und Marxismus gewidmet.
50 ihm Ausgangspunkt. Dieser ist letztlich begründet im sozialen Charakter des menschlichen Denkens und Wissens.“148 Dagegen waren die in Wien ansässigen Soziologen durchaus dem Sozialismus zugeneigt, oder auch, wenn sie ihm politisch fern blieben, sich bei den sozialpolitischen Aktivitäten mit Austromarxisten vereinten. Hier kamen Sozialpolitik und Soziologie sich sehr nahe. Emil Reich, Ludo Moritz Hartmann und Wilhelm Jerusalem waren in den VolksbildungsEinrichtungen und nahe an Sozialisten stehenden Vereinen tätig, haben dieses aber nicht aus politischen Motiven, sondern aus volksbildnerischen Überzeugungen gemacht. Ein anderer Auch-Soziologe, Anton Menger, hat eine von dem Marxismus unabhängige Theorie des Sozialismus zu entwickeln versucht, was von den Austromarxisten heftig kritisiert wurde. Hans Kelsen, ein Verfechter des Parlamentarismus und der Demokratie, hat mit Sozialisten auch zahlreiche Kontakte gepflegt, was allerdings vielmehr aus seiner geistigen Offenheit als aus politischen Sympathien geschah. Dezidiert nah am Sozialismus standen etwa Rosa Mayreder (1958-1938), oder Ludwig Hertzka, die allerdings keine universitären Positionen innehatten. Die intuitive Zusammensetzung von Sozialismus österreichischer Prägung und Sozialdemokratie wird nur bei Max Adler sichtbar. Als Privatdozent, später Außerordinarius an der Universität Wien, hat er zahlreiche Vorlesungen aus dem Bereich Sozialismus angeboten. Sehr früh, bereits 1904, hat er mit Rudolf Hilfering (1877-1941) „Marx Studien“ herausgegeben, hat sich auch in seinen zahlreichen Büchern und Aufsätzen mit der Gesellschaftstheorie des Marxismus auseinandergesetzt. Seine eigene Theorie war die durchaus originelle Verknüpfung zwischen Marxschem Materialismus und Kantschem Apriorismus. Allerdings hatte seine Marxismusauffassung in der immer mehr Hegel zugewandten Sozialdemokratie wenige Befürworter.149 In dem methodischen Bereich war er eher theoretischen Forschung gewandt und hat eine empirische Fundierung der Soziologie stets abgelehnt. Ebenfalls haben Otto Bauer und Karl Renner sich mit der Soziologie beschäftigt. Renner, in seiner Schrift „Die soziale Funktion der Rechtsinstitute” (1904), die er allerdings unter 148
Seider, Ernst (1921) '[Besprechung von] Spann, Othmar: Fundament der Volkswirtschaftslehre',
Grünbergs Archiv 10: 76-89. Hier 89 149
Pfabigan, Alfred (1982) Max Adler. Eine politische Biographie. (Frankfurt am Main, New York:
Campus Verlag), 282
51 dem Pseudonym Josef Karner herausgeben musste, hat eine selbständige Rechtssoziologie entwickelt. In seinen, unter dem Pseudonym Rudolf Springer herausgegebenen Schriften über Nationalitätsproblematik, eröffnete er auch dieses Feld für die Sozialdemokratie. Mit dieser Frage hat sich auch Otto Bauer, der als talentiertester Wissenschaftler unter den Austromarxisten galt, beschäftigt. In seinen Schriften hat er auch die umfassende Formale Soziologie für die nicht zu ferne Zukunft angekündigt, die er als eine „Lehre von den Mittelgliedern, die die Entwicklung der Arbeitsverfahren und Arbeitsverhältnisse mit den konkreten individuellen Erscheinungen verknüpfen, die ja die unmittelbaren empirischen Erscheinungen der Geschichte sind“150 definiert, zu der es aber nie gekommen ist. Man kann allerdings nur vermuten, welchen Impact Bauer und Renner auf die Entwicklung der Soziologie in Österreich gehabt hätten: beide haben 1907 ihre wissenschaftlichen Aspirationen aufgegeben und haben sich der Politik gewidmet – wobei Renner noch beim 5. Soziologentag in Wien als Redner teilnahm. Aber es ist auch fragwürdig, ob die Austromarxisten an der Entwicklung einer autonomen Soziologie Interesse hatten. In ihrem Verständnis war es der wissenschaftliche Sozialismus, der die beste Soziologie war, diese also eine überflüssige Wissenschaft.151 Das Naheverhältnis zum Sozialismus kann man auch an der Wiener Soziologischen Gesellschaft erkennen, die neben der Propagierung der Soziologie auch die „Funktion einer intellektuellen sozialdemokratischen Vorfeldorganisation“ erfüllt hat.152 Von den Vorstandsmitglieder
waren
Julius
Ofner
(1845-1924)
und
Karl
Renner
Sozialdemokratische Politiker, Adler deklarierter Sozialdemokrat, sonst waren die anderen Mitglieder engagierte Sozialpolitiker (vlg. unten). Wichtig in diesem Zusammenhang ist das Fehlen liberaler und konservativer Wissenschaftler unter den aktiven Mitgliedern – auch wenn sie in anderen sozialen Organisationen bzw. soziologischen Vereinen tätig waren.
150
Zit. In: Mozetič, Gerald (1988) 'Der austromarxistische Beitrag zur Konstituierung der Soziologie
in Österreich', in Langer, Josef (Hrsg.), Geschichte der österreichischen Soziologie: 217-238. Hier 217 151
Ebda., 235
152
Stadler, Friedrich (1981) 'Spätaufklärung und Sozialdemokratie in Wien 1918-1938. Soziologisches
und Ideologisches zur Spätaufklärung in Österreich', in Kadrnoska, Franz (Hrsg.), Aufbruch und Untergang. Österreichische Kultur zwischen 1918 und 1938 (Wien-München-Zürich: Europa Verlag): 441-473. Hier 461
52
Disziplinenlandschaft:
„Boundary
work“
in
der
Zeit
der
„Disziplinierungen“
Nun möchte ich noch kurz auf die Wissenschaftslandschaft, wie sie sich um die Jahrhundertwende zeigte, eingehen. Die überblicksartigen Anmerkungen, die ich bei der Darstellung der Kultur machte, verstehe ich auch als eine Einleitung in die Problematik der Sozialwissenschaften der österreichischen Moderne, und werde sie hier nicht wiederholen. Dagegen will ich kurz die an die Soziologie grenzenden Wissenschaften – die Statistik, Staatswissenschaften und Nationalökonomie, behandeln.153 Die Wahl dieser ist weder zufällig noch theoretisch fundiert, sondern entspricht der Tatsache, dass diese drei Disziplinen in dem ausgehendem 19. und in den ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts mit der Soziologie dauerhaft in Berührung kamen – sei es auf der persönlichen Ebene (die Auch-Soziologen) oder in den wissenschaftstheoretischen Debatten über Methoden und Forschungsgegenstände. Auf die Einzelheiten dieser Auseinandersetzungen werde ich in dem späteren Teil kommen, hier will ich nur die Informationen präsentieren, die das Selbstverständnis dieser Fächer zeigen sollten. Die österreichische Statistik hat eine sehr ruhmreiche Geschichte hinter sich. Die Disziplinierungsversuche der absolutistischen Monarchie machten flächendeckende Volkszählungen nötig, aus diesen entsprangen auch spezialisierte Untersuchungen, die einzelne statistische Aspekte hervorheben sollen. Sehr früh kam es zur Errichtung erster statistischer Dienststellen und einer Professur für Statistik an den Universitäten.154 Auch wenn die Statistik lange eine Staatssache blieb, so war es doch schon ein Zeichen für die Durchsetzungskraft des Empirismus. Spätestens ab 1850 gab es auch schon öffentliche Mitteilungsorgane – „Mitteilungen aus dem Gebiete der Statistik“, und ab 1875 eine international hochangesehene „Statistische Monatsschrift“. Ihre Glanzzeit hatte die österreichische Statistik in der Periode Inama-Sternegg (1881ff) – als Karl Theodor Inama153
Auf die Rechtswissenschaften und Geschichtswissenschaft wird im späteren Teil der Arbeit
ausführlicher eingegangen, da ihre Berührungen mit der Soziologie keine Grenzziehungen waren, sondern vor allem innerdisziplinäre Methodenfragen. 154
Klein, Kurt (2001) 'Sozialstatistik', in Acham, Karl (Hrsg.), Geschichte der österreichischen
Humanwissenschaften. Band 3.1: Menschliches Verhalten und gesellschaftliche Institutionen: Einstellung, Sozialverhalten, Verhaltensorientierung (Wien: Passagen Verlag): 261-340. Hier 264
53 Sternegg die Präsidentschaft der Statistischen Zentralkommission übernahm. In dieser Zeit hat sich die österreichische Statistik in der Wissenschaftslandschaft sehr eindeutig profilieren können, und durch zahlreiche Aktivitäten genoss sie auch internationales Ansehen. Sie hat sich in dieser Zeit auch neuen Aufgaben gestellt, wie etwa die Gesundheitsstatistik, Sozialstatistik, Nationalitätenstatistik etc. Es kam auch zu einer Binnendifferenzierung zwischen Kollektivstatistik und Individualstatistik, die weitere Untersuchungsmöglichkeiten eröffnete. Auch die Stadt Wien hat eigene Stellen für statistische Forschungen errichtet – aus denen kam etwa die Studie von Stephan Sedlaczek (1844-1922) „Die Wohnverhältnisse in Wien“ (1893). Besonders wichtig sind hier auch Querverbindungen der Statistik zu anderen Disziplinen. Inama-Sternegg war auch auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte tätig, Nationalökonom Eugen
von
Phillippovich
verfasste
Studien
über
Wohnungsstatistik,
Wirtschaftswissenschaftler Karl Příbram war ebenfalls Mitglied der Statistischen Kommission.155 Durchgehend war die Statistik an den Universitäten präsent – obwohl ihre Bedeutung
als
ein
Gegenstand
in
dem
Curriculum
der
Rechts-
und
Staatswissenschaftlichen Fakultät vor allem seit den 1880-er Jahren kontinuierlich sank.156 Vom Selbstverständnis her hat sich die Statistik aber als eine eigene Disziplin verstanden, eine „Gesellschaftsforschung“157, die nach den sozialen Gesetzmäßigkeiten sucht. Durch die eigene mathematisch-statistische Sprache war sie auch ein direkt wahrnehmbares wissenschaftliches Feld. Vor allem das Wirken von Inama-Sternegg muss in diesem Kontext hervorgehoben werden, dessen erklärtes Ziel es war, aus der Statistik eine etablierte Disziplin im Sinne einer historischen Sozialwissenschaft zu machen.158 Die „österreichische Schule der Nationalökonomie“, deren Gründerväter Carl Menger, Eugen von Böhm-Bawerk (1851-1914) und Friedrich von Wieser waren, hatte als Disziplin eine leichtere Aufgabe, da die Volkswirtschaft bereits hinreichend konstituiert war. Durch 155
Klein, Kurt (2001) 'Sozialstatistik'
156
Ebda., 284
157
Žizek, Franz (1914) 'Individualistische und kollektivistische Statistik. Zu Karl Přibram, "'Die
Statistik als Wissenschaft in Österreich in 19. Jahrhundert, nebst einem Abrisse einer allgemeinen Geschichte der Statistik'"', Statistische Monatsschrift XIX (XXXX): 45-64. Hier 56 158
Příbram, Karl (1913) 'Die Statistik als Wissenschaft in Österreich in 19. Jahrhundert, nebst einem
Abrisse einer allgemeinen Geschichte der Statistik', Statistische Monatsschrift XVIII (XXXIX): 661-739
54 den
Einfluss
der
neugeschaffenen
Grenznutzenlehre,
die
eine
„Versozialwissenschaftlichung“ des Wertbildungsprozesses mit sich brachte, stand sie der Soziologie sehr nahe. Auch die Beschäftigungsfelder der Vertreter der neuen Disziplin waren durchgehend der Soziologie nahe – etwa Carl Mengers „sociale Gebilde“, oder von Wiesers Machttheorie. Der Gegenpol, die klassische Politische Ökonomie, war auch durch und durch an Soziologie grenzend – sowohl Lorenz von Stein als auch Albert Schäffle haben sich eingehend mit den Fragen der Gesellschaftslehre beschäftigt. Aber auch hier haben wir es mit Disziplinierungsversuchen zu tun. Diese betrafen die Abgrenzung zwischen den Methoden, die einzelnen Felder zugeschrieben werden. Ähnlich dem Methodenstreit kann man hier über einen Konflikt zwischen der organischen Ökonomie, die Teil der Gesellschaftslehre war und spezialisierter empirischer, die gegeneinander um die Erweiterung ihrer Machtbereiche kämpfen, sprechen.159 In diesem Kontext sind die Schriften von Menger und anderen Ökonomen zu verstehen, die sich um die Reinheit ihrer Theorie bemühten, und alle Versuche von dieser abzulenken – wie etwa bei von Wiese, abgelehnt haben. Dieses Beispiel von „Boundary Work“, das die Überlegenheit eigener Methode und der Erklärungsmodelle gesellschaftlicher Prozesse gegenüber anderen Theorien unterstreichen soll,
hat nur kurzfristige Erfolge gebracht. Obwohl die
Grenznutzenlehrer die Machtstellung in Österreich durch die Besetzung der wichtigsten Lehrkanzeln bis etwa Mitte der 20-er Jahre behaupten konnten, standen sie dauernd unter Kritik: zuerst der historistischen Schule, und dann der ganzheitlichen Volkswirtschaft. Bereits nach dem Krieg war ihr Machtbereich so geschrumpft, das die dritte Generation um Ludwig von Mises (1881-1973) sich nicht mehr an den Universitäten behaupten konnte. Ebenfalls muss man davon ausgehen, dass die an die Soziologie angrenzende Staatslehre, die in Wien etwa durch Georg Jellinek (1851-1911) vertreten wurde, sich in ihrem Selbstverständnis bedroht fühlen konnte. Vor allem nach seiner Berufung nach Heidelberg 159
Menger hat diesen Kampf bereits in seiner 1883 erschienen programmatischen Schrift
„Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen Oekonomie insbesondere“ angesprochen, in dem er die politische Ökonomie, als eine (spezielle)Wissenschaft über den Gesetzen der Volkswirtschaft, und nicht ein Teil „einer universellen Gesellschaftswissenschaft“. Siehe Menger, Carl (1970) Gesammelte Werke, Band II. Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen
Oekonomie
insbesondere
(1883).
Herausgegeben
mit
einer
Schriftenverzeichnis von F. A. Hayek. (Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck)), IX
Einleitung
und
einem
55 hat Jellinek sich auch ausführlich mit der Soziologie beschäftigt. Seine Theorien waren aber bereits bei Gumplowicz Objekt von zahlreichen, weniger expliziten als impliziten, Angriffen.160 Im Gegenzug war es Bernatzik, der die sehr fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Gumplowicz und „Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart“ beendete, indem er 1892 eine vernichtende Kritik seiner Bücher schrieb 161, die sich sowohl an den Stil des Grazer Professors, als auch an seinen Konzeptionen, richtete.
Medienlandschaft
Wie die sich neuformierenden Disziplinen, waren auch die Zeitschriften mehrheitlich darauf ausgerichtet, zwar einen thematischen Nucleus herauszubilden, um sich auf dem Wissenschaftsmarkt zu profilieren, mussten aber auch, durch noch nicht vollständig spezialisierte Beiträge darum kämpfen, die Autoren zu finden die darin publizieren wollten. Daher waren sie meistens interdisziplinär, und dazu bestimmt, größere Wissenschaftsfelder abzudecken. Erst nach etwa 1925 kamen wirklich spezialisierte Fachzeitschriften auf den Markt. Gerade am Beispiel Soziologie kann man sehr gut sehen, dass die Spezialisierung der Zeitschriften in negativer Relation zu ihrer Lebenszeit stand. Dirk Käsler listete die Zeitschriften auf, die für die Deutsche (also auch österreichische) Soziologie zwischen 1909 und 1934 wichtig waren.162 Die Fachzeitschriften aus der Periode sind: "Zeitschrift für wissenschaftliche Philosophie“ (1899-1902, danach "Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie (1902-1916), "Monatsschrift für Soziologie" (1909), "Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaft“ (1921-1922, danach "Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie" (1923-1933/34), "Jahrbuch 160
Ausführlicher: Stoerk, Felix (1883) '[Besprechung von] Gumplowicz, Ludwig: Rechtsstaat und
Socialismus.' Grünhuts Zeitschrift 10: 448 – 456. Besonders 452 161
Der Stil der Besprechung war sehr aggressiv und kann auch teilweise als persönliche Attacke
gewertet werden, z.B.: „Die Oberflächlichkeit, mit welcher der Verfasser die Jahreszahlen und historische Thatsachen behandelt, ist kaum zu glauben. “ Bernatzik, Edmund (1892) '[Besprechung von] Gumplowicz Ludwig: Einleitung in das Staatsrecht., und Gumplowicz Ludwig: Das österreichische Staatsrecht (Verfassung-, und Verwaltungsrecht).' Grünhuts Zeitschrift 19: 761-781 162
Käsler, Dirk (1984) Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre Entstehungs-Milieus:
Eine wissenschaftssoziologische Untersuchung (Opladen: Westdeutscher Verlag)
56 für Soziologie" (1925-1927), "Archiv für systematische Philosophie und Soziologie" (1926-1931/32),
"Ethos.
Vierteljahresschrift
für
Soziologie,
Geschichts-
und
Kulturphilosophie." (1925-1927). Von diesen sechs haben also vier die ersten fünf Jahre nicht überlebt. Die Zeitschriften, die sich langzeitig auf dem Markt gehalten haben, waren sehr interdisziplinär gehalten. Dieses ist nicht nur eine deutsche Besonderheit – ein Teil des Erfolges von „Annee Sociologique“ Durkheims wird ebenfalls ihrer Themenvielfalt zugesprochen. Durkheim ließ Personen aus verschiedenen anderen Spezialdisziplinen Artikeln publizieren, die um Themen der Soziologie oszillierten, was der Zeitschrift ein viel größeres Potential gegeben hat als wenn sie sich nur für die potentiellen Soziologieprofessoren interessiert hätte.163 Vor allem waren es deutsche Zeitschriften, in denen österreichische Autoren ihre Artikel publizierten. Von den vielen zu der Zeit zugänglichen Titeln ist das „Archiv für Soziale Gesetzgebung und Statistik“ (1888-1904, danach Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ 1904-1933), das unter anderem zeitweise durch zwei österreichische Außenseiter – Emil Lederer (1882-1939), und seit 1918 auch Josef Schumpeter mitherausgegeben wurde, für österreichische Sozialwissenschaften das primäre Medium. Dort publizierten unter anderem Příbram, Otto Neurath, Othmar Spann, Kelsen, Ehrlich, es erschienen auch einzelne Artikel von Hartmann, Walter Schiff (1866-1950) und Anton Menger. Ebenfalls wurden hier alle bedeutenden österreichischen Publikationen besprochen. Wichtig wurde die Zeitschrift vor allem als Ort eines der bedeutendsten Konflikte in der frühen österreichischen Soziologie – der Auseinandersetzung zwischen Kelsen und Ehrlich um die Rechtssoziologie. Zweites wichtiges Medium war „(Schmollers) Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege/Volkswirtschaft des/ im Deutsche(n) R eich(es)" (1873ff), mit zahlreichen Rezensionen österreichischer Autoren, und Beiträgen von Grünberg, Spann und Příbram. Österreichische Beiträge findet man auch in der „ Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“, wo Albert Schäffle Mitherausgeber war. Außer seinen Beiträgen findet man dort auch Othmar Spann, Carl Grünberg, Otto
163
Clark, Terry N. (1981) 'Die Durkheim-Schule und die Universität', in Lepenies, Wolf (Hrsg.),
Geschichte der Soziologie. Band 2: 157-205
57 Weinberger (1882-1958), („Auseinandersetzung“ mit Richard Kerschlagl (1896-1976) bezüglich der Gesellschaftslehre Adam Müllers), aber auch durchaus interessante Beiträge zweier Wiener, Max Ried und Karl H. Brunner, bezüglich Techniksoziologie.164 In der für Deutschland überaus wichtigen „Zeitschrift für wissenschaftliche Philosophie“ (1899-1902, danach „Vierteljahreszeitschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie“)165 findet man dagegen kaum österreichische Beiträge, die eine soziologische Nähe aufweisen. Wilhelm Jerusalem, in seiner vorsoziologischen Periode166, und die Auch-Soziologen Emil Reich und Rudolf Eisler haben einzelne Artikeln in Philosophie veröffentlicht. Darüber hinaus gab es eine Reihe von Rezensionen österreichischer Autoren, darunter auch eine Selbstanzeige von Gustav Ratzenhofer.167 Die am Ende der Untersuchungsperiode gegründeten „Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaft“ (1921-1922, danach "Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie" (1923-1933/34) haben auch in Österreich einen starken Partner gefunden. Hier publizierten Max Adler oder Rudolf Eisler, 1927 erschien auch im Rahmen der Zeitschrift ein Beitrag Othmar Spanns „Ein Wort an meine Gegner auf dem Wiener Soziologentage“168, der eine Fortsetzung der heftigen Auseinandersetzungen zwischen Adler und Spann vom 5. Soziologentag in Wien im Jahr 1926, war. Auch die in memoriam Wilhelm Jerusalem169 und Ludo Moritz Hartmann170, die einer Anerkennung als 164
Brunner, Karl H. (1925) 'Technik, Bauwesen und Staatswissenschaften', Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft LXXXIX: 341-346., Ried, Max (1910) 'Technik und soziale Entwicklung', Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft LXVI: 240-250 165
Dieses Zeitschrift hatte durchaus österreichische Mitherausgeber: Herausgegeben wurde sie von
Paul Barth (1858-1922), unter Mitwirkung von Ferdinand Avenarius (1856-1923), Ernst Mach und Alois Riehl (1844-1924). (später hat Friedrich Jodl den Platz von Mach übernommen und endlich kam Felix Krueger (1874-1948) anstatt Jodl in die Redaktion) 166
Jerusalem, Wilhelm (1897) 'Über psychologische und logische Urteilstheorien', Zeitschrift für
wissenschaftliche Philosophie 21: 157-190 167
Ratzenhofer, Gustav (1898) 'Soziologische Erkenntnis, „positive Philosophie der sozialen Lebens“
(Selbstanzeige)', Zeitschrift für wissenschaftliche Philosophie 22: 461-462 168
Spann, Othmar (1927) 'Ein Wort an meine Gegner auf dem Wiener Soziologentage', Kölner
Zeitschrift 6: 311-336 169
von Wiese, Leopold (1923) 'Zum Gedächtnis an Wilhelm Jerusalem (1854-1923)', Kölner
Zeitschrift 3: 202-203 170
Adler, Max (1925/1926) 'Zum Gedächtnis an Ludo M. Hartmann', Kölner Zeitschrift 5: 326-329
58 Soziologen gleichzusetzen sind, erschienen in der Zeitschrift. Hier fand auch der zweite Teil der Auseinandersetzung zwischen Otto Weinberger und der romantischen Staatslehre von Adam Müller – diesmal mit einer (äußerst kurzen) Antwort von Jacob Baxa statt.171 Aus dieser Aufzählung wird deutlich, dass die Kölner Zeitschrift die zur Zeit ihres Erscheinen profilierteste soziologische Zeitschrift gewesen ist, und dass die sich sehr gut in das Presselandschaft eingefügt hat. Vor allem die starke Präsenz der österreichbezogenen Themen zeugt davon, dass im Donauraum kein soziologisches Medium präsent war, und man ins Ausland aus weichen musste. Diese Aufzählung soll keineswegs bedeuten, dass die österreichischen Autoren ausschließlich in Deutschland publizierten. Ganz im Gegenteil gab es bedeutende, in Österreich herausgegebene Zeitschriften, in denen bedeutende soziologische Beiträge publiziert worden sind. Die wichtigste Zeitschrift für die frühe österreichische Soziologie war ohne Frage „Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart“ (1874-1916). Unter den Beitragenden waren unter anderem Gumplowicz (bis 1892), Eugen Ehrlich und Adolf Menzel, soziologische Beiträge lieferten auch unter anderen der früh verstorbene polnische Soziologie Lotar Dargun (1853-1893), der Pariser Rechtsgelehrte Mieczyslaw Szerer (1884-1981), oder Ludwig Spiegel (1864-1926) aus Prag. Schwerpunkte waren hier die Rechtswissenschaften – auch Rechtssoziologie, aber vor allem durch die Präsenz Gumplowiczs konnte auch die nicht-juridische Soziologie stark vertreten werden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Zeitschrift durch die von Bernatzik, Max Hussarek (18651935), Kelsen, Lammarsch und Menzel gegründete „Zeitschrift für öffentliches Recht“172, deren erste Bände eine Fortsetzung des in „Grünhuts Zeitschrift“ angefangenen Kampfes zwischen reiner Rechtslehre und anderen rechtswissenschaftlichen Konzepten (u.a. von Erich Voegelin, Walther Heinrich, Fritz Sander), beinhalteten, ersetzt. 1925 verfasste Julius Kraft auch eine Kritik der Staatslehre von Gumplowicz.173 Dank Adolf Menzel erschienen aber auch einige Studien aus der Machtsoziologie.174 171
Weinberger, Otto (1925/1926) 'Romantik und Gesellschaftslehre', Kölner Zeitschrift 5: 288-300.,
Baxa, Jacob (1925/1926) 'Berichtigung', Kölner Zeitschrift 5: 496 172
Erste drei Bände als „Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht“
173
Kraft, Julius (1925) 'Die Kritik der Staatsrechtlichen Dogmatik bei Ludwig Gumplowicz',
Zeitschrift für öffentliches Recht 4: 445-457
59 Ab 1911 erschien „Grünbergs Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung“. Die sowohl kognitive als auch persönliche Nähe von Sozialismus und Soziologie fanden aber in diesem Publikationsorgan nicht ihren Niederschlag. Auch wenn einige soziologische Schriften besprochen175 und auch soziologische Texte publiziert wurden (Max Adler, Hans Kelsen, Carl Grünberg). Die explizite Bezugname auf die Soziologie blieb aber punktuell – das hatte auch mit der Tatsache zu tun, dass Sozialismus als angewandte Soziologie verstanden wurde, also der Begriff der Soziologie als überflüssig angesehen wurde. Andere sozialistische Zeitschriften: „Die Wage“ und „Der Kampf“ publizierten ebenfalls soziologische Artikeln, ihr Selbstverständnis zwischen Populärwissenschaftlichen- und Fachzeitschrift lässt sich aber nicht genau bestimmen.176 In „Die Wage“ publizierten zum Beispiel Gumplowicz und Ratzenhofer, aber auch Józef Piłsudzki (1867-1935), und August Strindberg (1849-1912), was die Zeitschrift in die Sphäre des Populären rückt. Ähnlich war es mit der zwischen 1894 und 1904 erscheinenden Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft, Wissenschaft und Kunst177 „Die Zeit“, in der Sozialwissenschaften durchwegs hervorgehoben waren. 178 Explizit soziologische Beiträge publizierten vor allem Gumplowicz, Masaryk, Georg Simmel (1858-1918), Ludwig Stein (1859-1930) und Ferdinand Tönnies. Darüber hinaus gab es eine starke Präsenz der Auch-Soziologen. Interessant sind zwei Berichte über soziologische Kongresse in Paris – einer von Tönnies (1894), der andere von einem
174
Wichtigste Menzel, Adolf (1922) 'Kallikles. Eine Studie zur Geschichte der Lehre vom Rechte des
Stärkeren', Zeitschrift für öffentliches Recht 3: 1-84 175
Zum Beispiel Maurice Halbwachs (1877-1945), Adolf Menzel, oder Franz Oppenheimer.
176
So rechnet Ulrike Felt „Die Zeit“ und „Die Wage“ zum Teil-Fachzeitschriften: dies. (1997)
'Öffentliche Wissenschaft: Zur Beziehung von Naturwissenschaft und Gesellschaft in Wien von der Jahrhundertwende
bis
zum
Ende
der
Ersten
Republik',
Österreichische
Zeitschrift
für
Geschichtswissenschaften 7: 45-66 177
So der Untertitel
178
Sammer, Michael (1998) Die Zeit und ihre Zeit. Sozialwissenschaftliche Betrachtungen an Hand
einer Wiener Wochenschrift (Unpublizierte Diplomarbeit an der Universität Graz)
60 gewissen „Rappoport“179 (1897), die jeweils kurze Darstellungen der internationalen Konferenz bringen.180 Auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften war die „Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung“, ein Sprachrohr der Gesellschaft österreichischer Volkswirte – also der österreichischen Schule, das wichtigste Medium. Da diese stark an den Sozialwissenschaften orientiert war, kam es auch zu deren Popularisierung im Rahmen der Publikationen. Vor allem nach 1904, als sich Friedrich von Wieser und Eugen von Phillippovich den Herausgebern angeschlossen haben, kann man das verstärkte Interesse für sozialwissenschaftliche Fragen beobachten. Von österreichischen Autoren nahe der Soziologie haben dort Inama-Sternegg, Franz Žižek, Othmar Spann und Walther Schiff publiziert. Ausführlich auf die Soziologie wurde aber kaum eingegangen, und wenn schon, waren es entweder deutsche Autoren, oder nur im Rahmen der Buchbesprechungen. Die Schwerpunkte bildeten die Publikationen zur Theorie der Nationalökonomie, aber auch die Sozialpolitik und Statistik haben ihren festen Platz gefunden. Auch in den „Wiener Staatswissenschaftlichen Studien“, die von Bernatzik und von Philippovich herausgegeben wurden, konnte man soziologische Beiträge finden: vor allem „Die Staatslehre des Dante Alighieri“181 von Kelsen, die ein früherer Versuch des Rechtsgelehrten, die mittelalterliche Kosmogonie zu erklären. darstellt, und „Das Majoritätsprinzip“ von dem Schüler von Georg Jellinek, Wołomyr Starosolskyj, der eine soziologische Begründung der Demokratie auf der Basis von Tönnies und Simmel liefert.182 In einer Reihe von unterschiedlichen Zeitschriften publizierten Hartmann, Ludwig von Mises und Max Adler. Hier bildeten vor allem ihre Ursprungsdisziplinen die Schwerpunkte: Hartmann war zum Beispiel Mitherausgeber von „Vierteljahresheften für Sozial-, und Wirtschaftsgeschichte“, Adler hat mit Rudolf Hilferding (1877-1941) die 179
Wahrscheinlich Achim Rappaport, der zu dieser Zeit an der Wiener Rechts- und
Staatswissenschaftlichen Fakultät lehrte 180
Sammer, Michael (1998) Die Zeit und ihre Zeit
181
Kelsen, Hans (1905) 'Die Staatslehre des Dante Alighieri', Wiener Staatswissenschaftliche Studien
6/3 (Wien und Leipzig: Franz Deuticke): 237-388 182
Starosolskyj, Wołomyr (1916) 'Das Majoritätsprinzip', Wiener Staatswissenschaftliche Studien 13
(Wien und Leipzig: Franz Deuticke): 47-204
61 „Marx Studien“ herausgegeben etc.. Eine periphere Rolle spielte auch die „Österreichische Rundschau“, in der unter anderem Beiträge von Wieser und Hartmann – die für kurze Zeit Ministerienposten innehatten, veröffentlichten. Auch in der „Neuen Freien Presse“, die damals eine der führenden Zeitungen Europas war, kamen mehrmals soziologische Artikel zum Druck. Außer den traditionsgemäßen Obituarien, wie etwa von Wilhelm Jerusalem183, wurden hier Artikel aller führenden Soziologen und Sozialwissenschaften abgedruckt, die nicht nur wissenschaftliche, sondern auch politische Themen betrafen. So gesehen kann man keineswegs davon sprechen, dass die Soziologie in Österreich in den Medien nicht popularisiert wurde. Nicht nur in den wissenschaftlichen Zeitschriften, sonder auch in den populärwissenschaftlichen Periodika war sie explizit präsent. Aber auch hier sehen wir auch die Zersplitterung, die sie erfuhr. In jeder dieser Zeitschriften war Soziologie eher ein Pendant, und keineswegs ein Schwerpunkt, nur im Falle der „Kölner Zeitschrift für Soziologie“ kann man von einem soziologischen Profil sprechen. In Österreich waren die Herausgeber der Fachzeitschriften sichtbar bemüht, in den von ihnen herausgegebenen Zeitschriften eine Spezialisierung vorzunehmen, die auf ihre Interessen zugeschnitten wurde. Dieses machte eine Clusterbildung bei den Soziologen unmöglich, und erschwerte auch die Kommunikation zwischen Soziologen, da sie, ihren Spezialisierungen
folgend,
in
verschiedenen
Zeitschriften
publizierten.
Diese
unterschiedlichen Profile werde ich am Beispiel von Wilhelm Jerusalem und Ludwig Gumplowicz noch zeigen. Für die österreichische Medienlandschaft charakteristisch ist auch die Verflechtung mit Deutschland – so fand eine der wichtigsten Debatten betreffend Soziologie im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ statt. Ein sehr gutes Beispiel für das Fehlen des soziologischen Forums ist die (nur) 1909 erschienene „Monatsschrift für Soziologie“.184 Neben einem Bericht über die Wiener Soziologische Gesellschaft finden sich dort Artikel von Gumplowicz, Jerusalem und Ratzenhofer junior (über seinen Vater), und Besprechungen österreichischer Soziologen. In seinem Beitrag zur Diskussion über die Aufgabe der Soziologie bedankte sich Jerusalem für das Schaffen des
183
Schlick, Moritz (22.7.1923) 'Wilhelm Jerusalem zum Gedächtnis', Neue Freie Presse: 27-28
184
Herausgegeben von Eleutheropulos (1873-1963) und Baron von Engelhardt
62 bisher fehlenden Forums für die aufstrebende Disziplin.185 Die „Monatsschrift“ musste allerdings, wie auch andere spezialisierte Fachzeitschriften, nach einer sehr kurzen Zeit ihre Arbeit einstellen. Nun möchte ich noch kurz auf die Publikationsmuster der zwei österreichischen Soziologen, Ludwig Gumplowicz und Wilhelm Jerusalem, eingehen. Der polnische Professor war in seinem Selbstverständnis vor allem Soziologe – da es aber keinen Lehrstuhl für diese Disziplin gab, war er in Graz Professor für Verwaltungslehre, und hat, um sich an der Universität zu profilieren, viele rechtswissenschaftliche Beiträge publiziert. Jerusalem hat sich mit der Soziologie erst ab 1907 intensiv beschäftigt186, obwohl sie in seiner „Einleitung in die Philosophie“ seit der ersten Auflage präsent war, und in anderen Schriften auf sie eingegangen wurde.
185
Jerusalem, Wilhelm (1909) 'Die Aufgabe der Soziologie', Monatsschrift für Soziologie
August/September: 550-558 186
Eckstein, Walther (1935) Wilhelm Jerusalem. Sein leben und Wirken, 66
63 Tabelle 2: Publikationsmuster österreichischer Soziologen: Ludwig Gumplowicz und Wilhelm Jerusalem. 187
Ludwig Gumplowicz
Wilhelm Jerusalem
Deutsche Literaturzeitung188
41
53
Neue Freie Presse189
Grünhuts Zeitschrift
21
11
Die Zukunft
Die Zukunft
21
7
Das Wissen für Alle
Juristisches Literaturblatt
15
4
Vom Fels zum Meer
Politisch-Anthropologische Revue 6
3 Zeitschrift für Sozialwissenschaften
Deutsche Rundschau
6
3
Deutsche Literaturzeitung
Österreichische Revue
4
2
Kölner Zeitschrift
Monatsschrift für Soziologie
3
2
Die Wage
Die Zeit
3
Die Wage
2
Hier sieht man, wie gespalten die zwei Professoren waren, und dass, abgesehen von den Mischblättern, nur die „Monatsschrift für Soziologie“ die Zeitschrift war, in der beide publizierten. Man muss auch berücksichtigen, dass beide nicht nur soziologische Beiträge lieferten – Gumplowicz hat vor allem Artikeln über Verwaltungslehre und Staatsrecht publiziert, Jerusalem hat sich auch eingehend mit Psychologie und Pädagogik beschäftigt. Aber auch ihre soziologischen Beiträge wurden in einer Vielzahl von Zeitschriften publiziert und lassen keine Regelmäßigkeiten erkennen. Ähnliche Erkenntnisse kann man aus dem Muster der Besprechungen – hier nur am Beispiel von Gumplowicz, herauslesen. Von den österreichischen (Fach)Zeitschriften war es „Grünhuts Zeitschrift“, die ihn am häufigsten besprochen hat – nicht aber „Der Rassenkampf“, „Soziologie und Politik“ oder
187
Nach Żebrowski, Bernhard (1926) Ludwig Gumplowicz. Eine Bio-Bibliographie (Berlin: R.L.
Prager). 188
Sowohl Artikeln als auch Besprechungen. Aufgenommen wurden wichtigste deutschsprachige
Blätter. 189
Daneben publizierte Jerusalem in mehreren pädagogischen und volksbildnerischen Zeitschriften
64 „Soziologische Staatsidee“ – obwohl seine anderen soziologischen Schriften rezensiert wurden, und sonst oft auf die Soziologie in Rahmen der Zeitschrift eingegangen wurde. Außerdem erschienen regelmäßige Rezensionen seiner Werke nur in den beiden auf Besprechungen spezialisierten Blättern. Das zeigt nicht nur, dass Gumplowicz keine feste Kritikergruppe besaß, sondern auch, dass keine Zeitschrift zu seiner Lebenszeit eine Profilierung auf die Soziologie hatte, die sie verpflichten würde, seine Schriften durchgehend wahrzunehmen. Bei den nah an der Ökonomie und Sozialpolitik stehenden Auch-Soziologen war die Situation anders, da die von mir oben genannten Fachzeitschriften regelmäßig Rezensionen ihrer Beiträge publizierten. Hier kam es aber durchwegs zur Vermischung von soziologischen und nicht-soziologischen Beiträgen, die als solche nicht unterschieden wurden. Auch hier kann man keine auf Soziologie spezialisierten Kritiker sehen, obwohl Konturen der Professionalisierung bereits langsam sichtbar werden: vor allem in Personen wie Adolf Menzel und Othmar Spann, deren Namen überdurchschnittlich häufig bei Rezensionen (implizit und explizit) soziologischer Beiträge anzutreffen ist, was die langsam ansetzende Professionalisierung beweist.
Was die Verbreitungsmedien außer den Zeitschriften betrifft, so waren es vor allem die Buchbeiträge. Als erste explizit soziologische Bücherreihe erschien ab 1908, dank den Verlag von Dr. Werner Klinkhardt in Leipzig, und unter der Leitung von Rudolf Eisler, die 'Philosophisch-soziologische Bücherei'. Den Schwerpunkt bildeten die Übersetzungen ausländischer Soziologen und Philosophen, wobei viele Werke durch die Reihe der Leserschaft oft zum ersten Mal präsentiert worden sind. Die Breite der behandelten Themen reichte von Philosophie, Naturwissenschaften190, bis zur Ausgabe wichtiger soziologischen Schriften, wie Émile Durkheims „Die Methode der Soziologie“ (1908), Frank Giddings’ „Prinzipien der Soziologie” (1911), oder „Die Kunst als soziologisches Phaenomen” (1911) von Jean-Marie Guyau (1854-1888). Die Bedeutung erlangte die Reihe allerdings vor allem durch die Erstübersetzung der Schriften von amerikanischen und englischen Pragmatisten.191 190
Franz Galtons „Genie und Vererbung“ (1910)
191
Von Wilhelm Jerusalem übersetztes Werk von William James „Der Pragmatismus. Ein neuer Name
für alte Denkmethoden. Volkstümliche philosophische Vorlesungen” (1908), und von Eisler übersetztes F.C.S. Schiller “Humanismus, Beiträge zu einer pragmatischen Philosophie“ (1911)
65 Ab 1916 sind auch im Rahmen der von soziologischen Gesellschaften herausgegebenen Buchreihen soziologische Schriften erschienen – zuerst erschien die Reihe der Grazer Soziologischen Gesellschaft „Zeitfragen aus dem Gebiete der Soziologie“ und ab 1925 „Soziologie und Sozialphilosophie“ der Wiener Soziologischen Gesellschaft.192 Eine Übersicht der Beiträge zeigt die genaue Ausrichtung (Tabelle 3).
192
In Czernowitz wurden „Schriften des Sozialwissenschaftlichen Akademischen Vereins in
Czernowitz“ veröffentlicht, in denen auch soziologische Fragestellungen Eingang fanden. Es erschienen folgende Bände: Eugen Ehrlich „Die Aufgaben der Sozialpolitik im österreichischen Osten (Juden-, und Bauernfrage)“, Josef Schumpeter „Wie Studiert man Sozialwissenschaft?“, Ludo Moritz Hartmann „Christentum und Sozialismus“, Ernst Victor Zenker (1865-1946) „Soziale Moral in China und Japan“, Hans R. von Frisch (1975-1941) „Der Krieg im Wandel der Jahrtausende“, Eduard Bernstein (1850-1932) „Wesen und Aussichten des bürgerlichen Radikalismus“, Josef Schumpeter „Vergangenheit und Zukunft der Sozialwissenschaften“, Alfred Amonn (1883-1962)„Nationalität und Staatsgefühl“, Otto Freiherr von Dungern „Das Schicksaal Albaniens“.
66 Tabelle 3: Übersicht über die „Zeitfragen aus dem Gebiet der Soziologie“ 193
Erwin Szabó (1877-1918) (Budapest), Freihandel und Imperialismus, 1918 Ferdinand Tönnies (Kiel), Menschheit und Volk, 1918 Karl Příbram (Wien), Die Grundgedanken der Wirtschaftspolitik der Zukunft, 1918 Joseph Schumpeter (Graz), Die Krise des Steuerstaates 1918 Max Layer (1866-1941) (Graz), Staatsformen unserer Zeit, 1919 Ernst Swoboda (1879-1950) (Graz), Die Überwälzung der Hauserhaltungskosten auf die Mieter und der Mieterschutz, 1921
Zweite Reihe: 1. Heft 2. Heft
Julius Bunzel (1873-1942) (Graz), Der Zusammenbruch des Parlamentarismus und der Gedanke des ständischen Aufbaues, 1923 Kurt Kaser(1870-1931) (Graz), Der deutsche Ständestaat, 1923
Dritte Reihe: 1. Heft 2. Heft 3. Heft
Oskar Kraus (1872-1942) (Prag), Der Machtgedanke und die Friedensidee in der Philosophie der Engländer Bacon und Bentham, 1926 Ferdinand Tönnies (Kiel), Wege zu dauerndem Frieden? 1926 Karl Příbram (Genf), Die Probleme der internationalen Sozialpolitik, 1927
Vierte Reihe: 1. Heft
Julius Bab (1880-1955) (Berlin), Das Theater im Lichte der Soziologie, 1931
Interessant sind auch die Beiträge, die nicht erschienen sind: Othmar Spanns „Der Begriff der Nation“, wurde schon im ersten Band angekündigt, dann immer noch für die dritte Reihe. Hugo Spitzers (1854-1936) „Die Stellung der Soziologie unter den Wissenschaften“, Ignaz Seipels „Katholizismus und Nationalismus“, Rosa Mayreders „Die Ehe. Rückblicke und
193
Mit kleinen Veränderungen entnommen aus Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 74
67 Ausblicke“ und Carl Grünbergs „Die Internationale im Weltkriege“ wurden in der ersten Reihe durchgehend als zugesagt angeführt.194 In dem ersten Band wurde das Selbstverständnis der Herausgeber angekündigt: „In dieser Schriftenfolge [...] sollen in erster Linie jene Arbeiten der Freunde und Gäste der Gesellschaft gesammelt werden, die ein allgemeines, über den örtlichen Gesichtskreis hinausreichendes Interesse beanspruchen dürfen.“195 Diese Zielsetzung wurde auch mehr als erreicht: einige Bände erhielten zweite und dritte Auflagen. Die Wiener Soziologische Gesellschaft hat ihre eigene Bücherreihe erst ab 1925 herausgegeben, wobei die starke Präsenz ihrer Mitglieder bei „PhilosophischSoziologischer Bücherei“ die eigene Tätigkeit teilweise ersetzte. Auch diese Reihe war durch ein breites Themenspektrum, das von Soziologie, bis Staatsrecht reichte, gekennzeichnet (Tabelle 4).
194
Gesamtverzeichnis in Müller, Reinhard (1989) 'Vergessene Geburtshelfer. Zur Geschichte der
Soziologischen Gesellschaft in Graz (1908-1935)', 15f 195
Bunzel, Julius (1918) 'Vorwort', in Szabó, Erwin, Freihandel und Imperialismus. Vortrag gehalten
in der Soziologischen Gesellschaft in Graz am 13. Dezember 1917 (Graz, Leipzig: Leuschner und Lubensky): 3-5. Hier 3
68 Tabelle 4: Übersicht über die Reihe: „Soziologie und Sozialphilosophie“ 196
1. Heft 2.
Wilhelm Jerusalem, Einführung in die Soziologie Walther Eckstein (1891-1973), Das antike Naturrecht in sozialphilosophischer
Heft Beleuchtung 3. Heft 4. Heft 5. Heft 6.
Hans Kelsen, Das Problem des Parlamentarismus
Rosa Mayreder, Der typische Verlauf sozialer Bewegungen
Ferdinand Tönnies, Das Eigentum Alfred Vierkandt (1867-1953), Der sozialphilosophische Charakter des neuen
Heft Naturrechts 7. Heft
Rosa Mayreder, Mensch und Menschheit
Die angekündigten Bände, die nicht mehr erschienen sind, waren: Max Adler „Soziologisches Denken im Altertum (Heraklit und Demokrit)“ (als Heft 6 angekündigt), Rudolf Goldscheid „Erkenntnisgefüge und Herrschaftsgefüge“ (7), Karl Beth „Soziologie des Chiliasmus“ (9), Karl Příbram „Das Problem der Verantwortlichkeit“ (10), Rudolf Eisler „Soziales Sein und soziales Bewusstsein“ (11). Ähnlich wie die der Grazer Reihe lautete die Zielsetzung, die Herausgeber waren aber auch um breitere politische Aufmerksamkeit bemüht: „Hauptziel auch unserer Schriften wird sein: Allgemeinbildung als soziologische Bildung zu fördern [...]“197 und die Errichtung eines Lehrstuhles für Soziologie an den Hochschulen mittels Popularisierung der neuen Denkweise zu erreichen. Was wir aus dieser Aufzählung der soziologischen Schriften sehen können, ist, dass unter dem Decknamen Soziologie sehr unterschiedliche Beiträge publiziert wurden, sowohl durch die Grazer als auch die Wiener Gesellschaft. Auch explizit staatswissenschaftliche
196
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 94
197
Goldscheid, Rudolf/Adler, Max/Kelsen, Hans (1925) 'Vorwort der Herausgeber ', in Kelsen, Hans,
Das Problem des Parlamentarismus (Wien, Leipzig: Wilhelm Braumüller)
69 und wirtschaftspolitische Beiträge fanden Eingang in die Reihe. Die Situation hier ist analog zu den Zeitschriften, wo die Mannigfaltigkeit – sowohl der Autoren als auch ihrer Themen, eine geringe Spezialisierung zeigt. Wichtig ist auch anzumerken, dass nicht alle publikatorischen Vorhaben realisiert werden konnten – unter den oben angeführten nicht erschienen Bänden findet man soziologische Beiträge bekannter Autoren. Die Gründe für das Ausbleiben waren unterschiedlich – bei Schriften von Spann und Seipel kann man davon ausgehen, dass die beiden Gelehrten sich in den zwanziger Jahren von der Soziologie zu distanzieren versuchten, da sie ihre Zusagen in späterer Zeit widerrufen haben. Bei anderen nicht erschienenen Beiträgen waren es wohl die Geldprobleme, die die Serien unvollständig ließen.
70
„Forerunners“ : Die „Zu früh gekommenen“ Wenn man die Geschichte der Soziologie in Österreich betrachtet, werden schon am Anfang zwei typische Eigenschaften sichtbar. Die zwei „zu früh gekommenen,“198 Lorenz von Stein und Albert Schäffle, haben ihre Untersuchungen mit „Gesellschaftslehre“ betitelt, und kamen darüber hinaus nicht aus Österreich sondern aus Deutschland. Lorenz von Stein wurde 1840 in Kiel promoviert, hat dann dank eines dänischen Reisestipendiums in Frankreich sich mit dem Sozialismus beschäftigen können, aus diesem Aufenthalt entstanden seine beiden „soziologischen“ Publikationen über französische Geschichte. 1846 wurde er Professor an der Universität in Kiel. Bereits 1852 wurde er allerdings, da Schleswig-Holstein an Dänemark verliehen wurde, und von Stein dagegen opponierte, entlassen.199 1855 folgte er dem Ruf nach Wien, wo er die Professur für Staatswissenschaften bekam. An der Universität blieb er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1885 aktiv tätig. In seiner Tätigkeit in Wien hat er sich vor allem mit der Verwaltungslehre
und
der
Politischen
Ökonomie
beschäftigt,
seine
Gesellschaftswissenschaft wurde weder in Lehrveranstaltungen angeboten, noch setzte er sich mit ihr in den Publikationen auseinander. Seine wichtigsten „soziologischen“ Publikationen: „Französische Staats-, und Rechtsgeschichte“ (1846-48) und „Geschichte der socialen Bewegungen in Frankreich von 1789 bis auf unsre Tage“ (1850), wurden noch vor der Berufung verfasst. Nach 1855 waren seine gesellschaftswissenschaftlichen und später auch explizit soziologischen Inhalte nur als Beigaben in seinen Publikationen zu finden, etwa in dem „Handbuch der Verwaltungslehre“, das sogar ab der dritten Auflage (Wien 1889) ein „Handbuch für Verwaltungslehre und Soziologie” hieß. Der Einfluss von Lorenz von Stein auf die österreichische Soziologie ist sehr schwer zu bestimmen. Er hat nicht nur keine gesellschaftswissenschaftliche Schule gegründet, sondern auch keine Schüler ausgebildet, die in seiner Tradition forschen würden. Das sei 198
Knoll, Reinhold/Kohlenberger, Helmut (1994) Gesellschaftstheorien: Ihre Entwicklungsgeschichte
als Krisenmanagement in Österreich 1840-1938 (Wien: Turia + Kant) 199
Grossekettler, Heinz (1998) 'Lorenz von Stein (1815-1890) - Überblick über Leben und Werk',
Volkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge der Uni Münster, Institut für Finanzwissenschaft 258/(Online unter:
71 aber nicht auf das fehlende Interesse der Studenten zu schließen, sondern eher auf Desinteresse Steins, die „selbstgenügsame Unzugänglichkeit seines Wesens, welches sich nie einem Schüler erschloß“ und „sich gern auf „Anregungen“ beschränkte, wo seine Schüler eine feste Stütze für die weitere wissenschaftliche Arbeit von ihm erwarteten.“200 Darüber hinaus war sein Verhältnis zur Soziologie sehr gespalten. Stein war vor allem an seiner Gesellschaftslehre interessiert und hat in seinen Schriften Versuche unternommen, diese durchzusetzen. Ludwig Gumplowicz bemerkte dazu kritisch: „[a]llerdings thut er das in keiner freundlichen Weise und seine Misstimmung gegenüber den Sociologen geht schon daraus hervor, dass er ihre Schriften in seinen Literaturnachweisen übergeht [...] Es ist das von seinem Standpunkte vollkommen begreiflich. Warum begnügen sie sich auch nicht mit seiner „Gesellschaftswissenschaft“? Was brauen sie denn dort Apartes?“201 Erst etwa ab 1880 kann man bei Stein eine immer deutlichere Wendung zur Soziologie erkennen, die er dann mit der Gesellschaftslehre als ident ansah. Gumplowicz berichtet auch, dass Stein, in Korrespondenz mit ihm, über das Wesen der Soziologie nicht sicher war, „da nach der französisch-englischen Konfusion in Worten und Begriffen es gar nichts mehr gibt, was nicht in irgend einer Weise Sociologie wäre, inklusive Elektrizität und Bacterien“202, was seinen Unwillen für einen Begriffswechsel bewirkt haben konnte. Trotzdem kann man über seinen dauerhaften Einfluss auf die österreichische Wissenschaftslandschaft sprechen. „Vor dem Auftreten Stein’s gab es in Deutschland überhaupt noch keine sociale Frage“203, konstatiert Gumplowicz. Dieses trifft natürlich auch
auf
Österreich
zu,
wo
seine
Gesellschaftslehre
eine
erste
intensive
Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand Gesellschaft darstellte. Auch wenn er diese dann nicht explizit fortgeführt hat, kann man davon ausgehen, dass in seinen Lehrveranstaltungen, die für Generationen von Wissenschaftlern prägend waren, auf diese eingehend eingegangen wurde. Seine Lehrveranstaltung war in dem Curriculum ein Pflichtgegenstand, was bedeutete, dass sein Zugang zur Erforschung des Staates und des 200
Menger, Carl (1891) 'Lorenz von Stein', Jahrbücher für Nationalökonomie und
Statistik 3
Folge/1: 259-271 201
Gumplowicz, Ludwig (1889) '[Besprechung von]: von Stein, Lorenz: Verwaltungslehre und
Sociologie. Handbuch der Verwaltungslehre. ' Grünhuts Zeitschrift 16: 705-714. Hier 710 202
Gumplowicz, Ludwig (1892) Sociologie und Politik (Leipzig: Duncker & Humblot), 10
203
Ebda.
72 Rechtes allen an der Juridischen Fakultät in Wien ausgebildeten Wissenschaftler bekannt war. So waren etwa Carl Grünberg und Friedrich von Wieser unter seinen Hörern. Bei beiden kann man auch direkte Bezüge auf den sozialwissenschaftlichen Zugang Steins sehen, obwohl eine direkte Übernahme seiner Methoden in beiden Fällen nicht stattgefunden hat, und vor allem von Wieser hat sich von Lorenz von Stein bereits in seinen früheren Jahren distanziert.204 Auch Ludwig Gumplowicz war Steins Hörer, und bereits in seinen ersten (publizistischen) Schriften hat er ihn als einen der besten Professoren in Österreich sehr gelobt.205 Ebenfalls wurde Steins Zugang zur Gesellschaftslehre von anderen Wissenschaftlern – Jerusalem oder Menger, anerkannt. Gustav Ratzenhofer übernahm von Lorenz von Stein (und Mohl) die Trennung von Staat und Gesellschaft. Insofern aber die Soziologie von Stein der Versuch war, das Problem des postrevolutionären Europas als eines des Auseinanderfallens von Staat und Gesellschaft auf einen historischen Begriff zu bringen, blieb Ratzenhofer bei der empirischen Beschreibung der sozialen Realität Mitteleuropas.206 Die anderen direkten und indirekten Einflüsse werde ich im weiteren Verlauf der Arbeit noch ansprechen. Was auch sehr wichtig für den österreichischen Diskurs ist, ist die Tatsache, dass es von Stein gelang zu zeigen, dass die Soziologie keine genuin französische Disziplin ist, sondern, zwar unter anderen Namen, aber auch durchaus mit dem deutschen Wissenschaftssystem kompatibel ist. Durch seine Einbeziehung der Elemente des deutschen Idealismus, und teilweise auch des Systems von Hegel statt des mechanistischen Naturalismus der für Frankreich typisch war, wurde er später zu einer wichtigen Integrationsfigur für die „deutsche Soziologie/Gesellschaftslehre“ – etwa für Jerusalem und Spann. Hervorgehoben wurden bei ihm vor allem sein philosophischer Zugang, statt den Versuchen, die Naturwissenschaften als Erklärungsgrundlage der gesellschaftlichen
204
Strasser, Hermann (1981) 'Macht und Klassenbildung bei Friedrich von Wieser: Zur Erinnerung an
einen soziologischen Wegbereiter', Kölner Zeitschrift 33: 576-589 205
Gumplowicz, Ludwig (1867) Ośm listów z Wiednia [dt. Acht Briefe aus Wien] (Kraków:
Władysław Jaworski), 60 206
Oberhuber, Florian (2002) Das Problem des Politischen in der Habsburgermonarchie.
Ideengeschichtliche Studien zu Gustav Ratzenhofer, 1842 - 1904 (Unpublizierte Dissertation an der Universität Wien), 95f
73 Prozesse zu erklären, und sein Interesse für historische Prozesse, die damals noch sehr hoch unter den wissenschaftlichen Interessen der Soziologen standen.207
Der Zweite aus Deutschland berufene Wissenschaftler, der für die österreichische Geschichte der Soziologie von Belang ist, war Albert Schäffle. Ein erstes Angebot bekam er, damals noch Privatdozent in Tübingen, im Jahr 1863. Allerdings lehnte er dieses, vermutlich weil ihm die damalige Landesregierung schnelle Besserstellung versprochen hat, ab. Diese Situation hat sich schnell geändert. 1868 war er in Tübingen nicht mehr beliebt, die neue Regierung von Württemberg hat ihm wegen seiner Kritik als Hochschullehrer abgelehnt. Seine Position im Landtag (war als Abgeordneter tätig) schien ebenfalls unsicher zu sein. In dieser Situation hat er sich entschieden, nach Wien zu gehen, wo ihm die neue Professur für Politische Ökonomie und Staatswirtschaft verliehen wurde. Der zweite Kandidat war übrigens der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Roscher (18171894), der allerdings kein Interesse zeigte. Schäffle war ein konservativer Nationalökonom und hat sich als Mitglied des Zollparlaments für die Mitgliedschaft Österreichs im Zollverein ausgesprochen – diese beiden Eigenschaften waren es vermutlich, die ihm für die österreichische Regierung attraktiv machten. In Wien gab es dagegen von Seiten der Presse einen heftigen Widerstand. Schäffle wurde als ein zu geringer Kenner der österreichischen Wirtschaftsverhältnisse beschrieben, und als Epigone Lorenz von Steins beschimpft.208 An der Universität war Schäffle vor allem als zweiter Lehrender für die Politische Ökonomie, als eine Art Aushilfe für den überforderten Lorenz von Stein, gedacht. Auch er hat an der Universität keine Gesellschaftslehre, geschweige denn Soziologie gelehrt. Darüber hinaus war er als Professor zu kurz in Wien, um sich an der Universität hinreichend etablieren zu können und einen Schülerkreis auszubilden. 1871 wurde er Minister, und nachdem das Kabinett nach kurzer Zeit gescheitert war, ging er als 207
Vgl. Jerusalem, Wilhelm (1925) 'Deutsche Gesellschaftslehre ("Neue Freie Presse" vom 30. Juli
1922)', in Wilhelm Jerusalem (Hrsg.), Gedanken und Denker. Gesammelte Aufsätze. Neue Folge. (Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller): 212-219 208
Nach: Ruso, Kurt (1960) Albert Schäffle und Österreich. Ein Beitrag zur inneren Geschichte der
Donaumonarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Unpublizierte Dissertation an der Universität Wien)
74 Privatgelehrter nach Stuttgart. Immerhin machten die drei Jahre, die er an der Universität verbrachte – zumindest im historischen Bewusstsein der österreichischen Soziologie – einen österreichischen Gelehrten aus ihm. Die Affinität zu seinem System war unter den anderen österreichischen Wissenschaftler größer als zu den deutschen Systemen aus der gleichen Periode – auf Schäffle bezogen sich unter anderem Gumplowicz, Spann oder Reich. Man kann hier allerdings keineswegs über eine Schulenbildung sprechen, sondern über punktuelle Einflüsse, die auch nicht immer aus direkten Kontakten entflossen sind. Trotzdem war sein Einfluss auf die österreichische Wissenschaftslandschaft bedeutend. Sein organischer Zugang zur Sozialwissenschaft, die er vor allem in seiner wichtigsten theoretischen Schrift „Bau und Leben des socialen Körpers“ schilderte, passte sich hervorragend in die österreichische Wissenschaftslandschaft ein – vor allem, weil die dem Katholizismus
sehr
entgegen
kam.
In
Deutschland
dagegen
blieb
Schäffles
Gesellschaftslehre sehr stark kritisiert. Auf Ablehnung stieß nicht nur seine starre Beharrung auf dem Primat der Biologie in den Sozialwissenschaften, die er als ihre Grundlage erklärte, sondern auch – oder vor allem die Tatsache, dass seine Theorien widersprüchlich und sehr fehlerhaft waren.209 Trotzdem blieb Schäffle, auch durch die „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“, deren Herausgeber er lange Zeit war, für die Soziologie eine wichtige Integrationsfigur. In dieser Zeitschrift erschienen unter anderem günstige Rezensionen von Gumplowicz, Ratzenhofer oder Renner, aber auch zahlreiche Artikel, die auf Österreich bezogen waren, haben Platz in den Seiten der Zeitschrift gefunden. Der Einfluss Schäffles auf die österreichische Soziologie ist noch schwerer zu beschreiben, als der von Lorenz von Stein. Mit Sicherheit war Schäffle um einen Schritt voraus, da er ein System der Gesellschaftslehre entwickelt hat, das durchaus mit den Systemen von Comte und Spencer Schritt halten konnte. Auch wenn dieses fehlerhaft blieb, so war es zu mindestens ein wichtiges Zeichen, dass die österreichische Soziologie nicht nur auf der Ebene der bloßen Teilanalysen geblieben ist, sondern Gesamterklärungen zu geben vermag. Auf der kognitiven Ebene war auch sein Einfluss auf Othmar Spann bedeutend. Spann hat bei Schäffle seine Dissertation geschrieben und übernahm von diesem vor allem
209
von Wiese, Leopold (1906) '[Besprechung von]: Schäffle, Alfred: Abriß der Soziologie', Archiv für
Sozialpolitik und Sozialwissenschaft 6/3: 882
75 den Universalismus, aber auch das organische Denken auf der Basis des christlichen Gedankengutes. Auch, wenn er Schäffles „Biologismus“ später aufs heftigste abgelehnt hat, muss man hier von einem dauerhaften Einfluss sprechen. Auch Emil Reich hat sich ausdrücklich auf Schäffles Einfluss bezogen.210 Sonst haben etwa Gumplowicz und Ratzenhofer Schäffle als ihr Gegenbild gewählt, und sich als eine Opposition zu seinem (naturwissenschaftlichen) Soziologieverständnis begriffen. Aber auch ein deutlich negativer Eindruck lässt sich feststellen. Wie bereits oben erwähnt, blieb Schäffles System ungenau und mit Fehlern behaftet. Das hat vor allem Karl InamaSternegg dazu bewogen, die gesamte Soziologie als eine aussichtslose Wissenschaft zu begreifen. „Ein kühner, stolzer Gedanke, diese ganze Welt des menschlichen Lebens in seinen unendlichen Stoffen und Kräften zu erkennen, seinen ewigen Werdeprozeß zu meistern und auf seine Grundformen, seine letzten Ursachen, auf seinen einheitlichen Geist zurückzuführen. Ein Gedanke so gewaltig, daß ihn nur – ein Dilletant zu denken vermag ... Man verzeihe das harte Wort, aber die bisherige Entwickelung der „Soziologie“ als einheitlicher Wissenschaft berechtigt einigermaßen dazu.“211
Ein dritter Kurzzeitsoziologe in der ersten Periode des soziologischen Schaffens in Österreich war Thomas Masaryk. Seine wissenschaftliche Sozialisation hat er, im Unterschied zu Schäffle und von Stein, in Wien bekommen: 1872 begann er sein Studium an der Universität Wien, wo er zuerst die modernen und klassischen Sprachen studierte, ab 1873 haben auch die anderen Fächer einen Platz in seinem Studium eingenommen – er hörte unter anderem Brentano, Menger, Conze, und Zimmermann, aber näherte sich auch immer mehr der Soziologie. Im März des Jahres 1876 promovierte er mit einer Schrift über Platons Seelenlehre und setzte seine Studien in Italien und Deutschland – unter anderem bei Wundt (1832-1920), und Roscher, fort. 1879 habilitierte er in Wien mit der Schrift „Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der Gegenwart, eine Monographie mit
210
Reich, Emil (1935) Gemeinschaftsethik. Nach Vorlesungen über praktische Philosophie gehalten
an der Universität Wien (Wien, Prag, Leipzig, Brünn: Rudolph M. Rohrer), III 211
Inama-Sternegg, Karl Theodor von (1908) 'Schäffles Soziologie' in Ders., Neue Probleme des
modernen Kulturlebens (Leipzig: Duncker & Humblot): 93-99. Hier 95
76 einleitenden Bemerkungen über Sociologie und Statistik“.212 Masaryk hatte die Arbeit allerdings in Deutschland begonnen, und nur eine Krankheit bewog ihm, nach Wien zurückzukehren. „Trotz eines gew[issen] idealen Zuges ist der Verf[asser] jeder speculativen Schwärmerei abhold“213, lautete das positive Urteil der Kommission in der Brentano, Zimmerman, und Gomperz saßen. Thema der Probevorlesung war „Die Genesis der platonischen Lehre von der Wiedererinnerung (Anamnesis)“.214 An der Universität Wien, an der Masaryk dann bis 1882 als Privatdozent lehrte, beschäftigte er sich vor allem mit der Philosophie und Soziologie. Unter den Vorlesungen, die er angeboten hat, waren etwa „System der positiven Philosophie von August Comte“ (WS 1880/1881, SS 1881), „Fortschritt, Entwicklung und Zivilisation, eine Einleitung in die
Philosophie
der
Geschichte“
(WS
1881/1882),
oder
„David
Hume’s
Religionsphisosophie“.215 Es war also ein dritter Gelehrter der an der Universität Wien Lehrveranstaltungen mit soziologischen Inhalten angeboten hat 216 – allerdings der erste an der philosophischen Fakultät. In Wien hat er auch intensiv an der Verfassung seines „Systems der Sociologie“ gearbeitet. Im Jahr 1882 folgte er aber einem Ruf nach Prag, wo eine neue, tschechischsprachige Universität gegründet wurde, an der er eine außerordentliche Professur bekam. Es war vor allem die Aussichtslosigkeit der Karriereabsichten, die ihn dazu bewogen hat, da er in Wien keine Chance auf eine baldige Professur hatte. Als ein Privatdozent war er auch in einer kritischen finanziellen Situation. 1882 bat er das k.k Ministerium um eine Subvention. Um seine Familie zu ernähren, musste er täglich mehrere Stunden „nichtwissenschaftlicher Beschäftigung“ nachgehen, was ihm aber an der Arbeit über sein Werk „System der Sociologie“ behinderte, das er im nächsten Sommer publizieren wollte (den ersten Band von fünf: „Wesen und Methode der 212
So der Titel angegeben in der Personalakte. Siehe: UA Wien, PA Masaryk, 11ff. Die Arbeit
erschien 1881 als: „Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation“. Masaryk, Thomas G. (1982) Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation – unveränderter Nachdruck der 1. Auflage Wien 1881 mit einer Einführung von J. C. Nyíri (Wien, München: Philosophia Verlag) 213
UA Wien, PA Masaryk, 16
214
Ebda.
215
Vgl. entsprechende Vorlesungsverzeichnisse
216
Friedrich Geyling bot auch „System der Gesellschaftswissenschaft“ an. Über seine soziologischen
Interessen ist allerdings nichts bekannt.
77 Sociologie“). Ohne finanzielle Unterstützung laufe er Gefahr, die Publikationen nicht nur nicht zeitgerecht anfertigen zu können, sondern vielleicht die wissenschaftliche Laufbahn überhaupt aufgeben zu müssen – so die Begründung für den Antrag.217
Diese drei kurzen Episoden sollen zeigen, dass die soziologischen Fragen in das akademische Leben bereits früh Eingang gefunden haben – auch wenn dieses nicht explizit geschah. Aber – es waren erstens nicht Österreicher, die diese Fragen eingeführt haben, und zweitens blieben diese sehr kurzlebig. Schäffle und Masaryk waren nur jeweils drei Jahre in Wien, von Stein verlor teilweise das Interesse für die Gesellschaftslehre, nachdem er mit anderen Aufgaben an der Universität konfrontiert war. Trotzdem waren die Studierenden der neuen Entwicklung ausgesetzt, und auch die anderen Wissenschaftler kamen mit den Inhalten in Berührung – auch wenn die neue Entwicklung nicht als Soziologie, sondern als Gesellschaftslehre propagiert wurde. Von diesen drei Gelehrten kamen aber in Österreich keine nennenswerten Initiativen für eine Etablierung ihrer Schule, und obwohl sowohl Schäffle als auch Masaryk, später in und über Österreich publizierten, blieb ihr direkter Einfluss minimal. Interessant ist anzumerken, dass zu dieser Zeit auch bereits erste Grenzkämpfe entflammt sind. Der Präsident der Statistischen Zentralkommission, Franz Xawery Neuman-Spallart, schrieb 1878 den Artikel „Soziologie und Statistik“218, der sich mit dem Verhältnis dieser zwei Disziplinen auseinandersetzte. Er richtete seine Ablehnung gegen die spekulative Richtung der Soziologie, die er mit Schäffle, Lilienfeld und Spencer identifizierte, und hat sie als unwissenschaftlich und unprofessionell beschrieben. Vor allem Schäffle hat auf ihn einen sehr schlechten Eindruck gemacht: nicht nur „legt er offenbar ein Gewicht darauf, die Gedanken durch raffinirte Ausdrucksweise zu verschleiern“219, sondern seine Schriften sind voll der „durch nackten Realismus und Obscönität geradezu anekelnden und doch nur für die Oberfläche berührenden Reflexionen.“220 Als Gegensatz zu Schäffle bringt er den deutschen Statistiker Oettingen, dessen klare und nüchterne Analysen als Beweis für die Überlegenheit der Statistik über die Soziologie gelten sollen. Das größte Problem der 217
UA Wien, PA Masaryk, 30
218
Neumann-Spallart, Franz(1878) 'Soziologie und Statistik', Statistische Monatsschrift IV: 1-18,57-72
219
Ebda., 15
220
Ebda., 65
78 deutsch-österreichischen Soziologie ist für Neumann-Spallart die Tatsache, das diese sich immer mehr als eine deduktive Wissenschaft versteht, obwohl sie grundsätzlich in der Statistik ihren Boden hätte – wobei er die Schuld an diesem Zustand bereits Comte und seiner Auseinandersetzungen mit Adolphe Quetelet (1796-1874) zuschreibt. Trotzdem sieht der Statistiker mehrere Möglichkeiten, wie sich die Soziologie zu einer analytischen Wissenschaft entwickeln könnte, indem sie die Sozialstatistik als ihre Basis nimmt. Seine Hoffnungen gelten einer „harmonischen Weiterbildung von Sociologie und Statistik“221, die einander ergänzen und so zu einer volleren Erkenntnis der gesellschaftlichen Realität beitragen könnte. Die Schrift Spallarts war sehr gut bekannt, der Einfluss auf die Soziologie allerdings beschränkt, da die ersten Soziologen, Gumplowicz und Ratzenhofer, durchaus keine Empiriker waren. Gumplowicz schrieb sogar, dass ihm die Kritik recht geben muss, dass er ohne Statistik einen Schritt nach vorne gemacht hatte, und dass er die Statistik zwar nicht grundsätzlich ablehnt, sondern nur an Beispielen zeigt, warum diese für die Soziologie nicht notwendig bzw. förderlich ist.222 Interessant ist aber, dass die Wünsche von Neumann-Spallart bereits ein Jahr später durch Masaryk in seinem „Selbstmord als sociale Erscheinung“ vollbracht wurden, wobei sich dieser auf das Schrifttum von Neumann-Spallart nicht berufen hat (auch nicht auf Schäffle oder Stein). Leider blieb der Teil, in dem sich Masaryk mit der Theorie und dem Verhältnis von Soziologie und Statistik beschäftigte (und das, wenn man dem in Personalakt zitierten Titel glauben schenken darf, in der Habilitationsschrift inkludiert wurde), in der Buchform unpubliziert, was die genauere Erörterung dieser Themen in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit verhinderte.
221
Neumann-Spallart, Franz(1878) 'Soziologie und Statistik', 72
222
Gumplowicz, Ludwik (1888) System Socyologii (Warszawa: Spółka Nakładowa), 49f Fn 1
79
Die Gründerväter Das Jahr 1875, in dem Ludwig Gumplowicz nach Graz kam, ist für die Soziologie in Österreich ein überaus wichtiges Datum. Gumplowicz war der erste, der in den deutschsprachigen Ländern das Wort Soziologie im Titel einer wissenschaftlichen Arbeit einführte, und seine Theorien werden noch heute in zahlreichen geschichtlichen Darstellungen in der Soziologie als bahnbrechend anerkannt. Dank seiner Konzeption der Soziologie als eine universelle Wissenschaft wurde er von Jerzy Szacki als „Sociologist before Durkheim“223 bezeichnet. Trotzdem blieb Gumplowicz ein „unzeitgemäßer Soziologe“224, und seine Ideen haben ihm ebenso viele Schüler und Nachfolger, als auch Feinde gebracht. Diese aber nicht nur wegen seiner Ideen, sondern auch – oder vor allem, wegen seinen persönlichen Eigenschaften. Ludwig Gumplowicz wurde am 8 (oder 9) März 1838 in Krakau, als Sohn der jüdischen Familie von Abraham Gumplowicz und Henryka Inlender geboren. Sein Vater war einer der vermögendsten Krakauer Juden, ein polnischer Patriot und engagierter Volksbildner. Er nahm am Januar-Aufstand in Polen teil, ähnlich wie seine drei Söhne. Die Quellen erlauben es allerdings nicht definitiv zu sagen, ob der vierte Sohn – Ludwig, unmittelbar an dem Aufstand teilgenommen hat. Bekannt ist nur, dass er mit einer Waffe in der Hand den Nachschub für die aufständischen Regimenter bewachte. Ludwig wurde von seinem Vater nicht zur jüdischen Cheder geschickt, sondern lernte in einem exklusiven Krakauer Gymnasium „Zur heiligen Anna“ (maturierte 1857), studierte dann an der Fakultät für Recht und Verwaltung an der Jagiellonen Universität in Krakau (1857-1860), setzte sein Rechtsstudium für ein Jahr in Wien fort, und promovierte schließlich 1862 im Bereich Zivilrecht in Krakau mit der Arbeit „Zadania ze wszystkich umiejętności prawnych i politycznych“ [dt. Rechtsätze aus den Rechts-, und Politikwissenschaften].
Interessant
ist
die
bereits
intensive
Auseinandersetzung
Gumplowiczs mit der Frage des Judentums. Inspiriert durch Auseinandersetzungen mit seinem Vater wurde er ein Befürworter der „Polnisierung“ der Juden – von einem seiner 223
Szacki, Jerzy (1988) 'The Sociology of Ludwig Gumplowicz', in Langer, Josef (Hrsg.), Geschichte
80 Freunde wurde er sogar als „gänzlich unjüdischer Jude“ beschrieben. Nach der Rückkehr aus Wien begann er bereits seine publizistische Tätigkeit. Veröffentlichte anfänglich Artikel im liberalen Lemberger „Dziennik Literacki“ [Literarische Tagesblätter], in der Warschauer „Jutrzenka“ [Morgenröte], und in der „Tygodnik Izraelitów Polskich“ [Wochenzeitschrift der Polnischen Israeliten], einem Organ der polnischen Assimilatoren, und schloss sich in Krakau einer Gruppe junger Intellektueller an, die „Przedburzowcy“ [Die Vorstürmerischen] genannt wurden. Die Gruppe hat liberale und antiklerikale Ideen gepriesen, und hat sich in der Volksbildung stark engagiert. Außerdem arbeitete er als Stellvertreter eines Notars, und wurde rasch in die Liste der Verteidiger in Strafsachen aufgenommen. In den 60-er Jahren führte Ludwig einige bekannte Prozesse, durch die er die Popularität und Sympathie der galizischen Bevölkerung gewann – und zugleich die Ungunst der österreichischen Behörden. Er verteidigte vor allem das Recht der polnischen Institutionen auf ihre Eigenständigkeit, unter anderem als Verteidiger in einem Prozess gegen eine Druckschrift „Gwiazdka Cieszyńska“ [Teschener Sternchen], die durch antipolnische Verordnungen der lokalen Behörden bedroht war. Ende der 60-er Jahre war er im „Towarzystwo Oświaty Narodowej“ tätig, und von 1873-75 auch Stadtabgeordneter von Krakau. Er heiratete Franciszka Goldman – ihre Hochzeitsreise nach Venedig war übrigens seine einzige Auslandsreise. Diese Ehe hat die Lebensweise von Gumplowicz in Graz bestimmt. Seine Frau war lange Zeit krank und bettlägerig, was Gumplowicz nicht nur an Auslandsreisen, sondern auch an Reisen innerhalb der Monarchie gehindert hat. Daher war sein unmittelbarer Wirkungskreis auf Graz beschränkt. Trotzdem, durch zahlreiche Besuche und Briefkontakte, hat er seine Ideen nicht nur in die anderen europäischen Länder, sondern auch bis in die USA transferiert, wie bereits oben berichtet wurde. Seine wissenschaftliche Kariere hat am Anfang einen sehr ungünstigen Lauf genommen. Am letzten Tag des Januars 1868 legte er den Antrag auf eine Habilitation im Bereich „historia powszechna i prawo“ [Allgemeine Geschichte und Rechtswissenschaften], aufgrund von zwei vorbereiteten Arbeiten „Wola ostatnia w rozwoju dziejowym“ [Das Testament in seiner historischen und wissenschaftlichen Entwicklung. Juristischhistorische Skizze] und „Prawodawstwo polskie względem Żydów“ [dt. Die polnische Judengesetzgebung] vor. Sein Antrag wurde abgelehnt, da man in seinen Büchern, so zu
81 mindestens die offizielle Begründung, die „Exaktheit und Unabhängigkeit“225 vermisste. Für den Misserfolg war allerdings eher entscheidend, dass Gumplowicz als ein Radikaler, Demokrat und Positivist wahrgenommen wurde, seine Einsichten über polnisch-jüdische Relationen, und seine kritische Haltung gegenüber der katholischen Kirche. Nicht ohne Belang war wahrscheinlich auch die jüdische Herkunft von Gumplowicz, obwohl es an der Jagiellonen Universität schon zwei jüdische Habilitationen gegeben hatte. Der Hauptopponent der Habilitation war der Professor des kanonischen Rechtes, Udalryk Heyzmann (1835-1918), der Einwände zu der kritischen Haltung von Gumplowicz der katholischen Kirche gegenüber äußerte. Durch den ersten Misserfolg enttäuscht, hat sich Gumplowicz der publizistischen Tätigkeit gewidmet. Im Herbst 1869 übernahm er die Leitung der Krakauer Zeitschrift „Kraj“ [Das Land]. Während seiner Zeit als Redaktor wurde diese Zeitschrift zu einer der radikalsten in der Monarchie. Sie zeichnete sich aus durch offen geäußerten Liberalismus, Freidenkertum, Positivismus und Antiklerikalismus. Im Rahmen der Schrift wurden zum ersten Mal in Galizien die Ideen von Comte popularisiert (ein Artikel aus dem Jahr 1871 von Ludwik Masłowski (1847-1928) „Prawo Postępu“ [Gesetz des Fortschritts]), und auch die „socyologie“, „die als Gegenstand die Untersuchung der sozialen Gesetzmäßigkeiten“226 hatte. Die Zeitschrift ging 1874 Bankrott, und Gumplowicz folgte einem guten Rat seines Krakauer Lehrers und Freundes Gustav Demelius (1831-1891), nach Graz zu übersiedeln und dort eine Habilitation zu versuchen.227 Die Übersiedlung nach Graz ist durchaus verwundernd, vor allem, wenn man die Stellen aus „Acht Briefe aus Wien“ liest, in denen er sich über Österreich sehr negativ äußert, etwa über die krankhafte Stadt Wien228, oder über österreichische Politiker.229 Bei dem Umzug zeigte sich aber erstens die Enttäuschung mit Krakau, wo er keine Karriereaussichten hatte, 225
Demelius, der lange Zeit Professor für Römisches Recht in Krakau war, war 1875 bis 1876 Rektor
der Universität Graz. Weiler, Bernd (2001) 'Die akademische Karriere von Ludwig Gumplowicz in Graz. Materialien zur Habilitation und Ernennung zum Extraordinarius (1876-1882)', AGSÖ Newsletter 21: 3-19. Hier 4 228
Gumplowicz, Ludwig (1867) Ośm listów z Wiednia, z.B. Fall Franz Tuvor, 37
229
Ebda., 34
82 andererseits sein Pragmatismus, der ihn lange Zeit an der Universität begleiten wird. Im Jahr 1875 begann er seine Arbeit an der Karl-Franzens Universität, wo er auch ein Jahr später im Bereich des Staatsrechts und des österreichischen Verwaltungsrechts habilitierte. Der Prozess der Habilitation dauerte fast ein Jahr. Sein erster Versuch im Februar 1876 im Bereich „Rechts-, und Staatsphilosophie“ scheiterte, mit der Begründung, dass „die vorgelegten wissenschaftlichen Arbeiten zur Habilitierung aus der Rechtsphilosophie nicht geeignet sind, sondern vielmehr das Staatsrecht betreffen.“230 Allerdings hatte Gumplowicz acht Tage vor der offiziellen Ablehnung ein zweites Gesuch eingereicht, und um Verleihung der venia legendi für „allgemeines Staatsrecht“ angesucht. Dieses wurde, trotz Hervorhebung mehrerer Mängel, mit Stimmenmehrheit approbiert. Ebenfalls wurde die Bestätigung durch das k.k. Ministerium für Cultus und Unterricht nur bedingt erteilt – mit dem Vermerk, dass man sich, obwohl der Mängel des Kandidaten bewusst, der Meinung des Professorenkollegs anschließt. 1878 wurde die venia auf „Österreichisches Staatsrecht“, Jahre später noch auf „Allgemeine und österreichische Statistik“ erweitert. Die Muster der Publikationen aus den Jahren als Privatdozent zeugen von einem gemäßigten Pragmatismus. Obwohl Gumplowicz in seinen Schriften durchaus neuartige Zugänge vertrat, scheinen diese eher mit dem Ziel geschrieben zu sein, sich in den Bereichen, in denen er tätig war, zu profilieren. Dieses war vor allem wichtig, da er keine feste Anstellung hatte, und auf Subventionen aus dem Ministerium angewiesen blieb. 231 Anscheinend überlegte Gumplowicz auch, nach Lemberg zu gehen: „vielleicht wird es auch mir erlaubt, sich den Lemberger Versuchen [auf dem Feld der Soziologie – J.S.]“ anzuschließen – schrieb er 1881 in einem Brief an Bronisław Łoziński (1848-1911) – „derzeit bin ich aber noch für längere Zeit an das Deutschtum gekettet.“232 1881 haben Demelius und Ferdinand Bischoff, (nicht aber der Ordinarius für Staatsrecht, Hermann Ignaz Biedermann (1841-1892) Gumplowicz für die außerordentliche Professur für allgemeine Staatslehre, allgemeines Staatsrecht und Verwaltungspolitik, vorgeschlagen. Trotz mehrerer Protesten und Vorbehalte, wurde er schließlich zum außerordentlichen Professor für allgemeines Staatsrecht und Verwaltungslehre erhoben. Bezeichnend ist, dass
230
Weiler, Bernd (2001) 'Die akademische Karriere von Ludwig Gumplowicz in Graz'
231
Gumplowicz erstes Ansuchen wurde nicht beantwortet, ab 1879 bekam er 400 Gulden. Ebda., 12
83 er gleich nach der Zusage ein Kollegium über „Die modernen Versuche der Begründung einer Socialwissenschaft“233 ankündigte. In kurzer Zeit veröffentlichte er auch zwei umfangreiche Bücher, die seine Theorie der Soziologie darstellten: „Der Rassenkampf“ (1883) und „Grundriß der Soziologie“ (1885), wobei der erste Schrift an seine frühere Arbeit „Raçe und Staat“ (1875) knüpfte. Vor 1882 hat er weder sozialwissenschaftliche Lehrveranstaltungen angeboten, noch Artikel/Bücher, die sich explizit mit Soziologie auseinander setzten, geschrieben. Scheinbar hat er Aktivitäten solcherart als gefährlich für seine Zukunft angesehen, und deswegen auf diese verzichtet. Die Vermutung, dass Gumplowicz sich trotzdem eingehend mit der Soziologie beschäftigte, kommt aus der kurzen Zeit, die er für das Verfassen beider Schriften gebraucht hat, hervor. Auch der Brief an Łoziński, in dem er die Soziologie erwähnt, zeigt deutlich, dass ihm diese immer wieder vor Augen war. 1889 verfasste Gumplowicz wieder ein Schrifttum, das eher für Karrierezwecke gedacht war – „Einleitung in das Staatsrecht“234, scheinbar nur, um mit diesem sein Gesuch aus demselben Jahr für eine Beförderung zum Ordinarius zu unterstützen. In diesem Ansuchen bezog sich Gumplowicz nur beiläufig auf seine Tätigkeit als Soziologe – und hob vor allem die ausländische Anerkennung derselben hervor.235 Das Gesuch wurde abgelehnt – erstens würde seine Beförderung eine Neuschaffung eines Ordinariats notwendig machen, andererseits wurde sein wissenschaftliches Schaffen als ungenügend beurteilt. Auch von Seiten des Professurenkollegiums erfuhr Gumplowicz keine Schützenhilfe. Erst nach dem Tod von Biedermann erreichte Gumplowicz eine Beförderung. Gleich drei Professuren wurden neubesetzt: für Statistik mit Ernst Mischler (1857-1912), für Verwaltungslehre mit Gumplowicz, und für allgemeines und österreichisches Staatsrecht mit ... Edmund Bernatzik, mit dem Gumplowicz seit einiger Zeit einen regelrechten Wissenschaftskrieg geführt hat. Sein Verhältnis zu dem Kollegen lässt sich am besten durch das im Jahre 1896 in „Die Österreichische Reichsgeschichte“ eingeführten Vermerk beschreiben: auf die 1892 veröffentlichte Kritik seiner „Einleitung in das Staatsrecht“, in dem Bernatzik meinte, 233
Weiler, Bernd (2001) ‚Die akademische Karriere von Ludwig Gumplowicz in Graz’, 16
234
Weiler, Bernd (2003) 'Die akademische Karriere von Ludwig Gumplowicz in Graz. Analysen und
Materialien aus der Zeit von der Ernennung zum Extraordinarius bis zur Emeritierung (1883-1908). Teil 1.' AGSÖ Newsletter 24: 21-42. Hier 29 235
Ebda.
84 Gumplowicz könne nicht deutsch schreiben, antwortete dieser in zweiter Auflage: „ich ihm doch seither den Beweis geliefert haben dürfte, dass ich nicht nur deutsch schreiben, aber wenn ich dazu gezwungen werde, mit meinem Recensenten auch ‚deutsch reden kann’.“236 Aus seinem hohen Arbeitstempo hat ihn der Selbstmord seines Sohnes Maximilian (18641897) herausgestoßen. Das war nur der Anfang der nachfolgenden Tragödien – die immer stärkere Augenkrankheit seiner Frau, die zu einer Blindheit führte, dann auch der bei ihm diagnostizierte Krebs der Zunge, führten zur Entscheidung zu einem selbstgewähltem Tod. Am 19. August 1909 hat er sich gemeinsam mit seiner Frau vergiftet. Sie wurden auf dem evangelischen Friedhof Matzleinsdorf in Wien beerdigt, in demselben Grab, in dem früher ihr Sohn begraben wurde. Auf dem Grabstein, ausschließlich mit polnischen Aufschriften, steht auch das Wort „socyolog“ neben seinem Namen. Diese biografischen Skizzen zeigen deutlich, dass Gumplowicz in seiner Karriere nicht sonderlich glücklich gewesen ist. Seine späte Habilitation und ebenfalls verspätete Beförderungen haben keine guten Verhältnisse für seine wissenschaftlichen Aktivitäten geschaffen. Vor allem seine Beschäftigung mit der Soziologie wurde scheinbar durch seine Positionierungsversuche an der Fakultät für einige Jahre, in denen er sich seinen curricularen Disziplinen widmen musste, verhindert. Seine Schriften haben aber durchaus Anerkennung gefunden. So etwa die „Verwaltungslehre“, die V. Kirchheim in „Schmollers Jahrbuch“ rezensierte: „Das Werk trägt oft einen etwas feulietonistischen Charakter, entbehrt zuweilen der deutschen Gründlichkeit und hat manches Übereilte“237 aber trotzdem ist es voll erfrischender Ideen und kann als Lehrbuch angewendet werden. Negativer ist die Besprechung von „Das Recht der Nationalitäten und Sprachen in Österreich-Ungarn“ von S. Brie. Dieser lehnt nicht nur die Staatskonzeption Gumplowiczs ab, sondern auch die Tatsache, dass Gumplowicz nur zwei Nationen – den Polen und Ungarn, als den entwickeltsten Nationen, das Recht auf eigene Sprachen zugab. 238 Ähnlich Franz Juraschek (1849-1910), Staatsrechtler aus Czernowitz, der Gumplowicz Einseitigkeit vorwirft: „Freilich von einem Polen muss Alles was die Ruthenen schützt und deren 236
Weiler, Bernd (2003) 'Die akademische Karriere von Ludwig Gumplowicz in Graz. Teil 1', 36
237
Kirchheim, V. (1883) '[Besprechung von]: Gumplowicz, Ludwig: Verwaltungslehre', Schmollers
Jahrbuch 7: 1385-1388 238
Brie, S. (1880) '[Besprechung von]: Gumplowicz, Ludwig: Das Recht der Nationalitäten und
Sprachen in Österreich-Ungarn', Grünhuts Zeitschrift 7: 582-587
85 selbständige Entwicklung fördert, möglichst entfernt, resp. abgeschwächt werden!“239 Zudem – und dass ist ein Punkt, der in mehreren Rezensionen angesprochen wird – sind seine Schriften zu umfangreich, seine Darstellungsweise oft eine wenig fachgemäße, vage und unklare, und er solle sich auf wesentliches beschränken, statt journalistisch zu schreiben. Die Konzeption des Staates, die man nach 1885 eine soziologische genannt hat, ist auch in den staatsrechtlichen Schriften, durchaus präsent. So etwa sind im „Philosophisches Staatsrecht“ die Motive des Kampfes, und die Forderung nach induktiver Methode statt philosophischer Deduktion und Spekulation, anwesend. Auch die ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen fanden statt – vor allem in der Schrift „Rechtstaat und Sozialismus“ (1881), in dem Gumplowicz die Staatskonzeption des Wiener
Staatswissenschaftlers
Georg
Jellinek240
kritisiert
hat241.
Auch
andere
wissenschaftliche Theorien wurden von Gumplowicz angegriffen. Adolf Merkel, sein Rezensent in „Schmollers Jahrbuch“ sagte sogar, dass die Isolation die Gumplowicz beklagt, eher verständlich ist, und sein Buch sowohl von Seiten der herrschenden Staatslehre und zugleich von Seiten des Sozialismus abgelehnt wurde, auch weil er zu beiden
ein
gleich
feindliches
Verhältnis
pflegt.242
Darüber
hinaus
steht
die
Staatskonzeption Gumplowiczs auch in „einem schroffen Gegensatz zu der bisher, speziell in Deutschland, herrschend gewesenen, entschieden idealistischen Richtung“, von der er auch heftige Ablehnung erfuhr.243
239
Juraschek, Franz (1881) '[Besprechung von]: Hugelmann, Karl: Das Recht der Nationalitäten in
Oesterreich und das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger', Grünhuts Zeitschrift 8: 359-365 240
Jellinek war ab 1889 in Basel, dann 1892 in Heidelberg, ist in seinen Schriften oft auf die
soziologischen Fragen eingegangen, und hat auch explizit soziologische Untersuchungen geschrieben. Trotzdem hat sich Gumplowicz auf ihm kaum bezogen. 241
Vgl. Stoerk, Felix (1883) '[Besprechung von] Gumplowicz, Ludwig: Rechtsstaat und Socialismus.',
und auch die frühere Besprechung von Gumplowicz: Gumplowicz, Ludwig (1879) '[Besprechung von]: Jellinek, Georg: Die social-ethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe.' Grünhuts Zeitschrift 6: 459462., in dem Gumplowicz den Altruismusgedanken Jellineks ablehnt. 242
Merkel, Adolf (1882) '[Besprechung von]: Gumplowicz, Ludwig: Rechtsstaat und Sozialismus',
Schmollers Jahrbuch 6: 1293-1295 243
Merkel, Adolf (1886) '[Besprechung von]: Gumplowicz, Ludwig: Grundriß der Sociologie',
Schmollers Jahrbuch 10: 295-301
86 Diese zwei Schaffensperioden – vor der Beförderung zum Außerordinarius und danach, hatten aber deutlich unterschiedliche Schwerpunkte, und nur die zweite war auch explizit der Soziologie gewidmet. Allerdings haben seine ersten Schriften bereits den Grundstein für die fehlende Rezeption gelegt. Die Nichtbeachtung, die Gumplowicz in Österreich erfuhr, wurde in allen diesbezüglichen Schriften hervorgehoben. Ich möchte hier allerdings versuchen, zwei Fragen zu beantworten, erstens, welches Bild von Soziologie gab ihr der Grazer Soziologe, und zweitens, welche von seinen Eigenschaften der von ihm propagierten Wissenschaft zugeschrieben wurden. Ferner will ich auf die fehlende Schule bzw. zahlreiche Einflüsse, die Gumplowicz ausgeübt hat, eingehen. Die Idee, die Gumplowicz beim Verfassen von
„Der Rassenkampf“ hatte war, ein
geschichtsphilosophisches Werk zu schaffen, das sich aber methodisch sowohl von dem spekulativen Hegelianismus, als auch mechanistischen Naturalismus Comtes und Spencers’ unterscheide. Ebenso hat sich Gumplowicz von den organizistischen Theorien Schäffles und Lilienfelds abgegrenzt244. Was war also seine Richtung? Er wollte eine Naturgeschichte der Menschheit schreiben, in der die sozialen Gruppen als einziges reales Element der Geschichte im Zentrum stehen. Obwohl er in der Schrift noch nicht so weit geht, und dem Individuum noch eine Identität zuerkennt, so stellt er es aber – entgegen der zu der Zeit herrschenden Schule des Historismus – der Gruppe unter, und schmälert so seine
soziale
und
geschichtliche
Bedeutung.
Der
gesellschaftlich
bedeutendste
„Naturprozess“ war der ständige Kampf zwischen Vertretern unterschiedlicher Gruppen, wobei das unglücklich gewählte Wort „Rasse“ die primäre soziale Einheit bedeutet hat. Sein Rassenbegriff unterschied sich aber deutlich von dem von Arthur de Gobineau (18161882) und Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) verwendeten biologischen, und bedeutete ein anthropologisches Gebilde, das vor allem um den Nucleus der Sprache und der Kultur kreiste. Das Missverständnis seiner „Rasse“– das eigentlich von kompletter Unkenntnis seiner Ideen zeugt, wurde ihm scheinbar zum Verhängnis, und wird als eine der Ursachen seiner fehlenden Rezeption erwähnt.245 Scheinbar war Gumplowicz aber der erste, der im deutschen Sprachraum sich mit den Rassen beschäftigte – einem Konzept, das
244
Gumplowicz,
Ludwig
(1928[1883])
Der
Rassenkampf
Wagner), 14ff 245
Szacki, Jerzy (1988) 'The Sociology of Ludwig Gumplowicz'
(Innsbruck:
Universitäts-Verlag
87 damals durch Gobineau sehr naturalistisch behaftet war.246 In Wirklichkeit war aber das Buch aus anderen Gründen sehr umstritten. Der dem Schaffen Gumplowicz' zugrunde liegende Polygenismus besagte, dass die Menschheit aus den aus mehreren Stämmen zusammengesetzten
heterogenen
Gruppen
(urtümlichen
Horden)
besteht,
deren
Entwicklung und territoriale Expansion zu gegenseitigen Konflikten (als Resultat des Kampfes um Ressourcen) führt. Dieser Antagonismus zwischen den Gruppen führte nicht zur physischen Vernichtung der Feinde, sondern zur kulturellen Assimilation, wie man es heute bezeichnen kann. Weil, als Ergebnis der Unterwerfung, es nach dem Abbruch der Kämpfe, zum „etliche Jahrhunderte“ dauernden Prozess der Amalgamierung, einer „Mischung“ zwischen den Siegern und Besiegten, kommt, wird auch die neue Solidarität innerhalb der Gruppe (z.B. durch die Mischehen, die in einem „Kreislauf des Blutes“, resultierten)
entstehen,
die
er
als
„Syngenismus“
bezeichnete.
Den
äußeren
organisatorischen Rahmen für den Prozess schuf der Staat und dessen Rechtswesen – beide als Repräsentanz der Interessen der dominierenden Gruppe. Diese haben die Untertänigkeit erzwungen und förderten Integration, indem sie mit der Zeit die unterschiedlichen Teile des Volks in eine einheitliche Nation umstrukturierten. Grundsätzlich war der größte Schwachpunkt des Werkes erstens, dass es zu revolutionär war, und zweitens, dass es politisch durchaus in alle Richtungen dehnbar war. Die erste Lesart war, dass die österreichische Monarchie sich zu einem Großstaat entwickeln wird. Vor allem aber wenn man es mit „Acht Briefe aus Wien“ in Verknüpfung bringt, sieht man, dass Gumplowicz nicht nur die Monarchie vor Augen haben konnte, sondern vielmehr Großdeutschland – bereits in diesen sprach über die Kolonisierung Österreichs durch die Deutschen. Noch problematischer war die Rezeption des Werkes in Polen. Bereits bei Erscheinen von „Staat und Raçe“ wurde ihm vorgeworfen, dass er dieses Werk auf Bestellung aus Moskau geschrieben hat, da Polen nicht durch eine gewaltsame Unterdrückung einer Gruppe durch eine andere entstanden ist247, und dass er Russland indirekt Recht gibt, Polen gewaltsam zu 246
So Gerhard, Uta (2001) 'Darwinismus und Soziologie. Zur Frühgeschichte eines langen Abschieds.'
in, Heidelberger Jahrbücher, Themenheft: Milieu und Vererbung, Band 45. (Heidelberg: Springer Verlag): 183-215 247
Eigentlich ist die Idee der „Rassenkampfes“ die Gumplowicz vertritt gerade der polnischen
Geschichte entnommen, und keineswegs ein Abbild österreichischer Monarchie. Einer der Topoi polnischer Adeligen, ist ihre Abstammung von dem aus Asien stammendem Kriegervolk der Sarmaten, die dann nach
88 unterdrücken.248 Ähnliches könnte auch über „Der Rassenkampf“ gesagt werden – was allerdings ganz und gar nicht stimmt, weil Gumplowicz Polen bereits als eine entwickelte Staatsnation angesehen hat und ihr das Recht auf unabhängige Existenz zusprach. Das Erscheinen des Buches hat mannigfaltige Reaktionen hervorgerufen, wovon die meisten sehr ablehnend waren. Theodor Laves sprach Gumplowicz zum Beispiel die Wissenschaftlichkeit ab: „In der Praxis dienen derartige Theorien pessimistischer Weltanschauung nicht dem Streben nach Wahrheit, sondern werden heutzutage außerhalb der Wissenschaft in der Regel nur als sophistischer Deckmantel einer unmoralischen aber doch energielosen, nicht moralischen Handlungsweise benutzt.“249 In diesem Ton war auch die Mehrheit der Rezensionen verfasst. Interessant dagegen die 1884 von Otto von Zwiedineck-Südenkorst (1871-1957) verfasste Antwort auf Angriffe, die Gumplowicz in dem Buch gegen die Geschichtsschreibung gemacht hat. Zwar wehrt sich der Historiker gegen die Angriffe, die Gumplowicz geäußert hatte250, trotzdem er ihm als Soziologen anerkennt, und auch seiner „Naturgeschichte der Menschheit“ eine Daseinsberechtigung als eine Wissenschaft gibt. Trotzdem, so Zwiedineck-Südenkorst, hat auch die Geschichtsschreibung durchaus ein Existenzrecht – als Wissenschaft von Individuen und ihren großen Taten.251 In seiner zweiten soziologischen Schrift verfeinerte Gumplowicz sein System und führte weitere Abgrenzungen ein. Vor allem definierte er die Soziologie, die eine Wissenschaft der sozialen Gesetze sein soll, und die sozialen Gebilde als Grundlage haben soll. Sie Westen ziehend die Slawen unterworfen haben. Zweiten wichtigen Einfluss hat natürlich die jüdische Abstammung Gumplowicz, und seine immerwährende Überzeugung, dass der einzige Weg des Judentums die kulturelle Assimilation sei. Zur Einflüssen aus polnischer Historiographie vgl. Pragłowski, Janusz (1990) 'Ludwik Gumplowicz und seine Krakauer Zeit', Österreichische Zeitschrift für Soziologie 15/1: 71-83 248
Posner, Stanisław (1911) Ludwik Gumplowicz 1838-1909 : zarys życia i pracy [dt. Ludwig
Gumplowicz 1838-1909:Eine Skizze über Leben und Arbeit](Warszawa: Tow. Akc. S. Orgelbranda S-ów), 69 249
Laves, Theodor (1884) '[Besprechung von]: Gumplowicz, Ludwig: Der Rassenkampf', Schmollers
Jahrbuch 8: 672-677 250
Etwa Faktensammlerei, Unnütz weil die damaligen Geschichtswissenschaften keine Gesetze
anerkannten, und jegliche Wissenschaft soll nach den Gesetzen suchen etc. 251
Zwiedineck-Südenkorst, Otto (1884) 'Die Geschichte als Wissenschaft', Zeitschrift für allgemeine
Geschichte, Kultur-, Literatur uns Kunstgeschichte. 1: 235-237
89 grenzt sich auch von der Geschichtsphilosophie ab, da diese die Geschichte als Ganzes betrachten will, und die Soziologie sich damit begnügt, den „Werdeprozeß menschlichen Vergesellschaftungen, dessen ewige Wiederholung den Inhalt aller Geschichte ausmacht, zu untersuchen.“252 Gumplowicz setzt auch seinem Gruppismus fort, und spricht dem Individuum jegliche Individualität ab: „Der größte Irrtum der individualistischen Psychologie ist die Annahme: der Mensch denke. Aus diesem Irrtum ergibt sich dann das ewige Suchen der Quelle des Denkens im Individuum, und der Ursachen, warum es so und nicht anders denke, woran dann die Theologen und Philosophen Betrachtungen darüber knüpfen oder gar Ratschläge erteilen, wie der Mensch denken solle. Es ist das eine Kette von Irrtümern. Denn erstens, was im Menschen denkt, das ist gar nicht er sondern seine soziale Gemeinschaft, die Quelle seines Denkens liegt gar nicht in ihm, sondern in der sozialen Umwelt, in der er lebt, in der sozialen Atmosphäre, in der er atmet, und er kann nicht anders denken als so, wie es aus den in seinem Hirn sich konzentrierenden Einflüssen der ihn umgebenden sozialen Umwelt mit Notwendigkeit sich ergibt.“253 Dieses extensive Zitat soll auch zeigen, wie sich Gumplowicz auf einem Schlag von der Psychologie befreite und auch ihr Existenzrecht als angewandte Wissenschaft absprach. Wobei er den Einfluss der Gemeinschaft nicht nur auf Denken zuließ, sondern durchaus weiter auf die biologischen Eigenschaften, wie Geschmack erweiterte: „Wer ist es nun, der hier denkt, fühlt, schmeckt – ist es das Individuum? Nein! Es ist die soziale Gruppe; es sind ihre Gedanken, ihre Gefühle, ihr Geschmack, ihre Anschauungen, also auch ihre Absichten und Zwecke, ihre Ziele und ihre Handlungen, deren neue Keime sich entwickeln; wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.“ 254 In diesen Zitaten sieht man sehr deutlich, wie breit sich der Einfluss der sozialen Gruppe in der Theorie Gumplowiczs verbreitet hat. „Die Soziologie müssen wir daher als die philosophische Grundlage all jener als ‚sozial’ sich entpuppenden Wissenschaften anerkennen, und es wird daher der Soziologie die Aufgabe zufallen, den Zusammenhang all jener Wissenschaften auf ihrem gemeinsamen Boden und die Stellung jeder dieser
252
Gumplowicz, Ludwig (1926 [1885]) Grundriss der
Soziologie (Innsbruck: Universitäts-Verlag
Wagner), 245 253
Ebda., 172
254
Gumplowicz, Ludwig (1926 [1885]) Grundriss der Soziologie, 174
90 Wissenschaften auf demselben nachzuweisen.“255 lautete seine größte Erkenntnis. Damit wollte Gumplowicz seinen Gruppismus als Grundlage der Sozialwissenschaften – die, seiner Definitionen nach, fast alle Wissenschaften umfassen sollen, machen. Wenn man diese Forderungen mit dem damals herrschenden idealistischen Gedankengut, die Individualismus als höchstes Gut priesen, zusammenstellt, wird einem klar, dass Gumplowiczs revolutionäre Ideen in Österreich und in Deutschland kaum Widerhall finden konnten. Dazu kam noch, dass der Grazer auf dem Gebiet der Staatsgebilden machiavellieschen Pragmatismus feststellte: „Von einem Gewissen kann nur beim einzelnen die Rede sein; die sozialen Gesamtheiten haben kein Gewissen. Jedes Mittel ist gut, wenn es zum Ziele führt“256 und „[d]ie Aktionen der wilden Horden, der Gesellschaften und der Staaten beherrscht ein blindes Naturgesetz.“257 Auch dieses war von den Konzepten etwa von Jellinek weit entfernt, und zeugte von tiefgreifendem Pessimismus – zudem Gumplowicz nicht nur keine Verbesserung in Aussicht stellte, sondern diese auch gänzlich ausschloss. Der blinde Kampf wurde zur Grundlage einer neuen Entwicklungskonzeption. Ein weiterer, sehr gewagter Schritt war die Verhöhnung der Moral, „[d]enn die Moral ist nichts anderes, als die durch die soziale Gruppe dem Geiste ihrer Angehörigen eingepflanzte Überzeugung von der Statthaftigkeit der ihnen durch dieselbe auferlegten Lebensführung“258, was natürlich mit den damals herrschenden christlichen Ideen kaum zu vereinbaren war – und gar nicht im konservativ-katholischen Österreich. Diese drei hier von mir genannten Punkte stellen natürlich nicht die gesamte Theorie von Gumplowicz dar259, ihre Aufgabe war nur, die Momente zu zeigen, in denen Gumplowicz sich nicht nur von den zeitüblichen Schriften entfernt, sondern sich ihnen förmlich entgegensetzt hat. Trotzdem fanden sich neben ablehnenden Rezensionen auch positive. Im „Schmollers Jahrbuch“, hat Adolf Merkel die Leistung von Gumpowicz als eine der ersten synthetischen Soziologien anerkannt, obwohl das Buch von Missverständnissen wimmelt, 255
Ebda., 42
256
Gumplowicz, Ludwig (1926 [1885]) Grundriss der Soziologie, 151
257
Ebda., 153
258
Ebda., 189
259
Zur Darstellung etwa: Kiss, Gabor (1972) Einführung in die soziologische Theorien I.
91 und äußerst pessimistische Aussichten darlegt.260 In „Grünhuts Zeitschrift für das Privatund öffentliche Recht der Gegenwart“ konnte Lotar Dargun das Buch – trotz mehrerer Vorbehalte – „jedem Jünger der weit verzweigten sociologischen Wissenschaften zur Lectüre bestens empfehlen.“261 Die Leidenschaft des jungen Gumplowicz wurde im Laufe der Jahre getrübt und der „temperamental journalist“ wurde zum „passionless observer who paint his gloomy vision of history without any hope that he can change the course of events.“ 262 Und es konnte dieser allmähliche Pessimismus sein, der den “terrible Autrichienne”263 in der Monarchie unpopulär machte. Endre Kiss meinte sogar, die Verlängerung des Rassenkampfes in die Gegenwart musste ein „Schock für den optimistisch-selbstbewussten aufklärerischen bürgerlichen Menschen“264 sein. Mit Gumplowicz betrat also die Soziologie die Wissenschaftslandschaft in Österreich. Und – wie positiv man die Originalität und die Weitsicht (er sprach das Nationalitätenproblem in der Habsburgermonarchie 20 Jahre vor den anderen Wissenschaftler an) Gumplowiczs auch betrachten möchte, war die Tatsache, dass es gerade er war, der die Soziologie als erster ansprach, äußerst ungünstig. Bereits seine ersten Schriften haben bei den Kritikern geteilte – obwohl meistens negative – Meinungen hervorgerufen. Die zwei soziologischen Schriften dagegen, haben „[S]türme des Unwillens und der Kritik erregt.“265 Seine Aussichten wurden als Pessimismus, oder sogar Nihilismus von allen Seiten abgelehnt, seine Methodik als ungenau kritisiert, sein Schreibstil als journalistisch degradiert. Dazu kam noch die Frage seiner Herkunft – Dieter Goetze stellte fest, „Gumplowicz ist in der Doppelmonarchie auf Grund der Tatsache, daß er ein polnischer Jude war, besonders heftig abgelehnt worden. Diese Eigenschaft ist wichtiger als alles andere gewesen“266 – nebenbei 260
Merkel, Adolf (1886) '[Besprechung von]: Gumplowicz, Ludwig: Grundriß der Sociologie'
261
Dargun, Lothar (1886) '[Besprechung von] Gumplowicz, Ludwig: Grundriss der Sociologie',
Grünhuts Zeitschrift 13: 769-780 262
Szacki, Jerzy (1988) 'The Sociology of Ludwig Gumplowicz', 90
263
So über Gumplowicz sagte Gabriel Tarde
264
Kiss, Endre (1986) Der Tod der k. u. k. Weltordnung in Wien, 105
265
Michels, Robert (1910) '[Besprechung von] Gumplowicz, Ludwig: Der Rassenkampf', Archiv für
Sozialpolitik und Sozialwissenschaft 31: 263-264 266
Goetze, Dieter (1970) 'Einige Ergänzungen zur "Soziologie Ludwig Gumplowicz" von Jürgen
Hohmeier', Kölner Zeitschrift 22/4: 784-788. Hier 784
92 sein nur bemerkt, dass, um die Einstellung in Graz zu erlangen, Gumplowicz zum Evangelismus konvertieren musste. Gumplowicz spürte die Ablehnung auch an der Universität, da er nicht, so wie zu der Zeit üblich, nach 4-5 Jahren vom außerordentlichen Professur zum Ordinarius befördert wurde.267 Auch bei den Kollegen hat er keine gemeinsame Sprache gefunden. Nur mit Raban von Canstein (Zivilrecht), Julius Vargha (Strafrecht), und dem Chefredakteur der „Grazer Tagespost“, Adalbert Swoboda, hatte er ein gutes Verhältnis gehabt. Mit dem Rest der Kollegen in Graz hatte er eher keine Verbindung, wobei diese eher eine gegenseitige Feindschaft gewesen ist, da Gumplowicz in seinen Schriften seine Kollegen mit gleicher Härte beschrieben hat, genau wie alle anderen Wissenschaftler, die mit ihm nicht auf gleicher Linie lagen. So hat er etwa den Grazer Nationalökonomen Richard Hildebrand als „Dilletanten und Aftergelehrten“ bezeichnet.268 Ein früherer Biograph von Gumplowicz, Stanisław Posner (1868-1930) meinte auch, dass einer seiner Freunde aus Graz schrieb, dass er seine Kollegen ignorierte, wohlwissend, dass diese ihm auch nicht gut gesinnt sind.269 Trotzdem wurde Gumplowicz damit beauftragt, eine Festschrift zu der Jahresfeier am 15. November 1892 zu verfassen – was immerhin von Ansehen zeugt, das ihm beigemessen wurde. In der Grazer Isolation konnte man kaum über Versuche von Gumplowicz sprechen, eine eigene Schule zu bilden, zumal er auch fast keine soziologischen Lehrveranstaltungen angeboten hat. In seiner gesamten Lehrtätigkeit waren es nur „Grundzüge der Sozialwissenschaft“ (SS 1883), „Grundzüge der Soziologie“ (SS 1885), „Die Entwicklung der Soziologie seit Auguste Comte“ (1888/1889), und „Die Entwicklung der Soziologie seit August (sic!) Comte bis Gustav Ratzenhofer“ (WS 1900/1901).270 Trotzdem hat er – vor allem auf die ausländischen Schüler, einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt. Auch die Gründung des Grazer Soziologischen Gesellschaft muss man seiner Wirkung zuschreiben, wobei, wie oben festgestellt, dieses kein akademisches Verein war. Weit größere Anerkennung als seine Theorie haben einzelne Aspekte, die er in seinen Schriften behandelte, gefunden. Vor allem die Austromarxisten und Wiener Philosophische 267
So zu mindestens in Weiler, Bernd (2003) 'Die akademische Karriere von Ludwig Gumplowicz in
Graz' 268
Mozetič, Gerald (1985) 'Ein unzeitgemäßer Soziologe: Ludwig Gumplowicz', 633
269
Posner, Stanisław (1911) Ludwik Gumplowicz 1838-1909, 170
Gumplowicz war zu dieser Zeit natürlich nicht der einzige, der sich mit der Soziologie beschäftigt hat, wobei er aber der einzige war, der offen über Soziologie sprach. Carl Menger hat etwa in seinen 1883 erschienenen „Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und der Politischen Oekonomie insbesondere“ die Entstehung sozialer Gebilde analysiert, und eine Forschungsrichtung gefordert, „die gegenseitige Bedingtheit der sozialen Erscheinungen“271 untersuchen soll. Menger anerkannte die „organische“ Soziologie, der er allerdings, ähnlich wie Gumplowicz, vereinfachten Biologismus vorwarf. Er unterschied nach zwei Modellen für die Entstehung von sozialen Gebilden: den geplanten, und den aus der Entwicklung entspringenden: „Das charakteristische der social-teleologischen Entstehung der Gesellschaftsphänomene liegt in der auf die Begründung der letzteren gerichteten Absicht der Gesellschaft als solcher, in dem Umstande, dass sie das beabsichtigte Ergebnis des Gemeinwillens der Gesellschaft, als handelndes Subject gedacht, oder der Machthaber dieser letzteren sind. Die Socialphänomene, deren Ursprung ein ‚organischer’ ist, charakterisiren sich dagegen dadurch, dass dieselben sich als die unbeabsichtigte Resultante individueller d.i. individuelle Interessen verfolgender Bestrebungen der Volksglieder darstellen, demnach, im Gegensatze zu den vorhin gekennzeichneten Socialgebilden, allerdings die unbeabsichtigte sociale Resultane individual-teleologischer Factoren sind.“272 Menger hat auch die Volkswirtschaft auf eine neue
Grundlage
gestellt,
indem er eine
sozialwissenschaftliche Werttheorie schuf, und den Wert mit dem Bedürfnis in Zusammenhang brachte – ein Schritt, der der Österreichischen Schule der Ökonomie zugrunde liegt. Dass hier nur ein kleiner Schritt zur Soziologie fehlt, ist sicher. Auch Gumplowicz hat dieses, und die Schrift Mengers in seiner „Sociologie und Politik“ als „vorsoziologisch“
271
Menger, Carl (1970) Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften, und der Politischen
Oekonomie insbesondere (1883), 165 272
Ebda. 181f
94 anerkannt.273 Sogar Böhm-Bawerk hat in der Besprechung des Werkes darauf hingewiesen – statt der von Menger geforderten sozialwissenschaftlichen Untermauerung aller Disziplinen, sollte man eine Soziologie schaffen, die eine übergreifende Wissenschaft sein soll.274 Trotzdem blieb Menger der Soziologie in seinen Schriften fern, hat ihre Eigenständigkeit allerdings nie geleugnet. In „Grundzüge einer Klassifikation der Wirtschaftswissenschaften“ (1889) beschrieb er die Soziologie als Wissenschaft von sozialen Gesetzen, und stellte ihr sogar die Nationalökonomie unter.275 Es muss allerdings hervorgehoben werden, dass Menger ein Befürworter einer strikten Arbeitsteilung zwischen den Disziplinen war und die Soziologie als universelle Meta-Wissenschaft ablehnte.276 Trotz seiner vielfältigen Interessen blieb Menger auf dem Feld der Wissenschaft sein Leben lang einer Idee verpflichtet – und diese war die Grenznutzenlehre, die sowohl er, als auch seine Schüler gegenüber den traditionellen Schulen verteidigten mussten. Berühmt sein Streit mit Gustav Schmoller und der deutschen historischen Schule, aber auch unter den Volkswirten in Wien hatte er nicht immer Anerkennung gefunden. Nicht nur Menger hat sich in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auf dem Bereich der Volkswirtschaft beschränkt – sichtlich war die Mehrheit der Grenznutzerlehrer nicht an der Soziologie interessiert, oder lehnten diese sogar ab. 277 In ihren Schriften – aber auch in ihrer politischen Praxis278 fehlt die Auseinandersetzung mit den Problemen, die für die Soziologie in Österreich konstituierend waren – wie mit der Frage der Nationalität. Erst Friedrich von Wieser hat sich mit der Soziologie intensiver auseinandergesetzt. In den ersten Jahren war die Soziologie aber noch sicherlich keine „exacte“ Wissenschaft, die von Menger gefordert wurde, und auch Böhm-Bawerk 273
Gumplowicz, Ludwig (1892) Sociologie und Politik (Leipzig: Duncker & Humblot),44
274
Böhm-Bawerk, Eugen (1884) '[Besprechung von] Menger, Carl: Untersuchungen über die Methode
der Socialwissenschaften und der politischen Oekonomie insbesondere', Grünhuts Zeitschrift 11: 207-220 275
Ders.,
Menger, Carl (1970) 'Grundzüge einer Klassifikation der Wirtschaftswissenschaften (1889)', in Gesammelte
Werke,
Band
II.
Kleinere
Schriften
zur
Methode
und
Geschichte
der
Volkswirtschaftslehre. Herausgegeben mit einer Einleitung und einem Schriftenverzeichnis von F. A. Hayek (Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck)): 185-218 276
Menger, Carl (1970) 'Grundzüge einer Klassifikation der Wirtschaftswissenschaften (1889)'
277
Knoll, Reinhold (1984) Soziologie aus Österreich (bis 1933), 111
278
Böhm-Bawerk, von Wieser und von Phillippovich waren Minister in den konservativen
Regierungen.
95 wünschte der „jungen Disziplin [...] sich vor allem das nötige Tatsachen-Fundament zu schaffen“279, da sie sonst als eine Modewissenschaft zu verschwinden drohe. Sowohl bei Menger, als auch bei Böhm-Bawerk ist die Soziologie mit einer Geschichtsphilosophie, spekulativem Denken und fehlender Exaktheit in Verbindung gebracht worden. Aber auch mit Sozialismus: so wird Lorenz von Stein in dem Nekrolog von Menger als der gepriesen, der den Sozialismus in Deutschland bekannt gemacht hat – das Wort Soziologie dagegen kommt in dem ganzen Text gar nicht vor.280 Auf diesen sichtlichen Unwillen der Grenznutzenlehrer für diese Bezeichnung werde ich noch zurückkommen. Trotzdem, wie oben vermerkt, nahmen sie durchaus an den internationalen Vereinigungen teil, auch als Redner, in den österreichischen Vereinen fehlten sie lange – dieses sei vielleicht teilweise dadurch zu erklären, dass sie als Liberale, in den von Sozialisten dominierten Wiener Vereinen keinen Platz hatten, beim Grazer Verein trifft diese politische Zuschreibung nicht zu.
Eine kurze Zeit war Gumplowicz der einzige Wissenschaftler in Österreich, der sich offen zur Soziologie bekannt hat, auch in den Zeitschriften wurden nur wenige Artikel veröffentlicht, die diese ansprachen. Sonst scheint es keine Interesse für die Soziologie gegeben haben. Auch wenn ich über die Ablehnung geschrieben habe, die Gumplowicz in Österreich erfuhr, so sind die ersten Soziologen, die ihm nachfolgten, ohne seine Schriften nicht denkbar. Allerdings dauerte es ganze zehn Jahre, bis sich jemand anderer als Gumplowicz an die Soziologie gewagt hat. Und, was wieder ein schweres Los war, war es kein Wissenschaftler, sondern ein Militäroffizier, und zwar Gustav Ratzenhofer. Bereits 1882 hat er eine darwinistisch fundierte Theorie der Gesellschaft entwickelt und in Buchform
„Die
Staatswehr
(wissenschaftliche
Untersuchungen
der
öffentlichen
Wehrangelegenheiten)“ publiziert. Hier hatte er, unabhängig von Gumplowicz, den Kampf als Grundlage aller gesellschaftlichen Entwicklung dargestellt, und den „Krieg als die höchste Steigerung eines beständig vorhandenen Existenzkampfes, als ein unvermeidliches
279
Zit. in Knoll, Reinhold (1984) Soziologie aus Österreich (bis 1933), 112
280
Menger, Carl (1891) 'Lorenz von Stein', Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 3
Folge/1: 259-271
96 Mittel des Fortschrittes [...] darzustellen versucht.“281 Fraglich ist allerdings, ob dieses Buch eine Rezeption erfuhr – die Rezension von Juraschek war der einzige Hinweis, den ich gefunden habe. 1893 veröffentlichte Ratzenhofer ein Buch, das ihm den Eingang in die Annalen der Soziologiegeschichte zusicherte: „Wesen und Zweck der Politik. Als Teil der Soziologie und Grundlage der Staatswissenschaften“. Insofern aber die künftigen Generationen den Soziologen Ratzenhofer anerkannten, so war das keineswegs zu seinen Lebzeiten der Fall. Vielmehr, ganz im Gegensatz zu Gumplowicz, der eine – kritische aber intensive – Beachtung erfuhr, wurde Ratzenhofer durchgehend ignoriert. Eigentlich war der Einzige, der Ratzenhofer in der „science community“ anerkannt hat, gerade Ludwig Gumplowicz. Durch seine Rezension 1894 in „Revue Internationale de Sociologie“ hat er Ratzenhofer als Soziologen gebilligt. In einem anderen Artikel merkte er an, dass es in Österreich an Soziologen mängelt: „J’en [un sociologe – J.S.] connais un seulement, il n’est pas proffeseur, il n’a pas une chaire de sociologie; c’est une brave colonel, membre de l’état – major autrichien.“282 Später war es auch Gumplowicz, der Ratzenhofer mit Ward bekannt machte und seine Rezeption in den USA ermöglichte. Ratzenhofer schrieb bis zu seinem Tode noch mehrere Bücher, bemühte sich auch, Soziologie in der Presse (Neue Freie Presse, die Wage etc.) zu popularisieren, trotzdem blieb seine Nichtbeachtung in der Gelehrtenwelt geradezu prononciert. Dieses hat sich auch in den 30-er Jahren in den Interviews, die Eduard Eubank mit den deutschen Soziologen führte, ausgedrückt – nur Leopold von Wiese hat etwas Positives über Ratzenhofer gesagt, sonst schienen andere Gelehrte durch die Frage nach Ratzenhofer einigermaßen überrascht zu sein und maßen ihm keine Bedeutung für die Entwicklung der deutschsprachigen Soziologie zu. 283 Auch scheinen die Bücher von Ratzenhofer sich sehr schlecht verkauft zu haben – was Brockhaus dazu bewogen dürfte, keine
281
Juraschek, Franz (1882) '[Besprechung von]: Ratzenhofer, Gustav: Die Staatswehr', Grünhuts
Zeitschrift 9: 152-154. Hier 152f 282
La Riforma Sociale: Rassegna di Scienze Sociali e Politiche (Torino), 1. Jg., Bd. 1 (1894), 273, Zit
in: Weiler, Bernd (2001) 'Ludwig Gumplowicz (1838-1909) und sein begabtester Schüler', 26 283
Käsler, Dirk (1985) Soziologische Abenteuer. Earle Eduard Eubank besucht europäische
Soziologen im Sommer 1934 (Opladen: Westdeutscher Verlag)
97 soziologischen Schriften zu publizieren. 284 Teilweise war es sicher der in Deutschland und Österreich nicht anerkannte Darwinismus – der bei Ratzenhofer stärker ausgeprägt war als bei Gumplowicz, der über die Nichtbeachtung entschieden hat, sicherlich wollten auch die „Mandarine“ niemanden von außen in den „Elfenbeinturm Wissenschaft“ hereinlassen – Ratzenhofer war vollständiger Autodidakt, ohne jeglichen akademischen Grad. Dazu war seine Soziologie bestimmt, zu einer angewandten Wissenschaft zu werden, die als Beratung der Politik hervortritt. Als weiterer Grund kommt hinzu, dass „in seinen späteren Jahren [...] sich Ratzenhofer voll und ganz mit dem „Monismus“ Ernst Haeckels [(1834-1919)] und Wilhelm Ostwalds [(1873-1940)] identifiziert [hatte], welcher sich auf Comte, Spencer und Darwin berief und um die Jahrhundertwende zur Welterklärungs- und Welterlösungslehre für Halbgebildete geworden war, vor der humanistisch und philosophisch geschulte Köpfe zurückschauderten.“285 Auch die „Soziologie“ (1907), die posthum von Gustav Ratzenhofer jr. herausgeben wurde, fand auch bei allen – bis auf Gumplowicz und Tönnies, heftigste Ablehnung. Tönnies beklagte den frühen Tod des Autodidakts, und empfahl sein Buch vor allem als Denkanstoss, da es, trotz wissenschaftlicher Mängel „auf jeder Seite einen Gedanken [gibt], der beachtet zu werden verdient“286. Dagegen stellte Ludwig von Wiese, einer der wenigen, der Ratzenhofers Schriften bis dato als wichtig ansah, fest, dass die „Soziologie“ nur für äußerst kritische Leser zu empfehlen ist.287 Eleutheropulos, ein Freund von Gumplowicz, bekämpfte das Buch dagegen aufs heftigste in der „Monatsschrift für Soziologie“, vor
284
So zumindest Gumplowicz an Ward am 28.03.1909 Stern, Bernhard J. (1933) 'The Letters of
Ludwig Gumplowicz to Lester F. Ward.' in, Sociologus. Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie/A Journal for Sociology and Social Psychology. Beiheft/Supplement 1. (Leipzig: C.L. Hirschfeld) 285
Stagl, Justin (1997) 'Gustav Ratzenhofers "Soziologie" und das Nationalitätenproblem Österreich-
Ungarns', in Kiss, Endre (Hrsg.), Nation und Nationalismus in wissenschaftlichen Standardwerken Österreich-Ungarns, ca. 1876-1918 (Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag): 78-92. Hier 81 286
Tönnies, Ferdinand (1908) '[Besprechung von]: Ratzenhofer, Gustav: Soziologie. Positive Lehre
von den menschlichen Wechselbeziehungen.' Schmollers Jahrbuch 32: 759-762 287
von Wiese, Leopold (1910) '[Besprechung von]: Ratzenhofer, Gustav: Soziologie', Archiv für
Sozialpolitik und Sozialwissenschaft 31: 882
98 allem wegen Ratzenhofers Wendung zum Soziallamarckismus und kämpferischen Antisemitismus.288 Die Ablehnung der früheren Schriften war aber nicht eine vollständige. So hat etwa neben Leopold von Wiese auch Albert Schäffle Ratzenhofer als durchaus interessanten Philosophen anerkannt, und stellte fest, dass Ratzenhofer„gleich dem anderen nicht minder bedeutenden Soziologen der Deutschösterreicher – Gumplowicz – nicht bloß ein völlig selbständiger
Denker
[ist],
welcher
umfassendstes
naturwissenschaftliches,
geisteswissenschaftliches und soziologisches Fachwissen in einheitlichen Gusse zu verschmelzen, philosophisch zu konzentrieren versteht.“289 Ratzenhofer versuchte auch, selbst tätig zu werden, um seinen Publikationen Popularität zu verschaffen. Nicht nur schickte er seine Arbeiten Zeitschriften zu290, sondern hat auch – zu der Zeit durchaus unübliche – Selbstanzeigen publiziert – so etwa in „Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie“ im Jahr 1898.291 Trotzdem blieben seine Bemühungen in Deutschland und Österreich erfolglos, und nur die Anerkennung in Übersee, und spätere Wiederentdeckung in den amerikanischen Theorien, sicherte ihm jetzige Achtung. Auch wenn Ratzenhofer allgemein als Schüler von Gumplowicz anerkannt wird, so ist diese Meinung nicht ganz gerecht. Es stimmt zwar, dass sie sich gegenseitig ideenmäßig befruchteten, trotzdem blieben ihre Soziologien unterschiedlich. Ratzenhofer war mehr als Gumplowicz in der Biologie verhaftet und wechselte in seiner letzten, posthum herausgegebenen Schrift „Soziologie“ gänzlich zum Lamarckismus über, den Gumplowicz in seinen Schriften aufs heftigste bekämpft hat. Auch blieben seine Themen von den Theorien Gumplowiczs entfernt, wie zum Beispiel die Ethik. Unterschiedlich war auch das Verhältnis zum Judentum, und vor allem in der „Soziologie“ hat sich Ratzenhofer als 288
Eleutheropulos (1909) '[Besprechung von]: Ratzenhofer, Gustav: Soziologie', Monatsschrift für
Soziologie November/Dezember: 807 289
Schäffle, Albert (1898) '[Besprechung von]: Ratzehnofer, Gustav: Die soziologische Erkenntnis',
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft LIV: 733., Vgl. auch ders. (1896) '[Besprechung von]: Ratzenhofer, Gustav: Wesen und Zweck der Politik. Als Theil der Sociologie und Grundlage der Staatswissenschaften.' Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft LII: 353 290
Auch der Akademie der Wissenschaften spendete er sein „Wesen und Zweck der Politik” - (1895)
Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse XXXI 291
Ratzenhofer, Gustav (1898) 'Soziologische Erkenntnis, „positive Philosophie der sozialen Lebens“
(Selbstanzeige)', Zeitschrift für wissenschaftliche Philosophie 22: 461-462
99 klarer Antisemit entpuppt – inwiefern dieses aber an das Treiben des Editors der Ausgabe – seines Sohnes, der die Schriften von Ratzenhofer später auch als nahe am Nationalsozialismus zu präsentieren versuchte, zurückgeht, konnte bis dato nicht eruiert werden. Gumplowicz blieb Ratzenhofer offiziell immer treu, und hat ihn in mehreren Schriften sehr gelobt. In der zweiten Auflage von „Grundriss der Soziologie“ verwies er mehrmals auf ihn, und sagte, seine Schriften zur Ethik („Positive Ethik“) haben den größten Vorwurf, der der Soziologie gemacht worden ist – dass sie keine eigene Ethik bilden kann und deswegen moralisch verwerflich bleiben muss, entkräftigt.292 In einem in „Der Zeit“ erschienenen Artikel „Darwinismus und Soziologie“293 sprach er über das „epochale Werk“ des Österreichers, und auch in den Briefen an Lester Ward lobte er Ratzenhofer sehr: „Ratzenhofer steht hoch über mich [...] [e]r spinnt aus seinem Geiste immer weitere systematische Welterklärungen und umspannt alle Gebiete des Lebens, indem er sie alle aus einem Prinzipe heraus erklärt. [...] Er ist eine geniale Natur: er schafft eine geistliche Welt die ein Abbild der wirklichen sein soll.... viel großartiger als Spencer; weniger Material aber mehr Geist.“294 Und er trauerte Ratzenhofer nach seinem Tod nach, nicht nur offiziell, sondern auch in den Briefen. Trotzdem hat er am 14.01.1909 in einem Brief an Jan Karol Kochanowski (1869-1949)295, folgendes geschrieben: „Es ist eine interessante Tatsache, daß mein begabtester Schüler ein Italiäner ist – nach ihm kommen dann die Slovenen und ein Kroate [...] – und erst dann kommen die Deutschen, aber mit weitem Abstand.“296 Darunter hat er auch den Ratzenhofer verstanden, und kritisierte ihn in dem Brief wegen seiner fehlenden Gründlichkeit. Diese Janusköpfigkeit ist ein sehr gutes Beispiel für „Boundary Work“. Durch die Anerkennung Ratzenhofers hat 292
Gumplowicz, Ludwig (1926 [1885]) Grundriss der Soziologie, 15
293
Gumplowicz, Ludwig (1899) 'Darwinismus und Soziologie. (Zuerst Erschienen in "Der Zeit"
1895)', in Ludwig Gumplowicz (Hrsg.), Soziologische Essays. (Innsbruck: Verlag der Wagner'schen Universitäts-Buchhandlung) 294
7. August 1902: In: Stern, Bernhard J. (1933) 'The Letters of Ludwig Gumplowicz to Lester F.
Ward.' in, Sociologus. Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie/A Journal for Sociology and Social Psychology. Beiheft/Supplement 1. (Leipzig: C.L. Hirschfeld). 10f 295
Sein Freund in Warschau und Redakteur von „Przegląd Historyczny“ [Historische Revue], wo
Gumplowicz mehrere Artikel veröffentlicht hat. 296
Weiler, Bernd (2001) 'Ludwig Gumplowicz (1838-1909) und sein begabtester Schüler: Der
Triestiner Franco Savorgan (1879-1963)', AGSÖ Newsletter 22: 26-50. Hier 26
100 Gumplowicz zeigen wollen, dass seine eigenen Ideen anerkannt worden sind und dass die Soziologie bereits über eine Basis verfügt, und nicht nur einen einsamen Vorkämpfer hat. Auch in Briefen an Ward – der Ratzenhofer in den USA popularisierte, hat er diese Propaganda betrieben. Dort, wo es nicht um „Werbung“ ging, wie in Briefen an Kochanowski oder Savorgnan, blieb Gumplowicz mehr zurückhaltend, und sah Fehler von Ratzenhofer ein. Bezeichnend ist auch, dass sich Gumplowicz und Ratzenhofer scheinbar nie getroffen haben und nur durch Briefe kommunizierten.297 Was sie beide verband, war sicherlich das neue Paradigma der Soziologie, die sie beide vertraten. Aber auch die Feindschaft, die beide in der „scientific community“ erfuhren, wirkte verbindend. Trotz aller offenen Fragen ist dieses Duo ein kleiner Cluster in der aufstrebenden Disziplin, und sie wurden seitdem oft gemeinsam behandelt (etwa bei Spann), allerdings haben sie, beide als Außenseiter, und Ratzenhofer sogar als Exkludierter, keine Möglichkeiten gehabt, für die Anerkennung der Soziologie notwendige Schritte zu unternehmen. Vor der Jahrhundertwende war die Soziologie in Österreich also nach wie vor eine „Fremdwissenschaft“, die durch zwei Außenseiter – einen polnischen Juden und einen österreichischen Offizier in der Monarchie vertreten wurde. Trotzdem, zwar noch ohne deutliche Profilierung, hatte sie aber schon deutliche Einflüsse. Diese waren vor allem bei den Austromarxisten feststellbar – bei Bauer, Renner und Adler. Alle drei haben sich durch die Schriften von Gumplowicz beeinflussen lassen. Max Adler übernahm von Gumplowicz die Idee der sozialen und historischen Gesetze, die als Grundlage der Soziologie dienen. 298 Otto Bauer übernahm von Gumplowicz die Spezifizierung der Gruppe als primäre, soziale Einheit.299 Karl Renner hat die Theorie der Staatenentstehung und Teile von der Konflikttheorie von dem Grazer übernommen.300 Grundsätzlich ist auch das Problem der Nationalität, das um die Jahrhundertwende zu einem wichtigen Thema in der Politik und Wissenschaft avancierte, von Gumplowicz vorausgesagt worden, und so wurde auf seine Schriften bei dessen Behandlung Bezug genommen. Es ist zwar nicht zu erkennen, dass 297
Lohberger, Hans (1964) 'Ludwig Gumplowicz und Gustav Ratzenhofer', Zeitschrift des
Historischen Vereins für Steiermark 55: 171-192 298
Mozetič, Gerald (1987) Die Gesellschaftstheorie des Marxismus (Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft), 148 299
Ebda., 218
300
Ebda., 143
101 seine Soziologie mit der Soziologie überhaupt identifiziert worden ist, trotzdem muss man einsehen, dass die nächsten, sich explizit auf die Soziologie berufende Schriften (Eisler, Hartman), sich mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in naturalistischgeschichtsphilosophischer Version à’la Gumplowicz beschäftigt haben.
Trotz alldem ist der zweite Zweig der österreichischen Soziologie sehr lose an Gumplowicz gebunden, und scheint von ihm nicht entscheidend beeinflusst zu werden. Der Grazer hat sich von den Wiener Soziologen, die hier behandelt werden, ebenfalls aufs schärfste abgegrenzt. Die Frage, warum, ist allerdings sehr schwer zu beantworten, da er sich gerade zu der Zeit mit Ratzenhofer angefreundet hat, und scheinbar viel darauf setzte, die Soziologie populär zu machen. Auch ist der Ursprung der Wiener Soziologie, die aus dem Sozialismus und der „socialen Frage“ entstand, ihm teilweise ähnlich, und die Person des Lehrers, Lorenz von Stein, beiden eigen. Es war auch nicht der Sozialismus, der sie trennte, da Reich und Jerusalem nicht politisch engagierte Sozialisten waren, und Gumplowicz – trotz seiner offenkundigen Ablehnung, in der sozialistischen
Presse
durchaus
veröffentlicht
hat,
was
von
durchgreifendem
Pragmatismus, anstelle ideologischer Verhärtung, zeigt. Die Ablehnung, die Jerusalem, Reich oder Hartmann bei Gumplowicz erfuhren, lässt sich aber durch die Persönlichkeit dessen entschlüsseln. In der im ersten Kapitel eingeführte Typologisierung der Wissenschaftlertypen, fällt Gumplowicz mit Sicherheit in die Kategorie D – was heißt, das er tribal dachte, und im fragmentierten Wissenssystem tätig war. Das erklärt auch sein Verhältnis zu Ratzenhofer, der im Vergleich zu anderen Wissenschaftler relativ viel von ihm übernahm. Was Gumplowicz angestrebt hat, war, seine Soziologie zu fördern, und gegen alle die ihn angreifenden Tendenzen verhielt er sich daher sehr aggressiv – oder er ignorierte diese (Beispiel Bernatzik). Die Soziologie, die Reich, oder Hartmann betrieben, war – trotz mehrerer Ähnlichkeiten, von seinen Grundideen weit entfernt. So hat er mit Hartmann in der Schrift „Historia a socjologia” [Geschichte und Soziologie]301 polemisiert, und vor allem seine teleologische Idee des Fortschritt abgelehnt. Reich und
301
Gumplowicz, Ludwik (1905) 'Historia a socjologia' [dt. Geschichte und Soziologie], Wojskowy
Przegląd Historyczny 1: 5-23
102 Jerusalem haben sich dagegen deutlich von der Psychologie beeinflussen lassen, also hatten sie die von Gumplowicz abgelehnte Grundlage für ihre Soziologie gewählt.
Um die Wiener Soziologen zu verorten, muss man nach ihrem Ursprung fragen. Gewiss war der wichtigste Bezugspunkt Lorenz von Stein, und seine Konzeption vom Sozialen, die in ihren Schriften weitergewirkt hat. Bezeichnend ist auch, dass einen wichtigen Platz, die Ethik und Ästhetik einnahm, die bei Gumplowicz sehr wenig Platz beanspruchten. Diese Fragen kamen von dem in der österreichischen Soziologiegeschichtsschreibung noch kaum beachteten Anton Menger. Menger promovierte im Jahr 1865 zum Doktor der Rechte und habilitierte 1871 – in einem Expressverfahren innerhalb von zehn Wochen, nachdem zwei Stellen an der Rechts-, und Staatswissenschaftlichen Fakultät frei wurden, für Zivilprozessrecht an der Universität Wien. Von 1875 bis 1899 war er als Universitätsprofessor (ab 1877 Ordinarius) für Zivilprozessrecht tätig. Seine Stellung in der Soziologie ist dadurch getrübt, da er kaum Soziologie als eine Wissenschaft ansprach, sondern seine sozialistische Gesellschaftslehre ins Zentrum stellte. Er ist bekannt als Vordenker des wissenschaftlichen Sozialismus, seine Bedeutung wächst aber über diesen hinaus. Als Utopist und Sozialist glaubte Menger an die Schaffung eines perfekten Staates, und diesem Ziel waren seine Schriften untergeordnet. Seine Ideale – Volksbildung und Demokratie – haben in weiterer Folge zur Entstehung nicht nur der Volkskurse, sondern auch der Wiener Soziologischen Gesellschaft beigetragen. Ähnlich wie von Stein rückte Menger aber nicht von seinem Standpunkt ab, dass die Wissenschaft, die er betreibt, Sozialismus und nicht Soziologie ist, und hat Soziologie mit dieser auch nicht identifiziert. So heißt es etwa in dem 1889 erschienenen Gutachten über die Vorschläge zur Errichtung einer Eidgenössischen Hochschule für Rechts-, und Staatswissenschaft: „diese Disziplin, welche man [...] als soziale Ethik und Soziologie, oder als Sozialwissenschaft oder auch als Rechtsphilosophie bezeichnen kann [...]“302; also kein wissenschaftlicher Sozialismus.
302
Kästner, Karl-Hermann (1974) Anton Menger (1841-1906). Leben und Werk (Tübingen: J. C. B.
Mohr (Paul Siebeck))
103 Zur Zeit ihrer Erscheinung wurden die Lehren Mengers durchaus gelobt – vor allem seine Staatslehre, die auch als Monument des Wiener Sozialphilosophen303 bezeichnet wurde. Nur Gumplowicz wies die Ideen Mengers als indiskutabel zurück.304 Menger war auch nicht nur der Erste, der die soziale Frage mit der Jurisprudenz in Verbindung gebracht hat, er hatte auch eine soziologische Erkenntnislehre vorbereitet, die allerdings sein Tod verhindert hat.
305
Menger, der anscheinend eine sehr charismatische Person war – so
meinten etwa Renner306 oder Ehrlich307, hat aber weder eine Schule hinterlassen, noch soziologische Grundwerke. Hermann Kantorowicz, der mehrere Werke Mengers in „Schmollers Jahrbuch“ besprach, schrieb darüber: „Ein Leben, das, allen bestehenden Machtverhältnissen zum Trotz, ein Leben des reinsten Idealismus gewesen. Auf Ehre und Einfluss, auf Amt und Adel hat Menger freiwillig verzichtet, um ein Leben zu führen, das, ganz ausgefüllt von rührender Barmherzlichkeit, im Dienst der Armen und Machtlosen dahingegangen ist. Man kann an seinem Grabe ihm nichts Ehrenderes nachrufen, als das seiner Theorien beste Widerlegung seine Persönlichkeit gewesen ist.“308 Trotzdem waren seine Ideen für andere befruchtend. Vor allem für Eugen Ehrlich, der sein Schüler war und die soziale Frage als Untersuchungsobjekt angenommen hat, obwohl er sich vom Sozialismus jeglicher Art distanzierte.309 Auch in den Schriften von Emil Reich und Wilhelm Jerusalem wird auf Menger eingegangen. Trotzdem blieb sein Schaffen – auch durch die Ignoranz, die er von den Marxisten jeglicher Art erfuhr, ohne nennenswerte Einflüsse. Auf der universitären Arena haben die Sozialwissenschaften dank Menger allerdings eine weitere Ablehnung erfahren. 1890/91 wollte er ein Seminar über Sozialwissenschaften 303
Feilbogen, Siegmund (1904) '[Besprechung von] Menger, Anton: Neue Sittenlehre', Grünhuts
Zeitschrift 31: 440-446 304
Mozetič, Gerald (1985) 'Ein unzeitgemäßer Soziologie: Ludwig Gumplowicz ', 625
In Mozetič, Gerald (1987) Die Gesellschaftstheorie des Marxismus, 47
307
Ehrlich, Eugen (1906) Anton Menger (Sonderabdruck aus „Süddeutsche Monatshefte“ 3 Jahr, 9)
308
Kantorowicz, Hermann (1906) '[Besprechung von]: Menger, Anton (gest. in Rom, 10. Februar
1906): Neue Sittenlehre', Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 30: 814816. Hier 816 309
Ebda., auch [Eugen Ehrlich], Anonym (1891) 'Die soziale Frage und die Rechtsordnung', Die neue
Zeit IX/2: 430-438, 476-480, 539-544
104 anbieten, dieses wurde von der Administration verboten, da man keine sozialistischen Inhalte an der Universität zulassen wollte – zumindest nicht explizit.310
Der zweite Gelehrte in Wien, der der Soziologie nahe stand, war Carl Grünberg. Grünberg war seit 1894 Privatdozent in Wien, seit 1899 Außerordentlicher Professor für Politische Ökonomie, und seit 1912 Ordinarius für neuere Wirtschaftsgeschichte, ehe er 1924 das Frankfurter Institut für Sozialforschung mitbegründete. Auch er blieb der Soziologie explizit fern, obwohl seine Schriften sich mit dieser beschäftigt haben. Vor allem seine Agrarsoziologischen
und
-historischen
Studien,
mit
den
gleichthematischen
Untersuchungen von Max Weber vergleichbar, sind von soziologischer Relevanz.311 In seiner Tätigkeit an der Universität blieb er aber der Konzeption von Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – als deren Mitbegründer er gelten kann, aufs tiefste verbunden. Trotzdem kann seine Bedeutung als Weiterführung der Gedanken von Lorenz von Stein gedeutet werden, das heißt eine „Versozialwissenschaftlichung“ (oder „Soziologisierung“) der neuen Untersuchungsfelder. Auch die Schaffung eines neuen Forums: „Grünbergs Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung“ (1910ff), in dem Sozialistische und Sozialwissenschaftliche Literatur besprochen wurde, und ebensolche Beiträge publiziert, muss im Kontext der mangelhaften Zeitschriftenlandschaft in Österreich hervorgehoben werden.
Ich habe Anton Menger und Carl Grünberg abgesondert von den restlichen Wiener Soziologen behandelt, da diese zwar als eine Weiterführung der Tradition von Lorenz von Stein zu verstehen sind, aber im Gegensatz zu ihm, keine expliziten Annäherungsversuche an die Soziologie machten. Sie waren beide Schüler von Lorenz von Stein (Grünberg auch
310
Grünberg, Carl (1909) 'Anton Menger. Sa vie – Son Œuvre', Revue d’histoire des doctrines
économiques et socials 2: 1-40. Hier 9 (Eine Erweiterte Version von Einem Vortrag von 7.02.1908 in Wiener Soziologischen Gesellschaft) 311
z.B. Grünberg, Carl (1896) 'Studien zur österreichischen Agrargeschichte und Agrarpolitik. I',
Schmollers Jahrbuch 20: 23-88.,
Ders. (1897) 'Studien zur österreichischen Agrargeschichte und
Agrarpolitik II. Die Grundeigentumsfähigkeit in den Böhmischen Ländern vor 1848', Schmollers Jahrbuch 21: 135-194
105 Schüler, später Freund von Anton Menger)312, und haben seine „Wissenschaft auf sozialwissenschaftlicher Grundlage“ betrieben, die allerdings mit der Soziologie zu dieser Zeit nicht ident war. Ich werde dann im weiteren Teil an zwei Beispielen zeigen, als was Soziologie – zumindest kurz nach der Jahrhundertwende, verstanden wurde. Bezeichnend ist auch, dass Grünberg den Soziologischen Vereinen fern blieb 313– er unterstützte sie zwar mit Beiträgen, aber war nicht unter den Gründungsmitgliedern, und hat sich auch nicht an dem Pariser „Institut“ betätigt. Auch wenn wir heute Schriften von Grünberg und Menger als soziologisch ansehen würden, so waren diese nicht in ihrem Selbstverständnis. Sie blieben mit den von selbst entwickelnden Disziplinen – wissenschaftlichen Sozialismus und Sozial-, und Wirtschaftsgeschichte, verbunden, und in ihrer Tätigkeit setzten sie sich für ihre erfolgreiche Etablierung ein. Als einen anderen direkten Nachfolger der sozialwissenschaftlichen Tradition von Lorenz von Stein kann man Ludo Moritz Hartmann verstehen. Ähnlich wie Grünberg hat er sich vor allem mit der Sozialgeschichte beschäftigt – war für Geschichte habilitiert (1889), und bekleidete auch ab 1918 ein Außerordinariat. Der Großteil seiner Publikationen war vor allem der Römischen Geschichte gewidmet. Trotzdem hat er sich in die Annalen der Soziologie als Auch-Soziologe eingeschrieben. Für dieses sind zwei Gegebenheiten entscheidend: erstens sein Buch „Über historische Entwickelung. Sechs Vorträge zur Einleitung in eine historische Soziologie“314, und zweitens sein Engagement in der Soziologischen Gesellschaft (sowohl in Wien als auch in Deutschland), auf das ich später zu sprechen kommen werde. In seiner Programmschrift hat er, sich auf Gumplowicz beziehend315, die soziale Gruppe als Einheit der historischen Behandlung und die Existenz epochenübergreifender Gesetze festgestellt. In der historischen Entwicklung waren die Prozesse der zunehmenden Vergesellschaftung zentral, die vor allem durch die
312
Nenning, Günther (1979) 'Biographie C. Grünberg', in Indexband zu Archiv für die Geschichte des
Sozialismus und der Arbeiterbewegung (C. Grünberg) (Graz/Zürich: Syndikat) 313
Nicht aber Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein in Wien.
314
Hartmann, Ludo Moritz (1905) Über historische Entwickelung. Sechs Vorträge zur Einleitung in
eine historische Soziologie (Gotha: Perthes) 315
Zur weiteren Ähnlichkeiten vgl. Hintze, Otto (1905) '[Besprechung von]: Hartmann, Ludo Moritz:
Über historische Entwickelung. Sechs Vorträge zur Einleitung in de historische Soziologie.', Schmollers Jahrbuch 29: 1637-1642. Vor allem 1639
106 Abgrenzungsprozesse – von der Natur und den „Barbaren“, dann in Staatsgebilden mündeten. Schlussendlich wird die aus der Soziologie abgeleitete Forderung an den Historiker sichtbar: „[d]er Wertmaßstab des Historikers wird dadurch auch inhaltlich bestimmt; es wird jede Handlung danach beurteilt, ob sie zur Vergesellschaftung beigetragen oder deren Tendenz entgegengesetzt war – die einzelne Persönlichkeit danach, ob ihre Motive Förderung oder Zersetzung der Vergesellschaftung waren. Und damit erhält der kategorische Imperativ seinen Inhalt. Handle so, dass deine Handlung beiträgt zur Vergesellschaftung.“316 Trotz der Betitelung bleibt die Soziologie in dem Werk sehr begrenzt, und ihre Definition fehlt. Es ist eher eine Einleitung in die soziologisch untermauerte Geschichtsschreibung als ein Versuch, Soziologie zu umreißen. Auch die Aufnahme des Schrifttums blieb äußerst begrenzt. Hier zeichnete sich vor allem übertriebener Naturalismus und Evolutionismus – der auch von Gumplowicz kritisiert wurde, ab.317 Auch bei anderen Schriften, die Hartmann als soziologische Untersuchungen verstand, sind ähnliche methodische Unschärfen feststellbar. In „Christentum und Sozialismus“ werden die beiden ideologischen Gebilde „auf soziologischer Grundlage“ verglichen, was sich vor allem auf die Organisationsform beschränkt, und ein anderes Bild der „Soziologie“ von Hartmann abgibt.318 Im Kontrast zur beschränkten Wirkung seiner Bücher hat Hartmann in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie eine große Anerkennung gefunden – vor allem durch seine zwei Referate über die Nation an den Deutschen Kongressen für Soziologie, und durch ausdrückliche Anerkennung Max Webers.319 In dem Referat „Nation als politischer Faktor“ kommt er zu sehr ähnlichen Schlüssen wie vor ihm bereits Gumplowicz und Bauer. Der Nationalstaat wird als die höchste Stufe der sozialen Entwicklung gepriesen, und die Aufgabe von der Durchsetzung der Assimilation wird zur zentralen Frage für seine
316
Ebda, 87f
317
In einer Schrift 'Historia a socjologia' lehnte Gumplowicz die von Hartmann vorgeschlagene Idee
der Entwicklung als positiven Steigerung. Vgl. Gumplowicz, Ludwik (1905) 'Historia a socjologia' 318
Hartmann, Ludo Moritz (1916) Christentum und Sozialismus (München und Leipzig: Duncker &
Humblot), 5 319
Fleck, Christian (1992) 'Ludo M. Hartmann: Der Historiker als "Auch-Soziologe"', in Filla,
Wilhelm/Judy, Michaela/Knittler-Lux, Ursula (Hrsg.), Aufklärer und Organisator. Der Wissenschaftler, Volksbildner und Politiker Ludo Moritz Hartmann (Wien: Picus Verlag): 37-50
107 Stabilisierung. Allerdings ist es kein Dauerzustand, da der Nationalstaat nur eine vorläufig höchste Form in der soziologischen Entwicklung ist, und der weitere Verlauf nicht vorhersehbar ist. Deswegen stand Hartmann den juristischen Dauerlösungen von Renner oder Bernatzik ablehnend gegenüber, und sprach sich fatalistisch für die Notwendigkeit von dauerhaften Reformen seitens des Staates und der Jurisprudenz aus.320 Die Anerkennung, die Hartmann in den Soziologischen Gesellschaften erfuhr, blieb ihm an der Universität in Wien allerdings versagt. Er wurde mehrmals für eine Professur vorgeschlagen, allerdings ohne Antwort seitens des Ministeriums.321 Hier konnte vor allem sein militanter Antiklerikalismus (so etwa seine Verdammung der Theologischen Fakultät, Gründung der Antikirchlichen Vereine der „Fabier“ und der „Freien Schule“) 322 für die Ablehnung seiner Kandidatur sein.323 Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde er – diesmal auf Empfehlung vom Ministerium, zum Außerordinarius ernannt, 1924 – kurz vor seinem Tod, wurde er dann schließlich (trotz gewisser Widerstände im Professorenkolleg) zum Ordinarius ernannt. Das Fehlen der Nachfolger kann allerdings auch durch die Mängel, die seine Lehren gehabt haben, erklärt werden: seine Soziologie der Nationen bleibt theoretisch hinter Bauer und Renner, die Frage der sozialen „Entwickelung“ wurde auch nicht ausreichend behandelt. Insgesamt blieben die Publikationen von Hartmann eine „Ideen-Potpourri“324, ohne gründliche Profilierung. Eine Eigenschaft, die eigentlich für die ganze Generation der Volksbildner (auch Reich, Jerusalem) zutreffend ist, und die eine Grenzbildung unmöglich macht .Auch hat sich Hartmann in seinen Lehrveranstaltungen an der Universität kaum mit der Soziologie beschäftigt und,– mit wenigen Ausnahmen, wie im
Wintersemester
1914/1915
„Historisch-soziologische
Zeitfragen“,
auf
die
Geschichtswissenschaft konzentriert.
320
Hartmann, Ludo Moritz (1912) 'Nation als politischer Faktor', in Weber, Alfred (Hrsg.),
Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages : vom 20. - 22. Oktober 1912 in Berlin (Tübingen: Mohr): 80-97 321
UA Wien, PA Hartmann.
322
Adler, Max (1925/1926) 'Zum Gedächtnis an Ludo M. Hartmann', Kölner Zeitschrift 5: 326-329
323
Vgl. Taschwer, Klaus (2002) Wissenschaft für viele. Zur Wissenschaftsvermittlung im Rahmen der
Wiener Volksbildungsbewegung um 1900. (Unpublizierte Dissertation an der Universität Wien), 185f 324
Fleck, Christian (1992) 'Ludo M. Hartmann: Der Historiker als "Auch-Soziologe"'
108 Direkt als Nachfolgeerscheinung von der von Menger und Grünberg gepriesenen sozialwissenschaftlichen Untermauerung der Wissenschaft, kann man auch die Schriften von
Friedrich
Hertz
(1878-1964)
verstehen.
Hertz
studierte
Rechts-
und
Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Wien und München und der London School of Economics and Political Science, und war nach Beendigung des Studiums Politiker und freier Wissenschaftler in Wien, ehe er im Jahr 1929 an den Lehrstuhl für Weltwirtschaft und Soziologie an die Universität Halle-Wittenberg in Halle berufen wurde. 1902 gab er die „Einleitung in das Studium der Sozialwissenschaften“ heraus, die als programmatische Schrift des Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein verstanden werden kann. Wichtig sind dabei zwei Elemente: erstens, Gumplowicz und Ratzenhofer kommen in dieser Schrift gar nicht vor. Zweitens, das Verständnis von der Sozialwissenschaft ist genau in der Linie der Wiener Protosoziologen: die Sozialwissenschaften sollen als Grundlage jeweiliger Disziplin dienen – sei es die Nationalökonomie oder die Rechtswissenschaft. Unter Sozialwissenschaft – die Hertz scheinbar mit Soziologie (auch sozialen Wissenschaften) gleich hielt, da er die Begriffe analog verwendete, verstand er eine Metawissenschaft, die für eine Perspektivenerweiterung für die jeweilige Wissenschaft nötig ist. Es ist also nicht die Soziologie, die sich mit sozialen Gesetzen beschäftigt wie bei Gumplowicz, sondern die, von Lorenz von Stein und Schäffle, die eher eine ergänzende Zu-Disziplin darstellt. Erst in der Zukunft kann es zu synthetischen Versuchen kommen, aber „[d]ie Wissenschaft der Soziologie in dem geschilderten umfassenden Sinn hat noch nicht ihren Meister gefunden und wird ihn auch wohl noch lange nicht erblicken. Vorläufig muss jeder selbst versuchen, in jahrelangem Bauen ein Haus zu errichten, das seine [...] Glaubens- und Willensrichtung wohnlich findet“, hielt Hertz fest.325 In seiner 1904 erschienenen Schrift „Moderne Rassentheorien“ verwendet er die Soziologie im gleichen Sinn. Die soziologische Betrachtung von Rasse ist ein Gegensatz zur anthropologischen und biologischen. Allerdings – im Unterschied zum soziologischen Verständnis der Rasse bei Gumplowicz, oder auch der biologischen bei Ploetz und Chamberlain, stehen diese Faktoren in einem Zusammenhang, und nur durch
325
Hertz, Friedrich „Wie studiert man Sozialwissenschaft“, zit. In: Fleck, Christian (1990) Rund um
"Marienthal“, 39
109 ihr Zwischenspiel kann man zur Erklärung des „wahren“ Wesen der Rasse gelangen.326 Hertz grenzt sich auch ausdrücklich von Gumplowicz ab: dieser sei nicht nur ein zu großer Pessimist, sondern „übertreibt den Rassenhass, er hält die Ausbeutungstriebe des Menschen für angeboren und immanent, während erst äußere Verhältnisse den Menschen zum Herren und Krieger machten.“327 Am Ende entpuppt sich Hertz’ Schrift sogar als eine Propaganda für den Sozialismus, „Die große Formel aller kommenden Zeiten lautet: der Mensch selbst bestimme und behaupte seinen Platz, nicht seine Geburt oder Hautfarbe. Der Sinn des Sozialismus ist, den Menschen durch Erziehung und Fürsorge zur richtigen Schätzung seiner Eigenart zu bringen und dann die Mittel zu regeln, durch die er sich den ihm angepassten Platz erringen darf, ohne das moralische Gefüge der Gesellschaft zu verletzen.“328 Hertz hat in der wissenschaftlichen Landschaft Österreichs keinen Platz gefunden, und wurde erst 1929 in Deutschland in Halle zur Professor ernannt. Trotzdem sind seine Schriften für die Österreichische Wissenschaftslandschaft sehr charakteristisch. Vor allem seine Untersuchungen der Rasse und Nation (später auch mehr ephemere „Volk“, „Volksgeist“) – einer Fragestellung, die seit Gumplowicz auf der soziologischen Agenda stand, sind für die frühe österreichische Soziologie kennzeichnend. Ein weiterer Faktor ist sein Verständnis der Soziologie und Sozialwissenschaften, die auch nicht eindeutig blieb. Trotzdem aber war er – so wie die übrigen Wiener Soziologen auch, von den Ideen Gumplowiczs und Ratzenhofers, grundverschieden, und kann nicht in ihrer direkten Nachfolge gestellt werden.
Ähnliche Charakteristika wie Hertz weist Rudolf Eisler auf. Er war ein Wiener Privatgelehrter, und beschäftigte sich vor allem mit der Philosophie und Soziologie, hat aber auch Beiträge zur Psychologie (etwa ein Buch über Wilhelm Wundt) veröffentlicht. 1903 gab er das Buch „Soziologie. Die Lehre von der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Gesellschaft“ heraus, in der er die Grundlagen der neuen Disziplin umreißen 326
Hertz, Friedrich (1904) Moderne Rassentheorien (Wien: C.W. Stern), 280
327
Ebda., 33. Er Kritisierte Gumplowicz auch für Hochmut gegenüber kleineren Völker: Vgl. Rupp-
Eisenreich, Britta (1997) 'Nation, Nationalität und verwandte Begriffe bei Friedrich Hertz und seinen Vorgängern', in Endre Kiss (Hrsg.), Nation und Nationalismus in wissenschaftlichen Standardwerken Österreich-Ungarns: 91-112 328
Hertz, Friedrich (1904) Moderne Rassentheorien, 319
110 wollte. Auch seine Ideen unterscheiden sich von denen von Gumplowicz und Ratzenhofer. Seine Version der Soziologie bezieht sich eher auf die organischen Ideen von Spencer und Schäffle, und ist „[...] eine Wissenschaft, die es sich zur Aufgabe macht, die Ergebnisse der verschiedenen Sozialwissenschaften durch Aufzeigung der allgemeinen Faktoren, die an dem Zustandekommen und an der Veränderung der sozialen Gebilde beteiligt sind, in ihrem Zusammenhang verständlich zu machen.“329 Wobei die Grundlage der Soziologie die Psychologie bilden soll – ein direkter Einfluss von Wundt und Mach. Eisler spricht aber nicht nur über Soziologie als einer theoretischen Wissenschaft, sondern auch einer angewandten – was er unter Sozialpolitik versteht.330 Außer der Methodik und Geschichte der Soziologie, die er bereits mit Hyppios und Kallikles aufkommend sieht, behandelt Eisler auch spezielle Soziologien. So ist etwa seine Kunstsoziologie fast ausschließlich auf Emil Reichs „Kunst und Moral“ begründet – bis zur Übernahme mehrerer (unzitierten) Sätze. Was das interessanteste ist, ist seine Ablehnung von Gumplowicz. Wie man aus dem Personenregister entnimmt, kommen in dem Buch folgende Personen vor: Gumplowicz 4 mal, Ratzenhofer 6, Reich 4, Schäffle 5, dafür Wundt aber 20 und Spencer 9 mal. Gumplowicz stand dieser Darstellung in der „Soziologie“ auch kritisch gegenüber und hat sie als „popularisierende“ entwertet.331 Der Trend der Entwertung Österreichischer Soziologie wird auch in dem von Eisler herausgegebenen Wörterbuch der Philosophie (1904)332 weitergeführt, wo Gumplowicz und Ratzenhofer erst gar nicht erwähnt wurden, obwohl die Behandlung der Soziologie mehrere Seiten umfasst, und eine Gesamtschau der erschienenen Schriften bieten will.
Die Wiener Soziologie war aber auch auf der Universität Wien vertreten. Emil Reich (1864 – 1940), der seit 1891 Privatdozent in Wien war, und ab 1905 Außerordinarius, hat seit der Jahrhundertwende 329
Lehrveranstaltungen
zur
Soziologie
gehalten
–
etwa
im
Eisler, Rudolf (1903) Soziologie. die Lehre von der Entstehung und Entwicklung der menschlichen
Gesellschaft. (Leipzig: Verlagsbuchhandlung von J.J. Weber), 3 330
Ebda. 3
331
Siehe, Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 46
332
Eisler, Rudolf (1904) Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1 und 2, 2., völlig neu bearb.
111 Sommersemester 1897 „H[erbert] Spencer als Soziologe und Ethiker“, oder im Jahr 1900 „Grundzüge der Soziologie“. Sein anderer Schwerpunkt war die soziologische Ästhetik, so etwa bot er 1902 „Über psychologische und soziol[ogische] Ästhetik“, oder im Wintersemester 1904/1905 „Praktische Philosophie (soziologische Grundlegung der Ethik und Ästhetik)“, an.333 Sein Interesse für Soziologie ging auch von der „sozialen Frage“ aus, die er bereits kurz nach seinem Eintritt an die Universität in seinen Lehrveranstaltungen behandelt hat.334 Sehr stark ist bei Reich auch der Einfluss Spencers und Wilhelm Wundts. Seine Idee der Soziologie, die meines Wissens noch keiner Untersuchung unterzogen worden ist, hat er vor allem bei der Behandlung der Kunst weitergeführt. Vor allem seine Untersuchung der Werke Ibsens, die er seit der zweiten Auflage im Jahr 1900 explizit nicht als Biograph sondern als „Soziolog“ schrieb335, hat ihm enorme Popularität beschert – 1913 erschien bereits die 9. Auflage des Werkes. Sein soziologisch wichtigstes Werk war “Kunst und Moral. Eine ästhetische Untersuchung“, die als Anfang der österreichischen Kunstsoziologie gelten kann. In diesem Werk hat er sich zwar nicht explizit auf die Soziologie bezogen, aber dafür auf Soziologen wie Comte, Spencer, Pierre Joseph Preudhon (1809-1865), Schäffle etc.336 Im Zentrum der Untersuchung stand „die Rückwirkung [des Kunstwerkes – J.S.] auf die Kunstgenießende, die ein Produckt aus der in dem Kunstwerk selbst gelegene Factoren und ferner Factoren darstellt, welche theils im Genießenden, theils in den Umständen liegen, unter denen Kunstwerk und Publikum zusammentreffen.“337 In seiner Untersuchung relativierte Reich die Begriffe wie Schönheit und Moral und band sie an die soziale Gruppe in der sie angewendet werden. Ihre Bedeutung „wird zumeist von vorneherein nur für den Menschen und seinesgleichen 333
Für die Auflistung der LV vgl. Mahr, Peter (1998) 'Graz, Wien, Prag - Zur Universitären Ästhetik
der Donaumonarchie von 1880-1914. Vorlesungsverzeichnisse, Kurzbiographien und Interpretation.' in Michael Benedikt/Reinhold Knoll/Endre Kiss (Hrsg.), Verdrängter Humanismus - Verzögerte Aufklärung. Band 4.: 793-816 334
Rotter, Ursula (2005) Emil Reich. Leben und Wirken eines Wiener Erwachsenenbildners
(Unpublizierte Diplomarbeit an der Universität Klagenfurt), 33 335
Vgl. Das Vorwort zur 2 Auflage, in Reich, Emil (1913) Henrik Ibsens Dramen. Zwanzig
Vorlesungen, gehalten an der Universität Wien. 9 und vermehrte Auflage (Berlin: Gustav Fischer) 336
Nicht aber Gumplowicz, dessen antiindividualistische Gedanken Reich allerdings teilweise
übernimmt 337
Reich, Emil (1901) Kunst und Moral. Eine ästhetische Untersuchung. (Wien: Manz), 171
112 gesucht, gut für uns, nützlich für uns, schön für uns muss das sein, was uns anzieht, und wo wird es wahr – für uns.“338 Reich geht allerdings noch weiter und zeigt, dass die Ästhetik der Kunst keine Universalität darstellt und die – für die idealistische Kunsttheorie so wichtigen absoluten Begriffe, nicht existieren. Etliche Jahre bevor die Theorie der Inkommensurabilität durch Schriften von Ludwik Fleck und Karl Mannheim (1893-1947) popularisiert wurden, wendet Reich diese Gedanken bereits auf die Kunst an: „die Geschmackgegensätze lassen sich zwischen Anhänger feindlicher Weltanschauungen bloß constantieren, nicht diskutieren“.339 Die Wirkung von Reich blieb beschränkt, er blieb sein Leben lang Außerordinarius und wich immer mehr in die Volksbildungskurse ab. Seine – zu seiner Zeit revolutionäre Gedanken – fanden in der historistischen „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ keine Nachfolger. In den soziologischen Gesellschaften (Wien, Paris), in denen er Mitglied war, fand er allerdings eine Anerkennung als Soziologe. In der von mir behandelten Zeit konnte er sein System nicht entwickeln, obwohl, wie er zu mindestens in seinen Schriften beteuerte, dieses seinen Schwerpunkt bilden soll.340 Soziologie, was vor allem in den Schriften über Ibsen sehr gut sichtbar ist, war für Reich eine Wissenschaft, die einen Gegensatz zu individualistischen Theorien bilden soll und die Erscheinungen im Zusammenhang mit der sozialen Gruppe darstellen muss. Sie ist also eine direkte Weiterführung der „Soziologisierung“ von Lorenz von Stein, die allerdings, im Gegensatz zu vorigen Vorstellungen, unter dem Namen der Soziologie geführt wurde. Trotzdem bat sie wenig Raum für Grenzziehungen und „Boundary work“– bis auf die Abgrenzung von den individualistischen Kunsttheorien. In dem österreichischen soziologischen Diskurs der Epoche kommt Reich nur eine periphere Rolle zu, vor allem als Organisator und „Forerunner“ an der Universität.
Der dritte philosophische Soziologe in Wien war Wilhelm Jerusalem. Er wurde 1854 in Dřenic (Böhmen) geboren und studierte Philologie in Prag. Er war lange Zeit als Lehrer in Nikolsburg und später in Wien tätig – einer seiner Schüler in seiner ersten Station war Karl
338
Ebda., 11
339
Ebda. 186
340
UA Wien, Lehrkanzelbesetzung Pädagogik nach Höfler (+ 26.2.1922), Phs 34.4, 8
113 Renner341, der später Jerusalem zur Beschäftigung mit Soziologie inspirierte. Zu dieser Zeit beschäftigte er sich vorwiegend mit Philologie und Psychologie – vor allem mit den Lehren von Wundt und seiner physiologischen Psychologie. Im Jahr 1891 habilitierte Jerusalem mit einer Untersuchung der Sozialisationsmechanismen bei taubstummen Kindern, und hat, ab den Wintersemester 1891/1892 an der Universität Wien Lehrveranstaltungen über Psychologie und Philosophie geführt. Durch seine Beschäftigung mit Herbert Spencer kamen auch seine ersten Schriften zur „sozialen Frage“, wie „Der Mensch gegen dem Staat“ und „Die soziale Frage und die sittliche Frage“. An der Universität hielt er auch 1894/1895 Kolleg „Hauptprobleme der Ethik“, wo die erste Einheit mit „Die soziale Frage als ethische Frage“ betitelt wurde. 342 Trotzdem hat seine intensive Beschäftigung mit der Soziologie erst viel später, nach der Gründung der Wiener Gesellschaft für Soziologie begonnen343, seitdem hat er auch regelmäßig soziologische Lehrveranstaltungen an der Universität angeboten und soziologische Schriften publiziert. Für seine Stellung in der wissenschaftlichen Landschaft ist seine Beschäftigung mit dem Pragmatismus zu erwähnen, den er als einer der ersten in der deutschsprachigen Welt rezipiert hatte und sogar gewisse Ähnlichkeiten mit seiner Lehre entdeckte. Dieses brachte ihm in Konflikt mit den philosophischen Gelehrten, wie etwa am Philosophischen Kongress in Heidelberg344 wo Jerusalem und F. C. Schiller den Pragmatismus gegen „majority of pure ad formal logicians“ verteidigen mussten.345 Sein offenes Bekenntnis zu den progressiven Ideen stellte ihm in eine Außenseiterstellung unter den Philosophen, ebenso wie seine offene Ablehnung des bisherigen Mainstreams. Ernst Mach hat über dem Verlauf des Kongresses zurecht gesagt: „Sie dürfen sich nicht wundern, wenn jetzt ein Kesseltreiben der deutschen Professoren gegen Sie beginnt“.346
341
Eckstein, Walther (1935) Wilhelm Jerusalem. Sein leben und Wirken, 15
342
Ebda., 32
343
Jerusalem, Wilhelm (1925) 'Meine Wege und Ziele', in Wilhelm Jerusalem (Hrsg.), Gedanken und
Denker. Gesammelte Aufsätze. (Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller): 1-35. Hier 33 344
Auch hat Rudolf Goldscheid an dem Kongress teilgenommen
345
Wilhelm Jerusalem an William James, 30. April 1909
346
Jerusalem, Wilhelm (1925) 'Meine Wege und Ziele', in Wilhelm Jerusalem (Hrsg.), Gedanken und
Denker. Gesammelte Aufsätze. (Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller): 1-35. Hier 33
114 Durch sein starkes Interesse für Philosophie, Psychologie und nicht zuletzt Bildungsfragen, die alle in seinen Publikationen und Lehrveranstaltungen eine wichtige Rolle spielten, blieb Jerusalem wissenschaftlich nur Auch-Soziologe, obwohl sein Ruf zur späteren Zeit gänzlich der des Soziologen war. Trotzdem blieb vor allem seine Wissenssoziologie bloß eine Erweiterung früherer Schriften über die Erkenntnislehre, obwohl manche seiner Schriften über diese entscheidend hinausgingen. Jerusalem blieb aber fast die ganze Zeit seines Lebens Privatdozent, was die Durchsetzung seiner Ideen verhinderte. 1905 ging zwar von Friedrich Jodl eine Initiative aus, um Jerusalem zum Extraordinarius zu ernennen,347 dieser lehnte es allerdings ab – wohl in der Hoffnung, bald eine Professurstelle zu bekommen.348 1907 wurde an das Ministerium ein Antrag auf ein Außerordinariat gestellt, der allerdings ohne Antwort blieb. Jerusalem, sehr verbittert, hat Jodl eine Teilschuld an dieser Verzögerung gegeben: „Wenn ein Mann von Ihrer wissenschaftlichen Bedeutung und Ihrem persönlichen Ansehen seine diesbezügliche Absicht klar und entschieden zum Ausdruck brächte, dann gäbe es keine „Barrieren“ [...] Leider hinterlässt Ihr für mich so tief trauriger Brief den Eindruck, daß eine solch Absicht bei Ihnen nicht besteht. Dagegen bin ich ja wehrlos [...] Der Gedanke lag zu nahe, auf Ihre ganz unerwartete und so schwer verletzende Absage an mich mit der Niederlegung der venia legendi zu antworten. [...] Ihr schwer gekränkter, aufs tiefste verletzter, aber doch nicht ganz zerbrochener [...]“.349 Erst 1919 kam eine Antwort aus dem Ministerium, das Jerusalem für ein Ordinariat vorgeschlagen hat. Dieses haben aber die anderen Professoren abgelehnt und nur eine Beförderung für ein Außerordinariat „zugelassen“, das Jerusalem am 11. April 1920 verliehen bekam.350 Nach der Ablehnung des Ordinariats für Pädagogik, mit der Begründung, dass alle seine Gedanken jetzt der Soziologie gewidmet sind351, bekam Jerusalem – durch Unterstützung vor allem seitens Karl Bühlers 1879-1963) und Moritz Schlicks, am 24 Mai 1923, kurz vor seinem Tod das Ordinariat verliehen. Dieses Intermezzo zeigt, mit welchen Problemen das neuartige Denken an der Universität Wien 347
Uni Archiv, PA Wilhelm Jerusalem, 71
348
So Jerusalem in einem Brief an Jodl, 16.12. 1911, FDÖP, Akt Wilhelm Jerusalem
349
Wilhelm Jerusalem an Jodl, 16.12. 1911. In einem Brief an William James von 30. Juni 1903 sprach
er auch über einen Widerstand von Schülern Brentanos gegen seine Berufung. 350
UA Wien, PA Jerusalem, 80-86
351
UA Wien, Lehrkanzelbesetzung Pädagogik nach Höfler (+ 26.2.1922), Phs 34.4, v.a. 8-11
115 konfrontiert wurde. Ob sich die Widerstände gegen Jerusalem wegen antisemitischen Ressentiments352 oder seiner wissenschaftlichen Ausrichtung353 richteten, bleibt ungewiss. Trotzdem hat dieses Beispiel für Wien und den Umgang mit neuem Wissen fast paradigmatischen Charakter. Die Anerkennung, die Jerusalem als Soziologe genießt, gründet sich auf seine wissenschaftssoziologischen Schriften, die vor allem von Max Scheler und Karl Mannheim rezipiert wurden, trotzdem ist seine Wirkung in dem österreichischen soziologischen Diskurs überaus wichtig, wie ich in weiterer Folge noch zeigen werde. Nicht nur seine Beteiligung an der Wiener Soziologischen Gesellschaft und eine Schrift über den Krieg, die ich abgesondert behandeln werde, sondern auch die Festschrift zu seinem 60-en Geburtstag, die einen Themenreichtum behandelte – mit physischen Beiträgen von Mach und Anton Lampa (1868-1938), bis hin zu soziologischen von Rosa Mayereder und Rudolf Goldscheid.354 Überraschend, dass der Einzige, der auf die Soziologie explizit zu sprechen kommt, ein Nicht-Wissenschaftler ist, der Landesgerichtsrat Joseph Kraus.355 In seinen soziologischen Schriften hat Jerusalem seine teilweise an Gumplowicz und Gustave Le Bon (1841-1931) angelehnte Erkenntnistheorie und Wissenssoziologie, als deren Gründer er gilt, entwickelt.356 Die Grundsätze seiner Wissenssoziologie kann man folgendermaßen subsumieren. Sein Ausgangspunkt ist der primitive Mensch, der in vollständiger sozialer Gebundenheit lebt, und in seiner Seele die Kollektivvorstellungen: seelische Gebilden, in denen die emotionalen und motorischen Elemente, dass heißt subjektive Gefühle und Triebe, die durch die Wahrnehmung ausgelöst werden, fast allein über seine Individualität dominieren. Die Abschwächung dieser Verbundenheit geschieht durch die Spezialisierung und soziale Differenzierung: der einzelne Mensch wird immer isolierter seinen Gegenstand
352
Fleck, Christian (2005) 'Ariseure: Was Rothschild nicht sehen will'
353
So Stachel, Peter (1999) 'Leibnitz, Bolzano und die Folgen. Zum Denksstil der Österreichischen
Philosophie, Geistes- und Sozialwissenschaften', in Acham, Karl (Hrsg.), Geschichte der Österreichischen Humanwissenschaften
N.N. (1915) Festschrift für Wilhelm Jerusalem zu seinem 60. Geburtstag von Freuden, Verehrern
und Schülern (Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller) 355
Kraus, Joseph (1915) 'Sittlichkeit und Recht', in, Ebda.: 123-146
356
Jerusalem, Wilhelm (1909) Die Soziologie des Erkennens. In: Die Zukunft, 15. Mai 1909
116 bearbeiten z.B. als Handwerker, was einen immer engeren Erfahrungskreis („eigene kleine Welt“)357 schafft, wo die Kollektivvorstellungen immer zu einer peripheren Rolle verdrängt werden. Der Mensch sieht immer „objektiver“ und wird zum theoretischen Denken fähig: „Erst der erstarkte Einzelmensch erlangt die Fähigkeit, Tatsachen rein objektiv zu beobachten, und lernt so, theoretisch, dass heißt gefühlsfrei zu denken.“358 Aber die „Sozialen Verdichtungen“ – eine gegenseitige Bestärkung der Kollektivgebilden, die nicht auf Einzelerfahrung basieren und das Denken „weg vom Objektiven“ bringen – finden wir in jeder Gesellschaftsform, z.B. in der Religion, Wirtschaftsform etc. „Selbst in der Wissenschaft finden wir soziale Verdichtungen wirksam. Man merkt das besonders deutlich an dem Widerstand, dem neue Denkrichtungen in der Regel begegnen.“ 359 Bei Jerusalem finden wir also eine „Soziologisierung“ der Erkenntnislehre, die ähnliche Züge zeigt wie die Kunstsoziologie von Reich. Trotzdem scheinen sie, bis auf gemeinsame Tätigkeit in der Volksbildung, keine Kontakte gepflegt zu haben und sich aufeinander in den theoretischen Schriften nicht bezogen zu haben.360 Der direkte Einfluss von Jerusalem blieb auch sehr beschränkt – er hinterließ in Österreich keine Schule und keine Nachfolger, erst später erfuhr er eine Würdigung im Rahmen der Wissenssoziologie.361 Ähnlich wie Eisler ist auch Jerusalem gegenüber Gumplowicz distanziert, was auch auf Gegenseitigkeit beruht: auch der Grazer Soziologe hat den Wiener kaum als 357
Jerusalem, Wilhelm (1982) 'Die soziologische Bedingtheit des Denkens und der Denkformen', in
Stehr, Nico / Meja, Volker (Hrsg.), Der Streit um die Wissenssoziologie. Bd. 1 (Frankfurt am Main: Suhrkamp): 27-56. (Zuerst erscheinen: Jerusalem, Wilhelm (1924) 'Die soziologische Bedingtheit des Denkens und der Denkformen', in Max Scheler (Hrsg.), Versuche zu einer Soziologie des Wissens (München und Leipzig: Duncker & Humblot): 182-207.). Hier 34 358
Ebda., 39
359
Ebda., 38
360
Teilweise kann das dadurch verstanden werden, dass Jerusalem in seinen ästhetischen Schriften
nicht so relativistisch vorging wie Reich, und durchaus von einem Korpus „objektiver Schönheit“ sprach, der für alle gebildeten Menschen gleich bleiben soll. Vgl. Jerusalem, Wilhelm (1925) 'Das ästhetische Genießen ("Wissen für Alle", Jahrgang 1907, Nr. 21-23)', in Wilhelm Jerusalem (Hrsg.), Gedanken und Denken. Gesammelte Aufsätze. (Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller): 110-129 361
Interessant ist die Verbindung zwischen Eugen Ehrlich und Wilhelm Jerusalem: Ehrlich hat in
seinen Schriften über lebendem Recht gemeint, diese in den Rechtssätzen „verdichtet“ wird, und wandte dieses so an, wie Jerusalem bei seinen psychologischen Untersuchungen. Eine direkte Bezugsnahme blieb aber aus.
117 Wissenschaftler geschätzt, wie die Ablehnung des Vortrages, den Jerusalem in Graz halten sollte, zeigt.362 Dagegen hat Jerusalem in seinen Schriften zur Gesellschaftslehre Gumplowicz nicht oder nur beiläufig erwähnt.363 Nur in den Schriften zur Wissenssoziologie kommt Gumplowicz vor, aber Jerusalem distanziert sich deutlich von seinem extremen Antiindividualismus. Dafür hat er Lorenz von Stein als ersten Soziologen bzw. Gesellschaftslehrer364 gewürdigt.365
Die von Emil Reich, Wilhelm Jerusalem und Rudolf Eisler entwickelte Soziologie ist eine andere als die von Gumplowicz und Ratzenhofer. Ihr zugrunde liegt die „psychologische Wende“ die Wilhelm Wundt, Franz Brentano und Ernst Mach in der deutsprachigen Welt hervorgebracht haben. Idealistische Ideen von Mach haben die Analyse der Empfindungen bekräftigt und später die Richtung des Empirio-Kritizismus hervorgebracht, die zur Grundlage der Austromarxistischen Philosophie wurde. Obwohl er nur kurz an der Universität Wien lehrte (1895-1898, wo er infolge eines Schlaganfalls seine Lehrtätigkeit unterbrechen musste), waren seine Ideen weit verbreitet, und er war mit Wiener Philosophen, etwa Wilhelm Jerusalem eng befreundet. Der Einfluss von Mach ist, außer bei Jerusalem, vor allem bei Goldscheid sichtbar, der die Denkökonomie von Mach zur Grundlage seiner eigenen Idee machte. Der Wiener Privatdozent Franz Brentano (1838-1917) machte Psychologie zur Grundlage aller Wissenschaften, und hat während seiner Lehrjahre in Wien (1874-1895) eine Reihe von Schüler ausgebildet, die die wissenschaftliche Landschaft entscheidend geprägt haben: so etwa den Phänomenologen Husserl (1859-1938), den Begründer der LembergerWarschauer Schule Kazimierz Twardowski (1866-1938), Thomas Masaryk etc. Wilhelm Wundt, der in Leipzig tätige Philosoph und Begründer der empirisch ausgerichteten Psychologie, war zu der Jahrhundertwende eine der wichtigsten 362
So im: Jerusalem, Wilhelm (1915) Der Krieg im Lichte der Gesellschaftslehre (Stuttgart: Ferdinand
Enke), wo die Nichtbeachtung von Gumplowicz bei seinem Spezialgebiet (wird nur einmal erwähnt) geradezu provokativ erscheint. 364
Bei Jerusalem sind diese Begriffe synonym.
365
Würdigung Lorenz von Steins von Jerusalem in: Jerusalem, Wilhelm (1925) 'Deutsche
Gesellschaftslehre ("Neue Freie Presse" vom 30. Juli 1922)'
118 Bezugspersonen für die empirisch ausgerichteten Soziologen in Österreich. Sein unmittelbarer Einfluss auf Jerusalem, der in Leipzig im Zuge seines peregrinatio academica für ein Jahr bei Wundt praktizierte, aber auch auf Eisler und Reich, die durch Wundt zur ihren Zugang zur Kunst und Ethik gekommen sind, ist unübersehbar.
Diese drei psychologischen Dogen waren es, deren Einfluss in Wien kurz nach der Jahrhundertwende die Psychologie zur Grundlage aller Wissenschaften machte. Diese Psychologisierung – die etwa auch in der Phänomenologie Husserls Ausdruck findet, hat sich mit den von Lorenz von Stein ausgegangenen Tendenzen zur sozialwissenschaftlichen Betrachtung der Gesellschaft vermischt. Bei den drei hier genannten Gelehrten sieht man sehr deutlich diese Tendenzen, die sich auch in den Publikationen niederschlagen. Sie haben sich sowohl mit der „sozialen Frage“ beschäftigt als auch mit der Psychologie und Soziologie auf der psychologischen Grundlage. Wie oben vermerkt arbeitete auch Anton Menger
an
einer
soziologischen
Erkenntnislehre,
was
deutlich
zeigt,
welche
Fragestellungen für die Wiener Soziologie prägend waren. Auch wenn sich Reich und Eisler in der Geschichte der Soziologie nicht dauerhaft eingeprägt haben, so blieben ihre Beiträge ein Zeichen der Weiterentwicklung soziologischer Gedanken und einer Umkehr von den geschichtsphilosophischen Großsystemen der früheren Soziologen in Richtung weniger spekulativer Spezialdisziplin, die mit empirischen Methoden arbeitet und sich speziellen Fragen widmet. Trotzdem blieben die Erfolge aus. Vor allem aufgrund mangelhafter universitärer Verankerung konnte in Wien keine eigenständige Schule gebildet werden, die Wiener Soziologische Gesellschaft konnte aufgrund ihrer semiwissenschaftlichen Ausrichtung diese Lücke keineswegs füllen. Ein zweiter Punkt war die Beteiligung der hier erwähnten Wissenschaftler an der Volksbildung, die ihnen scheinbar eine Etikette der Amateurwissenschaftler gab.366 Ein weiterer Nachteil war die Idee der Soziologie die sie vertraten, als eine Metawissenschaft, dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht auf Schaffung neuer Disziplin drängt, sondern sich – als Methode – in das bereits feststehende Gefüge der Disziplinen einfügt. Dies verhindert auch die Profilierung
366
Bezeichnend für die Ablehnung der Volkshochschulen durch die akademischen Wissenschaftler ist
das Ausbleiben (mit wenigen Ausnahmen) der Ordinarien als Anbieter der Kurse. Vgl. Taschwer, Klaus (2002) Wissenschaft für viele, 101
119 und das „Boundary Work“ – mir sind keine Beispiele bekannt wo Eisler, Jerusalem oder Reich für die „Disziplinierung“ der Soziologie plädieren würden. Nur im Rahmen von den Vorschlägen für die Hochschulreform wurde die verstärkte Einbeziehung der Sozialwissenschaften in die Curricula gefordert. Auch haben sich Reich und Jerusalem – trotz ähnlicher Thematik in ihren Publikationen nicht beachtet, was eine Clusterentstehung verhindert hat. Ihre Kontakte blieben nur auf der institutionellen Ebene, in der Volksbildung und in der Wiener Soziologischen Gesellschaft, aufrecht. Auch die „aggressive“ Nichtbeachtung von Gumplowicz und die Distanzierung von seiner Soziologie – vor allem durch Wilhelm Jerusalems explizite Bezüge auf die „deutsche Gesellschaftslehre“, gaben den Eindruck fehlender Kontinuität oder sogar eines „Boundary Work“, das die Wiener Gelehrten um ihre Idee der Soziologie gegenüber dem Grazer durchzusetzen, betrieben haben.
120
Die Ausbildung erster Netzwerkstrukturen: Institutionelle Gründungen und Grenzziehungsprozesse Nach der um die Jahrhundertwende manifesten Steigerung des Interesses für die Soziologie und bereits sichtbaren Grenzkämpfen innerhalb der noch nicht akademisch anerkannten Disziplin zeigen, dass es bereits ein disziplinäres Feld der Soziologie gegeben hat, das eine Anerkennung gefunden hat. Das neue Paradigma konnte aber durch die fehlende Vernetzung des Feldes und die von „tribalen“ Wissenschaftlern betriebenen Abgrenzungskämpfe ihrer Soziologie gegenüber den anderen Strömungen keine Kristallisierung
erfahren.
Es
fehlte
vor
allem
an
Annäherungsversuchen
und
innerwissenschaftlicher Kommunikation. Wenn man die Publikationstätigkeit der vor mir oben genannten Soziologen untersucht, wird bei jedem ein anderes Medium entdeckt in dem sie veröffentlicht haben, was einen disziplinären Diskurs unmöglich machte. Diese Tatsache
ist auch dadurch verursacht worden, weil sie alle aus unterschiedlichen
Ursprungsdisziplinen kamen, und diese auch nicht zugunsten der Soziologie aufgeben wollten. Ihre Soziologie wurde auch
nicht genügend umrissen, sondern blieb eine
Methode oder sogar eine Weltanschauung, die in vielen Punkten mit der Idee der „Sozialwissenschaft“ identisch war – was man in programmatischen Schriften von Jerusalem und Eisler sehr gut sehen kann.
Zwischen Kampf um die Institutionelle Anerkennung und Volksbildung – die Gesellschaften für Soziologie
Der fehlenden Institutionalisierung und Medialisierung der Soziologie wurde versucht zu entkommen, indem 1907 und 1909 die entsprechenden soziologischen Gesellschaften in Wien und Graz gegründet wurden. Beide stellten die ersten Versuche eine Plattform für die neue Disziplin zu schaffen und ihre universitäre Verankerung voranzutreiben – trotzdem kamen beide aus unterschiedlichen Anlässen zustande. So unterschiedlich aber die Motive in beiden Städten waren, so ähnlich der Weg den sie bestritten haben und so ähnlich die Auswirkungen, die aus beiden entstammten.
121 Die Wiener Soziologische Gesellschaft kann man als eine Nachfolgeorganisation vom „Socialwissenschaftlichen
Bildungsverein“
(später
„Sozialwissenschaftlicher
Bildungsverein“), der 1895 in Wien gegründet wurde, sehen. In diesem Verein wirkten unter anderem Ludo Moritz Hartmann, Josef Redlich, Michael Hainisch oder Friedrich Hertz. Das erklärte Ziel war die Popularisierung des wissenschaftlichen – vor allem des nationalökonomischen – Denkens unter den Studenten.367 Die Bestimmung dessen was Sozialwissenschaft war, folgte der Programmschrift von Hertz, sie war also ein Metaparadigma,
das
eine
erkenntnistheoretische
Grundlage
der
Natur-
und
Geisteswissenschaften bilden sollte. Der Verein war vor allem ein Diskussionszentrum, veranstaltete auch Vorträge und gab eine Bücherreihe (allerdings nur drei Bände) heraus. Wichtig ist aber hier die Frage der Referenten: am häufigsten sprach Karl Renner (9 mal), gefolgt vom Wirtschaftswissenschaftler Richard Schüller (8 mal), Friedrich Hertz und Kurt Kaser (je 7 mal), Max Adler, Ludo Moritz Hartmann und Emil Reich (je 6 mal).368 Deutlich zeigt sich die Dominanz der Austromarxisten und Sozialisten, es fehlten dagegen fast zur Gänze die anerkannten Sozialwissenschaftler, die anderen politischen Lagern zuzuschreiben sind. In den angebotenen Lesungen kann man auch eher eine volksbildnerische Tendenz und ebensolche Divergenz der behandelten Themen finden, die vom Nationalitätenproblem in Ungarn (Erwin Schabó) bis hin zu „Die Wasserstrassen“ (Johann Georg Ritter von Schoen) reichen.369 Immerhin konnte man solche Persönlichkeiten wie Adolf Menzel, Franz Oppenheimer, Carl Grünberg oder Franz Pribram zu Vorträgen animieren, die bereits international anerkannte Wissenschaftler waren. Die Wiener Soziologische Gesellschaft entstand fast direkt als Nachfolgeorganisation von dem „Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein“ auf Initiative von den führenden Funktionären wie Rudolf Goldscheid und Ludo Moritz Hartmann. Wenige Monate nach der Konstituierung des neuen Vereins wurde auch der alte aufgelöst. Unter den Vorstandsmitglieder der Wiener Gesellschaft befanden sich überdies, Josef Redlich (seit 367
Müller, Reinhard (2004) 'Die Stunde der Pioniere. Der Wiener "Socialwissenschaftliche
Bildungsverein" 1895 bis 1905' 368
Ebda.
369
Müller, Reinhard (2004) 'Die Stunde der Pioniere. Der Wiener "Socialwissenschaftliche
Bildungsverein" 1895 bis 1905'
122 1906 Extraordinarius für Allgemeines Staatsrecht und Allgemeine Verwaltungslehre an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien), Wilhelm Jerusalem, Bertold Hatschek (Ordinarius für Zoologie) und die Privatgelehrten Max Adler, Rudolf Eisler, Michael Hainisch und Karl Renner.370 Diese Konstellation zeigt auch deutlich, dass der Verein über keine feste universitäre Verankerung verfügte und, wie der „Sozialwissenschaftliche Verein“, links gerichtet war. Friedrich Stadler nannte es sogar „intellektuelle sozialdemokratische Vorfeldorganisation.“371 Unter diesen Umständen politischer und intellektueller Opposition konnte man auch nicht erwarten, dass "die Unterschätzung der Soziologie seitens der offiziellen Kreise [...] nicht lange mehr andauern können [wird]"372 was die Gründer durch ihre Tätigkeit zu bewirken erhofften. Wenn man sich das soziologische Profil damaliger Mitglieder anschaut, trifft ein weiteres Problem hinzu. Eisler, Hartmann, Goldscheid und Renner haben bereits soziologisch publiziert, waren allerdings vor allem durch ihre Verankerung in anderen Disziplinen bekannt. Hainisch publizierte nur über Sozialpolitik, von Redlich und Hatschek sind keine soziologischen Publikationen bekannt. Max Adler und Wilhelm Jerusalem haben sich bis zur Gründung des Vereins mit Soziologie nur am Rande beschäftigt – jedoch ab diesen Zeitpunkt hat sich ihr Interesse aber dieser immer mehr zugewandt. Das Selbstverständnis des Vereins kann man sehr gut am Statut erkennen: §2 Der Verein verfolgt den Zweck, das Verständnis für das Wesen und die Bedeutung der Soziologie und die Kenntnis und Erkenntnis soziologischer Tatsachen in streng wissenschaftlicher Weise zu fördern und zu verbreiten. §3 Dieser Zweck soll erreicht werden durch: a) Abhaltung von Vorträgen und Kursen sowie Diskussionen über soziologische Fragen und damit im Zusammenhange stehende Themen; b) Anknüpfung von Beziehungen zu bestehenden ähnlichen Körperschaften c) Unterstützung der Bestrebungen zur Errichtung von Lehrstühlen für Soziologie an den Hochschulen; 370
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 43
371
Stadler, Friedrich (1981) 'Spätaufklärung und Sozialdemokratie in Wien 1918-1938. Soziologisches
und Ideologisches zur Spätaufklärung in Österreich' 372
[Savorgan, Franco], Anonym (1909) 'Soziologische Gesellschaft in Wien', Monatsschrift für
Soziologie Januar: 58-60
123 d) Bildung von Sektionen für das Spezialstudium einzelner soziologischer Richtungen oder Probleme; e) Anlage einer Fachbibliothek und Ähnliches.373
Von diesen Vorhaben wurde der Vortragstätigkeit die höchste Bedeutung beigemessen. Bis 1909 sprachen in Wien Georg Simmel (1858-1918), Rudolf Broda, Ferdinand Tönnies, Alfred Weber (1868-1958), Wilhelm Ostwald, Carl Grünberg, Otto Bauer, Ludwig Stein, Karl Lamprecht (1856-1915), Rudolf Stammler (1856-1938), Eugen von Philippovich, Othmar Spann374 und Wilhelm Jerusalem.375 Diese Auflistung zeugt von einer Mannigfaltigkeit der Personen und der von ihnen behandelten Themen. Trotz der sichtbaren Schwerpunkte bei der Sozialwissenschaft gelang es auch nicht ein deutliches Profil zu gewinnen, sondern die von Hertz formulierte Meta-Disziplin Soziologie wurde propagiert, allerdings mit deutlichen Zugaben von der Sozialpolitik, Politik, und anderen Inhalten die das Profil verwässerten. Diese Vielfalt blieb auch nach dem Ersten Weltkrieg als Schwerpunkt bestehen, was man an den herausgebenden Publikationen erkennen kann. In den 20-er Jahren kann man allerdings von einer zunehmenden Professionalisierung ausgehen, die sich nicht nur durch die Herausgabe der Bücherreihe sondern auch durch die Akademisierung des Vorstandes erkennen lässt: in der Schrift von Jerusalem „Einführung in die Soziologie“ (o.J.) sind als Mitglieder des Präsidiums der Gesellschaft außer Rudolf Goldscheid, Hans Kelsen und Max Adler, also zwei damals schon namhafte Akademiker, angeführt.
Der zweite Verein wurde kurz nach dem Wiener Verein in Graz errichtet. Anlass war der siebzigste Geburtstag von Ludwig Gumplowicz, die Initiative für die Gründung ging von Rudolf
Bischoff
(1861-1948)
(ab
1905
Privatdozent
für
österreichische
Verwaltungsgesetzkunde an der Universität Graz, ab 1924 außerordentlicher Professor ebendort) und Friedrich Sueti (1853-1910) – Chefredaktor der „Grazer Tagespost“, aus. Eine führende Rolle spielte auch Julius Bunzel (1873-1936), ein Grazer Finanzbeamter. Unter
den
Gesellschaftsmitgliedern
sind
vor
allem
interessierte,
nicht
373
N.N. (1907) Statuten des soziologischen Gesellschaft (Wien: Fisher)
374
Dieser Vortrag wurde von Spann in späteren Jahren nicht mehr erwähnt, vor allem weil es sich in
seine ab 1919 neu konstituierende „soziologiefeindliche“ Identität nicht reibungslos einfügen ließ. 375
[Savorgan, Franco], Anonym (1909) 'Soziologische Gesellschaft in Wien'
124 universitätsgebundene Privatpersonen präsent, was die Wirkungsmöglichkeiten erheblich beschränkt. Immerhin wurden seitens der Mitlieder hohe Forderungen angebracht. Aus der Feder von Bischoff stammt die erstaunlich selbstbewusst vorgetragene Forderung nach Ersetzung der „im Zuge der wissenschaftlichen Entwicklung von längst überwundenen, sogenannten naturrechtlichen Anschauungen ausgehende[n] 'Rechtsphilosophie' durch die moderne, auf naturwissenschaftlichen Grundlagen fußende 'Soziologie'.“376 Darüber hinaus hielt Bischoff auch die Streichung der Kollegien über praktische Philosophie und allgemeine Geschichte für angebracht – „umso mehr als ja die moderne Soziologie sowohl die Fragen der praktischen Philosophie, als auch die Philosophie der Geschichte in den Bereich ihrer Betrachtungen zieht.“377 Das Selbstverständnis des Vereins war mit dem Wiener Verein identisch – so zumindest die Satzungen, die sich voneinander nur in kleinsten Punkten unterscheiden. Und auch die tatsächliche Wirkung lässt sich, mit Vorbehalt der geringeren Mitteln, mit der Wiener Gesellschaft vergleichen und begrenzte sich auf die Abhaltung der Vorträge: unter den Vortragenden waren, so wie in Wien, auch manche Prominente wie Jerusalem, Michels, Vierkand etc., und Herausgabe der Bücherreihe, die aber scheinbar auf die Privatinitiative von Julius Bunzel zurückgeht. Nur durch sein Wirken kam es auch zur Beteiligung von Josef Schumpeter und Ferdinand Tönnies als Mitherausgeber an der Serie. Sonst kann man über die Wirkung des Vereins wenig sagen, es handelt sich aber um einen sehr beschränken Einfluss, eine Art sozialwissenschaftlicher Volksbildung für Studenten und interessierte Laien, die daher wissenschaftlich wirkungslos blieb. Es ist bezeichnend, das die Lehrveranstaltungen, die an der Grazer Universität den Titel Soziologie trugen, nicht auf die Initiative des Vereins, sondern der einzelnen Vortragenden (Adolf Gürtler 378 und Hugo Spitzer, teilweise betätigte sich auch Bischoff daran) zurückzuführen sind. Immerhin gelang es in Graz aber die Soziologie an die Universität zu bringen. Rudolf Bischoff und Alfred Gürtler haben noch vor dem Ersten Weltkrieg regelmäßig soziologische 376
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 56
377
Ebda., 56
378
Ab 1908 Privatdozent für Allgemeine vergleichende und österreichische Statistik an der Rechts-
und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, 1911 zum außerordentlichen Professor für Statistik und österreichisches Finanzrecht, und am 24.12.1919 ad personam zum ordentlichen Professor der Rechts- und Staatswissenschaften, ernannt.
125 Lehrveranstaltungen an der juristischen Fakultät abgehalten: Gürtler hielt durch mehrere Semester – beginnend mit dem WS 1908/1909 eine dreistündige Hauptvorlesung in „Soziologie“
(bzw.
„Gesellschaftslehre“),
und,
gemeinsam
mit
Bischoff,
ein
„Soziologisches Konversatorium“.379 Das Bild vervollständigen auch eine von ihm abgehaltene „Kriminalsoziologie“, sowie sozialwissenschaftliche Lehrveranstaltungen von Josef Schumpeter, der zwischen 1911 und 1918 in Graz lehrte. Auch an der Philosophischen Fakultät der Grazer Universität kam es relativ früh zu soziologischen Lehrveranstaltungen. Der Ordinarius für Philosophie Hugo Spitzer las seit 1914 regelmäßig "Philosophische Soziologie" und gründete Mitte der zwanziger Jahre ein Seminar gleichen Titels.380
Die Wirkung der beiden Vereine blieb zwar beschränkt, aber trotzdem, vor allem in Wien, beachtlich. Auf der Grundlage der in der Gesellschaft gehaltenen Vorträge entstanden unter anderem populäre Bücher wie „Der typische Verlauf sozialer Bewegungen“ 381 von Rosa Mayreder und „Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode“382 von Hans Kelsen, die sowohl in der Fachwelt als auch in der Öffentlichkeit eine Beachtung erfuhren. Obwohl es nicht gewiss ist, wer und wie viele Personen an den Lesungen teilnahmen, haben die Akzente die aus dem Verein herausgegangen sind sicher dazu beigetragen, dass die Soziologie als eine distinkte wissenschaftliche Disziplin wahrgenommen
wurde.
Vor
allem
haben
die
Personen,
die
sich
mit
den
Sozialwissenschaften beschäftigt haben, den Begriff „Soziologie“ übernommen – ein Wechsel, der auch durch die Umbenennung/Neugründung des Vereins in Jahre 1908 bereits angedeutet wurde. Obwohl die Soziologie weiterhin in der Tradition von Lorenz von Stein als metawissenschaftliches Paradigma angewendet wurde und keineswegs im
Mayreder, Rosa (1917) Der typische Verlauf sozialer Bewegungen. Vortrag, gehalten am 9. Mai
1917 in der Soziologischen Gesellschaft zu Wien (Wien und Leipzig: Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky) 382
Kelsen, Hans (1970 [1911]) Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode.
Vortrag, gehalten in der soziologischen Gesellschaft zu Wien (Aalen: Scientia Verlag)
126 Sinne einer Spezialdisziplin mit abgegrenzter Methode und klaren Fragestellungen, wurde der Anreiz Soziologie zu betreiben, immer größer. Die wichtigste Rolle in der Wiener Gesellschaft hatte Rudolf Goldscheid inne, er war bis zu seinem Tod im Jahr 1931 der Präsident des Vereines. Er war in der österreichischen Wissenschaftslandschaft
eine
bemerkenswerte
Persönlichkeit:
außer
der
Wiener
Gesellschaft beteiligte er sich auch an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und der „Österreichischen Liga für Menschenrechte“ und führte unter anderem auch den Österreichischen Monistenbund. Er war aber nicht nur ein hervorragender Organisator, sondern auch ein beachteter Gelehrter. Seine Bücher, die sich vor allem mit der sozialen Frage und der Ethik beschäftigten, wurden breit besprochen. Außer der Mitgliedschaft in den soziologischen Vereinen, nahm er etwa auch an den Deutschen Philosophiekongressen teil, was für einen akademisch nicht verankerten Gelehrten untypisch war. Im Jahr 1870 geboren, studierte er seit 1891 in Berlin an der Königlichen Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin, wo er unter anderem die Vorlesungen und Kurse von Gustav Schmoller, Georg Simmel und Wilhelm Dilthey (1833-1911) besuchte.383 1894 brach er seine Studien ab, ohne einen akademischen Abschluss zu erlangen. Bereits 1890 veröffentlichte er das Stück „Die Logik der Gesellschaft“, sein weiteres Buch „Der alte Adam und die neue Eva“ wurde sogar ins Englische übersetzt, ab 1902 begann er auch wissenschaftliche Untersuchungen zu publizieren. Die größte Bekanntheit erreichte er mit seinen Schriften zur Finanzsoziologie, wo er sein Konzept der Menschenökonomie dargelegt hat. Trotzdem verfügte er als Privatgelehrter weder über eine Möglichkeit Schüler auszubilden, die ihm eine Lehrstelle an der Universität eröffnen würde, noch über eine Institutionalisierung, um sich für die von ihm betriebenen Disziplinen in der akademischen Arena erfolgreich einzusetzen. Seine Erfolge erreichte Goldscheid trotzdem bei der Öffentlichkeitsarbeit und auch durch seine Schriften wurde er in der „scientific community“ durchaus bekannt und anerkannt. Seine ersten wissenschaftlichen Schriften befassten sich mit den Fragen der Ethik, des Marxismus und Evolutionismus. 1902 schilderte er die Aufgabe der Soziologie: „unter Zugrundelegung der Bedienungen
383
Fleischhacker, Jochen (2000) 'Rudolf Goldscheid: Soziologe und Geisteswissenschaftler im 20.
Jahrhundert. Eine Porträtskizze', AGSÖ Newsletter 20: 3-14
127 menschlichen Lebens überhaupt, die Zwecke menschlichen Gemeinschaftslebens objektiv zu bestimmen.“384 Es handelt sich also deutlich um eine Sollwissenschaft auf einer empirischen Grundlage. Ähnlich der anderen in Wien tätigen Soziologen, bildete die Psychologie für ihn die Grundlage der anzustrebenden Richtung, „weil die Psychologie die allein zuständige Disziplin ist, die uns über die Natur unseres Wollens und Wertens aufzuklären vermag.“385 Die Gesellschaftsidee Goldscheids, also die Idee den durch die Soziologie zu erreichenden Endzustandes, ähnelte den sozialistischen Idealen des gebildeten Volkes, wo jeder Bürger für seine Arbeit eine gerechte Entlohnung bekommt. Genau diese Frage des „gerechten Einkommens“ führte ihn zu seiner Menschenökonomie, die eine Erweiterung der nationalökonomischen Analyse um den bis dato unverdinglichten Faktor der Arbeit, die Abnutzung des „Menschenmaterials“, darstellt. Nur in der Zeit wo dieser „ethische“ Faktor mitberücksichtigt wird, werden nicht nur die belasteten Personen entlastet, sondern wird dieses auch gesamtökonomisch nützlich sein, da die Arbeiter länger und effizienter arbeiten können werden, was natürlich unter der (realistischen) Annahme des erschöpfbaren Arbeitskräftereservoirs volkswirtschaftlich enormen Nutzen nach sich ziehen wird.386 Hier sah er die Rolle der Soziologie: sie soll helfen, den idealwirtschaftlichen Wert des produzierten Gutes, nach der Summe der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und der Summe der gesellschaftlich notwendigen Bedürfnisse, die er zu befriedigen imstande ist, zu bestimmen.387 Dazu kam sein Darwinismus, der allerdings im Sinne der sozialen Gesamtentwicklung durch Volksbildung, gerechte Entlohnung und kapitalistische Eigendynamik monistischganzheitlich erfasst worden ist, die er in
seinem Buch „Probleme des Marxismus I.
Verelendungs- oder Meliorationstheorie?,“ einführte. Die Menschenökonomie hat aber auch die biologischen Komponente zu berücksichtigen, und die Soziologie soll auch die Präventivmaßnamen, die gegen die Entartung des Volkes zu machen sind, untersuchen: „[d]ie Soziologie gibt uns die Fingerzeige, welche Fragen wir an die Naturwissenschaften 384
Goldscheid, Rudolf (1902) Zur Ethik des Gesamtwillens. Eine Sozialphilosophische Untersuchung.
Erster Band. (Leipzig: O. R. Reisland), 1 385
Ebda., 3
386
Goldscheid, Rudolf (1908) Entwicklungswerttheorie, Entwicklungsökonomie, Menschenökonomie.
Eine Programmschrift (Leipzig: Klinkhardt) 387
Ebda., 2f
128 zu richten haben, sie leitet uns an, die naturwissenschaftlichen Bedingungen der sozialen Höherentwicklung zu studieren, aber sie darf nicht in den Fehler verfallen, Entwicklungsgesetze, statt Entwicklungsbedingungen und Entwicklungstendenzen aus der Entwicklungsgeschichte herauslesen zu wollen“388 heißt es in seiner Programmschrift. Die Präsenz von Goldscheid in der Wiener Gesellschaft kann durch sein unermüdliches Bemühen um die Anerkennung der Soziologie positiv bewertet werden. Trotz seiner Außenseiterstellung wurden seine Ideen anerkannt und positiv besprochen – allerdings vor allem in Deutschland389, obwohl ihm teilweise Vereinfachungen und Unkenntnis der wissenschaftlichen Praxis vorgeworfen wurden (zum Beispiel sein sehr prägnantes Verschweigen verwendeter Quellen). Bekannt auch sein Konflikt mit Max Weber am 1. und 2. Soziologentag 1912 in Berlin, wo Weber erklärte, dass die Prinzipien der Werturteilsfreiheit durch einige Mitglieder der Gesellschaft dauerhaft verletzt werden – worunter er auch Goldscheid meinte. Für die österreichische Situation blieb die Soziologie durch ihre „normative“390 Version des Wieners in der Sphäre des Sozialismus, Sozialpolitik und Sozialutopismus hängen. Seine Schriften konnten auch die Vorwürfe nicht entkräften, dass die Soziologie noch nicht die Reife erreichte, um als eine akademische Disziplin anerkannt zu werden. Sie haben vor allem
gegen die
ungeschriebene Regel des wissenschaftlichen Feldes verstoßen, dass der Wissenschaftler in seinen Schriften seine politische Position nicht miteinfließen lassen soll. Allerdings ist die Person von Goldscheid in den progressiven wissenschaftlichen Kreisen durchaus mit der „credibility“ ausgestattet worden, das ihm als Mitglied der „scientific community“ zu sehen erlaubte. Nun ist die deutsprachige „scientific community“ nicht per se mit der österreichischen
gleichzustellen.
In
Österreich
blieb
Goldscheid
lebenslang
wissenschaftlicher Außenseiter, und eine Anerkennung fand er ausschließlich bei den Freunden und gleichgesinnten Sozialreformern – Rosa Mayreder, Wilhelm Jerusalem etc., bzw. bei dem anderen Außenseiter Josef Schumpeter, der an Goldscheids Überlegungen seine Wirtschaftssoziologie aufbaute. 388
Ebda., 7
389
vgl. z.B. Lederer, Emil (1911) '[Besprechung von]: Goldscheid, Rudolf: Entwicklungswerttheorie,
Entwicklungsökonomie, Menschenökonomie', Archiv für Sozialpolitik und Sozialwissenschaft 32: 136-148. Positive Rezensionen verfassten auch unter anderem August Koppel, Paul Barth und Robert Michels. 390
So über Soziologie von Goldschied schrieb Emil Lederer in: Ebda.
129
Eugen Ehrlich und Hans Kelsen: Der Kampf um die Soziologie des Rechts
Nachdem die institutionellen und kognitiven Entwicklungen des ersten Dezenniums in Graz und Wien besprochen wurden, will ich mich jetzt dem peripheren Czernowitz widmen, von dem in Person von Eugen Ehrlich eine der wichtigsten Neuerungen in der österreichischen Soziologie hervorging, die dann auch zum ersten gewichtigen Konflikt um die Soziologie geführt hat. Eugen Ehrlich wurde 1862 in Czernowitz geboren. Er studierte in Lemberg und ab 1881 in Wien, wo er sein Studium 1883 abgeschlossen hat. Er promovierte in Wien im Jahr 1886 zum Doktor der Rechte bei Anton Menger, als dessen Schüler er sich später verstanden hat. Anschließend habilitierte er sich dort 1895 für das römische Recht. Nach einer Episode als Privatdozent in Wien war er ab 1897 als außerordentlicher Professor und ab 1900 als Ordinarius an der k.u.k. Franz-Josephs-Universität in Czernowitz. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste er vor den russischen Truppen nach Wien fliehen. Nach dem Krieg und erfolglosen Versuchen in Wien und Bern Fuß zu fassen, entschied er sich nach Czernowitz zurückkehren und hat sogar einen Forschungsurlaub beantragt, um rumänisch zu lernen.391 Allerdings wurde er am 22. Oktober 1921 auf Ansuchen des Professorenkollegs, das auf die Beibehaltung des rumänischen Charakters der Hochschule bestand, ohne eine Lehrveranstaltung an der 1918 neu gegründeten Hochschule gehalten zu haben, entlassen.392 Ein Jahr danach starb Ehrlich in Wien an Diabetes. Die Hauptinteressen von Ehrlich im Bereich der Rechtswissenschaften gingen in die entgegengesetzte Richtung der damaligen Rechtslehre, die sich noch vor allem mit der Neuauslegung vom Römischen Recht beschäftigte und aus diesem Ideal eigene 391
Über Nachkriegserfahrungen von Ehrlich gibt es mehrere Versionen. Hier nach: Zipprian, Heinz
(1997) 'Eugen Ehrlich und die Bukovina: die Entstehung der Rechtssoziologie au der kulturellen Vielfalt menschlicher Verbände', in Kiss, Endre (Hrsg.), Nation und Nationalismus in wissenschaftlichen Standardwerken Österreich-Ungarns: 112-126 392
(1998) Die Professoren der juridischen Fakultät in Czernowitz. In: Slawinski, Ilona/ Ptrelks, Joseph P., Glanz und Elend der Peripherie. 120 Jahre Universität Czernowitz; Eine Veröffentlichung des Österreichischen Ost- und Südeuropainstituts (Wien u.a. :Peter Lange): 101-123, hier 107
130 Rechtsnormen „deduzieren“ wollte. Ehrlich sprach sich dagegen sehr früh für eine „freie Rechtsfindung“ aus, die ihre Grundlage in den induktiv gewonnenen Rechtsnormen findet, und, oder vor allem dem Richter, der in gesellschaftlichen Umfeld kompetenter ist als jeder Rechtsgelehrte, breite Auslegungsmöglichkeiten öffnet. Diese Methode war seiner Meinung nach nicht neu sondern wurde bereits im antiken Rom gepflegt – etwa in der Form der Niessbrauchbestellung.393 So gesehen sind die Reformen die er vorschlug bloß eine Rückkehr zum damaligen Ideal des Römischen Rechts. Sie waren zwar anfänglich noch
ohne
soziologische
Grundlage,
aber
bereits
eine
Abkehr
von
dem
Rechtsdogmatismus – Ehrlich war damit der erste in der Habsburgermonarchie und einer der ersten im deutschsprachigen Raum, der solche Innovationen vorschlug. Bereits in seiner ersten großen Monographie „Die stillschweigende Willenserklärung“ hat er die Methode seiner späteren Rechtssoziologie, nämlich die Untersuchung über die praktische Bedeutung von „stillschweigender Willenserklärung“ im juristischen Leben angewendet, wofür er mehr als
600 Bände französischer, österreichischer
und deutscher
Entscheidungssammlungen durchforstet habe.394 Im Laufe der Jahre und durch die Problematisierung der Nationalitätenkonflikte (etwa durch Renner, der seine juristische Behandlung des Nationalitätenproblems 1902 publiziert hat) wandte sich Ehrlich immer mehr dieser Problematik zu. Durch das Czernowitzer heterogene Nationalitätenfeld, wo die orientalisch-maurische und römisch-gotische Tradition aufeinander trafen und unzählige religiöse Gruppen und Ethnien aneinander grenzten, hat er – ein deutsch-polnischsprachiger395 Jude – die Probleme, die der Versuch das universelle Straf- und Privatrecht anzuwenden bewirkte, deutlich vor Augen zu sehen gehabt. Ähnlich wie Gumplowicz war Ehrlich von der Unmöglichkeit der völlig friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Gruppen, deren Rechtssysteme miteinender ständig in Konflikt geraten sind, überzeugt. Allerdings hat er erkannt – ganz im Sinne der damaligen austromarxistischen Publikationen – dass die Versuche, diese Gegensätze durch das von dem Staat aufgezwungene Rechtssystem, das für alle und in allen Situationen 393
Ehrlich, Eugen (1903) Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft. Vortrag gehalten in der
juristischen Gesellschaft in Wien am 4. März 1903 (Leipzig: C.L. Hirschfeld) 394
Rehbinder, Manfred (1967) Die Begründung der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich (Berlin:
Duncker & Humblot), 23 395
Er gab diese zwei Sprachen abwechselnd als seine Muttersprache an
131 gelten soll, die Konflikte nur steigern könnte statt sie zu besänftigen. Diese Rechtsgegensätze haben ihm auch dazu bewogen sich von der damals führenden Historischen Schule und den Rechtsdogmatismus zu lösen, und die Prinzipien der freien Rechtsfindung durchzusetzen und mit den Nationalitätengegensätzen zu verknüpfen. 396 In Zentrum seiner Ideen standen die Trennung zwischen Gesellschaftsrecht und Staatsrecht und die Überzeugung, dass die Juridik ähnlich aller modernen Wissenschaften, kein deduktiv sondern ein induktiv entstandenes System sein muss. Die Wende zur empirischen Begründung der Wissenschaften hat alle Disziplinen erreicht, „[n]ur die juristische Scholastik ragt wie ein erratischer Block in eine fremde Welt hinein“. 397 Seine Ideen, das Lebende Recht398 zu erforschen, sollen die „zur Fremdheit erzogenen Juristen“399 wieder an die Praxis bringen. Das Rechtssystem hat sich seiner Meinung nach durch die Verbürokratisierung von den tatsächlichen Problemen entfernt und kann sich den Bedürfnissen der sich verändernden Gesellschaft nicht mehr stellen. Ebenfalls kann die an den Universitäten herrschende Scholastik keine Lösungen für dringendste Rechtsprobleme bringen. Am Beispiel des Nationalitätenproblems zeigte Ehrlich, dass nur durch die Untersuchung der jeweiligen Gesellschaftsgruppen die staatlichen Entscheidungsnormen zu ihrer Abstraktheit kommen können, um diese Gruppen von den Konflikten abzuhalten. Wenn also in ähnlichen Verbänden ähnliche Rechtsnormen gültig sind, dann werden diese zu rechtlich bindenden Regeln erklärt.400 Der Soziologie401 kommt in dieser neuen Rechtsidee die Aufgabe zu, „die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesellschaft und 396
vgl. Zipprian, Heinz (1997) 'Eugen Ehrlich und die Bukovina: die Entstehung der Rechtssoziologie
au der kulturellen Vielfalt menschlicher Verbände' 397
Ehrlich, Eugen (1911) 'Die Erforschung des lebenden Rechts',Schmollers Jahrbuch 35:129-147,
132 398
Ehrlich, Eugen (1913) Grundlegung der Soziologie des Rechts (München u.a.: Duncker &
Humblot). „Das Lebende Recht „das nicht in Rechtssätzen festgelegte Recht, das aber doch das Leben beherrscht“ (399) Eine Reaktion auf staatliches Recht und Juristenrecht, eine Höhere Stufe als die anderen. „Gelebte Ordnung“ 399
Ebda., 142
400
Ehrlich, Eugen (1913) Grundlegung der Soziologie des Rechts, 40
401
Ehrich verstand die Soziologie ähnlich wie die Wiener Gelehrte als eine „Gesamtheit der
theoretischen Gesellschaftswissenschaften“ (Ebda., 18), oder als methodisches Paradigma und nicht als eine Spezialdisziplin
132 die Wirkungen der Rechtssätze [aufzuzeigen]. Die Jurisprudenz lernt aus ihr, wie die Rechtssätze nach ihren Wirkungen den gesellschaftlichen Entwicklungsgesetzen angepaßt werden können.“402 Sie hat also eine Grundlagenwissenschaft zu bilden, deren Resultate von der theoretischen Rechtswissenschaft dann in ein Rechtssystem überarbeitet werden sollen. Die wichtigste Säule der von Ehrlich geforderten Verstärkung der Praxisbildung der Juristen war das von ihm geschaffene „Seminar für lebendes Recht“. Am 16. Juli 1909 wandte er sich an das Unterrichtsministerium um dessen Errichtung, das allerdings erst 1911 mit einmaliger Unterstützung von 400 Kronen gefördert wurde. Trotzdem hat Ehrlich schon im WS 1909/1910 begonnen seine Ideen in die Praxis umzusetzen. In dem Seminar hat er etwa die Handhabung des Pachtvertrages in Rosch (Vorstadt von Czernowitz) und die der Bewirtschaftung der Gemeindehutweide in Bossance untersucht, auch in Form von gemeinsamen Exkursionen mit Studenten und dem befreundeten Volkswirt, Professor von Dungern. Seine Idee war, das gesamte Recht einzelner Volksstämme in Bukowina zu untersuchen und ein Lehrbuch herauszugeben, das ähnlich dem von Bogišič - „Zbornik sadašnih pravnich običaja u južnoh Slovana Knijga prva“ (1874) werden soll und das einen Überblick über dem „Lebenden Recht“ in dem Gebiet bieten soll. Im Unterschied zu den Vorgängern ging Erhlich aber mit sehr modernen empirischen Methoden ans Werk und hat für den Zweck der Untersuchung sogar einen Fragebogen entwickelt. Er erhielt allerdings nur eine einzelne vollständig ausgefüllte Beantwortung zurück. Die Arbeit des Seminars musste bereits 1912 wieder eingestellt werden. Nicht nur das fehlende Geld war ein Problem, sondern auch das Desinteresse der Studierenden, die, nach Ehrlichs Aussagen, „[a]rm, hauptsächlich darauf bedacht, mit den Prüfungen fertig zu werden [...] für schwierige Arbeiten [...] wenig Zeit [haben].“403 Immerhin haben die Ideen von Ehrlich ihm einen großen Bekanntheitsgrad in den Juristenkreisen beschert. An dem 31. deutschen Juristentag im Jahr 1912 hatte er auf Anfrage ein Gutachten zur Reform der juristischen Ausbildung vorgelegt, das die Schaffung ähnlicher Strukturen wie das „Seminar“ vorsah, und eine Totalreform der
402
Ebda, 164, vgl. auch 273
403
Ehrlich, Eugen (1967) Recht und Leben : gesammelte Schriften zur Rechtstatsachenforschung und
zur Freirechtslehre. Ausgewählt und eingeleitet von Manfred Rehbinder (Berlin: Duncker & Humblot), 76
133 Rechtswissenschaften, die wie in seinen Publikationen bereits erwähnt auf der Grundlage von Soziologie, Statistik und Psychologie basieren sollen, nach sich ziehen würde. Seine Vorschläge wurden allerdings – scheinbar mit alleiniger Unterstützung von Julius Ofner, einen Mitglied der Wiener Soziologischen Gesellschaft, als zu radikal abgelehnt.404 Ähnliches geschah mit der von Ehrlich 1915 herausgegebenen Schrift über die Errichtung einer Schule für Gesellschaftswissenschaft, die sogar durch den Krieg verhindert völlig ohne Resonanz blieb.405 Die Ideen von Ehrlich, die Rechtswissenschaft auf sozialwissenschaftliche oder soziologische Grundlage zu stellen, wurden in den wissenschaftlichen Kreisen sehr unterschiedlich rezipiert. In Wien schienen seine Ideen auf sehr fruchtbaren Boden zu fallen. In „Grünhuts Zeitschrift“ erschienen 1908 bereits zwei Schriften die sich auf die revolutionären
Ideen Ehrlichs bezogen haben. Ludwig Spiegel,
Professor für
Rechtswissenschaft in Prag, gab zwar zu, dass „[d]as lebendige Recht [...] eine lebendige Wissenschaft [verlangt]“406, und dass „[d]ie Entstehung des Rechts [...] ein sozialer und kein juristischer Prozeß [ist]“407, aber die Rechtsnormen werden ausschließlich deduktiv gewonnen. Trotzdem gab er Ehrlich Recht, und sah das als eine wichtige Neuerung in der Rechtswissenschaft, dass „man das Rechtsleben, den Rechtsverkehr beobachten muß, um sich über das wirklich geltende Recht zu informieren“.408 Ignatz Kornfeld gab 1911 ein Buch „Soziale Machtverhältnisse. Grundzüge einer allgemeinen Lehre vom positiven Rechte auf soziologischer Grundlage“409 heraus, in dem er seine Aufgabe daran sah, „den normativen Wesen des positiven Rechtes zu bekämpfen, und darzulegen, daß positives Recht als ein System tatsächlicher Regeln des gesellschaftlichen Lebens begriffen werden muß, denen eine normative Funktion nur infolge dieser ihrer tatsächlicher Geltung
404
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 62
405
Ebda.
406
Spiegel, Ludwig (1908) 'Jurisprudenz und Sozialwissenschaft', Grünhuts Zeitschrift 35:1-30.
Hier 30 407
Ebda., 23
408
Spiegel, Ludwig (1908) 'Jurisprudenz und Sozialwissenschaft', 8
409
Kornfeld, Ignatz (1911) Soziale Machtverhältnisse. Gründzüge einer allgemeinen Lehre vom
positiven Rechte auf soziologischer Grundlage (Wien: Manz)
134 zukommt.“410 Die Rechtsnormen müssen empirisch gewonnen werden und nicht deduziert, auch, weil man das Sollen nicht ermitteln kann, was die normative Zielsetzung der dogmatischen Jurisprudenz zunichte macht.411 Kornfeld ging also eine Stufe weiter als Ehrlich und wollte die Sozialwissenschaften nicht als Grundlage der Rechtsfindung stellen, sondern die Soziologie zur Rechtslehre machen, da er die empirisch abgeleiteten Gesetze zu Rechtsnormen erklärte. Diese Schrift wurde bereits damals als ein Gegensatz zur Rechtslehre Kelsens gesehen, oder besser gesagt als ihre Ergänzung. 412 Die Diskussion wurde dann in „Grünhuts Zeitschrift“ auch mit Einbeziehung ausländischer Gelehrter (Mieczysław
Szerer
aus
Paris)
weiterverfolgt,
hat
allerdings
außer
einem
Meinungsaustausch keine Ergebnisse gebracht. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges, und die Einstellung der Zeitschrift haben die Diskussion für eine Weile unterbrochen.
Abgesehen von den zwei Misserfolgen bei den Reformvorschlägen, hat Ehrlich also die erste soziologische Kontroverse in der österreichischen Soziologie hervorgerufen. 413 Zum ersten Mal stand die Existenzberechtigung der Soziologie – hier der Rechtssoziologie – auf dem Spiel. Der Konflikt zwischen ihm und Kelsen, der durch seine Besprechung von Ehrlichs „Grundlegung der Soziologie des Rechts“ im Jahr 1915 angefangen wurde, hat die juristische Literatur bis tief in die zwanziger Jahre geprägt. Der Konflikt wurde durch die Publikation von Eugen Ehrlichs „Grundlegung der Soziologie des Rechtes“, deren Grundsätze ich oben geschildert habe, hervorgerufen. Die Ideen des Czernowitzer Professors wurden, wovon die Einladung für den Juristentag zeugt, breit rezipiert. Trotzdem haben viele Rechtsgelehrte die Ideen von Ehrlich apriori abgelehnt. So hat auch Hans Kelsen, ein zu der Zeit aufstrebender Rechtsgelehrter mit den Schwerpunkten Staatsrechtslehre und Staatslehre, die Rechtssoziologie zu einer Zielscheibe seiner Angriffe gemacht. Geboren 1881 in Prag, maturierte Kelsen im Jahr 1900 an dem Akademischen Gymnasium in Wien und wandte sich dem juristischen 410
Ebda., III
411
Ebda.
412
Laun (1912) '[Besprechung von]: Kelsen, Hans: Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, und:
Kornfeld, Ignatz: Soziale Machtverhältnisse. Grundzüge einer allgemeinen Lehre vom positiven Rechte auf soziologischer Grundlage', Grünhuts Zeitschrift 39 : 312-325 413
Konflikt zwischen Bernatzik und Gumplowicz hat Soziologie nur im Entferntesten berührt.
135 Studium an der Wiener Fakultät zu, das er 1906 abschloss. Nach einem Studienaufenthalt in Heidelberg (1908), wo er am Seminar des Staatsrechtslehrers Georg Jellinek teilnahm, sowie verschiedenen juristischen Berufstätigkeiten, habilitierte er im Jahr 1911 für Staatsrecht und Rechtsphilosophie an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, wo er dann als Privatdozent lehrte. Zwischen 1914 und 1918 war er als Rechtsberater im Kriegsministerium tätig, ehe er 1917 zum Außerordinarius und 1919 Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht in Wien ernannt wurde. Wegen politischen Anfeindungen Ende der 20-er Jahre verließ er 1930 Wien und nahm ein Ordinariat in Köln an. Kelsen hat schon sehr früh Kontakte mit der Soziologie gehabt. Bereits 1905, in seiner Abhandlung über Dante Alighieri414, erwähnte er schon die „Soziologie“ als eine der Elemente der Kosmologie des Dichters, kam aber zu keiner Spezifizierung der Disziplin. Ebenso in seiner Schrift„Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode“, die eine erweiterte Version eines Vortrages, den Kelsen in der Wiener Soziologischen Gesellschaft gehalten hat, war. In dieser trennte Kelsen die Jurisprudenz und Soziologie nach ihrer Methode voneinander, gab aber zu, dass sie durch ihren gemeinsamen Gegenstand – die Gesellschaft, ständig in Berührung kommen. Diese „künstliche“ Trennung sei dadurch verursacht, dass die Soziologie, eine nach Gesetzen suchende „Naturwissenschaft der menschlichen Gesellschaft“415, induktiv arbeitet und dadurch auf das Sein gerichtet ist. Die Rechtswissenschaft dagegen ist eine deduktive Disziplin, deren Aufgabe es ist, das Sollen zu ermitteln. Das Verhältnis zwischen Sein und Soll ist, dass „[d]as Soll geht zwar auf ein Sein (sein Zweck ist ein Sein: etwas soll sein), aber das Soll ist eben etwas anderes als das Sein“416, was eine deutliche Unterscheidung nötig macht. Auch ist das Soll aus Sein nicht vollständig ableitbar, sondern nur durch ein anderes Soll ersetzbar, was die Soziologie, so wie alle andere explikativen Disziplinen auch, nur zu einer Hilfswissenschaft der Rechtswissenschaften macht. Trotz diesen aufgezeigten Fragestellungen, kam aber die genaue Eruierung des Verhältnisses zwischen beiden Disziplinen nicht zustande. Walther Köhler schrieb sogar in einer Rezension: „Die 414
Kelsen, Hans (1905) 'Die Rechtslehre des Dante Alighieri' Wiener staatswissenschaftliche Studien,
6/3, (Wien und Leipzig: Franz Deuticke): 237-388 415
Kelsen, Hans (1970 [1911]) Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode, 12
416
Ebda., 6
136 vorliegende kleine Schrift ist hervorgegangen aus einem Vortrag, der in der Wiener Soziologischen Gesellschaft gehalten wurde, welcher Umstand es vielleicht mit verursacht hat, daß im Titel von 'soziologischer Methode' die Rede ist. Die Ausführung weiß von einer soziologischen Methode nichts.“417 1915 setze sich Kelsen nochmals mit der Rechtssoziologie auseinander, diesmal als Kritiker der von Eugen Ehrlich herausgebenden „Grundlegung der Rechtssoziologie“. Ganz im Gegenteil zu Sigmund Feilbogen, der noch in „Grünhuts Zeitschrift“ die Arbeit zwar als Grundlage neuer Rechtslehre nicht anerkennen wollte, aber ihr trotzdem mehrere anregende Ideen abzugewinnen glaubte418, hat Kelsen in dem Buch keine einzige Idee als gut empfunden. Vielleicht ist es interessant anzumerken, dass Kelsen, der damals Privatdozent in Wien war und sich um eine Professur an der Wiener Universität beworben hat. Ehrlich hat seine Stelle in Czernowitz gerade verloren und verweilte ebenfalls in der Hauptstadt. Ob es sich in dieser Auseinandersetzung allerdings wirklich um die Lehrstelle gehandelt hat, oder in ihr ein Paradigmenstreit entflammte, konnte nicht eruiert werden. Der wichtigste Vorwurf Kelsens an Ehrlich war der, das seiner Meinung nach verkannte Verhältnis von Sein und Sollen, die in Ehrlichs Schriften – so Kelsen – an mehreren Stellen vermengt
wurden. Nur
so
konnte
Ehrlich auch die
Soziologie zur
Grundlagenwissenschaft machen und ihr die Jurisprudenz unterstellen. Bei Kelsen hat die Soziologie allerdings „nicht mit dem Wert, sondern mit den Wertungen der Menschen zu tun, ist nicht wertende sondern werterklärende Wissenschaft“419 und führt zu Aussagen wie „das ist“, oder „das war“ und nicht „das soll sein“. Damit kann sie die normative Rechtswissenschaft, deren Aufgabe es ist das Sollende festzustellen, nicht ersetzen. Darüber hinaus kommen weitere theoretische Vorwürfe wie missverstandenes Wesen von Staat und Gesellschaft, „verschwundenes Staatsrecht“ die bei Ehrlich als zweitrangig
417
Köhler, Walther (1912) '[Besprechung von]: Kelsen, Hans: Grenzen zwischen juristischer und
soziologischer Methode', Schmollers Jahrbuch 36: 935-937. Hier 935 418
Feilbogen, Siegmund (1913) '[Besprechung von]: Ehrlich, Eugen: Grundlegung der Soziologie des
Rechts', Grünhuts Zeitschrift 40: 727- 735 419
Kelsen, Hans (1915): 'Eine Grundlegung der Rechtssoziologie', Archiv für Sozialwissenschaft und
Sozialpolitik 39: 839-876. Hier nach: Kelsen, Hans/ Ehrlich, Eugen (2003) Rechtssoziologie und Rechtswissenschaft. Eine Kontroverse 1915/17. Mit einer Einführung von Karl Lüderssen. (Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft). 25
137 hinter dem Gewohnheitsrecht aufscheint, „primitive Verwechslung von zeitlicher und logischer Relation“420 bei der Darstellung der Rechtenstehung etc., zur Geltung. Auch wenn Kelsen in einigen seiner Vorwürfe Recht hatte, vor allem weil Ehrlich in seinen Ausführungen oft konfus und unpräzise war, so stimmen die Hauptvorwürfe – Verwechslung von Sein und Sollen und vollständige Ablehnung des Staatsrechts – nicht und stellen eher eine bewusste Radikalisierung und auch teilweise ein Missverständnis der Ehrlichschen Position dar.421 Darüber hinaus enthält das Schrifttum mehrere direkte Angriffe auf den Stil Ehrlichs, seine „kindlichen Tautologien“, nichtssagende Konstruktionen und allgemeine Plattitüden etc. Alles in allem befand Kelsen die Begründung einer neuen Wissenschaft durch Erhlich als völlig gescheitert, „vor allem infolge des gänzlichen Mangels einer klaren Problemstellung und einer präzisen Methode.“422 Die Riposte Ehrlichs– von einer friedvollen Antwort kann hier kaum die Rede sein – blieb ebenso aggressiv im Ton wie der Artikel Kelsens. Er warft Kelsen nicht nur Missverständnis vor und Unwillen, seine Terminologie zu verstehen, sondern vielmehr die Unterbreitung seiner eigenen Begrifflichkeiten auf ihren Platz: „An Stelle dessen, was ich gesagt habe, wird irgend eine Kelsenerie gesetzt, und dann wird darauf los argumentiert, mit der gewissen, aus Kelsens älteren Arbeiten bekannten Logik, für die die Obersätze nichts bedeuten und die Untersätze sehr wenig.“423 Schlussendlich griff er auch das Rechtsverständnis von Kelsen als Ganzes an: wenn Kelsen sagt, dass die Jurisprudenz eine Wissenschaft sei, die keine Fühlung mit der Wirklichkeit braucht, da sie von vorneherein keine Erklärung der Wirklichkeit sein will, erwidert Ehrlich, dass man bei „Kelsen an überraschende Gedanken gewöhnt [ist], daß aber ein Professor der Rechte an der Universität Wien, am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, so was hinzuschreiben sich traut“424 ihn sehr verblüffte. Methodisch konnte er allerdings die Vorwürfe des Wiener Juristen nicht entkräften und ging auf sie kaum ein. Nur gewisse begriffliche Klärungen 420
Ebda., 16
421
vgl. Lüdersen, Karl, 'Einführung' in: Ebda.
422
Ebda., 54
423
Eugen Ehrlich (1916): 'Entgegnung', Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 41: 844-849.
Hier nach: Ebda. 63 424
Ebda., 64
138 wie etwa Unterscheidung zwischen Rechtsnorm und Rechtssatz wurden behandelt. Die Frage von Soll und Sein hat Erhlich auch nicht ausführlich besprochen, sondern forderte Kelsen auf, zu zeigen, wo diese von ihm eingeführten Verkennungen in der „Soziologie des Rechts“ zu finden sind. Die „Replik“ von Kelsen war einerseits eine Wiederholung alter Vorwürfe – die Verkennung von Sein und Sollen und Rechtsnorm und Rechtssatz, andererseits machte er auch eine Erweiterung auf die Metaebene mit den Vorwürfen, Ehrlich wäre erkenntnistheoretisch nicht vorbereitet und verkennt das Wesen des Rechts. Auch die Fortsetzung425 brachte keine neuen wissenschaftliche Fragen zu tage, sondern beschäftigte sich mit den formellen Fragen (falsche Zitierung seitens Kelsen) und wurde, ohne sichtbaren Konsens, durch Kelsen abgebrochen. Die von mir erwähnten rhetorisch blendenden Passagen zeugen davon, dass es hier nicht nur um den wissenschaftlichen Konflikt geht, sondern um einen regelrechten „science war“, allerdings auf meritorisch schlechten Niveau. Als Sieger kam aus dieser Auseinandersetzung
Kelsen
hervor
was
der
Soziologie
den
Weg
in
die
Rechtswissenschaften versperrt hat. Scheinbar hat es auch Kelsen so gesehen und bereute in späteren Jahren die „vielleicht zu scharfe Polemik“ die Ehrlichs Anerkennung verhinderte.426 Die scharfe Trennung die Kelsen zwischen Rechtswissenschaft und Soziologie machte, ist hier im Sinne der „Boundary work“ zu verstehen. Die „Reine Rechtslehre“, für die Kelsen bekannt wurde, war ein genauer Gegensatz zur Rechtssoziologie von Ehrlich, und die Rechtssysteme die sie beide vorziehen wollten waren ebenso konträr. Durch die Unmöglichkeit der Kommunikation, die durch die Inkommensurabilität beider Paradigmen verursacht war, wurde die Diskussion auf die Ebene des Formalen verlagert und auch wenn gewisse wissenschaftliche Probleme behandelt wurden, blieben sie in der Rhetorik sehr gut versteckt.
425
Man
kann
allerdings
von
keinen
der
beiden
Rechtsgelehrten
Hans Kelsen (1916): 'Replik', Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 41: 850-853 Hier
nach: Ebda. 426
So Rottleuchtner, Hubert (1984) 'Rechtstheoretische Probleme der Soziologie des Rechts. Die
Kontroverse zwischen Hans Kelsen und Eugen Ehrlich (1915 / 1917)' ,Rechtstheorie Beiheft 5: 521-551. Hier 547
139 Annäherungsversuche erkennen, auch wenn gewisse Konsensmöglichkeiten durchaus da wären.427 Wie oben festgestellt, hat Ehrlich seine akademische Karriere in Wien und Bern nicht aufnehmen können und starb ehe er an die neugegründete, damals schon rümänische Universität in Czernowitz seine alte Tätigkeit aufnehmen konnte. Sein Tod war allerdings kein Ende der Rechtssoziologie in Österreich. Die Diskussion hat sich allerdings, ihres geistigen Führers beraubt, abgeschwächt und wandte sich von dem Kampf um die Methode zwischen Rechtsdogmatik und Rechtssoziologie ab, hin zu Versuchen, die von Kelsen aufgestellte und damals schon sehr einflussreiche „Reine Rechtslehre“ in ihren Fundamenten zu hinterfragen bzw. zu ergänzen. Die Palette der Schwächen der neuen Doktrin, die angesprochen wurden, war sehr breit, die Versuche sie mit der Rechtssoziologie zu ersetzen blieben aber aus. Das neugeschaffene Medium in dem die Diskussion fortgesetzt wurde, war die „Zeitschrift für öffentliches Recht“ (herausgegeben von Bernatzik, Hussarek, Kelsen, Lammarsch, und Menzel) das sich vor allem für die Rechtswissenschaften
und
–
durch
Beiträge
von
Kelsen
und
Menzel,
für
unter
den
Staatswissenschaften profilierte.
Soziologie und Statistik: Die Methodendebatte Außer
des
Konflikts
um
die
Rechtssoziologie
und
ihren
Platz
Rechtswissenschaften, wurde ein anderer Kampf ausgetragen, in dem es sich um die Frage der Positionierung der neuen Disziplin gehandelt hat. Wie bereits berichtet hat 1878 Franz Neumann-Spallart die Frage des Verhältnisses zwischen Soziologie und Statistik aufgeworfen, und mit der gegenseitigen Förderung beantwortet. Durch die Bestrebungen vom „Antistatistiker“ Gumplowicz und dem „Antisoziologen“ Inama-Sternegg, haben Soziologie und Statistik sich voneinander im Laufe der Jahre allerdings immer mehr entfernt. Vor allem kognitiv von dem Selbstverständnis her, plädierten beide für die Unabhängigkeit und eine Etablierung der von ihnen vertretenen Richtung als anerkannte Disziplin. Allerdings blieben die beiden Disziplinen durch den zu untersuchenden Gegenstand immer einender sehr nah und haben auch teilweise gleiche Medien als 427
Lüdersen, Karl (2003) 'Einführung '
140 Publikationsorgane verwendet.428 Durch die interdisziplinäre Ausrichtung der damaligen Sozialwissenschaften waren auch mehrere Personen in beiden Disziplinen tätig, bzw. haben im Laufe ihrer Karriere die Fronten gewechselt. Vor allem Karl Příbram und Walter Schiff sind die, die in beiden Disziplinen zugleich publiziert haben. Ebenfalls hat Franz Žižek sich mit der Sozialpolitik und der Statistik beschäftigt. Othmar Spann, der als Statistiker seine Karriere begann, machte nach seiner Berufung nach Wien im Jahr 1919 eine Kehrtwende und grenzte sich von der Statistik am schärfsten ab. Dieses Naheverhältnis wurde dadurch verstärkt, dass in Deutschland die Statistische Gesellschaft am 17. Juni 1911 in Dresden offiziell der Deutschen Soziologischen Gesellschaft unterordnet wurde, was für die österreichischen Statistiker nicht nur wegen des Selbstverständnisses sondern wegen der auch institutionellen Stärke beider Disziplinen eine gewisse Verunsicherung schuf und zu neuen Diskussionen anregte. 1912 erschien eine Schrift, in der der Wiener Statistiker Franz Žižek die Diskussion eröffnete. Žižek definierte die Soziologie in sichtbarer Einbeziehung der Ideen von Lorenz von Stein als „allgemeine
Lehre
Einzelwissenschaften,
von
der wie
Gesellschaft
im
Gegensatz
Volkswirtschaftslehre,
zu
den
sozialen
Religionswissenschaft,
Moralwissenschaft, vergleichende Rechtswissenschaft etc.“.429 Ihre Berührungspunkte mit der Statistik sind:
-
gleiches Objekt, die Gesellschaft, vor allem eine Darstellung der bestehenden
Gruppen -
beide trachten zu sozialen Gesetzen vorzudringen
-
haben die Gesamtheit der Erscheinungen im Auge
Aber bis dato wurden, so der Wiener Statistiker, keine Kooperationen geschlagen, auch weil die Soziologen wie Comte, Lilienfeld und Gumplowicz für die Unmöglichkeit der Gesetzesgewinnung aufgrund statistischer Daten plädierten. Nur Schäffle hat die Methoden der Statistik anerkannt und sie als die wichtigste, obwohl nicht die alleinige Grundlage der 428
Vor allem „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ und „Grünhuts Zeitschrift“. Die
Statistik verfügte im Gegensatz zur Soziologie allerdings über die eigene Zeitschrift „Statistische Monatsschrift“. 429
Žizek, Franz (1912) Soziologie und Statistik (Wien und Leipzig: Duncker & Humblot), 3
141 Soziologie genannt. Dieser Schlussfolgerung stimmt Žižek auch zu, weil die Statistik nur messbares messen kann und die Soziologie sich auch für nicht unmittelbar statistisch untersuchbare Erscheinungen, wie die Religion, Mythen, soziale Machtverhältnisse etc., interessiert. Allerdings sind die „sozialen Zustände der modernen Kulturvölker [...] aber schließlich doch mindestens nicht weniger interessant als jene irgendeines auf dem Aussterbeetat
befindlichen
Indianer-
oder
Polynesierstammes.“430
Und
für
die
Untersuchung dieser Entitäten kann die Statistik hilfereich sein. Die statistischen Aufschlüsse, die für die Soziologie wichtig sind benennt Žižek folgendermaßen:431
-
Statistik kann die ziffernmäßige Feststellung der Struktur der Gesellschaft liefern,
ihre berufliche Gliederung (Arbeitsteilung, soziale Schichten, etc.), Aufzeichnung der sozialen Verbände und Gebilde -
Dann kann sie auch die zeitliche Konstanz zeigen (Stabilität), die auf Umfang und
Tempo der sozialen Evolution zeigen, aber, da sie keine Ursächlichkeiten zeigen, können sie noch nicht als Gesetze gelten -
Untersuchung der kausalen Beziehungen und auch Messung ihres Einflusses
-
Žižek unterstreicht auch die Bedeutung der Statistik für die Eugenik:432
Untersuchung biologischer Prinzipien (Variabilität, Vererbung, Auslese etc.) die zugleich einen statistischen Charakter, und soziologischen Wert haben. Žižek kommt zum Ergebnis, dass der Erfolg bei der Erstellung des Gesamtbildes einer Gesellschaft umso größer wird, inwieweit sich die Statistik und die Soziologie gegenseitig
430
Ebda., 8
431
Ebda, 23ff
432
Die Rassenhygiene, die Žižek
in seiner Schrift(en) anspricht ist in keinster Weise eine
„Rassistische”, sondern folgt den anerkannten wissenschaftlich-politischen Diskursen dieser Periode, etwa von Ploetz in Deutschland, oder Julius Tandler (1869-1936) in Österreich. Vgl. auch Žizek, Franz (1912) 'Statistik und Rassenbiologie einschließlich Rassenhygiene', Statistische Monatsschrift XVI (XXXVII): 341359
142 unterstützen. Trotzdem blieben sie in seinem Verständnis zwei getrennte Disziplinen, die allerdings um ihren Erkenntnisgewinn zu erweitern, näher zusammenrücken sollen.433 Die dringende Notwendigkeit solcher Schrift wurde vor allem in Deutschland mit den lohnenden Rezensionen bestätigt, die sogar über einem Durchbruch in dem Verhältnis zwischen beiden Disziplinen sprachen. Es kamen auch bereits erste Zukunftsvisionen, die besagten, dass „[a]n allen Universitäten Westösterreichs [...] in absehbarer Zukunft Vertreter beider Disziplinen nebeneinander zu wirken berufen sein [werden] und Zeugnis dafür ablegen, dass in der Tat zwischen der Statistik und der Soziologie innige Wechselbeziehungen bestehen.“434 Andere Töne kamen aus Österreich. Karl Příbram kritisierte Žižek, dass dieser das Wesen der Statistik verkennt. Vor allem die Möglichkeit von Gesetzesfindung mithilfe der Statistik lehnte er entschieden ab. Diese kann nur die individuellen Daten erheben, und diese lassen sich nicht zu Einheiten, die für die Soziologie wichtig wären, aggregieren. Die Soziologie ist auch eine deduktive Wissenschaft, und ihre Methodik – er nahm Gumplowicz und Ratzenhofer als Beispiele, unterscheidet sich beträchtlich von der statistischen. Und obwohl die Statistik „die von der soziologischen Betrachtung gegebenen Anregungen denkbar auf[nahm] und lernte den Menschen als Glied der zahlreichen Gemeinschaften erkennen, in denen er sein Leben verbringt“,435 so blieben die Disziplinen im Kern grundverschieden. Obwohl Příbram den Gegensatz zwischen Soziologie und Statistik hervorgehoben hat, sah er durchaus ein, dass sie sich gegenseitig behilflich sein können, allerdings nicht in dem Nahverhältnis wie Žižek es vorsah. Žižek beschränkte sich in seiner Antwort auf den wichtigsten Vorwurf von Příbram, dass die Statistik keine komplexen Einheiten erheben kann. Nochmals sagte er, dass die
433
Hier sei nur noch darauf hingewiesen, dass diese Ideen, obwohl in stark verkürzten und theoretisch
nicht ausgearbeiteter Form bereits durch Othmar Spann in seiner statistischen Untersuchungen geäußert wurden. Vgl. z.B. Spann, Othmar (1905) Untersuchungen über die uneheliche Bevölkerung in Frankfurt am Main. Unternommen im Auftrage der "Centrale für private Fürsorge". (Dresden: O.V. Böhmert), v.a. 3-6 434
Schmid, Ferdinand (1912) '[Besprechung von]: Žižek, Franz: Soziologie und Statistik' Zeitschrift
für die gesamte Staatswissenschaft LXIX: 749-750. Hier 750 435
Příbram, Karl (1913) 'Die Statistik als Wissenschaft in Österreich in 19. Jahrhundert, nebst einem
Abrisse einer allgemeinen Geschichte der Statistik', Statistische Monatsschrift XVIII (XXXIX): 661-739. Hier 693
143 Statistik als „Gesellschaftsforschung“ zu verstehen sei und die Aufdeckung der Gesetzmäßigkeiten zu ihren Grundfragestellungen gehört.436 Die Statistik ist auch eine Wissenschaft, die sich mit den sozialen Gruppen beschäftigt, da sie in ihren Erhebungen nach den Klassen, Verbänden, Schichten etc. unterscheiden kann. Sie hat auch die Möglichkeit, überdimensionale Einheiten als unmittelbare Erhebungseinheiten zu verwenden – etwa in der Familien- und Haushaltsstatistik. Ihre Rolle geht also durchaus über
die
der
Hilfswissenschaft
hinaus
und
macht
sie
auf
der
Ebene
der
Gesellschaftsforschung zu einen Gegenpart der Soziologie.
Diese Auseinandersetzung wurde nicht weiterverfolgt und brachte auch nicht die erhoffte Annäherung zwischen beiden Disziplinen. Nach dem Ersten Weltkrieg kann man sogar von einem Auseinanderdriften sprechen, da weder von Žižek noch von Příbram Akzente zu interdisziplinären Aktivitäten gekommen sind. Karl Příbram ging zuerst nach Genf, ins neugeschaffene internationale Arbeitsamt, und übernahm danach eine Professur in Frankfurt, Žižek hat sich in seiner weiteren Tätigkeit der statistischen Theorien gewidmet.
Sozialistische Soziologie und soziologischer Sozialismus
Die politische Besetzung der Soziologie durch die sozialistischen Denker, die sich bereits in dem ersten Dezennium nach der Jahrhundertwende sichtbar gemacht hat, wurde im Jahr 1907 auf dem akademischen Boden unterbrochen. Trotz der Kehrtwende zur Politik haben Renner und Bauer sich aber noch teilweise wissenschaftlich betätigt, vor allem in einigen wenigen Rezensionen und Artikeln die sie in den Fachjournalen publizierten. Ihre publizistische Tätigkeit wurde allerdings fast vollständig auf das Medium der austromarxistischen und sozialdemokratischen Presse verlagert: auf die die in Wien erscheinenden „Arbeiter Zeitung“ und „Der Kampf“ und die in Stuttgart herausgegebene „Die Neue Zeit“.
436
Žizek, Franz (1914) 'Individualistische und kollektivistische Statistik. Zu Karl Přibram, "Die
Statistik als Wissenschaft in Österreich in 19. Jahrhundert, nebst einem Abrisse einer allgemeinen Geschichte der Statistik"', Statistische Monatsschrift XIX (XXXX): 45-64
144 Bemerkenswert sind allerdings die frühen Schriften von Bauer und Renner (alias Rudolf Springer). Sie kamen aus der Beschäftigung der sozialistischen Partei mit der Nationalitätenfrage in eigener Organisation zustande und waren eher praktische Lösungsvorschläge als theoretische Auseinandersetzungen mit dem Thema437. Theoretisch setzten aber sowohl Renner als auch Bauer einige Ideen von Gumplowicz fort – wie etwa die Kulturlosigkeit niederer Stände bei Bauer438, oder die historisch-soziologische Staatstheorie von Karl Renner.439 Die Schriften wurden auch in der „scientific community“ wahrgenommen und positiv besprochen – so etwa die von Renner durch Schäffle.440 Bauer publizierte auch wissenschaftlich weiter – auch als gelegentlicher Rezensent in dem „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ und hat auch positive Reaktionen hervorgerufen. So gesehen haben sowohl Renner als auch Bauer – der Erste allerdings als Rudolf Springer – die wissenschaftliche Anerkennung gefunden, sich aber für die politischen Karrieren entschieden. Der wissenschaftlich am profilierteste Austromarxist war Max Adler. 1873 als Sohn des Tuchhändlers Moritz Adler und dessen Frau Emilie (geb. Heller) in Wien geboren, besuchte er zuerst das Franz-Josefs-Gymnasium in Wien und studierte anschließend Rechtswissenschaften an der Universität Wien, die er 1896 abgeschlossen hat. Bereits in seinen ersten Schriften kann man die Beschäftigung mit der Soziologie, etwa mit Gumplowicz erkennen. Seiner Schrift „Versuch einer Apologie der Sozialdemokratie und ihrer Anhänger“ liegt die Gesellschaftskonzeption von Gumplowicz zugrunde – wie etwa
437
Vgl. Riesbeck, Peter (1996) Sozialdemokratie und Minderheitenrecht. Der Beitrag der
österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner zum internationalen Minderheitsrecht (Saarbrücken: Verlag für Entwicklungspolitik) 438
Mozetič, Gerald (1985) 'Ein unzeitgemäßer Soziologie: Ludwig Gumplowicz ', 627
439
Knoll, Reinhold (1982) 'Dr. Karl Renner als Soziologe. Rechtssoziologie, - Nationalitätenfrage, -
Rollentheorie (Charaktermaske). Vortrag gehalten auf dem Dr.-Karl-Renner-Symposium "Dr. Karl Renner als Soziologe und Wirtschaftstheoretiker" am 23. Oktober in Gloggnitz.' in Anton E. Rauter (Hrsg.), Dr.Karl-Renner-Symposien 1981 und 1982 (Wien: 59-72). 60 440
Schäffle, Albert (1902) 'Ein bedeutsamer Vorschlag zur Schlichtung des Nationalitätenstreits in
Österreich.' Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft LVII: 720-736
145 die Unterwerfung eines wirtschaftlich Schwächeren durch einen wirtschaftlich Stärkeren durch äußere Umstände (Krieg, Seuche etc.).441 Ohne tiefer in die theoretische Mäander der Adlerschen Philosophie und Soziologie sich zu begeben finden sich in seinem Schaffen vier Punkte, die im Kontext dieser Arbeit wichtig sind. Erstens ist die Beschäftigung Adlers mit der Soziologie für die Zeit charakteristisch: er fing mit Abhandlungen die soziologischen Inhalt hatten an, die er aber so nicht benannte, und hat dann langsam zum Begriff der „Soziologie“ gewechselt. Hier sieht man, gleich wie bei Jerusalem und Kelsen, dass die Popularisierung der Soziologie, für die Adler in den 20er und 30-er Jahren bekannt wurde, erst nach der Gründung der Soziologischen Gesellschaft anfängt, und in den späteren Jahren – vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, blüht. Das ursprüngliche Interesse wurde bei Adler, wie bei einigen anderen Wiener Soziologen, durch die Vermengung der „sozialen Frage“ und Psychologie – vor allem der Erkenntnistheorie, ausgelöst. Adler setzte sich für die Einführung eines „Sozialapriori“ ein, das auf einer Synthese von Kant und Marx begründet war. Dieses besagte, dass das menschliche Bewusstsein nicht anders als in einem mental vergesellschafteten Zustand vorkommt, und dieser überindividuelle Sozialbezug jede menschliche Erkenntnis mitbestimmt. Das soziale Element ist für alle gleich, was die Möglichkeit der objektiven Erkenntnis – im Sinne der Allgemeingültigkeit, eröffnet. Es bildet auch die Grundlage von Logik, Ethik und Ästhetik, die dadurch zur absoluten Gültigkeit gelangen. 442 Dieser sozialapriorische Zugang soll die Grundlage jeder Analyse der Gesellschaft bilden, denn erst durch ihn wird der Mensch nicht als Individuum sondern als soziales Wesen sichtbar. Wir haben es also wieder, so wie bei mehreren Wiener Soziologen, mit einer Metawissenschaft zu tun, die Grundlage für weitere Disziplinen bilden soll. Was der Name für die Disziplin betrifft, so versteht sie Adler erst in den zwanziger Jahren als Soziologie. Charakteristisch für sein früheres Verständnis ist die Schrift „Der soziale Sinn der Lehre von Karl Marx“443, das unter diesem Titel in „Archiv für die Geschichte des 441
Pfabigan, Alfred (1982) Max Adler. Eine politische Biographie. (Frankfurt am Main, New York:
Campus Verlag), 11 442
Mozetič, Gerald (1987) Die Gesellschaftstheorie des Marxismus, 200ff
443
Adler, Max (1914) 'Der soziale Sinn der Lehre von Karl Marx', Grünbergs Archiv 4: 1-29
146 Sozialismus und der Arbeiterbewegung“ 1914 erschien, und im gleichen Jahr noch als Separatdruck als „Der soziologische Sinn der Lehre von Karl Marx“444 ohne inhaltliche Veränderungen veröffentlicht wurde. In dieser Schrift werden die Begriffe sozial, sozialwissenschaftlich und soziologisch abwechselnd verwendet – wie auch in den meisten seiner früheren Schaffensperiode. In dem (späteren) Nachruf an Ludo Moritz Hartmann nannte er sogar die Volksbildung eine „angewandte Soziologie“.445 Dieser kurze Blick soll genügen um sagen zu können, dass es wieder unmöglich war von dieser Begriffsverwirrung eine Soziologie herauszukristallisieren, die zur „Boundary Work“ fähig wäre. Die Publikationen von Adler waren auch durchaus nicht nur seiner Version der „Soziologie“ gewidmet. Die Bücher durch die er bekannt wurde, waren vor allem seine Marx Studien, wie z.B. „Marxistische Probleme“ die 5 Auflagen innerhalb von 9 Jahren erfahren hat, oder sein generationsprägendes „Kultbuch“ „Neue Menschen. Gedanken über sozialistische Erziehung“.446 Dagegen haben die soziologischen Schriften kaum Leserschaft gefunden: „Das Soziologische in Kants Erkenntniskritik“ zum Beispiel kam insgesamt lediglich auf 900 Exemplare.447 Der letzte wichtige Punkt ist seine Stellung in den „scientific and political comunities“. Die akademische Laufbahn war für Adler, wie auch für andere Austromarxisten, oder überhaupt „linke“ Denker, ein Spießrutenlauf. Adler war allerdings sogar ein Doppelaußenseiter: an der Universität wurde er als Autodidakt und Sozialist abgelehnt und hat nur dank Kelsen 1919 die Habilitation (für Gesellschaftslehre, Theorie und Geschichte des Sozialismus) abschließen können. 1921 wurde er, wegen zahlreicher Proteste gegen seine Besserstellung seitens der rechten Wissenschaftler, nur zum titular-außerordentlichen Professor ernannt448 - was hieß, dass er offiziell kein Außerordinarius war, aber dessen 444
Adler, Max (1914) Der soziologische Sinn der Lehre von Karl Marx (Leipzig: C.L. Hirschfeld)
445
Adler, Max (1925/1926) 'Zum Gedächtnis an Ludo M. Hartmann', Kölner Zeitschrift 5: 326-329
446
vgl. Benetka, Gerhard (1995) Akademische Psychologie im Wien in der Zwischenkriegszeit. Das
Wiener Psychologische Institut 1922-1938 (Unpublizierte Dissertation an der Universität Wien), 318 447
Pfabigan, Alfred (1982) Max Adler, 281
448
Sein Aufstieg wurde durch verschiedene Faktoren gehemmt. Zum einen war er, mehr als andere
Austromarxisten antiklerikal (vgl. La Rocca, Tomasso (Hrsg.) (2004) Karl Renner, Politik und Religion. Die Religionsfrage als Frage der Demokratie. (Frankfurt am Main, New York, Wien [u.a]: Peter Lang), 80ff), andererseits wurde seine Beförderung durch die einflussreiche Gruppe um Othmar Spann gehemmt. Siehe Siegert, Michael (1971) 'Warum Adler nicht Ordinarius wurde'.
147 Gehalt bekam. Seine Wissenschaftlichkeit wurde immer wieder im akademischen Bereich angezweifelt, seine Vorträge verboten bzw. von den deutschnationalen und konservativen Studenten unterbrochen.449 Ähnlich an den Soziologentagen, wo die Deutschen Soziologen etwa mit Zwischenrufen seine Ausführungen ununterbrochen gestört haben. In der Sozialdemokratie war Adler durch seine Wendung zum Kantschen Idealismus ebenfalls ein Einzelgänger – vor allem ab den 20-er Jahren, als der Mainstream sich stärker Hegel zugewandt hat.450 Sogar der geistig offene Karl Kautsky schrieb 1929, dass Adler innerhalb der Arbeiterbewegung als „heraklitisch dunkel“ galt, und seine philosophischen Ideen als komplex und unverständlich wahrgenommen wurden.451 Im Laufe der 20-er Jahre hat sich Adler immer mehr als Soziologe profiliert, und vor allem in Besprechungen und Zeitschriftartikeln bemühte er sich um die Bestätigung der kognitiven Einheit der Soziologie. Auch seine Beteiligung an den Deutschen Soziologentagen, die ihm sogar in den Augen von Dirk Käsler zum „inneren Rand“ der deutschen Soziologie anzurechnen ließ (gemeinsam etwa mit Karl Mannheim oder Georg Simmel)452, machte ihm zu einem der wichtigen Vertreter dieser Disziplin in Österreich. Obwohl man sagen muss, dass Adler meistens als negativer Bezug genommen wurde, sowohl an den Soziologentagen als auch in den Rezensionen. Auch über seinen dauerhaften Einfluss auf die Soziologie ist nichts bekannt – er bildete keine Schüler aus, und seine Ideen wurden nicht weiterentwickelt. In seiner akademischen Lehrtätigkeit hat er vor allem die Lehrveranstaltungen zum Sozialismus angeboten, aber auch seltene soziologische, wie „Besprechung ausgewählter soziologischer Schriften“ im SS 1921.453
449
Mozetič, Gerald (1987) Die Gesellschaftstheorie des Marxismus, 184
450
Pfabigan, Alfred (1982) Max Adler, 281
451
Ebda.
452
Käsler, Dirk (1984) Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre Entstehungs-Milieus:
Eine wissenschaftssoziologische Untersuchung (Opladen: Westdeutscher Verlag), 609 453
Vgl. entsprechende Vorlesungsverzeichnisse
148
Příbram, Menzel und von Wieser: die konservative Annäherung an die Soziologie Einen mächtigen Gegenpart zu den sozialistisch gerichteten Soziologen boten Adolf Menzel, Karl Příbram und Friedrich von Wieser. Alle drei waren konservativ und haben sich sehr spät entschieden als Soziologen explizit hervorzutreten. Příbram machte es sogar erst, als er von Wien nach Genf kam. Příbram und von Wieser gehören zu der Gruppe der sich mit der Grenznutzenlehre beschäftigenden Gelehrten, sind also von Anfang an in der kognitiven Nähe zu den Sozialwissenschaften zu orten. Trotz der Tatsache, dass ihre Schriften soziologische Probleme behandelt haben, haben sie keine Versuche unternommen als Soziologen zu gelten. Von Wieser hat sich zwar als Machttheoretiker hervorgehoben, sein Verhältnis zu dem was damals als Soziologie galt, war aber immer angespannt. Er studierte zunächst Rechtswissenschaften, habilitierte dann 1883 in Politischer Ökonomie. Während seines Studiums, hat Wieser auch die Lehrveranstaltungen von Lorenz von Stein besucht, seine Ideen haben ihm allerdings nicht sonderlich beeindruckt.454 Als Quelle seines Interesses für die soziologischen Fragen nannte er eher Herbert Spencer und Leo Tolstoi (1828-1910) – vor allem sein „Krieg und Frieden“, also Autoren, die eine „Geschichte ohne Namen“ zu schreiben versuchten.455 Hier äußert sich also wieder der Gegensatz zum Historismus, der bereits dem soziologischen Evolutionismus von Hartmann Ansporn gab. Ab 1889 war von Wieser Universitätsprofessor in Prag, und ab 1903 als Nachfolger von Carl Menger an der Universität Wien tätig. Sein Hauptschwerpunkt blieb immer bei der Wirtschaft, in Folge des Krieges publizierte er auch mehrere politisch-wirtschaftliche Werke (das bekannteste ist „Österreichs Ende“), die auch als Folge seines politischen Intermezzos als Handelsminister zu deuten sind. Sein Interesse für die Machtsoziologie hat ihm aber auch ständig begleitet. So etwa sprach er bereits in seiner Prager Rektoratsrede „Die gesellschaftlichen Gewalten“ (1901) über Macht und Nationalität, in „Recht und Macht“ (1910) formulierte er auch das später sehr bekannte elitäre „Gesetz der kleinen 454
Strasser, Hermann (1981) 'Macht und Klassenbildung bei Friedrich von Wieser: Zur Erinnerung an
einen soziologischen Wegbereiter', Kölner Zeitschrift 33: 576-589. Hier 577 455
Strasser, Hermann (1981) 'Macht und Klassenbildung bei Friedrich von Wieser: Zur Erinnerung an
einen soziologischen Wegbereiter'
149 Zahl“, die
besagte, dass es immer die kleinen Gruppen (bis zu einzelnen
Führerpersönlichkeiten) sind – und im Sinne der Effizienz sein sollen – die die Herrschaft über die Masse haben, was mit vielen Erkenntnissen der damaligen Soziologie der Masse und auch mit den sozialistischen und demokratischen Ideen, im scharfen Widerspruch stand. Dieses Interesse hat schlussendlich in seinem kurz von seinem Tod herausgegebenen Buch „Gesetz der Macht“ ihre Vervollständigung gefunden. Obwohl seine früheren Bücher durchaus als soziologische Beiträge galten – so etwa „Recht und Macht“, das Schumpeter auf seine Liste der soziologischen Lektüreempfehlungen setzte456 - haben sie nicht zur Popularisierung dieser beigetragen. Sie blieben aber im engen Kreis seiner Schüler, etwa Adolf Menzel, erfolgreich, und haben ihrerseits deren Interesse für die Frage der Macht geweckt. Erst das „Gesetz und Macht“ wurde sehr positiv rezensiert, die darin enthaltenen Ideen und deren Bedeutung mit Max Weber verglichen. 457 Dieses Beispiel bekräftigt die Auffassung, die ich schon bei Carl Menger geschildert habe, dass die Grenznutzenlehrer kein
großes
Interesse
an
der
Soziologie
hatten,
sondern
ihre
Thesen
als
sozialwissenschaftliche darstellten. Von Wieser stand gerade wegen seiner soziologischen und sozialpolitischen Ambitionen in einem Spannungsverhältnis sowohl zu Menger als auch zu Böhm-Bawerk.458 Trotzdem ist die Tatsache, dass der konservative von Wieser sich als Soziologe lange nicht affichierte nicht überraschend, da die Soziologie semantisch negativ und links besetzt war. Ebenfalls kann man von einer Beschäftigung von Karl Příbram mit der Soziologie sprechen, aber auch von ihm kamen keine Anreize für die Soziologie als eigenständige Disziplin. Seine Beschäftigung ging von Publikationen aus dem Bereich der Agrarpolitik, Wirtschaft und der Sozialpolitik aus, und hat dann eine starke philosophisch-theoretische Komponente bekommen. Im Jahr 1912 veröffentlichte er „Die Entstehung der Individualistischen Philosophie“, das als sein soziologischer Durchbruch gilt. Er untersucht in dem Werk die Durchsetzung des Individualismus in Form des Sozialvertrages, und setzt es
in
Gegensatz
zum
moralischen
Universalismus.
Wenn
in
den
älteren
456
Schumpeter, Josef (1915) Vergangenheit und Zukunft der Sozialwissenschaften (München)
457
Hintze, Otto (1926) '[Besprechung von]: von Wieser, Friedrich: Das Gesetz der Macht', Schmollers
Jahrbuch 50: 833-834 458
Wilmes, Eugen (1985) Friedrich von Wieser (1851-1926) als Soziologe (Bonn: Universität
Bonn), 11
150 sozialphilosophischen Schriften die Idee des Ganzen als eine übergreifende moralische Instanz für die Rechtsordnung sorgte, so „wurzelt der Vertragsgedanke tief im Wesen der individualistischen Vorstellungswelt: die Beschränkung der eigenen Interessensphäre erfolgt nicht in Erfüllung der Vorschriften einer absolut geltenden Moral, sondern lediglich aus freier vertragsmäßiger Entschliessung.“459 Diese Abschaffung der universalen Instanz kann aber auch letale Formen einnehmen, da die Vertragsbasis die Gruppe, im weiteren Sinne die Klasse, und nicht das Ganze (der Staat) ist. Das kann wiederum zur Destabilisierung und Revolution führen, indem die einzelnen Glieder des Staates gegeneinander zu rivalisieren beginnen. Es war aber eines der wenigen Schriften von Příbram das als soziologisch gelten konnte, denn erst um 1920 trat er als Soziologe explizit hervor, etwa mit seiner „soziologischen Untersuchung“ „Die Weltanschauung der Völker und ihre Politik“.460 Eine Wende zum expliziten Auch-Soziologen hat er aber nicht in Wien, sondern erst in Genf gemacht, und blieb in Bereich der Soziologie dem österreichischen Diskurs nur durch seine Beziehung zu Menzel und in der Rolle bei der Berufung von Othmar Spann erhalten.
Adolf Menzel war der aktivste Soziologe in dem konservativen Lager und hatte sich verhältnismäßig früh explizit zur Soziologie bekannt. Wobei diese Anmerkung für den Stand des Diskurses, und keineswegs für seine akademische Laufbahn gilt. Menzel wurde 1857 in Böhmen geboren, studierte Jura in Prag und schloss sein Studium 1879 ab. Danach war er in Wien als Advokat tätig und befasste sich auf Anregung von Alexius Meinong und Franz Brentano mit Philosophie und Rechtswissenschaft. 1882 habilitierte Menzel und nach einer Tätigkeit als Privatdozent wurde er 1889 zum außerordentlichen Professor und im Jahr 1894 zum Ordinarius für Staatsrecht ernannt. In seinen Schriften setzte er sich mit einer breiten Palette der Themen, von der Rechtswissenschaft und Staatslehre bis hin zur griechischen Philosophie und Soziologie, die dann ab etwa 1925 sogar den Schwerpunkt bei seinen Publikationen bildete, auseinander.
459
Příbram, Karl (1912) Die Entstehung der individualistischen Philosophie (Leipzig: C.L.
Hirschfeld), 11 460
Příbram, Karl (1916/1917) 'Die Weltanschauung der Völker und ihre Politik', Archiv für
Sozialpolitik und Sozialwissenschaft 44: 161-197
151 Sein erstes Schrifttum zur Soziologie erschien aber bereits 1912. In dem Buch „Naturrecht und Soziologie“461 steht er den soziologischen Theorien allerdings sehr misstrauisch gegenüber. Vor allem ihre Annahme, sie könnten als Positivisten eine wertfreie, objektive Wissenschaft liefern, lehnt er deutlich ab und sagt, dass es „[v]ielmehr in dem subjektiven Momente, welches allen Gesellschaftswissenschaften notwendig anhaftet, der prinzipielle Unterschied von den Naturwissenschaften [liegt].“462 Im Unterschied, sowohl zu Gumplowicz und Ratzenhofer als auch zum wissenschaftlichen Sozialismus, ist bei ihm die Erkenntnis immer subjektiv und jede Gesellschaftswissenschaft(en) immer wertend. In dieser sehr interessanten wissenschaftssoziologischen Arbeit entpuppt sich Menzel am Ende als utilitaristischer Denker, und schlägt vor, dass um die Wissenschaftlichkeit der Sozialwissenschaften zu verteidigen „es doch genügen würde, jene Postulate vom Gesichtspunkte der Nützlichkeit zu empfehlen, anstatt ihnen die Etikette objektiver Wissenschaft aufzukleben“463, gibt allerdings zu, dass der menschliche Geist sich selten mit einer bloßen Nützlichkeit begnügt und ihr „höhere Weihe zu geben“ vermag: die „Berufung auf den Willen Gottes, auf das höchste Sittengesetz, auf das natürliche Recht, oder – auf das Naturgesetz der Entwicklung“464 wird immer in den gesellschaftlichen Theorien beinhaltet sein. Interessant ist, dass die Soziologie im Verständnis von Menzel zwar eine empirische, deskriptive Wissenschaft ist, aber ihre Vertreter sie auch sehr oft politisch zu nutzen versuchen, was keineswegs ihre Aufgabe sein soll: „es soll auch zugegeben werden, daß die beschreibende und klassifizierende Soziologie unsere Kenntnis vom gesellschaftlichen Leben erheblich erweitert hat. Aber sobald sie über den Bereich der Deskription hinausgeht und den Versuch macht, allgemeine Gesetze aufzustellen oder aus den gesammelten Tatsachen, Schlußfolgerungen zu ziehen, zeigen ihre Ergebnisse so starke
subjektive
Beimischungen,
man
könnte
beinahe
sagen
partei-politische
Charakterzüge, wie das Naturrecht in seiner Blütezeit auszuweisen hat.“465 Diese Anspielung an Goldscheid und andere Austromarxisten – aber auch Liberalisten wie 461
Menzel, Adolf (1912) Naturrecht und Soziologie (Wien und Leipzig: K.u.K. Hof-Bücherei und
Hof-Verlags-Buchhandlung Carl Fromme) 462
Ebda., 58
463
Ebda., 60
464
Ebda, 60
465
Menzel, Adolf (1912) Naturrecht und Soziologie, 24
152 Spencer, zeigt, dass, das soziologische Verständnis zu der Zeit ein sehr politisches war, und über eine rein wissenschaftliche Disziplin hinausging. Hans Kelsen hat dieses in einer Besprechung am plakativsten geäußert: „Von allen soziologischen Systemen verdient der wissenschaftliche Sozialismus am meisten die Bezeichnung eines Naturrechtes der Gegenwart!“466 Trotz der Ablehnung der Objektivitätsansprüche der Soziologie ist Menzel aber als einer der aktivsten Soziologierezensenten in der Zeit hervorgetreten. Im Unterschied zu anderen Wissenschaftlern, die soziologische Schriften nur beiläufig rezensiert haben, war es bei ihm hoch auf der Agenda, was aus ihm eine der ersten wirklich hervorgetretenen Figuren macht, die als Zentren der Kristallisation fungieren konnten. Diese Tendenz wurde durch seine Schriften „Friedrich Wieser als Soziologe“ und „Grundriss der Soziologie“ (1938) unterstützt. Bis zum Jahr 1925 gab es, außer seiner universitären Interessen, keine Soziologen die sich um ihn gruppiert haben – auch, oder vor allem, weil er keine eigene soziologische Theorie hatte und an der Universität vor allem als Rechtswissenschaftler tätig war. Ähnliches kann man über die soziologiefreundliche Tätigkeit von Hans Kelsen sagen, der aufgrund seiner geistigen Offenheit den neuen Entwicklungen auf dem Feld der Sozialwissenschaften freundlich gesinnt war, obwohl er ihnen teilweise aus gleichen Gründen wie Menzel als Fortsetzung des Naturrechts mit Misstrauen gegenüberstand.467 Es hat auch keine Akzente gegeben, die ihm in seiner publikatorischen Tätigkeit als Soziologen hätten erkennen lassen – dafür aber als einen Organisator, zum Beispiel in der Wiener Soziologischen Gesellschaft. Immerhin bildete Soziologie ein Teil seiner Staatslehre, was er sowohl in den Publikationen als auch in den Lehrveranstaltungen kundtat. Auch wenn sich um ihn die jungen Wissenschaftler gruppiert haben, bildeten sie keine homogene Gruppe mit eigenen soziologischen Fragestellungen und Methoden, sondern haben sich für seine „Reine Rechtslehre“ interessiert. So gesehen sind sowohl Kelsen als auch Menzel in der oben vorgestellten Terminologie von Christian Fleck 466
Kelsen, Hans (1915) '[Besprechung von]: Menzel, Adolf: Naturrecht und Soziologie', Grünbergs
Archiv 5: 225-229 467
Kohlenberger, Helmut (1998) 'Hans Kelsen - Der josephinische Kant', in Benedikt, Michael/Knoll,
Reinhold/Kiss, Endre (Hrsg.), Hier 327.
Verdrängter Humanismus - Verzögerte Aufklärung. Band 4.: 319-341.
153 professionelle Wissenschaftler in einem kristallisierten Wissenschaftssystem – hier Rechtswissenschaften, also offen für Einflüsse und Neuigkeiten. Trotzdem blieb ihre Tätigkeit im Dienste der Soziologie zu beschränkt, um aus ihnen Kristallisationsfiguren für die neue Disziplin machen zu können.
Der Erste Weltkrieg: Thematische Verengung? Neben den Kontroversen um die Methodik und Grenzen zwischen den Disziplinen, kamen aber auch Ereignisse, die für die junge Disziplin kristallisierend wirkten. Bis jetzt habe ich gezeigt, dass die Soziologen sich nicht nur durch ihren Zugang zu der Disziplin unterscheiden, sondern auch in der Auswahl ihrer Fragen differenzierten. In Graz und Czernowitz kann man die Nationalitätenkonflikte als Ausgangspunkt des soziologischen Interesses deuten, in Wien dagegen waren es die soziale Frage, der Sozialismus und psychologisch-ethische Fragen aller Art. Solchen Zustand der Fragmentierung kann man, so zu mindestens die These von Mullins, durch Aufkommen eines für alle Wissenschaftler gemeinsamen Problems und die sich ähnelnde Lösungsvorschlage entgegenkommen. Solch ein Phänomen, das für die österreichische Soziologie diese Auswirkung haben konnte, war der Erste Weltkrieg, der daraus folgende
Bruch der Monarchie und das Ende des
Vielvölkerstaates. In diesem Abschnitt wird auf das erste Phänomen eingegangen, um zu zeigen inwiefern der Erste Weltkrieg das Selbstverständnis der österreichischen Soziologie und der österreichischen Soziologen geändert hat. Der erste Soziologe, der den Krieg in soziologischer Art und Weise problematisiert hat, war der damals an der Technischen Hochschule in Brünn tätige Othmar Spann. In seiner Schrift “Soziologie des Krieges“468 präsentierte er seine sehr stark an Gumplowiczs Konflikttheorie ähnelnden Ansagen der unvermeidlichen Zusammenstösse zwischen den Völkern als Wesen der Geschichte. Geleitet durch diesen Zugang sah er einen Krieg zwischen der slawischen und der deutschen „Welt“ als unabwendbar voraus. Er hob die historische Bedeutung der Kriege als Kampf einer höheren Rasse gegen eine niedere Rasse, einer höheren Kultur gegen eine niedrigere Kultur, hervor (nicht immer: „es gibt 468
Spann, Othmar (1912) Zur Soziologie und Philosophie des Krieges. Vortrag, gehalten am 30.
November 1912 im „Verband Deutch-Völkischer Akademiker“ zu Brünn (Berlin: J. Guttentag)
154 auch verfehlte Kriege, die sich gegen verwandte Gemeinschaften und Bundesgenossen wenden“469, die allerdings die seltensten sind). Dieser Staatsdarwinismus, der auch bei Gumplowicz zu finden ist470, hatte im Unterschied zur Grazer Version, deutlich kulturelitäre Züge, die eine moralische Überlegenheit der „deutschen Rasse“ gegenüber den Slawen pries.471 Wobei Spann sich deutlich von dem biologischen Verständnis der Rasse distanzierte – auch in der späteren Zeit, wohlwissend, dass es ihm mit dem NSRegime in Konflikt bringen wird. Hier kann man weitere Einflüsse von Gumplowicz' kulturellem Begriff der „Rasse“ erkennen, auch ähneln einzelne Ausführungen von Spann über das Judentum den Aussagen des Grazer Professors. Die Soziologie hat nach Spann die Aufgabe die Gesellschaft zu untersuchen, also, da alles auf den Gewalterscheinungen beruht, diese ins Zentrum zu stellen. Der organischkonservativ denkende Gesellschaftslehrer deutete Gewalt sehr breit, zum Beispiel als Ausbeutung in dem freien Wettbewerb, und verband seinen Konservatismus mit dem JetztPessimismus: „[k]eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, solange es eine Geschichte gibt, war je so unorganisiert, hat je so viel Spielraum für Gewaltanwendung und freien Wettkampf gewährt wie unsere heutige“472, was die dringende Notwendigkeit der Verbesserungsvorschläge liefernden soziologischen Forschung ausmacht. 473 Seine soziologische Untersuchung der Kriege hat außer der Frage des internationalen Wettbewerbs auch die Stellung des Einzelnen zum Staat im Falle eines Konfliktes untersucht. Im Falle eines Krieges wird der Einzelne stärker mit der Gemeinschaft, der er angehört, verbunden, sein Individualismus wird abgeschwächt und wird der Solidarität Platz weichen müssen. Anstelle der Gesellschaft wird eine nationale Gemeinschaft 469
Ebda., 19
470
Oft übersehene Passagen bei Gumplowicz, in denen er sagt, dass die Gewinner des Rassenkampfs,
auch ein überlegendes Moralsystem haben, das sie den von ihnen niedergeworfenen Völker unterbreiten werden. 471
Es wundert nicht, dass nach 1914 Spann seine Stelle in Brünn aufgeben musste, seine Rückkehr, die
er 1918 plante, wurde durch heftige Proteste vereitelt. 472
Spann, Othmar (1912) Zur Soziologie und Philosophie des Krieges, 14
473
Diese, hier schon in Prägnanz ausformulierten Thesen haben dann zur organisch-katholischen
Wendung Spanns in den frühen 20-er Jahren geführt, wo er – vor allem in der Schrift „Der Wahre Staat“ die Großutopie auf Basis von Vogelsang, Augustinus und Müller vorschlug, die dann in späterer Folge teilweise in Ständestaaten ihre Realisierung fanden.
155 entstehen, die dieser qualitativ höherwertig ist. Dieser Zusammenschluss entfaltet dann die durch fortschreitende Individualisierung vergeudeten Kräfte, was zu einer Entfaltung der Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft etc. als eine direkte Folge der Kriege führt. Diese positive Wirkung des Krieges lässt aber in den Friedenszeiten nach, was einer periodischen Wiederkehr des Kampfes zur notwendigen Bedingung des Fortschrittes macht. Nach dem Ausbruch des Krieges gab Wilhelm Jerusalem ein anderes Buch, „Krieg im Lichte der Gesellschaftslehre“ heraus, wo er sehr ähnliche Aussagen wie Spann getätigt hat. Er geht aber nicht von Apologetisierung des Krieges aus, sondern anerkennt, dass der Krieg seinem Wesen nach, seit immer grausam ist, da er die „rohen Instinkte wieder an die Oberfläche [bringt] und wir kommen nur allzu leicht in die Lage, vor unserer eigenen Bestialität zu erschaudern.“474 Trotzdem bringt jeder Krieg auch positive Erscheinungen zutage. Ähnlich Spann beklagt Jerusalem den modernen Verlust des Kollegialismus infolge der Individualisierung und Spezialisierung und die mit diesem verbundenen Konsequenzen, nämlich der Rolle des Nationalismus: „Was dem Individualismus in unserer modernen Kultur entgegenwirkt und doch zugleich ein sehr wichtiges Element dieser Kultur bildet, das ist das lebendige Gefühl der Zugehörigkeit des einzelnen zu seinem Volke, zu seiner Nation, zu seinem Staate.“475 In den Friedenszeiten kommt es allerdings zur Spaltung zwischen Staat und Gesellschaft, da der Staat als eine Machtorganisation der höheren Klassen sich von den unterdrückten Massen der Arbeiter und Bauern immer mehr entfremdet. Erst durch den Krieg wird die Bedeutung des Pflichtgefühls des Einzelnen gegenüber dem Staate wieder deutlich: „Pflicht als soziales Imperativ entsteht und aus den Seelen der einzelnen heraus, wieder zur Gesellschaft zurückkehrt und ihre Macht stärkt.“476 Durch den Krieg kommt es also wieder zu einer Vermengung zwischen Staat und Gesellschaft, die dann zu einem machtvollen Gebilde werden. Die Entindividualisierung war also, so wie bei Spann, das positive Ergebnis des Krieges. Allerdings kommt hier ein ethischer Aspekt zutage: die Grausamkeiten des Krieges, die das Negativum bilden, überwiegen allzu oft gegenüber den positiven 474
Jerusalem, Wilhelm (1915) Der Krieg im Lichte der Gesellschaftslehre
Enke), 29 475
Ebda., 64
476
Ebda., 110
(Stuttgart: Ferdinand
156 Aufkommen. Deswegen hat Jerusalem den Begriff der Staatenwürde eingeführt, den sittlichen Forderungen, die der Staat an sich stellt um das barbarische Gesicht des Krieges in Grenzen zu halten. Diese Zugabe hat eigentlich über den wissenschaftlichen Misserfolg dieses Buches entschieden. Zwar gab es auch durchaus positive Rezeptionen477, aber in dem,
für
die
Sozialwissenschaften
wichtistgen
Medium,
dem
„Archiv
für
Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“, wurde die Schrift sehr stark kritisiert. Eulenburg (1867-1943) meinte, die Schrift sei soziologisch nicht konsistent, präsentiert nur einseitige Gesichtspunkte und entbehrt jeglicher Originalität. Und vor allem wurde das deutsche Ideal der Wertefreiheit verletzt, da Jerusalem seine ethischen Meinungen miteinbezieht und über den Sollzustand plädiert. Doch ist aber „[d]ie Gesellschaftslehre, in deren Namen doch alles dies verkündet wird, [...] eine beschreibende und erklärende, aber keine in keiner ihrer Teile wertsetzende und normative Wissenschaft.“478 Und er fährt fort, dass es „zu hoffen [ist], daß in Zukunft die Soziologie den Gegenstand durch wissenschaftliche Erörterung fordert, nicht durch zweckwidrige ethische Raisonnements.“479 Jerusalem fühlte sich missverstanden, und hat in der gleichen Nummer eine Berechtigung geschrieben, in dem er beklagte, dass die Ablehnung der Staatenwürde durch Eulenburg ihm nicht dazu verleiten soll die ganze Theorie die dahintersteht, abzulehnen. Solch einseitige Rezensionen480 waren es – so Jerusalem – die viele Leser davon abgehalten hatten, die Schrift anzuerkennen und zu lesen.481 Aus einer anderen Perspektive als die zwei zuvor erörterten Schriften sah Rudolf Goldscheid den Krieg. Seiner Meinung nach waren es die Ungleichheiten zwischen den Völkern, die sich auch in dem Klassenkampf niederschlugen, die Auslöser der Kämpfe. Die sozialistischen Untersuchungen, die auf die Beseitigung dieser Ungleichheiten bedacht 477
Siehe Vierkand, Alfred (1914) '[Besprechung von]: Jerusalem, Wilhelm: Der Krieg im Lichte der
Gesellschaftslehre', Deutsche Literaturzeitung 37/5: 220-221. Bertram, Paul (1914) '[Besprechung von]: Jerusalem, Wilhelm: Der Krieg im Lichte der Gesellschaftslehre', Internationale Rundschau 2/1: 57-58 478
Eulenburg, Franz (1917) 'Literatur über Krieg und Volkswirtschaft', Archiv für Sozialpolitik und
Sozialwissenschaft 43: 316-318. Hier 317 479
Ebda., 318
480
Auch:
Heinrich
Gomperz
in:
Ders.
(18.06.1916)
'Staatenwürde?',
Vossische
Zeitung,
Sonntagsbeilage no. 25: 190-191 481
Jerusalem, Wilhelm (1917) 'Eine Selbstanzeige als Erwiderung', Archiv für Sozialpolitik und
Sozialwissenschaft 43: 1096-1098
157 waren, haben aber die Frage der Internationalität „schlichtweg übersehen.“482 Da diese Frage jetzt durch den Krieg die dringendste geworden ist, ist die Lösung also auch für den Sozialismus eine Frage des Überlebens. Die Soziologie – die im Goldscheids Verständnis, wie oben erläutert, eine Art Sozialengineering war, müsse dann zur Steigerung des Wohlstands
in
der
jeweiligen
Gesellschaft
die
außerpolitische
Konstellation
mitberücksichtigen. Nicht nur die expliziten Erscheinungen des Krieges wären hier zu behandeln, sondern auch etwa das Übergewicht der Rüstungsindustrie, das die Ausgaben für die Agrarpolitik schmälert. Für die dauerhafte Lösung muss „ein ganz neuer Internationalismus,
ein
kultureller
Nationalismus
und
ein
organisatorischer
Internationalismus“483 zustande kommen, also eine völlige Neuorganisation der Politik – die Goldscheid in einer übergreifenden parlamentarischen Zusammenarbeit, also nach den Modellen der „Internationale“ sah. Es ist sehr interessant, dass alle drei Theoretiker, obwohl sie grundlegend andere Befunde gezogen haben, von den gleichen theoretischen Überlegungen ausgingen, nämlich von der Konflikttheorie von Gumplowicz. Auch wenn sie in den Schriften aus mehreren Blickwinkeln kritisiert wurde, so blieb sie doch ihr Ausgangspunkt für die Bestimmung gesellschaftlicher Verhältnisse. Diese Rückbesinnung dauerte allerdings sehr kurz und alle drei kamen nach dem Krieg wieder in ihre alten Positionen zurück. Trotzdem ist es interessant, dass der lange Zeit nichtbeachtete Gumplowicz plötzlich als ein Prophet angesehen wurde, der die stattfindenden Konflikte vorausgesehen hatte. Der Krieg war auch Auslöser anderer sozialwissenschaftlicher Schriften. Otto Neurath plädierte für die Einführung der Kriegswirtschaftlehre,484 Josef Schumpeter sprach nach dem Ende des Krieges über ein Ende der Imperialismen, etc. Trotzdem gab es – außer den drei von mir behandelten Schriften kaum etwas, was zu einer Konsolidierung der Sozialwissenschaften beigetragen hätte. Auch diese drei Schriften sind nur an der Oberfläche ähnlich, denn bereits bei der Frage der positiven und negativen Erkenntnisse differenzieren sie deutlich voneinander, wobei Spann und Jerusalem, die im deutschen 482
Goldscheid, Rudolf (1914) Das Verhältnis der äussern Politik zur innern. Ein Beitrag zur
Soziologie des Weltkrieges und Weltfriedens (Wien und Leipzig: Anzengruber-Verlag Brüder Suschitzky), 16 483
Goldscheid, Rudolf (1914) Das Verhältnis der äussern Politik zur innern, 44
484
Neurath, Otto (1916/1917) 'Methode und Leistungsfähigkeit der Kriegswirtschaftslehre', Archiv für
Sozialpolitik und Sozialwissenschaft 44: 760-785
158 Idealismus verwurzelt sind, sich deutlich näher kommen als dem Sozialisten Goldscheid.. Es ist trotzdem überraschend, wie wenige sozialwissenschaftliche Schriften es über den Krieg gab und nur wenige Forderungen in Österreich nach der sozialwissenschaftlichen und soziologischen Behandlung des Krieges geäußert wurden. Oft sah man Österreich durch den Krieg als gar nicht betroffen an, und man versuchte daher keine grundlegenden Analysen anzustellen.485 Es scheint auch, als ob man keine größeren Veränderungen in der Gesellschaft erwartet hat und den Krieg einfach als eine periodische Erscheinung ohne größeren Einfluss ansah, hoffend, dass „dieser Nebel mit ihren Gespenstern werden ebenso rasch verschwinden [wird], wie die Geisterbeschwörer, deren Spuk nur um Mitternacht gedeiht, wenn die Augen der Menschheit mit Finsternis umhüllt sind.“486 Durch den Krieg kam es aber zur Verschiebung der Interessenslage und aus der neuen Situation entstanden neue Fragen, die die Sozialwissenschaftler beschäftigt haben. Diese waren zum Beispiel die Sozialisierung (Neurath, Lederer, Příbram), die Debatte über das Staatssystem zwischen Kelsen und Adler und andere.487 Auch Wilhelm Jerusalem meinte erst durch den Krieg zur Soziologie hingezogen zu werden und hat im Krieg einen Ansporn für zahlreiche neue soziologische Fragestellungen sehen wollen.488
485
Bezeichnend dafür Ludo Moritz Hartmann, der den Krieg als einen bloßen Konflikt zwischen
England und Russland bezeichnete. Siehe sein Vorwort zu Rignano, Eugenio (1916) Die Kriegsursachen und die Friedenssache (Zürich: Art. Institut Orell Füssli) 486
So Über Krieg sprach Mayreder, Rosa (1917) Der typische Verlauf sozialer Bewegungen, 12
487
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 76
488
Jerusalem, Wilhelm (1925) 'Meine Wege und Ziele', 1
159
Zwischen
Fragmentierung
und
Kristallisierung:
Die
Ausgangssituation nach dem Ersten Weltkrieg Die Unterbrechung des soziologischen Diskurses, die, wie Christian Fleck konstatierte489, in Folge des ersten Weltkrieges stattfand, war auf mehreren Ebenen sichtbar. Die publikatorische Tätigkeit blieb mit wenigen Ausnahmen für einige Jahre ausgesetzt, die Konsolidierungsprozesse in den soziologischen Gesellschaften wurden unterbrochen. Trotzdem hat der Bruch der Monarchie und die politische Umschichtung am Anfang der 20-er Jahre, den zwei Auch-Soziologen Hartmann und Jerusalem einen Aufstieg in der akademischen Hierarchie ermöglicht – die Initiative für ihre Beförderung kam von dem Ministerium, entgegen der Fakultät, was ein Spiegelbild der Situation vor dem Krieg war. Ebenfalls hat Max Adler eine Beförderung erhalten, sein weiterer Aufstieg wurde allerdings verhindert. Nach Innsbruck wurde Adolf Günther berufen, der 1923 ein Ordinariat für Politische Ökonomie verliehen bekam und die Gesellschaftslehre bzw. Soziologie in seinen Lehrveranstaltungen propagierte. Er hat bis zu dieser Zeit aber noch keine soziologischen Publikationen aufweisen können. Die wichtigste Neuerung fand mit der Berufung von Othmar Spann an den Lehrstuhl, der nach Phillipovich frei wurde, statt, was eine der letzten Entscheidungen des
alten konservativen Regimes war und die
Fakultät für Jahre bestimmt hat. Die neue Situation hat aber auch die Themen verändert – die Frage der Nationalitätenkonflikte war nach dem Zerfall der Monarchie kein brennendes Problem mehr. Auch wenn die Veränderungen in dem kognitiven Selbstbild der Soziologie langsam stattfanden, was die Kontinuitäten, die bereits oben angesprochen wurden zeigen, so kamen auch neue Stimmen in den Diskurs. Die Soziologie hat auch scheinbar einen Platz unter den anerkannten Fächern, obwohl noch nicht in dem konservativen akademischen Bereich, erhalten. So war etwa bei den Wiener Internationalen Hochschulkursen im September 1923 eine der Gruppen mit „Geschichte, Politik und Soziologie“ betitelt. Unter den Vortragenden waren unter anderem Kelsen, Goldscheid,
489
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 93
160 von Wiese und Příbram – eine Mischung aus sozialistischen und konservativen Gelehrten.490
Othmar Spann und die konservative Gesellschaftslehre Unmittelbar nach dem Krieg wurde an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Othmar Spann eingestellt.491 Spann studierte seit 1898 Philosophie an der Universität Wien, dann die Staatswissenschaften an den Universitäten Zürich, Bern und Tübingen, wo er 1903 bei Schäffle dissertierte. 1904 bis 1907 war er wissenschaftlicher Angestellter der „Centrale für private Fürsorge“ des Sozialfürsorgers Christian Jasper Klumker (18681942) in Frankfurt am Main, tätig, wo er mit der Durchführung empirischer Forschungen betraut wurde. Im Jahr 1907 hat er an der deutschen Technischen Hochschule in Brünn für Volkswirtschaftslehre habilitiert, wo er auch zwischen 1907 und 1909 als Privatdozent tätig war. Danach wurde er 1909 zum außerordentlichen Professor, und 1911 zum ordentlichen Professor der Volkswirtschaftslehre und Statistik, berufen. Während des Krieges versuchte Spann für sein Vaterland zu kämpfen, erwies sich aber als kriegsuntauglich und wurde in das „Wissenschaftliche Komitee für Kriegswirtschaft“ des Kriegsministeriums nach Wien delegiert. Nach dem Ende des Krieges wurde Spann nach Berlin berufen, da er aber auch nach Wien am 30. Januar 1919 für eine Ordentliche Professur der Volkswirtschafts- und Gesellschaftslehre als Nachfolger von Eugen von Phillipovich nominiert wurde, hat er sich für den Verbleib in Österreich entschieden. Seine Berufung wurde vor allem durch den Unterrichtsminister Emerich Czermak forciert. Die Absichten des konservativen Ministers waren, an der Fakultät ein Bollwerk gegen Austromarxismus und Bolschewismus zu errichten. Spann hat sich darüber hinaus durch seinen Kompromiss zwischen Katholizismus und Konservatismus ausgezeichnet, der Czermaks politischer Gesinnung ähnlich war.492 Für seine Berufung hat sich angeblich 490
von Wiese, Leopold (1923) 'Die
Wiener
Internationalen
Hochschulkurse
1923',
Kölner
Zeitschrift: 212-213 491
Zur Spannschen Unterscheidung zwischen Empirismus und Empirizismus vgl. Spann, Othmar
(1930) Gesellschaftslehre. 3., abermals neu bearbeitete Auflage (Leipzig: Quelle & Meyer), 9 492
Knoll, Reinhold (2005) 'Die "Verdrängte" Soziologie: Othmar Spann.' in Benedikt, Michael/Knoll,
Reinhold /Zehetner, Cornelius (Hrsg.), Verdrängter Humanismus - verzögerte Aufklärung. Band V: 460-66
161 auch Příbram bemüht, der Spann als einen Statistiker durchaus schätzte. Dagegen aber war der dem Sozialismus nahe stehende Carl Grünberg, der allerdings seine Einwände gegen die konservative Mehrheit nicht verteidigen hat können.493 Spann publizierte bis zu der Zeitpunkt seiner Berufung bereits Bücher über Statistik, Wirtschaft und Soziologie. Seine wichtigste soziologische Publikation, „Kurzgefasstes System der Gesellschaftslehre“ (ab 2. Auflage 1923 „System der Gesellschaftslehre“), erschien 1914. In dieser hat er den Grundriss seiner philosophischen Ideen dargestellt. Den wichtigsten Punkt des Buches bildet die Auseinandersetzung mit der Spezialdisziplin Soziologie, der Spann ablehnend gegenübersteht. Die Soziologie als eigenständige Wissenschaft beginnt zwar mit Auguste Comte, aber „[w]ir finden eine Gesellschaftslehre schon in den indischen Upanischaden, in der Lehre des Confutius und in den ältesten europäischen Systemen des Idealismus, die uns bekannt sind, nämlich bei Pythagoras und Platon. Später in der Scholastik, Mystik, im deutschen Idealismus.“494 Der Entwicklung der Disziplin steht Spann sehr kritisch gegenüber – vor allem Naturalismus, Psychologisierung mit zu starker Betonung des Individualismus, und auch die bereits von Menzel und Příbram hervorgehobene Politisierung sind für die Soziologie kennzeichnend. Seine eigene „Gesellschaftslehre“ – die er bewusst als Gegensatz zur Soziologie des Austromarxismus mit dem deutschen Begriff betitelt, leitet er von der Aristotelischen Formel „Das ganze ist vor dem Teile“ (Politik, 1. Buch, §11b) ab, die er zur Grundlage aller Wissenschaften macht. Die Definition der Gesellschaftslehre lautet also: „Der Gegenstand der Gesellschaftslehre ist sowohl das gesellschaftliche Ganze als solches, jener der Einzelwissenschaften sind die „Teilganzen“, d.i. die besonderen Seiten, Teilinhalte, z.B. die Religion, Recht, Wirtschaft, die auf verschiedenen Stufen (z.B. Weltreligion, völkische Religion, übervölkisches Recht: Weltwirtschaft, Volkswirtschaft) erscheinen.“495 Die Soziologie, oder, wie Spann es nannte „spezielle Gesellschaftslehre“, hat
die
Gesellschaft als ihren Gegenstand und wird sich vor allem mit der Suche nach Definition
493
Mozetič, Gerald (1991) 'Österreichische Soziologie? Einige Bemerkungen zu den Anfängen der
Soziologie in Österreich', AGSÖ Newsletter 5: 1-4 494
Spann, Othmar (1930) Gesellschaftslehre, 42
495
Ebda., 61
162 der Gesellschaft496, ihren zeitlichen Veränderungen, und organischen Zusammenhang zwischen den Teilen, beschäftigen. Methodisch soll die Soziologie nicht induktiv von den Teilen, sondern deduktiv-analytisch von der Ganzheit ausgehen. Trotzdem, im Gegensatz zu Gumplowicz und als Remineszenz des deutschen Idealismus behält das Individuum seine Sonderstellung in dem sozialen Gebilde, es ist zwar sekundär, aber seine Eigenschaften sind trotzdem ausgeprägt und für das Ganze – das auch das einzig reale ist, essenziell.497 Ich will hier den Spannschen „Amalgam aus Idealismus, Männerphantasien, Spätromantik und Zunftordnungen“498 nicht genau besprechen, wollte nur kleine Punkte aufzeichnen, in denen er mit den damaligen Sozialphilosophen Menzel und Příbram einig war. Die Hervorhebung des Ganzen und die Kritik der Individualisierung durch die Idee des Sozialvertrags war für alle drei ein fester Punkt in ihren soziologischen Forschungen. Spann war allerdings der einzige, der eine eigene Schule gründete, obwohl in der von mir behandelten Zeit nur ihre ersten Anzeichen sichtbar waren. Spann gilt als ein Beispiel für einen tribalen Wissenschaftler und das war wahrscheinlich für seine Schule essentiell. In der „Gesellschaftslehre“, und später in dem Buch „Der Wahre Staat“ (1923), gelang Spann zwar kein intellektueller Durchbruch, aber er schuf eine in sich geschlossene Theorie, die von außen her wahrnehmbar war und von allen anderen Strömungen dieser Zeit genug entfernt blieb, um als seine eigenständige Leistung zu gelten. Ein Garant für den Erfolg von Spann war auch, dass er in dem „Zeitgeist“ sehr gut beheimatet war. Durch seinen Deutschnationalismus und Antisemitismus machte er sich in der Generation junger Studenten sehr populär, seine Neigung zu Utopien und zur Ganzheitslehre, die in dieser
496
Bereits in seiner Dissertation nannte Spann diese Frage als „originelle Frage jeder Soziologie“, Vgl.
Spann, Othmar (1903, 1904, 1905) 'Untersuchungen über den Gesellschaftsbegriff zur Einleitung in die Soziologie', Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 59, 60, 61: 573-596 (1903), 1462-1508 (1904); 1302-1344 und 1427-1460 (1905). Hier 460 497
Zur genaueren Beschreibung der Lehre von Spann vgl. Pichler, Hanns J. (1999) 'Othmar Spann -
sein Werk und Wirken', in Rill, Robert/Zellenberg, Ulrich E. (Hrsg.), Konservatismus in Österreich: Strömungen, Ideen, Personen und Vereinigungen von den Anfängen bis heute (Graz, Stuttgart: Leopold Stocker): 245-254 498
Müller, Karl H. (1999) 'Sozialwissenschaftliche Kreativität in der Ersten und in der Zweiten
Republik', 37
163 Zeit gesucht wurden, haben ihm Anerkennung garantiert499, sein Bezug auf das Christentum hat ihm den politischen Einfluss gesichert.500 In der Wissenschaftslandschaft sind seine Einflüsse zwar im Vergleich zur politischen Arena vergleichsweise gering, aber immerhin gelang es Spann nicht nur Wilhelm Andrae die Position des Ordinarius zu sichern, sondern auch weiteren Schülern: Jacob Baxa, Erich Voegelin, Walter Heinrich und Johann Sauter zum Extraordinarier zu verhelfen, was in Vergleich zu anderen Schulen dieser Periode, über seine Bedeutung zeugt.501 Trotzdem, außer bei seinen direkten Schüler und einigen wenigen lobenden Rezensionen, wurden seine Schriften in allen führenden Zeitschriften stark kritisiert. Es war Adolf Menzel, der sein „System der Gesellschaftslehre“ in „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ rezensierte und Spann als einen scharfsinnigen und bedeutenden Denker lobte.502 Dagegen lehnte Leopold von Wiese die Ansichten Spanns als „theoretische Verirrung“ und seine Suche nach dem endgültigen Gesellschaftsbegriff als ein „Missverstehen“ ab.503 In der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ schrieb Karl Egon Nickel über Spanns „Fundament der Volkswirtschaftslehre“ sogar, dass „Stunden bester Arbeitszeit [...] dieser Kritik halber geopfert [wurden], und leider kann das Werk weder den ‚Jüngern der Volkswirtschaftslehre’, noch Wissenschaftlern empfohlen werden, letzteres höchstens zu wirklich anstrengender Gedanken-Gymnastik.“504 Auch der Wiener Oberlandesgerichtsrat Otto Weinberger hat in mehreren Schriften die von Spann und Jacob Baxa vertretene Idee, Adam Müllers Staatslehre sei zur Grundlage ganzheitlicher Staatslehre zu machen, bekämpft. Für ihn stellte die Lehre von Müller 499
Lutz, Raphael (2003) 'Sozialexperten in Deutschland zwischen konservativen Ordnungsdenken und
rassistischer Utopie (1918-1945)', in Hardtwig, Wolfgang (Hrsg.), Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit (München: Oldenbourg): 327-346. Auch Otto Neurath sprach über Neupositionierung der Wissenschaft in Richtung des Utopischen. 500
Spann war zum Beispiel mit Seipel und Dolfuss (1892-1934) eng befreundet.
501
Fleck, Christian (1990) Rund um "Marienthal", 11f
502
Menzel, Adolf (1915) 'Ein System der Gesellschaftslehre', Archiv für Sozialpolitik und
Sozialwissenschaft 39: 832 – 838 503
von Wiese, Leopold (1910) '[Besprechung von]: Spann, Othmar: Wirtschaft und Gesellschaft',
Archiv für Sozialpolitik und Sozialwissenschaft 31: 883-896 504
Nickel, Karl Egon (1919) '[Besprechung von]: Spann, Othmar: Das Fundament der
Volkswirtschaftslehre', Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft LXIV: 279-283
164 „schon in seinem Aufbau als widerspruchsvoll [dar]“ und dürfte sich „auch in der Verfolgung seiner Ideen als unfruchtbar erweisen.“505 Weinberger äußerte sich vor allem kritisch über den Antiempirismus Müllers und Spann, das einen spekulativen Charakter ihrer Theorien und praktische Ergebnislosigkeit mit sich bringt.506 Es ist interessant zu sehen, wie die Kritiker von Spann verteilt sind. Vor allem die analytischen Soziologen und die empirisch arbeitenden Volkswirte haben seine Arbeiten strikt abgelehnt. Seine, bis auf seine Schüler, im Laufe der Zeit immer selteneren Befürworter in der wissenschaftlichen Arena, haben ein konservatives Profil und sind allesamt Gegner der individualistischen Soziologie/Philosophie. Obwohl es zu keiner Profilierung der Kritikergruppe gekommen ist – vor allem weil Spann in seiner ganzheitlichen Untersuchungen mehrere Disziplinen vereinte, so sind vor allem die sich sehr ähnelnden Argumente, die die Kritiker verwendet haben, schon ein Beweis für die wahrgenommene theoretische Eigenständigkeit seiner Schule. Auch die Konflikte, die Spann und seine Schüler gefochten haben – vor allem an dem 5. Soziologentag in Wien507, haben dazu beigetragen, dass ihre Homogenität sichtbar und anerkannt bzw. abgelehnt wurde. In diesem Sinne kann man sagen, dass Spann und seine Gefolgschaft das erste „Cluster“ an der Grenze zur österreichischen Soziologie gebildet haben – wobei die Festlegung Spanns für eine mit der Soziologie nicht idente Gesellschaftslehre, sie nicht als einen soziologischen Cluster zu verstehen erlaubt. Es ist sehr interessant zu beobachten, dass Spann und Gumplowicz in dem Wissenschaftlertypus sich sehr ähnlich waren, wobei die Theorien von Gumplowicz zu seiner Zeit politisch umstritten waren und im österreichischen Wissenschaftssystem als 505
Weinberger, Otto (1923) '[Besprechung von]: Baxa, Jacob: Einführung in die romantische
Staatswissenschaft. ' Kölner Zeitschrift 3: 190-193. Hier 193 506
Weinberger, Otto (1924) 'Über die Ursächlichkeit im Ablauf gesellschaftlicher Erscheinungen.
(Kritische Anmerkungen zu den Theorien Othmar Spanns)', Kölner Zeitschrift 4: 85-94., Weinberger, Otto (1924) 'Die Wirtschafts-,
und Gesellschaftslehre
Adam Müllers.' Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft LXXIIX: 394-434 507
Vgl. Möseneder, Michaela (2003) Zur Soziologie einer Institution : Am Beispiel der Rechts- und
staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien zwischen 1918 und 1938 (Unpublizierte Diplomarbeit an der Universität Wien), 67ff, und Knoll, Reinhold (2004) 'Soziologie im Totalitarismus', in Stadler, Friedrich (Hrsg.), Kontinuität und Bruch 1938 - 1945 - 1955. Beiträge zur österreichischen Kultur und Wissenschaftsgeschichte (Münster: LIT): 217-228
165 radikal abgelehnt wurden, ganz im Gegensatz zu positiven Rezeption in Frankreich oder USA. Spann dagegen fand kaum Widerhall außerhalb der Grenzen Österreichs – wobei etwa in Japan und Spanien seine Ideen populär wurden und in Deutschland in gewissen Kreisen auch Anerkennung fanden. Österreich konnte er allerdings die erfolgreichste Schule der Zwischenkriegszeit aufbauen, deren Einflüsse auch bis jetzt sichtbar bleiben. Gerade dieser Gegensatz zeigt, wie wichtig das Umfeld für eine erfolgreiche Schulbildung ist – wobei man zurecht sagen kann, dass Gumplowicz auch keine sonderlichen Bemühungen gemacht hat, um Schüler zu finden.
166
Die Soziologie zwischen von Stein und von Wieser: Ein Überblick als Resümee Die vorliegenden Kapitel haben einen Überblick der Diskurse, Grenzkämpfe, Institutionalisierungsversuche und theoretische Überlegungen, die die neu konstituierende Disziplin betrafen, dargestellt. Sie sollten sowohl die Vielfalt als auch die einheitlichen Aspekte des Diskurses zeigen und vor Augen führen, dass es über „der Soziologie“, die einer Disziplin die sich linear entwickelt hat, kaum die Rede sein kann. Die Visualisierung des beschriebenen Netzwerkes wurde in der
Übersicht 1 dargestellt. Im folgenden
Abschnitt werden die wichtigsten Punkte bezüglich der am Eingang des Textes gestellten methodischen Überlegungen noch einmal gesondert zusammengefasst und die Ergebnisse präsentiert.
Die Semantik: Gesellschaftslehre und Soziologie Die semantische Bedeutung der Soziologie erweist sich als eine der einschneidenden Momente für die gescheiterte Verständigung über die neue Disziplin. Von Anfang an wurde die Soziologie durch ihre Nähe zum Sozialismus und Naturalismus definiert. Die Gesellschaftslehre ist dagegen durch ihre historische Beständigkeit als ein „Fixpunkt“ unumstritten. Diese anfängliche Unterscheidung wird durch die Entwicklung der Soziologie in Österreich im Laufe der Zeit noch bestärkt. Mit Naturalismus wird fälschlicherweise der erste „Soziologe,“ Gumplowicz, in Verbindung gebracht. Seine Nachfolger Ratzenhofer, Hartmann, Eisler, Hertz, Goldscheid etc., sind mehr oder weniger auch in Zusammenhang mit diesem zu stellen und wurden auch so wahrgenommen. Vor allem die konservativen Wissenschaftler haben die Soziologie mit Naturalismus gleichgesetzt – nicht nur Othmar Spann, sondern auch Adolf Menzel und Karl Příbram. Diese Verbindung wurde durch die Behauptungen von Jerusalem und Spann, die Gesellschaftslehre wäre die deutsche Wissenschaft, gestärkt, und durch die Distanzierung die sie in einigen ihrer Schriften betrieben haben.
167
168 Die semantische Verbindung zum Sozialismus wurde auch immer wieder verstärkt. Vor allem die linken Wissenschaftler haben die Soziologie und die Sozialwissenschaften mit Sozialismus gleichgesetzt. Auch wenn diese Nähe bei Adler und Goldscheid am ausgeprägtesten zu sein scheint, wurde die Verbindung zum Sozialismus sogar bei Spann, Gumplowicz etc. mehrmals angesprochen – trotz der Tatsache, dass sich diese Gelehrten von dem Sozialismus mehrmals distanziert haben. Als Verstärker hat die soziale Nähe der Soziologen zu sozialistischen Organisationen gedient, wie etwa bei Jerusalem und Reich die in der Volksbildung tätig waren, und die starke Präsenz der Austromarxisten in der Wiener Soziologischen Gesellschaft. Die konservativen Soziologen wie Menzel und Příbram haben sich nach anfänglicher Ablehnung der Soziologie erst im Laufe der Jahre zu ihrer Befürworter gemacht. Diese Wendung kann allerdings ohne Positionierung des österreichischen Diskurses in den internationalen Debatten nicht erklärt werden
Boundary Work Die Untersuchung der Grenzziehungsprozesse hat zwei wichtige Ergebnisse gebracht, die von dem disziplinären Selbstverständnis der Wissenschaftler und der von ihnen betriebenen Soziologie abhängig sind. Die Prozesse der Grenzziehungen sind bei Ludwig Gumplowicz und beim Konflikt zwischen Eugen Ehrlich und Hans Kelsen am besten sichtbar. Im ersten Fall haben wir mit dem von dem Grazer Soziologen sehr präzise definierten Korpus der Soziologie, einer fest umrissenen Methode und der politischen Implikationen zu tun. Jeder dieser Punkte wird in den Grenzziehungsprozessen angesprochen: Distanzierung von der sozialistischen Version der „angewandten Soziologie“, die Absage an ihre psychologische Grundlage, die methodischen Anspielungen an Neumann-Spallart und Ludo Moritz Hartmann waren allesamt bewusste Akzente, um die eigene Version der Disziplin durchzusetzen. Die „Freundschaft“ mit Gustav Ratzenhofer ist auch als kognitive Unterstützung des eigenen soziologischen “Gruppismus“ in diesem Sinne zu verstehen. Der Konflikt zwischen Ehrlich und Kelsen ist weniger ein Konflikt um die Soziologie, sondern ein Paradigmenstreit um die Macht in der „juridischen community“. Trotzdem ist die Rechtssoziologie Thema des Streites: ob sie als Methode zentral oder nur als eine
169 Hilfsdisziplin in die Rechtswissenschaften einbezogen werden soll. In den Streitartikeln wird auch sichtbar, dass es weniger um den wissenschaftstheoretischen Beweis der Überlegenheit, sondern um die Frage der „credibility“, geht. Beide Konkurrenten führen keine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern konzentrieren ihre Argumentation auf der Professionalität des Gegners – „Kelsenerien“, falsche Zitierung, publizistischer Stil etc. sind Argumente, die zur totalen Deklassierung des Gegners führen sollen und nicht nur seiner Methode. Die „credibility“ die durch Zitierung und Rezensionen „vergeben“ wird, war bei den Soziologen eines der größten Probleme. Vor allem die Zitation, deren System bei den vielen „populärwissenschaftlichen“ Werken zur Soziologie nur brüchig angewendet wurde, ließ kaum „Cluster“ erkennen. Auch haben nur wenige Soziologen es geschafft von NichtSoziologen anerkannt und zitiert zu werden. In den Rezensionen ergibt sich ein differenziertes Bild. Gumplowicz und Ratzenhofer wurden meistens negativ bewertet, die Bücher von Ehrlich, Jerusalem und Goldscheid wurden unterschiedlich besprochen, so dass man sagen kann, dass ihnen die „credibility“ von einer Seite der „scientific community“ vergeben wurde und von der anderen verwehrt. Die soziologischen Schriften von Hertz, Hartmann und Eisler wurden in den soziologischen Fachzeitschriften weitgehend unberücksichtigt. Die Versuche, die Soziologie aus dem Sichtpunkt anderer Disziplinen herabzusetzen, waren vor allem darauf gerichtet, eigene Überlegenheit auf dem Feld das die Soziologie für sich beansprucht hat (oder auch potentielle Felder, die in den Grenzbereichen lagen) zu demonstrieren. Hier wurde vor allem die Strategie der Grenzziehung als Spezialisierung betrieben, indem man zeigen wollte, dass die Soziologie einen eigenen Bereich und eine eigene Methode hat, die betroffene Wissenschaft sich von dieser Unterscheidet und im Sinne der Wissensvermehrung durch Arbeitsteilung es am effizientesten wäre, wenn es zu keiner Vermengung kommen würde, sondern nur eine punktuelle Zusammenarbeit bestehen blieb.
Die „Disziplinierung“: Kognitive Komponente Auf dem Gebiet der kognitiven Stabilisierung blieb die soziologische community in Österreich
in
einem
sehr
heterogenen
Zustand.
Mit
Ausnahme
von
Spanns
170 Gesellschaftslehre kann man keines der bis 1925 erschienen Bücher, als ein systematisches Lehrbuch beschreiben. Die wenigen, die zu diesem Status aspirieren hätten können – wie Publikationen von Hartmann, oder Eisler, hatten aufgrund mehrerer Mängel diese Rolle nicht übernommen. Die besten Voraussetzungen um zu Lehrbüchern zu werden, hatten die Publikationen von Gumplowicz und Ehrlich, die qualitativ den Kritierien am besten entsprochen haben. Dieses wurde durch die mangelnde soziale Einbindung beider Gelehrten nicht möglich. Sie haben es weder in ihrer eigenen Lehrveranstaltungen zur Grundlage machen können, noch gab es eine entsprechende „community“ die ihre Publikationen zur Grundlage weiterer Forschung verwenden würde. Die Frage der soziologischen Fragestellungen wurde teilweise bei der „Boundary Work“ angesprochen. Die mangelhafte Definition der „Soziologie“ hat sie bei mehreren Autoren zu einer Metawissenschaft gemacht, die alles behandeln soll. Ein Gros der Autoren hat sie auch nur beiläufig angewendet und gar keine Proflilierung angestrebt. Dagegen wurden nur wenige methodisch-thematische Spezifizierungen vorgenommen – vor allem von Gumplowicz, Ehrlich und von Wieser. Die thematischen Knotenpunkte waren zuerst die Frage der Nationalität – die Gumplowicz, Bauer, Renner und Hartmann behandelt haben, dann die Frage der Erkenntnistheorie – die Adler, Jerusalem und Reich angesprochen haben. Dagegen wurden mehrere Fragen behandelt, die nur bei jeweils einem Soziologen Eingang fanden – wie Ethik-, und politische Soziologie bei Ratzenhofer, Finanzsoziologie bei Goldscheid, Kunstsoziologie bei Reich etc. Alle diese Fragen wurden auch oft interdisziplinär ausgearbeitet, ohne dass der soziologische Kern hervorgehoben wurde. Diese außerordentliche Kreativität, die meistens als Positivum gesehen wird508, erweist sich in diesem Fall als ein sehr negativer Faktor, der für die Disziplinierung kontraproduktiv wirkt. So ist auch die ausgeprägte Individualität und Egoismus zu beurteilen – Ehrlich, von Wieser, Goldscheid u.a., haben ihre Quellen meistens nicht angegeben, was die Bezüge und kognitive Kontinuitäten unsichtbar macht. Dass dieses Prozedere auch nicht zum „Bon Ton“ der Verhaltensregeln der „scientific community“ gehört, wurde auch in vielen Rezensionen und Besprechungen dieser Autoren hervorgehoben. 508
Müller, Karl H. (1999) 'Sozialwissenschaftliche Kreativität in der Ersten und in der Zweiten
Republik'
171 Auch die Ausbildung historischer Identität wurde durch die Mannigfaltigkeit der Richtungen verhindert. Die Distanzierung von den soziologischen Gründerväter – Comte und Spencer, und auch der Distanz zu von Stein, Schäffle und Gumplowicz, die kaum als „Vorgänger“ genannt werden, wurde oft mit der Suche nach Protosoziologen kompensiert. Diese Rückbezüge reichten von Kallikles oder Giambattista Vico (1668-1774) bei Menzel, Aristoteles (384-322 v. Chr.), Heiliger Thomas von Aquino (1225-1274) (Spann), Ibn Chaldun (1332-1406) (Gumplowicz), zu Niccolò Machiavelli (1469-1527) (Reich) um nur einige wenige zu nennen. Von den österreichischen Soziologen wurde am häufigsten auf Lorenz von Stein als Gründervater verwiesen – also an einem Gelehrten, dessen „Soziologie“ sehr wage blieb. Bis zum Ende der Untersuchungsperiode hat sich aber kein stabiler Kern der Vorgänger, an deren Leistungen Soziologie zu knüpfen hätte, herausgebildet, sondern jeder Wissenschaftler konstruierte seine eigene Vergangenheit neu und unabhängig von den anderen.
Die „Disziplinierung“: Soziale Komponente
Der soziale Zusammenhang der österreichischen soziologischen community ähnelt in seiner Heterogenität der kognitiven Vielfalt. Die ersten soziologischen Gesellschaften, die nach der Jahrhundertwende in Wien und Graz entstanden sind, haben durch ihre politische und wissenschaftliche Positionierung kaum als Knotenpunkte fungieren können. Obwohl die popularisierende Wirkung vorhanden ist und teilweise wissenschaftliche Akzente gesetzt worden sind, ist das Resultat in Vergleich zur
Deutschen Gesellschaft für
Soziologie und dem Französischen Gegenpart nicht vergleichbar. Es konnte sich weder ein Dachverband, der die Soziologen verbinden würde etablieren, noch eine Plattform wo sie miteinander ins persönliche Kontakt treten konnten herausbilden. Durch die fehlende akademische Verankerung kamen auch keine Lehrer-Schüler Beziehungen zustande. Dieser Zustand wurde dadurch verschlechtert, dass keiner der sich mit der Soziologie beschäftigenden Gelehrten – bis auf Max Adler, der in seiner venia „Gesellschaftslehre“ hatte, diese Bezeichnung offiziell an der Universität vertreten hat. Bis auf wenige Ausnahmen, wurde die Soziologie offiziell an den Universitäten in den Lehrveranstaltungen nicht angeboten. Die Tätigkeit der einzigen soziologischen
172 „Wissensmakler“509, die sich für die Propagierung der Disziplin an der Universität bemühten – Adolf Menzel und Hans Kelsen, setzte erst später ein, und wurde mit starken Gegenwind seitens der Spannschen Gesellschaftslehre konfrontiert. Die Ausbildung einer Kritikergruppe wurde ebenfalls nicht erreicht, obwohl ihre Anzeichen punktuell zu finden sind. Obwohl oberflächlich gesehen die soziologischen Schriften doch von einer homogenen Gruppe von Personen besprochen wurden, so ist dieses nur mit der Tatsache zu verknüpfen, dass die Medien immer die gleichen waren. Der Kreis der Rezensenten rekrutierte sich aus dem breiten Bereich der Sozialwissenschaften, nur wenige Personen haben mehrere österreichische soziologische Schriften besprochen. Auch wenn hier über Sozialwissenschaft als Rekrutierungsfeld die Rede ist, so waren es auch vor allem sozialwissenschaftlich profilierte Gelehrte aus den Spezialdisziplinen, die die Schriften ihrer österreichischen Kollegen besprachen. Als Ausnahmen von diesem Muster kann man vor allem bei Ehrlichs Rechtssoziologie sprechen, die mit relativ stabilen Antagonisten- und Protagonistengruppen konfrontiert war, ebenfalls haben die konservative
Soziologie
bei
Menzel
bzw.
die
Gesellschaftslehre
bei
Spann
Rezensentencluster gebildet. Von dem Besprechungsmuster, waren es auch vor allem Spann und Menzel, die auf soziologische Schriften spezialisiert waren. Bei allen anderen haben die Rezensionen aus ihrem Ursprung-, bzw. offiziellen Disziplinen Großteils der Aufmerksamkeit genommen: so etwa die Staatslehre bei Gumplowicz oder die Geschichte bei Hartmann. Die Privatgelehrten, wie Eisler oder Goldscheid, hatten kaum Rezensionsmöglichkeit.
Neue Ergebisse und offene Fragen In Vergleich zu anderen Studien wurde hier der Schwerpunkt weniger auf die Methodik und eigene Wahrnehmung gesetzt, sondern auf die diskursanalytischen Komponenten. Aus diesem Blickwinkel gelang es zu zeigen, dass mehrere Personen, die in bisherigen Disziplingeschichten als Soziologen behandelt wurden, für die Entwicklung der Soziologie 509
Fleck, Christian (2004) 'Paul F. Lazarsfelds Weg vom "distinguished foreigner" über den
"undesirable alien" zum Professor', in Balog, Andreas / Mozetič, Gerald (Hrsg.), Soziologie in und aus Wien: 129-166. In der Netzwerktheorie auch „Gatekeeper“ benannt.
173 negative Auswirkungen hatten. Vor allem was Carl Menger und Hans Kelsen betrifft, wurde ihre Rolle für die Konstituierung sozialer Einheit der Soziologie aufgrund neuer Ergebnisse infrage gestellt. Es wurde allerdings auch dargestellt, dass es bereits methodische Konflikte im Umfeld der Soziologie gegeben hat, die aber nicht zu erhofften Ergebnissen geführt haben. Auch diese Tatsache wurde in den bisherigen Arbeiten wenig berücksichtigt. Was die kognitive Entwicklung anlangt, wurde die Bedeutung, den bis dato kaum mit der Soziologie in Verbindung gebrachten Anton Menger und Emil Reich aufgewertet und auch die Bedeutung von Ludwig von Stein und Alfred Schäffle als soziologische Gründerväter wurde stärker als es in anderen Studien der Fall war hervorgehoben. Für die Beantwortung aller hier aufgestellten Fragen sind allerdings weitere Forschungen vonnöten. Vor allem was die politische Auseinandersetzung mit der Soziologie anbelangt wurden noch kaum Untersuchungen gemacht. Von grundsätzlichem Interesse würde auch die Analyse der Dissertationen, die an den Universitäten über Soziologie geschrieben worden sind, sein, um die wissenschaftlichen Debatten, die zu der Zeit geführt worden sind noch zu verdeutlichen.510
Die „Disziplinierung“: Endergebnis Wenn wir das von Mullins entwickelte, idealtypische Modell der Entwicklung der wissenschaftlichen Disziplin, mit der Entwicklung der Soziologie in Österreich vergleichen, so wird ersichtlich, dass es bis nach dem ersten Weltkrieg kein Cluster ausgebildet wurde. Trotzdem kann man, vor allem dank der Wiener Soziologischen Gesellschaft einen Übergang von der Paradigma ins Netzwerk-Stadium konstatieren. Wohlgemerkt lag diesem Netzwerk kein kognitiv elaboriertes Konzept der Disziplin – sowohl was die Methode als auch die Thematik betrifft, zugrunde, sondern eine Überzeugung, dass die
„Soziologisierung“ bzw. „Sozialwissenschaftlisierung“ der
jeweiligen Disziplinen für ihre Entwicklung essentiell ist. Dieses Netzwerk verfügte aber 510
So ist etwa die Dissertation von Emilie Michl, die 1910 an der Philosophischen Fakultät abgelegt
worden ist und von Reininger und Stöhr begutachtet wurde, ein Pamphlet gegen die Soziologie – aber sehr wohl für die Gesellschaftslehre.
174 nicht über eine akademische Verankerung, und hat vor allem in der Arena der Populärwissenschaft, Anerkennung gefunden. In der Periode nach dem ersten Weltkrieg kam es zur Ausbildung eines ersten Clusters in der „Soziologie“ – der Gesellschaftslehre. Durch eine Kombination aus prägnanten Thesen und akademischer Machtstellung gelang es Othmar Spann eine erfolgreiche kognitive und soziale Einheit zu schaffen, die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges relativ stabil blieb. Allerdings war sein Konzept anti-soziologisch und antiempirisch, und hat durch seine Machtstellung der Etablierung einer Soziologie in Wien mehr geschadet, als sich ihr nutzbar gemacht. Die Gründe für die ausgebliebene Soziologie sind, so das Ergebnis dieser Studie, nicht ausschließlich auf der sozialen Ebene zu suchen, sondern vielmehr ist es zugleich die kognitive Schwäche der Soziologen und fehlendes Interesse an der „Soziologie,“ sowohl seitens der Austromarxisten als auch der Konservativen. Die einen benutzten die Soziologie sehr wohl zu ihrem Zwecke, waren an der wissenschaftlichen Entwicklung allerdings
nicht
sonderlich
interessiert,
die
anderen
hatten
erstens
eher
die
Gesellschaftslehre der Soziologie vorgezogen und zweitens haben sie die semantisch links besetzte Soziologie sichtbar gemieden, was allerdings nach dem Ersten Weltkrieg abschwächte. In den ersten Jahren ihres Bestehens hatte die Soziologie mit gleichen Problemen zu kämpfen und wurde von mehreren Seiten angegriffen – vor allem seitens der Disziplinen mit denen sie in Konflikt zu geraten drohte. Seltene Bestätigungen der Identität von Außen, wie von Neumann-Spallart und Žižek, haben keineswegs ein Gegengewicht zur Kritik geschaffen. Dazu kommt noch das fehlende „credibility“, das nicht nur durch die Ablehnung seitens der „Außenstehenden“, sondern auch durch die negativen Rezensionen der Soziologen untereinander, und die zahlreichen Konflikte innerhalb der Noch-nichtDisziplin, verursacht wurde.
175
Literaturverzeichnis Abkürzungen: AGSÖ Newsletter: Archiv zur Geschichte der Soziologie in Österreich: Newsletter FDÖP: Forschungsstelle und das Dokumentationszentrums für österreichische Philosophie Graz Grünbergs Archiv: Grünbergs Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung Grünhuts Zeitschrift: Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart Kölner Zeitschrift: Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaft (1921-1922), Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie Statistische Monatsschrift (1923-1933/34), Kölner Zeitschrift für Soziologie (1948-1955) bzw. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (1956ff) Schmollers Jahrbuch: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft Statistische Monatsschrift: Statistische Monatsschrift Herausgegeben von der k.k. Statistischen Zentral-Kommision UA Wien: Archiv der Universität Wien Verzeichnis unpublizierter Quellen: Akt Wilhelm Jerusalem (Fundort: FDÖP), darin: Jerusalem an Jodl, 16.12. 1911 und Jerusalem an James, 30.06.1903 Lehrkanzelbesetzung Pädagogik nach Höfler (+ 26.2.1922), Phs 34.4 (Fundort: UA Wien) Personalakte Hartmann, Ludo Moritz (Fundort: UA Wien) Personalakte Jerusalem, Wilhelm (Fundort: UA Wien) Personalakte Masaryk, Thomas Garrique (Fundort: UA Wien) Vorlesungsverzeichnisse der Universität Wien Literatur: N.N. (1895) Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. PhilosophischHistorische Klasse XXXI. N.N. (1899) Anzeiger der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. PhilosophischHistorische Klasse XXXVI. N.N. (1906) 'Anton Menger (Nekrolog)', Grünhuts Zeitschrift 33: 784-788. N.N. (1907) Statuten des soziologischen Gesellschaft (Wien: Fischer). N.N. (1915) Festschrift für Wilhelm Jerusalem zu seinem 60. Geburtstag von Freuden, Verehrern und Schülern (Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller). Anonym, [Ehrlich, Eugen] (1891) 'Die soziale Frage und die Rechtsordnung', Die neue Zeit IX/2: 430-438, 476-480, 539-544. Anonym, [Savorgan, Franco] (1909) 'Soziologische Gesellschaft in Wien', Monatsschrift für Soziologie Januar: 58-60. Acham, Karl (1995) 'Ludwig Gumplowicz und der Beginn der soziologischen Konflikttheorie im Österreich um Jahrhundertwende', in Rupp-Eisenreich, Britta and Stagl, Justin (Hrsg.), Kulturwissenschaften im Vielvölkerstaat: Zur Geschichte der Ethnologie und verwandter Gebiete in Österreich, ca.1780 bis 1918 (Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag): 170-207. Adler, Max (1914) 'Der soziale Sinn der Lehre von Karl Marx', Grünbergs Archiv 4: 1-29. Ders. (1914) Der soziologische Sinn der Lehre von Karl Marx (Leipzig: C.L. Hirschfeld).
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Lebenslauf SURMAN JAN JAKUB Persönliche Daten: Geschlecht: Männlich Staatsangehörigkeit: Polen Geburtsdatum: 20. April 1983 Geburtsort: Krakau
Ausbildung: 1989-1997 Volksschule namens Komisji Edukacji Narodowej in Sułkowice 1997-2001 Liceum im. Marii Curie-Skłodowskiej w Andrychowie (Algemeinbildenede Hochschule namens Marie Curie-Skłodowska in Anrychów) 2001 Abitur 2001-2006 Studium der Soziologie an der Universität Wien Seit 2003 Studium der Geschichte an der Universität Wien
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Report "(Diplomabeit) Zwischen Sozialismus und Gesellschaftslehre: Die \'Disziplinierung\' der Soziologie in Österreich vor 1918. Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien, Wien 2006. "