Vortrag an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der HU Berlin:
Die Produktion rechtlicher Relevanz angesichts existenzieller Probleme Thomas Scheffer
Inhalt Einleitung.................................................................................................................................................................. 1 Drei Fälle zur Kapazität des Rechts angesichts existenzieller Probleme ........................................ 2 1. Fall: Politische Programmarbeit - zur Unwahrscheinlichkeit existenzieller Probleme 2 2. Fall: Eintagesküken - von der Normalität zum Rechtsanspruch............................................ 3 3. Fall: Die wuchernde Hauswandbegrünung – oder der vorauseilende Gehorsam! ......... 4 Einladung: das Recht von den existenziellen Problemen her denken! ............................................. 5 Was sind existenzielle Probleme? .............................................................................................................. 5 Die existenziellen Probleme in der modernen Gesellschaft ............................................................. 7 Recht als bedingter Apparat zur Produktion rechtlicher Relevanz .............................................. 7 Der Fluchtpunkt des Betriebs: die generalisierte Form der Rechtsprechung .......................... 8 Die Methodologie des Rechtsbetriebs ...................................................................................................... 9 Die gewordene Gestimmtheit des heutigen Rechts ................................................................................. 9 1. Tendenz: Das Gewicht der Individualrechte................................................................................ 10 2. Tendenz: Die unproblematische Normalität ............................................................................... 10 3. Tendenz: Multiplizierung der Individualrechte ......................................................................... 11 4. Tendenz: Die rechtlich schwer abbildbaren Handlungsketten ........................................... 12 5. Tendenz: Rechteschöpfung per Tradierung ................................................................................ 12 6. Tendenz: Die Unterstellung rechtlicher Regulierung............................................................... 13 7. Tendenz: Eine Kultur des Aufschubs .............................................................................................. 13 Fazit ...................................................................................................................................................................... 13 Ausblick: Zur Bedingtheit des Rechts als Apparatur ............................................................................. 14
Einleitung Wir leben in schwierigen Zeiten. Kriege rücken näher, Notstände häufen sich, Zukünfte drohen. Immer scheint die Zeit abzulaufen, scheint sich etwas noch Schlimmeres anzukündigen, werden weitere Regionen in eine Krise gezogen. Dem entgegen steht die 1
tagtägliche Lebensführung, der Gang der Dinge, der Stabilität verspricht. Vielleicht kann doch alles so weitergehen. Im Folgenden frage ich, wie das Recht Teil all dessen ist. Ich frage nach Arten und Weisen einer rechtlichen Relevanzproduktion in Verfahren und die praktischen Orientierungen im Hinblick auf dieselbe. Solche Relevanzen realisieren Rechte und Pflichten bestimmter Mitgliedschaftskategorien (Verbraucher*in, Eigentümer*in, Produzent*in, etc.) und tangieren die kulturell und institutionell zur Verfügung stehenden Problembearbeitungskapazitäten von Recht und Politik.
Drei Fälle zur Kapazität des Rechts angesichts existenzieller Probleme Bevor ich die Wirkungen rechtlicher Relevanzproduktion auf unsere Lebensführung exploriere, möchte ich drei kurze Beispiele anführen. Sie bieten Bezugspunkte für unsere weitergehenden, kulturanalytischen Überlegungen zu den bedingten Problembearbeitungskapazitäten von Recht (und Politik). Recht verstehe ich dabei im Lichte der Apparate, Verfahren und Diskurspraxen rechtlicher Relevanzproduktion. Letztere integriert in Prozessen der Diskursarbeit Norm-Sachverhalt-Konsequenz und verwertet diese in rituell geprägten (medial unterschiedlich begangenen) Momenten der Rechtsprechung.
1. Fall:
Politische
Programmarbeit
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zur
Unwahrscheinlichkeit
existenzieller Probleme Im Zuge meiner ethnographischen Forschung beobachte ich die kollaborative, abgestimmte Erarbeitung eines Programmpapiers innerhalb einer Oppositionsfraktion über verschiedene sachlich-teilzuständige Abgeordnetenbüros hinweg. Die frühen Versionen beginnen noch wie folgt: „Die BEST Antwort auf die Wirtschafts-, Klima-, Biodiversitäts- und Gerechtigkeitskrise ist der BEST New Deal. Mit ihm wollen wir ein neues Fundament für nachhaltiges Wachstum legen, das Arbeitsplätze und Wohlstand schafft sowie Perspektiven für die nachfolgenden Generationen eröffnet. (…) Der Aufbau regionaler Wirtschaftskreisläufe gibt Menschen die Chance [statt: nimmt sie in die Pflicht!], mit ihrem Engagement und Konsumverhalten Verantwortung für ihre Gemeinde und ihre Region zu übernehmen. Das schafft neues Selbstbewusstsein vor Ort und ist fruchtbarer Boden für ein verstärktes Bürgerengagement und weitere unternehmerische Tätigkeiten.“ Später, nach der Streichung, Relativierung und Zurücksetzung ‚unzumutbarer‘ Forderungen verschwinden schließlich fast auch die Krisen aus dem Papier. Sie werden zu ‚Nebengewinnen‘ herabgestuft und landen von Seite 1 auf Seite 5. In einem Entwurf für ein Nachfolgepapier sind sie schließlich ganz verschwunden. In der Fertigung von PP werden sukzessive Probleme-Maßnahmen-Haltung zu einer Einheit zusammen geführt. Was anfangs noch locker verknüpft wird, erwächst später zur untrennbaren Einheit. Die Aspekte werden entschieden. Meine analytische Frage damals: Verschwindet mit den Maßnahmen auch die Möglichkeit, die Probleme aufrecht zu erhalten? Sind existenzielle Probleme unwahrscheinlich, weil sie sich nicht in schlüssige PP – der Währung des politischen Diskurses – einfügen/abbilden lassen.
Dabei wird politisch – auch im Kontext der Diskussion um das Anthropozän - oftmals die Frage nach der menschlichen Verursachung aufgeworfen. Problembezogen erscheint 2
allerdings die verwandte, aber nicht identische Frage relevanter: Gibt es für uns jenseits der Verursachung Einflussmöglichkeiten? [Sonst wären auch Epidemien kein Thema!]
2. Fall: Eintagesküken - von der Normalität zum Rechtsanspruch Der nächste Fall steht exemplarisch für eine ganze Reihe von Urteilen, die die Anrechte von Produzenten im Zuge politischer sog. „Ausstiege“ oder „Umstiege“ verteidigen. Sei es, weil die Exekutive Kompetenzen nicht einhält, weil eine rechtliche Grundlage für die Eingriffe fehlt oder weil Ansprüche auf eine Praxis erwachsen sind. 20. Mai 2016 „Der 20. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat heute in zwei Verfahren entschieden, dass das Töten männlicher Eintagsküken aus Legehennenrassen in Brütereien nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt. (…)1 Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Tierschutzgesetz erlaube das Töten von Tieren, wenn dafür ein vernünftiger Grund im Sinne des Gesetzes vorliege. Für die von den Kreisen untersagte Tötung männlicher Küken bestehe ein solcher Grund. Zur Feststellung eines vernünftigen Grundes sei eine Abwägung der betroffenen Belange vorzunehmen. Dabei seien ethische Gesichtspunkte des Tierschutzes und menschliche Nutzungsinteressen zu berücksichtigen, ohne dass einem der Belange ein strikter Vorrang zukomme. Die Aufzucht der männlichen Küken der Legelinien stehe im Widerspruch zum erreichten Stand der Hühnerzucht und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Technische Verfahren, um nur noch Eier mit weiblicher DNA auszubrüten, seien noch nicht praxistauglich. Die Aufzucht der ausgebrüteten männlichen Küken aus einer Legehennenrasse sei für die Brütereien mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. Würden diese Küken aufgezogen, seien sie von den Brütereien praktisch nicht zu vermarkten. Ausgewachsene Hähne der Legehennenrassen seien allenfalls ein Produkt für eine kleine Absatznische. Die Tötung der Küken sei daher Teil der Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch. Die wirtschaftliche Gestaltung dieser Verfahren sei für die Brütereien als Erzeuger der Küken unvermeidbar. Hiervon seien auch die für den Tierschutz verantwortlichen staatlichen Stellen über Jahrzehnte hinweg unter Geltung des Tierschutzgesetzes einvernehmlich mit den Brütereien ausgegangen. Das OVG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen kann Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden. 20 A 488/15 (VG Minden 2 K 80/14) Kreis Paderborn Hier heißt es: „Hühner werden in der Geflügelwirtschaft zur Eier- und Fleischerzeugung genutzt. Durch das Ausbrüten von Hühnereiern entstehen je zur Hälfte weibliche und männliche Küken. Da zur Fleischerzeugung ganz überwiegend Tiere aus spezialisierten Fleischrassen eingesetzt werden, werden die männlichen Küken der Legehennenrassen, weil sie zu wenig Fleisch ansetzen, kurz nach dem Schlüpfen getötet. In Deutschland betraf das im Jahr 2012 etwa 45 Millionen männliche Küken. Die Kreise in Nordrhein-Westfalen hatten diese seit Jahrzehnten allgemein übliche Praxis auf Weisung des zuständigen nordrhein-westfälischen Ministeriums untersagt. Der Kreis Gütersloh und der Kreis Paderborn (Beklagte) hatten jeweils gegenüber einem Betreiber von Brütereien in ihrem Kreisgebiet (Kläger) entsprechende Untersagungsverfügungen erlassen. Das Verwaltungsgericht Minden gab den Klagen der Betreiber statt (vgl. Pressemitteilung des VG Minden vom 06.02.2015). Die gegen diese Urteile eingelegten Berufungen der beiden Kreise hat das OVG heute zurückgewiesen.“ 1
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20 A 530/15 (VG Minden 2 K 83/14) Kreis Gütersloh.“2
Interessant an diesem Fall ist, wie die Rechtsprechung die geduldete Normalität aufwertet – und ihr die Weihe der Rechtmäßigkeit, ja des Anspruchs verleiht, die gegen politische Zugriffe verteidigt werden kann. Die Rechtsprechung wird dabei als Abwägung dargelegt, wobei unklar bleibt, welches Gewicht 45 Millionen Küken in derselben zukommt.
3. Fall: Die wuchernde Hauswandbegrünung – oder der vorauseilende Gehorsam! Der dritte Fall ist eigentlich gar keiner. Doch zeigt er, wie rechtliche Relevanz auch zustande kommt. Hier nicht als erfolgte Rechtsprechung, sondern als vorauseilende Einstellung auf eine mögliche, nicht auszuschließende Rechtsprechung. Wieder wird abgewogen. Wieder werden nicht-menschliche Lebensformen als eher leicht befunden, bzw. von anderen (Individual-)Rechten übertrumpft. Hier geht es um die Entfernung einer schönen, dichten, bevölkerten Hauswandbegrünung, um etwaige Schadenersatzansprüche abzuwenden. Dies empfiehlt die Hausverwaltung auf Grundlage eines Rechtsgutachtens, das der Eigentümergemeinschaft des tangierten Nachbarhauses entsprechende Rechte zuerkennt und, noch bevor diese tätig wird/würde, die Entfernung empfiehlt. Hier ein Auszug aus dem Gutachten: „Sofern die Pflanzen auf dem Grundstück der WEG wachsen bzw. die Nachbargebäude auf der Grundstücksgrenze errichtet wurden und Schäden an den Fassaden der Nachbargebäude durch den Pflanzenwuchs entstehen, haben die Eigentümer des betroffenen Nachbargebäudes einen gem. § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1004 BGB bestehenden Anspruch auf Erstattung des Ihnen dadurch entstandenen Schadens.“ Interessant ist, wie hier eine eindeutige Empfehlung pro Entfernung ausgesprochen wird, obwohl dem eine Reihe von Gründen entgegenstehen: etwa die Unbedenklichkeit der dominierenden Schlingpflanze (OLG Düsseldorf) oder, dass der Nachbar sich weder in der Sache regt noch beschwert. Das Gutachten mündet in der Empfehlung eines ‚sicher ist sicher‘ – auch weil in der materiellen Abwägung unterstellt wird, dass eine Entfernung ohne weiteres zumutbar wäre. Es habe „im Hinblick auf die lange Nichtgeltendmachung des Rechts (durch die Nachbarn) keine Vermögensdispositionen“ gegeben. Abgewogen werden hier die Ansprüche und die Kosten der Entfernung. Nicht die Bepflanzung in ihrer Schönheit/Funktion (kühlend, reinigend, Lebensraum, etc.) selbst!
Wichtig ist, mit Blick auf diesen Fall, gar nicht die Rechtsprechung selbst, sondern ihre Antizipation. Diese führt dazu, dass bestimmte Lebensformen unterbunden, entfernt oder getilgt werden. In der vorauseilenden Logik sind Hauswände besser (erst gar)nicht zu bepflanzen, Hecken am Feldrand besser (erst gar)nicht zu setzen, Dorfweiher (erst gar)nicht anzulegen, etc. Etwaige Risiken und Ansprüche können so vermieden werden. Hier sind es rechtlich-aufgeladene „Territorien des Selbst“ (Goffman), die Vermeidungsgebote nahelegen. Ein rechtlich-vermittelter Takt! Wichtig auch für die Frage der Abwägung: Aspekte des Falles implizieren unterschiedliche rechtliche „Accountabilities“ (Garfinkel). Sie sind unterschiedlich sozial verfügbar zu 2
Vgl. auch http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/oberverwaltungsgericht-muenster-kuekenlandwirtschaft-schreddern-massentoetung.
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machen. Das heißt: es zeigen sich unterschiedliche Fähigkeiten, in rechtlich relevante Accounts einzugehen bzw. Berücksichtigung zu finden. Jurist*innen wissen um diese basale Ungleichheit!
Einladung: das Recht von den existenziellen Problemen her denken! Rechtskritik ist heute vor allem Kritik im Namen individueller Freiheiten. Das Recht soll gleich behandeln, soll nicht einschränken, soll Freiheiten garantieren, soll staatliche Zugriffe zurückdrängen. Dies betrifft auch feministische Spielarten der Rechtskritik: denn es geht darum, andere Subjektivitäten auszudrücken, sich neu zu erfinden und in einer Eigenart Anerkennung zu finden. Innere Wahrheiten werden zu sozialen Fakten. Heute sollten wir eine andere Rechtskritik diskutieren: Wir tun dies angesichts existenzieller Probleme. Wir registrieren die Rückkehr existenzieller Probleme in mindestens den folgenden Hinsichten: 1. In der Resonanz und Sorge der Wissenschaften wie der Staatschefs auf globalen Klimagipfeln oder auf Konferenzen zur bedrohten Biodiversität, dass ‚es so nicht weitergeht‘, dass sich Möglichkeitsfenster schließen, die Verwerfungen in den Regionen der Welt im vertretbaren Rahmen zu halten. 2. In den Überlebenskämpfen derer, die von der Auszehrung der natürlichen Lebensgrundlagen betroffen sind3 und die als Umweltflüchtlinge oder als „humanitäre Katastrophen“ (als Darbende, Hungernde, Verdurstende) in Erscheinung treten. 3. In den vielen lokalen, global vernetzten Sozialexperimenten („Earthship“, Ökodörfer) mit alternativen Lebensweisen, die die Knappheit der Ressourcen und die Verletzlichkeit der – auch menschlichen – Lebensformen im Zeitalter des Anthropozäns anerkennen. 4. Anhand der lokalen, regionalen bis globalen Protestbewegungen, die sich den Lebensgrundlagen verschrieben haben – und die als Lobbyisten, Repräsentanten und Anwälte für die in ihrem Überleben bedrohten Existenzen auftreten. Wir fragen uns, angesichts der irritierenden, erschreckenden Rückkehr des Existenziellen: Ist das Recht hier Lösung oder Problem? Wir fragen: Welche Problembearbeitungskapazität hat das Recht, wie ist diese bedingt und wie lassen sich neue Kapazitäten mobilisieren? Ich will im Folgenden mögliche Präferenzstrukturen eines Relevanzen produzierenden Apparats4 behandeln. Sie fungieren als heuristische Hypothesen, also Behauptungen, die einen genaueren, kontra-intuitiven Blick auf die Rechtspraxis stimulieren.
Was sind existenzielle Probleme? Zunächst aber steht diese Klärung an: was meinen existenzielle Probleme? Nehmen wir den 1. obigen Fall. Die im Positionspapier genannte „Klimakrise“ und „Biodiversitätskrise“ sind 3
Vgl. Kirsten Hastrup mit ihrem „waterworlds“ Projekt.
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Hier gibt es Parallelen zu Latours „Existenzweise des Rechts“, die allerdings danach fragt, wie etwas rechtlich existiert. Die Frage nach der rechtlichen Relevanz fokussiert auf die je eigenen rechtlichen Geltungsansprüche, die über mitgliedschaftskategoriale Anrechte/Pflichten und hier wiederum durch Accounts inklusive der „category-bound activities“ getragen sind. Vgl. Harvey Sacks‘ Darstellung seiner „Membership Categorization Analysis“ in den „Lectures“.
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wohl Paradebeispiele für zunehmend virulente, existenzielle Probleme. Sie tangieren mittelbar und unmittelbar auch die menschliche Existenz.5 Existentielle Probleme sind: -
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vital: sie betreffen Fragen von Leben und Tod, von „Sterben lassen“ (Foucault), bedrohen verschiedenste Lebewesen, Lebensweisen, Lebensformen. dringlich: sie transportieren „points of no return“, Kipp- und Dominoeffekte, Möglichkeitsfenster basal: sie lassen fraglich werden, was sonst im Alltag, in unseren Lebenswelten, in den verschiedenen Institutionen und Kollektiven als selbstverständlich immer schon vorausgesetzt wird. transnational: sie machen an politischen Grenzen nicht halt; sie kennen kein Außen/Innen; sie sind relational und dynamisch. Sie erzwingen bisher ungeahnte Bemühungen um globale Kooperation.6 reflexiv: sie sind nicht nur selbstverstärkend, sondern tangieren – je nach Problemexpansion - mittelbar und unmittelbar die Problemlösungskapazitäten, also wiederum die individuellen bis kollektiven und staatlichen Fähigkeiten, Probleme zu bearbeiten. emergent: Die existentiellen Probleme zeitigen nicht nur weitreichende, schwer kalkulierbare Effekte. Sie sind auch in ihrer Substanz schwer zu erfassen. Problematisierungen sind entsprechend nie erschöpfend. Sie korrespondieren wiederum eng mit der jeweiligen Problembearbeitungskapazität.
Von existentiellen Problemen auszugehen suspendiert nicht den Sozialkonstruktivismus. Geleugnet wird nicht, dass Problematisierungen politisch und kulturell geprägt und voraussetzungsvoll sind. Mit unserem Startpunkt weigern wir uns allerdings, die Probleme – wie immer sich seine komplexe Eigenorganisation genau gestaltet – an sich zu Disposition zu stellen. Die Probleme – der Klimaerwärmung, des Artenschwunds, der Epidemien, etc. gibt es, wie auch sie kulturell oder systemisch benannt oder nicht benannt werden. Wir rechnen damit, dass unsere Accounts zwar auf etwas ‚dort draußen‘ referieren, dieses aber nicht in Gänze zu fassen vermögen. Existentielle Probleme waren, zumindest in den modernen, prosperierenden Stabilitätszonen weitgehend unter Kontrolle: gepuffert, ausgeklammert, in Schach gehalten. In den Stabilitätszonen griffen und greifen umfassende medizinische, technologische, wohlfahrtsstaatliche, etc. Infrastrukturen7, die derlei Probleme präventieren oder, im Falle des Falles, reparieren. Wir können davon ausgehen, dass unsere heutigen Apparate-inAktion – des Rechts (z.B. Gerichte, Verfahren und Verträge), der Bürokratie (z.B. Stäbe, Aktenverkehr, Archive), der Politik (z.B. Parlamente, Debatten, Parteien), der Ökonomie (z.B. Märkte, Bilanzen, Handel), etc. – durchaus mal auf spezifische existentielle Probleme gerichtet waren und auch noch sind.
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Etwa durch Hungersnöte, Dürren, Überflutungen, Erdrutsche, Waldbrände, Pandemien, etc.
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Vgl. Ulrich Becks‘ „Weltinnenpolitik“.
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Vgl. hierzu das Impfsystem, die Wasserversorgung, die angesprochene Lebensmittelversorgung, etc., die heute gar nicht mehr als ‚existenziell‘ behandelt werden, sondern zumeist unter Kosten- oder Qualitätsaspekten.
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Die existenziellen Probleme in der modernen Gesellschaft In modernen Gesellschaften sind existenzielle Probleme nicht verschwunden, wohl aber – für Viele - mehr oder weniger kontrolliert, eingehegt. Sie sind in der arbeitsteiligen Gesellschaft gepuffert, vertagt, teils gar überwunden (bezogen auf bestimmte, vormals tödliche Ansteckungen). Sie sind, als Ausdruck ökologische Krisen, nur scheinbar von sozialen Fragen abgekoppelt. Tatsächlich radikalisieren sie die soziale Frage, weil sie die Grundversorgung insbesondere der Armen mit ‚(Über-)Lebensmitteln‘ betreffen. Sie treten heute auch „bei uns“ (in Deutschland, der EU, dem Westen) wieder auf, so als seien vermehrt reproduktive, natürliche Puffer aufgebraucht, erschöpft. Mit den Knappheiten an ‚(Über)Lebensmitteln‘ wächst der Druck auf die funktionale Differenzierung: das selbstbezügliche, generelle „l’art pour l’art“ gerät unter Entdifferenzierung-Druck. Derart heimgesuchte, konfrontierte Gesellschaften tendieren dann vermehrt Richtung einer übergreifenden Mobilisierung, um existenzielles Unheil abzuwenden.8 Die Problem-induzierte Tendenz zur Entdifferenzierung ruft Widerstand hervor: hier die Neigung, die existenziellen Probleme als ideologischen Angriff auf „unsere freiheitliche Grundordnung“ zu bekämpfen. Die Probleme werden dann nicht etwa bearbeitet, sondern geleugnet. Zugespitzt läßt sich formulieren: im überformten demokratischen Glauben lassen sich (vermeintlich) nicht nur Maßnahmen und Haltungen wählen, sondern auch die Probleme. So als könne sich der Souverän, das Volk und seine Regierung, ‚seine‘ Probleme aussuchen – oder diese auch abwählen. Die Leugnung des Klimawandels ist extremer Ausdruck dieses Glaubens.9 Ein lösungsorientiertes, innovierendes Regieren würde sich demgegenüber auch solchen Problemen zuwenden, die als wenig kompatibel mit vorhandenen staatlichen und/oder kulturellen Kapazitäten erscheinen.
Recht als bedingter Apparat zur Produktion rechtlicher Relevanz Wie bezieht sich die folgende Betrachtung auf das Recht oder das Rechtliche? Offenbar geht es nicht (nur) um die Summe rechtlicher Normen. Offenbar geht es auch nicht nur um die rechtlichen Professionen. Die Betrachtung geht vielmehr aus vom Rechtsapparat-in-Aktion: der weit verzweigte Rechtsbetrieb mit seiner eigenen, bedingten Problembearbeitungskapazität. „Bedingt“ meint hier: (a) unter je historischen Bedingungen10; (b) je ausgestattet mit Dingen bzw. Produktionsmitteln11; 8
Latour spricht vom Klima-Krieg. Manche Maßnahmen, die in jetzt schon betroffenen Regionen ergriffen werden, ähneln einer post-liberalen Mangelwirtschaft.
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Vgl. dazu auch so unterschiedliche Autor*innen wie Naomi Klein oder Bruno Latour.
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Das heißt auch, auf womöglich früher virulente existenzielle Probleme ausgerichtet und eingestellt.
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Teil der Ressourcen sind das geschriebene Recht, Verfahrensweisen, Archive von Dokumenten oder auch die symbolträchtigen Orte der Gerichte und Amtsstuben. Teil dieser Bedingungen sind aber auch tradierte Normalitäten, Medien, die Normalsprache, „Membership Category Devisces (MCDs)“ (Sacks), kulturelle Deutungsmuster, etc.
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(c) auf die Fertigung bestimmter Dinge spezialisiert12. Das Recht meint hier also eine beschränkt-produktive Ganzheit, der als wirksamer Zusammenhang alles/jedes verrechtlicht. Hervorgebracht wird fortwährend eine Rechtswirklichkeit, die dabei auch noch die vielen alltäglichen ‚quasi-rechtlichen‘ Antizipationen einschließt: das Rechnen mit der Rechtsprechung – oder den Chancen einer bestimmten Rechtsprechung. Dies gelingt in der Zusammenstellung und Arbeitsteilung von Verfahren, die wiederum aufeinander verwiesen sind. Sie bilden zusammen eine komplexe Apparatur. Diskursapparate als eine komplexe, halbwegs integrierte Apparatur umfassen institutionelle, materiell-praktische und diskursive Aspekte.13 Die Zusammenstellung von Apparaten zu einer Ganzheit offeriert eine Problembearbeitungskapazität, von der wir uns angesichts von Krisen viel erhoffen, versprechen, erwarten.14 Die Problembearbeitungskapazität erschließen wir konkret im Lichte bestimmter Probleme und ihrer Aufarbeitung. Im Zentrum der Rechtspraxis steht dabei zunächst die Schöpfung von Urteilsvermögen: der gleichzeitigen Zusammenführung von entscheidbaren Sachverhalten, anwendbaren Normen und angemessenen Konsequenzen. Die Kapazität erschließt sich anhand des je konkreten Operierens der Apparatur von Fall zu Fall.
Der Fluchtpunkt des Betriebs: die generalisierte Form der Rechtsprechung Der Rechtsapparat produziert Relevanzen nicht allein mittels Normen. Die Normen stellen nur einen allgemeinen Ausgangspunkt und eine gezielt veränderbare Ausstattung dar. Normen stehen zur Relevanzproduktion von Fall zu Fall zur Verfügung. Die Normen schöpfen rechtliche Relevanz erst da, wo sie eine Einheit mit einem spezifisch gefassten Sachverhalt und der Fall bezogenen Konsequenz bilden. Alle drei Elemente sind im Fall singulär und vergleichbar; sie gehen ineinander auf. In der trans-sequentiellen Fabrikation rechtlicher Relevanz, im Zuge also der Erarbeitung solcher Diskursbeiträge, werden die obligatorischen Elemente aneinander geschliffen und integriert. Was wird im Zuge der rechtlichen Relevanzproduktion also angefertigt? Anwaltsbüros, Richterstuben, Gerichte, Verwaltungen, Bürger*innen, etc. schöpfen und relationieren die drei Komponenten zum Fall: Sachverhalt-Norm-Konsequenz. Erst diese Trias macht Recht hier/jetzt mit Blick auf eine allgemeine gesellschaftliche Anerkennung bzw. Bindekraft relevant. Sie bezieht Rechtsnormen auf diesen/so einen Gegenstand – mit diesen Konsequenzen. Die Normen gewinnen Kontur/verlieren ihre interpretative Offenheit im Gebrauch. Ein instrumenteller Charakter des Rechts ist dabei nicht Zumutung einer problem-orientierten Betrachtung, wie dies mit einem zu engen Bezug auf seine Selbstreferenz geschlossen werden könnte, sondern ist in der Leitwährung rechtlicher 12
Ein Apparat ist in bestimmter Weise gestimmt, d.h. es entwickelt sich ein praktisches Repertoire für anfallende Fälle, Methoden und Techniken, eine Methodologie. Der Apparat wird gut für bestimmte Fälle, weniger gut für andere. Er ist erfahren oder unerfahren, wendig oder starr bezogen auf die Problemstellung.
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Ich vermeide den Begriff „Dispositiv“, weil dieser in der Foucault Rezeption zu einseitig organisierte und ausgestattete Machtstrategien zuungunsten praktisch-situierter Bedingtheiten und Methoden betont.
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So setzt Habermas sehr viel Hoffnung in die immer auch moralische Gehalte vermittelnden Rechtsdiskurse als einer hochentwickelten, überaus potenten Kulturtechnik.
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Relevanz eingebaut: über die Sachverhalte (deviante Handlungen, die die Ordnung/Allgemeinheit stören), die Konsequenz (zur Einhegung solcher Fehlentwicklungen) und den Normen (zur Regulierung/zum Schutz von Anrechten) Die so geschöpfte Relevanz ergibt je allgemein gültige ‚Ent-Scheidungen‘ bis auf weiteres: einen Moment, in dem die drei Komponenten tatsächlich eine Identität bilden. Die Falldarstellung besagt: in dieser Sache konnte nur so und nicht anders geurteilt werden. In den weitläufigen Rechtsdiskursen sind es diese integrierten Fälle bzw. Werte, die erinnert, angeknüpft, fortgeschrieben werden. Das Recht wird relevant, indem es sich in die kulturelle Lebensführung einwebt, sich an diese anschmiegt – und behutsam korrigiert.
Die Methodologie des Rechtsbetriebs Wie genau dieses von Fall zu Fall geleistet wird, mit welchen Methoden und mit welchen Präferenzstrukturen, ist Bezugspunkt ethnomethodologischer „Studies of Work“. Aus dieser – die Methoden des regelmäßigen Vollzugs/Betriebs rekonstruierenden - Perspektive lassen sich vorherrschende, praktische Tendenzen identifizieren. Es geht um Tendenzen, die vermittelt werden durch die Art und Weise situierte, typisierte Probleme methodisch kleinzuarbeiten, trotz aller Unklarheiten in jedem Fall zur Entscheidung zu kommen, hier/jetzt Zug-um-Zug weiterzumachen, immer wieder eine Entscheidbarkeit herzustellen. Der Rechtsbetrieb folgt einem methodologischen Individualismus. Er fungiert quasi als Betriebssystem des Rechts, als seine angewandte Sozialtheorie. Wesentliche Methoden der Fallherstellung – einen Sachverhalt zu bauen, Normen anzuwenden, Konsequenzen zu ziehen – sind tief in der Weberianischen Handlungstheorie verwurzelt (und umgekehrt!). Vorkommnisse werden aus der Warte eines methodologischen Individualismus sozial verfügbar gemacht. Dies umfasst die tangierten Rechte, die zugeschriebenen Akte, die Verantwortlichkeit, die Strafzumessung, etc. Diese Methodologie wirkt auch noch dort, wo Unternehmen, Konzerne, Verbände, etc. analog zu Individuen konzipiert werden. Die Rechtspraktiker*innen überführen Vorkommnisse in die Schemata des methodologischen Individualismus – und schöpfen so Urteilsvermögen.15 Andere Methodologien – die des Situationismus oder Kollektivismus – bilden den Hintergrund, der die Silhouette der Taten und Täter erst hervortreten läßt, oder auch zum Verschwinden bringt.
Die gewordene Gestimmtheit des heutigen Rechts Ausgehend von den existenziellen Problemen fragen wir nach der Problembearbeitungskapazität des Rechtsbetriebs bzw. seinen Apparaten. Wie vermittelt die Form der Rechtsprechung eine gewordene Eingestelltheit des Rechts? Wie ist die Kapazität heute bedingt?
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Neurowissenschaftliche Versuche, diese generelle Herangehensweise zu irritieren oder gar abzulösen, sind kolossal gescheitert, weil sie die praktischen Anforderungen der Rechtsprechung nicht realisieren.
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1. Tendenz: Das Gewicht der Individualrechte Die oben genannten Beispiele lassen erahnen, wie das Soziale mit allerlei Rechtsansprüchen belegt und durchzogen ist. Es sind Potentiale und Aufladungen, die hier Objekte wie Subjekte rechtlich auf- oder abwerten. Im Alltag wirken diese Belegungen über den eigentlichen Rechtsbetrieb hinaus. Derart gewertet und adressiert genießen Mitglieder Rechte, die zugleich begrenzt sind durch Rechte Anderer. Es erwächst immer wieder neu „die Sakralität der Person“ (Joas), vermeintlich autonome „Quasi-Subjekt“ (Latour). Auf dieser Grundlage vollzieht sich der soziale Verkehr mit Vorsichten und Rücksichten. Goffman spricht von „Territorien des Selbst“, die allerlei Anrechte mit sich führen – und konfligieren können. Die rechtlich-abgesicherte „Sakralität der Person“ gewährt Freiräume zur Lebensführung, und zwar auch noch dort, wo diese auf Andere/s zerstörerisch wirkt. Etwa auf (die Rechte der) Hühner, Pflanzen, dem Klima. Diese Freigaben werden als rechtliche Abwägungen begründet. Die Gestimmtheit des Rechts zeigt sich in den Gewichten, die jeweils in die Abwägung eingehen. Für leicht befunden werden ‚Ideen‘ einer klimafreundlichen Stadt, von Lebensräumen für Wildtiere, etc. Die Gewichte schwinden womöglich, je weiter sich etwas von den Individualrechten und Eigentumsrechten16 entfernt. Ein humanistisches Anerkennungsregime! Das Beispiel der massenhaft geschredderten Hühnerküken läßt das Maß der Abwägung erahnen. Das gewährte Recht auf das Führen eines Wirtschaftsbetriebs zur marktgerechten Lebensmittelversorgung hier und ein bloß abstrakter Tierschutz dort. Beide Seiten der Abwägung sind offenbar nicht in gleicher Weise gewichtig. Sie verfügen nicht über die gleiche rechtliche „accountability“ (Garfinkel).
2. Tendenz: Die unproblematische Normalität Das Recht hat eine Präferenz für Devianz. Am devianten Sachverhalt wird sie tätig – und führt gerade dort dem Publikum die bindende Norm vor. Diese Präferenz unterbindet nicht jegliche Zerstörung: Nehmen wir unseren eigenen ökologischen Fußabdruck. Meine Lebensweise entfaltet ihre Zerstörungskraft. Sie setzt sich allerdings zusammen aus jeweils normale, legale Praktiken. Ja mehr noch: ich habe jeweils das gute Recht, es so zu machen: zu pendeln, eine kleine Zweitwohnung zu unterhalten, gelegentlich Fleisch zu verzehren, mir dies und das zu kaufen, etc. Die Maske errechnet für mich diese rechtlich gedeckte Zerstörungskraft: Mit meinem Lebensstil hochgerechnet auf die Weltbevölkerung benötigten wir 3,8 Erden. (5,6 im dt. Schnitt; 2,2 auf Weltniveau)
Bemerkenswert ist, dass derlei nicht als Übertretung rechtlich relevant wird. Die hier praktizierte Zerstörung von Leben(sgrundlagen) entgehen dem Zugriff des Rechts als einzuschränkende oder zu bestrafende Sachverhalte. Denn sie fassen hier keine: zuschreibbare und zugleich deviante und zugleich die Rechte anderer verletzende Handlungen. Ich gehe straffrei aus, weil ich Dinge tue, die alle immer tun (dürfen) – und 16
Vgl. hier Marx zum Holzdiebstahlgesetz und dem Recht auf Fall-Holz für Jedermann in Abwägung mit dem Recht auf die Nutzung des Wald-Eigentums.
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weil diese Dinge nicht als gegen bestimmte Andere gerichtet gewertet werden. Nicht das Ausmaß der Zerstörung, sondern seine Zurechnung, Gerichtetheit und Motiviertheit werden primär gewürdigt. Der Autofahrer fährt Auto; die Passagier sitzt im Flugzeug – Kategorien, KategorienKollektionen sowie Kategorien-gebundene Eigenschaften bezeugen eine Normalität. Nehmen wir des Weiteren diese Beispiele: das Baby weint und die Mutter nimmt es hoch; der Betrieb produziert und nutzt dazu Nutztiere; Pflanzen wuchern und Gärtner halten sie in Schach. Kategorien-Kollektionen-Aktivitäten ergeben eine Passung des Erwarteten, Erwartbaren, zu Erwartenden. Sie bewegen sich im Rahmen von Kategorien-gebundenen Anrechten/Pflichten. Neben den Normen vermitteln die Kategorien soziale Kognition: Es soll/muss hier nicht alles hinterfragt werden. Nicht der alltägliche Lebenswandel! „Modifier“ (z.B. eingeleitet durch „aber“ oder „doch“) können Abweichungen von der naheliegenden Erwartung anzeigen: die Mutter, die das Kind weinen läßt; Hühner, die weiter leben; Kletterpflanzen, die man wachsen läßt. Oder auch: eine vorverurteilte Kategorie, die „es hier aber nicht getan hat!“ All diese Abweichungen sind nicht neutral. Sie tangieren wiederum etablierte Rechte und Ansprüche. Sie zeigen Übertretungen einer, wie Durkheim es nennt, „organischen Solidarität“ an, die - nicht mehr auf Gleichheit/Uniformität, wohl aber - auf die reziproke Anerkennung der Rechte von Individuen zielt. Oder sie unterbrechen die Schlussfolgerung, weil sich jemand – obwohl „so einer“ - hier nicht wie schon erwartet verhält. In dieser Weise ist eine nahe-/fernliegende rechtliche Wertung im „Account“ angelegt, vorbereitet, bzw. ermöglicht.
3. Tendenz: Multiplizierung der Individualrechte Die Gesellschaftsmitglieder genießen Rechten und unterliegen Pflichten nicht in Gänze, sondern immer entlang kategorialer Bestimmungen: als Verbraucher*in, Kunde*in, Eigentümer*in, Elternteil, Angestellte*r, Bürger*in, etc.. Die Kategorisierungen werden an Rechte/Pflichten gebunden, die – ähnlich wie die erwarteten „category-bound activities“ – kulturell, im Rahmen von Mitgliedschaftskollektionen vermittelt sind. Engpässe, Knappheiten, Widersprüche, Kollisionen, Anrechte, etc. werden unter je spezifischen mitgliedschaftskategorialen Gesichtspunkten behandelt. Es kann die Illusion gehegt werden, dass sich – trotz der Gesamtlage – immer wieder individuelle Interessenausgleiche und Kompensationen finden lassen. Eine Konfrontation mit der Gesamtproblematik kann von Fall zu Fall vermieden werden. So bleiben die Verhältnisse bearbeitbar; das Versprechen der Individualrechte kann weiter genährt werden. Die Lebensführung selbst ist einerseits von dieser Vervielfältigung der Rechte/PflichtenPakete getragen und bleibt andererseits durch diese rechtlich nicht-thematisch. Keine Instanz, kein Fall, kein Moment, wo diese Ganzheit rechtlich aufgeworfen wird. In dieser Weise häufen sich die gelebten, kategorialen Anrechte auf zu einer Lebensführung, die selbst nicht als Account oder Sachverhalt rechtlich relevant gemacht wird bzw. reguliert werden soll/kann. Der ökologische Fußabdruck ist keine rechtliche Bestimmung.
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4. Tendenz: Die rechtlich schwer abbildbaren Handlungsketten Wie bei dem ökologischen Fußabdruck erwachsen die existenziellen Probleme nur im geringen Teil durch deviantes, abnormales Verhalten. Es geht nicht primär um Verbrechen, Normübertretung, Rechtsbrüche. Die existenziellen Probleme erwachsen im Normalbetrieb unserer Häuser, Fahrzeuge, Einkäufe, Industrien, Feste, Urlaube, etc. Es geht dabei um die sich aufschichtenden Effekte normaler Lebensführungen, die in ihrer Gesamtheit (Selbst-)zerstörerische Wirkung entfalten. Das Individuum ist mit seinen Taten nur in homöopathischen Dosen am ‚Verbrechen‘ beteiligt. Gleichzeitig gibt es nicht eine rechtlich operationalisierbare Kollektivschuld. Das Individuum ist in seinen Taten vielmehr generell vom Kollektiv geschützt.17 Derlei Probleme treten schon zutage, wenn es um das organisierte Verbrechen geht, um Bandenkriminalität oder um Massenprügeleien. In der Masse verliert sich die rechtlich zuschreibbare Schuld. Unser Recht präferiert die individuelle Tat und dispräferiert kollektive Aktionen. Sie befördert damit leicht die organisierte Unverantwortlichkeit.
5. Tendenz: Rechteschöpfung per Tradierung Die Normalität, die bloße Wiederholung, die Hinnahme derselben generiert Rechte. Es erwachsen Ansprüche gegen die Allgemeinheit oder den Staat. In dieser Weise bremst das Recht (etwa die Politik), erschwert es die soziale Innovation, wo man sich berufen kann auf einmal gewährte Rechte. In dieser Weise schöpfen Akteure Anrechte im laufenden, ungestörten, gewährten Vollzug. Es erwächst so eine ganz eigene Tendenz oder Präferenzstruktur des Rechts. Die etablierte staatliche Hinnahme droht immer wieder eine gegenwärtig-geforderte Problembearbeitung zu überwuchern. Die Geschichte/Tradition reicht in der Form von erworbenen Anrechten in die Gegenwart hinein. Nehmen wir den Fall der Küken: Die Tatsache, dass eine Praxis von den Ordnungsbehörden hingenommen wurde, erschwert im Weiteren die Eingriffe des Landesministeriums.
Es erwachsen dauernd und ‚schleichend‘ Rechtstitel, die erst aktiv ausgeräumt oder übertrumpft werden müssen. Das Bisherige belagert die aktuellen Anforderungen. Die Wiederkehr des Existenziellen und ein Ausstieg/Umstieg fällt in ein Feld gewordener Ansprüche: allerorten.18
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Nicht einmal im Verhältnis der Staaten gibt es diese Kollektivschuld. Eine Bevölkerung kann nicht, durch ihre Handlungsaggregate gegen Rechte verstoßen. Allerdings können Staaten die kollektiven Handlungen außer Acht lassen, ihrer Regulationspflicht nicht nachkommen, Standards unterschreiten, etc. Aber all das ist kompliziert, schwer durchzusetzen und rechtlich dispräferiert.
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Machtvolle Komponente sind hier die getätigten Investitionen, die nicht ohne weiteres – per Handstreich entwertet werden dürfen. Sie sind geschützte Anrechte auf eine Fortführung dessen, was bislang galt/war.
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6. Tendenz: Die Unterstellung rechtlicher Regulierung Die Mitglieder rechnen – als Klienten, Kunden, Konsumenten, etc. - mit erfolgter Rechtsnormierung für fast alles. Umso prägender ist das Ausbleiben einer Normierung oder die Wirkung einer eher beiläufigen Normierung/Prüfung. Das nicht Verbotene gewinnt eine eigene positive Qualität. Sie wird legitimer Anspruch einer individuellen Lebensführung. Was hingenommen wird, nicht verboten wird, ist legal und gerinnt zum Recht. „Warum, das ist doch nicht verboten!“ ist alltagssprachlicher Ausdruck dessen. Dieser Ausdruck operiert mit einer allgemeinen Illusion: dass hier tatsächlich substantiell geprüft, Risiken gebannt, Folgen kontrolliert werden. Was genau geprüft wird, ist unklar. Ein Beispiel: auf den Markt kommen Einmal-Elektro-Zigaretten oder Cremes mit Plastikpartikel. Die Produkte sind zugelassen, können käuflich erworben werden, sind rechtens. Konsumenten haben das Recht, sie kaufen zu können. Und müssen doch erkennen, dass sie mit legalen Produkten, Schaden anrichten, der nicht überblickt oder nicht kontrolliert wurde.
7. Tendenz: Eine Kultur des Aufschubs Das Recht fungiert als großes Versprechen. Es gilt als Apparat mit Problembearbeitungskapazität, die zwar noch nicht jetzt, aber in der Zukunft greift. Rechtswissenschaftlicher machen geltend, dass die genannten Tendenzen rechtlich behoben werden können, dass es lediglich guter neuer Normen bedarf, um all das zu reparieren. Das Recht ist, ähnlich der Politik, Hort so einer idealen Potentialität – und gilt im Lichte dessen, schon jetzt als unbedingt erhaltenswert, ja unantastbar. Entsprechend kann die Instrumentalisierung im Sinne von Problembearbeitungen, die Moralisierung, die politischen Anfragen, etc. als kontraproduktiv erscheinen. Sie unterminieren das Wesen des effektiven Rechts. Der Aufschub und die gepflegte Potentialität liegen quer zur Dringlichkeit, zu den sich schließenden Möglichkeitsfenstern. Sie offerieren Zeit, die es nicht gibt, Puffer, die aufgebraucht sind. Sie vertrösten – und genieren in der Zwischenzeit neue Anrechte qua Hinnahme des Status Quo. Die Illusion des Aufschubs hängt nicht nur mit dieser beiläufigen Rechtschöpfung zusammen. Sie hängt auch zusammen mit der Vorstellung einem möglichen Überschreiben. So als ließe sich neue, ideale Regeln finden, die das Alte tilgt. Rechtliche Relevanzen treffen allerdings immer auf ein Feld schon bestehender Relevanzen, inklusive derer die vorrechtlicher Natur sind, wie die Tradition oder die Gewohnheit.
Fazit All diese Tendenzen des Rechtsbetriebs gewinnen nicht nur ihre Brisanz, weil sie und insofern sie die existenziellen Probleme ausklammern. Sie gewinnen ihre eigentliche Brisanz, weil sie und wo sie unter Ausblendung der existenziellen Dimension unser tradiertes Tun zum individuellen Anrecht auf die Auszehrung der Lebensgrundlagen, der (Über)Lebensmittel erheben. Immer dort, wo sich diese Präferenzstruktur Bahn bricht, muss das Recht als Teil des Problems gelten. Es ist dann die rechtliche Relevanz, die eine Lebensführung absichert, imprägniert, verteidigt – selbst und gerade gegenüber Zugriffen 13
der Politik. Mit den allseitigen rechtlichen Belegungen werden existentiellen Probleme, bzw. deren Bearbeitung, tatsächlich unwahrscheinlich. Die Tendenzen des Rechts wirken auch dort, wo mit der Regulation von Objekten, Märkten und Infrastrukturen wiederum Problembearbeitungskapazität geschöpft wird. Rechtliche Relevanz erwirkt dann Beschränkungen der Regulation, Ausgleichszahlungen, Ausnahmen, Übergangszeiten, etc., die die überfällige Nachsteuerung mit all den gewordenen Anrechten versöhnen soll. Sie unterstellt, dass existenzielle Probleme sich wie andere Verteilungsfragen ver-/behandeln lassen. Die Problembearbeitungskapazitäten sind so immer schon bedingt, insofern der Apparat auf andere Problemlagen eingestellt ist.
Ausblick: Zur Bedingtheit des Rechts als Apparatur Ich habe angedeutet, in welchen Hinsichten die gesellschaftliche Produktion rechtlicher Relevanz, bestimmte Präferenzstrukturen herausbildet. Letztere deuten den Aufwand an, der zu betreiben ist, um das Recht angesichts existentieller Probleme zur Wirkung zu bringen. Mit dem Wert-Zeichen des Rechts, der Einheit von Sachverhalt-Norm-Konsequenz, wurde außerdem die kulturelle Rückbindung und Einbettung rechtlicher Relevanz begründet. Die Relevanz ist nicht etwa abgekoppelt oder autonom, sondern insbesondere über den Sachverhalt notwendig in die kulturelle Lebensführung und ihre Legitimationen eingelassen. Doch die Prägekraft geht weiter. Es ist gerade die rechtliche Würdigung, die der Lebensführung die Weihen der Rechtmäßigkeit und der Anrechte verleiht: ‚So machen wir das immer/weiterhin!‘ Das Recht zeitigt dort eine sekundäre, aber womöglich vorherrschende Prägekraft, wo man den mit Mitgliedschaftskategorien bezeichneten Individuen jeweils Rechte/Pflichten anhängt. Es wird darüber hinaus alles zugestanden, was nicht verboten ist. Ein tückischer Mechanismus der Relevanzproduktion greift noch darüber hinaus: das Nicht-Verbotene, Hingenommene, Geduldete gerinnt zum ‚guten Recht‘. All dies kann unter spezifisch historischen Bedingungen, hier den sich vervielfältigenden, sich zuspitzenden Krisen unserer „ways of life“, zu Einschränkungen des Rechts als Steuerungsmittel führen. Das Recht ist dann nur bedingt fähig, im Hin und Her mit der Politik, der Wissenschaft oder der Ökonomie, die destruktive Wucht der dominierenden, normalen Lebensweise/n zu beschränken und diese an die existenziellen Anforderungen (neu) auszurichten. Rechtliche Relevanz wird dann zu Beharrungskraft. Es schützt überkommene Lebensweisen gegenüber politischen Zugriffen; es blockiert Problembearbeitungen. Zukünftige interdisziplinäre Rechtsforschungen sollten sich auf diese bedingten Kapazitäten des Rechts zur Bearbeitung existenzieller Probleme richten. Wie könnte ein Rechtsbetrieb arbeiten, der die existenziellen Probleme realisiert? Wäre so ein Recht überhaupt durchsetzbar? Wie würde es aussehen, wenn das Recht die existenziellen Probleme als solche anerkennt? Womöglich ist es für unsere Rechtsapparate-in-Aktion konstitutiv, dass sie Probleme gerade nicht als existentielle Probleme behandeln (können).
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Report "Die Produktion rechtlicher Relevanz angesichts existenzieller Probleme "