- Universität Erfurt Historisches Seminar
Die Eroberung einer neuen Welt. Spaniens und Portugals Expansion in Afrika und Lateinamerika, 1400-1650.
Sommersemester 2014
PD Dr. Andreas Timmermann
Die spanische Missionierung Amerikas. Die Geschichte des Jesuitenordens in Paraguay.
Immanuel Reisinger, 31702
[email protected] Donaustraße 36, 99089 Erfurt
Baccalaureus Geschichtswissenschaft 6. Semester
Die spanische Missionierung Amerikas. Die Geschichte des Jesuitenordens in Paraguay.
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
S.2-3
I.
Vorgeschichte
S.4-5
II.
Grundzüge der spanischen Missionierung
S.5-7
III.
Die Stellung der Indigenen
S.7-8
IV.
Die Jesuiten
S.8-9
V.
Der Jesuitenorden in Paraguay
S.9-12
V.I
Methoden
S.12-15
V.II
Das Leben in den Reduktionen
S. 15-17
Zusammenfassung
S. 18-19
Einleitung „Im Schatten der großen Kolonialgeschichte existierte 150 Jahre lang ein missionarisches Werk, das anderen Maximen folgte als der Jagd der Konquistadoren nach Gold, Pfeffer und Profit. Jesuitenmissionare aus ganz Europa […] haben im Herzen Südamerikas 70 Städte errichtet, in denen mehr als 150.000 Indianer nicht nur Heimat und Sicherheit fanden, sondern durch ›ihre Väter‹ auch zu kulturellen Hochleistungen geführt wurden.“1 Den ersten Jesuiten, die in die damalige Provinz Paraguay kamen, muss es wie der Garten Eden vorgekommen sein – unberührte Natur und unberührte Seelen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Ordensbrüder an diesem Ort etwas in der Form eines Gottesstaates schaffen wollten. Viele sahen sich dazu prädestiniert hier das Werk Gottes am besten zu preisen. In einer Zeit, in der sich die Kirche in Folge der Reformation spaltete und in der Religion mehr und mehr von der weltlichen Macht zurückgedrängt wurde, waren die Missionen Amerikas umso mehr ein Zeichen dafür, wozu die Kirche oder vielmehr der Glaube in der Lage ist. Doch was haben die Jesuiten aufgebaut? Wie haben sie auf das Land und ihre Bewohner eingewirkt? Wie haben sie ihr missionarisches Werk organisiert und strukturiert? Um diese Fragen beantworten zu können ist es notwendig große geschichtliche
Zusammenhänge und die Ideen und Methoden im Speziellen in Einklang zu bringen. So müssen wir zu Beginn auf die Geschichte der Entdeckung und Kolonialisierung Südamerikas blicken, um im nächsten Schritt die Geschichte der Jesuiten und ihrer Mission zu betrachten. Bei der spanischen Missionierung der indianischen Bevölkerung in der neuen Welt haben die Jesuiten nicht die Hauptrolle gespielt – die anderen Bettlerorden, die in der neuen Welt tätig waren, allen voran die Franziskaner, hatten bereits große Erfolge zu verzeichnen und Millionen von Menschen dem christlichen Glauben zugeführt.2 Der besondere Ruf der jesuitischen Mission mag daher vielleicht überraschen, doch lassen sich schnell die Gründe seines Entstehens und seiner anhaltenden Wirkung finden. Die Jesuiten verwalteten in ganz Lateinamerika hunderte von Missionsstationen, doch besonders die Reduktionen von Paraguay gelten bis heute als eines der herausragensten Experimente der abendländischen Geschichte.3 Die Forschungsliteratur zu diesem Thema ist sehr umfangreich. Die meiste stammt verständlicherweise aus dem Bereich der Religionsgeschichte und Religionstheorie. Daneben existieren allerdings auch Werke aus Staats- und Sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Demnach ist das Thema bereits aus den verschiedensten Blickwinkel aus betrachtet worden. Jedoch sind Teile dieser Forschung auch mit Vorsicht zu genießen, da manch‘ Autor dazu 1
Caraman, Philip: Ein verlorenes Paradies. Der Jesuitenstaat in Paraguay. München 1979, S. 7. Hausberger, Bernd: Die Mission der Jesuiten im kolonialen Lateinamerika, in: Im Zeichen des Kreuzes. Mission, Macht und Kulturtransfer seit dem Mittelalter. Wien 2004, S. 79-102, hier S. 79. 3 Ebd. S. 80. 2
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neigt zu subjektiv und bewertend in seiner Ausarbeitung vorzugehen. Ein Buch, das besonders anschaulich über die Geschichte des Jesuitenordens in Paraguay berichtet, ist Philip Caramans „Ein verlorenes Paradies“, welches auf deutsch erstmals 1979 erschien. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist sehr ergiebig, da sie viel Aufschluss unter anderem über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche bzw. zwischen Kirche und der indigenen Bevölkerung gibt. Daher lohnt sich, trotz der schon existierenden Fachliteratur, eine nähere Bearbeitung aus den verschiedensten Perspektiven, die dieses Thema bietet.
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I.
Vorgeschichte
Der erste Europäer in Paraguay war angeblich Jean de Solis, der 1516 das Gebiet erkundete und für die spanische Krone reklamierte. Eine Expedition unter Sebastiano Caboto gründete im Jahre 1527 die Station Sancti Spiritu. Er fuhr als erster den Rio de la Plata hoch bis zum Paraguay. Er wollte einen Weg vom Atlantik zu den Bergwerken Perus und Boliviens suchen, um dort auf die erwarteten Gold- und Silbergruben zu stoßen.4 Die eigentliche Eroberung des Gebietes begann jedoch erst mit der dritten Expedition unter Pedro de Mendoza. Dieser gründete bei seiner Ankunft in Südamerika 1535 die Festung Buenos Aires, doch verstarb kurze Zeit später. Sein Vetter, Gonzalo de Mendoza begab sich im darauffolgenden Jahr aufs Neue auf eine Expedition in Begleitung von Domingo de Irala und Juan de Salazar de Espinoza. Letzterer gründete an einer gut gelegenen Stelle am 15. August 1537 eine Niederlassung mit dem Namen Asuncion. Irala ließ sich zum ersten Gouverneur der Stadt wählen. 5 Die Soldaten waren von Anfang an von den dort lebenden Indianerweibern angezogen, so dass sie sie bereitwillig als Frauen nahmen oder sie zu ihren Geliebten machten. In der Regel sah man ihre Enkel, zumindest aber ihre Urenkel als Spanier an. Aus dieser Generation sollten später viele jesuitische Priester werden.6 Die Indianer, die um Asuncion lebten, gehörten dem Volk der Guarani an. Sie bevölkerten ein riesiges Gebiet, das sich von den Guayanas im Süden bis zum Mündungsgebiet des La Plata erstreckte. Trotz ihres Namens, der „Krieger“ bedeutet, waren die Guarani ein friedliches Volk. Sie waren unabhängig, lebten in völliger Freiheit und ohne erkennbare Gesetze. Ihre Oberhäupter, die allerdings meist nur im Kriegsfall eingesetzt wurden, waren die Kaziken. Die eigentliche Macht in einer Gemeinschaft lag jedoch bei den Schamanen oder Medizinmännern. 7 Als Irala 1557 starb lebten bereits 1500 Spanier in Asuncion. Die Stadt verfügte zu dieser Zeit schon über eine Weberei, eine Kathedrale und erste landwirtschaftliche Anlagen. Sie hatte sich bereits als Hauptstadt eines riesigen Gebiets etabliert, welches außer dem modernen Paraguay, das derzeitige Argentinien, das ganze Uruguay und einige Provinzen Brasiliens umfasste. Dieses ganze Gebiet sollte später das Territorium der berühmten Jesuitenprovinz Paraguay werden. Bereits 1550 gingen die ersten Jesuiten in Brasilien in San Salvador de
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Caraman, S. 9f. Ebd. S. 10f. 6 Ebd. S. 11f. 7 Ebd. S. 12f. 5
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Bahia an Land. Allerdings sollte eine systematische Christianisierung, die sich auch außerhalb von Asuncion erstreckte, erst um 1575 einsetzten. 8 Damit verbunden ist der Name des Franziskaners Fra Luis de Bolanos, der als erster die Sprache der Indigenen beherrschte und der zwischen 1580 und 1593 18 Guarani-Siedlungen gegründet haben soll. Von ihm stammt die Idee der „reducciones“ – Siedlungen für die Indianer, in denen sie christianisiert und sozialisiert werden sollten. Diese sollen zu einem späteren Zeitpunkt noch näher erklärt werden. Auf dem Fundament seiner Arbeit baut das ganze Werk der Jesuiten auf. 9 In den nächsten Jahren und Jahrzehnten konnte sich das Vizekönigreich Peru immer weiter verfestigen. Auch die Missionierung hatte sich weiterentwickelt. Angefangen von Militärkaplanen über Wanderpriester, die nur wenig ausrichten konnten, bis hin zur Gründung fester Indianersiedlungen, in denen sie nicht nur lernen sollten Gott zu huldigen. Doch man stieß von Beginn an auch auf große Probleme z.B. in der Verständigung mit den Indianern, die auch trotz der verfassten Grammatik Bolanos nie optimal war. Ein weiteres großes Problem bestand in der Schaffung einer Koexistenz mit den Siedlern, die nur auf eigene Bereicherung aus waren und nicht nach der Bekehrung der Indianer. 10
II.
Grundzüge der spanischen Missionierung
Die spanische Kolonisation der neuen Welt war ein zweiseitiges Schwert. Auf der einen Seite war wichtig das Land zu entdecken und zu erobern und sich allem zu bemächtigen was sich auf diesem Land befindet, seien es Rohstoffe oder Menschen. Auf der anderen Seite war aber auch von Anfang an die Christianisierung der Heiden und damit die Rettung ihrer Seelen vor der Verdammnis ein Hauptanliegen der Kirche Spaniens.11 Grundlegend für die Arbeit der römisch-katholischen Kirche auf amerikanischen Boden war die Etablierung von Missionen, in denen versucht werden sollte die Indianer in das spanische Kolonialreich zu integrieren. Die Bekehrung dieser implizierte eine Reihe sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Maßnahmen, die zudem durch den Aufbau einer christlichen Herrschaft abgesichert werden mussten. Man begann die Sozialstrukturen der eingeborenen Völker tiefgreifend umzugestalten. Die Mission wurde zu einer Institution der 8
Caraman, S. 16f. Ebd. S. 17f. 10 Prien, Hans-Jürgen: Das Christentum in Lateinamerika (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen IV/6). Leipzig 2007, S. 103ff. 11 Höffner, Joseph: Christentum und Menschenwürde. Das Anliegen der spanischen Kolonialethik im goldenen Zeitalter. Trier 1947, S. 75ff. 9
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Umerziehung. Familienformen der Indigenen erlebten drastische Änderungen. So wurde beispielsweise die übliche Polygamie verboten. Auch europäische Bekleidungsstandards wurden eingeführt und der Alkohol- und Drogenkonsum wurde eingedämmt. Indigene Feste standen ab sofort unter einer strikten Kontrolle, falls sie nicht komplett abgeschafft wurden. Daneben wurden christliche Feiertage eingeführt um die Attraktivität des Glaubens zu erhöhen. Um diese ganzen Maßnahmen durchsetzen zu können, die Indianer zu unterweisen und zu kontrollieren, war für die Jesuiten die Beherrschung der indianischen Sprachen eine wichtige Voraussetzung. In Paraguay wurde ein vereinheitlichtes Guarani als allgemeine lingua franca durchgesetzt.12 Die Ordensbrüder wussten dabei, dass sich eine Christianisierung erst nach der Unterwerfung der Indianer durchführen ließ, die Spanier aber Amerika in erster Linie wegen des materiellen Vorteils eroberten. Allerdings erwies sich gewaltsamer Druck als effiziente Hilfe bei der Etablierung der Mission. Im Folgenden sollte diese Zusammenarbeit mit den weltlichen Akteuren einen Einsatz von Gewalt mit sich bringen, der weit über die Verteidigungs- und Schutzmaßnahmen hinausging. Weltliche und geistliche Kolonisation bedingten einander. Spanische Missionen hatten dabei die Funktion der Grenzsicherung und im günstigsten Fall auch der Herrschaftserweiterung inne, in den Fällen, in denen kriegerische Bewohner und feindliche Natur eine konventionelle Eroberung verhindert hatten. Missionen wurden zu typischen Grenzinstitutionen und bildeten Pufferzonen zwischen den Siedlern und den Indianern. Wenn die Eroberungsversuche der Spanier ins Stocken gerieten, hatte man vielerorts auf die Hilfe von Ordensangehörigen gesetzt, um feindlich gesinnte Völker zu befrieden. In diesem Zusammenhang von der Mission als eine Alternative zum Kolonialismus zu sprechen, scheint demnach nicht angebracht, denn beides war unlösbar miteinander verschlungen.13 Zwar verschlossen die Missionare ihre Augen nie vor den Schattenseiten der kolonialen Herrschaft, ihren brutalen Methoden und düsteren Folgen und kritisierten sie zuweilen heftig und ausdauernd, ohne allerdings die Rechtmäßigkeit der europäischen Expansion über die Neue Welt in Frage zu stellen. Es ergaben sich immer wieder Konflikte mit den Siedlern und der mit ihnen verbündeten Beamtenschaft. So z.B. widersetzten sich die Jesuiten in Paraguay
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Hausberger, S. 91. Ebd. S. 86ff.
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vehement den Dienstleistungen und Abgaben, die die Indianer den Spaniern im Rahmen der encomienda14 leisten sollten. 15 III.
Die Stellung der Indigenen
Mit der Toleranz gegenüber den Indigenen ging es nicht so weit, wie man gerne denken würde oder manche zeitgenössische Texte von Missionaren zu vermitteln versuchen. Nach der Überzeugung der Missionare waren alle nicht christlichen Menschen barbarischer Natur. So erschienen den meisten Spaniern die Indianer Südamerikas tierähnlich und kaum zu menschlichen Gefühlen fähig. Man hatte den Eindruck sie würden ohne Gesetz leben, ohne Herrscher, ohne zivile Ordnung und meist ohne festen Wohnsitz. Man hielt sie für grausam, für Menschenfresser, die sogar ihre eigenen Kinder umbringen. Man sah, wie sie sich hemmungslosen sexuellen Ausschweifungen hingaben und nackt herumliefen. Alles in Allem sah man bei ihnen keine Fähigkeit zu einer autonomen Entwicklung. Man müsse sie erst zu Menschsein erziehen, bevor man aus ihnen Christen machen könnte. Verantwortlich für diesen Zustand machte man den Teufel, der die Indianer in ihrer Primitivität gefangen hielt. 16 Allerdings waren die Missionare der Überzeugung, dass selbst die niederträchtigsten, tierischsten Indianer zum wahren Menschsein gemäß natürlichem und christlichen Recht geleitet werden können – daraus zogen sie ihre Motivation und gleichzeitig ihre Existenzberechtigung. Es galt der Grundsatz: Vor Gott sind alle Menschen gleich.17 Nichts destotrotz wurden die Indianer immer wieder von den spanischen Siedlern diskriminiert und erniedrigt. Doch die wohl schlimmste Entwicklung innerhalb der Kolonisation war die Versklavung tausender Indianer, die weiterverkauft oder von den Siedlern zur Zwangsarbeit gezwungen wurden. In diesem Zusammenhang sind die Leyes de Burgos von 1512 zu nennen, die den Ausbau und Legalisierung des Encominienda-Systems festlegten. In diesem wurden Gruppen von 40 bis 150 Einheimischen gebildet um für die Kolonialherren zu arbeiten. Die Gesetze legten aber auch im Gegenzug fest, dass die Arbeiter bezahlt werden, ihnen eine Unterkunft gestellt wird und auch anderweitig für sie gesorgt wird. Auch die Anwendung von Gewalt war untersagt. Die Arbeiter waren prinzipiell frei. Doch die Siedler sollten sich an den Teil der Gesetze, in dem die Fürsorge gegenüber den Indianern 14
Bereits 1503 wurde das Encomienda-System von Königin Isabella I. von Kastilien geschaffen. Ziel dabei war die Etablierung einer exportierenden Landwirtschaft und die gleichzeitige Erschließung und Sicherung der Gebiete. Den Konquistadoren wurden riesige Landgüter treuhänderisch übertragen. Fixiert wurde das System in den Gesetzten von Burgos 1512. (vgl.: Feder, Ernest: Agrarstruktur und Unterentwicklung in Lateinamerika. Frankfurt am Main 1973, S. 27-31.) 15 Hausberger, S. 86f. 16 Ebd. S. 83f. 17 Ebd. S. 85f.
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beschrieben wird zu keinem Zeitpunkt halten. Sie beuteten die Indianer bis zum letzten aus. Beim Encomienda-System handelte es sich um nichts anderes als Sklaverei. 18 Die Proteste der Padres ließen nicht lange auf sich warten. Ein Name der unlöslich mit diesen Protesten verbunden ist, ist der Bartolome des las Casas. Er setzte sich als einer der Wenigen zeitlebens für Bedürfnisse der Indigenen ein. Durch seine Arbeit und seine Beziehungen konnte er eine Prüfungskommission erwirken. Diese arbeitete unter Einwirkung Karls V. im Jahre 1542 die Leyes Nuevas aus. Diese setzten die Einheimischen unter dem Schutz der spanischen Krone. Sie verboten ihre Versklavung und Ausbeutung. Außerdem verboten sie gegen die Indianer Krieg zu führen. Die Gesetze wurden von den Siedlern abgelehnt und zu einem großen Teil nicht eingehalten. Oftmals kauften die Spanier nun die Sklaven von den Portugiesen, bei denen die Sklaverei nicht verboten war. Zudem hatten die Jesuiten vermehrt Probleme mit Sklavenjägern (Bandeirantes), die sich in die Indianersiedlungen schlichen und viele von ihnen versklavten. Die Gesetze sollten demnach in ihrer Wirkung nicht sehr erfolgreich sein, jedoch zeigen sie den Einsatz einiger Ordensträger für die zu christianisierenden Einheimischen. 19 Doch vor allem sollte hier ein großer Konflikt zwischen Siedlern und Missionaren entstehen, der für die weitere Entwicklung der Missionsarbeit der Jesuiten von entscheidender Bedeutung sein sollte. Das spanische Königshaus hatte dabei die Schwierigkeit keine der Seiten zu bevorzugen, weil beide Anstrengungen, die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes und der Menschen, sowie die Christianisierung der Menschen, zu fördern war. Wichtig zu erwähnen ist, dass 1545 das wichtigste Gesetz der Neuzuteilung der Indianer wieder zurückgenommen wurde.20
IV.
Die Jesuiten
Der Jesuitenorden oder auch Gesellschaft Jesu wurde am 15. August 1534 von einem Freundeskreis um Ignatius von Loyola gegründet. Dieser war erst Soldat bevor ihn diverse Vorkommnisse zum Glauben führten und er zum Priester wurde. Am 27.09.1540 wurde die Gründung der Gesellschaft von Papst Paul III. durch die Bulle „Regiminis militantis Ecclesiae“ bestätigt. Neben den Evangelischen Tugenden der Armut, Ehelosigkeit und des Gehorsams, verpflichten sich die Ordensangehörigen auch zu besonderer Unterwürfigkeit
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Prien, S. 113-116. Ebd. S. 136-145. 20 Ebd. S. 146. 19
8
gegenüber dem Papst. Leitspruch des Ordens ist die lateinische Wendung: Omnia Ad Maiorem Dei Gloriam (Alles zur größeren Ehre Gottes).21 Die Gründung des Ordens fiel in eine Zeit des geistigen und politischen Umbruchs. Es war die Zeit des Konflikts zwischen Reformation gegen Gegenreformation. Die Kirche sollte im Staatsgefüge sowie auch zunehmend in den Köpfen der Menschen nicht mehr eine so große Rolle spielen. Doch die Gesellschaft Jesu stand hinter dem Papst und tat alles um sein Ansehen und das Ansehen der Kirche zu erhalten bzw. zu vergrößern. Möglicherweise lässt sich aus dieser guten Beziehung zwischen Papst und Orden erklären, weshalb gerade die Mission der Jesuiten in Amerika so erfolgreich wurde. Der Papst wusste, dass die Gesellschaft für ihn und für die Kirche kämpft und daher stärkte er ihnen soweit er konnte den Rücken z.B. in Form von päpstlichen Bullen. 22 Während die Jesuiten in Europa einen bedeutsamen Anteil an der Gegenreformation hatten, setzten sie außerhalb von Europa von Anfang an auf die Missionen. Die spanische und portugiesische Expansion in Amerika, Afrika und Asien eröffnete ihnen dabei viele neue Wirkungsfelder. Der Orden erlebte bereits kurz nach seiner Gründung eine spektakuläre Ausbreitung. Das lag auch an der Öffentlichkeitsarbeit, die der anderer Orden weit voraus war. Die Jesuiten waren besonders dafür bekannt in abschüssigen Regionen und menschenarmen Randzonen tätig zu sein. 1549 schuf die Gesellschaft Jesu in Indien ihre erste außereuropäische Provinz – im selben Jahr kamen auch die ersten Jesuiten ins portugiesische Brasilien, welches sich 1553 als eigene Provinz etablierte. Die Jesuiten erwarben sich schnell den Ruf von heldenhaften und allen Schwierigkeiten trotzenden Männern. 1568 hatten die Jesuiten die Erlaubnis erhalten, sich im Vizekönigreich Peru, das damals das gesamte spanische Südamerika umfasste, niederzulassen. 1609 gründeten sie am mittleren Rio Parana und einigen seiner Nebenflüsse die Missionsprovinz Paraguay. Insgesamt war der Orden in acht Provinzen tätig, unterhielt in nahezu allen größeren Städten Kollegien und andere schulische Einrichtungen für spanischstämmige Bevölkerung aber teilweise auch für Kinder indianischer Kaziken. Bald besaßen alle Provinzen eigene Missionsgebiete. 23 V.
Der Jesuitenorden in Paraguay
Im Jahre 1558 wurde den ersten Jesuiten, nach wiederholten Bemühen, die Erlaubnis erteilt nach Amerika aufzubrechen. Die Missionstätigkeit nahm seit dem enorm an Fahrt auf. 1567 wurde die Ordensprovinz Peru gegründet, die Ordensprovinz Mexico folgte 1572. 1588 21
Stierli, Josef: Die Jesuiten. Freiburg in der Schweiz 1955, S. 98f. Ebd. S. 161-168. 23 Hausberger, S. 79-82. 22
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kamen die ersten Jesuiten in die Stadt Asuncion, die zum Ausgangspunkt der weiteren Missionierung wurde. 1608 wurde schließlich die Ordensprovinz Paraguay gegründet. Bald darauf zogen viele Ordensträger in das Umland um Asuncion, um die dort lebenden Indianer vom christlichen Glauben zu überzeugen. Doch diese erste Wandermission hatte wenig Erfolg, da ein Priester zu kurz an einem Ort verweilen konnte, um wirklich tiefgreifend wirksam zu sein. Auf Grund dessen entschied man sich schnell für den Aufbau fester Missionssiedlungen, um die Indianer dort längerfristig zu sozialisieren und zu christianisieren. Die Indianersiedlungen schossen an jeder Stelle der Provinz wie Pilze aus dem Boden. Doch ihre Existenz sollte immer bedroht sein. 24 Dies geschah zum einen durch die ständigen Überfälle von Bandeirantes, die Profit mit den Indianern machen wollten. Die Sklavenjäger breiteten sich immer weiter aus und waren somit für die Indianer ein anhaltender Schrecken. Allerdings führte dies auch den anfänglich misstrauischen Indianern gegenüber dem Christentum vor Augen, welchen Nutzen es für sie bringen konnte, die Missionare und ihr Programm zu akzeptieren. 25 Zum anderen waren die Reduktionen bedroht durch die ernstzunehmenden Angriffe der Mamelucken, ebenfalls ein Indianervolk, welches vor allem in den 1630er und 40er Jahren das noch junge Werk der Jesuiten stark gefährdete. Diese eroberten viele Siedlungen der Jesuiten und trieben das Missionsprojekt an den Abgrund. Doch nachdem die Jesuiten jede Instanz flehend anriefen, entschied sich König Philip IV. im Jahre 1640 die Erlaubnis zu erteilen, dass die Indianer mit Feuerwaffen ausgerüstet werden dürfen. Die Mamelucken konnten zurückgeschlagen und die Siedlungen zurückerobert werden. Seitdem verfügte jedes Dorf über eine eigene bewaffnete Miliz, die zu Verteidigungs- und Schutzmaßnahmen eingesetzt werden konnte.26 Wenn das Indianervolk nicht durch Krieg und Versklavung dezimiert wurde, dann in Folge von Krankheiten. Vor allem die Pockenepidemien bekam man nicht in den Griff. Zwar verfügte jede Niederlassung über Krankenpfleger, aber richtig ausgebildete Ärzte waren im gesamten Missionsgebiet äußerst selten. Doch auch diese, meist von den Siedlern oder Jesuiten selbst eingeschleppten Krankheiten, begünstigten sogar das missionarische Werk, da die Indianer in den Siedlungen auf Heilung hofften.27 Eine weitere Bedrohung für das Missionswerk der Jesuiten stammte mehr oder weniger aus den eigenen Reihen und war personifiziert durch den Priester und Franziskanermönch Don 24
Becker, Felix: Die Politische Machtstellung der Jesuiten in Südamerika im 18. Jahrhundert. Zur Kontroverse um den ,Jesuitenkönig‘ Nikolaus I. von Paraguay. Köln 1980, S. 9f. 25 Ebd. S. 11. 26 Caraman, S. 66-80. 27 Ebd. S. 151-156.
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Bernardino de Cardenas. Er wurde Bischof von Asuncion und strebte wie kein anderer nach öffentlicher Anerkennung. Er versuchte sich ständig zu profilieren und sah sich als „Oberkontrolleur“ der Ordensarbeit in seiner Diözese. Cardenas sollte in seiner Amtszeit nichts als Streit stiften. So entfachte er erneut den Konflikt zwischen Jesuiten und Siedlern, in dem er darauf hinwies, dass es den Encomenderos an Arbeitskräften aufgrund der Tätigkeit der Jesuiten fehle. Darüber hinaus legte er sich mit dem übrigen Klerus Südamerikas an und sprach eine Exkommunikation nach der anderen aus. Doch besonders seine Hetzkampagne gegen die Jesuiten sollte weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. In den Vorwürfen ging es hauptsächlich um die Beraubung der den Bischöfen rechtmäßig zustehenden Zehnten, sowie des jährlichen Kontributs, welches die Indianer an die Krone zahlen müssten. Auch gab es Gerüchte über riesige Gold- und Silbervorkommen auf dem Gebiet der Jesuitenmissionen, welche die Jesuiten zur eigenen Bereicherung verwenden würden. Cardenas verdeutlichte dem König, dass er nur in den vollen Genuss seiner Rechte kommen würde, wenn die Jesuiten nicht mehr im Land seien. Den Encomenderos würden ausreichend Indianer zur Verfügung stehen und alle Schichten der Bevölkerung würden ihren Anteil an den Reichtümern der Jesuiten erhalten. Um das Land zu retten, wollte er die Jesuiten aus Südamerika vertreiben. 28 Es entwickelte sich ein militärischer Konflikt zwischen dem Bischof und den Jesuiten, wobei der Bischof sich immer wieder zurückziehen musste. Es wurden bewaffnete Indianer gegen die Anhänger Cardenas aufgestellt. Zwar konnte er die Räumung einiger Reduktionen erwirken, doch auch der Provinzialgouverneur ging gegen ihn vor. Vom Königshof wurden mehrere Untersuchungskommissionen einberufen, bei denen aber Cardenas nicht erschien. Schließlich wurde Cardenas 1665 von Phillip IV. nach Santa Cruz in Charcas versetzt. Der Bischof hatte das Ansehen des Jesuitenordens stark beschädigt und es dauerte seine Zeit bis die Padres ihre Arbeit wieder in gewohnter Weise aufnehmen konnten. Die Gerüchte und Verleumdungen, die Cardenas in die Welt setzte, sollten allerdings nie aus der Welt verschwinden. Sie wurden knapp hundert Jahre später erneut gegen sie vorgebracht. Viele Jesuiten machten nach ihrer Vertreibung ihn für die Zerstörung ihres Werkes verantwortlich. 29 Zu dem sowieso schlechten Verhältnis mit den Siedlern kam erschwerend hinzu, dass die Reduktionen auch wirtschaftlich immer erfolgreicher wurden und daher eine echte
28 29
Caraman, S. 82-91. Ebd. S. 92-99.
11
Konkurrenz darstellten. Man warf ihnen vor, sie wollten mit dem Bau der Reduktionen nur die Encomenderos ausstechen, um selbst die Reichtümer für sich zu behalten. 30 Im Grunde lässt sich zusammenfassen, dass die Arbeit der Jesuiten von Beginn an ein Kampf unter ständigen Rückschlägen gewesen ist. Man konnte sich nie sicher sein, ob ein Erfolg von langer Dauer sein würde.31 Die größten Unruhen folgten, als sieben jesuitische Reduktionen, oberhalb der Rio Uruguay, nach dem Vertrag von Madrid 1750 an das portugiesische Brasilien abgetreten werden sollten. Es bestand die staatliche Forderung die Dorfgemeinschaften umzusiedeln, doch wäre dies mit großem Aufwand verbunden gewesen. Außerdem fanden viele Indianer in diesen Reduktionen eine neue Heimat und wollten ihren Lebensraum nicht verlassen. Sie wehrten sich mit Waffengewalt. Die sogenannten „Guaranikriege“ tobten von 1753 bis 1756. Schließlich mussten sich die Indianer geschlagen geben und zusammen mit ihren Padres das Gebiet verlassen. Der Vertrag von Madrid und seine Folgen kennzeichnen den Anfang vom Ende des Jesuitenordens in Paraguay. 32 Am Ende wurde der jesuitischen Mission in Paraguay von den europäischen Herrschern im Zuge des aufgeklärten Absolutismus ein abruptes Ende gesetzt. Aufgrund der antijesuitischen Politik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden sie 1759 aus Brasilien und 1767 aus dem
spanischen
Herrschaftsbereich,
teilweise
unter
unmenschlichen
Bedingungen
ausgewiesen. Zwar verschwanden die Siedlungen nicht gleich und die Indianer flohen auch nicht sofort zurück in die Wälder, doch schon kurz nach dem Abzug der Jesuiten brach das gesamte Siedlungssystem zusammen und die Indianer, die zuvor isoliert in den Reduktionen lebten, mussten nun zwangsweise die Kolonisation und damit die spanischen Gesetzen, Normen und Lebensweisen annehmen. Aber an dieser Stelle kann darauf nicht weiter eingegangen werden. Die ausgewiesenen Jesuiten versuchten alles, um den Orden zu rehabilitieren und verfassten Texte, die bis heute entscheidend das Bild von der Arbeit der Jesuiten in Amerika geprägt haben – die Faszination dieses Experiments blieb erhalten. 33
V.I
Methoden
Die jesuitische Missionspraxis ist angelegt in den Grundsätzen der Gesellschaft Jesu, wie sie ihr Gründer Ignatius von Loyola und seine Nachfolger ausarbeiteten. Schon die 30
Gothein, Eberhard: Der christlich-sociale Staat der Jesuiten in Paraguay, in: Schmoller, Gustav: Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen (Band 4, Heft 3). Leipzig 1882 (Nachdruck Bad Feilnbach 1990), S. 1-68, hier S. 12. 31 Hausberger, S. 85. 32 Becker, S. 40-45. 33 Hausberger, S. 99.
12
Ordensverfassung verlangte, dass man die religiöse Arbeit stets an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen habe. Auch der bedeutendste jesuitische Missionstheoretiker P. Jose de Acosta legte in seinem 1588 erschienen Buch De procuranda indorum salute fest, dass man für jede Situation eigene Methoden entwickeln müsse. Die Missionstätigkeit ergab sich also oft in der Praxis und nicht immer aus theoretischen Überlegungen. Oberstes Ziel war es die Seelen der barbarischen Indianer von der ewigen Verdammnis zu retten, die jedem bevor stünde, der nicht getauft sein würde – andere Ziele waren dem untergeordnet.34 Anfänglich betrieben die Jesuiten überall eine Wandermission und beschränkten sich bei ihren periodischen Besuchen der zu bekehrenden Indianergruppen darauf, die grundsätzlichen Inhalte des Christentums zu vermitteln. Erlaubten es die Umstände, so ließen sich die Jesuiten dauerhaft unter den Indianern nieder, um intensiver und sie dauerhaft im Glauben unterweisen zu können. Erst in diesem Stadium konnte die religiöse Unterweisung durch regelmäßigen Unterricht und Predigt stattfinden. Dafür wurde ein eigens in die indigene Sprache übersetzter Katechismus verwendet. In den schulischen Einrichtungen der Missionsdörfer wurden jedoch nur die grundsätzlichen Inhalte der Religion und die zeremoniellen Abläufe, wie Kirchengesänge vermittelt. Einige begabte Indianer erhielten eine gesonderte Ausbildung in einem Handwerk oder in der Musik. Nur sehr wenige (meist die Söhne der Kaziken), die für die spätere Mitarbeit in der Mission bestimmt waren, lernten in eigens dafür eingerichteten Missionsschulen Lesen und Schreiben. 35 Die Indianer sollten langfristig in den Reduktionen leben, um sich mit allen Institutionen (Kirche, Schule, Landgüter) und dem vermittelten Sozialsystem vertraut zu machen. Sie sollten in diesem geschlossenen sozialen Raum Lebensform und Normen der Spanier übernehmen. Grundlegend zur Hinführung der Indigenen zum christlichen Glauben war das Sakrament der Taufe. Es gibt dazu in der Literatur immer wieder Verweise auf regelrechte Massentaufen, bei denen besonders die Kaziken zum christlichen Glaubensbekenntnis gezwungen wurden. Die Annahme, dass dies eine übliche Missionierungsmethode der Jesuiten gewesen ist, lässt sich heutzutage jedoch weder bekräftigen noch entkräften. In den Überlieferungen der Jesuiten selber heißt es, dass niemand zur Taufe gezwungen wurde. Zwar ist es wahrscheinlich, dass niemand aktiv mit dem Schwert zur Taufe getrieben wurde, doch ist sicher, dass die Indigenen zunehmend an der Ausübung ihrer alten Religion gehindert wurden oder auch gezwungen wurden der Messe oder dem Unterricht beizuwohnen. Hierin
34
Hausberger, S. 83. Specker, Johann: Die Missionsmethode in Spanisch-Amerika im 16. Jahrhundert. Mit besonderer Berücksichtigung der Konzilien und Synoden. Freiburg in der Schweiz 1953, S. 195-206. 35
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erkannte man jedoch kein Zwang zur Bekehrung, sondern eine Chance zur Öffnung ihrer Seelen. 36 Neben sozialen und religiösen Aspekten war auch die Einbindung der Indianer in die landwirtschaftliche Produktion sehr wichtig. Als Basis der Missionsökonomie musste durch sie neu entstehende Missionen ernährt und somit zusammengehalten werden. Diese Arbeit der Indigenen auf dem Land war nicht nur eine wirtschaftlich notwendige Maßnahme, sondern sollte die Indianer auch an einen neuen Lebensrhythmus gewöhnen und durch die Beschäftigung von Untugend abhalten. Ohne ökonomische Basis wäre es unmöglich gewesen die Indianer in den Siedlungen zusammenzuhalten und sie dauerhaft im Glauben zu unterweisen. Mit Hilfe der erwirtschafteten Einnahmen konnten darüber hinaus die Ausstattungen der Kirchen und die Bekleidung der Indianer finanziert werden. Hierzu musste ein gewisser Überschuss an Waren produziert werden, die sich dann auf den spanischen Märkten verkaufen ließen. In Paraguay war dies vor allem der Paraguay-Tee (yerba mate). Die Geschäfte der Missionen hatten großen Einfluss auf die Beziehungen mit den Kolonialisten und führten letztendlich zu Neid und schweren Auseinandersetzungen. In den Fällen, in denen sich einzelne der Arbeit verweigerten oder sich anderweitig gegen die Anweisungen und Verhaltensregeln der Padres widersetzten, bedurften die „barbarischen“ Indianer einer strikten Führung und so griff man auf verschiedene normative Maßnahmen zurück. Diese reichten von einfachen privaten oder öffentlichen Ermahnungen über das entehrende Kahlscheren bis hin zum Krummschließen oder dem Auspeitschen von Sündern. In besonders schweren Fällen, in denen sich die Missionare bei der Aufrechterhaltung von Ordnung und Disziplin überfordert sahen, riefen sie weltliche Behörden zur Hilfe, die im Einzelfall auch Todesstrafen verhängen durften. Allgemein war den Jesuiten bei der Bestrafung die erzieherische Wirkung wichtig die besonders durch öffentliche Inszenierung erreicht werden sollte. Daneben war auch die Schaffung von Ängsten ein wichtiges Instrument zur Prävention sündhaften Verhaltens. So wurde allen Sündern mit schrecklichen Höllenqualen gedroht und Naturkatastrophen, Hungersnöte und Seuchen wurden als Strafen Gottes erklärt.37 Die jesuitische Mission hatte ein klar durchorganisiertes und institutionalisiertes Ordnungssystem. Sie war nicht nur eine kirchlich-religiöse, sondern in einem besonderen Maße auch eine erzieherisch-disziplinierende Institution. Nicht zu vernachlässigen ist ebenfalls das administrative und wirtschaftliche Antlitz der Missionen, insbesondere letzteres
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Prien, S. 129ff. Hausberger, S. 94f.
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sollte im weiteren Verlauf den Blick spanischer und portugiesischer Kolonialisten auf sich ziehen. Diese Missionen standen unter der strikten Leitung des Missionars, der damit in seiner Person eine beachtliche Fülle an Macht vereinte. 38 Das Missionsprogramm, das mit großem Eifer in Angriff genommen wurde, konnte allerdings nicht die angestrebten Ziele erreichen, obwohl sich die Erfolge von Region zu Region unterschieden. Oft widersetzten sich die Indianer den Anweisungen der Missionare und lehnten die aufgezwungene Lebensformen und Normen ab. Der Disziplinierungsprozess war folglich oft brüchig. Die Indianer betrieben weiterhin ihre alten religiösen Bräuche, konsumierten weiterhin Rauschmittel, lebten nicht nach Anweisung der Padres monogam und waren bei der Arbeit im Handwerk und auf dem Land überraschend faul und desinteressiert. So kam es besonders in den Anfangsphasen der Missionen oft zu blutigen Rebellionen, die sich aber im weiteren Verlauf mehr und mehr gegen die weltliche Herrschaft als gegen die Jesuiten richteten. Es sollte den Missionaren nicht gelingen den Indianern die herrschenden Verhältnisse verständig zu machen – es kam zu keiner Identifizierung mit den Missionszielen ihrerseits. Die Indianer wollten zu keinem Zeitpunkt die koloniale Situation akzeptieren. Es blieben immer autonome Räume innerhalb der Siedlungen, die nicht kontrollierbar waren und in denen sich die Indianer nach ihrem belieben verhielten. Zwar waren nirgends die Missionen so gut organisiert wie in Paraguay, doch waren die Dörfer hier so groß, es handelte sich teilweise um Dorfgemeinschaften von bis zu 10.000 Indianer, dass es unwahrscheinlich ist, dass die beiden anwesenden Priester eine lückenlose Überwachung ausüben konnten. 39 Daneben ist ein Missverhältnis zwischen den Idealen der Missionare und der Realität in den Missionsgebieten zu verzeichnen. So wie sie ihre Methoden den Gegebenheiten anpassen mussten, so mussten sie auch ihre Ziele realistisch neu auslegen. In diesem Zusammenhang muss die Gewährung der Zwangsarbeit in Mexico aber auch die letztendliche Hinnahme des Vertrags von Madrid 1750 und dem damit einhergehenden Verlust einiger Missionen genannt werden. Die Zusammenarbeit mit den Kolonialisten entsprach nicht den Idealen der Gesellschaft Jesu, die sich vorgenommen hatte in der neuen Welt ein Heiland zu errichten, in dem ausschließlich gottesfürchtige Menschen leben. Ein Traum, der immer ein Traum bleiben sollte. Am Ende gab man den Spaniern die Schuld für das Scheitern der Missionsideale. 40
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Ebd. S. 92. Hausberger, S. 95ff. 40 Ebd. S. 99. 39
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V.II
Das Leben in den Reduktionen
Die Reduktionen hatten einen viereckigen Grundriss und waren durchzogen von einem gitterartigen Straßennetz. Im Zentrum der Siedlung befand sich ein großer rechteckiger Platz, die plaza. Entlang dieses Platzes befanden sich die Kirche und das Rathaus. Die Reduktionen waren von einem Palisadenzaun, von Mauern oder manchmal auch durch einen einfachen Graben umgeben. Das zu bewirtschaftende Ackerland befand sich außerhalb der Siedlung. In den Siedlungen gab es alles, was man zum Leben brauchte – Handwerker, Bäcker, Metzger und Apotheken.41 Die Reduktionen wurden aufgebaut, um unabhängig von der weltlichen Kolonisation etwas zu schaffen und um die Indianer vor dieser Kolonisation, und alles was sie mit sich bringen sollte, zu schützen. Die Jesuiten wollten die Indianer sozialisieren, sie erziehen und sie zu gottesfürchtigen Menschen machen. Dabei hatte keine andere weltliche oder geistliche Macht Einfluss auf die Lebensbedingungen und die Alltagsgestaltung innerhalb der Siedlungen. Zwar standen die Siedlungen unter der staatlichen Aufsicht der Provinzialgouverneure, allerdings hatte die Krone den Reduktionen einige Sonderrechte zugestanden, wie beispielsweise das der Verwaltungsautonomie oder jenes, in dem den Siedlern und Fremden der Zutritt zu den Siedlungen verwehrt wird. Außerdem konnten die Indianer nicht zur Zwangsarbeit gezwungen werden. Ein besonderes Recht, welches weitreichende Folgen haben sollte, war das Recht der Indigenen Feuerwaffen zu tragen. Die Reduktionen unterstanden lediglich der direkten Herrschaft des Königs. 42 Da die Padres frei über Ämter entscheiden konnten und das ganze öffentliche und private Leben in den Reduktionen regelten, hatten diese die Leitung in ihren Händen. Das war beeindruckend viel Macht, die sich in der Person einfacher Priester konzentrierte. Die innere Organisation ließ den Anschein erwecken, dass ein staatsähnliches Gebilde im Entstehen war. In jeder Reduktion sollten zwei Priester die Angelegenheiten koordinieren und überwachen. Doch kam es auch manchmal vor, dass ein einzelner Priester sich um mehrere hundert Indianer kümmern musste. 43 Der Alltag war strikt nach Arbeits-, Gebets- und Freizeit geordnet. Am Morgen gingen alle zur Messe und danach zur Beichte. Jeder erwachsene Mann musste acht Stunden am Tag arbeiten – sei es auf dem Land, in der Schreinerei oder der Ziegelbrennerei. Die Kinder wurden zu dieser Zeit im Katechismus unterwiesen. In großen Siedlungen konnten das bis zu 2000 Kinder sein. Ein Paar von ihnen gingen auch zur Schule, wo die Knaben in Lesen und 41
Caraman, S. 139f. Ganson, Barbara: The Guarani Under Spanish Rule in the Rio de la Plata. Stanford 2003, S. 57ff. 43 Ebd. S. 60f. 42
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Schreiben unterrichtet wurden, während die Mädchen das Spinnen und Nähen lernten. Meist waren ihre Lehrer von den Padres ausgebildete Einheimische. Die Frauen waren tagsüber hauptsächlich mit Hausarbeiten beschäftigt. Um zwölf Uhr gab es ein gemeinsames Mittagessen, bei dem zwei Knaben immer abwechselnd aus der Bibel, der Legenda Sanctorum und dem Martyrologium, vorlasen. Nach dem Essen ging man zur AllerheiligenLitanei. Um 14 Uhr nahmen die Indianer wieder die Arbeit auf. Um 19 Uhr gab es noch ein gemeinsames Abendessen und danach stand der Abend zur freien Verfügung. 44 An jedem ersten Tag des Monats wurde ein großes Requiem für all die verstorbenen Indianer abgehalten. An Sonn- und Feiertagen wurde der Gottesdienst aufwendig mit Gesang und Instrumentenspiel begangen. Den Jesuiten lag es sehr am Herzen, die Indianer in der Kirchenmusik zu unterweisen. Es gab sogar eigens dafür Werkstätten, in denen die verschiedensten Instrumente gefertigt wurden. Die in den Jesuitenreduktionen gegründeten Orchester waren die ersten Südamerikas. 45 Die meisten Indianer arbeiteten in der Landwirtschaft, die auch die Haupteinnahmequelle der Reduktionen war. Erwirtschaftete Überschüsse wurden verkauft oder gerecht unter den Familien aufgeteilt. Den Jesuiten gelang es deshalb in diesem Bereich so erfolgreich zu sein und eine immer größere wirtschaftliche Konkurrenz gegenüber den Siedlern darzustellen, weil während die Wirtschaft der Provinz Paraguay durch Steuern und Zollschranken belastet wurde, die Jesuiten kaum Steuern und Abgaben zahlten. Auch mussten die Siedler im Gegensatz zu den Jesuiten gewöhnlich für ihre Arbeitskräfte bezahlen. 46 Allerdings gab es nicht nur Rivalität im wirtschaftlichen Bereich, sondern auch in der sozialen und politischen Struktur der verschiedenen Systeme. Während im weltlichen Paraguay die Indianer in das Leben der Kolonialisten komplett integriert wurden, wurden die Indianer in den Reduktionen von der kolonialen Welt isoliert und unmündig gehalten. Der paraguayische Historiker E. Cardozo beschreibt den Unterschied zwischen dem Paraguay innerhalb und außerhalb der Reduktionen folgendermaßen: „Disziplin und Gehorsam, Ordnung und Regelmäßigkeit auf der einen Seite, freie Entschließung und Großzügigkeit, Nachsicht in allen sittlichen Fragen und Herrschaft des Volkwillens […] auf der anderen“ 47
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Caraman, S. 149f. Schmid, Josef Johannes: A Sense of Mission – Das Erbe der Missionen. Christliche Kunst und Kirchenmusik als Parameter der Kulturgeschichte Lateinamerikas im 17. und 18. Jahrhundert, in: Decot, Rolf: Expansion und Gefährdung. Amerikanische Mission und Europäische Krise der Jesuiten im 18. Jahrhundert. Mainz 2004, S. 85122, hier S. 98f. 46 Ganson, S. 65-68. 47 Cardozo, Efraim: El Paraguay colonial, S. 134; zit. bei Becker, S. 15. 45
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Zusammenfassung Die Jesuiten haben in Lateinamerika unvergleichbares aufgebaut. Ihnen gelang es außerhalb der kolonialen Verwaltungsstruktur einen isolierten sozialen Lebensraum zu schaffen, der sich nicht nur durch seinen religiösen Grundgedanken auszeichnete, sondern in einem besonderen Maße auch durch seine gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Struktur einzigartig war. Sie errichteten mehr oder weniger einen theokratischen Staat innerhalb des spanischen Herrschaftsgefüges – den Staat der Jesuiten. Dabei mussten die Priester in den Reduktionen größtenteils keine Gewalt anwenden, im Gegensatz zur Kirche in Europa, die die Inquisition und Hexenverfolgung in dieser Zeit auf einen Höhepunkt führte. Die Arbeit der Priester war so erfolgreich, dass sie permanent den Neid und die Missgunst der Siedler auf sich zog. Doch hat der Orden sein Ziel erreicht? Sie wollten die Indianer zu gottesfürchtigen Menschen nach ihrem Verständnis machen. Doch die Indianer hatten zuvor noch nicht einmal Kontakt zu solch einer Art von Zivilisation. Mann musste sie zunächst mit den Normen und den Lebensweisen der europäischen Welt vertraut machen, bevor man ihnen den Glauben näher bringen konnte. Viele Indianer nahmen das Leben in den Reduktionen und die Unterweisung im christlichen Glauben zwar hin, doch der Status der Fremdherrschaft wird den Indigenen tagtäglich bewusst gewesen sein. Im Leben der Indigenen sollte nichts mehr so bleiben wie es einmal war. Der Alltag, die Gesellschaftsordnung, die Religion, die Bekleidung, das Verhalten – alles sollte sich grundlegend ändern. Wenn also die Geschichte des Missionswerkes in Südamerika mit dem Titel „das verlorene Paradies“ zusammengefasst wird, bezieht sich das dann auf die Vertreibung der Jesuiten aus Südamerika und die Vernichtung ihrer Mission und all dem, was sie aufgebaut haben - so dass dieses geschaffene Paradies verloren ging, oder bezieht es sich eher auf das Paradies der Ureinwohner, auf die unberührte Natur und die freie Lebensweise, die die Konquistadoren mit der Zeit mehr und mehr zerstören sollten? Ein Paradies waren die Reduktionen für die Indianer wahrscheinlich nur soweit gehend, dass sie sie vor Versklavung und Zwangsarbeit durch die Konquistadoren schützten. Somit haben die meisten Indianer mit dem Leben in den Reduktionen nur das kleinere Übel gewählt. Die jesuitische Mission in Lateinamerika wurde in Europa kontrovers beurteilt, besonders in Spanien und Portugal, wo man sie als Behinderung für die kolonialen Unternehmungen der eigenen Regierungen ansah. Heutzutage existiert ein nahezu romantisierendes Bild von der Missionsarbeit der Jesuiten in Paraguay. Der verklärte Gedanke des familiären Verhältnisses zwischen Jesuiten und Indianer trifft wahrscheinlich, bis auf wenige Ausnahmen, nicht zu. Das die Ordensbrüder abgesehen davon 18
Großartiges geleistet haben, lässt sich allerdings nicht bestreiten. Alleine die architektonischen Relikte der Zeit, die teilweise heute noch zu besichtigen sind, zeugen davon.
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Literaturverzeichnis Becker, Felix: Die Politische Machtstellung der Jesuiten in Südamerika im 18. Jahrhundert. Zur Kontroverse um den ,Jesuitenkönig‘ Nikolaus I. von Paraguay. Köln 1980. Caraman, Philip: Ein verlorenes Paradies. Der Jesuitenstaat in Paraguay. München 1979. Feder, Ernest: Agrarstruktur und Unterentwicklung in Lateinamerika. Frankfurt am Main 1973. Ganson, Barbara: The Guarani Under Spanish Rule in the Rio de la Plata. Stanford 2003. Gothein, Eberhard: Der christlich-sociale Staat der Jesuiten in Paraguay, in: Schmoller, Gustav: Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen (Band 4, Heft 3). Leipzig 1882 (Nachdruck Bad Feilnbach 1990), S. 1-68. Hausberger, Bernd: Die Mission der Jesuiten im kolonialen Lateinamerika, in: Im Zeichen des Kreuzes. Mission, Macht und Kulturtransfer seit dem Mittelalter. Wien 2004, S. 79-102. Höffner, Joseph: Christentum und Menschenwürde. Das Anliegen der spanischen Kolonialethik im goldenen Zeitalter. Trier 1947. Prien, Hans-Jürgen: Das Christentum in Lateinamerika (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen IV/6). Leipzig 2007. Schmid, Josef Johannes: A Sense of Mission – Das Erbe der Missionen. Christliche Kunst und Kirchenmusik als Parameter der Kulturgeschichte Lateinamerikas im 17. und 18. Jahrhundert, in: Decot, Rolf: Expansion und Gefährdung. Amerikanische Mission und Europäische Krise der Jesuiten im 18. Jahrhundert. Mainz 2004, S. 85-122. Specker, Johann: Die Missionsmethode in Spanisch-Amerika im 16. Jahrhundert. Mit besonderer Berücksichtigung der Konzilien und Synoden. Freiburg in der Schweiz 1953. Stierli, Josef: Die Jesuiten. Freiburg in der Schweiz 1955.
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