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psychiatrie & psychotherapie
Psychiatr Psychother (2009) 1/4: 17-20 DOI 10.1007/s11326-009-0039-3 © Springer-Verlag 2009 Printed in Austria
Die Rolle von Religion und Religiosität in der Suizidologie Karl Kralovec, Martin Plöderl, Kurosch Yazdi und Reinhold Fartacek
Forschungsprogramm Suizidprävention am Institut für Public Health, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Sonderauftrag für Suizidprävention, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie I, Christian-Doppler-Klinik, Salzburg, Österreich Eingegangen am 3. November 2008, angenommen am 10. Februar 2009
The role of religion and religiousness in suicidology Summary: After a short overview of the positions of the main religions toward suicide, we present scientific papers investigating the relationship between religion/religiousness and both suicidal ideation and suicidal behaviour. Most studies indicate that religion and religiousness might be a protective factor against suicide. Literature reporting religion/religiousness as a possible risk factor is also presented. Suggestions for future research are offered. Keywords: Religion, suicidal ideation, suicide attempt, suicide Zusammenfassung: Zuerst präsentieren wir einen kurzen Überblick über die Einstellung der einzelnen Religionen zum Suizid. Anschließend zeigen wir anhand der vorliegenden Studien den protektiven Effekt von Religion und Religiosität auf Suizidgedanken und suizidales Verhalten, wobei auch Daten angeführt werden, die auf eine mögliche Bedeutung von Religion als Risikofaktor für Suizidalität hinweisen. Abschließend diskutieren wir aus unserer Sicht wichtige Aspekte für die zukünftige Forschung in diesem Bereich. Schlüsselwörter: Religion, Suizidgedanken, Suizidversuch, Suizid
Dr. Karl Kralovec, Forschungsprogramm Suizidprävention am Institut für Public Health, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Sonderauftrag für Suizidprävention, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie I, Christian-Doppler-Klinik, Ignaz Harrerstrasse 79, 5020 Salzburg, Österreich, E-Mail:
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Einleitung Ein Blick auf die Publikationen der letzten Jahre zeigt, dass die Bedeutung von Religion und Religiosität in der Medizin vermehrt von wissenschaftlichem Interesse ist [1, 2]. Betrachten wir die Datenlage im Bereich der Psychiatrie, so zeigt sich auch hier eine zunehmende Anzahl von wissenschaftlichen Artikeln über die Rolle von Religion. Beispielsweise erhoben Kendler et al. 2003 bei 2616 Männern und Frauen Religiosität und das Lebenszeitrisiko von verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen wie Depression, Phobie, generalisierte Angststörung, Panikstörung, Bulimie oder Substanzmissbrauch. Es wurden 7 verschiedene Dimensionen von Religiosität erfasst wie etwa allgemeine Religiosität, soziale Religiosität oder der Glaube an einen (aktiven) Gott. Allgemeine Religiosität korrelierte zwar mit einem erhöhten Risiko für Panikstörung, ging aber andererseits mit einem geringeren Risiko für Nikotin-, Alkohol- und Drogenmissbrauch einher. Alle anderen Dimensionen waren mit einem geringeren Risiko für mindestens zwei der erhobenen Krankheitsbilder verbunden [3]. Koenig et al. zeigten 1998 als Beispiel für mögliche Effekte bei affektiv Erkrankten in einer Nachuntersuchung von körperlich und komorbid depressiv erkrankten älteren Patienten, dass religiöse Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus signifikant früher eine Remission der Depression erreichten [4]. Was den Zusammenhang zwischen Religiosität und Angsterkrankungen betrifft, so sehen wir in einer Übersichtsarbeit von Shreve-Neiger und Edelstein 2004, dass die Rolle von Religion hier unklarer ist. Es gibt sowohl Daten, die Religiosität als protektiven Faktor zeigen, als auch solche, die eine Steigerung von Angsterkrankungen bzw. überhaupt keinen Effekt beschreiben, wobei die Autoren auf methodische und konzeptuelle Schwächen einiger Arbeiten hinwiesen [5]. Welche Bedeutung haben Religion und Religiosität nun aber aus suizidpräventiver Sicht? Mit den Suchbegriffen „religion“ bzw. „religious“ und „suicide“ bzw. „suicidal“ finden sich in der Medline ungefähr 1300 Artikel, etwa zwei Drittel davon aus den letzten 15 Jahren. In der folgenden Übersicht 1/2009
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werden davon die Arbeiten, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Religion/Religiosität und Suizidrisiko befassen, zusammengefasst. Bevor wir den Überblick über die vorliegende Datenlage geben, werden wir zuerst die Einstellung der einzelnen Religionen zum Suizid kurz beschreiben.
Die Einstellung der Religionen zum Suizid Da sich die Mehrheit der psychiatrischen Patienten in Österreich zum Christentum bekennt, gehen wir hier im Besonderen auf die offizielle christliche bzw. katholische Position zum Suizid ein. In allen Büchern der Bibel einschließlich der Apokryphen wird von 10 Suiziden und 11 Fällen von Suizidversuchen bzw. Suizidgedanken berichtet. Suizid wird dabei weder verurteilt noch gutgeheißen, Menschen mit Suizidgedanken werden mit Respekt behandelt und Unterstützung wird angeboten [6]. Erst im 4. Jahrhundert kam es im Christentum zu einer zunehmenden Ablehnung des Suizids durch die offizielle Kirche. Im Jahr 1284 wurde das Verbot eines christlichen Begräbnisses für Menschen, die an Suizid verstorben sind, eingeführt. Sowohl von päpstlicher als auch von protestantischer Seite wurde Suizid als Sünde verurteilt [7]. Heute wird im Katechismus der katholischen Kirche Suizid unter dem Begriff „Selbstmord“ abgehandelt und als schwere Verfehlung gegen die Eigenliebe und Verstoß gegen die Nächstenliebe beschrieben. Es wird jedoch dann weiter ausgeführt, dass schwere psychische Störungen die Verantwortlichkeit des Selbstmörders vermindern. Die verurteilende Haltung wird somit relativiert [8]. Bei den beiden anderen großen monotheistischen Weltreligionen, dem Judentum und dem Islam, finden wir ebenso traditionell eine Ablehnung des Suizids. So war der Suizid in Israel bis 1966 eine Straftat [9] und auch im Islam ist der Suizid bzw. Suizidversuch ein Verbrechen, das zu strafrechtlicher Verfolgung führen kann [10]. Aufgrund der strikten Ablehnung von Suizid als illegal und Sünde werden in islamischen Ländern Suizide möglicherweise einerseits oft nicht als solche erfasst [11], andererseits vielleicht auch weniger begangen [12]. Dies könnte ganz allgemein für Länder gelten, in denen Suizid mit religiösen Sanktionen verbunden ist [13]. Im Gegensatz dazu zeigen Hinduismus und Buddhismus eine wesentlich tolerantere Haltung gegenüber Suizid [7].
Empirische Studien zu Religion/Religiosität und Suizidalität Suizidgedanken Die Mehrheit der vorliegenden Arbeiten weist darauf hin, dass Religion und Religiosität mit einer negativeren Einstellung zum Suizid und mit weniger Suizidgedanken verbunden sind. In einer türkischen Studie etwa wurden religiös und nicht religiös erzogene Jugendliche hinsichtlich Suizidgedanken und Akzeptanz von Suizid verglichen, wobei religiös Erzogene Suizid als eine mögliche Option weniger akzeptierten und auch selber weniger Suizidgedanken hatten [14]. Hovey zeigte 1999 bei lateinamerikanischen Immigranten in den USA, dass zwar die Religionszugehörigkeit keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Suizidgedanken hatte, Religiosität und Kir-
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chenbesuche hingegen mit einer verminderten Rate von Suizidgedanken verbunden waren [15]. Ähnlich die Ergebnisse einer Arbeit von Stack und Lester aus dem Jahre 1991, wo nicht die Zugehörigkeit zu einer Religion, sondern die Frequenz der Kirchenbesuche mit weniger Suizidideen korrelierte [16]. Auch bei älteren depressiven Patienten zeigte sich der Zusammenhang zwischen religiösen Aktivitäten und weniger Suizidgedanken [17]. In einer Studie mit Jugendlichen aus den USA waren Gebet und persönliche Bedeutung von Religion, nicht jedoch die Teilnahme an Messfeiern oder Aktivitäten in religiösen Jugendgruppen sowohl mit weniger Suizidversuchen als auch mit weniger Suizidgedanken assoziiert [18]. In einer anderen US-Studie mit College-Studenten fand sich ebenfalls ein negativer Zusammenhang zwischen Religiosität und depressiven Symptomen sowie Suizidgedanken [19]. Eine Vergleichsarbeit zwischen Studenten aus den USA und Ghana hingegen konnte in beiden Gruppen keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Religiosität und Suizidgedanken finden [20]. Exline et al. untersuchten 200 College-Studenten und 54 ambulante Psychotherapiepatienten, für die zwar Religion grundsätzlich mehr Trost als Belastung bedeutete, bei denen aber Belastungen im religiösen Erleben mit Depression und Suizidalität verbunden waren, wobei Furcht und Schuldgefühle und die Überzeugung, eine unverzeihliche Sünde begangen zu haben, berichtet wurden [21]. Eine Vergleichsstudie zwischen Studenten aus den USA und China schließlich zeigte die Schwierigkeit, Studienergebnisse aus einer Kultur/Religion auf andere Kulturen/Religionen zu übertragen. Wie aufgrund vorliegender Arbeiten zu erwarten war, fand sich für die amerikanischen Teilnehmer eine negative Korrelation zwischen Religiosität und Suizidgedanken, für die chinesischen Studenten hingegen eine positive Korrelation [22]. Suizidversuche Während einige Publikationen keinen Zusammenhang zwischen Religion/Religiosität und Suizidversuchen finden, zeigen andere Arbeiten eine niedrigere Suizidversuchsrate von religiösen Menschen. So waren etwa Religiosität [23], der Besuch von Gottesdiensten [24] oder die Zugehörigkeit zu einer Religion [25] mit einer geringeren Suizidversuchsrate assoziiert. Dervic et al. wiesen 2004 in ihrer Arbeit über depressive Patienten darauf hin, dass konkret moralische Einwände gegen den Suizid und geringere Werte für Aggression bei Menschen, die einer Religion angehören, protektiv gegenüber Suizidversuchen wirken könnten [26]. Während Jarbin und von Knorring 2004 in einer schwedischen Arbeit berichteten, dass bei psychotischen Patienten die Zufriedenheit mit dem Glauben mit weniger Suizidversuchen assoziiert war [27], zeigte sich in einer weiteren Studie mit psychotischen Patienten aus der Schweiz kein Zusammenhang zwischen Religiosität und Suizidversuchen [28]. In dieser Arbeit wurde auch die Rolle von Religion als Schutz- oder Risikofaktor bei der Entscheidung, einen Suizidversuch zu unternehmen, erfragt, wobei 25% Religion als Schutz sahen, 10% hingegen als Risiko, etwa in Hinblick auf ein möglicherweise besseres Leben nach dem Tod. Eigene anlässlich der 8. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie 2008 in Gmunden präsentierte Daten über einen Zupsychiatrie & psychotherapie
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sammenhang zwischen Religion und Suizidalität in einer Gruppe mit erhöhtem Suizidrisiko, nämlich bei homo- und bisexuellen Menschen, ergaben schließlich folgendes Ergebnis: Einerseits korrelierte Religionszugehörigkeit signifikant mit internalisierter Homophobie, d. h. mit einer negativen Einstellung gegenüber der eigenen Homosexualität entsprechend der oft von Kirchen propagierten homophoben Wertvorstellungen. Trotz dieser Problematik erwies sich dennoch die Zugehörigkeit zu einer Religion protektiv hinsichtlich berichteter Suizidversuche [29]. Suizide Zwar zeigen einige Arbeiten keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Religion und Suizid [7], dennoch weist die Mehrzahl der vorliegenden Publikationen auf einen gewissen Schutz durch Religion bzw. Religiosität hin. Trovato etwa zeigte 1992, dass die Suizidraten von kanadischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen umso niedriger waren, je mehr in der Bevölkerung einer Religion angehörten [30], und in den Niederlanden war Religionszugehörigkeit ebenfalls mit geringeren Suizidraten verbunden [31]. Die Häufigkeit des Kirchenbesuchs oder allgemeiner die Teilnahme an religiösen Aktivitäten waren in Studien aus den USA mit einer niedrigeren Suizidrate assoziiert [32, 33]. Neeleman et al. schließlich zeigten 1997 in einer Untersuchung in 19 westlichen Ländern, dass Religiosität mit einer geringeren Toleranz gegenüber Suizid und einer niedrigeren Suizidrate korrelierte [34]. Andererseits werden auch Formen religiös motivierter Suizide beschrieben, wie etwa Massensuizide in Zusammenhang mit religiösen Sekten [35]. Auf Religion als möglichen Risikofaktor für suizidales Verhalten wiesen auch Grossoehme und Springer 1999 in ihrer Arbeit über Selbstverbrennungen in suizidaler Absicht hin, beispielsweise bei rituellen Witwenverbrennungen in Indien [36].
Diskussion Zusammenfassend finden wir eine Mehrzahl von Studien, die für verschiedene Variablen für Religion/Religiosität wie etwa Religionszugehörigkeit, gemeinschaftliche religiöse Aktivitäten (z. B. gemeinsame Messfeier) oder Häufigkeit des Gebets einen protektiven Effekt hinsichtlich Suizidalität zeigen. Deutlich weniger Arbeiten lassen keinen Zusammenhang erkennen oder weisen vereinzelt auch auf ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken oder suizidales Verhalten hin. Der Faktor Religion/Religiosität dürfte somit aus suizidologischer Sicht eher ein Schutz- als ein Risikofaktor sein. Verwirrend und problematisch ist jedoch, dass das Konstrukt Religion/Religiosität in den verschiedenen Studien oft mit unterschiedlichen und oft mit nur einzelnen Variablen erfasst wurde, sodass die Arbeiten zum einen schwer vergleichbar sind und zum anderen die eigentlichen suizidprotektiven Wirkfaktoren von Religion bislang unklar bleiben. Überlegungen und Theorien, warum und wie Religion auf Suizidalität wirken könnte, gibt es mehrere: Durkheim erklärte 1897 die zu seiner Zeit niedrigere Suizidrate unter Katholiken verglichen zu Protestanten bei einem Verbot von Suizid in beiden Konfessionen damit, dass das Ausmaß an psychiatrie & psychotherapie
sozialer Integration aber auch Regulation unter Katholiken ein höheres ist bzw. damals war [37]. In Anlehnung daran wiesen auch Pescosolido und Georgianna 1989 auf die Bedeutung der religiösen Gemeinschaft für den suizidprotektiven Effekt von Religion hin [38]. Stack hingegen betonte, dass für den Schutzfaktor Religion einige essentielle Glaubenssätze entscheidend sein könnten, wie etwa der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod, der Glaube daran, dass das Leiden im Leben einen Sinn hat oder daran, dass Gott existiert, uns sieht und auf unser Gebet reagiert [39]. Dervic et al. schließlich zeigten in ihrer Arbeit anhand depressiver Patienten, dass der protektive Effekt von Religion unter anderem auf moralischen Einwänden gegen Suizid beruhen könnte [26]. Ein mehrdimensionaler Zugang wie etwa bei Kendler et al., die mit 78 Fragen 7 verschieden Dimensionen von Religiosität erhoben [3], oder auch qualitative Ansätze wären für die zukünftigen Forschungsarbeit wichtig, um dem komplexen Konstrukt Religion/Religiosität gerechter zu werden und um die Faktoren, die auf Suizidalität wirken, genauer erfassen zu können. Die Mehrheit der Arbeiten zum Thema stammt aus den Vereinigten Staaten. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass Religion in den USA eine wesentlich größere Rolle spielt als etwa in Westeuropa und daher auch in der Medizin von größerem wissenschaftlichen Interesse sein dürfte. Es stellt sich nun natürlich die Frage, ob Daten aus den USA auf ein laizistischeres Europa einfach übertragbar sind, da z. B. der Faktor Religionszugehörigkeit hier vielleicht eine ganz andere (keine?) Bedeutung hat. Mehr europäische Studien sind wichtig, um auch für hierzulande besser Aussagen treffen zu können. Ein Phänomen schließlich, das seit Beginn der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wieder zunehmend Bedeutung erlangt hat, ist der Suizidterrorismus. Zweifelsohne lassen die islamisch fundierten Suizidanschläge der letzten Jahre trotz der ansonsten ablehnenden Haltung des Islam gegenüber Suizid einen starken religiösen Einfluss erkennen. Wie Kapfhammer in seiner Arbeit über pathogene Religiosität und Suizidterrorismus ausführte, kann hier Religion etwa die Funktion einer moralischen Legitimierung der Gewalttaten übernehmen, die Dämonisierung und Dehumanisierung des Gegners wird gefördert oder es wird eine persönliche Belohnung etwa im Sinne einer Aufnahme in das himmlische Paradies in Aussicht gestellt [40]. Es bleibt jedoch die Frage, inwieweit Suizidterroristen, die sich im Rahmen des Terrorakts selbst kalkuliert töten, aus psychiatrisch/suizidologischer Sicht überhaupt suizidal sind. Natürlich müssen psychologische und psychodynamische Veränderungen in der Vorbereitungsphase und Durchführung solcher terroristischer Handlungen beachtet werden, ebenso wie mögliche traumatische Erfahrungen in der eigenen biografischen Entwicklung der Täter oder kollektive Traumatisierungen der ganzen Nation, der der Suizidterrorist entstammt. Dennoch scheint es so, dass Suizidterrorismus nicht über eine relevante psychiatrische Morbidität gesteuert wird und sich in für Suizidalität wesentlichen Faktoren ganz grundsätzlich von anderen Suiziden unterscheidet. Townsend kommt somit in seiner Arbeit „Suicide terrorists: are they suicidal?“ zum Schluss, dass es sich hier eigentlich nicht um Suizid handelt [40, 41].
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Zusammenfassung und Relevanz für die Praxis Es gibt zunehmend Publikationen, die die Bedeutung von Religion/Religiosität in der Psychiatrie untersuchen. Arbeiten aus der Suizidologie zeigen trotz aller methodischen Einwände und teils auch widersprüchlichen Ergebnisse insgesamt einen protektiven Effekt von Religion/Religiosität auf Suizidgedanken, Suizidversuche und auf Suizide. Eine Berücksichtigung von Religiosität als Ressource von Patienten in der psychiatrischen Praxis, in der Einschätzung von Suizidalität und im therapeutischen Vorgehen, ist daher sinnvoll und wünschenswert, wobei natürlich die eigenen ärztlichen bzw. psychotherapeutischen Kompetenzen nicht überschritten werden dürfen. Hinsichtlich der weiteren wissenschaftlichen Arbeit auf diesem Gebiet schließlich bleibt zu hoffen, dass zukünftig vermehrt auch qualitative Methoden und mehrdimensionale Ansätze in der Erfassung von Religion/Religiosität Anwendung finden, und dass sich auch bei uns Forscher für das Thema begeistern können.
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