DER NAUMBURGER MEISTER BILDHAUER UND ARCHITEKT IM EUROPA DER KATHEDRALEN
BAND 1
Naumburg, 29. Juni 2011 bis 02. November 2011 Dom, Schlösschen und Stadtmuseum Hohe Lilie Ausstellungskatalog Im Auftrag der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz herausgegeben von Hartmut Krohm und Holger Kunde Gesamtredaktion: Guido Siebert
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Frau Dr. Angela Merkel und des Präsidenten der Französischen Republik Herrn Nicolas Sarkozy
Michael Imhof Verlag
12 | INHALT
BAND 1 Grußworte: Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, Reiner Haseloff 19 Geleitwort: Graf von Zech-Burkersroda, Bernward Küper 22
Einführung in den Katalog und das Konzept der Ausstellung Die Ausstellung zum Naumburger Meister – Zielsetzung und Konzeption Hartmut Krohm und Holger Kunde Die Widerständigkeit der Bildwerke – Die Naumburger Skulptur zwischen Kunstwissenschaft und Ideologie Martin Kirves Fortgesetzte Spiegelungen – Kontinuitäten und Brüche in der Rezeptionsgeschichte des Naumburger Meisters Jens-Fietje Dwars Zur Gestaltung der Ausstellung Jürg Steiner
Der Architekt des 13. Jahrhunderts – Quellen, Künstlerlob, Grabmäler, Inschriften, Architekturzeichnungen, Labyrinthe Christoph Brachmann Der Kathedralbaumeister als „neuer“ Dädalus Alexander Markschies Das Portfolio des Villard de Honnecourt und die Bilddidaktik im 13. Jahrhundert Bruno Klein Zwischen Tradition, Phantasie und Abbild – Die Baldachine des Naumburger Westchors und die Architektur und Kleinplastik ihrer Zeit Bernd Röder Katalog
Einführung Hartmut Krohm
133
Passionsfrömmigkeit und religiöse Bewegungen in der Zeit des Naumburger Meisters Matthias Werner
135
Proto-Humanismus und gotische Kathedralskulptur Tobias Kunz
153
Die sächsischen Triumphkreuzgruppen der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Gerhard Lutz
158
Die Freiberger Goldene Pforte Gerhard Lutz
167
Affekt und Individuum Martin Büchsel
177
Überlegungen zu Übernahmen und Weiterentwicklung – Reimser „Ausdrucksmotive“ im Wandel Dagmar Schmengler
187
Kunst, Ausdruck und Beobachtung – Die englische Skulptur des 13. Jahrhunderts und ihre Parallelen zu Werken in Reims und Naumburg Ute Engel
195
Katalog
216
25
30
43
65
I. Der Baumeister und seine Kathedrale Einführung Guido Siebert
II. Das menschliche Antlitz Christi und die Neubewertung des Individuums
73
74
80
III. Kunst und Wissenschaft 86 Einführung Guido Siebert
91
249
Secundum phisicam et ad litteram – Die „Entdeckung der Natur“ in Philosophie und Dichtung des Hochmittelalters Hans Jürgen Scheuer 250
104 Bauornamentik als Kunsttheorie? – Naturnachahmung in der Bauskulptur des Naumburger Meisters Susanne Wittekind
261
INHALT | 13
Der Stil der Naumburger Pflanzenwelt aus botanischer Sicht Elisabeth Harting
267
The Leaves of Southwell – Höhepunkte englischer Laubwerkornamentik I. Das Chapter House in Southwell und sein Laubwerkdekor Philip Dixon 281 II. Der Durchgang zum Chapter House am Münster in Southwell – Parallelen zum Dekor des Naumburger Meisters Helene Seewald 289 Voraussetzungen der Ornamentik des Naumburger Meisters Lukas Huppertz 294
Aeternitas est interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio – Sinnbildung und Naturstudium im Pflanzendekor des Rayonnant Guido Siebert
301
Katalog
310
IV. Die Ausstrahlung der Kathedrale von Reims Einführung Hartmut Krohm Die Baugeschichte der Kathedrale von Reims bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts im Spiegel der Quellen Ingo Fleisch Das Kathedralkapitel von Reims, seine Schulen und seine Verbindungen zur Abtei Saint-Remi Patrick Demouy
331
359
Das Südquerhaus des Straßburger Münsters Sabine Bengel
382
Magdeburg und Naumburg – Varianten gotischer Skulptur im 13. Jahrhundert Heiko Brandl
397
Die Abgüsse nach Skulpturen der Kathedrale Notre-Dame in Reims in den Sammlungen des Musée des Monuments français Jean-Marc Hofman in Zusammenarbeit mit Elodie Guilhem 406 Die Zerstörung der Kathedrale von Reims und ihre Folgen für das deutsch-französische Verhältnis und die Kunstgeschichte Deborah Lewer
414
Katalog
422
V. Die Herkunft des Naumburger Meisters 1 Die Burg von Coucy, die Westportale der Kathedrale von Noyon und Werke in Lothringen
333
341
Entwicklungsphasen der Bildhauerkunst an der Kathedrale von Reims im Verlauf der Bautätigkeit an Chor und Querhaus – Zielsetzungen, Quellen, Thematik Pierre-Yves Le Pogam 346 Die Baumeister der Kathedrale von Reims als Bildhauer-Architekten Alexander Markschies
Die Skulpturenzyklen der hochgotischen Kathedrale von Reims und ihre Ausstrahlung im deutschsprachigen Raum – Überlegungen zur Chronologie und zu den Prozessen der Stilentwicklung Ulrike Heinrichs
Einführung Hartmut Krohm
469
Werke des „Naumburger Meisters“ westlich des Rheins? – Die Voraussetzungen der Bildwerke in Mainz, Naumburg und Meißen innerhalb der französischen Skulptur des 13. Jahrhunderts Hartmut Krohm 471 Der Bau der Burg Coucy als baukünstlerischer Höhepunkt des 13. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Kathedralen von Reims und Amiens Denis Hayot
521
Katalog
531
356
14 | I NH ALT
VI. Die Herkunft des Naumburger Meisters 2
VIII. Der Westchor des Naumburger Doms –
Der Lettner des Mainzer Doms und die Templerkapelle in Iben
Historische Voraussetzungen
Einführung Holger Kunde
565
Einführung Holger Kunde
699
566
Haben Naumburger Domherren im frühen 13. Jahrhundert in Paris studiert? Enno Bünz
700
Mainz – Naumburg – Meißen. Der Naumburger Meister und seine Auftraggeber Holger Kunde Auf den Spuren des Naumburger Meisters in Mainz – Überlegungen zur Rekonstruktion des Westlettners und der Chorschranken Diana Ecker
Der romanische Neubau des Naumburger Doms Bernd Nicolai 582
Die Templerkapelle von Iben Kai Kappel
596
Die westlichen Turmpaare des früh- und hochromanischen Naumburger Doms Reinhard Schmitt 725 Katalog
Die Lettner aus dem Werkkreis des Naumburger Meisters – Mainz, Gelnhausen, Naumburg, Meißen. Typologische Voraussetzungen und Bildprogramme Reinhard Köpf 608 Katalog
618
VII. Die hochmittelalterliche Kulturlandschaft an Saale und Unstrut Einführung Holger Kunde
641
Adlige Herrschaft und höfische Kultur – Die Naumburger Bischöfe und ihre fürstlichen Nachbarn im 12. und 13. Jahrhundert Stefan Tebruck
642
Die Naumburger Klöster im Hochmittelalter und ihr Verhältnis zur Bischofskirche Matthias Ludwig
655
Der gotische Neubau der Zisterzienserkirche Pforte Christoph Brachmann
663
Katalog
677
711
737
I NHALT | 1 5
BAND 2 IX. Stiftergedächtnis und Herrscherbildnis
In geistlicher Waffenrüstung Helene Seewald
998
Einführung Claudia Kunde
797
Katalog
Stiftung und Memoria – Der Stifter im Bild Claudia Kunde
798
XII. Die Glasmalereien des Naumburger Westchors in ihrem stilistischen Umfeld
Bildnis im Hohen Mittelalter Peter Cornelius Claussen
811
Katalog
819
Einführung Guido Siebert
1006
1049
Die Glasmalereien des Naumburger Westchors – Fragen der Entstehung und des künstlerischen Zusammenhangs Guido Siebert 1050
X. Architektur, bildkünstlerischer Bestand und Ausstattung des Naumburger Westchors Einführung Holger Kunde
867
Die Architektur des Naumburger Westchors Julia Weiler
869
Katalog
878
Zur Musterübertragung in der Malerei des 13. Jahrhunderts im Umfeld des Naumburger Westchors Harald Wolter-von dem Knesebeck 1066 Katalog
1077
XIII. Konzept und Programmatik des Naumburger Westchors
XI. Die Naumburger Stifterfiguren und die ritterlich-höfische Kultur
Einführung Hartmut Krohm
1115
Einführung Claudia Kunde
Die passiones animae zwischen Verdammung und Erlösung Tobias Frese
1119
Der Westlettner des Naumburger Doms und die Erschließung seiner Bildwerke Peter Bömer
1126
Das Programm des Westlettners Jacqueline E. Jung
1137
Die eigene Seele retten – Bilder und Gegenbilder in der gotischen Kunst Christian Heck
1147
Die Stifterfigur des SYZZO COMES DO in ihren Bezügen zum adeligen Geschlechterbewusstsein der Grafen von Schwarzburg-Käfernburg Helge Wittmann
961
963
Das Instrumentarium der „ersten Stifter“: Physiognomie, Gebärden, Bekleidung, Schmuck, Waffen 973 I. Gestik, Haartracht, Kleidung und Schmuck Claudia Kunde 973 II. Die Wappenbilder der Stifterfiguren Václav Vok Filip 990
16 | INHALT
Zeugnisse mittelalterlicher Bauplanungen und Bauprozesse an den Chorbauten von Naumburg, Schulpforte und Meißen Günter Donath und Matthias Donath
1275
Das Bischofsgrabmal im Ostchor des Naumburger Doms – Eine kritische Zwischenbilanz Matthias Ludwig 1169
Zum Ablauf der ersten Bauphase des gotischen Meißner Doms Günter Donath
1292
Der Naumburger Meister und die Bildhauerkunst seiner Zeit Joachim Poeschke
Die Meißner Skulpturen des Naumburger Meisters Markus Hörsch
1301
Zum Bildprogramm des Naumburger Westchors – Ein eschatologischer Rahmen für Lettner, Stifterfiguren und die Glasmalereien Harald Wolter-von dem Knesebeck
Katalog
1158
1180 1188
XIV. Kathedrallettner der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Einführung Hartmut Krohm
Katalog
1314
1317 1320
XVI. Die Fassung mittelalterlicher Skulptur 1212
Katalog
1221
Einführung Hartmut Krohm
1341
Die Farbfassung der Skulpturen des 13. Jahrhunderts im Magdeburger Dom Ernst Thomas Groll unter Mitwirkung von Claudia Böttcher 1342
XV. Bildhauerische Formgebung und Bauhüttenbetrieb
Bildhauertechnik und Bauhüttenbetrieb am Naumburger Dom – Zu den Bedingungen von Entwurf und Ausführung mittelalterlicher Skulptur und Architektur Guido Siebert
1313
1211
Die Lettner der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Frankreich Pierre-Yves Le Pogam
Einführung Guido Siebert
Berichte aus dem Naumburg Kolleg 1 Die bautechnische Zusammensetzung der Lettnerreliefs Ilona Katharina Dudzinski Die Stifterfigur des Syzzo und ihre Einbindung in die Architektur des Naumburger Westchors Dominik Jelschewski
1235
1236
Die Rhetorik des Faltenwurfs am Beispiel der Naumburger Stifterfiguren Jean Wirth 1254 Die Johanneskapelle auf dem Naumburger Domfriedhof – Eine ehemalige Kurienkapelle aus der Mitte des 13. Jahrhunderts südlich des Naumburger Doms Guido Siebert 1263
Die Bildwerke des 13. Jahrhunderts im Meißner Dom und ihre historische Farbigkeit Heinrich Magirius
1356
Kunsttechnologische Untersuchung der Figur des Diakons im Ostchor des Naumburger Doms Ulrich Schießl und Tino Simon
1367
Kunsttechnologische Untersuchung des Bischofsgrabmals im Ostchor des Naumburger Doms Tino Simon
1370
Berichte aus dem Naumburg Kolleg 2 Die Polychromie des Lettnerreliefs mit der Gefangennahme Christi Bernadett Freysoldt und Jacqueline Menzel Die Polychromie der Stifterfigur des Syzzo Daniela Karl und Jacqueline Menzel
1374
1374 1377
INHALT | 17
XVII. Die Architektur des Naumburger Westchors und des Meißner Ostchors Einführung Hartmut Krohm
XIX. Kunst der Zeit Ludwigs des Heiligen Ein neues höfisches Ideal in Frankreich und seine Ausstrahlung 1383
Die Architektur des Westchors, des Westlettners und der westlichen Chorwinkeltürme des Naumburger Doms Leonhard Helten 1386 Zu den französischen Voraussetzungen des Naumburger Westchors Christoph Brachmann
1399
Der Ostchor des Meißner Doms und der Achteckbau Konstruktion und Bauformen Günter Donath und Matthias Donath
1406
Katalog
1418
Einführung Hartmut Krohm
1473
Der Stil in Kunst und Architektur zur Zeit Ludwigs des Heiligen Fabienne Joubert
1474
Standbild des Heiligen Ludwig IX. von Frankreich Robert Didier
1482
Die Sainte-Chapelle in Paris Pierre-Yves Le Pogam
1486
Pierre de Montreuil in Saint-Germain-des-Prés Xavier Dectot
1495
Katalog
1500
Anhang
1524
XVIII. Bildhauerkunst in der Nachfolge des Naumburger Westchors Einführung Hartmut Krohm
1427
Zur Rezeption der Skulpturen des Naumburger Meisters Markus Hörsch
1428
Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis
Die Nachfolge der Naumburger Bildwerke in der polnischen Kunst des 13. Jahrhunderts Jarosław Jarzewicz 1444 Naumburg – Meißen – Burgos I. Memorialskulpturen in europäischer Perspektive Henrik Karge II. … den „Stiftern“ zu Naumburg vergleichbar … Regine Abegg
1452
1463
Katalog
1466
1452
990 | DIE WAPPENB ILD ER D ER STI F TERF I G UREN IM NAUMBURG ER DOM
Václav Vok Filip
Die Stifterfiguren des Naumburger Doms stehen seit mehr als zweihundert Jahren im historischen wie auch kunsthistorischen Interesse der Forscher. Die außergewöhnliche Darstellung der Skulpturen und das Geheimnis ihrer Identität erregen eine ungebrochene Aufmerksamkeit. De facto beruht die bisherige Literatur entweder auf wenigen erhaltenen Quellen oder auf Vermutungen, die auf dem künstlerischen Ausdruck der Werke basieren. So lange nicht eine Quelle gefunden wird, die die wahre Identität klärt, bleibt das Geheimnis des Westchors in Naumburg erhalten. Die Bekleidung der Skulpturen ist schon als auffallend bemerkt worden:1 Alle Männer erscheinen in höfischen, somit „unkriegerischen“ Gewändern, doch trotzdem führt jeder von
ihnen ein Schwert und einen Schild mit sich. Diese Darstellung ist für die Zeit aber nicht ungewöhnlich, wie beispielsweise am Grabmal von Graf Ernst IV. von Gleichen im Dom zu Erfurt oder am Bildnis Markgraf Dietrichs von Meißen in der Kirche St. Pauli zu Leipzig und nicht zuletzt am Grabmal Hermanns von Hain heute im Dom zu Merseburg (Kat. Nr. IX.23) deutlich wird. Das Schwert und der Schild haben in dem Sinne nicht primär eine kriegerische, sondern eine symbolische Bedeutung. Das Schwert bietet vielfältige Möglichkeiten der Deutung: Es kann als das Symbol des Adels angesehen werden; durch die Haltung des Schwerts vermochte man jedoch auch Friedfertigkeit oder Kampfbereitschaft auszudrücken. In der Heraldik wird es üblicherweise mit der Spitze nach unten dargestellt als friedfertig interpretiert; so führen die Wappen vieler Fürstbischöfe oder -äbte ein Schwert als Zeichen ihrer weltlichen Macht hinter dem Schild mit der Spitze nach unten. Das Schwert mit der Spitze nach oben bedeutet wiederum Souveränität, aktive Machtausübung, wie beispielsweise die Schwerter als Amtszeichen des Reichserzkämmerers des Kur-
Abb. 2 Naumburg, Dom, Westchor, Schild des Thimo
Abb. 3 Naumburg, Dom, Westchor, Schild des Wilhelm
II. DIE WAPPENBILDER DER STIFTERFIGUREN
XI. DI E NAUM BURG ER STI F TERFIGUREN UND DIE RIT T ERLI CH - HÖFI S C HE KULT UR | 991
Abb. 4 Naumburg, Dom, Westchor, Schild des Hermann
Abb. 5 Naumburg, Dom, Westchor, Schwert und Schild des Ekkehard
fürsten von Sachsen. Daher stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass die Männer ihre Schwerter auf verschiedene Weise halten, nicht beabsichtigt war und eine bestimmte Botschaft übermitteln sollte. In jedem Fall ist festzuhalten, dass die Schwerter sämtlich in der Scheide stecken und grundsätzlich nicht umgürtet sind – der Gurt wickelt die ganze Länge der Scheide ornamental ein. Auch diese Form der Gestaltung kann häufig bei den figürlichen Darstellungen der Zeit beobachtet werden. Diese Art, das Schwert zu halten, findet sich beispielsweise auf den Glasfenstern des Brunnenhauses im Kloster Heiligenkreuz in Österreich – hier zeigen sich weitere Parallelen mit Naumburg, so eine auffallend ähnliche Körperhaltung der Männer und Frauen. Die dargestellte Schwerthaltung könnte auf die Aussage Johannes Roths in seinem
Ritterspiegel zurückgehen, derzufolge ein Ritter außerhalb des Kampfes sein Schwert nicht selbst zu tragen hat, vielmehr soll er einen Knappen haben, der es für ihn tut.2 Dies würde auch die vom Gurt umwundene Scheide erklären: Der Knappe hat das Schwert des Herren nicht umgürtet, sondern in der Hand getragen. Von den Naumburger Stiftern halten Konrad, Thimo, Wilhelm und Hermann ihre Schwerter mit der Spitze nach unten (Abb. 1– 4), hinter dem Schild; Ekkehard hält das Schwert vor dem Schild, Dietrich neben seinem rechten Bein (Abb. 5–6). Graf Syzzo trägt sein Schwert mit der Spitze nach oben und lehnt es auf die rechte Schulter (Abb. 7). Dietmar, der seinen Schild schützend hält, umfasst mit der rechten Hand den Griff des Schwerts und scheint kampfbereit zu sein (Abb. 8). Ob die
992 | DI E WAPPENB ILD ER DER STI F TERF IG UREN I M NAUMB URG ER DOM
Abb. 6 Naumburg, Dom, Westchor, Schwert und Schild des Dietrich
Abb. 7 Naumburg, Dom, Westchor, Schwert des Syzzo
Art, wie die einzelnen Stifter ihr Schwert halten, mit der beschriebenen Symbolik im Zusammenhang steht, ist jedoch nicht nachzuweisen. Das Gleiche gilt für die Schilde: Ihre Präsenz unterstreicht erneut die Angehörigkeit der Träger zum Adel. Vermutlich soll dabei auch gezeigt werden, zu welcher Familie einzelne Figuren gehören – die Schilde waren folglich für Wappen bestimmt. Wolfgang Hartmann entdeckte bei den Figuren Thimo und Dietmar, dass sie beide den Mantel in der gleichen Weise tragen und sieht darin die Absicht des Bildhauers, die Verwandtschaft der beiden zu unterstreichen.3 Dabei wird jedoch übersehen, dass der Naumburger Meister eine zuverlässigere Art hatte, die – wenn existierende – Verwandtschaft zu zeigen, nämlich durch das Wappen auf dem Schild, der den Männern beigeordnet ist. Wenn man annimmt, dass die meisten Stifter im 11. Jahrhundert gelebt haben – und demzufolge kein Wappen haben konnten –, kann vermutet werden, dass man ihnen das Wappen zugeschrieben hat, das die Familie zur Zeit der Entstehung der Figuren tatsächlich geführt hat. Im Falle, dass
Thimo von Brehna den Wettinern angehörte – wie angenommen wird –, würde man folglich einen schwarzen Löwen auf goldenem Grund auf seinem Schild erwarten können. Es wäre interessant zu erfahren, ob es heute durch Restaurationsarbeiten möglich wäre festzustellen, ob alle Schilde ein Wappen beinhaltet haben – tatsächlich ist dies heute nur bei Syzzo nachzuweisen. Alle Schilde haben die für das 13. Jahrhundert typische gotische Form: Sie sind dreieckig, mit einer geraden Oberkante und konkaven Seiten; ihre Maße entsprechen etwa dem Verhältnis Länge zu Breite 1:2 oder 1:3, was laut Nickel4 als „Normalverhältnis“ für die Schilde um 1250 errechnet wurde. Da die Form der Schilde lokal verbreitet ist, bezeichnet sie Nickel als „Naumburger Typ“. Zu diesem Typus gehört ebenfalls der Schild des Hermann von Hain im Merseburger Dom oder der Schild mit dem Wappen der Vögte von Keseburg (Abb. 9–10) und ein weiterer mit einem unbekannten Wappen – ein silberner Schrägzinnenbalken auf rotem Grund – in Marburg. Die Schilde sind konkav gewölbt, alle sind farbig gefasst und
XI . D IE NAUMB URGER ST I FTERFI GUREN UND DI E RIT TERL ICH -HÖFI SC HE KULT UR | 993
Abb. 8 Naumburg, Dom, Westchor, Schild und Schwert des Dietmar
Abb. 9 Merseburg, Dom, Westvorhalle, Schild der Grabfigur des Ritters Hermann von Hain
kombinieren Blau mit Gold, wobei das Blau jeweils die Farbe des Schildfeldes, das Gold die Tinktur der Figur auf dem Schild ist. Des Weiteren wird jeder Schild mit einem goldenen 5 bis 7 cm breiten Bord eingerahmt. Dieses ist für die Schutzschilde der Zeit durchaus üblich, wie beispielsweise auf dem zeitgenössischen Fresko Die Ritterschlacht oder beim sogenannten Ritterzug in der Gozzoburg (Krems an der Donau) deutlich zu sehen ist. Oft wurden diese Borde mit Edelsteinen verziert, wie zum Beispiel beim Grab von Wiprecht von Groitzsch (Kat. Nr. IX.22), dem Schild von Sion (Kat. Nr. XI.15) oder dem genannten Fresko in der Gozzoburg. Der Sinn dieses Schildbereichs war, neben einer einfachen – obwohl durchaus wertvollen – Verzierung, die Verstärkung der Kanten besonders zum Schutz vor Schwerthieben. Hingegen gibt es keine erhaltenen Darstellungen von Schilden, auf deren Rand der Name des Inhabers geschrieben worden wäre. Der Sinn der Heraldik war es, die Schrift – aufgrund der weit verbreiteten Unkenntnis des Lesens – durch Symbole zu ersetzen, was durchaus gelungen ist. Man hatte dies zudem mit einer Umschrift an der
Grabplatte oder mit einem Schriftband in den Händen einer Figur gelöst. Dabei wurde dies normalerweise sehr konsequent umgesetzt, das heißt, man beschriftete alle Figuren, nicht nur einige, was beispielsweise an den Glasfenstern im Brunnenhaus im Kloster Heiligkreuz in Österreich anschaulich wird. Zu den einzelnen Schilden: Dietrich von Brehna und die Statue Konrads zeigen dem Zuschauer nur leere Schildflächen. Bei Konrad liegt die Vermutung nahe, dass das Bild bei der Beschädigung der Statue zerstört wurde. Deutlich lässt sich eigentlich nur der goldene Rand erkennen. Der Schild ist nicht vollständig, sondern wird von der Säule hinter Konrad beschnitten (Abb. 1). Beim Schild Dietrichs hingegen scheint neben dem goldenen Rand noch das Blau des Feldes durch (Abb. 6). Die Schilde von Ekkehard, Hermann und Syzzo sind ebenfalls nicht vollständig ausgeführt: Ein Teil der heraldisch – ihrer – linken Seite ist an dem Dienstbündel, der hinter der Statue verläuft, abgeschnitten. Auf den Flächen bei Ekkehard und Hermann erkennt man, dass die Grundfarbe ursprünglich vermutlich gelb war, auf die nachfolgend das heutige Blau aufgetragen
994 | D IE WAPPENB I L DER DER ST I F TERFIG UREN IM NAUM BURGER DOM
Abb. 10 Marburg, Universitätsmuseum, Schild mit dem Wappen der Vögte von Keseburg
Abb. 11 Naumburg, Dom, Westchor, Schild des Dietmar, Ausschnitt mit kreisförmiger, älterer Schildbemalung
Abb. 12 Pegau, Stadtkirche St. Laurentius, Schild der Grabfigur des Wiprecht von Groitzsch
XI. DI E NAUM B URG ER ST IFT ERFIGUREN UND DIE RI T T ERL ICH- HÖFI SC HE KULTUR | 995
Abb. 13 Naumburg, Dom, Westchor, Schild des Syzzo mit Hervorhebung der älteren Schildbemalung Abb. 13a Schild des Syzzo mit stilisierter älterer Schildbemalung
wurde, auf dieses wiederum mit einer Goldfarbe die ornamentalen Pflanzenmotive gezeichnet und abschließend schwarz konturiert wurden (Abb. 5, 4). Obwohl die Ornamente an den Schildbeschlag erinnern sollen und der im 13. Jahrhundert beliebten Damaszierung nachempfunden sind, sollte man nicht vergessen, dass die Damaszierung nie als eine alleinstehende Figur erscheint. Zudem ist der Beschlag in typischen Formen der Renaissance gestaltet, die eher am Ende des 15. Jahrhunderts vorkommen. Sie sind in ihrer Ausführung verspielt und lassen die für die Zeit so typische gotisch geometrische Regelmäßigkeit vermissen. Der Schildrand wurde vermutlich zu der gleichen Zeit erneuert, denn unterhalb der heute zu lesenden Worte erscheinen Buchstaben eines viel älteren Datums. Die Schilde Dietmars und Thimos weisen verwandte – das heißt pflanzliche – Figuren auf, wobei auch hier angenommen werden kann, dass es sich nicht um ein Wappen handelt, sondern um den Schildbeschlag (Abb. 8, 2). Der Stil des Lindenbaums, der auf dem Schild Thimos dargestellt ist, entspricht nicht der Zeichnung aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, diese ist sicher in die gleiche Zeit zu datieren wie die schon erwähnten Schilde (erwähnenswert ist allerdings, dass
Günter IV. von Schwarzburg auf seinem Siegel eine Helmzier in der Form eines Lindenastes mit deutlich ausgebildeten Lindenblättern benutzt).5 Entsprechend kann die Darstellung der Lilien auf dem Schild bewertet werden – auch sie ist eindeutig aus der Zeit der späteren Überarbeitung. Auf der Schildfläche lässt sich heute unter der jüngeren Farbschicht eine ältere Zeichnung – eine kreisrunde Form in der Mitte des Schildes, die zwei verschiedene Farbfelder trennt – erkennen (Abb. 11). Dietmars Schild weist ebenfalls deutlich ältere Buchstaben unter der heutigen Inschrift auf. Der Schild Wilhelms scheint ursprünglich auch ein goldenes Fels gehabt zu haben, heute ist er blau und beinhaltet einen goldenen Beschlag, der sich sichtlich an das Vorbild vom Schild Wiprechts von Groitzsch in Pegau anlehnt (Abb. 3, 12). Ursache für diese Gestaltung könnte die Unkenntnis des Familienwappens in der Zeit der „Reparatur“ der wahrscheinlich verblassten oder anders beschädigten Farben der Schilde sein. Im Mittelalter war es selbstverständlich, dass auch den Personen, die historisch gesehen noch kein Wappen haben konnten, ein Wappen zugeschrieben wurde. Es reichte, dass es die Familie noch gab oder das Wappen von mindestens
996 | D IE WAPPENB I LDER D ER ST IF T ERFI GUREN I M NAUMBURGER D OM
einem Mitglied noch bekannt war. Wenn also Wiprecht auf seinem Grabstein auf dem Schild kein Wappen, sondern nur einen Schildbeschlag hat, fehlte das Wappen auch tatsächlich: Wiprecht († 1124) und sein jüngster Sohn, der als letzter des Geschlechts 1135 stirbt, hatten kein in der folgenden Zeit tradiertes Wappen, da Wappen erst im Laufe des Ersten Kreuzzugs entstanden und sich in den darauffolgenden Jahrzehnten mit Hilfe der Herolde entwickelten. Auf diese Weise war es unmöglich, Wiprecht ein Wappen zuzuschreiben, da seine Familie vor der Annahme eines solchen ausstarb. Der heraldisch interessanteste Schild gehört Syzzo: Er ist der einzige, der noch heute ein Wappen beinhaltet. Gerade hier sieht man am deutlichsten, dass die Schildfläche überarbeitet wurde. An einigen Stellen scheint nämlich unter dem heute sichtbaren Löwen die ursprüngliche Zeichnung eines gekrönten, gelöwten, rotbewehrten, goldenen Leoparden durch, die ziemlich genau in das 13. Jahrhundert datiert werden kann (Abb. 13/13a–14/14a). Durch einen glücklichen Zufall ist in Marburg ein Schild mit dem Wappen der Vögte von Keseburg erhalten geblieben, das auf schwarzem Grund zwei silberne, rotbewehrte Leoparden abbildet. Die Kopfzeichnung der Le-
oparden entspricht erstaunlicherweise derjenigen auf dem Syzzo-Schild (Abb. 15). Die Körperform ist nahezu identisch mit der des Löwen auf dem Schild des Landgrafen Konrad von Thüringen – ebenfalls in Marburg (Abb. 16) – oder auch mit den Löwenbildnissen im Wappensaal der Gozzoburg, die heute zu den ältesten farbigen Darstellungen des böhmischen oder Meißner Löwen gehören. Die Zeichnung der Schildfigur ist nicht komplett erhalten, man erkennt die Leopardenmaske, den (heraldisch linken) Kronzacken in der Form einer Lilie im oberen Bereich, die linke Vorderpranke, die roten Krallen der rechten Hinterpranke, einen Teil des Körpers mit dem linken Hinterbein und den mit zwei Haarlocken verzierten hochgeschwungenen Schwanz, dessen Spitze einwärts nach unten gedreht ist und mit einer kugelähnlichen Zottel endet. Die Mähne und die hintere Halspartie sind bei heutigem Stand der Beschädigung nicht genau zu erkennen. Zu sehen ist allein eine gezackte waagrechte Linie, die vom unteren Rand der Krone nach heraldisch links führt und vielleicht den Ansatz des Ohrs bildet. Ebenfalls sichtbar sind einige Striche zwischen dem Oberkörper und dem Schwanz, die möglicherweise die gekrümmte Linie vom Hals des Leoparden andeuten.
Abb. 14 Naumburg, Dom, Westchor, Schild des Syzzo mit Hervorhebung der jüngeren Schildbemalung Abb. 14a Schild des Syzzo mit stilisierter jüngerer Schildbemalung
XI . D I E NAUM BURG ER STI FT ERFI GUREN UND DI E RIT T ERL IC H- HÖF I SCH E KULTUR | 997
Abb. 15 Marburg, Universitätsmuseum, Schild mit dem Wappen der Vögte von Keseburg mit Hervorhebung
Abb. 16 Marburg, Universitätsmuseum, Schild mit dem Wappen des Landgrafen Konrad von Thüringen
Die jüngere, heute noch erkennbare Zeichnung eines Löwen könnte in das frühe 16. Jahrhundert datiert werden,6 da sie stilistisch schon deutliche Merkmale der Renaissance aufweist. Die Tatsache, dass die meisten Schilde (mit Ausnahme derer von Dietrich und Konrad) später überarbeitet wurden, wobei nicht besonders auf die ältere Figur– wenngleich im zeitgenössischen Stil, was ohne weiteres üblich war – geachtet wurde, lässt Zweifel aufkommen, wie weit man den Inschriften auf den Schilden trauen kann. Bereits Hans Joachim von Brockhusen stellte aufgrund der Insignienbestimmung die Identitäten der Stifterfiguren in Frage.7 Die Figur des gelöwten Leoparden deutet zweifelsfrei auf ein Mitglied der Familie von Schwarzburg, zu der Syzzo ja bereits aufgrund des Namens gerechnet wurde. Die Grafen von Schwarzburg trugen im Blau einen gelöwten, gekrönten Leoparden. Um welchen Syzzo es sich jedoch handeln könnte, ist aufgrund des Wappens schon deshalb nicht festzustellen,
weil eigentlich nur einer der bekannten Syzzos ein Wappen hätte haben können: Graf Syzzo III. von Schwarzburg-Käfernburg (†1160) lebte zur Zeit der Entstehung der Heraldik, allerdings kommt er als Stifter des Naumburger Domes nicht in Frage. Da seine Vorfahren gleichen Namens in der vorheraldischen Zeit lebten, konnten sie noch kein Wappen führen. Dies wäre – wie schon gesagt – für das 13. Jahrhundert kein Problem, weil auch ein Mitglied der Familie, das im 12. Jahrhundert lebte, natürlich das aktuelle Wappen der Familie zugeschrieben bekommen konnte. Es kann als wahrscheinlich angenommen werden, dass sämtliche Schilde der Domstifter ein Wappen enthielten. Da die meisten Männer aus der Familie der Wettiner stammten, ist es vorstellbar, dass die Schilde ein schwarzer Löwe auf goldenem Grund zierte. Es wäre nun Aufgabe der Restauratoren, durch die Farbenanalyse der Schilde festzustellen, ob diese Behauptung zu belegen ist.
ANMERKUNGEN 1 Ausst. Kat. Stuttgart 1977, Bd. 1, Kat. Nr. 452. 2 Rothe Heinrich Clûzenêre, Ritterspiegel, S. XXIX oder Originalverse 1561–1568: [...] sein schwert darf der ritter nicht selbst tragen, denn dann stünde er mit dem büttel auf gleicher stufe, sondern der knecht trage es ihm nach […].
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Hartmann 2004, S. 153. Ebenda, S. 39. Eberl 1995, S. 115. Schade 2006, S. 135 Brockhusen 1969/71.
XI . D I E NAUM B URG ER ST IFT ERF I GUREN UND DI E RI T T ERL ICH-HÖFIS C HE KULTUR | 1 01 7
die durch Neid und Zorn verursacht werden, sagt er aus: Nît und Zorn machent dicke / vil trüeben muot und krumbe blicke, / unnütze rede, dwerhen ganc, / seltæne gebærde und vil gedanc (V. 683–686: „Neid und Zorn führen stets zu großer Niedergeschlagenheit und schiefen Blicken, zu untauglichem Gespräch, schrägem Gang, seltsamem Gebaren und großer Nachdenklichkeit“). Vor dem Hintergrund derartiger Denkweisen und Sehgewohnheiten des höfisch erzogenen Publikums wird deutlich, dass die vom Naumburger Bischof und den Domherren initiierten Passionsreliefs und die Stifterfiguren neben ihrer inhaltlichen Botschaft, die sie vermitteln, eine Tugendlehre vermitteln, deren Sinnschichten durch die liturgischen Handlungen, in die der Raum eingebunden war, noch erweitert wurden. Deshalb werden auch die unterschiedlichen Gesten, Physiognomien, Mimik, Haartrachten und Körperhaltungen der Naumburger Stifterfiguren – etwa von Thimo oder auch Wilhelm – dem Zeitgenossen verständlicher gewesen sein als uns heutigen Betrachtern. Claudia Kunde und Philipp Steinkamp Der welsche Gast – Rückert 1965 – Neumann 1974 – Vetter 1974 – Neumann/Vetter 1977 – Gast 1980 – Ausst.-Kat. Regensburg 1987, Kat. Nr. 78 – Cormeau 1995 – Hadot 1997 (Zum Bild der siebenstufigen Leiter) – Miller/Zimmermann 2007, S. 290–291 – Wenzel 2007, S. 139–154 – Ausst.Kat. Mannheim 2010, Kat. Nr. V.C.2.
XI.6 SCHWERT Passau, um 1240 Eisen, geschliffen; Bronze, getrieben, genietet; Messing, tauschiert L. gesamt 116 cm, L. Parierstange 22,2 cm, L. Klinge 94,5 cm, B. Klinge 5,3 cm, Gewicht 1359 g Berlin, Stiftung Deutsches Historisches Museum, Inv. Nr.: W 1838
Der Knauf des Schwertes ist aus Bronze in facettierter Oktogonform und vorn sowie hinten mit je einem gotischen Wappenschild verziert, die restlichen Flächen des sogenannten „Diamantenschliffs“ sind mit Reliefblattwerk versehen. Die Wappenschilde beinhalten auf der einen Seite einen heraldischen Löwen, auf der anderen einen heraldischen Adler. Nach der leicht konkav eingebogenen Parierstange befindet sich in der Hohlkehle der Klinge ein kleines Herz und ein laufender Wolf – das Zeichen der Passauer Waffenschmiede, auf der anderen Seite ein griechisches Kreuz und ein zurückschauender Wolf, die als Messingtauschierung ausgeführt wurden. Das Schwert ist im 19. Jahrhundert in Ostpreußen, im Fluss Pregel unweit Königsbergs gefunden worden. Aufgrund der Wappenbilder wurde schon sehr früh die Vermutung aufgestellt, dass es dem Hochmeister des Deutschen Ordens Konrad von Thüringen gehört haben könnte. Tatsächlich führte Konrad einen Löwen auf seinem Schild – wie aber auch andere Landgrafen vor und nach ihm, was man auf den heute noch erhaltenen Siegeln sehen
kann. Dagegen ist die Benutzung des Adlers weder bei Konrad noch bei seinen thüringischen oder hessischen Verwandten nachweisbar. Die Tatsache, dass er 1239 zum Hochmeister des Ordens gewählt wurde und deshalb der Adler auf dem Knauf erscheint, ist irreführend, da die Hochmeister den Adler nie ohne das Ordenskreuz benutzt haben. Der Adler auf dem Hochmeisterwappen ist im Grunde ein Beizeichen und das Kreuz das Hauptzeichen. Hinzu kommt, dass Konrad von Thüringen bereits ein Jahr nach seiner Wahl zum Hochmeister in Rom verstarb und vermutlich nie die preußischen Gebieten des Ordens betreten hat. Zumal der Hauptsitz des Hochmeisters zur Zeit Konrads in Akkon war und die Hauptaufmerksamkeit der Ordensaktivitäten im Heiligen Land lag beziehungsweise der Beilegung des Streites zwischen Papst und Kaiser gewidmet war. Konrad nahm nach seiner Wahl am Reichstag in Eger 1239 teil, dann brach er nach Rom auf, um zwischen dem Papst und Friedrich II. zu vermitteln. Es ist folglich auszuschließen, dass das Schwert aus seinem Besitz stammt. Welcher Schwertinhaber hatte das Anrecht, beide Wappentiere zu führen? Ein möglicher Kandidat, der gleichzeitig einen Löwen und einen Adler benutzte, könnte der Markgraf von Brandenburg sein: Dieser siegelte in den 20er Jahren des 13. Jahrhunderts mit einem gespaltenen Schild – vorn ein Adler, hinten ein doppelschwänziger Löwe. Der früheste Siegelabdruck ist zwar in seiner Authentizität umstritten, kommt aber noch 1271 an einer Urkunde Albrechts III. vor. Warum die Askanier als Markgrafen von Brandenburg zu dieser Zeit auch einen doppelschwänzigen Löwen führten, kann nur gemutmaßt werden. Da jedoch keine direkten Nachrichten für eine Aktivität der Askanier im Raum um Königsberg bekannt sind, ist die Zuschreibung des Schwertes an den jungen Markgrafen von Mähren Premysl Ottokar II., den späteren König von Böhmen, wahrscheinlicher. Der königliche Hof in Prag pflegte seit den 40er Jahren des 13. Jahrhunderts sehr gute Kontakte zu den Passauer Bischöfen: Namentlich handelt es sich hier um den Bischof Rüdiger von Bergheim (1233–50), der in Wenzel von Böhmen einen Verbündeten gegen die Babenberger und Wittelsbacher sah. Sein Nachfolger Berthold von Pietengau (1250– 54) hielt sich wegen seiner gespannten Beziehung zur Passauer Bürgerschaft oftmals am Prager Hof auf – 1251 empfing er in der Nähe von Prag vom Prager Bischof Nikolaus die Bischofsweihe. Die engen Kontakte zum böhmischen König blieben auch bei Bischof Otto von Lonsdorf (1254–65) bestehen, sie schlossen den gegen die Wittelsbacher gerichteten Linzer Vertrag (1257). Der Premyslide Ottokar II. hatte also entweder Gelegenheit zur Bestellung eines Schwertes in Passau oder – was vielleicht sogar wahrscheinlicher ist – das Schwert als Geschenk vom Passauer Bischof (beispielsweise zu seiner Schwertleite?) erhalten. Was die zwei Wappen auf dem Knauf des Schwerts betrifft, kommen tatsächlich sowohl der Adler als auch der Löwe bei den Herrschern in Böhmen und Mähren vor. Der Großvater Ottokars II. – Ottokar I. – siegelte mit einem Adler, wobei man annimmt, dass es sich dabei um den sogenannten brennenden Adler des Heiligen Wenzel handelt. Vermutlich wurde dieses Wappen aus-
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schließlich vom regierenden Fürsten in Böhmen geführt. Zugleich erschien um 1200 auf den Siegeln der Premysliden ein Löwe. So siegelte der Bruder Ottokars I., Vladislaus Heinrich († 1222) als Markgraf von Mähren mit einem Löwen, zur selben Zeit verwendete Wenzel I. (der Vater Ottokars II.) 1224 ein Adlersiegel (noch im Codex Gelnhausen – um 1400 wird er mit dem brennenden Adler an der Pferdedecke dargestellt). Sein Bruder Premysl Markgraf von Mähren (1222–39) dagegen siegelte erneut mit einem Löwen. Ottokar II. wurde nach dem Tod seines älteren Bruders Vladislaus 1247 Markgraf von Mähren und als solcher verwendete er das Löwensiegel. In den Quellen lässt sich in Böhmen der doppelschwänzige Löwe vor 1247 nicht nachweisen. Für das Auftreten des Adler- und Löwenschildes bei Ottokar II. nimmt Rostislav Nový an, dass es sich um eine persönliche Brisur des jungen Prinzen handelt: Als Markgraf von Mähren führte er einen Löwen, als jüngerer König (iuventus rex Boemorum) ebenfalls einen Löwen, da er als nicht regierender Herrscher (sein Vater lebte noch) den brennenden Adler nicht führen durfte. Durch die Vereinigung der zwei „einschwänzigen“ Löwen entstand ein doppelschwänziger. Nach der Aussöhnung mit seinem Vater, bei der ihm bestimmte Vollmachten übertragen wurden (1251), führte Ottokar II. einen Adlerschild auf der Pferdedecke seiner Reitersiegel. Die heutige Forschung geht fälschlicherweise davon aus, dass es sich dabei um den mährischen Adler handelt. Doch obwohl es damals schon kein Problem gewesen wäre, den mährischen geschachten Adler darzustellen (so wie er seit den 60er Jahren des 13. Jahrhunderts von den Siegeln diverser Städte bekannt ist), erkennt man keine Veränderung der Figur. Auch mehr als einhundert Jahre später, als Peter Parler das prächtige Grabmal Ottokars II. anfertigte, bildete er einen einfachen Adler ab – interessanterweise genauso wie bei seinem Großvater Ottokar I. – , obwohl er bei den anderen Premysliden durchaus bewusst einen brennenden oder einen geschachten Adler darstellte. Vermutlich handelte es sich bei dem Adler auf den ersten Siegeln Ottokars II. um den Wenzels-Adler, womit sein Anspruch auf die Herrschaftsgewalt dokumentiert werden sollte.
XI.6
XI.7
Nun zum dritten und letzten Argument: Ottokar II. unternahm zweimal persönlich eine bewaffnete Pilgerfahrt zur Unterstützung des Deutschen Ordens in die Ordensgebiete in Preußen. Im Jahre 1254 brach er das erste Mal zur Unterstützung der Christianisierung in die Region um Königsberg auf, das gemäß der Tradition zu seiner Ehre gegründet wurde. Das zweite Mal zog er 1267 auf einem Kreuzzug nach Litauen. Somit hätte Ottokar II. selbst die Gelegenheit gehabt, sein Schwert im Fluss Pregel zu verlieren. Aufgrund der Tatsachen, dass das Schwert in Passau hergestellt wurde, die Art der Anfertigung auf einen hochgestellten Fürsten schließen lässt, die dargestellten Wappen mit einem böhmischen Herrscher der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts übereinstimmen und Ottakar II. selbst in der Region um Königsberg war, ist die Zuschreibung des Schwertes an den Böhmenkönig ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Václav Vok Filip Seyler 1970 – Petrán ˇ 1970 – Ausst.-Kat. Stuttgart 1977 – Nový 1978 – Zeller 1980 – Letòsniková 1983 – Müller/Kölling 1986 – Ausst.-Kat. Nürnberg 1990 – Ausst.-Kat. Marburg/Wartburg 1992 – Ausst.-Kat. Wartburg/Eisenach 2007, Kat. Nr. 42 – Edge/Paddock 1996 – Sommer/ Trˇeštík/ Žemlicˇka 2009 – Scheibelreiter 2009, S. 66–67.
XI.7 SCHEIBENKNAUFSCHWERT Fundort: Rübeland/Elbingerode (Harz), 12. Jahrhundert Eisen; Silber, tauschiert L. gesamt 76,1 cm, L. Parierstange 21,3 cm, L. Klinge 60,2 cm, B. Klinge 5 cm, Ø Knauf 5,6 cm, Gewicht 1321 g Halle, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt, Inv. Nr.: HK 67:302
Als ritterliche Waffe galt das zweischneidige Langschwert in der mittelalterlichen Ikonographie im übertragenen Sinne als Sinnbild der herrschaftlichen Souveränität und der richterlichen Ge-
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XI.11
XI.11 SCHWERT Fundort: Dietenheim (Alb-Donau-Kreis), erstes Viertel 13. Jahrhundert Eisen, Bronze L. gesamt 104,5 cm, L. Parierstange 18 cm, L. Klinge 88 cm, B. Klinge an der Wurzel 7,4 cm, H. Knauf 3 cm, L. Knauf 7 cm, T. Knauf 6 cm Stuttgart, Landesmuseum Württemberg, Inv. Nr.: WLM 8947
Während bei der Stifterfigur des Markgrafen Ekkehard II. (Kat. Nr. X.21) das Schwert vor dem Schild steht, ist bei der Skulptur des Wilhelm von Camburg (Kat. Nr. 19) das Schwert hinter dem Schild platziert. So sind nur der Knauf, das Heft und die Parierstange sowie der Ort sichtbar. Graf Wilhelm hält Schwert und Schild in eleganter, lässiger Pose mit nur einer Hand: Vier Finger umfassen den Schild, nur der Daumen stützt die Parierstange des Schwertes. Dessen Knauf ist in Form einer Paranuss gestaltet. Einen Knauf in dieser markanten Form hat auch das Schwert, das im Jahr 1883 in der Burgruine Dietenheim (Alb-Donau-Kreis, Baden-Württemberg) gefunden wurde. Die Klinge weist einen schmalen Hohlschliff auf, der sich noch 3 cm auf der Angel fortsetzt. Der vorderste Bereich des Ortes ist abgebrochen; das Schwert war ursprünglich rund 2 cm länger. Die vierkantige, gerade Parierstange ist mit einer Länge von 18 cm im Vergleich zu anderen Schwertern dieses Typs relativ schmal. Der große Knauf aus Bronze zeigt in der Aufsicht ein sehr breites Oval, in der Schmalseitenansicht ein breites Kreissegment und in der Seitenansicht eine fast gerade Oberlinie bei stark gebauchter Basislinie. Mit dieser auffallenden Knaufform gehört die in Dietenheim gefundene Waffe zu einer kleinen Gruppe von Schwertern, die insbesondere im süddeutschen Raum, aber auch in der Schweiz, in der Slowakei, in Tschechien, Ungarn und Rumänien nachgewiesen wurden. Möglicherweise wurden diese Waffen zwischen dem späten 12. und der Mitte des 13. Jahrhunderts in Passau gefertigt. Matthias Ohm Seitz 1965, besonders S. 142 – Ausst.-Kat. Stuttgart 1977, Bd. 1, Kat. Nr. 320 (Volker Himmelein) – Sauerländer 1979 – Geibig 1991, besonders S. 70–73, 173 – Oakeshott 1991, Nr. Xa. 10 – Wagner/Worley/Holst Blennow/Beckholmen 2009 – Ausst.-Kat. Magdeburg 2009, Kat. Nr. VI.11 (Alfred Geibig).
XI.12 WAPPENSTEIN DER WELFEN AUS KLOSTER STEINGADEN Oberbayern, vor 1200 (Schildrand Ende 13. Jahrhundert?) Sandstein; oberer Rand nachträglich mit einem Zahnschnittfries versehen, nachträgliche Herausarbeitung einer Schildform um den Körper des Löwen H. 107 cm, B 71 cm, T. 24 cm An den Rändern stark beschädigt, wahrscheinlich durch die spätere Verwendung als Hausfassadenschmuck München, Bayerisches Nationalmuseum, Inv. Nr.: MA 121
Es handelt sich bei dem Wappenstein um eine der ältesten Darstellungen eines heraldisch stilisierten Löwen in Deutschland. Der ausdrucksstarke Löwe ist in seiner typischen Haltung dargestellt – heraldisch rechts gewendet, aufgerichtet, mit ausgeprägten Zähnen im offenen Rachen und Krallen auf den Pranken bewehrt. Gleichwohl ist er im Unterschied zu späteren Darstellungen noch nicht bezungt. Die Darstellung trägt schon die typischen Elemente der späteren heraldischen Löwen-Stilisierung. Einen Unterschied sieht man allerdings in der Ausführung des Kopfes, der, um Furcht zu erwecken, eine fast drachenähnliche Form besitzt. Der Körper des Löwen ist bis auf den Kopf und die Pranken, die mit klar modellierten Zehen und übermäßig groß dargestellten Krallen bedrohlich erscheinen, mit wulstigen Locken bedeckt, die die Form von kleinen, nahezu regelmäßigen Spiralen haben, die an Schneckenhäuser erinnern. Der mit fünf Haarlocken verzierte Schweif wiederholt die Kurve des Rückens und steigt in einer leichten Biegung nach oben, wobei die Spitze einwärts nach unten gedreht ist, und in einer Quaste endet. In der Darstellung des Löwen sieht man deutliche Parallelen zum Wappenschild des Ritters Arnold von Brienz aus Seedorf in der Schweiz; auch die Gestaltung des Löwenfells entspricht dem gleichen Stil. Die Schildränder sind nachträglich entstanden. Die Bewehrung der linken vorderen und der linken hinteren Pranke überragt weit den Schildrand. Es wird angenommen, dass der Schild Ende des 13. Jahrhunderts entstand, was wahrscheinlich in seiner gotischen Form begründet liegt. Wenn der Stein tatsächlich ursprünglich Teil des Hochgrabs von Welf VI. und Welf VII. war, stellt sich die Frage, ob man erlaubt hätte, das Grab eines verehrten Stifters abzuändern und den Löwen in einem Schild nachträglich einzuschließen oder ob dieser Schild erst nach der 1525 erfolgten Zer-
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störung des Kunstwerkes eingearbeitet wurde, als man das Löwenfragment für die heraldische Fassadenausschmückung eines Privathauses zweckentfremdete. Die Stilisierung des Löwen ist, wenn nicht direkt in byzantinischen, wohl aber in süditalienischen, normannischen Vorbildern zu erkennen. Als das typische Beispiel sei hier der Krönungsmantel (Pluviale) der römisch-deutschen Könige erwähnt. Auf diesem Mantel findet sich die Darstellung zweier stilisierter Löwen, die je ein Kamel schlagen. Auf die Symbolik kann hier nicht eingegangen werden, wohl aber auf die Darstellung der Tiere: Die Haltung respektiert die Form des Mantels, entspricht aber trotzdem in verblüffender Weise derjenigen des Löwen auf einem Wappenschild. Man beachte die Stellung der Pranken und des Kopfes, und nicht zuletzt die Krümmung des Rückens sowie die Biegung des Schweifes. Dass hier der Steingadener Löwe sein Vorbild gehabt haben konnte, ist kaum in Frage zu stellen. Enge Kontakte Welfs VI. sowohl mit der byzantinischen als auch der italienischnormannischen Welt, werden als sicher angenommen, da er sich 1147 auf den zweiten Kreuzzug begab und bis zur Belagerung von Damaskus daran teilnahm. Was die Beziehung zu Italien betrifft,
war Welf VI. Herzog von Spoleto und Markgraf von Tuscien und als solcher häufig in Italien anwesend. Diese Gebiete verkaufte er nach dem Tode seines Sohnes – Welf VII. starb 1167 – seinem Neffen Friedrich Barbarossa. Danach zog er sich gänzlich aus der Politik zurück und widmete sich der festlichen Seite des ritterlichen Lebens. Das Steinrelief wird bislang in die Zeit um 1200 datiert. Die Entstehung könnte jedoch einige Jahre oder sogar Jahrzehnte früher angesetzt werden, wenn man bedenkt, dass das Prämonstratenser-Kloster Steingaden als Grablege im Jahre 1147 gestiftet wurde und dass Welf VI. im Jahre 1167 dort seinen einzigen Sohn Welf VII. begraben ließ. Das Münster ist 1176 geweiht worden und Welf VI. fand 1191 daselbst seine Ruhe. Aufgrund dieser Tatsachen kann angenommen werden, dass sich das vermutete Hochgrab der Welfen entweder von Anfang an oder mindestens seit dem Tod Welfs VII. in Entstehung befand. Václav Vok Filip
Naumburg, Dom, Westchor, Schwert des Wilhelm
XI.12
Ausst.-Kat. Braunschweig 1995, S. 96–98 (B 14) – Becher 2007, S. 86–87, 98–99, 188–189 – Ausst.-Kat. Mannheim 2010, S. 336.
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XI.14 WAPPENSCHILD DER HERREN VON WEINGARTEN ODER RARON Valeria ob Sitten, um 1300 Holz; mit Stoff bespannt, darauf Stuck, bedeckt mit versilbertem und vergoldetem Pergament, zum Teil vergoldeter Kupfer; Rückseite mit Leder bezogen H. 73 cm, B. 73 cm Sion, Musée d’histoire du Valais, Inv. Nr.: MV172
Aus der Liebfrauenkirche in Valeria ob Sitten (Chapitre cathédrale de Valère de Sion) im Schweizer Kanton Wallis stammt ein auffallend prächtig gestalteter Schild, der dort über dem Grab seines Besitzers hing. Er ist noch heute in einem sehr guten Zustand und gehört mit Sicherheit zu den schönsten noch erhaltenen Schilden aus dem Hochmittelalter. Der Schild ist aus einem Stück Holz gearbeitet und mit Pergament bespannt. Die Vorderseite wurde mit einem Kreidegrund überzogen; auf der hinteren Seite sind noch heute Reste der ledernen Schildfessel erhalten. Seine dreieckige Form erinnert an die Schilde des „Naumburger Typs“, obwohl man ihn einige Jahrzehnte später datiert (in die 80er oder 90er Jahre des 13. Jahrhunderts) als die Schilde der Stifterfiguren in Naumburg (Kat. Nr. X.14–15, 17–21, 24). XI.14
Der Schild präsentiert sich in einer sehr aufwendigen und wertvollen Gestalt: in einem blauen Feld befindet sich ein goldener Adler, der nicht, wie in der Heraldik üblich, zur Seite schaut, sondern nach vorn aus dem Schild. Dabei hebt sich der ganze Kopf mit dem halb offenen Schnabel von der Schildfläche ab. Auch der restliche Körper mit den Flügeln und gespreizten Fängen ist in einem naturnahen Relief erhaben modelliert. Bei der Verarbeitung der Fläche, in die ein flaches rautenförmiges Relief hineingedrückt wurde, ist unterhalb der blauen Farbe Plattsilber verwendet worden, was dem Schild fast einen strahlenden, transparenten Schein verleiht. Auf den Adler wurde anschließend feines Blattgold aufgetragen. Die Wirkung muss auf den Betrachter auf jeden Fall sehr eindrucksvoll gewesen sein. Der Schild ist mit einem Bord eingerahmt, auf dem rautenförmige und ovale Edelsteine mit jeweils einem senkrecht gestellten Paar kleiner Perlen wechseln. Der vergoldete Bord wird vom Wappenfeld durch einen schmalen, mit kleinen Sparren verzierten Rand getrennt. Mit Edelsteinen geschmückte Kampfschilde werden schon in der Alexias von Anna Komnena erwähnt und einen fast identischen Bord besitzt der einige Jahrzehnte ältere Schild von Wiprecht von Groitzsch auf seiner Grabplatte in Pegau (Kat. Nr. IX.22). Auf der hinteren Seite sind Pergamentreste und – wie schon erwähnt – Riemenreste erhalten, die als Schildfessel benutzt wurden. Diese waren mit Hilfe von Nägeln befestigt, deren vergoldete Kupferköpfe auf der Vorderseite in Form kleiner sechsblättriger Rosen zu sehen sind. Was die Identifizierung des Besitzers betrifft, herrscht in der Forschung bis heute Unsicherheit. Donald Lindsay Galbreath spricht sich als erster für die Familie von Raron aus, weil die Mitglieder dieser Familie einen Adler führen. Es ist allerdings nie nachgewiesen worden, dass sich der Adler auf blauem Feld befand, wie selbst Galbreath bemerkt. Dennoch ordnet er den Schild Antoine de Rarogne (†1303) zu. Die neuere Forschung – vor allem Laurent Golay – neigt dazu, das Wappen der Familie Huboldi zuzuschreiben, die sich später nach ihrem Besitz Weingarten nennt, und deren Mitglieder auf ihren Siegeln ebenfalls einen Adler tragen. Da auch in diesem Fall nicht sicher nachweisbar ist, welche Farbe das Wappenfeld hatte, ist die Zuordnung des Schilds zu dieser Familie genauso unsicher, wie es bei derer von Raron ist. Václav Vok Filip Nickel 1958 – Galbreath/Jéquier 1978 – Komnene 2001 – Kohlmorgen 2002 – Golay 2003 – Galbreath 1942, S. 11–14, Taf. I.
XI.15 LILIENKRONE Ungarn, zweite Hälfte 13. Jahrhundert Silber, vergoldet; Edelsteine: Saphir, Amethyst, Almandin, Gagat, Türkis, Cordierit (?); Perlen; acht Glieder H. 6,2 cm, Ø 17 cm, L. (Glieder) je 6, 3 cm Budapest, Magyar Nemzeti Múzeum, Inv. Nr.: 1847.43.a
Ausst.-Kat. Stuttgart 1977 Die Zeit der Staufer. Geschichte, Kunst, Kultur, Ausstellung im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart 1977, hrsg. von Reiner Haussherr/Christian Väterlein, Bd. 1-4: Stuttgart 1977, Bd. 5: Stuttgart 1979. Rothe, Heinrich Clûzenère, Ritterspiegel Johannes Rothe, Heinrich Clûzenère, Ritterspiegel. in: Mitteldeutsche Gedichte hrsg. von Karl Bartsch, Stuttgart 1860, S. XXIV-XXXVI. Hartmann 2004 Wolfgang Hartmann, Vom Main zur Burg Trifels – vom Kloster Hirsau zum Naumburger Dom. Auf hochmittelalterlichen Spuren des fränkischen Adelsgeschlechts der Reginbodonen, Aschaffenburg 2004. Eberl 1995 Immo Eberl, Die frühe Geschichte des Hauses Schwarzburg und die Ausbildung seiner Territorialherrschaft, in: Ausst.-Kat. Rudolstadt 1995, S. 79-130. Schade 2006 Werner Schade, Zwei Flügel des Altarwerks für den Westchor des Naumburger Doms, in: Der Naumburger Domschatz. Sakrale Kostbarkeiten im Domschatzgewölbe, hrsg. von Holger Kunde, Petersberg 2006, S. 130-137. Brockhusen 1969/71 Hans Joachim von Brockhusen, Die Königstochter im Naumburger Westchor, in: Der Herold 7 (1969/71), S. 217-232. — Seyler 1970 Gustav A. Seyler, Geschichte der Heraldik (Nachdruck der Ausgabe von 1885-89), Neustadt an der Aisch 1970. Petráň 1970 Josef Petráň, Český znak. Stručný nástin jeho vzniku a historického vývoje, Prag 1970. Nový 1978 Rostislav Nový, Rostislav, K počátkům feudální monarchie v Čechách – K počátkům českého znaku, in: Časopis národního muzea 147 (1978), S. 147-172. Zeller 1980 Alfred Zeller, Waffen des Abendlandes, Herrsching 1980. Letošníková 1983 Ludiše Letošníková, Zbraně, šerm a mečíři, Prag 1983. Müller/Kölling 1986 Heinrich Müller/Hartmut Kölling, Europäische Hieb- und Stichwaffen aus der Sammlung des Museums für Deutsche Geschichte, Berlin 1986. Ausst.-Kat. Nürnberg 1990 800 Jahre Deutscher Orden, Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg in Zusammenarbeit mit der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens 1990, hg. von Gerhard Bott/Udo Arnold, Gütersloh 1990. Ausst.-Kat. Marburg/Wartburg 1992 Hessen und Thüringen: Von den Anfängen bis zur Reformation, Ausstellung im Landgrafenschloss Marburg 1992 und auf der Wartburg/Eisenach 1992, hg. von Peter Moraw/Walter Heinemeyer, Marburg 1992. Edge/Paddock 1996 David Edge/John Miles Paddock, Arms and Armor of the Medieval Knight. An Illustrated History of Weaponry in the Middle Ages, London 1996. Sommer/Třeštík/Žemlička 2009 Petr Sommer/Dušan Třeštík/Josef Žemlička, Přemyslovci, Budování českého státu, Prag 2009. Scheibelreiter 2009 Georg Scheibelreiter, Adler und Löwe als heraldische Symbole und im Naturverständnis des Mittelalters, in: Wappenbild und Verwandtschaftsgeflecht, Wien/München, 2009, S. 66-67.
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