Die Schöpfung des Endlichen als „Sehen Gottes“: Cusanus (De visione Dei) und Johannes Scottus Eriugena (María-Jesús Soto-Bruna)
1. Die Problematik der Darstellung aus der Sicht des göttlichen Sehens
Wie sieht das Wesen des Endlichen nach der Konzeption von De visione Dei aus? Die Anwort von Nikolaus von Kues ist präzise: visione tua sunt. Dieser Denkansatz stellt die Frage nach der dem Endlichen eigenen Identität, in seiner Differenz vom Un-endlichen. In dieser Konzeption ist die Erklärung wiederzufinden, die Johannes Scottus Eriugena von der Schöpfung gegeben hatte: Gott schöpft in sich selbst, indem er alles in sich selbst sieht (Periphyseon, I). Die Welt ist Teophania als „Manifestation“ in dem Maße, wie Gott videns ist. Das Werk De visione Dei von Nikolaus von Kues fordert entschieden, dass Gott „die Unendlichkeit ist, die alles umfasst“; in diesem Sinne werden die Dinge im Absoluten mit ihm identifiziert, denn in ihm kann es keine Andersheit und keine Diversität geben. Diese Identifizierung der Dinge im Abso Ich
danke A. Kijewska für ihre Einladung, an dem Kolloquium der Katholischen Universität von Lublin teilzunehmen. Ich schulde ihr zweifachen Dank, weil diese Arbeit in der gegenwärtigen Form auch einen Teil meiner Forschungen in diesem akademischen Jahr zum Thema „Die Begriffe der Kausalität und der Darstellung als explicatio mundi von Johannes Scottus Eriugena bis M. Eckhart“ bildet. (Ref. FFI2008-02804) enthalt und vom spanischen Ministerium für Forschung und Innovation finanziert wird). Übersetzung: Prof. Dr. Kurt Spang (Universidad de Navarra).
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luten wird verstanden als die Idee eines Unendlichen, das sich selbst als solches denkt und in sich selbst alles sieht, was es ist oder sein kann. So ist es gerechtfertigt, anzunehmen, dass der Text von 1453 den Gedanken der veritas absoluta entwickelt, d. h. eines Absoluten, der sich selbst denkt und begreift; „absolute Reflexion“ ist das, was den Begriff „göttliches Sehen“ denotiert, die den Titel inspiriert, denn in der Tat verstehen wir vom Symbol der Icona Dei, das im Vorwort erläutert wird, dass Gott sieht und zugleich gesehen wird von denjenigen, die er sieht; und dieses letzte Sehen, d. h. das Sehen derjenigen, die Gott selbst sieht, ist in seinen eigenen Sehensakt eingeschlossen . Somit ist Gott die Identität jenseits aller Identität und Differenz. Vom Thema des Sehens her stellt sich das Endliche als Darstellung oder Ausdruck -Manifestation als Theophania- des Sehens Gottes auf sich selbst dar. Danach zwingt sich die Frage über die ontologische Konsistenz dieser Darstellung auf, die das finite Seiende ausmacht. In der Tat taucht von dieser Fragestellung ausgehend konsequenterweise die Frage auf: Welche Entität besitzt das Endliche nach Auffassung von De visione Dei? Die Antwort des Nikolaus von Kues ist eindeutig: visione tua sunt. Dieser Grundsatz seines Denkens erhebt die Frage nach der eigenen Identität des Endlichen im Unterschied zum Unendlichen. Für Nikolaus von Kues ist hier sehen (videre) gleich schaffen (creare): „Es ist dasselbe zu sagen, dass Gott alle Dinge sieht, wie zu behaupten, dass der Absolute alle Dinge schafft“; außerdem ist das Sehen, mit dem der Absolute sich selbst sieht, auch dasjenige, mit dem Er die Dinge sieht, denn da die Gleichheit absolut ist, kann sie keine Dualität oder Andersheit beinhalten: in Gott fallen in der Tat die Gegensätze zusammen. Die Präsenz, auf die gerade hingewiesen wurde, bedeutet nichts anderes, als dass die Dinge das sind, was sie sind, durch das göttliche Sehen in ihnen: „Du bist sichtbar durch alle Geschöpfe und Du siehst sie alle; in der Tat, dadurch, dass Du sie alle siehst, wirst Du von allen gesehen. Die Geschöpfe können nicht anders sein, denn sie sind durch Dein Sehen; wenn sie nicht sähen, dass Du sie siehst, könnten sie von Dir nicht das Sein erlangen“ ; und danach ist das, was das Wesen des Geschöpfes bestimmt, sowohl das göttliche Sehen Vgl. Beierwaltes: Visio absoluta, 181. Vgl. Soto-Bruna, Nicolás de Cusa, 737-754; Gregory, Note sulla dottrina delle‚ teophania, 85; Trouillard, La notion de ‚théophanie’, 20-25. De vis. Dei (h VI n. 40). González, La articulación de la trascendencia y de la inmanencia, 15. Vgl. Idem., 16. De vis. Dei c. X (h VI n. 40): „Ab omnibus creaturis es visibilis et omnes vides; in eo enim, quod omnes vides, videris ab omnibus. Aliter enim esse non possunt creaturae, quia visione tua sunt; quod si te non viderent videntem, a te non caperent esse“.
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als auch das Sehen Gottes seitens des Geschöpfes, denn nach dieser Auffassung existieren die Geschöpfe, insofern sie den Absoluten sehen. Wenngleich freilich auch nicht zwei Arten von „Sehen“ existieren, wird die Endlichkeit als Begrenzung (visus contractus) besser dargestellt in der Differenz und in der Andersheit, aber zugleich begründet von dem visus abstractus des Göttlichen; das endliche Sein ist sozusagen der Selbstausdruck des Absoluten von der Form der Andersheit her. Die These – bezüglich des ontologischen Status des Endlichen – die das Werk des Cusaners durchzieht, legt dar, dass die Identifikation des videre und des creare in Gott eine einsichtige Erklärung dafür ist, dass das allumfassende Sehen der Göttlichkeit sich selbst offenbart als das schöpferische Fundament eines jeden endlich Seienden (esse creaturae est videre tuum et pariter videri). So offenbart sich das videre des unsichtbaren Gottes in der Endlichkeit: das, was geschaffen oder gesehen wird, im Sinne der klassischen Theophanie, ist die Sichtbarkeit Gottes (videre tuum est creare tuum); es handelt sich um einen aktiven Sehen der visio divino, bezüglich des Seins und des Werdens des Endlichen. Die Schöpfung des Endlichen hängt vom Sehen Gottes ab und daher kann man darauf verweisen, dass die Endlichkeit das ist, was dank des Sehens Gottes existiert (in eo enim quod omnes vides, videris ab omnibus). In den folgenden Überlegungen ist es also ratsam, sich zu fragen, ob das schöpferische Sehen des Absoluten wirklich eine Selbsterklärung Gottes in der Welt beinhaltet und ob es daher erlaubt ist, das Endliche als die Sichtbarkeit dieser Selbsterklärung zu betrachten, d. h. als „Darstellung oder Manifestation“. Diese Hypothese bedeutet keineswegs, dass das Unendliche vom Endlichen her erklärt werden könnte; es handelt sich um den Anfang des Kapitels XII von De visione Dei, es ist zentral für unser Thema und führt den Titel: „Wo das Unsichtbare gesehen und das Ungeschaffene geschaffen wird“: „Früher bist Du, Herr, mir als unsichtbar erschienen für jedes Geschöpf, denn Du bist der verborgene und unendliche Gott. Und die Unendlichkeit ist durch keine Verstehensweise zu begreifen. Danach erschienst Du mir als von allen sichtbar, denn ein Ding ist, indem Du es siehst, und sie wäre es nicht wirklich, wenn sie Dich nicht sähe. Dein Sehen vermittelt das sein, denn sie ist Dein Wesen. Auf diese Weise bist Du, mein Gott, unsichtbar und sichtbar zugleich: unsichtbar bist Du, wie Du bist; sichtbar bist Du in dem Maße, in dem die Geschöpfe existieren, denn die Geschöpfe sind insofern sie Dich sehen. Daher wirst Du, mein unsichtbarer Gott, von allen gesehen. Du wirst gesehen in allen Sehenden von jedem, der sieht. Du, der Du unsichtbar bist, der
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dieser Konzeption taucht die Erklärung auf, die Johannes Scottus Eriugena von der Schöpfung gegeben hatte: Gott schöpft in sich selbst, indem er alles in sich sieht (Periphyseon, Lib. I).
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Du von allem Sichtbaren abgesondert bist und im Unendlichen zurückgezogen bist, wirst in allem Sichtbaren gesehen und in jedem Akt des Sehens“. Dieser unsichtbare und abgesonderte Gott scheint sich uns jedoch -nach einer aufmerksamen Lektüre des Textes, den wir gerade zitierten- als seine Selbsterklärung zu zeigen, in der Andersheit, die er selbst durch seinen Akt des schöpferischen Sehens hervorgerufen hat.
2. Die Sichtbarkeit des Schöpfers als Manifestation im Endlichen
Die damit aufgeworfene Frage bezieht sich zwar auf das Problem der Identität und der Differenz, sie bleibt jedoch deutlich verbunden mit der Problematik der Artikulation von Immanenz und Transzendenz. In der Tat bleibt nach der Verdeutlichung, die uns Nikolaus von Kues im Vorwort des Werkes liefert, das wirkliche Sehen des wahren Gottes in sich selbst unwandelbar und offenbart sich zugleich als jeweilig verschieden in den Augen dessen, der sich von ihm betrachtet fühlt oder ihn betrachtet; daher wird sich das Subjekt „das weiß, dass die icona fest und stetig ist, über den Wandel eines Sehens wundern, das unwandelbar ist. Und wenn der Sehende fest auf das Bild gerichtet ist und dieses sich vom Westen nach Osten bewegt, wird er entdecken, dass das Sehen des Bildes ihm dauernd folgen wird“10. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass das finite Sehen nie mit dem zusammenfällt, der sich in ihm offenbart, aber doch erfordert es, dass man das göttliche Sehen als unendliche complicatio versteht, die in sich selbst das Prinzip der explica
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De vis. Dei c. XII (h VI n. 47): „Quod ubi invisibilis videtur, increatur creatur. Apparuisti mihi, aliquando ut invisibilis ab omni creatura, quia es deus absconditus infinitus. Infinitas autem est incomprenensibilis omni modo comprehendendi. Apparuisti deinde mihi ut ab omnibus visibilis, quia in tantum res est, in quantum tu eam vides, et ipsa non esset actu, nisi te videret. Visio enim praestat esse, quia est essentia tua. Sic, deus meus, es invisibilis pariter et visibilis. Invisibilis es, uti tu es, visibilis es, uti creatura est, quae in tantum est, in quantum te videt. Tu igitur, deus meus invisibilis, ab omnibus videris et in omni visu videris; per omnem videntem in omni visibili et omni actu visionis videris, qui es invisibilis et absolutus ab omni tali et superexaltatus in infinitum“. De vis. Dei, Vorwort, (h VI n. 3): „Et dum hoc experiri volens fecerit confratrem intuendo eiconam transire de oriente ad occasum, quando ipse de occasu pergit ad orientem, et interrogaverit obviantem, si continue secum visus eiconae volvatur, et audierit similiter opposito modo moveri, crede ei, et nisi crederet, non caperet hoc possibile“.
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tio birgt, und dann versteht man die Vielfalt des Endlichen ihrem Prinzip geöffnet ist, und das in analoger Weise zur Beziehung, die zwischen dem Punkt und der Geraden besteht 11. Nikolaus von Kues will eher auf die reale Präsenz Gottes in den Dingen zurückgreifen, ohne die ihr göttlicher Ursprung nicht ausgedrückt werden könnte12. Dies alles wird im folgenden Text deutlich gemacht: „Indem Du mich siehst, Du der verborgene Gott bist, gestattest Du mir, Dich zu sehen. Niemand kann Dich sehen, ohne dass Du ihm gestattest, dass Du gesehen wirst. Und Dich zu sehen, ist nichts anderes als dass Du den siehst, der Dich sieht“,13 d. h. der göttliche Sehen auf die Dinge bewirkt nicht nur, dass diese seien, sondern dass das Wesen selbst ihres Seins darin besteht, dass sie den Absoluten sehen und dieses Sehen erlaubt, sie als offenbare Sichtbarkeit des Absoluten zu sehen. Für ihn sind in der Tat die Dinge lediglich „etwas“, insofern man in Betracht zieht, dass der Absolute in ihnen ist, auf dieselbe Art wie verschiedene Spiegel dasselbe in ihnen „gegenwärtige“ Gesicht widerspiegeln14. Man kann daher sowohl die Immanenz als auch die Transzendenz des Absoluten bezüglich des Bereichs des Endlichen behaupten: Einerseits „die Transzendenz, durch die Gott von jeder Implikation der Endlichkeit ferngehalten wird, und andererseits die Immanenz, oder besser noch, die Präsenz, in der die göttliche Virtualität hervortritt, die universell der schöpferischen Ordnung zurückgegeben wird“15.Und so kann man versichern, dass „die komplikative Grundlage auch in ihrer eigenen explicatio enthalten ist“16, denn Gott ist alles in allem, und er ist außer allem und über allem Geschaffenen: Omnia et nihil omnium simul (XII). Ausgehend von den beiden vorausgehenden Punkten muss jedoch präzisiert werden, dass „die Bezeichnungen Immanenz und Transzendenz verschieden sind: das Endliche impliziert zwar die Präsenz des Unendlichen in ihm, aber es ist nicht notwendigerweise mit dem Unendlichen gegeben. Wäre dem nicht so, dann könnte es nicht auf das Endliche verzichten und man könnte nicht von einer wahren Transzendenz reden“17. Mit anderen Worten, die Dinge 11
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Vgl. Beierwaltes, Visio absoluta, 185-186. Vgl. De vis. Dei c. XII (h VI n. 47). González: Ser y participación; Kremer: Gottes Vorsehung, 227-266; Dupré, Das Bild und die Wahrheit, 125-127; Beierwaltes, Visio vacialis, 121124. De vis. Dei c. V (h VI n. 13): „Videndo me das te a me videri, qui es deus absconditus. Nemo te videre potest, nisi in quantum tu das, ut videaris. Nec est aliud te videre, quam quod tu videas videntem te“. Vgl. Pasqua, La docte ignorance, Introduction. Martínez Gómez, De los nombres de Dios, 87. Vgl. Beierwaltes, Cusanus. Reflexión, 145180. Beierwaltes, Visio absoluta, 186. Álvarez Gómez, Die verborgene Gegenwart des Unendlichen, 15.
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können nicht ohne Gott betrachtet werden, er jedoch schon ohne das endlich Seiende. Zugleich bildet das schöpferische Sehen das Sein des Endlichen selbst dergestalt, dass der Absolute sich in seinem eigenen unsichtbaren Sein sichtbar macht. Dieser Gedanke ist vielleicht prägnanter in dem Trialogus de Possest ausgedrückt, was darüber hinaus beweist – da es sich um eine Schrift von 1460 handelt- dass es sich um eine These handelt, die das gesamte Werk und Denken des Nikolaus von Kues beherrscht: „Was ist die Welt, wenn nicht die Offenbarung des unsichtbaren Gottes? Was ist Gott, wenn nicht die Unsichtbarkeit der sichtbaren Dinge [...]? Daher offenbart die Welt ihren Schöpfer, dergestalt, dass dieser erkannt werden kann; mehr noch, der unerkennbare Gott offenbart sich erkennbar in der Welt als Spiegel und als Rätsel“18. Quasi in speculo et in aenigmate: die Welt als ein Spiegel, in dem der Mensch Gott sehen kann; ein vertrautes Bild in der gesamten klassischen Philosophie, besonders in der, die die Theologen des Mittelalters erarbeiteten, und für den Kusaner grundlegend ist, nach dem eckehartschen Prinzip der Unsagbarkeit des Seins des Göttlichen 19. Aufgrund dieses seines vitales Bestrebens, „die Zugänglichkeit oder Unzugänglichkeit dessen, was der Absolute sei, seine Verstehbarkeit oder Unverstehbarkeit“ wurde zu Recht vor kurzem darauf hingewiesen, dass der Ausgangspunkt der Spekulation des Autors, der uns hier beschäftigt, der Punkt, von dem aus „Nikolaus von Kues seine Anstrengungen unternimmt, der Text des hl. Paulus in seinem Römerbrief, I, 19-20 ist: Die unsichtbar Vollkommenheit Gottes, auch seine ewige Macht und seine Gottheit sind der Vernunft sichtbar geworden seit der Erschaffung der Welt, durch die erschaffenen Dinge“20.
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De poss. (h XI/2 n. 72). Vgl. Lossky: Théologie négative, 339-380. 20 González, Nicolás de Cusa: De Possest, nn. 9-12. Vgl. Javelet, La réintroduction de la liberté, 1-34; Pasqua: Nicolas de Cues, Du autre. 19
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3. Das Endliche als Manifestation und die Problematik der Andersheit.
Von De visione Dei und von dem bisher Erarbeiteten her sind wir uns gewiss, dass das Endliche als „Manifestation (Theophania)“ der absoluten Identität verstanden werden kann; und dies, indem wir zu ihm gelangt sind als zu der „Sichtbarkeit“ jener göttlichen Selbsterklärung von der complicatio her. Die Problematik hat ihre Wurzeln – und in dem Werk selbst wird sie als solche dargelegt – in der Tatsache, dass wenn der Absolute das Prinzip des Seins ist, es nicht die Andersheit sein kann, eine Andersheit, die das Endliche als sichtbare Darstellung des Unsichtbaren darstellen würde: Alteritas igitur non potest esse principium essendi21 Diese letztere – die Andersheit oder die Verschiedenheit – befindet sich in dem, was wir als Welt „außerhalb Gottes“ bezeichnen. Wir bestehen jedoch darauf: Wenn Gott die höchste Identität ist, scheint es nicht möglich zu sein, ein positives Prinzip zu finden für die Andersheit, die die Endlichkeit voraussetzt. Daher kann die Andersheit nicht das Prinzip des Seins sein, denn sie wird vom Nicht-Sein her bestimmt. Die Andersheit ist folglich nicht etwas. Der Grund, warum der Himmel nicht die Erde ist, ist durch dieselbe Unendlichkeit bedingt, die alles Sein umfasst 22. In der Folge fragen wir uns, wie das Verständnis des Endlichen als OAusdruck oder Abhängigkeit aus dem Prinzip des Seins hervorgeht. In gewisser Weise drückt die Andersheit, obwohl sie als negatives Element in allem nicht absoluten Sein 23 betrachtet werden muss, nichtsdestoweniger den Umstand aus, dass alles negative Seiende, auf Grund seiner jeweiligen Einheit oder Identität nicht das Andere ist oder dass es gerade deswegen als das Andere gedacht werden kann. In diesem Sinne erlaubt die Andersheit die gewisse ontologische Konsistenz zu verstehen, indem man ihre Identität als Differenz zu dem Übrigen erkennt: „Gerade weil ein Ding nicht ein anderes ist, sagt man, dass es ein anderes ist“24. 21
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De vis. Dei c. XIV (h VI n. 58): „Non est autem principium essendi alteritas. Alteritas enim dicitur a non esse. Quod enim unum non est aliud, hinc dicitur alterum. Alteritas igitur non potest esse principium essendi“. Ibid.: „Nec facit alteritas, quae in te non est, unam creaturam esse alteram ab alia, quamvis una non sit alia. Caelum enim non est terra, licet verum sit caelum esse caelum et terram terram“. Vgl. Beierwaltes, Identidad y Diferencia, 149. De vis. Dei c. XIV (h VI n. 58): „Quia dicitur a non esse, neque habet principium essendi, cum sit a non esse. Non est igitur alteritas aliquid“.
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Aus diesen Überlegungen geht hervor, dass Nikolaus von Kues, indem er das Beispiel des Spiegels fortführte, behauptet, dass „Gott alle Dinge ist“; denn in dem Maße, in dem es sein göttliches Angesicht ist, das ihnen innewohnt, kann man in sie wie in einen Spiegel schauen, so wie die Geschöpfe sich in sich selbst betrachten können. Das Geschöpf gleicht Gott, so wie die Dinge in ihrer wahren Gestalt in dem Absoluten gesehen werden, aber in einem Kontext absoluter Transzendenz, die manchmal die Verständnisfähigkeit des endlichen Geistes übersteigt. Bei Nikolaus von Kues führt die Idee, dass eine unendliche Form (Gott) von vielen Seienden ungleich geteilt wird, zusammen mit der Thematik der Offenbarung hin zu der Betrachtung der endlichen Wesen als „Glanz“ des unendlichen Lichtes, indem er neuerlich das Beispiel des Lichts an die Metapher des Spiegels annähert 25. Vom Vergleich mit dem Spiegel her scheint es, als ob entweder das Geschöpf zum bloßen Reflex ohne Entität reduziert wäre oder dass der Absolute immanent bliebe in der in ihm reflektierten Form, als ob die Geschöpfe – wie es der Kusaner ausdrückt – bei seinem Anblick in ihm dem Schöpfer „zurückgäbe“, was er bereits ist. Die Position des Nikolaus von Kues ist diesbezüglich von Anfang an eindeutig: Die Welt ist eine geschaffene imago repraesentationis, denn sie verweist als im Spiegel reflektiertes Bild auf den Schöpfer; denn Gott besitzt bei der Schöpfung kein anderes Urbild, als sich selbst; daher ist die ganze Welt nach seinem göttlichen Abbild geschaffen (ad Dei similitudinem). Genauer gesagt, die materielle Schöpfung ist eine Spur Gottes, da nur die geistigen Geschöpfe eine authentische Ähnlichkeit mit dem Schöpfer besitzen (creatoris similitudo): der Mensch ist eine imago imitationis creata26. Dies alles bedeutet keineswegs, dass es ein „reflektiertes Bild“ sei, auf das wir als Charakterisierung des Endlichen von der metaphysischen Idee der Offenbarung her anspielten; aus der geschaffenen Erde eine bloße Kopie, nach der Art des strikten Platonismus27; eher ermöglicht es uns zu betrachten, wie die Wesenheiten als solche die Präsenz des Angesichts des Absoluten vergegenwärtigen können. Volkmann-Schluck hat dies in den folgenden Termini deutlich 25 Es
handelt sich, wie bekannt, um einen Versuch, der in dem gesamten Werk Itinerarium mentis in Deum von San Buenaventura gegenwärtig ist. Vgl. Soto-Bruna: La recomposición del espejo. 26 Im Unterschied zum Wort, dem Sohn, der eine imago aequalitatis genita Patris ist. Vgl. González, La doctrina de Nicolás de Cusa sobre la mente. Meines Erachtens ist dieses Thema sehr gut behandelt von C. D’Amico in ihrem Artikel: Nicolás de Cusa, ‚De Mente’: la profundización de la doctrina del hombre-imagen, 53-68. Von derselben Autorin: Nicolás de Cusa, ’De sapientia’: un nuevo concepto de sabiduría a la luz de la tradición medieval“, 107-120. Das Thema ist kürzlich ebenfalls von A. Kijewska angegangen worden: De ludo globi. The Way of Ascension towards God and the Way of the Self-Knowledge, 167-174. 27 Plato, Timeo, 30 c; wo er erklärt, dass das Universum der Vielfalt als eine „Kopie des schönsten aller intelligiblen Wesen“ konstituiert wurde.
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gemacht: Bei der Besprechung der symbolischen Repräsentation der Welt Nikolaus von Kues behauptet er: “von Anfang an muss man sich vor Augen halten, dass imago nicht Abbild eines Urbilds bedeutet, sondern sichtbarer Ausdruck dessen, was unsichtbar ist“28; in dem also ausdrücken, im Gegensatz zu kopieren, nachahmen und wiedergeben, bedeutet: die wesenhafte Unsichtbarkeit des Absoluten sichtbar zu machen, ein für unser Thema entscheidender Punkt: „Die wesenhafte Unsichtbarkeit des Absoluten und die Möglichkeit seiner Sichtbarwerdung sind die beiden Pole, um die sich die Artikulierung der Transzendenz Gottes und seine Immanenz in allem Geschaffenen dreht“29. Und was das geschaffene Wesen oder die Endlichkeit betrifft, ergibt sich, dass für die reale Existenz der Geschöpfe das Sehen Gottes nicht hinreichend ist, sondern dass es vonnöten ist, dass dieser mit dem Sehen der Geschöpfe zusammentrifft: „Denn jedes Ding ist als Akt, insofern du es siehst und es wäre nicht als Akt, wenn es dich nicht sähe“30, und so spielt die göttliche Präsenz im Beispiel des Spiegels ausschließlich auf ein Sehen der Wahrheit des Seins des Endlichen selbst an. Wahrheit und Bild vereinen sich letztendlich in dem absoluten Sehen: „Mein Antlitz ist wahrhaft Antlitz, weil Du, der Du die Wahrheit bist, es mir gegeben hast. Und mein Antlitz ist auch Bild, weil es nicht die Wahrheit selbst ist, sondern ein Bild der absoluten Wahrheit“31. Wie in diesem Zusammenhang kommentiert wurde: „Das absolute Sehen ist daher das vollständige Sehen des endlichen Seienden, aber zur selben Zeit auch die Ermöglichung, dass dieses selbst von sich aus sieht und dass daher das absolute sehen von ihm, vom Endlichen her, gesehen wird. Das unendliche Schauen des absoluten Sehens begleitet das endliche Schauen, so wie die „icona dei“ zu Beginn von De visione Dei es klarstellen sollte.“32
Auf dieser Grundlage versteht man, dass das Sein der Geschöpfe sowohl das absolute Schauen auf sie ist wie das Geschautwerden des Absoluten von Seiten der Geschöpfe; was auch die These vom Endlichen als Offenbarung erklärt, d.h. als geschaffenes Sehen. Mit anderen Worten, mit Hilfe dieses absoluten Schauens, das das Sein als Schöpfer konstituiert, wird der Absolute sichtbar, ist eine Erscheinung des Absoluten, Theophanie, aber in der Weise 28
Volkmann-Schluck, Nikolaus Cusanus, 25. Creador y creatura en el De Visione, 550. De vis. Dei c. XII (h VI n. 47): „Quia in tantum res est, in quantum tu eam vides, et ipsa non esset actu, nisi te videret. Visio enim praestat esse, quia est essentia tua“. Vgl. Kramer: Gottes Vorsehung, 230. De vis. Dei c. XV (h VI n. 64): „Facies mea vera est facies, quia tu eam mihi dedisti, quia est veritas. Est et facies mea imago, quia non est ipsa veritas, sed veritatis absolutae imago“. Beierwaltes, Visio Absoluta, 198.
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der Begrenzung: Quid (...) est mundus nisi visibilis dei apparitio33. Und in dieser Begrenzung erscheint zugleich die Differenz.
4. Spiegel, Manifestaton und Bild in De visione Dei
„Das Sein des Geschöpfes ist gleichermaßen Dein Sehen und Dein Gesehenwerden.“34 Daraus ergibt sich der Umstand, dass alles in Gott ist. Deshalb kann vom Absoluten her gesehen das Geschöpf nicht ein anderes sein: „Dein einziger Begriff, der auch Dein Wort ist, macht jedes einzelne Ding konkret. Dein ewiges Wort kann nicht vielfältig und unterschiedlich sein, noch veränderlich oder wandelbar, denn es ist die einfache Ewigkeit“35.
Solch eine ewige Einfachheit ist die absolute Differenz, die der Kusaner als „jenseits der Mauer der Koinzidenz der Gegensätze“36 veranschlagt. Bei der Hervorhebung der göttlichen Transzendenz und Differenz kann das Geschöpf nur dem Absoluten innewohnend gedacht werden: „Das Heraustreten der Geschöpfe aus Dir ist das Eintreten der Geschöpfe in Dich, und erklären ist komplizieren“37. Aus dem oben gesagten geht hervor, dass das als reine Andersheit gedachte Geschöpf nicht ist und nur sein kann in dem Maße, in dem diese Andersheit als Darstellung oder Manifestation der Sichtbarkeit des Schöpfers in der Welt verstanden wird. Diese These löst das Problem, das unser Kapitel XII durchzieht: „Wie kannst Du dann von Dir verschiedene Dinge schaffen?“ (49). In Wahrheit steht Gott über allen Begriffen, er ist die Unendlichkeit, die alles beinhaltet ohne Andersheit, absolute Einheit, in der alle Vielfalt vereinigt ist. Zugleich ist er die Grundlage aller Entität. Wenn nun die Welt sich uns als die Entwicklung dessen darstellt, was in Ihm eingefaltet ist, dann kann 33 34 35
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De poss. (h XI n. 72). De vis. Dei c. X (h VI n. 40): „Esse creature est videre tuum pariter et videri“. De vis. Dei c. X (h VI n. 41): „Unicus enim conceptus tuus, qui est et verbum tuum, omnia et singula complicat. Verbum tuum aeternum non potest esse multiplex nec diversum nec variabile nec mutabile, quia simplex aeternitas“. De vis. Dei c. X (h VI n. 45): „Ut te ultra murum coincidentiae complicationis et explicationis reperiam“. De vis. Dei c. X (h VI n. 46): „Intro et exeo simul, quando video, quomodo exire est intrare et intrare exire simul, sicut qui numerat, explicat pariter et complicat, explicat virtutem unitatis et complicat numerum in unitatem“.
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man behaupten, dass das Endliche die explicatio Dei ist, und dieses Mal in dem genauen Sinn, dass alles, was göttliches Bild ist, das göttliche Bild reflektiert, Gott auf konkrete Weise reflektiert 38: „Manchmal erscheinst Du mir auf eine Art, dass ich denke, dass Du in Dir alle Dinge siehst, als wärest Du ein lebendiger Spiegel, in dem alles erstrahlt“39, und das, in dem alles erstrahlt, ist nichts anderes als die aus der ursprünglichen Einheit entfaltete Mannigfaltigkeit. Diese Entfaltung darf nicht vom neuplatonischen Emanationismus her verstanden werden, sondern sie impliziert wirklich eine Schöpfung Gottes aus dem Nichts. Hier erlaubt uns das Beispiel des Spiegels mit deutlicher Klarheit zu verstehen, dass die Differenz nicht auf der absoluten Identität beruht, weder „vor“, noch „nach“ der Schöpfung. Gott ist zwar als Schöpfer, derjenige, der erklärt: „Wenn ich dir begegne als Macht, die erklärt, trete ich heraus“40. Bei seiner Absicht, die Differenz nicht in das Absolute einzuführen, weist Nikolaus von Kues wiederholt darauf hin, dass Gott alle Dinge ohne Andersheit in sich einfaltet41. Die Erklärung, die die Schöpfung der Welt ausdrückt, wird in De visione Dei verstanden als das Sehen, das Gott von der Welt hat und folglich wie das Sehen des Schöpfers seitens des Geschöpfes oder die Abhängigkeit des Anderen bezüglich des nicht Anderen42: „Weil ein Ding ist, insofern Du es siehst, wäre es nicht als Akt, wenn es Dich nicht sähe. Dein Sehen, da es Dein Wesen ist, verleiht das Sein“43. Der Akt des Sehens Gottes und das Sehen des Geschaffenen, das auf den Absoluten gerichtet ist, erlaubt die Sichtbarkeit oder Offenbarung des „verborgenen“ oder „unsichtbaren“ Gottes. Erlauben Sie mir, nochmals den dazugehörigen Schlüsseltext zu zitieren: „Auf diese Art und Weise, lieber Gott, bist Du zugleich unsichtbar und sichtbar: unsichtbar bist Du, so wie Du bist, sichtbar bist Du in dem Maße, in dem die Geschöpfe existieren, denn die Geschöpfe sind, insofern sie Dich sehen. Daher wirst Du, mein unsichtbarer Gott, von allen gesehen. Du wirst in jedem Sehen von jedem gesehen, der sieht; Du, der Du unsichtbar bist, Du bist von allem Sichtbaren
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Vgl. Hummel, Nikolaus Cusanus, 37 ff.; Hoffmann, Das Universum des Nikolaus von Cues, 16. De vis. Dei c. XII (h VI n. 48): „Occurris mihi aliquando, ut cogitem te videre in te omnia quasi speculum vivum, in quo onmia relucent“. De vis. Dei c. X (h VI n. 45): „Cum te reperio virtutem complicantem omnia, intro, cum te reperio virtutem explicantem, exeo, cum te reperio virtutem complicantem pariter et explicantem, intro pariter et exeo“. De vis. Dei, c. XV. Vgl. Pasqua, Préface, 25. Nikolaus von Kues entwickelt diesen Gedanken im Kapitel X von De visione Dei.42 De vis. Dei c. XII (h VI n. 47): „Apparuisti deinde mihi ut ab omnibus visibilis, quia in tantum res est, in quantum tu eam vides, et ipsa non esset actu, nisi te videret. Visio enim praestat esse, quia est essentiam tua“.
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losgelöst und wirst im Unendlichen verherrlicht, Du wirst in allem Sichtbaren gesehen und in jedem Akt des Schauens“44.
Wie in diesem Zusammenhang geschrieben wurde: „Gott sieht man in dem Geschöpf, das Geschöpf sieht sich in Gott. [...]. Ohne dieses Sehen Gottes gäbe es keine Schöpfung. Alles was ist, ist dank des Sehens Gottes [...]. So kann der Anfang der Ursprung sein ohne angefangen zu haben, das Nicht-Andere bleibt dem Anderen vorgängig, das immer danach liegt“45.
In der Tat hat Nikolaus von Kues einerseits von Kapitel III von De visione Dei an behauptet, dass „Alle Dinge, die von Gott prädiziert werden, sind in Wirklichkeit nicht voneinander unterschieden“(8), aber zugleich hat er deutlich gemacht, dass Gott der Schöpfer aller Dinge ist. Was bedeutet dann die Differenz der Dinge in Bezug auf den Schöpfer?46 Wie wir bereits ankündigten, kann das Prinzip des Seins, im Sinn eines Aktes des Sehens, im Grunde nicht als Prinzip der realen Differenz zwischen den Dingen, als ein Akt des Sehens, betrachtet werden. Das Kapitel X des Werkes von 1453, das uns hier beschäftigt, lässt eher vermuten, dass die Offenbarung, die das Endliche darstellt, nur eine Entfaltung des idem ist: „das absolute Selbst oder Eine entfaltet sich selbst und in sich selbst. Diese Entfaltung konstituiert sich zwar als Beziehung, aber nicht als reale Differenz“47. Wird hier die Schöpfung etwa wie eine processio sine processione behandelt, oder wie eine immanente Erklärung oder innere processio? Das Kapitel XII von De visione Dei scheint eindeutig in dieser Frage: Gott schöpft wirklich auf eine Art und Weise, dass er allem das Sein vermittelt, jedoch von allem entfernt bleibt (maneas absolutus): „Dein Schöpfen ist wirklich Dein Sein. Schöpfen und zur gleichen Zeit geschöpft werden ist nicht anderes als allen Dingen Dein Sein mitzuteilen. [...] Die Dinge ins Sein zu rufen, die nicht sind, bedeutet dem Nichts das Sein mitzuteilen. So ist rufen schöpfen; mitteilen ist geschaffen werden“48.
44 Ebenda:
„Sic, deus meus, es invisibilis pariter et visibilis. Invisibilis es, uti tu es, visibilis es, uti creatura est, quae in tantum est, in quantum te videt. Tu igitur, deus meus invisibilis, ab omnibus videris et in omni visu videris; per omnem videntem in omni visibili et omni actu visionis videris, qui es invisibilis et absolutus ab omni tali et superexaltatus in infinitum“. 45 Pasqua, Préface, 26. 46 Vgl. Dupré, Das Bild und die Wahrheit, 135 ff. 47 Beierwaltes, Visio absoluta, 191. 48 De vis. Dei c. XII (h VI n. 49): „Nec est aliud creare pariter et creari quam esse tuum omnibus communicare, ut sis omnia in omnibus et ab omnibus tamen maneas absolutus. Vocare enim ad esse, quae non sunt, est communicare esse nihilo. Sic vocare est creare, communicare est creari“.
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Und obwohl Gott jenseits seiner Bezeichnung als Schöpfer angesiedelt ist (XII, 5: „denn Du bist nicht Schöpfer, sondern unendlich mehr als Schöpfer“), kann Er sicher nicht von der Welt her erklärt werden. Gott erscheint in dem Werk in der Tat als „der lebendige Spiegel der Ewigkeit“, der „die Form der Formen ist“, und „wenn jemand in diesen Spiegel schaut, sieht er seine eigene Form in der Form der Formen, die der Spiegel ist. Und er betrachtet die Form, die er im spiegel sieht, als die Konkretisierung der eigenen Form, weil es so auch in einem wirklichen, polierten Spiegel geschieht. Das Gegenteil ist jedoch richtig, weil das, was er im Spiegel der Ewigkeit sieht, nicht das Bild ist, sondern die Wahrheit, von der der Beschauer selbst das Bild ist. Daher ist das Bild Gottes in Dir, mein Gott, die Wahrheit und auch das Modell eines jeden Dinges, das ist oder sein kann“49. Wenn Gott „lebendiger Spiegel“ ist, dann ist das Geschöpf „lebendiger Schatten“, der sich selbst in jenem sieht, indem er von ihm empfängt, was er sieht. Weil die Form der Formen sich in jedem Geschöpf auf verschiedene Weise offenbaren kann, d. h. je nach der Wahrheit des Bildes eines jeden: „Da ich ein lebendiger Schatten bin und Du die Wahrheit, betrachte ich den Wandel der Wahrheit mit dem Wandel des Schattens. Du bist, mein Gott, auf solche Art Schatten, dass Du die Wahrheit bist. Du bist mein Bild und das Bild eines jeden, dergestalt, dass Du das Modell bist [...] Mein Angesicht ist wirkliches Angesicht, weil Du die Wahrheit bist, Du hast es mir gegeben. Und mein Angesicht ist auch Bild, weil es nicht die Wahrheit selbst ist, sondern ein Bild der absoluten Wahrheit“50.
Die Offenbarung ist dann verschieden je nach dem Bild dessen, der sich im Spiegel betrachtet; aber außerdem findet man die Wahrheit des Bildes im Modell, das sich in ihm offenbart und auf verschiedene Weise in einem jeden.
49
50
De vis. Dei c. XV (h VI n. 63): „Et ita id, quod videris ab intuente recipere, hoc donas, quasi sis speculum aeternitatis vivum, quod est forma formarum. In quod speculum dum quis respicit, videt formam suam in forma formarum, quae est speculum, et iudicat formam, quam videt in speculo illo, esse figuram formae suae, quia sic est in speculo materiali polito, licet contrarium illius sit verum, quiad id, quod videt in illo aeternitatis speculo, non est figura, sed veritas, cuius ipse videns est figura. Figura igitur in te, deus meus, est veritas et exemplar omnium et singulorum, quae sunt aut esse possunt“. De vis. Dei c. XV (h VI n. 64): „Sed quia ego sum viva umbra et tu veritas, iudico ex mutatione umbrae veritatem mutatam. Es igitur, deus meus, sic umbra, quod veritas. Sic es imago mea et cuiuslibet, quod exemplar. Domine deus, illustrator cordium, facies mea vera est facies, quia tu eam mihi dedisti, qui es veritas. Est et facies mea imago, quia non est ipsa veritas, sed veritatis absolutae imago“.
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Die Schöpfung des Endlichen als „Sehen Gottes“
Zum Abschluss möchten wir mit R. Haubst 51 festhalten, dass der Begriff der Manifestation als Art der Wahrnehmung der Endlichkeit auf eine typisch kusanische Idee verweist, die darin besteht, die Schöpfung als eine imago imitationis creata zu verstehen, ganz besonders das menschliche Wesen. Nach dieser These würde der Begriff der Repräsentation in einem strikt metaphysischen Sinn die Bedeutung des Endlichen als Offenbarung des Unendlichen gut erklären; und das in dem Maße, in dem diese Offenbarung als aus einem Schöpfungsakt hervorgehend verstanden wird. Daher bedeutet die Repräsentation nichts anderes, als dass das Geschöpf in sich den Schöpfer präsent macht; ein Gedanke, der im gesamten Werk des Johannes Scottus Eriugena gegenwärtig ist. Für Eriugena die Welt ist apparentis apparitio, occulti manifestatio, negati affirmatio (usw.).
5. Schöpfung und Manifestation bei Johannes Scottus Eriugena. Gnoseologischer Schlüssel
Wie G. Allegro aufgezeigt hat, bewegt sich die mittelalterliche Kultur und Zivilisation seit Augustinus in der komplexen und in gewisser Weise verblüffenden Dialektik, die der christlichen Botschaft eigen ist, was sich im Bereich der Erkenntnis in der paulinischen Formulierung: videmus nunc per speculum et in aenigmate, tunc autem facie ad faciem (Kor. 13, 2) zusammenfassen lässt. Diese Formulierung stellt den Motor der mittelalterlichen Gnoseologie dar und offenbart den Charakter des christlichen Denkens und außer dem, was die Theophanie Christi bedeutet, zeigt sie die Vereinigung des Göttlichen und des Menschlichen auf und begreift die menschliche Geschichte wie die Erklärung des göttlichen Handelns in der Realität des Kosmos52. Diese Betrachtung stellt den Höhepunkt der eriugenischen Spekulation dar und bedeutet in seinem Werk somit die Vereinigung von Dionysius Areopagita und Augustinus53. Aus dieser Perspektive hat W. Beierwaltes kürzlich darauf hingewiesen, dass sein grundlegendes Werk Periphyseon oder De divisione naturae genau die spekulativen Interessen des Scottus Eriugena aufzeigt: Diese lassen sich 51 Haubst,
Wort und Leitidee der ‚Repraesentatio’, 139-162. Vgl. Allegro, Giovanni Scoto Eriugena, 62. 53 Es handelt sich außerdem um eine Betrachtungsweise, die Eriugena von den idealistischen Theosophien entfernt, nach denen die Geschichte als das Ergebnis der Selbstkonstitution. 52
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in dem Anliegen zusammenfassen, argumentativ und rational die Wahrheit der doctrina christiana zu begründen 54. In diesem Sinne hinterfragt Eriugena nicht die Existenz der Grundlage oder des Absoluten, eher geht er von ihr aus als dem Ursprung und erklärt dann die Struktur und den Sinn der Welt und des menschlichen Handelns in ihr als explicatio des ersten Ursprungs: theophania ist der Begriff, der seine Metaphysik zusammenfasst, sie ist aber auch der Begriff, der seine Theorie der menschlichen Erkenntnis der Natur in der Ewigkeit des Wortes synthetisiert und auch seine Betrachtung aus der Perspektive der Zeitlichkeit, die die geschaffene Welt konstituiert 55; daher auch die Unterscheidung zwischen der Betrachtung der Natur in der Ewigkeit des Wortes und seine Betrachtung von der Zeitlichkeit her, die die geschaffene Welt konstituiert 56. Beierwaltes meint: Eriugena „hat gerade durch seine Konzeption von Welt als ‚Theophanie’ den Gedanken der Differenz, der in der ‚Erscheinung’ ihrem untrennbaren Bezug zu ihrem Ursprung gedacht. Dessen ihm immanenter Akt ist als eine sich selbstdifferenzierende Identität oder Einheit begriffen – Voraussetzung für deren Erscheinung in der Welt als deren Grund: occulti manifestatio“57. In diesem Zusammenhang hat sich Scottus Eriugena entschieden darum bemüht, den erkennenden Aspekt des Glaubens zu unterstreichen. In der Tat stellt sich die Philosophie im Bereich des griechischen Denkens, mit dem der irische Philosoph in Dialog tritt, bereits bei Plato als Suche nach der Wahrheit Gottes und des Menschen dar innerhalb des Wirrwarrs der menschlichen Konfusionen und Leidenschaften. Eriugena erlebte als christlicher Philosoph das Dilemma, das der Dialog des Glaubens und der Vernunft bedeutete. Die griechische Philosophie hatte dieses Problem nicht gekannt, denn selbst bei Vgl. Beierwaltes, Eriugena, 7. Die Metaphysik des Eriugena aus dem Periphyseon unterstreicht die Abwesenheit dieses zeitlichen Prozesses in den göttlichen Handlungen ad intra. Von daher auch seine Unterscheidung zwischen: tempora secularia oder temporalitas mundi und tempora aeterna; in dem dieser letztere Begriff deutlich hinweist auf die Abwesenheit der Zeitlichkeit im eigentlichen Sinne, in dem was Eriugena als „Autokonstitution“ des Absoluten bestimmt. Vgl. Periphyseon, Lib. II, Jeauneau, Bd. CLXII, 72-73: „Nam quemadmodum filium artem omnipotentis artificis uocitamus – nec immerito quoniam in ipso, sua quippe sapientia, artifex omnipotens pater ipse omnia quaecunque uoluit fecit aeternaliterque et incommutabiliter custodit – ita etiam humanus intellectus quodcunque de deo deque omnium rerum principiis purissime incunctanterque percipit ueluti in quadam arte sua, in ratione dico, mirabili quadam operatione scientiae creat per cognitionem inque secretissimis ipsius sinibus recondit per memoriam“ (PL 579 C). 56 Periphyseon, Lib. III, Jeauneau, Bd. CLXIII, 32: „Sed quia una eademque rerum natura aliter consideratur in aeternitate Verbi Dei, aliter in temporalitate constituti mundi“ (PL 640 C-D). 57 Beierwaltes, Identität und Differenz, 3.Vgl. Beierwaltes, Negati affirmatio, 237-265. 54
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Die Schöpfung des Endlichen als „Sehen Gottes“
Plato stellte der Glaube (pistis) die niedrigste Erkenntnisstufe dar. Das Christentum hatte jedoch dem Menschen dieses neue Instrument der Wahrheit geschenkt: der in der Offenbarung implizite Glaube, den man in keiner Weise mehr mit dem griechischen Begriff von Glauben vergleichen konnte58. Angesichts dieses Dilemmas besteht Eriugena, zurückgreifend auf die augustinsche Synthese, entschieden auf der Einheit von Glauben und rationaler Erkenntnis auf Grund der Identität seines Gegenstandes: Gott oder der Absolute. Diese Einheit offenbart sich in seinem Werk wie eine umfassende kognoszitive Errungenschaft 59 in dem Sinne, dass er behauptet, dass die in der Offenbarung enthaltene Wahrheit als Gegenstand des Glaubens nicht ohne weiteres genügt; es sei eher notwendig -wegen der wesentlichen rationalen Konstitution des Menschen- eine sozusagen nochmalige Eroberung der Wahrheit zu unternehmen, ein rationaler Ausdruck derselben, was die eigentliche Aufgabe des Philosophierens ist. So ist einerseits nach Eriugena eine autonome Ausübung der Vernunft nicht möglich: „Dasjenige, was wir nicht mit der Autorität der Hl. Schrift, noch mit der der Väter beweisen können, dürfen wir nicht als sichere Lehre in Bezug auf die Natur annehmen, es wäre in der Tat waghalsig“60. Andererseits ist nicht weniger gewiss, dass die Autorität der Schrift vom menschlichen Wesen nicht als solche anerkannt werden kann, wenn sie nicht mit der ratio in Verbindung steht. Die diesbezügliche Argumentation des Eriugena besteht darin, an der Kraft und dem Wert der Vernunft festzuhalten (denn sie imperat, edocet, invitat atque coartat) und zugleich darauf hinzuweisen, dass die menschliche Glückseligkeit ausschließlich in der Kenntnis der Wahrheit besteht, sein Elend ist die Ignoranz: „Es gibt keinen schlimmeren Tod als das Ignorieren der Wahrheit, kein Strudel ist tiefer als der der Zustimmung zu falschen Dingen, als seien sie wahr, was den eigentlichen Irrtum bedeutet“61.
Die ratio erfüllt gerade hier ihre Rolle: sie stellt sich dar als Forderung nach Rechtfertigung des Glaubens, als Vermittlung zum Auffinden der rationalen Grundlage des Glaubens. Der Glaubensinhalt ist vorgängig und stellt sich als Vorbereitung der Erkenntnis dar. Der Glauben erfüllt von dort aus die Rolle einer Handlung, die das Verstehen beschleunigt, indem sie den Verstand Vgl. Allegro, Giovanni Scoto Eriugena, C, 62. Vgl. Dal Pra, Scoto Eriugena, 67 u. ff. 60 Periphyseon, Lib. IV, Jeauneau, Bd. CLIV, 259: „Sed quod auctoritate sanctae scripturae sanctorumque patrum probare non possumus, inter certas naturarum speculationes (quoniam temerarium est) recipere non debemus“ (PL 762 C). 61 Periphyseon, Lib. II, Jeauneau, Bd. CLXIII, 312: „Nulla enim peior mors est ueritatis ignorantia, nulla uorago profundior quam falsa pro ueris approbare, quod proprium est erroris“ (PL 650 A). 58
59
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aktiviert. Seine forscherische Tätigkeit findet schließlich in der Kontemplation ihre Ruhe, diese ist dem intellectus oder dem dritten Grad der Erkenntnis eigen. Die ratio ist somit eine erkenntnismäßige Vermittlung in Hinsicht auf die Kontemplation des Objektes des Glaubens und in demselben Maße kann sie ihr gegenüber nicht autonom sein. Die ratio bewegt sich bei Eriugena im Kontext des Glaubens in dem Sinne, dass – wie Dal Pra schreibt – „die rationale Suche für ihn ein integrierendes Element des religiösen Tuns ist; sich einer solchen Forschung widmen, bedeutet die pietas selbst zu konkretisieren“62. Die Forschung, die die Vernunft voraussetzt, ist also kein Mehr, das zum Glauben hinzugefügt wird, sondern Eriugena schreibt ihr eine entscheidende Bedeutung in Bezug auf die letzte Glückseligkeit der Person zu. Nur in diesem Sinne kann man m. E. die folgende Behauptung verstehen: Nemo intrat in celo nisi per philosophiam63 und das nicht im Sinne der späteren Rationalisierung des Spinoza. Andererseits erlangt die erkennende Meditation, die eine Ausübung der Vernunft ist, ihre Vollendung in der Veräußerlichung des Denkens, d.h. in der Sprache. Die Sprache als Veräußerlichung des Denkens ist die äußere vox, die die innere vox (verbum, animus) zum Ausdruck bringt. Das Wort „innere“ und „äußere“ entspricht hier dem Binom verborgen-offenbar oder sichtbarunsichtbar. Das ausgesprochene Wort ist Interpretation oder Vermittlung des Geistes: „Es ist dann die interpretierende Stimme der Seele. Denn alles was die Seele im Vorhinein denkt und unsichtbar anordnet, das drückt sie durch die sinnliche Stimme aus“64. In Analogie zur Fleischwerdung des Wortes Gottes, in dem der unsichtbare und unerreichbare Gott sich offenbart, wird durch die menschlichen Worte das Denken außerhalb seiner selbst verständlich. Aber wie bereits W. Beierwaltes bemerkt hat, bedeutet diese Veräußerlichung im eriugenischen Denken nie eine Trennung zwischen außen und innen, sondern eher die Möglichkeit des Ausdrucks der Wahrheit in der Sprache, dass diese mit dem inneren Denken verbunden bleibt, das ihn hervorgebracht hat: „visibilium interpretationem in invisibilium intellectum uniformtiatem resolvit“65. In diesem Erklärungsprozess gelingen Eriugena entschieden Fortschritte auf dem Weg der menschlichen Erkenntnis, d. h. im inneren Denken. Es ist 62
Dal Pra, Scoto Eriugena, 97. in Marcianum Capella, 57, 15. Hrsg. Hauréau: Le commentaire de J.S.E. sur Martianus Capella, XX, 2. des Absoluten im Endlichen mittels und durch den zeitlichen Prozess betrachtet wird. Vgl. Homilia super ‘in principio erat verbum’ et commentarius in evangelium Iohannis, Jeauneau. Vgl. Beierwaltes: Zu Augustins Metaphysik der Sprache, 179-195, der Hinweis auf Augustinus: Sermo 288, De voce et verbo (PL 38, 1302-1308); Vgl. Periphyseon, Lib III (PL 633 B). Vgl. Beierwaltes, Sprache und Sache, 59.
63 Annotationes
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in der Tat seine Anthropologie der Person als imago Dei, die letztendlich erlaubt, den Wert des Strebens der Vernunft im Ringen um die Wahrheit und die Erkenntnis des Absoluten. In der Tat bemerkt er von seiner Lehre der Illumination und des intellectus als höchstem Grad der Erkenntnis her, das die menschliche Erkenntnis der Wahrheit sowie ihr Ausdruck nur möglich ist, weil die menschliche Seele radikal in Gott oder dem Absoluten grundgelegt ist. Sich auf Matthäus 10, 2066 berufend, weist er darauf hin, dass der Mensch von seiner Verwurzelung im Glauben her nur dasjenige ausspricht und denkt, was auch Gott selbst – der Geist – durch ihn sagt. Gott erscheint somit als das Licht der intelligiblen Welt, der sich verständlich macht durch ein erleuchtetes menschliches Wissen: „So wie die Luft, die nicht aus sich selbst heraus leuchtet und der man die Bezeichnung Finsternis gab, fähig ist, das Sonnenlicht zu empfangen, so ist auch unsere Natur, die in sich selbst betrachtet eine Substanz der Finsternis ist, dennoch fähig, das Licht der Weisheit zu empfangen. Aber die Luft leuchtet, wenn sie an den Sonnenstrahlen teilhat, nicht aus sich selbst heraus; es ist der Glanz, der sich in ihr offenbart, solcherart, dass sie, ohne die Dunkelheit ihrer Natur zu verlieren, das Licht aufnimmt, dass von außen auf sie zukommt. Dasselbe geschieht mit unserer vernunftbegabten Natur: wenn sie die Gegenwart des Wortes Gottes besitzt, erkennt sie die intelligiblen Realitäten und Gott selbst, nicht aus eigener Kraft, sondern dank der göttlichen Erleuchtung“67.
Mit anderen Worten, sein Verständnis der menschlichen Erkenntnis ist eng verbunden mit dem Verständnis der Religiosität der menschlichen Person68. Aus dieser Sicht kann man verstehen, dass die Gegenwart Gottes in der Seele gerade dasjenige ist, was das menschliche Wesen befähigt, Gott zu erkennen. Das wird besonders offenbar, wenn das menschliche Wesen sich selbst erkennt: Im Akt der Selbsterkenntnis begegnet der Mensch nicht sich selbst, 66 Non
vos estis qui amatis, qui videtis, qui movetis, sed spiritus patris qui loquitur in vobis veritatem de me [...]“. 67 Homilia, Jeauneau, 24-25: „Physica uero horum uerborum theoria talis est. Humana natura, etsi non peccaret, suis propriis uiribus lucere non posset; non enim naturaliter lux est, sed particeps lucis. Capax siquidem sapientiae est, non ipsa sapientia cuius participatione sapiens fieri potest. Sicut ergo aer iste per se ipsum non lucet sed tenebrarum uocabulo nuncupatur, capax tamen solaris luminis est, ita nostra natura, dum per se ipsam consideratur, quaedam tenebrosa substantia est, capax ac particeps lucis sapientiae. Et quemadmodum praefatus aer, dum solares radios participat, non dicitur per se lucere, sed solis splendor dicitur in eo apparere ita ut et naturalem suam obscuritatem non perdat et lucem superuenientem in se recipiat, ita rationabilis nostrae naturae pars, dum praesentiam dei uerbi possidet, non per se res intelligibiles et deum suum, sed per insitum sibi diuinum lumen cognoscit. Audi ipsum uerbum: «Non uos, inquit, estis qui loquimini, sed spitirus patris uestri qui loquitur in uobis»“ (PL 290 C- D). 68 Vgl. Kijewska, The Eriugenian Concept of Theology, 173-193.
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sondern dem Absoluten69. Die Erkenntnis seiner selbst erscheint damit als untrennbar von der Erkenntnis des Absoluten; bei Eriugena verläuft der Erkenntnisprozess im Zirkel: Der göttliche Intellekt ermöglicht den Anstoß zur menschlichen Selbsterkenntnis, dieser erlangt jedoch seine vollständige Erfüllung in der Erkenntnis Gottes. So vervollständigt sich die Rückwendung alles Bedingten und Endlichen zu seinem transzendentalen Anfang: Es handelt sich um die theophania des exitus und des reditus. Gott stellt sich dann sowohl als Subjekt als auch als Objekt der Suche nach seiner eigenen Wahrheit dar, die das menschliche Erkennen beinhaltet: Wenn er sich findet, dann nicht als das Subjekt, das sucht, sondern als das Gesuchte: Nam si invenitur, non ipse, qui quaerit, sed ipse qui quaeritur, et qui est lux mentium invenit 70. Die Bewegung ad interiora wird vervollständigt durch die Bewegung ad superiora; „unter diesen Bedingungen kehrt die Seele, das Abbild Gottes, zu Gott zurück und der Körper als Abbild der Seele, kehrt zur Seele zurückt. Das Abbild gibt in seiner Struktur selbst die Einheit Gottes wieder, an der es teilhat“ 71. Am Ende dieses Prozesses erscheint nun aber Gott vor allem als Licht, als Objekt der Kontemplation, aber nicht mehr als rationaler Diskurs; er erscheint als unaussprechlich und unsagbar. Dorther stammt die bekannte Lehre des Eriugena, dass Gott nur translativ oder metaphorisch benannt werden kann: nihil de Deo propie posse dici. Die negative Theologie vervollständigt sich so mit einer affirmativen Theologie, die von sich aus den Absoluten nicht innerhalb der Grenzen ausdrücken kann, die das begriffliche Denken setzt und daher muss sie auf die similitudo zurückgreifen und ist deshalb immer unzulänglich: von der Lehre der theophania her ist die Welt nur verständlich als divina methaphora. Wenn tatsächlich eine adäquate Bezeichnung über den Absoluten möglich wäre, dann würde sie die vollständige Selbstoffenbarung Gottes in der Welt beinhalten, eine Konzeption, die der Transzendenz des Eriugena völlig fremd ist und die auch verhindert, sie irgendwie in Betracht zu ziehen als Vorläufer des Pantheismus; sondern eher als einen Schlüssel zum Verständnis, auf dem Weg, den Nikolaus von Kues geht.
69
„Nam non solum nos ipsos non prohibemur, verum etiam iubemur quaerere dicente salomone: Nisi cognoveris tipsum, vade in vias gregum“, Peripyhseon, Lib. V, Jeauneau, Bd. CLXV, 550, (PL 941 B). „Quodsi intellectus aliquis se ipsum perfecte intelligit, profecto Deum intelligit, qui est intellectum omnium (...) quomodo dici poterit, se ipsum plane intelligere, dumnon intelligit omnium intellectuum, adeoque nec sui isius?“ (idem., C). 70 Vgl. Periphyseon, Lib. II (PL 533 B). 71 Riccati, ‚Processio’ et ‚explicatio’, 133-134.
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