Das Titelblatt zum ersten Band des Sprachrohrs der Mailänder Aufklärung Il Caffè
DAS
ACHTZEHNTE JAHRHUNDERT Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts
Illuminismo – jenseits von Aufklärung und Gegenaufklärung Zusammengestellt von Erna Fiorentini und Jörn Steigerwald
Herausgegeben vom Vorstand der Gesellschaft Geschäftsführung: Carsten Zelle
jahrgang 38
•
heft 2 • wolfenbüttel 2014 wallstein verlag
Abbildungsnachweis: Das Frontispiz zeigt das Titelblatt zum ersten Band der Mailänder Aufklärungszeitschrift Il Caffè (1764). S. 235 zeigt das Titelblatt zum zweiten Band (1765).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Inhalt Aus der Arbeit der Deutschen Gesellschaft Zu diesem Heft (Carsten Zelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bündnisse. Politische und intellektuelle Allianzen im Jahrhundert der Aufklärung. Gemeinsame Tagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts (DGEJ) und der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts (ÖGE 18). Regensburg, 15.-17. September 2014. Tagungsbericht (Daniela Ringkamp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . América del Sur y el Movimiento Ilustrado. Congreso Internacional der Argentinischen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhundert, Buenos Aires, Biblioteca Nacional, 9.-11. April 2014. Tagungsbericht (Hans-Jürgen Lüsebrink) . . . . .
Illuminismo – jenseits von Aufklärung und Gegenaufklärung Zusammengestellt von Erna Fiorentini und Jörn Steigerwald Erna Fiorentini, Jörn Steigerwald: Illuminismo als Region der Aufklärung – zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Cavarzere: Enlightened Narratives in the National Context. The Historiography of Italian Illuminismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Schlüter: Kein Ort, nirgends – Aporien frühaufklärerischer Kritik bei Radicati di Passerano . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vincenzo Ferrone: Der ›Verteidiger der Menschheit‹. Cesare Beccaria, die italienische Aufklärung und die Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silvia Contarini: Die Polemik gegen den ›Abus des mots‹ in Il Caffè . . . . . . . Jörn Steigerwald: Haus-Frauen: Familie, Sexualität und Verwandtschaft in Carlo Goldonis La donna di maneggio und Carlo Gozzis La donna serpente . . . . . Barbara Kuhn: Spielerische Aufklärung oder Spiel mit der Aufklärung? »Lascio la decisione all’illuminato Lettore« – Francesco Gritti: La mia istoria, Venezia 1767/68 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus der Forschung Federica La Manna: Zur Differenz zwischen Hoffmann und Stahl in der Medizin der Frühaufklärung – zwei italienische Monographien . . . . . . . . . . . . Andreas Gipper über Francesco Algarotti: Dialoge über die Optik Newtons. Hg., übers. und kommentiert von Hans W. Schumacher (2012) . . . . . . . . . . Nicola Kaminski über Hedwig Pompe: Famas Medium. Zur Theorie der Zeitung in Deutschland zwischen dem 17. und dem mittleren 19. Jahrhundert (2012) . Martin Rector über Jean-Marie Valentin: Poétique et critique dramatique. La Dramaturgie de Hambourg (1769) de G. E. Lessing (2013) . . . . . . . . . .
133
Sascha Weber über Christoph Bultmann: Bibelrezeption in der Aufklärung (2012) Philipp Theisohn über Nicola Kaminski, Benjamin Kozlowski, Tim Ontrup, Nora Ramtke, Jennifer Wagner: Original-Plagiat. Peter Marteaus Unpartheyisches Bedenken über den unbefugten Nachdruck von 1742. Quellenkritische Edition und Kommentar (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Fleischer über Leibniz und die Aufklärungskultur. Hg. Alexander Košenina, Wenchao Li (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Eibach über Europa in der Schweiz. Grenzüberschreitender Kulturaustausch im 18. Jahrhundert. Hg. Heidi Eisenhut, Anett Lütteken, Carsten Zelle (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gina-Fani Cantarero Fernandez über Niels Wiecker: Der iberische Atlantikhandel. Schiffsverkehr zwischen Spanien, Portugal und Iberoamerika, 1700-1800 (2012) Gérard Laudin über Marianne Schröter: Aufklärung durch Historisierung. Johann Salomo Semlers Hermeneutik des Christentums (2012) . . . . . . . . . . . . Anna Christina Schütz über Jasmin Schäfer: Das Bild als Erzieher: Daniel Nikolaus Chodowieckis Kinder- und Jugendbuchillustrationen in Johann Bernhard Basedows Elementarwerk und Christian Gotthilf Salzmanns Moralischem Elementarbuch (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christof Wingertszahn über Berliner Kunstakademie und Weimarer Freye Zeichenschule: Andreas Riems Briefe an Friedrich Justin Bertuch 1788/89. Hg. Anneliese Klingenberg, Alexander Rosenbaum (2012) . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus der Arbeit der Deutschen Gesellschaft Zu diesem Heft »Die italienische Aufklärung«, heißt es in einer einschlägigen Besprechung im vorliegenden Heft, »bildet in der deutschen Forschung zum 18. Jahrhundert weiterhin ein großzügig vernachlässigtes Territorium. Das gilt für die deutsche Romanistik ebenso wie für die überfachliche Aufklärungsforschung.« – Da trifft es sich gut, daß mit dem Themenschwerpunkt Illuminismo – jenseits von Aufklärung und Gegenaufklärung, den Erna Fiorentini und Jörn Steigerwald für das ›Winterheft‹ dieses Jahrgangs zusammengestellt haben, das Feld nun ausgeleuchtet und das kritisch markierte Desiderat mit den Beiträgen von Marco Cavarzere, Gisela Schlüter, Vincenzo Ferrone, Silvia Contarini, Jörn Steigerwald und Barbara Kuhn ausgeräumt wird. Nicht bei allen anderen Besprechungen, die anschließend an den Themenschwerpunkt Fülle, Vielfalt und Streitlust einer kritischen 18.-Jahrhundert-Forschung unter Beweis stellen, wird die ›Desideratserfüllungsquote‹ so günstig auf den Fuß folgend ausfallen. Das folgende Frühjahr wird wieder ein ›freies‹ Heft (DAJ 39.1, 2015) bringen. Die Beiträge hierfür sind augenblicklich in der Begutachtung. Für unsere ›freien‹ Hefte, namentlich für DAJ 40.1, 2016 sind Beitragsangebote (max. 45.000 Zeichen) dringend erwünscht. Der Schwerpunkt in DAJ 39.2 (2015) wird von Birgit Neumann und Barbara Schmidt-Haberkamp zum Thema Gefühlskulturen im Großbritannien des 18. Jahrhunderts vorbereitet. Interessierte Leserinnen und Leser fordere ich auf, für das darauffolgende Themenheft 2016 – DAJ 40.2 – Vorschläge (kurzes Exposé) bis Mitte Januar 2015 einzureichen, damit darüber auf der kommenden DGEJ-Vorstandssitzung entschieden werden kann. Auch für das Schwerpunktheft 2017 sollten schon jetzt Themen vorgeschlagen werden. Entschieden wird darüber dann Anfang 2016. Über die Annahme oder Ablehnung von Beiträgen wird im Zuge einer ›peer-review‹, bei dem das angebotene Manuskript von einem einschlägigen Vorstandsmitglied der DGEJ und von der Geschäftsführung der Zeitschrift begutachtet wird, entschieden. Über Themenschwerpunkte entscheidet der Vorstand der DGEJ. Darüber hinaus sind von den Mitgliedern unserer Gesellschaft bzw. allen Leserinnen und Lesern dieser Zeitschrift jederzeit Rezensionswünsche für die in der Rubrik ›Eingegangene Bücher‹ annoncierten Neuerscheinungen, Vorschläge für die deutsch-amerikanischen Panels auf den Jahrestagungen der ASECS (jeweils im März bzw. April) und Manuskriptofferten für die beiden wissenschaftlichen DGEJ-Reihen (Studien bei Meiner, Supplementa bei Wallstein) sowie Anregungen für zukünftige DGEJ-Tagungen höchst willkommen und sehr erwünscht! Carsten Zelle
135
Bündnisse. Politische und intellektuelle Allianzen im Jahrhundert der Aufklärung. Gemeinsame Tagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts (DGEJ) und der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts (ÖGE 18). Regensburg, 15.-17. September 2014. Tagungsbericht Mit der Bedeutung von Bündnissen als Grundlage für die Ausbildung unterschiedlichster Sozialisationsformen in der Aufklärung setzten die DGEJ und die ÖGE 18 in ihrer (ersten) gemeinsamen Jahrestagung ein Thema auf die Agenda, das Anknüpfungspunkte aus zahlreichen Disziplinen erlaubte. So hatten die Organisatoren – Franz Eybl von der österreichischen Seite, Daniel Fulda und Johannes Süßmann von der deutschen Gesellschaft sowie Harriet Rudolph von der Universität Regensburg – das Tagungsthema in sechs Sektionen unterteilt, die umfassende Analysen neuzeitlicher Bündnistheorien und -entwürfe aus literaturwissenschaftlicher, historischer, theologischer und philosophischer Perspektive bereithielten. Plenarvorträge, die den Sektionen zugeordnet waren, ermöglichten dabei eine vertiefte Diskussionen über ausgewählte Tagungsinhalte. Einleitend betonten die Organisatoren die Bedeutung von Bündnissen als umfassende soziale Tatsache des 18. Jahrhunderts, die alle Lebensbereiche durchdrangen. Ob in der Politik, in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, im Kulturbereich oder privat-familiären Verhältnissen: Die Wandlung der traditional-ständisch unterteilten Bevölkerungsordnung hin zu offeneren Sozialformen setzte neue Möglichkeiten der Vergesellschaftung frei, die individuelle und kollektive Akteure zur Steuerung ihrer jeweiligen Interessen nutzten. In den einzelnen Sektionen zeigten sich dementsprechend unterschiedliche Definitionen von Bündnissen als strategische politische Allianzen, Dichterund Autorenbündnisse, religiöse Bündnisse oder als Gegenstand literarischer Auseinandersetzungen, die nicht nur durch das Instrument des Vertrages schriftlich fixiert, sondern auch durch metaphorische Darstellungsweisen, wie etwa auf Johann Heinrich Füsslis Gemälde Die drei Eidgenossen beim Schwur auf dem Rütli von 1780 – oder auf Davids Gemälde Schwur der Horatier von 1784, das mit einem signifikanten Ausschnitt auf dem Tagungsplakat zitiert wurde – stabilisiert wurden. Als gemeinsamer Bezugspunkt dieser Ansätze erwies sich der prospektive Charakter von Bündnissen: Sie wurden eingegangen, um die Zukunft vorausschauend-planerisch zu gestalten und künftige Interessen abzusichern. Welche weiteren Übereinstimmungen und Distinktionsmerkmale die verschiedenen Bündnisformationen ausbildeten, wurde in den Sektionen umfassend behandelt. Die Sektionen I und II über »Theorien des Bündnisses« (Leitung: Johannes Süßmann, Paderborn) und »Politische Allianzen« (Leitung: Harriet Rudolph, Regensburg) thematisierten systematische Grundlagen einer Theorie des Bündnisses im 18. Jahrhundert und übertrugen diese auf politische Verhältnisse. So wurde unter anderem die Frage nach der Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit von Bündnissen aufgegriffen sowie die moralischen und strategischen Hintergründe herausgestellt, die für das Eingehen von Bündnissen zentral waren. In seinem Plenarvortrag analysierte Andreas Franzmann unter dem Titel »Gewollte Sozialität. ›Bündnisse‹ im Spannungsfeld von Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung« die Struktur von Bündnissen als Zweckgemeinschaften, die sowohl Merkmale von Gemeinschaften als den gesamten Menschen einbeziehende Sozialform und Gesellschaften als speziellen, strategischen Einflüssen unterliegende Beziehungen tragen. Diesen Gedanken griff auch Daniela Ringkamp auf, die Immanuel Kants Theorie des bürgerlichen Gesellschaftsbundes als innerstaatliche Vergemeinschaftungsform mit dem kantischen Entwurf des Völkerbundes als freiwillig eingegangenes strategisches Bündnis auf zwischenstaatlicher Ebene verglich. Beispiele für strategische Allianzen stellten Christian Mühling und Olga Khavanova vor. Mühling untersuchte die Bündnispolitik protestantischer und katholischer Mächte im Europa des 17. Jahr-
136
hunderts, während Khavanova das Wirken des österreichischen Botschafters Nikolas Graf Esterházy am St. Petersburger Hof 1756–1761 analysierte. Dass politische Feindschaft keinesfalls die Assimilation fremder kultureller Einflüsse verhinderte, zeigte Martin Eybl in einem öffentlichen Vortrag über »Hohe Politik und kommerzieller Nutzen: Musikalischer Transfer zwischen Wien und Paris nach dem ›renversement des alliances‹«. Auch wenn das politische Verhältnis zwischen Paris und der Habsburger Monarchie spannungsgeladen war, kam es, etwa im Fall des jungen Wolfgang Amadeus Mozart, zu einer umfangreichen Zusammenarbeit österreichischer und französischer Kulturschaffender. Eine Kritik an kommerziellen Politikmodellen aus der Perspektive Edmund Burkes unternahm Axel Rüdiger; Christoph Gnant thematisierte unter der Leitfrage »Bündnisse gegen den Kaiser?« die Möglichkeiten und Grenzen des Bündnisrechts der Reichsstände um 1790. Inwiefern Bündnistheorien systematisch über den konkreten Vertrag hinausgehen können, verdeutlichte Sigrid G. Köhler in ihrem Vortrag über »›Sinn für Bund‹. Novalis’ romantische Theorie des Vertrags und das 18. Jahrhundert«. Eine Verbindung zur aktuellen Anonymus-Bewegung zog Malte Fues in einer Interpretation von Knigges Schrift Über Freimaurer, Illuminaten und echte Freunde der Wahrheit, Christian König griff abschließend in seinem Vortrag über »Die Nation als Allianz der Patrioten? Kollektive Identitätskonstruktionen im 18. Jahrhundert« die auch in anderen Beiträgen angelegte Frage nach der Identitätsbildung durch Bündnisse auf. Sektion III »Verbindungen zum Heil der Seele« (Leitung: Elena Agazzi, Bergamo) wurde von Claudia Resch mit einem Vortrag zum Thema »Die Hochlöbliche Kaiserlich-Königliche Totenbruderschaft: Bündnuß und höchst Lob-würdige Alliantz für die Ewigkeit« eingeleitet. Astrid von Schlachta analysierte konfessionelle Bündnisse zwischen Täufern und Pietisten und zeigte, wie eine als Bund mit Gott eingegangene »Vereinigung in Christo und nach Christo« in weltliche Verhältnisse übertragen und Anlass zu feierlich abgeschlossenen Verbindungen zwischen täufischen und pietistischen Gruppierungen wurde. Den Freundschaftsbegriff als weitere Umschreibung für die Ausbildung bündnisähnlicher Sozialformen rückte Barbara Becker-Cantarino ins Zentrum ihres Vortrags über die Herrnhuter Indianermission im kolonialen Nordamerika von 1750-1780. Wie Bündnisse literarisch verhandelt wurden und welche Formationen sie über Freundschaften und politische Zweckallianzen hinaus annehmen konnten, thematisierten die Sektionen IV bis VI. In der mit zwei Beiträgen kleinsten Sektion IV über Bündnisentwürfe in der Literatur (Leitung: Daniel Fulda, Halle/Saale) analysierte Christopher Meid ausgehend von Johann Michael von Loens Redlichem Mann am Hofe sowie Johann Heinrich Gottlob von Justis Psammitichus Bündnisse im Staatsroman des 19. Jahrhunderts. Arndt Niebisch beschäftigte sich mit Geheimbünden und unwahrscheinlichen Wahrscheinlichkeiten in Schillers Geisterseher-Fragment. In den beiden abschließenden Sektionen wurde der Begriff des ›Netzwerks‹ als Sinnbild für Bündnisformationen zwischen Autoren, Mitgliedern von Geheimbünden und Gelehrtenverbindungen mehrfach aufgenommen. Insbesondere das Freimaurertum und andere Männerbünde dienten in Sektion VI über »Gesellige, gesellschaftliche und gelehrte Bündnisse« (Leitung: Franz Eybl, Wien) als Beispiel für eine netzwerkartige Assoziationsform, die, so Fred E. Schrader in
137
seinem Beitrag über Männerbünde der Aufklärung, als ›fait social‹ auch eine sozialregulative Funktion hatten. Exemplarisch vorgestellt wurden derartige Verbindungen in Christian Benediks Vortrag über »Albrecht von Sachsen-Teschen und sein Freimaurernetzwerk« sowie von Elena Agazzi, die die »›Gesellschaft der Freien Männer‹ und ihre Entwicklung auf dem Weg zu einer Identitätsphilosophie« porträtierte. Auch hier, verdeutlichte Claire Gantet in einem Plenarvortrag, wird der Begriff der Freundschaft zum geeigneten Instrumentarium der Beschreibung trans- und internationaler Gelehrtenverbindungen. Eine Verbindung von Freundschaft und Liebesbund zeigte Guglielmo Gabbiadini in einer Analyse des »Tugendbundes« zwischen Wilhelm von Humboldt und Henriette Herz auf. Breiten Diskussionsspielraum boten die Vorträge der Sektion V zu Autorenbündnissen (Leitung: Malte Fues, Basel), die mit einem Plenarvortrag von Norbert Christian Wolf über das »Goethe-Schiller-Bündnis aus kultursoziologischer und diskurstheoretischer Perspektive« eingeleitet wurde. Wolf schilderte, wie Goethe und Schiller in ihren Briefwechseln Literaturpolitik betrieben, um Gegner auszuschalten und gemeinsame Projekte voranzubringen. Ob und inwiefern das Phänomen der Gegnerschaft notwendiger Bestandteil der Ausbildung von Bündnissen ist oder nicht, erwies sich letztendlich sektionsübergreifend als zentraler Aspekt, der in zahlreichen Beiträgen aufgenommen wurde. Der Netzwerkbegriff wurde auch auf Autorenbündnisse übertragen, etwa in Wynfried Kriegleders Beitrag über »Das Netzwerk der Wiener Aufklärungsliteraten« oder in Daniel Ehrmanns Vortrag zum Thema »Verbundenergie: Vom Dichter zum Bündnisnetz. Überlegungen zum Mehrwert einer Netzwerkbeschreibung individueller Autorschaft«. Ehrmann, der Goethes Austausch mit den Verlegern Georg Joachim Göschen und Friedrich Justin Bertuch untersuchte, entwickelte in einem systematischen Zugriff Kriterien für Autorenbündnisse im 18. Jahrhundert: Autorenbündnisse, so die Auffassung, seien zu verstehen als asymmetrische, flexible, personell unbegrenzte und wandelbare Netzwerke. Abgerundet wurde die Sektion VI mit den Beiträgen von Heinrich Bosse, der den deutschen Sturm und Drang als »Schreib-Bündnis« fasste, Nacim Ghanbari, die Dichterbünde als klientelistisches Phänomen untersuchte, Sylke Kaufmann, die am Beispiel Lessings und seines Bruders Karl Gotthelf Vor- und Nachteile familiärer Allianzen im Literaturbetrieb des 18. Jahrhunderts analysierte und Robert Vellusigs Vortrag zum Thema »Eine Gemeinschaft ›sympathisierender Geister‹. Lessing – Nicolai – Mendelssohn«. Zentraler Gegenstand der Abschlussdiskussion waren Grenzbereiche einer Bündnistheorie des 18. Jahrhunderts, die neben terminologischen Fragen auch politisch-soziale Aspekte umfassten. So wurde in zahlreichen Beiträgen deutlich, dass Bündnisse als strategisch-freiwillig eingegangene Allianzen der Partner zur Verwirklichung eines gemeinsamen Ziels nicht nur auf engeren moralisch-sittlichen Grundlagen auf bauen können, sondern dass auch der Aspekt der Gegnerschaft für die Ausbildung eines Bündnisses von Bedeutung sein kann. Damit aber ließen sich Anbindungen an politiktheoretische Ansätze knüpfen, die, wie Carl Schmitt, ausgehend von der Unterscheidung zwischen Freund und Feind ebenfalls Gegnerschaft als zentrales Merkmal des Politischen ausweisen. Auch mögliche Unterschiede zwischen den Begriffen eines ›Bündnisses‹, eines ›Bundes‹ – eine Bezeichnung, die als Bund mit Gott, als Ehebund, Dichterbund usw. gefasst, semantisch heterogen ist – und dem Terminus des ›Netzwerks‹ wurden als Grundlage für weitere Forschungen in den Vordergrund gestellt. Alternative Auseinandersetzungen mit dem Tagungsthema könnten dabei auch der Frage nach Bündnissen bzw. Verbindungen zwischen Frauen als gesellschaftlichen Akteuren nachgehen oder Bezüge zur Wissenschaftsgeschichte von Bündnissen herstellen. Eine umfassende Bündnistheorie, so wurde verschiedentlich angemerkt, sollte jedoch auch den metaphorischen Gebrauch des Bündnisbegriffes über konkrete terminologische Definitionen heraus berücksichtigen. Daniela Ringkamp, Paderborn
138
América del Sur y el Movimiento Ilustrado. Congreso Internacional der Argentinischen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts, Buenos Aires, Biblioteca Nacional, 9.-11. April 2014. Tagungsbericht Die DGEJ war in zweifacher Hinsicht an dem vom 9. bis 11. April 2014 in der Nationalbibliothek in Buenos Aires organisierten Gründungskongress der Asociación Argentina de Estudios del Siglo XVIII , der ersten Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts in Südamerika, beteiligt: zum einen finanziell, indem sie – zusammen mit der International Society for 18th Century Studies (ISECS ), der Canadian Society for 18th Century Studies und der Société Française d’Étude du XVIII e siècle – einen Zuschuss für die Organisation des Kongresses gewährte; und zum anderen durch die Teilnahme von sechs Vortragenden aus Deutschland, die noch vor der französischen ›Delegation‹ die meisten Teilnehmer/innen aus Europa repräsentierte. Der Zuschuss der DGEJ zu den Veranstaltungskosten, der für die Organisation sowie für Reisekostenzuschüsse für Nachwuchswissenschaftler/innen aus anderen südamerikanischen Ländern (Brasilien, Kolumbien, Mexiko, Chile) verwendet wurde, trug, zusammen mit den gleichfalls insgesamt bescheidenen Zuschüssen der anderen erwähnten Gesellschaften, entscheidend dazu bei, den Kongress überhaupt zu ermöglichen, da die Organisatoren von argentinischer Seite aufgrund der Finanzlage des Landes keine Förderung erhielten. Angesichts dieser eher diffizilen Rahmenbedingungen waren das Programm des Kongresses und die Teilnehmerzahl (knapp 90 Vortragende und insgesamt über 120 Teilnehmer/innen) ebenso beeindruckend wie der wissenschaftliche Enthusiasmus der meist zum Kreis der Nachwuchswissenschaftler/innen zählenden Vortragenden. Im Zentrum der Vorträge und Diskussionen des Kongresses, in dessen Rahmen die Gründungsversammlung der argentinischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts am 11. April 2014 stattfand, standen zum einen die Entwicklung der Aufklärungsbewegung in Südamerika in den letzten Jahrzehnten des 18. und den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts; und zum anderen die vielfältigen interkulturellen Formen des Transfers, der Übersetzung und der Rezeption aufklärerischer Werke aus Europa, aber auch der Zensur und der hiermit verbundenen Formen der Replik und des Gegendiskurses, die im kolonialen und postkolonialen Südamerika zu europäischen Modellen der Aufklärungsbewegung entwickelt wurden. Als sehr originell ist in diesem Zusammenhang der Vortrag von Magdalena Cámpora (Buenos Aires) über die argentinischen Übersetzungen und Adaptationen von Bernardin de Saint-Pierres Bestseller Paul et Virginie (1788) zu erwähnen, der auch die Ikonographie der bis ins 20. Jahrhundert hinein in Buenos Aires verlegten, zumeist populären Ausgaben des Romans berücksichtigte. Ein Teil der Vorträge des Kongresses, die von einem Wissenschaftlichen Beirat unter Leitung des Präsidenten der argentinischen Gesellschaft, dem Philosophen Fernando Bahr (Buenos Aires), und der Vizepräsidentin, Maria Susana Seguin (Montpellier) ausgewählt worden waren, betraf jedoch auch Fragegestellungen und Gegenstandsbereiche der europäischen Aufklärung, wie Rousseaus Premier Discours (Emilio Bernini, Buenos Aires), die Grenzen der aufgeklärten Vernunft im Werk Diderots (Esteban Ponce, Santa Fe), die aufklärungskritische Philosophie Schopenhauers (José Jatuff, La Rioja) oder das Werk von Immanuel Kant, dem eine ganze Sektion des Kongresses mit fünf Vorträgen argentinischer Kollegen/innen gewidmet war. Paradigmatisch für die Dialektik von Aufklärungstransfer, Replik und Gegendiskurs können die von Hans-Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken), dem derzeitigen Vizepräsenten der ISECS , in seinem Einführungsvortrag untersuchten Schriften der spanischen Exiljesuiten (wie Clavijero, Molina und Dobrizhoffer) gelten, die zugleich einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung einer autonomen südamerikanischen Kulturanthropologie und Geschichtsschreibung leisteten. Auch die anderen
139
Beiträge der deutschen Vortragenden beleuchteten die Beziehungen zwischen Europa und Südamerika in vergleichender und interkultureller Perspektive und setzten hiermit im Rahmen des Kongresses deutliche Akzente: Jan-Henrik Witthaus (Kassel) untersuchte die Präsenz Amerikas in spanischen Pressemedien des 18. Jahrhunderts; Christian von Tschilschke (Siegen) analysierte anhand mehrerer sehr anschaulicher Beispiele wie den Dramen von Moratín und Ramon de la Cruz die Darstellungs- und Inszenierungsformen des kolonialen Diskurses im spanischen Theater des 18. Jahrhunderts; Gesine Müller (Köln) beleuchtete die literarischen und printmedialen Darstellungsformen der Haitianischen Revolution (1791-1804) in Europa und Südamerika, die sich zwischen den diskursiven Polen der Utopie und des Trauma bewegten. Susanne Greilich (Regensburg) untersuchte anhand einer Vielzahl von Texten vor allem der französischen Aufklärung (wie Raynals Histoire des deux Indes und Marmontels Les Incas) die kontroverse Darstellung des Inka-Reiches in der Literatur, Geschichtsschreibung und Philosophie der europäischen Aufklärung, wo es in zunehmendem Maße idealisiert und als Paradigma par excellence einer außereuropäischen Hochzivilisation angesehen wurde. Damien Tricoire (IZEA Halle/Saale) analysierte in seinem Vortrag in kulturanthropologischer und kulturhistorischer Perspektive den Aufklärungsdiskurs über die amerikanischen Ureinwohner und die ihnen in zahlreichen Schriften – u. a. in De Pauws einfußreichem Werk Recherches philosophiques sur les Américains (1771) – zugeschriebene Inferiorität. Als kennzeichnend für die Dynamik des aufgeklärten Diskurses erweisen sich hier, so die Analyseperspektive Tricoires, die Entwicklung eines historisierenden Diskurses, der tendenziell an die Stelle a-historischer anthropologischer Festschreibungen trat und die Entwicklungslogik der vorkolumbianischen und kolonialen Gesellschaften in den Blick zu rücken suchte. Die vom DAAD (bzw. im Fall von Damien Tricoire vom IZEA Halle/Saale) geförderte Teilnahme der deutschen Aufklärungsforscher setzte somit durchaus im Rahmen der Tagung eigene Akzente, die von den südamerikanischen Teilnehmern/innen mit großem Interesse aufgenommen und diskutiert wurden. Es bleibt zu wünschen, dass die vielfältigen, im Rahmen des Kongresses geknüpften wissenschaftlichen Kontakte zu weiteren Forschungskooperationen führen. Vor allem die auf eine interkulturelle Transfer- und Vernetzungsgeschichte abzielenden Fragestellungen scheinen hierfür in besonderer Weise geeignet und bieten, wie eine ganze Reihe von Vorträgen und Diskussionen des Kongresses belegten, die Möglichkeit, neue Text- und Archivquellen zu erschließen oder – wie das Beispiel etwa der Exiljesuiten zeigt – (relativ) bekannte Texte und Dokumente in der Perspektive einer Globalgeschichte des Aufklärungszeitalters neu zu lesen. Hans-Jürgen Lüsebrink, Saarbrücken
140
Illuminismo – jenseits von Aufklärung und Gegenaufklärung. Zusammengestellt von Erna Fiorentini und Jörn Steigerwald Illuminismo als Region der Aufklärung – zur Einführung Der Illuminismo, verstanden als die Formen der Aufklärung in Italien, wird in der Forschung weitgehend vernachlässigt und mehr als eine Erscheinung an der Peripherie europäischer Bewegungen im siècle des Lumières denn als ein eigenständiger Beitrag zu diesen angesehen.1 Das rührt sicherlich daher, dass sich seine Ausdrucksformen kaum mit anderen europäischen Kontexten der Aufklärung direkt vergleichen lassen. Zeigen diese geographisch wie konzeptuell abgrenzbare Orientierungen, so sucht man im Illuminismo vergeblich nach einem erkennbaren kulturellen Zentrum und nach einem eindeutig fixierbaren Konzept für die Auseinandersetzung mit dem Gedankengut der Aufklärung und mit dessen Kritik. Dies verwundert kaum angesichts der fragmentierten Herrschaftsverteilung und der damit einhergehenden variablen kulturellen und sozialen Zusammensetzung im Italien des 18. Jahrhunderts. Entsprechend hat sich die Illuminismo-Forschung bislang vorzugsweise auf einzelne, meist städtische Konstellationen (Neapel, Mailand, Venedig, Florenz) oder aber auf einzelne Persönlichkeiten (Vico, Beccaria, die Caffetisti, Goldoni) konzentriert und sie weitgehend als voneinander unabhängige, geschlossene Systeme der aufklärerischen Diskussion behandelt.2 Die Leistungen der zahlreichen Protagonisten für die allgemeine Diskussion der Aufklärung werden dabei zwar individuell gewürdigt, sie werden jedoch nicht als Äußerungen eines möglichen spezifisch italienischen Modells befragt, sondern pauschal als direkte Derivate der europäischen Aufklärungen angesehen, vor allem der französischen und der englischen.3 Wo eine solche direkte Ableitung von den Leitgedanken der großen Aufklärungszentren wegen der außergewöhnlich dezentralen Beschaffenheit des Illuminismo fehlschlägt, wird dessen Eigentümlichkeit als eine
1
2
3
Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die Studie von Paula Findlen: »A Forgotten Newtonian: Women and Science in the Italian Provinces«. In: The Sciences in Enlightened Europe. Hg. William Clark, Jan Golinski, Simon Schaffer. Chicago 1999, 313-349, der im Abschnitt zu den »Peripheries and Provinces« des betreffenden Bandes zu finden ist. Verwiesen sei auf die beiden (einzigen !) Überblicksmonographien zum Thema: Alfred NoyerWeidner: Die Aufklärung in Oberitalien. München 1957 und Wolfgang Rother: La maggior felicità possibile: Untersuchungen zur Philosophie der Aufklärung in Nord- und Mittelitalien. Basel 2005 sowie auf den Sammelband Beiträge zur Begriffsgeschichte der italienischen Aufklärung im europäischen Kontext. Hg. Helmut C. Jacobs, Gisela Schlüter. Bern, Frankfurt a. M. 2000. Siehe zudem Gisela Schlüter: »Aufklärung, italienische«. Erscheint in: Handbuch Europäische Aufklärung. Begriffe – Konzepte – Wirkung. Hg. Heinz Thoma. Stuttgart, Weimar 2014. Hellmut O. Pappe: »Enlightenment«. In: The Dictionary of the History of Ideas. New York 1973, Vol. 2, 89-100, hier: 89.
141
Comments
Report "Die Polemik gegen den Abus des Mots in Il Caffè "