Die Simulation von Fotografie. Konzeptuelle Überlegungen zum Zusammenhang von Materialität und digitaler Bildlichkeit

July 4, 2017 | Author: Stefan Meier | Category: Digital Culture, Simulation, Bildwissenschaft, Fotografie, Visual Culture / Bildwissenschaft
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Kaleidogramme Band 64

Marcel Finke/Mark A. Halawa (Hg.)

Materialität und Bildlichkeit Visuelle Artefakte zwischen Aisthesis und Semiosis

Mit Beiträgen von Emmanuel Alloa, Carolin Artz, Marcel Finke, Mark A. Halawa, Ulrike Hanstein, Inge Hinterwaldner, Matthias Krüger, Stefan Meier, Dieter Mersch, Markus Rautzenberg, Marius Rimmele, Klaus Sachs-Hombach, Richard ShiH, Yvonne Schweizer, SteHen Siegel und Hellmut Winter

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k,ldIIlO.Simulation von Fotografieneuer< digitaler Praktiken der Produktion und Archivierung, der softwaregenerierten Verällderbarkeit und ihrer wandelnden Materialisienmg durch unterschiedliche Ausgabemedien evident gemacht. Wenn digitale Fotografie also indexikalisch und ikonisch >nur so tut, als ob sie Fotografie seiAuthentizitätslieferant< charakterisiert werden kann. Dem Bild wird hierbei ein fotografisches Ereignis als Ursache unterstellt, welches einen realen Fotografen annimmt, der vor Ort ein entsprechendes Objekt fotografiert hat. s Das Bild selbst entsteht somit aus aneinandergesetzten Reiz-Reaktions-Folgen, die auf Umwandlungen manifester Materialitäten beruhen: Veränderung der Filmoberfläche durch Lichtstreuung, chemisch unterstützte Entwicklung zum Fotonegativ und -positiv, Ausgabe auf statischem Fotopapier bzw. Diafilm. Damit wird ein direkter >materieller Faden< zwischen Objekt und Rezipierendem gesponnen. Die digitale Fotografie, so meine These, kappt nun diese indexikalische Verbindung zwischen Objekt und Fot0 6 und lässt sich somit als Simulation von Fotografie begreifen. Denn die mögliche Indexikalität der analogen Fotografie findet in der digitalen bereits im Moment der Aufnahme ihr Ende. Mag die Lichtstreuung des Motivs noch auf die CCD-(Charge Coupled Device- )Schaltungselemente treffen, so werden spätestens dort die Lichtmengen in elektronische Stromflüsse zur Generierung bestimmter Datenpakete umkodiert. Ein digitales Bild entsteht erst mithilfe weiterer komplexer softwaregestützter Umkodierungen und eben nicht - wie in der analogen Fotografie - durch Veränderung von Materie. Die Datenpakete definieren so einzelne Pixel und erst durch ein entsprechendes Ausgabemedium werden diese sichtbar - sie erhalten also (nur) eine vorübergehende Materialität. Digitale Fotografie bedeutet somit die konsequente Trennung

zwischen Zeichenausdruck (farbliche Strukturierung einer Fläche) und Zeichenträger, was zur bekannten Formatflexibilität (TIFF, JPEG, PSD, RAW etc.) führt sowie zu darstellungsmedial bedingten Auflösungsdynamiken und veränderten Farbwiedergaben bei unterschiedlichen Displays. Eine Materialität des digitalen fotografischen Zeichens stellt sich somit (nur) situationsgebunden her. Das digitale Bild ist mit seiner uneingeschränkten Bearbeitbarkeit auf der Pixelebene auch auf der Inhaltsebene eine fotografische Simulation, was in diesem Beitrag ebenfalls näher erläutert werden wird. Während die analoge Fotografie durch ihre Wahrnehmungsähnlichkeit Weltansichten simuliert, simuliert die digitale Fotografie die analoge, indem sie mithilfe eines Ausgabemediums digitale Dateneinheiten so formiert, als ob man eines analogen Fotos ansichtig würde. Wenngleich digitale Fotografie indexikalisch und ikonisch >nur so tut, als ob sie Fotografie sei7.

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STEFAN MEIER

DIE SIMULATION VON FOTOGRAFIE

Fotografie bereits als ein maschinelles Bildgebungsverfahren verstehen, das ganz eigene Möglichkeiten der Gestaltung und Postproduktion zur Verfügung stellt. Als Beleg einer solchen Lesart sei auf seine zahlreichen eigenen gestalterischen Arbeiten in Form sogenannter Typofotos verwiesen. IS Diese stellen Montagen von bildlichen und typografischen Elementen dar, die auf Plakaten und Zeitschriften-Titeln ganz eigene multimodale bzw. multikodierte Bedeutungsangebote konstituieren. Hier wird weniger die Welt dargestellt als vielmehr eine eigene Welt mit unterschiedlichen Zeichensystemen gestalterisch geschaffen. Ein ähnlicher Zweifel an der reinen Abbildfunktion der analogen Fotografie findet sich augerdem beim frühen Roland Barthes, dessen Konsequenz er als Paradoxon beschrieben hat. Neben das perfekte Analogon, das die Fotografie in ihrer uncodierten Denotation vom Objekt darstellt, treten für ihn Konnotationsverfahren, die die Denotation überlagern, modifizieren etc. Diese Verfahren sind fotografische Inszenierungen und Bearbeitungen, die auf die Bedeutungen des fotografischen Zeichens einwirken. So legt das Foto z. B. mittels spezifischer Belichtung, Pose des Objektes, sprachlicher Kontextualisierung sowie möglicher Montagen in der Postproduktion bei der Rezeption die Hinzuziehung kulturell-codierter Bedeutungskomponenten nahe. Damit liefert die Fotografie zwei Botschaften, zum einen das Verständnis der uncodierten reinen Darstellung (Denotation) des Fotografierten und zum zweiten implizite kulturell-kommunikative Anteile, die die Fotografie als Analogon der Wirklichkeit relativieren. Über den genauen Status der Denotation bzw. des anteiligen Vorkommens von Denotation und Konnotation zeigt sich Barthes ebenfalls verunsichert, wie folgendes Zitat belegt:

Auch wenn hier deutlich werden mag, dass bereits der strukturalistische Ansatz Barthes' die maximale Ikonizität, also die visuelle Ähnlichkeit zwischen Fotografie und Objekt, durch Konnotationsverfahren reduziert sieht, so hält demgegenüber auch der späte Barthes noch an der Indexikalität der Fotografie fest: In seinem Werk Die helle Kammer fasst er den fotografischen Referent(en) als "die notwendig reale Sache, die vor dem Objektiv platziert war und ohne die es keine Photographie gäbe.« L7 Bei Barthes bleibt das Foto weiterhin als Beleg für die Existenz des Referenten zur Zeit der Bildproduktion bestehen. Dieser ist notwendiger Bestandteil des Fotos selbst. Demnach kann es ein Foto von einem Einhorn nicht geben. Würde ein Foto einen Schimmel mit langem, geradem Horn auf der Blässe beinhalten, so wäre der Referent kein Einhorn, sondern ein Pferd mit aufgepflanztem Horn. Würde dieses Bild jedoch soweit kontextualisiert, dass das Dargestellte kommunikativ als Einhorn behandelt würde, so wäre dies als eine konnotierende Praxis anzusehen, die jedoch nicht den fotografischen Referenten direkt beträfe. Vielmehr ginge es hierbei wiederum um die Ikonizität, die durch Konnotationsverfahren cin vermeintliches Denotat (Pferd mit aufgepflanztem Horn) überflügelte. Andererseits liefert Barthes hiermit bereits Voraussetzungen, die Fotografie mittels Konnotationsverfahren als Darstellung von simulierter Weltansicht zu verstehen. Als Index-Zeichen sieht Barthes jedoch weiterhin den Referenten konstitutiv mit der Fotografie verbunden, wie auch Schürmann dies anschaulich Jl1 ithilfe der Reportage-Fotografie von Henri Cartier-Bresson darstellt. 18 Zwar mögen dessen Bilder über eine hohe konnotierende Ästhetisierung vcrfügen, doch sind sie mit dem Anspruch verbunden, »das Leben bei ~ich zu überraschen«19. Bezeichnenderweise wird hier auch von Cartier-Bresson nicht auf die Ikonizität des Bildes angespielt - dies wäre mit dem Satz )das Leben zeigen, wie es ist< der Fall-, sondern auf die Präsenz des ){cferenten, was wiederum die Indexikalität der Fotografie fokussiert. Für Barthes ist somit das Indexikalische der Fotografie die Verbindung zwischen Vngangenheit und Gegenwart. Ganz wie Talbot sieht er mit der in der Vngangenheit real vollzogenen Lichtstreuung des Objektes auf Fotopapier IlIld dcm daraus entwickelt vorliegenden Foto die Existenz des Objektes vor dcm Objektiv in der Vergangenheit bewiesen. Allerdings weist Schür111.l111l ZlI !{ccht- ,luf weitere Mittel der fotografischen Gestaltung hin, die 1>("ITils mit der Auswahl des Motivs und seiner Perspektivierung vollzogen

\XTas hei(~t überhaupt wahrnehmen? Falls es, gewissen Hypothesen von Brunn und Piaget zufolge, keine Wahrnehmung ohne unmittelbare Kategorisierung gibt, so wird die Fotografie im Moment der Wahrnehmung verbalisiert; oder besser noch: Sie wird nur verbalisiert wahrgenommen (oder es kommt, so die Hypothese von G. Cohen-Sear über die Wahrnehmung von Filmen, falls sich die Verbalisierung verzögert, zu Unordnung in der \XTahrnehmung, Verunsicherung, Angst des Subjekts, Trauma). Aus dieser Sicht besäße das unmittelbar von einer inneren Metasprache, hier der Sprache, erfaßte Bild im Grunde tatsächlich keinen denotierten Zustand; es würde sozial immer in mindestens eine erste Konnotation eingetaucht existieren, nämlich in die der sprachlichen Kategorien; und man weiß, daß jede Sprache Stellung zu den Dingen bezieht, daß sie das \XTirkliche konnotiert, und sei es, indem sie es zerlegt: die Konnotationen der Fotografie würden sich also grosso modo mit den großen Konnotationsehenen der Sprache decken. 16 " Ir,

Vgl. chd .• S.1Tod des ObjektesBildlichkeit materialisiert


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