Dionysius von Halikarnass, Römische Frühgeschichte. Bd. 1: Bücher 1-3, eingeleitet, aus dem Altgriechischen ins Deutsche übersetzt und kommentiert von N. Wiater. Bibliothek der griechischen Literatur 75. Stuttgart 2014

July 4, 2017 | Author: Nicolas Wiater | Category: Ancient Greek Historiography
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BIBLIOTHEK DER GRIECHISCHEN LITERATUR

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ISSN 0340 – 7853 · BAND 75

BIBLIOTHEK DER GRIECHISCHEN

HERAUSGEGEBEN VON

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LITERATUR

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WOLFRAM KINZIG UND MISCHA MEIER

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BEGRÜNDET VON PETER WIRTH

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BAND 75

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EIN BAND DER

ABTEILUNG KLASSISCHE PHILOLOGIE

VON MISCHA MEIER

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HERAUSGEGEBEN

A N T O N H I E R S E M A N N S T U T T G A RT 2014

DIONYSIUS VON HALIKARNASS

Römische Frühgeschichte

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BAND 1

E I N G E L E I T E T, Ü B E R S E T Z T U N D K O M M E N T I E RT

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BÜCHER 1 BIS 3

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V O N N I C O L A S W I AT E R

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Meinen Lehrern Herbert Heinzen und Elmar Gonsior

ISBN 978-3-7772-1403-0 (Gesamtwerk)

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ISBN 978-3-7772-1404-7 (Band I)

Printed in Germany © 2014 Anton Hiersemann KG, Stuttgart

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Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses urheberrechtlich geschützte Werk oder Teile daraus in einem fotomechanischen, audiovisuellen oder sonstigen Verfahren zu vervielfältigen und zu verbreiten. Diese Genehmigungspflicht gilt ausdrücklich auch für die Speicherung, Verarbeitung, Wiedergabe und Verbreitung mittels Datenverarbeitungsanlagen und elektronischer Kommunikationssysteme.

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Dieses Buch ist auf holzfreiem, säurefreiem und alterungsbeständigem Papier gedruckt. Satz und Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Einband: LD Buch GmbH, Heppenheim Einbandgestaltung von Alfred Finsterer (†), Stuttgart

INHALT

VII

EINLEITUNG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dionysius von Halikarnass – Leben, Werk und historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die «Römische Frühgeschichte» des Dionysius . . . . . . . . . . . . . 3. Die Prinzipien dieser Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung: Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Buches (169) Die Verfassung des Romulus (171) Weitere auf Romulus zurückgehende Einrichtungen, Regelungen und Institutionen (197) Die Massenentführung der Jungfrauen und ihre Folgen (204) Romulus besiegt die Bewohner Caeninas und Antemnaes (207) Der Krieg gegen die Einwohner Crustumeriums; zahlreiche weitere Städte schließen sich Romulus an (211) Der Konflikt mit den Sabinern (211) Cures, die Heimatstadt des Tatius; Ursprung der Sabiner (222) Rom unter dem Doppelkönigtum des Romulus und des Titus Tatius (225)

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ÜBERSETZUNG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorrede (59) Die Aboriginer (68) Die Pelasger (78) Die Etrusker (88) Der zweite Griechenzug nach Italien: Euander und die Arkader (93) Der dritte Griechenzug nach Italien: Herakles und seine Gefolgschaft (96) Herakles in Italien (102) Die Trojanischen Ursprünge Roms (108) Die Vorgängerstädte Roms (131) Der Zeitpunkt der Gründung Roms (142) Identität, Abstammung und Schicksal der Gründer Roms (148) Die Gründung der Stadt (162) Zusammenfassung und Schluss (167)

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Die zweite Alleinherrschaft des Romulus (229) Der Tod des Romulus (233) Das Interregnum nach dem Tod des Romulus (234) Numa Pompilius (235) 261

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3. Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tullus Hostilius (261) Ancus Marcius (317) Lucius Tarquinius (327)

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INDEX DER WICHTIGSTEN PERSONEN, NAMEN UND SACHEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VORWORT

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Als der Verlag Anton Hiersemann mit dem Vorschlag einer neuen deutschen Übersetzung der Römischen Frühgeschichte des Dionysius von Halikarnass an mich herantrat, erklärte ich mich mit Freuden zu dieser Aufgabe bereit. Das Werk des Dionysius ist ein wichtiges Dokument der griechischen Kultur des frühen Prinzipats und verdient, einem größeren Kreis deutscher Leser zugänglich gemacht zu werden. Bisher stand dem des Griechischen nicht mächtigen Leser nur eine mittlerweile veraltete deutsche Übersetzung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Verfügung, die überdies nur sehr schwierig greifbar ist, da Neuauflagen fehlen. Daneben steht die gut verfügbare, mittlerweile aber auch schon ein gutes halbes Jahrhundert alte englische Übersetzung Carys in der Loeb Classical Library. Einzig in Frankreich hat man sich mit der Neuedition und Übersetzung der Römischen Frühgeschichte, von der allerdings erst der erste und der dritte Band erschienen sind, auch in jüngerer Zeit um das Geschichtswerk des Dionysius verdient gemacht. Diese neue Gesamtübersetzung, von der hiermit der erste Band mit den Büchern 1 bis 3 vorgelegt wird, darf also hoffen, in gewissem Sinne Pionierarbeit zu leisten. Sie will nicht nur den Text des Dionysius dem deutschen Leser erstmals überhaupt wieder zugänglich machen; ihr Anliegen ist auch, durch die ausführliche Einleitung die Römische Frühgeschichte im Gesamtschaffen des Dionysius und seinem kulturellen Kontext im Augusteischen Rom zu verorten. Die Anmerkungen schließlich liefern neben wichtigen Sacherklärungen auch Erläuterungen von die Textinterpretation betreffenden Fragen; dem am griechischen Originaltext arbeitenden Leser bieten sie überdies zu den entscheidenden Stellen eine textkritische Auseinandersetzung mit dem Griechischen auf der Grundlage der verfügbaren Editionen. Die Fertigstellung dieses ersten Bandes hat länger gedauert, als Übersetzer und Verlag ursprünglich geplant hatten. Der Wechsel an die University of St Andrews und die vielfältigen neuen, damit verbundenen Aufgaben haben dazu ihren nicht unerheblichen Teil beigetragen. Umso mehr möchte ich mich an dieser Stelle beim Verlag, allen voran Herrn Dr. Axel Dornemann, für die Geduld, das Vertrauen und den stetigen positiven Zuspruch wie überhaupt die vorbildliche Betreuung bedanken. VII

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St Andrews im Dezember 2013

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Mein Bruder Benjamin hat das gesamte deutsche Manuskript als kritischer Testleser akribisch durchgearbeitet und an zahlreichen Stellen entscheidende Hinweise zur Verbesserung der deutschen Formulierungen beigetragen. Auch ihm gebührt mein herzlicher Dank. Meine Frau Pamela Hutcheson hat dieses wie so viele andere größere und kleinere Projekte durch ihre beständige Anteilnahme, ihren stetigen Zuspruch und ihr liebevolles Verständnis für die vielen Tages-, Abend- und Nachtstunden gefördert, die ich mit Dionysius von Halikarnass statt mit ihr verbracht habe. Widmen möchte ich diese Arbeit meinen Latein- und Griechischlehrern am Kopernikus-Gymnasium Niederkassel, Herrn Elmar Gonsior und Herrn Herbert Heinzen. Sie haben mein Interesse an den alten Sprachen über viele Jahre hindurch in vielerlei Weise gefördert, mir den Reichtum des Lateinischen und Griechischen erschlossen und mir Grundlagen im Umgang mit den Sprachen vermittelt, von denen ich noch heute profitiere. Wie viel ich Ihnen verdanke, ist mir bei der Arbeit mit dem Text des Dionysius jeden Tag aufs Neue deutlich geworden. N. W.

EINLEITUNG

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Obwohl das umfangreiche Werk des Dionysius von Halikarnass ihn als einen hochgebildeten und äußerst produktiven Autor ausweist, der für unser Verständnis der Entwicklung der griechischen Kultur in der römischen Kaiserzeit von großer Bedeutung ist, dürfte über ihn außerhalb der Fachwissenschaft nach wie vor nur sehr wenig bekannt sein. Aufgabe dieser Einleitung soll es sein, den Leser an Dionysius’ großes historisches Werk, die Römische Frühgeschichte, heranzuführen, indem diese zum sonstigen Schaffen des Dionysius in Bezug gesetzt und in ihren größeren historischen und sozio-kulturellen Kontext eingeordnet wird. Die Römische Frühgeschichte war nur ein Teil des umfangreichen Œuvres des Dionysius. Bekannt ist er vor allem als führender Vertreter des griechischen Klassizismus im Augusteischen Rom, einer Bewegung bestehend aus Griechen und Römern, die es sich zur Aufgabe macht, den Stil der griechischen Autoren der klassischen Zeit wieder als verbindliche Grundlage literarischen Schaffens zu etablieren. Der Römischen Frühgeschichte steht daher eine Reihe literarkritischer Abhandlungen an der Seite, in denen Dionysius die Werke der klassischen griechischen Autoren diskutierte und analysierte, um daraus die Prinzipien des klassischen ästhetischen Ideals wiederzugewinnen. Im Folgenden wird nach einer knappen Skizze der Entwicklung des römisch-griechischen Kulturaustauschs (1.1) zunächst Dionysius’ Tätigkeit als Experte des klassischen Stils im Rahmen seines klassizistischen Intellektuellenzirkels beleuchtet (1.2). Die klassizistische Weltanschauung des Dionysius bildet die Grundlage, auf der auch sein historisches Werk erst vollkommen verständlich wird. Das zweite Kapitel wird sich daraufhin der Römischen Frühgeschichte zuwenden. Hier sollen die wichtigsten Themen, Ansätze und Ideen herausgearbeitet werden, welche die historische Darstellung des Dionysius bestimmen und deren Kenntnis für die Lektüre des Werkes unerlässlich ist. Dabei wird immer wieder auch der Bezug zu zeitgenössischen Debatten und Kontroversen deutlich gemacht, um ein angemessenes Verständnis des historischen Projekts des Dionysius als Teil der Kultur seiner Zeit zu ermöglichen (2.1). Diese Erörterungen werden durch eine Diskussion des historischen Wertes der Römischen Frühgeschichte ergänzt (2.2). 1

EINLEITUNG

Die Einleitung schließt mit einer knappen Charakteristik des Stils des Werkes, die sich sinnvoll mit einer Darlegung der Prinzipien der vorliegenden Übersetzung verknüpfen ließ (3).

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1. Dionysius von Halikarnass – Leben, Werk und historischer Hintergrund

1.1. Griechische Intellektuelle in Rom: eine Skizze

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Neben den Namen der großen lateinischen Dichter, die unsere Vorstellung Roms in Augusteischer Zeit seit Schulzeiten prägen, neben Vergil, Horaz, Ovid, Properz und vielleicht auch Livius, vergisst sich leicht, dass Rom unter Augustus auch ein florierendes Zentrum griechischer Kultur und Literatur war. Schon seit dem dritten Jahrhundert v. Chr., als die Römer in größerem Umfang im griechischen Osten des Mittelmeerraumes militärisch aktiv wurden, war Rom mehr und mehr als politische Macht in das Bewusstsein der Griechen getreten und hatten sich die Beziehungen zwischen Rom und den hellenistischen Monarchien immer mehr intensiviert. Schon um die Mitte des zweiten Jahrhunderts bezeugt das Werk des Polybius von Megalopolis, der als einer von 1000 Achaiern als politische Geisel nach Rom verbracht worden und dort in ein enges Verhältnis zur Familie der Scipionen getreten war, dass Griechen sich bewusst waren, dass die Entwicklung des römischen Reiches die politische und kulturelle Landschaft ihrer Welt fundamental verändert hatte.1 Rom faszinierte, polarisierte und machte Angst. Schreckensgeschichten von der Eroberung von Syrakus, der Einnahme und Plünderung Korinths und der Zerstörung Karthagos, die anderen Völkern emblematisch das Zerstörungspotential römischer Macht vor Augen führten, waren den Auf das Verhältnis von Griechen und Römern im Allgemeinen kann hier aus Platzgründen nur sehr kursorisch eingegangen werden. Zu Polybius s. jetzt die knappe und informative Darstellung von Dreyer (2011) mit weiterführender Literatur. Die Historien des Polybius sind auf Deutsch in der von Hans Drexler besorgten Übersetzung greifbar (2 Bde. Zürich / München 2. Aufl. 1978 – 1979). Eine ausführliche Darstellung der hellenistischen Geschichte, die auch die Interaktion mit den Römern konsequent miteinbezieht, bietet Green (1990); weniger umfangreich, doch fundiert Errington (2008). Eine großangelegte Untersuchung des Einflusses Roms auf die griechische Welt ist Gruen (1984).

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1. DIONYSIUS VON HALIKARNASS – LEBEN, WERK UND HISTORISCHER HINTERGRUND

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Die katastrophischen Ausmaße dieser Ereignisse und ihr traumatisierender Effekt auf das kollektive Bewusstsein der Griechen lassen sich auch noch in der verstümmelten Darstellung des Polybius nachvollziehen, obschon sich dieser um eine ausgeglichene Beurteilung der Geschehnisse bemüht und das Verhalten der Römer eher günstig beurteilt. Die entsprechenden Passagen in seinen Historien sind 8,37 (Einnahme von Syrakus), 38,1 – 4 und 9 – 18 (Zerstörung Korinths und der katastrophale Krieg der Achaier gegen Rom) sowie 38,19 – 22 (Fall Karthagos). Für die Zeit bis 200 v. Chr. sind die Verträge mit Kommentar und (älterer) Literatur bequem zugänglich in dem von Hatto H. Schmitt herausgegebenen dritten Band der Staatsverträge des Altertums: Die Verträge der griechisch-römischen Welt von 338 bis 200 v. Chr. München 1969. Eine gute Auswahl relevanter Inschriften ist im Original mit englischer Übersetzung und Kommentar greifbar in Robert K. Sherk, Roman Documents from the Greek East. Senatus Consulta and Epistulae to the Age of Augustus. Baltimore, MD 1969; nur englische Übersetzung und erklärende Anmerkungen bieten die Bände der Reihe Translated Documents of Greece and Rome, hier die Bände drei, The Hellenistic Age from the Battle of Ipsos to the Death of Kleopatra VII, hg. und übers. von Stanley M. Burstein. Cambridge u. a. 1985, und vier, Rome and the Greek East to the Death of Augustus, hg. und übers. von Robert K. Sherk. Cambridge u. a. 1984.

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Griechen wohlbekannt und weit davon entfernt, reine Erfindung zu sein.2 Doch Rom war auch eine Chance: Hier fanden sich Kapital und politische Macht gepaart mit einem ausgeprägten Interesse an den geistigen Errungenschaften Griechenlands und der Expertise gebildeter Griechen in allen möglichen Bereichen. Die Römer reisten nach Griechenland und Kleinasien, Griechen waren schon allein durch diplomatische Missionen in ständigem Kontakt mit den Römern. So kam es zu einer gegenseitigen kulturellen Beeinflussung, die keinesfalls nur einseitig in einer «Hellenisierung» der Römer resultierte, sondern auch das griechische Denken und die griechische Kultur tiefgreifend veränderte. Die Literatur dieser Zeit ist mit Ausnahme des bereits erwähnten Geschichtswerkes des Polybius, von dessen einst 40 Büchern wir noch fünf vollständig und die übrigen in teilweise ausführlichen Fragmenten haben, nur sehr fragmentarisch erhalten oder ganz verloren gegangen. Auf lokaler Ebene können wir uns immerhin noch durch Inschriften über die Interaktion hellenistischer Monarchen und griechischer Städte mit den Römern einen Überblick verschaffen; auch einige offizielle Dokumente wie Verträge und Vereinbarungen sind uns (vor allem aus späteren Geschichtswerken) überliefert.3 Komplexere kulturelle Vorgänge lassen sich direkt allenfalls noch über umfangreiche Sammlungen kürzerer griechischer Gedichte, sogenannter Epigramme, nachvollziehen, die häufig von Griechen verfasst wurden,

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EINLEITUNG

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die von prominenten Römern protegiert und gefördert wurden;4 darüber hinaus finden sich in späteren Autoren wie etwa Strabon Berichte, die uns Einblick gewähren in die komplexen Formen der Interaktion von Mitgliedern der römischen Oberschicht mit griechischen Literaten, Rednern, Dichtern, Politikern und Intellektuellen, die nicht selten all diese Qualitäten in einer Person vereinten. Besonders in Zeiten der späten römischen Republik, als sich die römische Macht noch weiter konsolidiert hatte, finden wir Griechen, die Römern der höchsten Gesellschaftsschichten symbolisches Kapital in Form von literarischen Werken lieferten, die deren Taten verewigten, und im Gegenzug teilweise großzügige Gegenleistungen erhielten.5 Das Spektrum reichte hier von materiellen Zuwendungen über die Verleihung des begehrten römischen Bürgerrechts bis hin zu führenden politischen Positionen in ihren griechischen oder kleinasiatischen Heimatstädten.6

Griechischer Text mit deutscher Übersetzung in der nach wie vor ausgezeichneten vierbändigen Ausgabe der Anthologia Graeca in der Tusculum-Bücherei, besorgt von Hermann Beckby (2. verb. Aufl. München 1966). Im Verlag Anton Hiersemann Stuttgart hat eine neue Übersetzung der Anthologia Graeca zu erscheinen begonnen. 2011 erschien der erste Teilband mit den Büchern 1 bis 5, hg. von Dirk Uwe Hansen (= Bibliothek der griechischen Literatur, Band 72). Die weiteren Bände folgen 2014 ff. Nach wie vor guter Überblick in Bowersock (1965), 1 – 13. Nur einige Namen können hier beispielshalber genannt werden: Theophanes von Mytilene etwa verfasste ein Geschichtswerk über den Krieg des Pompeius gegen Mithridates und brachte es bis zum praefectus fabrum. Die genauen Aufgaben, die mit dieser ursprünglich militärischen Stellung verbunden waren, sind unklar; in jedem Fall genoss der praefectus fabrum das besondere Vertrauen des Oberbefehlshabers (s. den Überblick in Werner Eck, «praefectus (8)», DNP 10, 2001, Spp. 244 – 245), und Theophanes scheint eine wichtige Rolle als Berater des Pompeius gespielt zu haben. In seiner Heimatstadt Mytilene bekleidete er in der Folge ebenfalls wichtige öffentliche Posten. Eine ganz ähnliche Karrierestruktur lässt sich für zwei andere Mytilener, Potamon und Crinagoras, feststellen. Beide waren Gesandte Mytilenes an C. Iulius Caesar in den Jahren 47 und 45 v. Chr. und an Augustus zwischen 26 und 25 v. Chr. Vor allem von Crinagoras sind zahlreiche Epigramme erhalten, von denen viele auf aktuelle militärische und politische Leistungen der römischen Potentaten Bezug nehmen. S. hierzu jetzt Bowie (2011); die raffinierten und vielschichtigen Deutungen des Verhältnisses von römischer Macht und griechischer Bildung, die die Epigramme durchspielen, sind analysiert von Whitmarsh (2011). Nicht nur Historiographen und Dichter, sondern auch herausragende Redner bekleideten oft führende Positionen in ihren Heimatstädten – nicht zuletzt, weil sie ebenso wie andere Intellektuelle für Gesandtschaften an die Römer oft erste Wahl waren und für diesen Dienst an der Gemeinschaft durch Ehrungen und Privilegien entschädigt wurden; s. dazu Wiater (2011), 95 – 96.

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Vor allem nach den Wirren des Bürgerkrieges, in dem Oktavian zunächst im Verein mit Marcus Antonius die Caesarmörder besiegte und danach seinen ehemaligen Verbündeten bei Actium (31 v. Chr.) vernichtend schlug, zogen die politische Macht, die neugewonnene Stabilität und der materielle Reichtum Roms unter dem neuen Machthaber viele griechische Intellektuelle an. War doch gerade der griechische Osten unter den Bürgerkriegen verheerend in Mitleidenschaft gezogen worden. So entwickelte sich Rom unter dem späteren Caesar Augustus (diesen Titel führte Oktavian ab dem Jahre 27 v. Chr.) zu einer Hochburg griechischer Kultur, in der eine bemerkenswerte Zahl von Geschichtsschreibern, Geographen, Rednern und Redelehrern, Dichtern, Philosophen und Grammatikern permanent oder vorübergehend ihren Tätigkeiten nachging.7

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1.2. Dionysius von Halikarnass und sein klassizistischer Zirkel

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Zu ihnen gehörte auch Dionysius, der nach eigenen Angaben (Ant. Rom. 1,7,2) im Jahre 29 v. Chr. nach Rom kam, «als der Bürgerkrieg vom Erhabenen Caesar zu Ende gebracht worden war». Hierbei handelt es sich um mehr als eine bloße Zeitangabe. Vielmehr assoziiert Dionysius den Beginn seiner intellektuellen und schriftstellerischen Tätigkeit programmatisch mit dem Beginn der neuen Zeit, die man in Rom – nicht zuletzt durch eine nachdrückliche Verbreitung dieser Sichtweise durch den siegreichen Oktavian / Augustus selbst – nach dem Erfolg von Actium angebrochen sah.8 Zu seinen bekanntesten griechischen Zeitgenossen gehörte der Geschichtsschreiber und Geograph Strabon aus Amaseia im kleinasiatischen Pontus (nach 62 v. Chr. – ca. 24 n. Chr.), der uns vor allem durch die fast vollständig erhaltenen 17 Bücher seiner Geographie bekannt ist; sein umfangreiches Geschichtswerk (ursprünglich wohl 47 Bücher), das an die Historien des Polybius anschloss und die römische Geschichte von 145 / 4 v. Chr. bis

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S. die eindrucksvolle Liste griechischer Intellektueller in Rom in der zweiten Hälfte des 1. Jh. v. Chr., die Hidber (2011) zusammengestellt hat. Für ein umfassendes Bild s. Bowersock (1965), 122 – 139. Hierzu ausführlich Zanker (2003), mit besonderer Berücksichtigung des Augusteischen Bauprogrammes, sowie Kienast (1999), 261 – 319.

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EINLEITUNG

Die heutige Standardausgabe der Geographie mit deutscher Übersetzung und kritischem Kommentar wurde von Stefan Radt besorgt (10 Bde. Göttingen 2002 – 2011). Weiterführende Literatur zu Strabon und den folgenden Autoren findet sich in Schmitz / Wiater (2011a). Die Fragmente der Weltgeschichte, einer «Sittengeschichte», der Augustusvita sowie der Autobiographie sind jetzt neu herausgegeben (mit französischer Übersetzung und Anmerkungen) von Francesca P. Barone (Les Belles Lettres, Paris 2011). Die Augustusvita allein ist in der von Jürgen Malitz erstellten zweisprachigen Ausgabe mit Anmerkungen (2. Aufl. Darmstadt 2006) greifbar. S. auch die Diskussion dieses Werkes in Pausch (2011) mit weiterführender Literatur. Zu Timagenes s. Wiater (2011), 101 – 102, 211 – 212. Deutsche Übersetzung der Liebesleiden von Kai Brodersen (Darmstadt 2000); die große wissenschaftliche Ausgabe der Werke des Parthenius mit Einleitung und Kommentar stammt von Jane Lightfoot (Oxford 1999).

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mindestens zum Ende der römischen Bürgerkriege beschrieb, ist hingegen bis auf wenige Fragmente verloren.9 Daneben verkehrten Geschichtsschreiber und Diplomaten wie Nicolaus von Damascus (geb. ca. 64 v. Chr.) regelmäßig in Rom, der als Gesandter des Königs Herodes des Großen in den Jahren 8 und 4 v. Chr. mit Augustus verhandelte und sich später in den Diensten des Prinzeps wohl dauerhaft in der Stadt aufhielt. Nicolaus verfasste neben einer synchronistischen Weltgeschichte von den Anfängen bis zum Tod des Herodes (4 v. Chr.) in ehemals 144 Büchern auch Dramen, philosophische Schriften und vor allem eine Biographie des Augustus, von der umfangreiche Fragmente erhalten sind, sowie eine Autobiographie.10 Zu gewisser Prominenz gelangte auch Timagenes von Alexandrien, der in engem Verhältnis zu Augustus stand und eine Darstellung seiner Taten verfasste, diese jedoch nach einem Zerwürfnis mit dem Prinzeps öffentlich verbrannte und fortan von Asinius Pollio gefördert wurde.11 Auf die wichtige Rolle griechischer Dichter wurde bereits weiter oben eingegangen. Zu nennen sind hier etwa Antipater von Thessaloniki, Crinagoras von Mytilene, Diodor von Sardis und Parthenius von Nicaea, dessen 36 Liebesleiden (Erotika Pathemata) genannte Erzählungen dem bedeutenden römischen Dichter Cornelius Gallus gewidmet sind und dessen Gedichte die lateinischen «Neoteriker» entscheidend beeinflussten.12 Dieser kurze Abriss legt bereits nahe, dass man sich die Existenz dieser griechischen Intellektuellen im Augusteischen Rom keineswegs als «ziemlich obscur» vorstellen darf, wie Eduard Schwartz 1903 in seinem

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Schwartz (1903), Sp. 934. S. Bowersock (1965), 128 – 129. S. die treffende Kritik Halliwells (2002), 13 – 14. S. dazu weiterhin Abschn. 3 unten. In wichtigen Grundtendenzen scheint dieser griechische Klassizismus an einen ähnlichen Diskurs auf römischer Seite anzuknüpfen, in dem Cicero eine wichtige Rolle spielte, der auch unser einziger noch erhaltener Zeuge für diese Kontroverse ist. Hier ging es um die Frage, an welche griechischen Autoren römische Redner stilistisch anknüpfen sollten. Der Gegensatz zwischen «Klassizismus» und «Asianismus», der auch für den Klassizismus des Dionysius zentral ist, ist hier wohl zum ersten Mal aufgekommen (von WilamowitzMoellendorff 1900); es gibt jedoch auch wichtige Unterschiede. Da Textzeugen fehlen,

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einflussreichen Eintrag zu Dionysius in Paulys Realenzyklopädie behauptet hatte.13 Direkte Verbindungen mit Augustus und seiner Familie, wie sie im Falle von Timagenes und Nicolaus vorliegen, scheinen zwar eher die Ausnahme gewesen zu sein. Doch Verbindungen griechischer Intellektueller mit Römern einflussreicher und prominenter Familien waren durchaus keine Seltenheit. Der Förderer Strabons etwa war Aelius Gallus, der zweite Präfekt Ägyptens und aller Wahrscheinlichkeit nach identisch mit dem Stiefvater des Seianus.14 Dass auch Dionysius umfangreiche Kontakte in Rom pflegte, ist uns durch die Widmungsträger seiner oben erwähnten literarkritischen Schriften bekannt. Dionysius war Teil eines Intellektuellenzirkels, der sowohl griechische als auch römische Mitglieder umfasste. Die Mitglieder dieses Zirkels einte das Bestreben, mit ihren eigenen literarischen Werken an die als vorbildlich betrachtete Literatur des klassischen Griechenland anzuknüpfen und dadurch die klassischen Standards in ihrer eigenen Zeit wieder als universell gültig durchzusetzen. Dieser Prozess wird als Mimesis bezeichnet, ein Begriff der mit seiner gewöhnlichen Übersetzung als «Nachahmung» nur sehr unzureichend erfasst ist.15 Konkret ging es dabei um produktives und kreatives literarisches Schaffen im Geiste der klassischen Tradition, nicht um eine sklavische Nachahmung derselben.16 Durch seine literarkritischen Schriften, die der genauen stilistischen, ästhetischen und oftmals auch inhaltlichen Analyse der Werke der großen klassischen griechischen Autoren gewidmet sind, suchte Dionysius die Realisierung dieses Bestrebens zu ermöglichen. Er ist daher neben seinem Zeitgenossen und Bekannten Caecilius von Caleacte der führende Vertreter des unter Augustus auflebenden griechischen Klassizismus.17

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Unter den Adressaten des Dionysius findet sich Quintus Aelius Tubero, ein Rechtsgelehrter und Geschichtsschreiber aus dem Geschlecht der Aelier, dessen Söhne Quintus und Sextus Aelius Catus in den Jahren 11 bzw. 4 v. Chr. Konsuln waren. Von Quintus selbst wissen wir, dass er im Jahre 68 v. Chr. einen Prozess gegen Cicero verlor; sein historisches Werk, in dem er sich vermutlich eng am Stil und der Darstellungsweise des Thucydides zu orientieren suchte, erwähnt Dionysius selbst in seiner Römischen Frühgeschichte.18 Ihm widmet Dionysius seine Abhandlung Über Thucydides. Die Essaysammlung Über die Alten Redner19 sowie zwei Briefe richtet Dionysius an einen gewissen Ammaeus, bei dem es sich mit großer Sicherheit um einen Römer handelt.20 Einen weiteren Brief schreibt Dionysius an einen gewissen Pompeius, der allerdings kein eigentliches Mitglied des engeren Zirkels des Dionysius gewesen ist, sondern über einen gemeinsamen Bekannten dessen Schriften Über die Alten Redner erhalten hatte. Ihn hat man manchmal mit dem

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sind die Zusammenhänge hier im Einzelnen nicht mehr klärbar; s. Dihle (1977); Hidber (1996), 30 – 44; Wisse (1995); de Jonge (2008), 9 – 20; Dihle (2011). Besonders schwierig ist die Frage, ob Dionysius die Schriften des Cicero kannte. Die Annahme ist an sich sehr plausibel und auch jüngst wieder mit guten Argumenten vertreten worden (Hidber [2011]). Da Dionysius den römischen Redner und Politiker jedoch nie erwähnt, kann man keine konkreten Stellen zur Untermauerung dieser Auffassung anführen. Bowersock (1965), 68 – 69, mutmaßte, Dionysius könne mit Ciceros Werken (und dem römischen Attizismus allgemein) über einen seiner römischen Adressaten, Q. Aelius Tubero (s. u.), in Kontakt gekommen sein, doch bleibt dies sehr spekulativ. Sicher ist hingegen, dass der oben erwähnte Caecilius aus dem sizilischen Caleacte mit den Reden Ciceros vertraut war, da wir wissen, dass er einen Vergleich («Synkrisis») der Redekunst Ciceros mit der des Demosthenes verfasste. Von den Werken des Caecilius sind bis auf die Titel keine wesentlichen Teile erhalten. 1,80,3; s. dazu Anm. 164; Bowersock (1965), 129; ders. (1979), 68 – 71. Erhalten sind die Abhandlungen über Lysias, Isocrates und Isaeus. Auch eine umfassende Schrift zu Demosthenes ist überliefert; ob diese ursprünglich zur Sammlung «Über die Alten Redner» gehörte oder als eigenständige Monographie konzipiert war, ist in der Forschung jedoch umstritten. Zu dieser Frage sowie allen weiteren in der Folge diskutierten Gesichtspunkten des Dionysianischen Klassizismus finden sich Diskussionen und umfangreiche Literaturangaben sowohl in Wiater (2011) als auch in Casper de Jonges ausgezeichneter Monographie über die philosophischen, grammatischen, literarkritischen und ästhetiktheoretischen Grundlagen der Anschauungen des Dionysius (de Jonge [2008]). Zur Bedeutung dieser Schriftensammlung für den Dionysianischen Klassizismus s. die Ausführungen unten. Bowersock (1965), 130 Anm. 4.

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1. DIONYSIUS VON HALIKARNASS – LEBEN, WERK UND HISTORISCHER HINTERGRUND

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S. Géminos. Introduction aux phénomènes, hg. von Germaine Aujac. Paris 1975, XXII – XXIII. So Schultze (1986), 122. Zu Recht vorsichtig Hidber (1996), 7 Anm. 50. Bowersock (1965), 132 mit Anm. 2. Das Phänomen ist zu komplex, als dass es hier umfassend aufgearbeitet werden könnte. S. die ausführliche Diskussion in Wiater (2011), insbesondere Kapitel 2, «Reviving the Past: Language and Identity in Dionysius’ Classicism». Für die Vorrede zu Über die Alten Redner ist nach wie vor Hidbers (1996) Ausgabe grundlegend, die neben einer deutschen Übersetzung und einem detaillierten Kommentar auch eine ausgezeichnete Einleitung enthält. Dieser Ausdruck geht bereits auf den französischen Gelehrten Croiset zurück, hat sich in der deutsch- und englischsprachigen Forschung jedoch vor allem seit Hidbers (1996) Studie eingebürgert, die den Ausdruck in den Titel aufnahm. Unverändert wichtig hierzu ist Gelzer (1979); s. auch dens. (1975).

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Astronomen und Mathematiker desselben Namens identifizieren wollen;21 es findet sich auch die Hypothese, es könne sich um einen Freigelassenen des Pompeius gehandelt haben.22 Aus Mangel an Zeugnissen müssen jedoch beide Annahmen gleichermaßen spekulativ bleiben: Wir können nicht einmal sicher sein, ob es sich bei Pompeius um einen Römer oder einen Griechen handelte.23 Zu erwähnen ist schließlich noch Metilius Rufus, dem Dionysius seine Studie über die Komposition literarischer Texte (De Compositione Verborum) als Geburtstagsgabe widmet. Er war wohl der Sohn des Prokonsuls von Achaea unter Augustus.24 Beim griechischen Klassizismus handelt es sich, wie bei jeder anderen Form des Klassizismus auch, um weit mehr als eine bloße ästhetische Vorliebe. Vielmehr sind stilistisch-ästhetische, politische und moralische Vorstellungen hier engstens miteinander verknüpft: Die klassisch-griechische Art zu sprechen und zu schreiben sahen Dionysius und seine Adressaten als einen Ausdruck eines bestimmten Charakters und bestimmter moralischer und politischer Werte an, die es zusammen mit den ästhetisch-stilistischen Prinzipien im Augusteischen Rom wieder zu etablieren galt.25 Die Grundlagen dieser klassizistischen Weltanschauung entwickelt Dionysius in der Vorrede zu seiner Sammlung von Abhandlungen Über die Alten Redner. Der Text ist daher zu Recht als ein «Klassizistisches Manifest» bezeichnet worden.26 Hier schreibt Dionysius seine eigene Zeit in ein historisches Schema ein, das als «Klassizistischer Dreischritt» bekannt ist.27

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Vor allem der erste Begriff ist sehr schwierig zu übersetzen. Dionysius übernimmt ihn von Isocrates, der ihn geprägt hatte, um seiner eigenen politischen Philosophie einen charakteristischen Namen zu geben. Grundlegend ist auch hier wieder die bereits oben beschriebene Verquickung von Sprache und Werten: Nur ein Mann, der sich bestimmte Werte zueigen gemacht hatte, konnte auch eine höchsten Ansprüchen entsprechende stilistische Fertigkeit entwickeln. Im Kontext der athenischen Demokratie hieß das: Nur wer ein echter Athener war, konnte sich auch wie ein echter Athener ausdrücken, und Isocrates präsentierte sich selbst als denjenigen, der die notwendigen moralischen und politischen Werte vermitteln konnte. So bezeichnen bei Dionysius die politikoi logoi im Grunde alle Werke, die nach dem klassischen moralisch-ästhetischen Standard verfasst worden sind, insbesondere aber Reden. Die komplexe Verbindung von Sprache und Werten im Denken des Isocrates wurde von Too (1995) aufgearbeitet. Zum Einfluss des Isocrates auf Dionysius s. Hidber (1996), 44 – 51; zur Bedeutung von politikoi logoi s. Wiater (2011), 48, 73 – 74. Gute Zusammenfassung bei Hidber (1996), 25 – 30; vgl. weiter u. Abschn. 2.1.

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Nach dem Tod Alexanders des Großen, so führt Dionysius aus, habe ein Niedergang der vorbildlichen klassischen Beredsamkeit eingesetzt, die er als politikoi logoi oder «philosophische Redekunst» (philosophos rhetorike) bezeichnet.28 Stattdessen habe sich eine aus Kleinasien kommende, primitive Redekunst nach Westen verbreitet, die altehrwürdige klassische verdrängt und dergestalt sogar Griechenland selbst korrumpiert und an den Rand des politischen Ruins gebracht. Dieser Vorstellung liegt zugrunde, dass zum einen Athen und das griechische Mutterland in der hellenistischen Zeit im Vergleich zur klassischen Epoche an Bedeutung verloren und sich zum anderen vor allem im griechischen Osten mächtige alternative Zentren der griechischen Kultur und Redekunst gebildet hatten. Dionysius formuliert diesen Sachverhalt durch Rückgriff auf die in der klassischen Zeit nach den Siegen über die Perser entwickelte Griechen-Barbaren-Antithese, die eine starke Dichotomie zwischen den moralisch, politisch und daher auch militärisch überlegenen Griechen und den korrupten und verweichlichten Barbaren aus dem Osten aufbaute. Diese korrumpierte und korrumpierende Redekunst aus dem Osten bezeichnet Dionysius als «asianisch».29 Erst in seiner eigenen Zeit, der Zeit des Augustus, sei nun dank der Römer wieder eine Rückkehr zu den klassischen ästhetischen, moralischen und politischen Idealen möglich geworden. Dionysius macht sich hier den Rückgriff auf altrömische, aber auch bewusst klassisch griechische kulturelle und moralische Vorstellungen zunutze, der im Erneuerungsprogramm des Augustus eine zentrale Rolle spielte, und deutet die Römer und ihre Macht

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1. DIONYSIUS VON HALIKARNASS – LEBEN, WERK UND HISTORISCHER HINTERGRUND

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Fundamental ist Zanker (2003); die neueste Behandlung der Rolle des Klassizismus unter Augustus, die besonders darauf eingeht, wie Augustus sein klassizistisches Programm in den Provinzen des Reiches verbreitete und dadurch die Mentalität der römischen und griechischen Bürger zu beeinflussen suchte, ist Spawforth (2012). Unverzichtbar für das Verständnis der römischen Kultur unter Augustus (inkl. des Umgangs der Römer mit der griechischen Tradition) sind die Arbeiten Wallace-Hadrills; ich nenne hier nur seine umfassende monographische Behandlung des Themas, Wallace-Hadrill (2008). Wallace-Hadrill (1998), 80; vgl. MacMullen (1991); Woolf (1994) und s. weiter unten Abschnitt 2.1. Zum Provokationspotential des griechischen Klassizismus und zu seinem Gegenwartsbezug s. jetzt Wiater (2011), 107 – 110, 198 – 223, sowie Wiater (im Erscheinen).

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als die neuen Träger der alten klassischen Werte.30 Dieser Prozess wirkt für Dionysius freilich in beide Richtungen: Die klassische griechische Kultur wird durch die römische Macht erneut über die gesamte bewohnte Welt verbreitet, doch die römische Macht unter Augustus ist auch nur deswegen als positiv zu werten, weil die Römer sich diese klassisch-griechischen moralischen, politischen und ästhetischen Ideale zueigen gemacht haben. Schon ein oberflächlicher Blick in die Schriften Ciceros, Vergils, des Horaz und vieler anderer spätrepublikanischer und frühkaiserzeitlicher Autoren genügt, um deutlich zu machen, dass es sich bei der von Dionysius so stark betonten Hellenisierung der Römer keineswegs um eine plumpe Schmeichelei handelt, wie man gerade in der älteren Forschung häufig angenommen hat: So sehr die Römer die griechische Kultur und ihre Errungenschaften auch bewunderten und für ihre eigene Kultur aus dieser schöpften, waren sie doch ebenso sehr darauf bedacht, Kernaspekte ihres Denkens, Charakters und vor allem ihrer Politik zu identifizieren, die frei von griechischem Einfluss und genuin römisch waren. Wallace-Hadrill bringt dieses ambivalente Verhältnis der Römer zu den Griechen auf den Punkt: «for every example of Roman absorption you can produce a counter-example of Roman resistance and independence».31 Dionysius und seine Adressaten bildeten also eine Gemeinschaft innerhalb der Kultur des Augusteischen Roms, die sich den programmatischen Rückgriff des Prinzeps auf die alten, traditionellen und klassischen Werte zueigen machten, in dieser Konstellation jedoch nicht wie Augustus das römische, sondern das griechische Element prominent in den Vordergrund stellten. Ihr Bemühen, diese klassischen Ideale in ihren eigenen Texten zu realisieren, war also weder gegenwartsferne Nostalgie noch Eskapismus noch eine sinnfreie stilistische Spielerei.32 Vielmehr hatte die Internalisierung der

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klassischen kulturellen und ästhetischen Werte für diese Männer eine starke politische und moralische Bedeutung und stand in unmittelbarem Bezug zu kulturellen und politischen Entwicklungen ihrer Zeit.33 Innerhalb dieser Gruppe von «Klassizisten» scheint Dionysius eine führende Rolle eingenommen zu haben. Darauf lassen jedenfalls seine Abhandlungen schließen, in deren Einleitungen er uns oft detailliert über ihre Entstehungsgeschichte informiert. Hier scheint es immer Dionysius gewesen zu sein, den die anderen Mitglieder des Zirkels um Unterweisung und stilistisch-literarkritische Analyse der klassischen Texte baten. Dazu passt, dass Dionysius auch sonst in den Schriften durchweg aus der Position des unterweisenden und belehrenden Experten spricht, der seinen Adressaten das klassische ästhetische Ideal vermittelt. Es finden sich aber auch Hinweise darauf, dass außerhalb dieses schriftlichen Kontaktes im Umfeld des Dionysius und durchaus nicht nur unter den Mitgliedern seines Zirkels lebhafte Diskussionen über sprachliche, stilistische und ästhetische Fragen sowie über die kanonische Stellung einzelner Autoren geführt wurden. Der Erste Brief an Ammaeus (Amm. I) etwa ist als Antwort auf eine Behauptung eines Vertreters der peripatetischen Philosophie konzipiert. Dieser hatte postuliert, Demosthenes, den Dionysius als den vollendeten Vertreter des klassischen Ideals ansieht, habe all seine Fertigkeiten aus den rhetoriktheoretischen Schriften des Aristoteles, des Gründers des Peripatos, erlernt. Diese Behauptung hatte dem Dionysius sein Bekannter Ammaeus hinterbracht. Und aus dem Brief an Pompeius wissen wir, dass der Adressat des Briefes Dionysius’ Abhandlung Über die Alten Redner von einem gemeinsamen Bekannten namens Zenon erhalten und bei der Lektüre an Dionysius’ seiner Meinung nach allzu respektlosem Umgang mit Platon Anstoß genommen hatte. Diese Einwände hatte er Dionysius mitgeteilt, und Dionysius antwortete ihm mit der genannten Abhandlung. Auseinandersetzungen mit Anhängern Platons, die versuchten, den Philosophen, und nicht Demosthenes, an der Spitze des literarästhetischen Kanons zu etablieren, finden sich auch sonst in den Schriften des Dionysius, vor allem in seinem Essay Über Demosthenes.34

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Vgl. Fox (2001). S. Wiater (2011), Kap. 5 («Enacting Distinction: The Interactive Structure of Dionysius’ Writings»); zur Auseinandersetzung des Dionysius mit den Anhängern Platons ebd. 310 – 348.

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All dies lässt auf eine florierende Intellektuellenkultur im Augusteischen Rom schließen, in dem verschiedene Gemeinschaften griechischer und römischer Intellektueller lebhaft und oftmals auch kontrovers über ästhetischstilistische Fragen und deren moralische, politische und soziale Implikationen debattierten.35 Dionysius und sein Zirkel waren ein Teil dieser Kultur, und auf diesem Hintergrund müssen wir uns auch der anderen großen Komponente des Dionysianischen Œuvres nähern, seiner Römischen Frühgeschichte oder Antiquitates Romanae (abgekürzt Ant. Rom.).36 Obschon es sich nämlich hierbei um ein Werk handelt, das sich in Anlage und Ausführung vollkommen von den literarkritischen Schriften des Dionysius unterscheidet, ist sein historisches Projekt doch, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, eng mit zentralen Elementen seiner klassizistischen Weltanschauung verbunden.

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2. Die Römische Frühgeschichte des Dionysius 2.1. Textgestalt und Überlieferungslage

Vgl. Wiater (2011), 32 – 40, 47 – 52. Der griechische Titel in den Handschriften lautet džƣƩƔƜơƞơƖƒƔʣƫwƔƬƝƑ. Die wichtigsten neueren Arbeiten zur Römischen Frühgeschichte sind Gabba (1991), Fox (1993), (1996) und (2001), Delcourt (2005), Fox (2011), Wiater (2011), 120 – 225, und (2011a). Wichtige Aufsätze zu Einzelfragen sind gesammelt in den Sonderbänden zur Römischen Frühgeschichte der Zeitschriften MEFRA (101, 1989) und Pallas (39, 1993). Die Beiträge in den von Sylvie Pittia herausgegebenen Sonderbänden Pallas 53 (2000) und Fragments d’historiens grecs: autour de Denys d’Halicarnasse (Collection de l’Ecole française de Rome 298. Rom 2002) sind den fragmentarischen Büchern der Frühgeschichte

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Dionysius’ Römische Frühgeschichte umfasste ursprünglich einmal 20 Bücher, welche die römische Geschichte von der Vorgeschichte, der Entstehung des römischen Volkes aus verschiedenen Stämmen, die mit der Gründung Roms ihren Abschluss findet (Buch 1), über die Zeit der Könige (Bücher 2 bis 4) bis zum Ausbruch des Ersten Punischen Krieges (265 / 4 v. Chr.) abdeckten. Von diesen 20 Büchern sind uns 10 vollständig erhalten; große Teile haben wir außerdem vom elften Buch. Den Rest können wir nur noch in mehr oder weniger umfangreichen Exzerpten aus der byzantinischen Zeit (10. Jh. n. Chr.) fassen. Uns liegt somit eine kontinuierliche Erzählung bis zum Jahr 440 v. Chr. vor.37

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Die Entstehungsgeschichte des Werkes ist in Einzelheiten nicht mehr nachvollziehbar. Die Namen der Konsuln, die Dionysius 1,3,4 nennt, erlauben uns, das Jahr 7 v. Chr. als terminus post quem für die Veröffentlichung der Einleitung und somit mindestens des ersten Buches zu bestimmen. Eine Äußerung im siebten Buch (7,70,2) scheint allerdings vorauszusetzen, dass das erste Buch gesondert veröffentlicht wurde,38 so dass wir nicht davon ausgehen können, dass die gesamten 20 Bücher zu diesem Zeitpunkt publiziert waren. Fromentin denkt an eine Veröffentlichung in Pentaden,39 Belege lassen sich allerdings weder für diese noch für jede andere Annahme anführen. An dieser Stelle sei kurz auf die wichtigsten Textzeugen und Ausgaben der Römischen Frühgeschichte eingegangen. Eine ausführliche kritische Diskussion von Fragen der Textüberlieferung ist hier nicht erforderlich. Der Übersetzer muss sich jedoch für eine Version des Textes als Grundlage seiner Übersetzung entscheiden, und diese Wahl verdient eine Rechtfertigung. Auch musste an textkritisch schwierigen Stellen, wo die handschriftliche Überlieferung gar keinen sinnvollen Text oder im Gegenteil verschiedene mögliche Versionen bietet, sowie in Fällen, wo Herausgeber verbessernd in den überlieferten Text eingegriffen haben, eine Entscheidung für eine bestimmte Version getroffen werden. Die dem übersetzten Text zugrunde liegenden Überlegungen sind dem Leser an besonders problematischen oder signifikanten Stellen in einer Anmerkung zugänglich gemacht worden. Um den Erörterungen dort folgen zu können, ist ein Überblick über die wichtigsten Handschriften und Ausgaben notwendig. Überliefert ist uns der Text der ersten zehn Bücher der Römischen Frühgeschichte in insgesamt 14 Handschriften, deren wichtigste der Chisianus R VIII 60 (= A) und der Urbinas graecus 105 (= B) sind.40 Beide stammen aus dem 10. Jahrhundert. Während A von einem einzigen Schreiber angefertigt

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gewidmet. Zur Texterschließung des ersten und des dritten Buches tragen nun erheblich die Anmerkungen in den Neuausgaben Fromentins (1998) und Sautels (2002) bei. Knappere Anmerkungen zu den Büchern 1 und 2 finden sich auch in der von Fromentin und Schnäbele besorgten Übersetzung (1990). Diese Annahme wird weiterhin dadurch gestützt, wie Fromentin (1998), xxvii Anm. 84, bemerkt, dass das zweite Buch das einzige ist, das eine knappe Zusammenfassung des vorhergehenden bietet. Auch inhaltlich lässt sich das erste Buch leicht als eine separat publizierte Abhandlung über die ethnischen Ursprünge der Römer denken. Fromentin (1998), xxvii. Vollständige Liste und Beschreibung der Handschriften bei Fromentin (1998), liv – lxi.

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wurde, lassen sich bei B aus den Unterschieden in der Handschrift drei verschiedene Kopisten ausmachen;41 überdies finden sich in der Handschrift zahlreiche Korrekturen eines anderen Schreibers. Wir müssen daher bei B an vielen Stellen zwischen dem Text «vor der Korrektur» (Ba) und dem Text «nach der Korrektur» (Bb) unterscheiden. Der Text der letzten großen wissenschaftlichen Gesamtausgabe der Römischen Frühgeschichte, die für die Bibliotheca Teubneriana von Carl Jacoby besorgt wurde (Leipzig 1885 – 1905), basiert im Wesentlichen auf diesen drei Versionen des Textes (A, Ba, Bb). Für ihre Neuausgabe des ersten Buches in der Edition Budé (Paris 1998) hat Valérie Fromentin alle wichtigen Textzeugen erneut kollationiert. Wie Jacoby räumt auch sie A und B großes Gewicht ein, zieht zusätzlich jedoch die Handschrift Marcianus graecus 372 (= S) aus dem 15. Jahrhundert sowie die zwei Auflagen der lateinischen Übersetzung der Römischen Frühgeschichte des Lapus Biragus (1390 – 1472) hinzu, deren erste Auflage auf denselben Überlieferungsstrang zurückgeht wie Handschrift S.42 Nach ihrer Auffassung ist dieser Überlieferungszweig unabhängig von A und B und wird von ihr daher verstärkt für die Textkonstitution herangezogen. Von der Ausgabe Jacobys unterscheidet sich ihre Edition auch darin, dass sie viele von früheren Herausgebern vorgenommene Korrekturen des griechischen Textes wieder rückgängig macht. Fromentin ist sicher darin zuzustimmen, dass frühere Herausgeber allzu rasch und oftmals unnötig in den überlieferten Text eingegriffen haben. An vielen Stellen lässt sich der überlieferte Text sicherlich ohne Veränderungen halten. Das Hinzuziehen der Handschrift S und der ersten Ausgabe der lateinischen Übersetzung scheint hingegen Jacobys Text gegenüber nur sehr geringe Vorteile zu bieten. Nicht umsonst akzeptiert der Herausgeber des dritten Buches der Römischen Frühgeschichte für dieselbe Reihe, JacquesHubert Sautel (Paris 2002), zwar Fromentins Auffassung von S als eines Vertreters eines dritten Überlieferungszweiges, gründet seinen Text jedoch hauptsächlich auf die Lesarten in A und B.43 Er kehrt damit also zu den Prinzipien der Textausgabe Jacobys zurück, unterzieht allerdings (wie Fromentin) dessen Eingriffe in den Text einer kritischen Prüfung. 41 42 43

Ich folge hier der Beschreibung Fromentins (1998), lvi – lx. Ebd., lx – lxiii. Sautel (2002), xx – xxi.

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Als Grundlage der vorliegenden Übersetzung dient daher der Text Jacobys, in textkritisch zweifelhaften Fällen wurden jedoch für die Bücher 1 und 3 die neueren Ausgaben Fromentins und Sautels vergleichend hinzugezogen. Wo die Übersetzung einem von Jacobys Ausgabe abweichenden Text folgt, ist dies, wie erwähnt, in den Anmerkungen notiert und begründet. Abgesehen von den textkritischen Erwägungen empfahl sich ein solches Vorgehen auch aus dem pragmatischen Grund, dass eine Gesamtübersetzung nach Möglichkeit einer nach einheitlichen Kriterien erstellten Gesamtausgabe des Originals folgen sollte, um ein möglichst homogenes Ergebnis zu erzielen. Auf der Grundlage dieser technischen Informationen können wir uns nun inhaltlichen Fragen und Problemen zuwenden. So sollen im folgenden Abschnitt zunächst die Grundlagen von Dionysius’ Behandlung der Römer dargestellt werden. Dionysius geht es nicht um eine Darstellung der römischen Frühzeit als Zweck an sich; er schreibt seine Römische Frühgeschichte um seine zentrale These zu belegen, dass die Römer ethnisch und kulturell Griechen seien. Das schließt ein genuines Interesse an der römischen Geschichte, den Werten und Normen, die seiner Meinung nach den römischen «Nationalcharakter» bestimmen, sowie der Entwicklung der römischen Macht selbstverständlich nicht aus. Doch muss man sich bei der Lektüre seines Werkes bewusst bleiben, dass Dionysius sich all diesen Aspekten der römischen Geschichte immer unter dem Gesichtspunkt der griechischen Identität der Römer und ihrem sich daraus ergebenden Verhältnis zu den Griechen zuwendet. In einem dritten Abschnitt soll dann die schwierige Frage des Wertes der Römischen Frühgeschichte als historische Quelle behandelt werden. Die Einleitung schließt mit einer knappen Beschreibung der Eigenheiten des Stiles des Dionysius und der Prinzipien der vorliegenden Übersetzung.

2.2. Wer sind die Römer?

Die zentrale These, die Dionysius durch seine Römische Frühgeschichte belegen will, lautet, dass die Römer sowohl in ihren ethnischen Ursprüngen als auch in ihren Werten und ihrem Charakter Griechen seien. Diese aus moderner Perspektive zunächst etwas befremdlich anmutende Behauptung kann nur aus ihrem kulturellen und intellektuellen Kontext heraus verständlich 16

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werden. In diesem Abschnitt sollen daher zunächst das oftmals ambivalente Verhältnis der Römer zu den Griechen sowie die Wichtigkeit von (tatsächlich existierenden oder bloß konstruierten) Verwandtschaftsbeziehungen für das griechische Denken skizziert werden. Dies wird die Grundlage bilden, um die zentralen Elemente von Dionysius’ Verständnis der Römer und ihres Verhältnisses zu den Griechen zu beschreiben. Dass Griechen und Römer schon weit vor dem ersten Jahrhundert v. Chr. ein großes gegenseitiges Interesse aneinander hatten, ist bereits im vorhergehenden Kapitel ausgeführt worden. Die Griechen waren fasziniert (und oftmals auch verstört) von der geradezu rasanten und nie dagewesenen Ausdehnung der römischen Macht und setzten sich mit den Chancen, aber auch den Gefahren auseinander, die mit dieser Entwicklung für sie einhergingen. Die Römer hingegen waren trotz ihrer militärischen Überlegenheit äußerst empfänglich vor allem für die kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften der Griechen und nutzten diese in einer geradezu systematischen Weise als Grundlage, um sich ein eigenes kulturelles Profil zu schaffen. Hierbei spielten selbstverständlich auch etruskische und lokal-italische Einflüsse eine wichtige Rolle; dennoch blieb die griechische Kultur auch in den Augen der Zeitgenossen immer ein besonders prominenter und dominierender Faktor in der kulturellen Selbstdefinition der Römer ab dem späten dritten Jahrhundert v. Chr. Dass wir es hier nicht mit einem unreflektierten und geradezu sklavischen Übernahmeprozess zu tun haben, wurde ebenfalls bereits erwähnt. Michael v. Albrecht konstatiert zu Recht schon für die frühen literarischen Zeugnisse der Römer eine «innere Dialektik zwischen tradierten und neuen Werten» und eine »meist unaufgelöste, aber eminent produktive Spannung».44 Schon Livius Andronicus, der mit seiner lateinischen Übertragung der Odyssee Homers gewissermaßen den Grundstein der lateinischen literarischen Tradition legte, adaptierte das griechische Original, statt es einfach zu übersetzen: Der griechische Hexameter musste hier dem altitalischen Saturnier weichen, und Homers Muse wurde durch die ebenfalls genuin italische Göttin Camena ersetzt. Schon in der Frühzeit war den Römern mithin klar, dass die griechischen kulturellen Errungenschaften einen wichtigen, vielleicht den wichtigsten, Bezugspunkt für die Ausbildung ihrer eigenen kulturellen Identität bildete, dass man diese fremde kulturelle Tradition aber so 44

v. Albrecht (1994), 33.

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adaptieren musste, dass die Unterschiede ebenso deutlich erkennbar waren wie die Gemeinsamkeiten. Je weiter sich die römische Kultur in der Auseinandersetzung mit der griechischen entwickelte, desto mehr legten römische Autoren Wert darauf, diejenigen Elemente ihrer Kultur zu betonen, die sie als original römisch ansahen. Dies demonstriert besonders eindrücklich eine Passage aus der Einleitung zum ersten Buch der Gespräche in Tusculum (Tusculanae Disputationes) Ciceros (Tusc. 1,1 – 2):

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[I]ch bin immer der Überzeugung gewesen, daß unsere Römer seit jeher teils selbständig Besseres geleistet haben als die Griechen, teils verbessert haben, was sie übernommen hatten; jedenfalls soweit sie es für der Mühe wert hielten, sich mit den Dingen zu beschäftigen. Denn unsere Sitten und Lebensformen, die Ordnung unserer Häuser und Familien sind sicher besser und vornehmer, und was den Staat betrifft, so haben ihn unsere Vorfahren ohne Zweifel mit besseren Einrichtungen und Gesetzen verwaltet. Was soll ich vom Kriegswesen sagen, in welchem die Unsrigen durch Tapferkeit Großes zustande gebracht haben, noch Größeres durch ihr Können? Was sie ferner durch ihre angeborene Art, nicht durch Lernen erreicht haben, damit lassen sich weder die Griechen noch irgendein anderes Volk vergleichen. Denn gab es irgendwo sonst so viel Würde, Beharrlichkeit, Seelengröße, Anständigkeit und Treue, eine in jeder Hinsicht so hervorragende Tüchtigkeit, daß sie mit unsern Vorfahren verglichen werden könnte?45

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Die Auseinandersetzung der Römer mit den Griechen war ein produktiver Prozess. Sie war aber auch ein kulturelles Machtspiel,46 in dem man den Römern durchaus eine «anxiety of influence» attestieren kann:47 Durch den starken Rekurs auf die griechische Tradition riskierten die Römer, den Status eines eigenständigen Volkes mit einer eigenständigen Kultur in den Augen ihrer Zeitgenossen zu verlieren. Daher legt Cicero hier so viel Wert darauf zu betonen, dass die Römer durchaus nicht alles unterschiedslos von den Griechen übernommen haben und übernehmen, sondern 45

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Übers. Olof Gigon (Sammlung Tusculum. 6. Aufl. München und Zürich 1992). Dazu Wallace-Hadrill (1998), 80 mit weiteren Beispielen; vgl. Wiater (2011), 107 – 110, 182 – 183. Dieser Begriff geht auf eine Arbeit Harold Blooms zurück, in der er das Verhältnis von Schriftstellern zu ihren großen kanonischen Vorgängern untersucht (The Anxiety of Influence. A Theory of Poetry. New York 1973). Ich verwende den Begriff in diesem Zusammenhang unabhängig von den psychoanalytischen Kategorien, auf die Bloom seine Untersuchung stützt.

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sorgfältig auswählen, was für sie nützlich ist, und überdies diese ausgewählten Übernahmen dann noch verbessern.48 Darüber hinaus definiert Cicero jedoch auch noch einen ur-römischen Kern, einen Katalog von Tugenden (den mos maiorum), der eine natürliche Eigenschaft der Römer sei, die diese von allen anderen Völkern und vor allem von den Griechen unterscheide. Dass Cicero hier so emphatisch den Unterschied zwischen Römern und Griechen im Besonderen betont, zeigt ganz deutlich, wie groß der Einfluss gerade der Griechen auf die Römer war, dass sich die Römer dieses starken Einflusses vollkommen bewusst waren und dass mit diesem Bewusstsein die Sorge einherging, die Grenze zwischen Griechen und Römern könne in der Selbst- und Außenwahrnehmung der Römer verschwimmen. Daher der Versuch Ciceros, der durchaus kein Einzelfall ist, ganz klare Sphären des römischen Lebens und Charakteristiken zu definieren, welche die Römer als Römer ausmachen und zugleich frei von jedwedem griechischen Einfluss sind. Weitere römische Strategien der Abgrenzung von den Griechen, die auch in der Zeit des Dionysius eine große Rolle spielten, war der Bezug auf Troja: Die Vorstellung der Römer als «Aeneaden», als Nachkommen des Trojaners Aeneas, hat ihren sicher wirkungsmächtigsten Vetreter in Vergil und seiner Aeneis gefunden. In Vergils Epos findet sich auch die Betonung der zentralen Bedeutung des alt-italischen Elements für die römische Identität. Es wird sich in der Folge zeigen, wie Dionysius solche Distinktionsstrategien in seinem Geschichtswerk aufnimmt, sie jedoch in seinem Sinne vollkommen umdeutet. Um die Bedeutung dieses Diskurses um die Identität der Römer zu verstehen, muss man sich die wichtige Rolle vergegenwärtigen, die die Identifizierung (oft auch Konstruktion) von Abstammungsverhältnissen als Ordnungsstrategien spielten, um die verwirrende Vielfalt griechischer Städte und Volksstämme in allen Teilen des Mittelmeerraumes strukturieren und in ihrem Verhältnis zueinander bestimmen zu können. Spätestens seit der sogenannten «großen griechischen Kolonisation» des westlichen und östlichen Mittelmeerraumes zwischen 750 und 580 v. Chr. war es für griechische Städte außerhalb des griechischen Mutterlandes von entscheidender

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Dieses Verhalten ist auch für die Römer in Dionysius’ Römischer Frühgeschichte konstitutiv, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass er den Römern keinen natürlichen und exklusiv römischen Kern zuspricht, der sie von allen anderen Völkern und vor allem den Griechen (!) unterscheide.

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Bedeutung, ihre Zugehörigkeit zum griechischen Kulturkreis «nachweisen» und präsent halten zu können. Verbindungen unter Städten ließen sich einerseits über das Verhältnis von Mutterstadt (Metropolis) zur von dieser gegründeten Kolonie oder Pflanzstadt definieren; gleichzeitig versuchten aber verschiedene Völker und Städte bis weit in die römische Kaiserzeit, ihre Verbindungen untereinander und / oder mit Städten in Griechenland selbst durch elaborierte Genealogien nachzuweisen (und in vielen Fällen überhaupt erst zu schaffen). Diese reichten bis weit in die mythische Zeit zurück und suchten die Ursprünge eines Stadtstaates oftmals einem der großen wandernden Halbgötter und Heroen wie Perseus oder Herakles zuzuschreiben, die wegen ebendieser Wanderungen auch von vielen anderen Städten überall im Mittelmeerraum und im Nahen Osten in Anspruch genommen wurden. Die Assoziation mit diesen großen griechischen Heroen war natürlich an sich ein Prestigegewinn für Städte und Gemeinden; sie ermöglichte diesen aber vor allem, Schnittpunkte mit den Genealogien anderer Stadtstaaten, besonders solchen im griechischen Mutterland, herzustellen.49 Solche Verbindungen waren weit mehr als eine bloße antiquarische Fingerübung. Sie dienten dazu, die Fülle der griechischen Stadtstaaten und ihrer jeweiligen «Mikrokulturen» durch eine gewisse Ordnung und oft auch Hierarchie zu strukturieren.50 Diese Abhängigkeits- und Verwandtschaftsverhältnisse (syngeneia) spielten dann im diplomatischen Verkehr unter den Stadtstaaten und zwischen Stadtstaaten und anderen Völkern sowie den hellenistischen Königen eine große Rolle. Dieser Prozess ist in seinen wichtigsten Linien bereits in der klassischen Zeit vorgeprägt, erlebt seine Blüte jedoch im Hellenismus und bleibt bis weit in die hohe Kaiserzeit von Bedeutung. So erhielt etwa Argos wohl im späten vierten Jahrhundert v. Chr. eine erkleckliche Summe (100 Talente) von seinen «Verwandten» (syngeneis), den Rhodiern, zur Finanzierung von Reparaturen an der Stadtmauer und zum Ausbau der Kavallerie. Und als römische Truppen im Jahre 190 v. Chr. das Gebiet der Stadt Iasos plünderten,

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Diese komplexen Vorgänge können hier nur sehr schematisch und nur insofern dargestellt werden, als sie für das Verständnis der Römischen Frühgeschichte des Dionysius von Belang sind. Für ausführliche Auseinandersetzungen s. Jones (1999); Patterson (2010). Die in diesen «Verwandtschaftsbeziehungen» implizierten Hierarchieverhältnisse betont Jones (1999), 16 u. ö.

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in der sich der syrische König Antiochus III. festgesetzt hatte, wandten sich aus Iasos geflüchtete Bürger an die Rhodier, ihre «Verwandten», die mit den Römern zur damaligen Zeit ein gutes Verhältnis pflegten. Durch rhodische Intervention wurden die römischen Militäraktionen dann tatsächlich eingestellt.51 In Zeiten, die noch nicht von den Erkenntnissen der modernen Biologie und Genetik geprägt waren, hing die Glaubwürdigkeit und damit Wirksamkeit solcher Verwandtschaftsbeziehungen in erster Linie von der Glaubwürdigkeit der historisch-antiquarischen Erzählungen ab, in denen die gemeinsame Abstammung zweier Städte etwa von Herakles nachgewiesen werden sollte. Dies gilt in besonderem Maße für Erzählungen, die weit in die vorhistorische Zeit zurückgingen und daher naturgemäß keine konkreten Belege für ihre (Re-)Konstruktionen beibringen konnten. Um die kulturellen Strategien zu verstehen, die dem historischen Projekt des Dionysius zugrunde liegen, ist es besonders wichtig, dass diese Verfahrensweise von den Griechen auch im Umgang mit Fremdvölkern angewandt wurde. So berichtet Diodor von Sizilien, ein zur Zeit Caesars in Rom tätiger Universalhistoriker, von einem Zusammentreffen Alexanders des Großen mit dem Stamm der Siboi in der Gegend des heutigen Pakistan. Diese Siboi wurden von griechischen Historikern als Nachkommen des Herakles und seiner Gefährten angesehen. Da auch das makedonische Königshaus seine Abstammung über Temenos auf Herakles zurückführte, berichtet Diodor, hätten Gesandte der Siboi Alexander in seinem Lager aufgesucht und mit ihm ihre Verwandtschaftsbeziehung bekräftigt (der übliche und inschriftlich vielfach belegte griechische Terminus ist hier ƾƟƔƟƘƮơwƔƜ, «erneuern»). Alexander habe seinerseits die Verwandtschaftsbeziehung anerkannt (griech. ƾƢơƗƐƩơwƔƜ) und die Siedlungen der Siboi als unabhängig erklärt sowie sich jeglicher militärischer Übergriffe gegen den Stamm enthalten.52 Befürchtungen wie die Ciceros, dass die große Affinität der Römer zur griechischen Sprache und Kultur dazu führen könnte, sie als Griechen in der Diaspora anzusehen, waren also durchaus nicht unberechtigt. Doch konnten Griechen auch einen anderen Weg einschlagen, wenn es um die Einordnung von Fremdvölkern in das griechische Weltbild ging.

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S. Jones (1999), 52 – 3 (Argos und Rhodos) und 54 (Iasos, Rhodos und die Römer). Diod. Sic. 17,96,2 – 3; die Passage ist angeführt und diskutiert von Jones (1999), 6 – 8.

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Seit der klassischen Zeit und dem Sieg über die Perser war dieses Weltbild durch einen starken Gegensatz von Griechen und Barbaren geprägt, den François Hartog treffend als «Rhetorik der Alterität» bezeichnet hat.53 Statt als Griechen oder «griechennah» («Philhellenen») konnten andere Völker daher auch einfach als Barbaren klassifiziert werden. Die Makedonen können hier wiederum als gutes Beispiel dienen: Als Philipp II. seinen Einfluss immer weiter über Griechenland ausdehnte, entbrannte in Athen eine hitzige Debatte darüber, ob es sich bei ihm und den Makedonen um Griechen handle, deren Führerschaft über andere Griechen daher akzeptabel wäre (diese Position wurde etwa von Isocrates vertreten), oder ob man es vielmehr mit Barbaren zu tun habe, gegen die man mit aller Macht ankämpfen müsse (so Demosthenes).54 Das ausführliche Vorwort zur Römischen Frühgeschichte des Dionysius zeigt, dass es unter Griechen eine ganz ähnliche Debatte um den Status der Römer gegeben hat. Die Kernstelle ist 1,4,2 – 3, wo Dionysius (sicher nicht ohne Übertreibung, doch im Kern glaubwürdig) ausführt, die Mehrzahl seiner Landsleute werde

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von bestimmten Ansichten in die Irre geführt, die nicht wahr sind, sondern ihren Ursprung in kritiklos übernommenen Gerüchten haben, dass Rom sich irgendwelcher heimatloser und noch dazu unfreier Barbarenvagabunden als ihrer Gründer rühme und nicht durch Götterfurcht, Gerechtigkeit und sonstige Tugenden mit der Zeit zur Allherrschaft gekommen sei, sondern ohne eigenes Zutun und mit Hilfe des ungerechten Geschicks, das aufs Geratewohl die größten Vorteile denen schenke, die sie am wenigsten verdienten; und die Bösartigsten pflegen das Geschick ganz offen anzuklagen, dass es den Niederträchtigsten unter den Barbaren die Güter der Griechen zur freien Verfügung stelle. (3) Und was soll man über andere Worte verlieren, wo doch sogar einige Geschichtsschreiber sich erdreistet haben, in ihren Werken solche Behauptungen schriftlich zu hinterlassen [. . .].

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Für die Griechen, deren Auffassung Dionysius hier zusammenfasst, besteht eine Diskrepanz zwischen der politischen und militärischen Macht der Römer und ihrem Charakter; darauf wird zurückzukommen sein. Für die momentane Fragestellung ist vor allem von Bedeutung, dass diese Griechen das Fehlen der Charaktereigenschaften («Tugenden»), die allein die römische Herrschaft rechtfertigen würden, mit einer barbarischen Natur gleichsetzen: 53 54

S. Hartog (2001), Kap. 6 (meine Übersetzung). S. Jones (1999), 38 – 41.

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Die folgenden Ausführungen lehnen sich eng an Wiater (2011), 165 – 223, an; ausführlich zu diesen Aspekten auch Gabba (1991). Dionysius sagt selbst (1,61,1), dass er nicht der Erste sei, der behaupte, bei den Trojanern handle es sich um Griechen. Aufgrund mangelnder Quellen können wir die Genese derartiger Theorien in den meisten Fällen nicht mehr nachvollziehen. Dem Dionysius kommt aber wenigstens eine große Syntheseleistung zu; an vielen Stellen ist es auch deutlich, dass er bereits bestehende Theorien weiterentwickelt, auch wenn wir diese Theorien, die seinen eigenen Ausführungen zugrunde liegen, im Einzelnen nicht mehr rekonstruieren können.

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Für sie sind die Römer Barbaren, die durch pures Glück und ohne eigenen Verdienst eine Machtstellung erlangt haben, die eigentlich allein den Griechen zustünde. In dieser Debatte nimmt Dionysius durch die Publikation seiner Römischen Frühgeschichte Stellung.55 Sein Werk kann man ohne Weiteres als den umfassendsten und größtangelegten Versuch in griechischer Sprache bezeichnen, das Wesen der Römer zu bestimmen. Dies ist zwar nicht der einzige Zweck seines Werkes: Es geht hier natürlich auch um eine umfassende Darstellung der römischen Geschichte, der Ursprünge und Entwicklung der römischen Macht, der Verfassungsformen der römischen Bürgerschaft und der römischen Sitten und Gebräuche. Die Frage nach dem Wesen der Römer und ihrem Verhältnis zu den Griechen bildet jedoch den Rahmen, innerhalb dessen alle anderen Themen überhaupt erst dargestellt werden. Gegen die irrigen Auffassungen seiner Landsleute setzt Dionysius es sich zum Ziel, ein für alle Mal nachzuweisen, dass es sich bei den Römern mitnichten um Barbaren, sondern vielmehr in jeder Hinsicht um echte Griechen handelt. Dazu legt er zunächst in einer großangelegten Untersuchung der ethnischen Ursprünge der Römer dar, dass die Römer zwar durchaus aus einem Zusammenschluss vieler verschiedener Völker hervorgegangen sind, unter denen neben Angehörigen unterschiedlicher griechischer Stämme die Trojaner um Aeneas eine besonders wichtige Rolle spielen. Er führt jedoch alle augenscheinlich nichtgriechischen Völker, die zur Entstehung des Volkes der Römer beigetragen haben, auf griechische Ursprünge zurück, und so auch die Trojaner (1,61 – 62).56 Aus dieser Reihe von Verschmelzungen verschiedener Stämme und Völkergruppen gehen dann schließlich die Römer hervor, die als ein eigenständiges und neues griechisches (!) Volk durch den Gründungsakt der Stadt Rom konstituiert werden. Dieser bildet denn auch den Endpunkt des ersten Buches.

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Ab dem zweiten Buch konzentriert sich die Erzählung des Dionysius dann auf die sozialen, politischen und kulturellen Eigenschaften des jungen Volkes der Römer. Auch hier betont Dionysius konsequent und durchweg den formativen Einfluss der Griechen, und zwar sogleich von der Gründung Roms, d. h. von der Geburtsstunde des Volkes der Römer, an. Dem Leser bietet sich hier das Bild einer groß angelegten und systematisch durchgeführten kulturellen Mimesis. So erfährt er, dass König Romulus in einem einzigen, gewaltigen Schöpfungsakt eine Staats- und Sozialordnung (griech. Politeia) für das junge Volk schuf, in der er durch bewusste Übernahme und Adaptation griechischer Bräuche, Einrichtungen und Ideen im Wesentlichen alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens der Römer regelte. Und obschon diese «Verfassung des Romulus» im weiteren Verlauf der römischen Geschichte ergänzt und modifiziert wird, bleibt sie doch der Kern, an dem sich alle künftigen Römer in führenden Positionen orientieren und deren Geist sie durch ihre eigenen gesetzgeberischen, politischen und sozialen Maßnahmen zu erhalten suchen. Diese Politeia regelt, wie bereits angedeutet, nicht allein das Zusammenleben der Römer; sie formt auch den römischen Charakter nach griechischem Standard. Dies umfasst bestimmte politische Grundideen ebenso wie religiöse und moralische Vorstellungen, und es sind diese Charaktereigenschaften, wie Dionysius den Romulus gleich zu Anfang des zweiten Buches ausführen lässt, die für das zukünftige Wachstum und den zukünftigen Erfolg des römischen Volkes ursächlich sein werden (2,3,1 – 6). Während das erste Buch also die ethnische Abstammung der Römer von den Griechen nachweist, tun die folgenden Bücher dasselbe für Charakter und Kultur der Römer und führen dabei auch die Erfolgsgeschichte des römischen Staates auf diese durch und durch griechischen Ursprünge der Römer zurück. Wir wissen nicht, wie Dionysius’ griechische und römische Leser auf dieses Programm reagierten,57 einige Vermutungen sind jedoch möglich. Vermutlich stark hellenophile Römer wie Dionysius’ Adressat Q. Aelius

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Schon Bowersock (1965), 131, hat zu Recht hervorgehoben, dass sich die Römische Frühgeschichte an griechische und römische Leser richtet. Zwar will Dionysius seine griechischen Leser über das wahre Wesen der Römer aufklären (1,4,2 – 5,4), doch sollen auch seine römischen Leser etwas über den Charakter, die Werte und die Handlungsmaßstäbe ihrer Vorfahren erfahren, damit sie sich an diesen orientieren und so deren Tradition überhaupt erst fortsetzen können (1,6,4). Zur Leserschaft der Römischen Frühgeschichte s. ferner Schultze (1986); Luraghi (2003).

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Tubero würden den Nachweis einer so engen Verbindung von Griechen und Römern vielleicht begrüßt haben. Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn man Dionysius’ Vorhaben auf dem Hintergrund der oben zitierten Ausführungen Ciceros sowie der von Dionysius selbst referierten Meinung vieler seiner griechischen Landsleute betrachtet. Daraus ergibt sich, dass das Provokationspotential der Römischen Frühgeschichte für viele griechische ebenso wie römische Leser beträchtlich gewesen sein muss. Für Dionysius’ griechische Leser kommt sein Nachweis, dass die Römer von Anfang an ethnisch und kulturell Griechen waren, einer Rechtfertigung der römischen Macht in der Gegenwart gleich. Die Möglichkeit einer solchen Rechtfertigung hatten die von Dionysius 1,4,2 – 3 zitierten Griechen für die barbarischen Römer aber ja kategorisch ausgeschlossen: Für sie war es unvorstellbar, dass diese Römer ein wie immer geartetes Recht haben sollten, über Griechen zu herrschen! Dieser Folge seiner Ausführungen ist sich Dionysius nicht nur bewusst; sie ist auch durchaus erwünscht. Von ihm die Wahrheit über die Römer zu erfahren, so führt er 1,5,2 aus, solle seine Landsleute in die Lage versetzen,

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die Unterordnung unter sie [Rom] nicht schwer zu nehmen, da diese doch zu Recht eingetreten ist (denn für alle gilt ja gleichermaßen die Gesetzmäßigkeit der Natur, deren Gültigkeit keine Zeit auflösen wird, dass die Überlegenen immer über die Unterlegenen herrschen), und [. . .] nicht das Schicksal dafür anzuklagen, dass es einer Stadt, die es nicht verdiene, ohne Gegenleistung schon für so lange Zeit eine so große Herrschaft geschenkt habe.

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Hier zeigt sich ein wichtiger Berührungspunkt mit grundlegenden Auffassungen des von Dionysius vertretenen Klassizismus. Wie oben ausgeführt, spielt dort die Idee einer Symbiose von römischer Macht und griechischer Kultur eine entscheidende Rolle. Dasselbe Prinzip findet sich in der Römischen Frühgeschichte, jedoch mit Blick auf die römische Frühzeit: Die Verbindung von römischer Macht und griechischer Kultur erscheint so nicht mehr als ein plötzliches paradoxes Phänomen aus Dionysius’ eigener Zeit, sondern erweist sich als konstitutiv für die gesamte römische Geschichte und sogar Vorgeschichte. Was Dionysius’ römische Leser betrifft, sollte man, wie im Falle seines klassizistischen Weltbildes,58 auch hier keineswegs einfach den Versuch 58

S. o. S. 11.

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einer plumpen Schmeichelei sehen: Die obige Stelle aus Ciceros Tusculanen hat ja nur zu deutlich gezeigt, dass viele führende Römer durchaus keinen Wert darauf legten, als Griechen angesehen zu werden. Bekräftigt Dionysius doch gerade dadurch, dass er die Leistungen der Römer seit Beginn ihrer Existenz auf die bewusste und eifrige Übernahme griechischer Ideen, Werte und Einrichtungen zurückführt, den Primat der griechischen Tradition über die Römer: Ohne die Griechen hätten es die Römer nie so weit gebracht! Man kann sich vorstellen, dass Römer wie Cicero an dem Werk des Dionysius großen Anstoß genommen hatten: Dionysius nimmt entscheidende Elemente der römischen Distinktionsstrategien auf und verkehrt sie in ihr Gegenteil.59 Er erkennt an, dass die Römer von den Trojanern abstammen, leugnet aber die traditionelle Feindschaft zwischen diesen und den Griechen und weist im Gegenteil ihre gemeinsame Abstammung nach. Er akzeptiert die Auffassung der Römer, dass sie gerade nicht auf ein bestimmtes Volk zurückgeführt werden können, sondern aus einem Konglomerat vieler verschiedener Völkerschaften entstanden, behauptet aber, dass alle diese Völkerschaften griechische Ursprünge gehabt hätten. Er teilt Ciceros Auffassung, dass die Charaktereigenschaften der Römer der Frühzeit entscheidend für ihre Leistungen gewesen seien, lässt diese Charaktereigenschaften, den von den Römern so hoch geschätzten mos maiorum, aber aus der groß angelegten Übernahme griechischer Werte und Institutionen durch Romulus hervorgehen. Einzig die Auffassung Ciceros, dass die Römer bei der Übernahme griechischer Einrichtungen und Gebräuche selektiv verfahren seien und diese auch oft verbessert hätten, findet sich in dieser Form auch im Verhalten der Römer in der Römischen Frühgeschichte wieder. Doch macht diese die Römer in den Augen des Dionysius nicht weniger zu Griechen, wie Cicero zu argumentieren versucht hatte. Im Gegenteil weist gerade dieses Verhalten die Römer als ganz besonders gute und erfolgreiche Griechen aus, die fern vom griechischen Mutterland durch geschickte Anpassung ihrer griechischen Tradition an die neue Umgebung von kleinen Einbußen bei ihrer Sprache abgesehen die «Zeichen eines griechischen Volkes wie keine anderen Kolonisten» bewahrt haben (1,90,1).60 59 60

Vgl. o. S. 19. Zur Zeit des Dionysius (und auch schon früher) war die Meinung weit verbreitet, dass es sich beim Lateinischen um einen griechischen Dialekt handele; s. dazu u. Anm. 171.

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Das Stichwort «Kolonisten» bringt uns zurück an den Anfang dieses Abschnitts. Wie oben dargelegt, waren Verwandtschafts- und Beziehungen von Mutterstadt und Tochterstadt wichtige Muster, mit deren Hilfe Griechen die Welt des Mittelmeerraumes ordneten, die aber meist auch ein Hierarchieverhältnis implizierten. Rom als eine griechische Gründung zu definieren und die Römer als ein Volk griechischen Ursprungs bedeutete somit auch, ein Hierarchiegefälle zwischen Römern und Griechen herzustellen: Die Römer verdanken ihre Existenz, ihre Kultur und ihren Erfolg ihrem griechischen Mutterland, und ohne den Bezug zu diesem Mutterland laufen sie Gefahr, ihre von den Vorfahren erarbeitete Vormachtstellung wieder zu verlieren. Um die anhaltende fundamentale Bedeutung des Griechischen für die Römer im Bewusstsein des Lesers zu erhalten, fügt Dionysius mehrfach deutliche Kritiken am Verhalten der Römer der Gegenwart ein, die von den Verhaltensweisen abwichen, die von den Vorfahren unter Bezugnahme auf griechische Vorbilder etabliert worden waren. So führt er die katastrophale Niederlage des Crassus gegen die Parther im Jahre 53 v. Chr. darauf zurück, dass Crassus entgegen dem traditionellen, von Romulus eingeführten, Brauch die Vogelzeichen missachtet habe, die allesamt von dem Unternehmen abgeraten hätten (2,6,4). Und das Verhalten Sullas stellt für Dionysius einen klaren Bruch mit dem traditionellen Verständnis des Amtes des Diktators dar (5,77,2): Viel Leid wäre den Römern erspart geblieben, hätte Sulla sich in seinem Verhalten am Beispiel seiner Vorfahren orientiert! So stellt Dionysius eine starke Abhängigkeit der Römer von den Griechen nicht nur in der Frühzeit fest, sondern postuliert diese auch in seiner eigenen Zeit: Wenn die Römer ihre Stellung in der Welt behalten wollen, müssen sie sich an den griechischen Werten, Normen und Institutionen ihrer Vorfahren orientieren, auf die diese Stellung zurückgeht. Diese Orientierung will Dionysius seinen römischen Zeitgenossen ermöglichen, indem er ihnen eine ausführliche Darstellung des Lebens und Handelns ihrer Vorfahren vorlegt, die besonderes Augenmerk auf die alles entscheidenden Charaktereigenschaften richtet.61 Dionysius stellt sein Werk damit einerseits in die Tradition bestimmter hellenistischer Werke, die bereits die Hinwendung auf Charaktereigenschaften als entscheidende Faktoren geschichtlicher Entwicklung vollzogen hatten; hier ist vor allem Theopomp 61

Vgl. Gabba (1991), 75 – 78.

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Zu Theopomp s. 1,1,1 mit Anm. 2 dort. Ein anderer wichtiger Vertreter dieser «moralischen» Geschichtsschreibung war Theopomps Zeitgenosse Ephorus von Kyme (ca. 400 – 330 v. Chr.), dessen bedeutendstes Werk eine Universalgeschichte von der Rückkehr der Herakliden (der sog. Dorischen Wanderung) bis in die eigene Zeit war. Ursprünglich mag die Bildung dieses Trends in der Historiographie auf den athenischen Redner Isocrates zurückgehen. Eine solche selbstbewusste Haltung den Römern gegenüber ist nicht neu: Schon Polybius erhebt in seinen Historien (31, 23 – 24) den Anspruch, aus Scipio Africanus den vorbildlichen und erfolgreichen Römer gemacht zu haben, der später durch seinen Sieg über Hannibal bei Zama in die Geschichte einging. Die Römer besiegten König Perseus von Makedonien in der Schlacht von Pydna im Jahre 168 v. Chr. und führten so das Ende des Makedonischen Reiches herbei. Der endgültige Untergang der Karthager («Phönizier») wurde 146 v. Chr. mit der Zerstörung Karthagos besiegelt. Eine ähnliche Ansicht vertrat Polybius, der den Beginn des römischen Aufstiegs zur Weltmacht auf das Jahr 217 v. Chr. ansetzte. Indem Dionysius die entscheidende Bedeutung der römischen Frühzeit für das Verständnis und die Entwicklung der römischen

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von Chios zu nennen,62 dessen Werk Dionysius im sechsten Kapitel seines Briefes an Pompeius lobend erwähnt. Zum anderen schafft Dionysius hier aber auch den Anschluss an die bei den Römern so wichtige Orientierung am Vorbild (exemplum) der Vorfahren, die eng mit der hohen Wertschätzung des mos maiorum verbunden ist. Freilich ist es hier ein Grieche, der für sich in Anspruch nimmt, den Römern den Anschluss an ihre (ebenfalls von griechischer Praxis geprägten) Vorfahren und damit die Ausbildung und Bewahrung ur-römischer Identität überhaupt erst möglich zu machen.63 Der programmatische Rückgriff auf die Anfänge Roms erklärt sich also einerseits durch das Bemühen des Dionysius, die römische Macht von Anfang an mit griechischen Einrichtungen und Werten zu verknüpfen und so auch noch für die Römer seiner Zeit die entscheidende Bedeutung der griechischen Tradition herauszustellen. Doch ist Dionysius’ Entscheidung, ausgerechnet eine römische Frühgeschichte zu schreiben, auch ein wichtiger Bestandteil seines Bemühens, seine griechischen Landsleute von der Legitimität der römischen Macht zu überzeugen. Diese warfen den Römern nämlich nicht nur einen Mangel an moralischen und politischen Werten vor (1,4,2 – 3), sondern glaubten überdies, der Aufstieg Roms zur Macht habe mit der römischen Frühzeit überhaupt nichts zu tun. Rom habe es vielmehr «erst vor wenigen Generationen zu Bekanntheit und Ruhm gebracht, nämlich seit sie die Makedonenherrschaft gestürzt und die Kriege gegen die Phönizier gewonnen habe» (1,4,1), d. h. seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr.64

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Die dem ersten Anschein nach wenig spektakuläre Frage, wann der römische Aufstieg zur Macht begonnen habe, ist tatsächlich nicht weniger wichtig als der Nachweis, dass die Römer von Anbeginn ihrer Geschichte von griechischen Werten geprägt waren. Hier spielt wieder die oben erwähnte «Rhetorik der Alterität» eine Rolle, die sich im Gefolge der Perserkriege im klassischen Athen ausgebildet hatte. Teil des griechischen Selbstbildes, das sich dort entwickelte, war die Vorstellung, dass die Griechen auch deshalb erfolgreich waren, weil sie eine engere Verbindung mit ihrem Vaterland hatten als das aus vielen Fremdvölkern zusammengewürfelte Heer der Perser. Allen voran die Athener entwickelten das Bewusstsein, dass ihr Volk direkt aus dem attischen Boden entstanden sei (z. B. Plat. Menex. 237d – 238a) und sie daher von allen Griechen die engste Verbindung mit Griechenland selbst hätten; daraus ließ sich in der Folge der athenische Führungsanspruch über die anderen Griechen ableiten. Diese Autochthoniebehauptung wurde mit der Vorstellung gekoppelt, kurz nach Entstehen der Athener aus der Erde Griechenlands selbst habe sich eine athenische Gesellschaftsform (Politeia) entwickelt, die den Charakter und die Handlungen der Athener von Anbeginn ihrer Geschichte bestimmt habe und in ihren wesentlichen Zügen von Generation zu Generation weitergegeben worden sei. So konnte man die Erfolge in den Perserkriegen in eine bis in die mythische Zeit zurückreichende Reihe athenischer Siege einschreiben, die sich alle durch die überlegenen Werte und Normen erklären ließen, die dank der athenischen Politeia buchstäblich seit Urzeiten den Charakter des Stadtstaates und seiner Bewohner geprägt hätten.65 Auf der Grundlage des bisher Gesagten dürfte deutlich geworden sein, dass Dionysius seine Darstellung der Frühzeit des römischen Staates genau dieser auf die klassisch-athenische Literatur zurückgehenden Vorstellung anpasst. Ebenso wie der Überlegenheits- und Führungsanspruch der klassischen

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Macht betont, setzt er sich bewusst von seinem bedeutenden hellenistischen Vorgänger ab. Dass er das Jahr 264 v. Chr., mit dem Polybius einsetzt, als Schlusspunkt seines eigenen Werkes wählt, unterstreicht den Charakter seiner Römischen Frühgeschichte als Gegenentwurf zu den Historien des Polybius. S. Wiater (2011), 194 – 198; zu Dionysius und Polybius vgl. ferner Gozzoli (1976); Fox (1996), 76 – 77. Die Literatur zu diesem Thema ist umfangreich. Ein wichtiges, gewissermaßen offizielles soziales Medium, durch das diese und verwandte Vorstellungen im Bewusstsein der Athener verankert wurden, waren die Gefallenenreden; hierzu ist grundlegend Loraux (1981), bes. 210 – 215, zur Autochthonie. S. ferner Parker (1987); Wilke (1996).

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Athener nicht allein auf ihren überlegenen Werten und Charaktereigenschaften gründete, sondern auf einer bis auf den Anfang des athenischen Volks zurückreichenden Tradition dieser Werte und Normen, verfügen die Römer bei Dionysius über eine lange, auf die Anfänge des Volkes zurückgehende Tradition echt griechischer Werte, Normen, Institutionen und Vorstellungen, denen sie die Ausdehnung ihrer Macht verdanken, die dementsprechend bereits in dieser Frühzeit durch die Kriege der Römer gegen ihre Nachbarvölker ihren Anfang nimmt. Aus diesem Grund widmet Dionysius nicht nur den Handlungsprinzipien der ersten Römer so große Aufmerksamkeit, sondern schildert auch ausführlich ihre kriegerischen Erfolge, da sich in diesen die überlegenen Charaktereigenschaften realpolitisch manifestieren.

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Es konnte nicht Ziel dieses Abschnittes sein, eine umfassende Besprechung und Interpretation der Römischen Frühgeschichte vorzulegen. Vielmehr musste es darum gehen, einige Kernthemen herauszuarbeiten, die für die Anlage des Werkes und Dionysius’ Verständnis der Römer von grundlegender Bedeutung sind, und diese in aller gebotenen Knappheit in den Kontext größerer kultureller Fragenkomplexe einzuordnen. Ohne eine Vorstellung von der Bedeutung von Verwandtschaftsverhältnissen im griechischen Denken, der Ambiguität des Verhältnisses der Römer zu den Griechen und fundamentalen Elementen klassisch-griechischen Selbstverständnisses lassen sich Bedeutung und Tragweite der Darstellung des Dionysius nicht adäquat erfassen. Für Dionysius’ Zeitgenossen war der Nachweis, dass die Römer in jeder Hinsicht Griechen seien, alles andere als absurd, sondern hatte ernsthafte und konkrete Implikationen für das römische wie für das griechische Selbstverständnis. Und warum zum Beispiel Dionysius im Konflikt zwischen Rom und Alba, Roms Mutterstadt, der Frage nach den Implikationen von Verwandtschaftsverhältnissen für die Festlegung von Hierarchieverhältnissen so großen Raum zugesteht (3,10,3 – 11,9), erschließt sich nur, wenn man um die Bedeutung von Verwandtschaftsbeziehungen für die Regelung der Völker und Stadtstaaten des Mittelmeerraumes untereinander weiß. So hoffen diese Ausführungen, einen Leitfaden für die Lektüre zu bieten, der dem Leser erlaubt, die Römische Frühgeschichte als ein wichtiges Zeugnis griechischer kultureller Identität im Augusteischen Rom zu begreifen. Viele andere Aspekte des Textes des Dionysius hätten hier diskutiert werden können. Eine umfassende Besprechung von Dionysius’ Auffassung der einzelnen römischen Institutionen, ihrer Funktionen im 30

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S. dazu die detaillierten Ausführungen Gabbas (1991), 152 – 216; Poucet (1985), 99 – 106; Fox (1996), 92 – 94. Einen zusammenfassenden Überblick gibt Fromentin (1998), xlvii – li; s. auch Poucet (1985), 91 – 98. Rein enzyklopädisch angelegt ist Fabio Mora, Il pensiero storico-religioso antico: autori Greci e Roma I: Dionigi d’Alicarnasso. Rom 1995. Dieses Problem wird besonders bei dem in der vorherigen Anm. erwähnten Überblick Fromentins deutlich. Pro-augusteisch: Martin (1971), Crouzet (2000); anti-augusteisch: Hill (1961). Differenzierter und zu Recht vorsichtig sind Gabba (1982) und Delcourt (2005). Ausführliche Diskussion in Wiater (2011), 206 – 217.

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römischen Staatswesen und ihrer Entwicklung etwa konnte im Rahmen dieser Einleitung nicht geleistet werden.66 Dasselbe gilt für die Rolle der Religion und der Götterverehrung, die für Dionysius eine entscheidende Rolle nicht nur im römischen Staatswesen spielt, sondern auch einen wichtigen Faktor in der historischen Entwicklung allgemein darstellt.67 Bis zu einem gewissen Grade konnten diese wichtigen Themen in den Anmerkungen zu besonders signifikanten Textpassagen berücksichtigt werden. Einige besonders interessante konkrete Beispiele im Text hervorzuheben schien produktiver als eine summarische Besprechung, die bei der Komplexität des Gegenstandes notwendig recht oberflächlich hätte bleiben müssen.68 Dem Leser sei daher an dieser Stelle ans Herz gelegt, bei der Lektüre auf die Rolle der Götter in der Römischen Frühgeschichte zu achten; ebenso ist es lohnenswert, die Rolle der einzelnen politisch-administrativen Institutionen in ihrem Verhältnis zueinander im Auge zu behalten. Bewusst ausgeklammert wurde hingegen die wenig ersprießliche Frage, ob die Römische Frühgeschichte pro- oder anti-augusteisch sei.69 Soweit man von einem Text auf den Charakter des Autors schließen kann, evoziert die Römische Frühgeschichte das Bild eines durch und durch konservativen Mannes: Dionysius betont wiederholt die Rolle von Frömmigkeit und Religion in der römischen Gesellschaft und lobt Romulus’ strenge Zensur religiöser Mythen, wie sie sich bei den Griechen fänden, die den Göttern schändliche und ungesetzliche Taten zuschrieben (2,20,2). Der Volksmenge räumt er zwar von Anfang an eine Rolle im politischen Geschehen ein, beschränkt diese aber in aller Regel auf eine bloße Bestätigung der Vorschläge und Pläne der Angehörigen der Elite; wie für seinen Vorgänger Polybius war auch für Dionysius eine Demokratie keine wünschenswerte Gesellschaftsform, da seiner Meinung nach die Masse der Führung bedarf. Er lobt ausdrücklich die

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totale Gewalt des römischen Vaters über seinen Sohn, den dieser bis zu drei Mal in die Sklaverei verkaufen durfte, und stellte dies den «aufgeweichten Bräuchen der Griechen» gegenüber (2,27,1). Dass der einzige überlebende der Horatiusdrillinge nach ihrem Kampf gegen die Curiatiusdrillinge aus Alba seine Schwester ermordet, weil diese um ihren gefallenen Verlobten, einen der Curiatiusbrüder, trauert, bezeichnet Dionysius zwar als «kompromisslos und, verglichen mit heutigen Taten und der Lebenseinstellung zu unserer Zeit, roh und brutal und nicht weit von der tierischen Natur entfernt» (3,21,7). Gleichwohl heißt er die Tat indirekt gut, indem er sie letztlich dem ur-römischen «Hass auf Verdorbenheit» (ebd.) zuschreibt und der Grundeinstellung der frühen Römer, das Wohl der Gemeinschaft höher zu veranschlagen als das eigene (3,21,9). Dass Dionysius gewisse Sympathien für das konservative Restaurationsprogramm des Augustus hegte, das ebenfalls die moralische Erneuerung, die traditionellen Bräuche und Werte und das Wiedererstarken der Frömmigkeit und Religiosität betonte, mag man für wahrscheinlich halten. Für das Verständnis der Römischen Frühgeschichte tut dies freilich nichts zur Sache, zumal alle derartigen angeblichen Anklänge an Aspekte des Augusteischen Erneuerungsprogrammes allenfalls indirekt und damit spekulativ sind. Direkt nimmt Dionysius zu Augustus und seiner Politik jedenfalls in den erhaltenen Teilen des Werkes keine Stellung. Überdies hat die neuere Forschung erwiesen, dass die zugrunde liegende Dichotomie pro- oder anti-augusteisch eine Chimäre ist:70 Die Vorstellung einer «Propaganda» des Augustus, durch die er versucht hätte, sein Programm systematisch allen Gesellschaftsschichten zu oktroyieren und alle Gegenpositionen zu unterdrücken, ist mittlerweile obsolet.71 Damit fällt auch die Idee, Autoren hätten sich zwangsläufig für oder gegen die von Augustus vertretenen Auffassungen positionieren müssen: Wie gerade die divergierenden Meinungen über den pro- oder anti-augusteischen Charakter der Römischen Frühgeschichte zeigen, beschreiben diese Begriffe nicht das Werk selbst, sondern seine Rezeption durch die jeweiligen Leser. Je nach ihren eigenen Einstellungen und Vorlieben konnten Leser bestimmte Passagen in Dionysius’ Werk als versteckte Sympathiebekundungen für oder versteckte 70 71

S. Kennedy (1992). S. Feeney (1992); Kennedy (1992); Barchiesi (1994); Galinsky (1996), 10 – 41; ders. (2005).

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Kritik am Augusteischen Programm lesen; sicherlich haben bestimmte Tendenzen der Augusteischen Politik und Kultur auch bewusst oder unbewusst die Themenwahl und -gestaltung des Dionysius beeinflusst. Nichts davon macht die Römische Frühgeschichte jedoch zu einem programmatischen Werk für oder gegen Augustus. Die Frage als solche geht von falschen Prämissen aus; es lohnt sich nicht, ihr weiter nachzugehen. Die Darlegungen in diesem Abschnitt haben die Grundtendenzen von Dionysius’ Darstellung der römischen Geschichte deutlich gemacht. Dies wirft zwangsläufig die Frage auf, wie der Quellenwert seines Werkes für den modernen, an der frühen römischen Geschichte interessierten Leser einzuschätzen ist. Ihr soll im folgenden Abschnitt nachgegangen werden.

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2.3. Die Römische Frühgeschichte als historische Quelle

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S. den Überblick in Cornell (1995), 1 – 30; Cornell wurde jedoch zu Recht dafür kritisiert, dass er die Verlässlichkeit der im ersten Jahrhundert erhältlichen Informationen über die frühe römische Geschichte viel zu positiv bewertet; s. Wiseman (1996) und McDonnell (1997). Auf einem skeptischeren Ansatz basiert Forsythe (2005), der ebd. 59 – 77 ausführlich und verlässlich über die Quellen zur römischen Frühzeit informiert. Der Begriff «jüngere Annalistik» ist in der neueren Forschung zu Recht stark kritisiert worden; das Hauptproblem besteht darin, dass er einheitliche Gattungs- und Darstellungskriterien suggeriert, die sich anhand des Textbestandes nicht nachweisen lassen. S. Beck / Walter (2004), 26 – 28 (mit weiterer Literatur). Für den hier versuchten Überblick behalte ich den Begriff aus konventionellen Gründen und der Einfachheit halber dennoch bei.

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Bei Dionysius’ Römischer Frühgeschichte und dem Geschichtswerk seines Zeitgenossen Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) handelt es sich um die ältesten erhaltenen zusammenhängenden Darstellung der römischen Frühzeit. Beide stehen am Ende einer langen Auseinandersetzung mit der römischen Frühzeit und den Ursprüngen Roms, römischer Sitten und römischer Einrichtungen.72 Diese Tradition war außerordentlich heterogen und ist fast vollständig verloren: Zeitlich am nächsten stehen Dionysius und Livius die sogenannten jüngeren Annalisten, römische Schriftsteller der ausgehenden römischen Republik, die alle in ihren Werken die römische Frühzeit behandelten.73 Die wichtigsten Vertreter dieses Genres, auf die sich auch Dionysius beruft,

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S. 1,7,3 mit Anm. 10. Das Werk des Claudius Quadrigarius, der auch zu dieser Gruppe gerechnet wird, setzte erst mit dem Jahr 390 v. Chr. ein, in dem sich der Angriff der Gallier auf Rom ereignete. Er und Valerius Antias waren die Hauptquellen des Livius. Die Fragmente der frühen römischen Historiker mit deutscher Übersetzung, Einleitung und Kommentar sind nun zugänglich in der von Hans Beck und Uwe Walter besorgten zweibändigen Ausgabe (Beck / Walter [2001 – 2004]). Einen guten Überblick über die Entwicklung der römischen Geschichtsschreibung mit weiterführender Literatur findet sich in Flach (1998). S. 2,38,3 mit Anm. 220. Alternativ schreibt die Forschung diese Rolle dem L. Cassius Hemina zu, der im 2. Jh. v. Chr. eine Geschichte Roms in sieben Büchern von der Frühzeit (erstes und zweites Buch) bis wenigstens 146 v. Chr. verfasste. Zu Cato s. 1,7,3 mit Anm. 10; zu Fabius Pictor s. 1,6,2 mit Anm. 8. Die Wichtigkeit des Dramas als mögliche Quelle römischer Geschichtsschreiber betont Cornell (1995), 11 – 12. Für einen groß angelegten Versuch, das römische Drama für unsere Kenntnis der römischen Geschichte fruchtbar zu machen s. Wiseman (1998); vgl. dens. (1995), 129 – 141; eine positive Einschätzung des Quellenwertes dramatischer Texte auch in Forsythe (2005), 76.

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waren Valerius Antias, Caius Licinius Macer und der schon erwähnte Quintus Aelius Tubero.74 Ihr Material bezogen diese jüngeren Annalisten aus früheren Darstellungen der römischen Geschichte, u. a. aus älteren annalistischen Geschichtswerken, deren erster Vertreter der ebenfalls von Dionysius genannte Lucius Calpurnius Piso Frugi gewesen sein soll,75 sowie den Origines («Ursprüngen») des Cato und dem (griechisch geschriebenen) Geschichtswerk des Fabius Pictor (?270 – nach 210 v. Chr.), der als der Begründer der römischen Historiographie gelten kann. Auch auf die beiden Letztgenannten beruft sich Dionysius.76 Daneben wird gerade für die römischen Historiker auch historische Dichtung wie die Annales des Quintus Ennius (239 – 148 v. Chr.) eine Rolle gespielt haben, welche die Ereignisse von den Irrfahrten des Aeneas bis zu den Punischen Kriegen zu einem historischen Epos verarbeiteten, sowie die zur sogenannten fabula praetexta zählenden Dramen z. B. des Lucius Accius (ca. 170 – 90 v. Chr.), die auf Themen aus der römischen Geschichte basierten.77 Diese Überlieferungsstränge wurden von Anfang an mit anderen verwoben. Da waren zum einen griechische Historiographen, die sich in ihren Werken ausführlich mit den Römern befassten. Hier sind vor allem Timaeus von Tauromenium (ca. 350 – 260 v. Chr.) und Hieronymus von Cardia (2. Hälfte 4. / 1. Hälfte 3. Jh. v. Chr.) zu nennen. Letzterer, sagt Dionysius, habe

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als Erster die römische Frühzeit, wenn auch nur kursorisch, behandelt, während Ersterer über Rom in seiner umfassenden Geschichte Siziliens gehandelt sowie dem Krieg gegen Pyrrhus eine gesonderte Abhandlung gewidmet habe.78 Zum anderen bewahrten die führenden Familien die Erinnerung an die Taten ihrer Vorfahren, die durch die Porträtbüsten der maiores und Familienstammbäume an den Wänden der Häuser vergegenwärtigt wurden. Wir wissen auch, dass jedenfalls im 1. Jahrhundert v. Chr. Angehörige der Nobilität Darstellungen ihrer Familiengeschichte in Auftrag gaben: Eine solche schrieb etwa Ciceros Freund Atticus auf Bitten des Marcus Iunius Brutus;79 auch die berühmten römischen Begräbnisreden (elogia) gehören hierher. Inwieweit solche Familiengeschichten auf Dokumenten fußten, lässt sich freilich nicht mehr feststellen.80 Noch problematischer ist es, dass man gerade bei solchen Auftragsarbeiten in vielen Fällen von Geschichtsklitterung und -fälschung zugunsten des Prestiges der entsprechenden Clans ausgehen muss.81 Neben dieser literarisch-historischen Tradition steht eine andere wichtige Gruppe von Werken, deren Zweck es war, umfassende Informationen über alle möglichen Aspekte der römischen Frühzeit zu sammeln. In der Forschungsliteratur werden sie im Allgemeinen als «antiquarisch» bezeichnet. Diese Werke sind im Gegensatz zur literarischen Tradition enzyklopädisch-thematisch angelegt und versuchen nicht, ihr Material in Form einer groß angelegten, zusammenhängenden Erzählung zu präsentieren. Diese Art historischer Erforschung wurde vom 2. Jahrhundert vor bis ins 3. Jahrhundert nach Chr. betrieben und gipfelte im Werk von Dionysius’ älterem Zeitgenossen Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.). 55 Bücher aus seiner Feder sind uns immerhin dem Titel nach bekannt; davon vollständig erhalten ist einzig sein Werk Über den Landbau (Rerum Rusticarum Libri III) in drei Büchern; von seiner Schrift Über die lateinische Sprache (De Lingua Latina) (urspr. 25 Bücher) besitzen wir die Bücher fünf bis zehn. Ebenfalls nur fragmentarisch erhalten ist sein Hauptwerk, 41 Bücher Antiquitates Rerum Humanarum et Divinarum («Altertümer menschlicher 78

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S. 1,6,1 mit Anm. 5 und 6. S. Cornell (1995), 9 (mit weiteren Beispielen). Ebd. Das kritisierte schon Cicero (Brutus 62)! S. dazu ausführlich den ausgezeichneten Aufsatz Ridleys (1983).

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und göttlicher Institutionen»), die 47 oder 46 v. Chr. veröffentlicht wurden. Hierbei handelte es sich um Ursprungsforschung («Aitiologie») unübertroffenen Ausmaßes, von der Cicero sagte, sie habe römische Identität und römisches Selbstverständnis überhaupt erst begründet (ut possemus aliquando qui et ubi essemus agnoscere, Acad. 1,9). «Ohne V[arro]», schreibt Klaus Sallmann zu Recht, «wäre weder die renovatio Augusta möglich gewesen [. . .] noch eine rationale Auseinandersetzung der Kirchenväter [. . .], bes. des Augustinus, mit der klass[ischen] Ant[ike]».82 Außerdem konnten Geschichtsschreiber auf Dokumente in den römischen Archiven zurückgreifen. Senatsbeschlüsse und Gesetze wurden von den Quästoren und Ädilen in der Staatskasse, dem aerarium Saturni, aufbewahrt; 78 v. Chr. folgte die Einrichtung eines Archivgebäudes, des tabularium, am Südosthang des Kapitols.83 Daneben bewahrten auch die Magistrate Amtstagebücher (commentarii) in ihren Privatarchiven auf.84 Aus den oben erwähnten literarischen Geschichtsdarstellungen lassen sich überdies die sogenannten Fasti rekonstruieren: Wenigstens für das 2. und 1. vorchristliche Jahrhundert wissen wir sicher, dass chronologisch angelegte Konsullisten eine wichtige Rolle für die Erstellung von Genealogien und damit für die römische Vergangenheits(re-)konstruktion spielten. Neben den Namen der Konsuln, nach denen die Jahre gezählt wurden, enthielten diese Listen auch Angaben zu wichtigen Vorzeichen und historischen Ereignissen; im 4. Jahrhundert v. Chr. nahmen sie wohl den Charakter einer Chronik an.85 In der Forschung besteht allerdings große Uneinigkeit über die Zuverlässigkeit der Angaben in den Fasten: Für nicht vertrauenswürdig hält man im Allgemeinen alle Angaben über die Zeit vor der Mitte des 5. Jahrhunderts; radikalere Ansätze wie der Jörg Rüpkes bestreiten überhaupt die Existenz von Listen vor 173 v. Chr.86

Klaus Sallmann, «Varro (2)», DNP 12,1, 2002, Spp. 1130 – 1144, hier Sp. 1132. Vgl. Forsythe (2005), 72 – 74, der mit Recht darauf hinweist, dass viele der weniger wichtigen Dokumente wahrscheinlich nicht auf Bronze festgehalten wurden und darum für die Geschichtsschreibung schon früh verloren waren; ein weiteres Problem ist die Frage, wie hoch die Kompetenz der antiken Geschichtsschreiber im Umgang mit dem oft nur schwer verständlichen archaischen Latein einzuschätzen ist. S. Konrad Vössing, «Archiv», DNP 1, 1996, Spp. 1021 – 1025, hier Spp. 1024 – 1025. Bleicken (2004), 106. Knapper Überblick über die wichtigsten Forschungspositionen ebd., 111 – 112.

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Den Fasti, wie immer man ihre Authentizität auch beurteilen mag, an die Seite zu stellen sind schließlich die Aufzeichnungen des obersten Priesters (pontifex maximus), die sogenannten Pontifikalannalen. Beide Dokumente zusammen bilden die Grundlage der Entwicklung der oben erwähnten römischen Annalistik; Dionysius erwähnt Annalisten und Pontifikalannalen 1,73,1.87 Letztere verzeichneten seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. «neben Angaben über Teuerungen und Finsternisse sicher auch solche über Prodigien [. . .], Tempel-Weihungen, Ergänzung der Priester-Kollegien, wahrscheinlich auch Koloniegründungen, Beamtenwahlen und mil[itärische] Ereignisse»88 auf einer geweißten Tafel; die frühesten Aufzeichnungen wurden allerdings nach den Angaben des Livius (6,1,2) während des Brandes der Stadt nach dem gallischen Sieg an der Allia (390 v. Chr.) zerstört. Um 130 v. Chr. veröffentlichte der pontifex maximus Publius Mucius Scaevola dann angeblich die Priesteraufzeichnungen als annales maximi in 80 Büchern; die Tafeln selbst wurden danach nicht mehr weitergeführt. Scaevola scheint allerdings den sehr selektiven und knappen Informationsbestand durch Rückgriff auf die römische Geschichtsschreibung in nicht unerheblichem Maße ergänzt und erweitert zu haben.89 Dies ist das Material, auf das Dionysius und seine Zeitgenossen für ihre Darstellungen der römischen Frühgeschichte zurückgriffen. Der historische Wert der Römischen Frühgeschichte hängt zum einen vom Quellenwert dieses Materials, zum anderen von Dionysius’ Umgang mit seinen Quellen ab.90 Was den ersten Punkt betrifft, hat der vorstehende Überblick deutlich gemacht, das Dionysius’ Quellenmaterial als solches von allenfalls begrenztem Wert gewesen sein kann. Informationen, die über das 5. Jahrhundert v. Chr. hinausgehen, sind aus heutiger Sicht fast ausnahmslos als nicht authentisch einzustufen.91 Überdies können Dionysius’ Ausführungen nicht mehr durch Vergleich mit seiner Materialgrundlage überprüft werden, da

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S. dort Anm. 152. Wilhelm Kierdorf, «Annales maximi», DNP 1, 1996, Sp. 709. S. Flach (1998), 58 – 59; Forsythe (2005), 71 – 72. Ausführliche und ausgewogene Diskussion der hier behandelten Fragen- und Problemkomplexe in Poucet (1985), 35 – 160. Vgl. Cornell (1995), 15: «It is unlikely [. . .] that either the Annales maximi or any other systematic record stretched back as far as the regal period». Gleiches gilt für Tempel, ebd., 28.

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diese Texte, wenn überhaupt, nur bruchstückhaft erhalten sind oder wir auf wichtige Quellen wie die Fasti und die Pontifikalannalen bestenfalls nur noch indirekt zugreifen können. Wie das Beispiel der annales maximi zeigt, die von P. Mucius Scaevola aus Geschichtswerken ergänzt wurden, die ihrerseits schon auf den Pontifikalannalen beruhten, wird man überdies in vielerlei Fällen auch mit einer Kontamination der einzelnen Überlieferungsstränge zu rechnen haben. Hinzu kommt, dass das Konzept von Historiographie in der Antike ganz erheblich von unserem abweicht. Dies betrifft zum einen die Standards der Verifizierung des erhältlichen Materials; allein viele technische Möglichkeiten, um Alter und Authentizität von Objekten zu bestimmen, fehlten in der Antike natürlich ganz. Mündliche Überlieferungen, wie wir sie für die Frühzeit, aber wahrscheinlich auch noch für die Zeit des Dionysius in der Form von Familienerinnerungen vorauszusetzen haben, sind per se schon Ungenauigkeiten und Verfälschungen ausgesetzt.92 Augenzeugenberichte sind ja selbst in unserer Zeit noch notorisch problematisch.93 Schon Thucydides hatte daraus vor allem für die Reden, die in der Antike ja seit jeher wichtiger Bestandteil politischer Entscheidungsprozesse waren, die Konsequenz gezogen, auf der Grundlage der verfügbaren Informationen und nach den Standards der Wahrscheinlichkeit seine eigenen Reden zu verfassen und in sein Werk aufzunehmen (1,22,1).94 Dies führt uns zu einem weiteren Problem, das die Gepflogenheiten historischer Darstellung in der Antike betrifft. Das entscheidende Kriterium für die Qualität moderner historischer Darstellungen, dass alle Aussagen des Historikers durch genaue Dokumentation des Materials belegt und nachvollziehbar sein müssen, galt in der Antike nicht. Dionysius nennt zwar recht häufig seine «Quellen», wie aus obigen Ausführungen deutlich, ist darin jedoch keineswegs konsequent. Stattdessen beschränkt er sich oftmals auf S. Cornell (1995), 11; ausführlichere Diskussion in Poucet (1985), 65 – 70, bes. 68. Vgl. Forsythe (2005), 3 – 4. Dieser Probleme von Augenzeugenberichten war sich schon Thucydides vollkommen bewusst; s. Thuk. 1,22,3 – 4 und die Diskussion in Woodman (1988), 15 – 23. So wird diese vielleicht umstrittenste Passage der Historien des Thucydides im Wesentlichen schon von de Ste. Croix verstanden, s. Woodmann (1988), 11 – 15, bes. 13; knapp und treffend: Badian (1992). Die neueste umfassende Behandlung der Reden in den Werken Herodots und des Thucydides ist Scardino (2007) (mit ausführlichen weiteren Literaturangaben).

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Cornell (1995), 7. Bosworth (2003). Zu bemerken ist allerdings, dass Bosworth zwar von «veracity» (z. B. 169) spricht, eigentlich aber nur Quellentreue nachweist. Dies ist zwar auch wichtig, sagt aber weder etwas über den historischen Wert einer Aussage aus (denn diese hängt ja ihrerseits vom Wert der Quelle und dem methodologischen Umgang mit dieser ab), noch hilft es uns in den Fällen weiter, wo dem antiken Autor überhaupt keine Quellen vorlagen. Dies wird gerade für die römische Frühzeit kein seltener Fall gewesen sein. Die Ähnlichkeiten zwischen Thucydides und moderner Geschichtsschreibung sollten jedoch keinesfalls überschätzt werden; s. die ausführliche und treffende Kritik in Woodman (1988), 1 – 69.

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eine allgemein gehaltene Angabe («manche sagen»), und meistens bleibt es gar vollkommen unklar, ob Dionysius sich an einer Stelle auf ein anderes Werk (oder andere Werke) stützt oder nicht: «In truth we do not know precisely which sources were used by Livy and Dionysius of Halicarnassus, nor how they used them».95 Auch gibt es antike Geschichtswerke betreffend keinen Grund, anzunehmen, dass jede Passage aus einem sorgfältigen Studium mehrerer (oder auch nur einer) Quelle hervorgegangen sein müsse. Man mag Bosworth darin folgen, dass Geschichtsschreiber der Antike ihren Quellen, wo solche vorlagen, nach bestem Wissen und Gewissen folgten und nicht mutwillig Eigenes hinzuerfanden.96 Dieses Argument lässt sich allerdings selbst für Historiker wie Thucydides, der auch nach heutigen Maßstäben noch als verhältnismäßig gewissenhaft und verlässlich angesehen wird,97 nur dann aufrecht erhalten, wenn man die Reden, und damit einen ganz wesentlichen Teil der Geschichtswerke, außer Betracht lässt. Zu bedenken ist auch, dass für unterschiedliche historische Vorhaben schon in der Antike eine ganz unterschiedliche Quellenlage vorauszusetzen ist. Im Falle des Thucydides, der sich mit einem zeitgeschichtlichen Thema befasste, kann man argumentieren, dass er sowohl für seine Beschreibung der Ereignisse als auch für die von ihm selbst verfassten Reden auf Material zurückgreifen konnte, das wenigstens zum Teil von Augenzeugen stammte und damit einen gewissen Authentizitätsanspruch hatte. Verfasser von römischen Frühgeschichten hatten diesen Vorteil nicht: Authentisches Material aus der Frühzeit stand schon den ersten römischen Historikern, die der römischen Frühzeit um zwei Jahrhunderte näher standen als Dionysius, nicht zur Verfügung. Aus demselben Grund waren die Möglichkeiten, über das vorhandene Material durch eigene Forschungen hinauszukommen, minimal. So

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blieben zwangsläufig Lücken, die sicherlich schon von den ersten Historikern der römischen Frühzeit auf der Grundlage des verfügbaren Materials und nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit aufgefüllt wurden:98 Wo es keine Quellen gab, konnte man sich auch nicht in Bosworths Sinne an sie halten. Hier ist überdies zu beachten, dass die antiken Kriterien dafür, was als «wahr» oder «wahrscheinlich» gelten konnte, sich sehr von den heutigen unterschieden. So mochten antike Geschichtsschreiber die Historizität bestimmter Details der überlieferten Geschichten in Frage stellen, hielten die Überlieferung als solche hingegen, also etwa die Angaben, dass Rom von einem Zwillingspaar gegründet wurde oder dass eine Massenentführung von Jungfrauen stattfand, grundsätzlich für glaubhaft.99 Auf diesem Hintergrund sollte man Ergänzungen des verfügbaren Materials auch nicht einfach als «rhetorische Ausschmückung»100 oder bewusste Geschichtsverfälschung abtun. Wir haben es vielmehr mit einem wichtigen Unterschied zwischen der antiken und unserer Auffassung von Geschichtsschreibung und historischer Wahrheit zu tun: «The Greeks and Romans were capable of accepting reality and the representation thereof each on its own terms, no matter how much the latter ‹misrepresented› (as we see it) the former».101 Diese Feststellung Woodmans, die sich auf die zeitgeschichtliche Darstellung des Thucydides bezieht, gilt umso mehr für Beschreibungen der Frühzeit, bei der antike Autoren durch das Fehlen von Quellenmaterial weit größere Freiheiten hatten. Neben diesen generellen Vorbehalten gilt für die Römische Frühgeschichte des Dionysius im Speziellen, dass es Dionysius, wie im vorhergehenden Abschnitt dargelegt, nicht um eine Darstellung der römischen Frühzeit um ihrer selbst willen geht, die den Leser objektiv und umfassend informieren möchte.102 Diesen Punkt macht er selbst in seiner Einleitung ganz deutlich (1,5,1 – 3). In seiner Materialauswahl und -handhabung ist Dionysius immer von der ganz konkreten Fragestellung nach dem Wesen der Römer

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Dies betont schon für die ältere Annalistik entgegen der oft geäußerten gegenteiligen Auffassung mit Recht Cornell (1995), 6 – 7. 99 Poucet (1985), 40 mit Anm. 13. 100 So etwa Cornell (1995), 6 («rhetorical elaborations»). 101 Woodman (1988), 14. 102 Dies heißt freilich auch nicht, wie gegen Ando (1999), 11, festzuhalten ist, dass Dionysius überhaupt kein genuines Interesse an der römischen Geschichte hatte.

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Letzteres legen Stellen wie 1,74,5 und 1,14,3 nahe. Hier gibt Dionysius an, er habe Zensorprotokolle eingesehen (s. dazu u. Anm. 155) bzw. beruft sich auf Informationen, die er aus erster Hand von Einheimischen erhalten habe. Konsequent hat Dionysius auch Städte, Gebäude und Plätze, soweit sie noch erhalten waren, in Augenschein genommen (sog. «Autopsie»); s. dazu Andrén (1960). Diese Übereinstimmungen gehen möglicherweise auf Fabius Pictor zurück, s. Poucet (1985), 56 – 57. Poucet weist aber auch darauf hin, dass dies nicht über die für uns Moderne verwirrende Vielfalt an Versionen derselben Ereignisse in den verschiedenen Traditionssträngen hinwegtäuschen dürfe: Er zählt alleine sechs verschiedene Darstellungen des Schicksals der Rhea Silvia, der Mutter von Romulus und Remus, nach ihrer Niederkunft auf (ebd. 52 – 53). Vgl. Forsythe (2005), 61. 77.

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und dem Bemühen geleitet, ihre griechische Abstammung nachzuweisen. Der Rückgriff auf die Vergangenheit dient hier dem Nachweis einer These und nicht primär der (Re-)konstruktion der Vergangenheit an sich. Mit dem Material, das Dionysius als relevant für sein historisches Projekt ausgewählt hat, geht er durchaus kritisch um, ohne, soweit ersichtlich ist, bewusst etwas daran zu verfälschen. Fasst man «Wahrheit» nicht als ontologischen, sondern prozessualen Begriff, ist Dionysius’ Erzählung in dem Sinne wahr, als sie oft auf dem kritischen Studium literarischer und manchmal wohl auch dokumentarischer Quellen beruht.103 Dieser Vorgang ist jedoch, wie bereits erwähnt, keineswegs in unserem Sinne transparent: Dionysius gibt seinem Leser ja keinen «Forschungsüberblick» oder erklärt seine methodologischen Prinzipien; auch rezipiert und diskutiert er die verfügbaren «Quellen» nicht vollständig, sondern immer nur punktuell und stets unter dem Gesichtspunkt seiner übergreifenden Fragestellung. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass man sich von der Römischen Frühgeschichte als historischer Quelle nicht allzu viel erwarten sollte. Die Quellen, die Dionysius für sein Werk benutzte, mögen zwar einige authentische Informationen bewahrt haben, doch ist aufgrund des Verlustes der meisten Texte die Verifizierung hier oft unmöglich. Da hilft auch der Hinweis nicht viel weiter, dass Darstellungen der römischen Frühgeschichte, die voneinander unabhängig sind, dennoch weitestgehend in den Grundzügen übereinstimmen.104 Dies belegt zwar, dass sich vor der Zeit des Dionysius, vielleicht schon im späten 3. oder frühen 2. Jahrhundert v. Chr., eine relativ stabile Tradition über die römische Frühzeit herausgebildet hatte,105 die zu einem guten Teil auf Dokumenten wie den

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Von allen Quellen besteht bei den Gesetzestexten die größte Chance, dass sie altes Material erhalten. Doch ist auch hier Vorsicht geboten: Autoren wie Dionysius erschließen ältere Gesetze aufgrund des späteren Materials und schreiben deren «Erfindung» einem der König zu (s. 2,27 mit Anm. 210 für ein signifikantes Beispiel), und die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse Roms in der Frühzeit, soweit wir sie überblicken können, legen nahe, dass das älteste erhaltene Material frühestens aus dem späten 6. Jh. v. Chr. stammt; s. dazu Smith (1996), 4 – 5 (mit weiterer Literatur). Vgl. Purcell (1989), 165. Weitere wichtige archäologische Arbeiten sind Grandazzi (1991); Ross Holloway (1994); Carandini (1997) und ders. (2006). Eine gut lesbare und informative Stadtgeschichte Roms bietet Kolb (2002).

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Fasti und den Pontifikalannalen, aber auch auf Gesetzes- und Vertragstexten und mündlicher Überlieferung beruhten.106 Doch verschiebt sich damit das Problem nur gewissermaßen um eine Stufe nach hinten, da die Verlässlichkeit des Materials auch schon in den Anfängen der literarischen Tradition zweifelhaft und in jedem Fall für uns nicht mehr nachvollziehbar ist.107 Doch was ist mit den reichen archäologischen Funden? Scheinen diese nicht viele auch in den späten literarischen Texten gebotenen Interpretationen zu bestätigen? Dass archäologische Funde uns wertvolle Einblicke in die Frühzeit Roms und Latiums gewähren können, steht außer Frage. Beispielhaft zeigt dies Christopher Smith in seiner Studie Early Rome and Latium: Economy and Society c. 1000 to 500 BC (Oxford 1996).108 Doch zeigt Smiths Untersuchung auch, dass die Art von Informationen, die wir aus dem archäologischen Material gewinnen können, sich kategorial von dem unterscheidet, was uns die schriftlichen Quellen bieten. Aus den Grabfunden und materiellen Überresten lässt sich vor allem diachron ein gutes Bild von gesellschaftlichen Prozessen gewinnen: Veränderungen in den Grabbeigaben lassen gewisse Schlüsse auf soziale Verhältnisse und ihre Entwicklung zu; auch bestimmte Schlussfolgerungen über Religion und Glaubenssysteme lassen sich ziehen, und wir können die Entwicklung urbaner Zentren nachverfolgen. Für ein Verständnis der italischen und römischen Frühzeit sind all diese Informationen unerlässlich. Die Art und Fülle von Details, wie sie Dionysius seinen Lesern bietet, die bestimmte Entwicklungen, Ereignisse und Erfindungen bestimmten Personen unter klar definierten sozialen, politischen und militärischen Umständen zuschreibt, kann das archäologische Material hingegen nicht liefern. Hier hat man sich insbesondere vor verführerischen Zirkelschlüssen

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S. dazu die Diskussion in Cornell (1995), 26 – 30; Forsythe (2005), 78 – 79. Eine ausgezeichnete Auseinandersetzung mit der Interpretation archäologischen Materials und Demonstration, wie man beide produktiv miteinander in Verbindung bringen kann, bietet Purcell (1989), bes. 165. Poucet (1985), 125. Purcell (1989), 165. Smith (1996), 5. Zum eigenständigen Quellenwert des archäologischen Materials s. auch Purcell (1989), 165. So etwa Cornell (1995), 25 – 26; auf derselben Annahme aufbauend hat MacMullen eine interessante, wenn auch wenig neue Erkenntnisse bietende, Studie zum «Charakter» des römischen Volkes vorgelegt. Anstatt sich auf die ohnehin nicht mehr mit hinreichender Sicherheit identifizierbaren Fakten zu konzentrieren, ist seine These, dass die Römer seit Anbeginn ihrer Geschichte bestimmte Charaktereigenschaften bewahrt hätten und sich diese anhand des archäologischen und manches literarischen Materials nachvollziehen ließen (MacMullen [2011]).

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in Acht zu nehmen: Da Artefakte sich nur durch Rückgriff auf literarische Texte kontextualisieren lassen, kann man sie nicht als Bestätigung der Informationen in diesen literarischen Texten anführen.109 Allein in den (seltenen) Fällen, wo sich aus einer Fülle archäologischen Materials selbst ein einigermaßen sicheres Bild gewinnen lässt, ist es zulässig, es mit der Darstellung in den literarischen Quellen zu vergleichen.110 Methodologisch ist schließlich zu bedenken, dass auch eine (scheinbare) Übereinstimmung von literarischem und archäologischem Zeugnis an sich keine Schlussfolgerung über etwaige Quellen, auf welche die entsprechenden Angaben des Autors zurückgehen, und deren Zuverlässigkeit zulässt: «The material city is the evidence on which the Romans too based their theories, and its eventual excavation is no corroboration of those theories».111 Man wird sich daher Christopher Smiths treffender Charakterisierung der Rolle des archäologischen Materials anschließen: «We may not find answers to the questions which Livy, Dionysius, and others inspire us to ask, but we can find answers to questions which are more penetrating, valuable, and interesting than the literary record alone can provide».112 So bleibt oft nur noch, auf den angeblichen Konservativismus der Römer zu verweisen: Besonders im politischen und religiösen Bereich, so wird behauptet, überlagerten sich ältere und jüngere Schichten, und dieses ältere Material lasse sich dementsprechend durch historisch-kritische Analyse herauspräparieren.113 Diese Annahme ist grundsätzlich

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korrekt, doch muss auch hier bedacht werden, dass wir zwar ältere und jüngere Phänomene mit mehr oder weniger großer Sicherheit voneinander unterscheiden, jedoch keineswegs bestimmen können, wann genau die augenscheinlich älteren politischen, kulturellen und religiösen Elemente eingeführt wurden oder sich ausgebildet haben. Selbst konservative gesellschaftliche Bereiche passen sich veränderten sozialen Bedingungen an, stellen aber solche Veränderungen (bewusst oder unbewusst) oft überzeugend als «ursprünglich» und «althergebracht» dar, um sie zu legitimieren. Als Gedankenexperiment stelle man sich einmal vor, man wollte aus einer katholischen Messe des 21. Jahrhunderts den Ablauf einer Messe des 15. Jahrhunderts rekonstruieren, ohne die entsprechenden Zwischenschritte zu kennen, allein in der Annahme, dass religiöse Institutionen inhärent konservativ seien. Hinzu kommen gesellschaftliche Praktiken, die von allen Beteiligten als traditionell angesehen werden, tatsächlich aber jungen Datums sind. Solche «invented traditions», die Eric Hobsbawm und Terence Ranger in einer bahnbrechenden Studie untersucht haben, finden sich zu allen Zeiten und in allen Kulturen.114 Wir müssen daher davon ausgehen, dass schon die ersten römischen Geschichtsschreiber bestimmte Traditionen als alt und ursprünglich angesehen haben, obwohl diese ihren Ursprung überhaupt nicht in der Frühzeit genommen hatten.115 Für unsere Kenntnis der römischen Frühzeit führt dies alles zu sehr unbefriedigenden Schlussfolgerungen. Die Römische Frühgeschichte ist nach heutigen historischen Standards keine Quelle für die Anfangszeit Roms. Manche Information, die Dionysius seinen Lesern bietet, mag authentisch sein, doch haben wir in den meisten Fällen keine Möglichkeit, dies nachzuprüfen. Das archäologische Material erlaubt uns eine immerhin rudimentäre sozialgeschichtliche Rekonstruktion, kann aber eine detaillierte narrative Darstellung der römischen Frühzeit nur in seltenen Fällen stützen. Die zwei Hauptprobleme, dass wir entweder gar kein authentisches Material zur Verfügung haben oder die Authentizität von vielversprechendem Material

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Eric Hobsbawm / Terence Ranger (Hgg.), The Invention of Tradition. Cambridge (1983) (zahlreiche Nachdrucke). Vgl. Smith (1996), 5, der mit Recht davor warnt, den römischen Konservativismus zu überschätzen; er fügt hinzu: «The problem remains that we cannot give a ‹stratigraphy› of myth [. . .] and what appears to be early may actually be the deliberate invention of a later period».

2. DIE RÖMISCHE FRÜHGESCHICHTE DES DIONYSIUS

Vor allem der letzte Punkt wird seit dem 19. Jh. bis in unsere Zeit in historischen Darstellungen häufig nicht ausreichend beachtet. Hier herrscht oftmals noch die Grundannahme vor, die, wenn auch noch so verzerrte, literarische Tradition habe doch irgendwie authentisches Material bewahrt, das der Historiker nun durch kritische Analyse der Texte wiedergewinnen könne. Dass dies auch die bevorzugte Methode des Dionysius im Umgang mit Mythen ist, sollte uns einer solchen Vorgehensweise gegenüber vorsichtig stimmen; vgl. Fox (1996), 79. Eine gute kritische Auseinandersetzung mit diesem «approche historicisante» findet sich in Poucet (1985), 44 – 71; s. auch die treffende Kritik Sourvinou-Inwoods (1988). S. dazu Wiater (2011), 8 – 18.

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nicht mehr nachweisen können,116 lassen sich auf der Grundlage der verfügbaren Quellen nicht lösen. Die Römische Frühgeschichte ist jedoch durchaus eine historische Quelle in einem anderen Sinne: Dionysius und Livius geben uns ein verlässliches Bild davon, was Römer und Griechen im ersten vorchristlichen Jahrhundert und gewiss auch schon mehrere Generationen vorher über die Ursprünge der Römer zu wissen glaubten. Als kulturgeschichtliche Dokumente, die uns wertvolle Einblicke in die Gesellschaft und Denkweisen ihrer eigenen Zeit bieten, sind ihre Texte von unschätzbarem Wert. Aus dieser Perspektive ist die Römische Frühgeschichte des Dionysius besonders wertvoll, da sie eine wichtige Station in der Entwicklung des komplexen Verhältnisses der Griechen zu den Römern darstellt und uns so entscheidende Informationen darüber liefert, welchen Einfluss der Kontakt mit den Römern auf das griechische Denken und das griechische Weltbild ausgeübt hat. Darüber hinaus hat sich in Dionysius’ Werk eine Art Momentaufnahme erhalten, durch die wir einen Eindruck von der Dynamik eines anderen wichtigen kulturellen und intellektuellen Prozesses bekommen: die oftmals von Kontroversen (in griechischen wie lateinischen Autoren) geprägte Ausbildung einer Tradition über die römische Frühzeit in einer der wohl einflussreichsten Epochen der abendländischen Geschichte. Aus dieser Perspektive kann die Römische Frühgeschichte zu unserem Bild der «Augusteischen Kultur», verstanden in einem umfassenden Sinne als die Kultur in Rom unter Augustus, das bisher überwiegend von einer einseitigen Konzentration auf die lateinischen Autoren geprägt ist,117 entscheidende neue Facetten hinzufügen.

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3. Die Prinzipien dieser Übersetzung

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Die literarische griechische Prosa des Hellenismus hat im Vergleich zur erhaltenen Textmenge erstaunlich wenig Beachtung gefunden. Den größten Fortschritt in dieser Hinsicht stellt Stefan Radts Kommentar zum Text seiner Neuausgabe von Strabons Geographie dar;118 ansonsten muss hier auf zwar immer noch wichtige, aber doch schon verhältnismäßig alte Untersuchungen zurückgegriffen werden.119 Für den Stil des Dionysius ist Stephen Ushers Darstellung in Aufstieg und Niedergang der römischen Welt grundlegend;120 daneben ist die ausführliche Abhandlung des besten Kenners der Sprache des Dionysius, Carl Jacobys, heranzuziehen.121 Für die Zwecke dieser Übersetzung ist eine knappe Charakterisierung ausreichend. Den Stil des Dionysius hat meine Kollegin Clemence Schultze einmal sehr treffend als «procedural» beschrieben: Mit seinen langen und oftmals ausgewogenen Perioden stellt sich Dionysius programmatisch in die Tradition der von ihm hochverehrten klassischen Redner Isocrates und Demosthenes, erreicht aber nicht ihre Virtuosität. Wollte man seinen Stil mit einem einzigen Schlagwort beschreiben, drängt sich der Begriff «akademisch» auf. Der Leseeindruck der Römischen Frühgeschichte lässt sich vielleicht am ehesten mit dem der wissenschaftlichen Prosa des 19. Jahrhunderts vergleichen: Alle Möglichkeiten der Syntax werden ausgeschöpft, um in den einzelnen Sätzen so viele Informationen wie möglich unterzubringen. Das Resultat sind viele lange, verschachtelte Sätze, die kunstvoll, aber nicht elegant sind, und in einigen, jedoch seltenen Fällen die Aufmerksamkeitsspanne und Konzentration jedenfalls des modernen Lesers auf die Probe stellen können. Mit anderen Vertretern der hellenistischen literarischen Prosa teilt Dionysius überdies eine Vorliebe für Umschreibungen und Abstraktionen. Gelegentlich führt dies zu etwas geschraubten Ausdrücken, die vielleicht schon der zeitgenössische Bd. 5 bis 8, Göttingen 2006 – 2009. S. Usher (1955) und (1960). Für Polybius enthalten die Einleitungen zu den einzelnen Bänden von Büttner-Wobsts Teubnerausgabe viel Wichtiges (Leipzig 1889 – 1905); s. ferner Jules A. de Foucault, Recherches sur la langue et le style de Polybe. Paris 1972; Michel Dubuisson, Le latin de Polybe: les implications historiques d’un cas de bilinguisme. Paris 1985. Zu Diodor ist grundlegend Jonas Palm, Über Sprache und Stil des Diodoros von Sizilien: ein Beitrag zur Beleuchtung der hellenistischen Prosa. Lund 1955. Usher (1982). Jacoby (1874).

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Leser zweimal lesen musste, um ihren Sinn zu verstehen; andererseits gelingen Dionysius aber auch immer wieder originelle Ausdrücke und Wendungen. All dies teilt die Römische Frühgeschichte, wie gesagt, mit der soliden, gut verständlichen und technisch ausgefeilten Kunstprosa vieler Vertreter historischer Literatur des 19. Jahrhunderts, die eine kompetente und angenehm lesbare Darstellung der Ereignisse bieten, ohne aber die Brillanz, stilistische Virtuosität und den analytischen Scharfblick und die Präzision eines Mommsen erreichen zu können. Autoren wie Mommsen in der Moderne und Thucydides in der Antike, die den Horizont historischen Verstehens und des sprachlichen Ausdrucks gleichermaßen erweitern, waren zu allen Zeiten Ausnahmeerscheinungen. Gegen sie nehmen sich viele kompetente und technisch versierte Darstellungen als gewöhnlich und wenig aufregend aus. Daher ist es wichtig, diese Ausnahmeerscheinungen nicht zum absoluten Maßstab zu erheben. Der Stil des Dionysius erreicht, was er soll und was er will, und ist dabei durchaus interessanter, experimenteller und eine größere Herausforderung für den Leser als etwa die schlichte Ausdrucksweise Diodors. Hinzu kommt, dass Dionysius damit seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird: In seinen Analysen des Stils des Thucydides ist eine gewisse Bewunderung für die stilistische Virtuosität stets gemischt mit einer deutlichen Kritik an den oft schwer oder auch gar nicht mehr verständlichen Sätzen, die diese oft hervorbringt.122 Ein anderer wichtiger Aspekt des Stils des Dionysius, der leider in einer Übersetzung vollkommen verloren geht, ist die Umsetzung seines eigenen Konzepts der Mimesis. Wie in Kapitel 1.2 erläutert, war es Ziel des Dionysius und der Mitglieder seines klassizistischen Zirkels, in ihren eigenen literarischen Werken stilistisch an die als vorbildlich betrachteten Autoren der klassischen Zeit anzuschließen. Dionysius fordert jedoch vor allem in seinem Traktat über den Stil des Redners Dinarchus, dass dieser Prozess keinesfalls eine unreflektierte, mechanische Nachahmung sein dürfe. Vielmehr müsse der «klassische» Stil, den er und seine Adressaten entwickeln, eine lebendige Weiterentwicklung des klassischen Stils ihrer literarischen Vorgänger im 5. und 4. Jahrhundert sein.123 Wie besonders die detaillierte Studie Sven

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S. z. B. Thuc. 22,1.3 – 10; 29,1; vgl. Dem. 15,2 – 6. Zu Dionysius’ Kritik an Thucydides s. ausführlich Wiater (2011), 130 – 165; vgl. de Jonge (2008), 214 – 250. 265. 268 sowie die im Index unter «Thucydides’ style» aufgeführten Stellen. Din. 7,5 – 6; s. Wiater (2011), 77 – 92, bes. 89 – 91.

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Eks zu den Herodotismen in der Archäologie des Dionys von Halikarnass gezeigt hat,124 evozieren viele Phrasen und Ausdrücke in der Römischen Frühgeschichte die Erzählung Herodots, ohne jedoch einfache Übernahmen zu sein. Dionysius geht vielmehr selbstständig mit dem Material um, so dass dem gebildeten Leser der Bezug zum Werk der klassischen Zeit bewusst ist, ohne dass es sich um eine bloße Nachahmung des stilistischen Vorbildes handelte.125 Hierher gehört auch, dass Dionysius sich in seiner Wortwahl keineswegs auf den Wortschatz der Autoren der klassischen Zeit beschränkt,126 wie das die Autoren der sogenannten «Zweiten Sophistik» in der Kaiserzeit (etwa 2. bis 4. Jh. n. Chr.) tun werden, deren Wortschatz durch attizistische Lexika streng reguliert ist. Die Römische Frühgeschichte geht durchaus in dem Sinne mit der Zeit, dass Dionysius das klassische Material im Lichte typisch hellenistischer Ausdrucksweisen und zeitgemäßen Wortgebrauches umformt und so einen «modernen klassischen» Stil schafft, also einen Stil, welcher die klassische Tradition mit der griechischen Literatursprache des Hellenismus verbindet. In einer deutschen Übersetzung müssen derartige Feinheiten unbeachtet bleiben, wie überhaupt so viele Facetten des Originaltextes notwendigerweise verloren gehen.127 Die größte Herausforderung für den Übersetzer ist, einen deutschen Text zu erstellen, der möglichst denselben Leseeindruck hervorruft wie das Original: Ein deutscher Stil musste gefunden werden, der dem des Dionysius entspricht, dabei aber, wann immer das möglich schien, das griechische Original wenigstens durchschimmern lässt. Ein gut lesbares Deutsch muss für eine Übersetzung natürlich oberste Priorität sein, und für Leser, die das griechische Original nicht vergleichend heranziehen können, wird es unmöglich sein, Passagen nach dem Grad ihrer Anlehnung an den griechischen Text voneinander zu unterscheiden. Für den Übersetzer ist das Bemühen, in der Zielsprache das Original so oft wie möglich reflektieren

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Ek (1942). Zum Einfluss des Thucydides auf Dionysius’ Darstellung s. Fox (1996), 83 – 92. Vgl. Fox (1996), 81. S. Usher (1982), 825 – 828. Bei den von Dionysius gelegentlich zitierten Versen wurde versucht, in der deutschen Übersetzung wenigstens einen Eindruck des griechischen Silbenrhythmus zu bewahren; vollständige Übersetzungen im originalen Versmaß waren nur gelegentlich möglich.

3. DIE PRINZIPIEN DIESER ÜBERSETZUNG

In allen Paratexten, also den von mir eingefügten Zwischenüberschriften, den Anmerkungen, der Einleitung usw., wurde hingegen die uns vertrautere lateinische Schreibweise gewählt. Im Allgemeinen wurde in den Anmerkungen so verfahren, dass sich Faktenangaben auf die Einträge in den entsprechenden Nachschlagewerken, bes. dem Neuen Pauly (DNP), und die Anmerkungen Fromentins und Sautels stützen. Handelte es sich hier um bloße Zusammenfassungen bereits bekannten Materials ohne eigenständige neue Erkenntnisse der Verfasser, wurde der Einfachheit halber auf einen Quellennachweis verzichtet. In all jenen Fällen hingegen, wo neue, über das bekannte Material hinausgehende Erkenntnisse oder Syntheseleistungen vorlagen, wurden deren Urheber kenntlich gemacht.

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zu lassen, jedoch ein wichtiges Korrektiv. Andernfalls ist die Versuchung zu groß, einfach in den Stil zu verfallen, der dem Übersetzer am meisten liegt, statt immer wieder zu überprüfen, ob man beständig seinem Ziel treu bleibt, einen «deutschen Dionysius» zu schaffen. Daher wurden deutsche Konstruktionen, die den griechischen weitestgehend entsprechen, sowie etymologisch verwandte Wörter gewählt, wo immer dies ohne größere Nachteile möglich war. Es bleibt zu hoffen, und muss dem Leser zur Beurteilung überlassen werden, ob dieser Spagat zwischen Ausgangs- und Zielsprache in der vorliegenden Übersetzung geschafft wurde. Immerhin kommt das Deutsche dem Übersetzer im Fall des Dionysius insoweit entgegen, als es ebenso wie das Griechische syntaktisch komplexe Konstruktionen zulässt. Dennoch hat das Griechische mit seinem differenzierten Partizipialsystem und seiner für antike Sprachen charakteristischen Freiheit bei der Wortstellung hier viel weiter gehende Möglichkeiten. So mussten allzu lange Sätze in kürzere unterteilt werden; reichlich wurde auch von Doppelpunkt, Semikolon, Klammer und Gedankenstrich Gebrauch gemacht, um große Gedankenzusammenhänge im Griechischen zu bewahren, ohne diese durch eine verworrene deutsche Syntax zu verunklären. Zur Bewahrung des Leseeindrucks des Originals gehört ferner, dass die griechische Schreibung aller Namen, auch und gerade der römischen, sowie griechische Fachbegriffe für römische Einrichtungen, Ämter und Feste beibehalten wurden.128 Die uns geläufigeren lateinischen Entsprechungen wurden in aller Regel in eckigen Klammern den griechischen Namensformen und Begriffen beigefügt; in manchen Fällen waren auch etwas detailliertere Erläuterungen nötig, die in eine entsprechende Anmerkung zum Text verlegt wurden.129 Darin unterscheidet sich diese Übersetzung von allen anderen,

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und diese Vorgehensweise mag dem Leser zunächst ungewohnt erscheinen. Zwei Gründe rechtfertigen diese jedoch. Zum einen waren gerade die römischen Namen in ihrer griechischen Form weder für Dionysius’ römische noch für seine griechischen Leser normal. Zwar war die römische Oberschicht im Augusteischen Rom in aller Regel zweisprachig, und auch von Griechen wie Dionysius, die jahrelang in Rom lebten und sich mit den Römern befassten, darf man getrost annehmen, dass sie fließend Lateinisch lasen und sprachen. Dennoch werden die ungewohnten Namensformen einen gewissen «Verfremdungseffekt» mit sich gebracht haben, der sich vielleicht mit dem Eindruck vergleichen lässt, den französische, englische oder italienische Entsprechungen deutscher Namen auf deutsche Muttersprachler machen. So bleibt durch die Bewahrung der griechischen Schreibweise ein wichtiger Aspekt des Leseeindrucks erhalten. Es gibt jedoch noch einen anderen, schwerwiegenderen Grund: Wie in Abschnitt 2.2 ausgeführt, ist das zentrale Anliegen der Römischen Frühgeschichte, die griechische Abstammung und das durch und durch griechische Wesen der Römer nachzuweisen. Die griechischen Namensformen, vor allem aber die griechischen Begriffe zur Beschreibung römischer Einrichtungen, sind ein wichtiger Teil, diese «Hellenisierung» der Römer umzusetzen, und der oben erwähnte, damit einhergehende «Verfremdungseffekt» durchaus gewollt. Ersetzt man, wie in den anderen Übersetzungen geschehen, stillschweigend Namen und Fachtermini durch die uns geläufigen lateinischen Schreibweisen und Entsprechungen, macht man die von Dionysius bewusst durchgeführte Hellenisierung geradezu rückgängig und unterminiert somit einen fundamentalen Aspekt seines historischen Projekts.

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Mit diesen Bemerkungen sei der Leser nun endlich in die Lektüre der Römischen Frühgeschichte selbst entlassen. Dem Übersetzer bleibt zu hoffen, dass die Übersetzung das Werk des Dionysius einem größeren Leserkreis zugänglich machen wird und die einleitenden Ausführungen zu einem besseren Verständnis seines historischen Projektes beitragen können.

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ZITIERTE LITERATUR

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Nur Literatur von genereller Bedeutung wurde aufgenommen; Lexikonartikel oder Arbeiten, die nur für einzelne Aspekte relevant sind, werden an entsprechender Stelle in den Anmerkungen vollständig zitiert. Die Abkürzungen von Zeitschriftentiteln richten sich nach der Année Philologique. Textausgaben, Übersetzungen und Kommentare

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