Die Pflegeabhängigkeitsskala, eine methodologische Studie

June 1, 2017 | Author: Ate Dijkstra | Category: Nursing, Pflege
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© Verlag Hans Huber Bern 2001

Pflege 2001; 14:123–127

Pflegewissenschaft, Universität Berlin1, Klinikum Buch, Berlin2 Pflegewissenschaft, Universität Groningen3

Die Pflegeabhängigkeitsskala, eine methodologische Studie Th. Dassen1, K. Balzer1, G. Bansemir1, P.Kühne2, R. Saborowski2, A. Dijkstra3

Zusammenfassung

Summary

Ein Instrument zur Erfassung der Pflegeabhängigkeit wurde auf Deutsch übersetzt und im Hinblick auf verschiedene Gütekriterien überprüft. Die Ergebnisse zeigten sehr zufriedenstellende Werte für die Reliabilität und die Indikatoren der Validität. Daher bestehen aus methodologischer Sicht keine Bedenken für eine Anwendung des Instrumentes. Es sollten jedoch im Zuge der Anwendung weitere vergleichbare methodologische Überprüfungen stattfinden.

The Care Dependency Scale, an assessment instrument The Care Dependency Scale, an instrument for the assessment of patients’care dependency, has been translated into German. The scale was tested on (inter-) rater reliability and criterion and construct validity in a hospital population on geriatric, surgical and paediatric wards. As the results of this study were very satisfying, positive recommendations regarding the suitability of the scale for use in the German nursing care situation could be made. However further psychometric testing of the scale is important, for instance in other populations. A final conclusion is that the scale may be used in care settings in German-speaking countries.

Einführung Die Einschätzung der Pflegeabhängigkeit, das heißt des Ausmaßes, in dem ein Patient oder eine Patientin pflegerischer Unterstützung bedarf, ist von großer Bedeutung für den Pflegeprozess. Pflegekräfte stützen ihre Entscheidungen über pflegerische Maßnahmen darauf, wie pflegeabhängig sie einen Patienten oder eine Patientin einschätzen. Genaue Angaben zur Pflegeabhängigkeit von Patienten spielen ebenfalls eine Rolle bei Entscheidungen bezüglich der erforderlichen Anzahl und Qualifikation von Pflegekräften. Auch im Hinblick auf Entscheidungen zur Notwendigkeit ambulanter oder stationärer Betreuung pflegebedürftiger Menschen ist die Beurteilung der Pflegeabhängigkeit dieser Personen von maßgeblicher Bedeutung. Eine objektive(re) Ermittlung der Pflegeabhängigkeit ist damit essenziell für verschiedenste Entscheidungsprozesse im Rahmen der Pflege von Menschen. Voraussetzung hierfür ist ein Instrument, mittels welchem das Ausmaß der Pflegeabhängigkeit sicher und genau erhoben werden kann. Durch Dijkstra (1998) wurde in den Niederlanden ein solches Instrument zur Einschätzung der Pflegeabhängigkeit älterer, in Pflegeheimen lebender Menschen entwickelt und wissenschaftlich überprüft. Dieses Instrument, die Pflegeabhängigkeitsskala, wurde inzwischen in weitere Sprachen übersetzt (Norwegisch, Englisch, Italienisch, 123

Manuskript erstmals eingereicht am 23.5.2000 Endgültige Fassung eingereicht am 31.10.2000

Finnisch und Spanisch) und in diesen Versionen getestet (Dijkstra et al., 2000). Gegenstand des vorliegenden Artikels sind die Ergebnisse der Überprüfung der Reliabilität und Validität der deutschsprachigen Version der Skala. In dieser methodologischen Studie wurde zudem erstmals eine mögliche Anwendung der Skala bei anderen pflegebedürftigen Personen wie Kindern und chirurgische Patienten berücksichtigt. Entwicklung der Skala Die Pflegeabhängigkeitsskala (PAS) wurde an der Universität Groningen in der Abteilung Pflegewissenschaft entwickelt und hinsichtlich ihrer Inhaltsvalidität (Dijkstra et al.,1996), Kriteriums- und Konstruktvalidität (Dijkstra et al., 1999), Beobachterübereinstimmung sowie Homogenität (Dijkstra et al., 1998) geprüft. Es würde zu weit führen, die vollständige Entwicklung der Skala in allen Einzelheiten zu beschreiben. Die wichtigsten Entwicklungsstufen sollen jedoch an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden. Um festzustellen, welche Inhalte für ein Instrument zur Bestimmung der Pflegeabhängigkeit relevant sind, wurde die Entwicklung der Skala mit einer Delphi-Studie eingeleitet. Die Delphi-Methode hat sich für derartige Zwecke bewährt (McKenna, 1994). Inhaltlicher Leitfaden der Delphi-Studie waren die vierzehn Grundbedürfnisse der Menschen nach Henderson (1966). Mittels dieser Studie wur-

Th. Dassen Die Pflegeabhängigkeitsskala, eine methodische Studie

de im Sinne einer Überprüfung der Inhaltsvalidität untersucht, inwieweit die menschlichen Grundbedürfnisse nach Henderson für Aussagen zur Pflegeabhängigkeit von Menschen herangezogen werden können. Das Ergebnis der Delphi-Studie zeigte, dass alle vierzehn Grundbedürfnisse von Bedeutung für die Pflegeabhängigkeit sind, jedoch ein wichtiger Aspekt, die Kommunikation, fehlte. Daraufhin wurde die Skala um dieses Item ergänzt. Die Skala enthält für jedes Item fünf Antwortmöglichkeiten, von «völlig abhängig» bis «völlig unabhängig». In Figur 1 wird ein Item als Beispiel dargestellt. Die fünfzehn Items findet man in Tabelle 1. Selbstverständlich sind die Antwortsätze immer entsprechend der Inhalte des Items formuliert. Zur Prüfung der Reliabilität wurden die Äquivalenz, die Stabilität und die innere Konsistenz der Skala untersucht. Die Äquivalenz wurde durch Bestimmung der Interraterreliabilität (Rienhoff & Leiner, 1998) geprüft. Dazu wurde das Ausmaß der Beurteilungsübereinstimmung zwischen zwei Pflegekräften ermittelt, welche die Skala zur selben Zeit, jeweils unabhängig voneinander ausgefüllt hatten. Die diesbezüglichen Ergebnisse wiesen auf ei-

Ausmaß, in dem der Patient in der Lage ist, allein zu essen und zu trinken: ■ Der Patient ist nicht in der Lage, allein zu essen und zu trinken. ■ Der Patient ist nicht in der Lage, allein seine Mahlzeiten zuzubereiten; er kann aber ohne Hilfe essen und trinken. ■ Der Patient ist in der Lage, allein seine Mahlzeiten zuzubereiten; er hat aber Schwierigkeiten, die Menge zu bestimmen. ■ Der Patient ist in der Lage, allein zu essen und zu trinken; er braucht aber einige Unterstützung. ■ Der Patient ist in der Lage, allein seine Mahlzeiten zuzubereiten und ohne Hilfe anderer zu Figur 1: Essen und Trinken. Tabelle 1: Cohens Kappa Werte ZAS*

PAS

I

II

Essen und Trinken Kontinenz Körperhaltung Mobilität Tag- und Nachtrhythmus An- und Auskleiden Körpertemperatur Körperpflege Vermeiden von Gefahr Kommunikation Kontakte mit anderen Sinn für Normen und Werte Alltagsaktivitäten Freizeitaktivitäten Lernfähigkeit

.60 .56 .49 .58 .39 .52 .54 .59 .51 .42 .47 .47 .50 .42 .39

.55 .69 .46 .66 .38 .55 .42 .66 .50 .52 .44 .42 .42 .56 .42

.64 .75 .56 .69 .51 .67 .53 .66 .62 .54 .50 .59 .61 .70 .61

n

153

139

261

* Dijkstra, 1998

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ne für die Anwendung der Skala zufriedenstellende bis gute Übereinstimmung hin. Zur Überprüfung der Stabilität mittels Interraterreliabilität (Rienhoff & Leiner, 1998) hatte eine der beiden Pflegekräfte nach zwei Wochen nochmals die Skala für dieselben Patienten ausgefüllt. Die Übereinstimmung zwischen diesen beiden Beurteilungen einer Pflegekraft war ebenfalls ausreichend. Die innere Konsistenz wurde nach Cronbachs Alpha ermittelt und wies sehr hohe Werte (über 0.90) auf. Dies bedeutet, dass die Skala für die Anwendung in der klinischen Praxis genügend reliabel ist (Polit & Hungler, 1999). Die hohe interne Konsistenz lässt zudem vermuten, dass mit dieser Skala nur eine Dimension gemessen wird. Letzteres wurde durch die Ergebnisse einer Faktorenanalyse bestätigt. Zur Ermittlung der Kriteriumsvalidität (Carmines & Zeller, 1979) wurde untersucht, inwieweit die Messwerte der Pflegeabhängigkeitsskala mit Messungen korrelieren, die durch Instrumente erhoben worden sind, für die theoretisch ein Zusammenhang mit der Pflegeabhängigkeit angenommen werden konnte. Die Ergebnisse zeigten eine zufrieden stellende Kriteriumsvalidität (Dijkstra et al., 1998). Obwohl alle Werte und Tests darauf schließen lassen, dass die Pflegeabhängigkeitsskala ein reliables und valides Instrument ist, bestand dennoch eine Einschränkung: Das Instrument war zunächst nur in der Langzeitpflege, insbesondere in der Anwendung bei älteren Pflegebedürftigen, getestet worden. Um die Konstruktvalidität (Carmines & Zeller, 1979) der Skala zu prüfen, wäre daher ein Vergleich von Daten, die mit der Skala von unterschiedlichen Populationen erhoben worden sind, eine wesentliche Ergänzung. Aus diesem Grund wurde bei der Überprüfung der deutschen Skalenversion die durch ein Krankenhaus gebotene Möglichkeit genutzt, die Skala ebenfalls bei verschiedenen Patientengruppen der akut-stationären Pflege zu testen. Im Einzelnen wurde die deutsche Fassung der Pflegeabhängigkeitsskala hinsichtlich folgender Aspekte untersucht: Konstruktvalidität, Kriteriumsvalidität, interne Konsistenz und Interraterreliabilität. Damit umfasst diese Skalenüberprüfung die wichtigsten Tests, die aus methodologischer Sicht durchzuführen sind, um Aussagen über die Güte der deutschen Skalenübersetzung treffen zu können (Norbeck, 1985). Die Ergebnisse dieser Tests werden in diesem Artikel vorgestellt. Ebenso wie die oben genannten Gütemerkmale ist jedoch für eine Skala wie die Pflegeabhängigkeitsskala, welche in der pflegerischen Praxis Anwendung finden soll, die Überprüfung der Praktikabilität ein weiteres wichtiges Kriterium (Harris, 1995). Gleichwohl, eine Analyse dieses Kriteriums wird Gegenstand einer separaten Darstellung sein, da dies den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Übersetzungsschwierigkeiten führten dazu, dass der Name der Skala verändert wurde. Ursprünglich hieß die Skala auf niederländisch «Verpleegkundige Zorg Afhankelijkheidsschaal» sowie auf Englisch «Nursing Care Dependency Scale». Der Begriff «Nursing Care» kann nur umständlich in die deutsche Sprache übertragen werden, weshalb die deutsche Bezeichnung «Pflegeabhängigkeitsskala» (PAS) gewählt wurde. In den anderen Sprachen wurden die Ausdrücke «Verpleegkundige» respektive

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«Nursing» mittlerweile ebenfalls aus der Skalenbezeichnung entfernt, die englische Version heißt jetzt «Care Dependency Scale».

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sollte verhindert werden, dass Patienten bereits am Aufnahmetag beurteilt wurden. Des Weiteren wurden noch bestehende Unklarheiten bezüglich der Inhalte einiger Items ausdiskutiert.

Methoden Stichprobe Übersetzung Zunächst wurde das Instrument in die deutsche Sprache übersetzt – sowohl direkt aus dem Niederländischen als auch direkt aus dem Englischen. Beide Übersetzungen wurden miteinander verglichen. Bestehende Unterschiede und/oder Diskussionspunkte wurden mit den originären Verfassern der Skala erörtert. Ebenso wurden Experten aus der Pflegepraxis sowie Lehrkräfte für das Fach Krankenpflege in den Übersetzungsprozess mit einbezogen. Vorgehen

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Die wissenschaftliche Überprüfung des Instrumentes fand im «Klinikum Buch» zu Berlin statt. In diesem Klinikum, einem städtischen Krankenhaus mit über tausend Betten, wird dem Transfer pflegewissenschaftlich erbrachten Wissens in die Pflegepraxis große Bedeutung zugeschrieben – mit dem Ziel, den Patienten einen hohen Standard individueller pflegerischer Betreuung garantieren zu können. Dazu gehört auch das Testen von Instrumenten für die Pflegepraxis, weshalb sich für die Überprüfung der Pflegeabhängigkeitsskala eine Zusammenarbeit zwischen dem «Klinikum Buch» und der pflegewissenschaftlichen Abteilung der Humboldt-Universität zu Berlin anbot. Die Datenerhebung erfolgte auf geriatrischen Stationen sowie ferner auf Wunsch der pflegerischen Leitung und in Abstimmung mit der ärztlichen Leitung ebenfalls auf chirurgischen und pädiatrischen Stationen. Durch den zusätzlichen Einbezug dieser letzteren Patientengruppen ergab sich die Möglichkeit einer weiteren Überprüfung der Konstruktvalidität der Skala. Da das Instrument originär für die stationäre Langzeitpflege vorwiegend älterer Menschen entwickelt worden war, musste der Inhalt zweier Items geringfügig verändert werden. Zum einen betraf dies das Item in Bezug auf die Alltagsaktivitäten, zum anderen das Item bezüglich der Aktivitäten zur sinnvollen Beschäftigung. Diese Themen besitzen im Krankenhausbereich andere Inhalte und Bedeutung als im Pflege- oder Altersheim. Vor Beginn der eigentlichen Datenerhebung wurden beide Items mit Unterstützung von Pflegeexperten des Klinikums entsprechend modifiziert. An der Datenerhebung waren ausschließlich Krankenschwestern und Krankenpfleger beteiligt. In Vorbereitung der Datenerhebung wurden diese im Rahmen einer zweistündigen Fortbildung in der Handhabung der Skala geschult und mit dem Anliegen der Studie vertraut gemacht. Hierbei lag ein Schwerpunkt darauf, dass die jeweiligen zwei Pflegekräfte wirklich völlig unabhängig voneinander die Skala an einem Tag ausfüllen. Weiterhin wurde vereinbart, dass sie nur diejenigen Patienten einschätzen, die sie bereits mindestens einen Tag gepflegt haben. Damit

Ausgehend davon, dass die Größe der Stichprobe zur Durchführung einer Faktorenanalyse mindestens das Zehnfache der Anzahl der Items plus fünfzig betragen muss, wurde eine Stichprobe von 200 Patienten angestrebt (Prescott, 1988). Da zudem immer ein bestimmter Stichprobenverlust einkalkuliert werden muss, sollten insgesamt 300 Patienten in die Datenerhebung einbezogen werden. Diese Patienten wurden an einem Tag jeweils durch zwei Pflegekräfte unabhängig voneinander mittels der Skala eingeschätzt. Letztlich konnten die Daten von 261 Patienten in die Untersuchung einbezogen werden; für diese waren dementsprechend jeweils zwei Skalenexemplare ausgefüllt worden. Damit war die Stichprobe für die geplante Analyse der Reliabilität und Validität ausreichend groß. Die Stichprobe der 261 Patienten entstammte insgesamt vier verschiedenen klinischen Bereichen: 113 geriatrische Patienten, 54 pädiatrische Patienten, 46 Patienten aus dem allgemeinen chirurgischen Bereich sowie 48 unfallchirurgische Patienten. Somit bildeten die geriatrischen Patienten die größte Untergruppe der untersuchten Stichprobe. Datenanalyse Ziel der Auswertung der erhobenen Daten war es, die Beobachterübereinstimmung (Interraterreliabilität), die innere Konsistenz und die Konstrukt- und Kriteriumsvalidität der Skala zu bestimmen. Daneben wurde sowohl für die gesamte Stichprobe als auch für die einzelnen Untergruppen jeweils die mittlere Skalensumme inklusive Standardabweichung berechnet. Entsprechend dem fünfstufigen Aufbau der fünfzehn Items der Skala beträgt die theoretisch mögliche niedrigste Skalensumme den Wert ‹15›, während das theoretische Beurteilungsmaximum dem Wert ‹75› entspricht. Im Hinblick auf die Pflegeabhängigkeit gilt für die Skalensummen: Je höher der Wert, desto niedriger die Pflegeabhängigkeit! Zur Ermittlung der Interraterreliabilität wurde das Verfahren nach Cohens Kappa angewendet (Flatley Brennan, 1992). Ergänzend zur Prüfung der Homogenität, ermittelt durch Bestimmung des Chronbach Alpha Koeffizient der Skalen, wurde eine Faktorenanalyse durchgeführt, um festzustellen, inwieweit die fünfzehn Items der Skala einen oder vielleicht mehrere Dimensionen konstituieren. Grundlage für die Untersuchung der Kriteriums- und Konstruktvalidität war jeweils ein Vergleich von mittleren Skalensummen verschiedener Stichprobenuntergruppen. Zur Überprüfung der Kriteriumsvalidität wurden die Daten der Pflegeabhängigkeitsskala mit den Daten der Patienteneinstufung entsprechend der Pflegepersonalregelung (PPR) verglichen. Mit der Pflegepersonalregelung wird

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der Pflegebedarf der Patienten hinsichtlich der allgemeinen (A) und der speziellen Pflege (S) in jeweils dreistufiger Form erfasst. Für den Datenvergleich zur Überprüfung der Kriteriumsvalidität wurden lediglich die PPR-Einordnungen in Bezug auf die allgemeine Pflege berücksichtigt. Die Einstufung der Patienten in eine der drei Kategorien A1, A2 oder A3 basiert auf der Einschätzung ihres Pflegebedarfes in den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Ausscheidung und Mobilisation (Pflege Heute, 1998). Diese Einschätzung erfolgt durch die verantwortlichen Pflegekräfte entsprechend den Kriterien, die in der Pflegepersonalregel gesetzlich verankert sind. Hierbei repräsentiert die Stufe A1 den niedrigsten Pflegebedarf, die Stufe A3 entspricht dem höchsten Bedarf an allgemeiner Pflege. Als Indikator für die Konstruktvalidität galt der Vergleich der mittleren Skalenwerte der geriatrischen Patienten mit denen der pädiatrischen und chirurgischen Patienten. Abgeschlossen wurde die statistische Auswertung mit einer multiplen Regressionsanalyse, um herauszufinden, inwieweit Geschlecht, Alter und Art der Station von entscheidender Bedeutung für das Ausmaß der Pflegeabhängigkeit sind.

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Skala erbrachte die Faktoranalyse sehr hohe Korrelationen der einzelnen Items mit einem Faktor, ähnlich wie im Ergebnis des niederländischen Originaltests. Dieser Faktor erklärt bei einem dementsprechend hohen Eigenwert, der größer als 10,0 ist, mehr als 75% der Varianz (siehe Tab. 2). Kriteriumsvalidität Zur Überprüfung der Kriteriumsvalidität wurden die Daten der Pflegeabhängigkeitsskala mit den Daten der PPR (Pflegepersonalregelung) verglichen. Tabelle 3 zeigt, dass eine höhere PPR-Stufe auch mit einer höheren Pflegeabhängigkeit einher geht. Der Unterschied zwischen A1 und A2 ist kleiner als der Unterschied zwischen A2 und A3. Dies ist jedoch für die Validierung der Instrumente nicht von großer Bedeutung. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die erste Gruppe relativ klein ist, im Vergleich mit den beiden anderen. Die Korrelation beider Skalen beträgt immerhin –0,82, was auf einen hohen Zusammenhang hinweist. Konstruktvalidität

Ergebnisse Mittlere Pflegeabhängigkeit; Geschlecht und Alter Der Mittelwert der Pflegeabhängigkeit (Skalensumme) der in dieser Studie untersuchten Stichprobe betrug 50,9 bei einer Standardabweichung von 19,9. Es konnten keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Patienten nachgewiesen werden. Es wurde jedoch ein negativer Zusammenhang mit dem Alter (r = –0.35) gefunden, was also bedeutet: je älter die Patienten, desto höher die Pflegeabhängigkeit (niedriger Skalenwert). Beobachterübereinstimmung Die ermittelten Kappa-Werte sind in Tabelle 1 dargestellt. Diese Werte weisen auf eine angemessene bis beträchtliche Beobachterübereinstimmung hin. Ein Vergleich mit den ebenfalls in dieser Tabelle enthaltenen Kappa-Werten aus zwei niederländischen Untersuchungen zeigt, dass die Werte im deutschen Test ähnlich oder sogar höher sind, wobei ja schon die Werte aus der niederländischen Studie sehr befriedigend waren, wenn man betrachtet, dass Werte zwischen 0,41–0.60 als ‹moderate› und Werte zwischen 0,61–0,80 als ‹substantial agreement› gelten (Flatley Brennan, 1992).

Der Vergleich der Patientengruppen ergab, dass die Pflegeabhängigkeit bei den chirurgischen Patienten am niedrigsten, bei den geriatrischen Patienten am höchsten war. Die Pflegeabhängigkeit der Kinder liegt dazwischen (siehe Tab. 4). Ein Vergleich der Pflegeabhängigkeit der geriatrischen Patienten mit den mittleren Skalensummen aus den originären niederländischen Untersuchungen zeigt, Tabelle 2: Faktorgewicht ZAS*

PAS

I

II

.89 .82 .77 .67 .68 .89 .94 .93 .90 .77 .90 .86 .89 .86 .78

.83 .76 .59 .59 .64 .85 .88 .91 .86 .77 .70 .88 .83 .78 .77

.69 .77 .69 .55 .75 .80 .79 .80 .85 .65 .80 .75 .82 80 .78

10.59 70.6

9.18 61.2

11.3 75.3

Mittelwert

S.D.

n

A1 A2 A3

70,1 63,9 33,3

4,9 9,8 14,2

36 107 118

Total

50,9

19,9

161

Essen und Trinken Kontinenz Körperhaltung Mobilität Tag- und Nachtrhythmus An- und Auskleiden Körpertemperatur Körperpflege Vermeiden von Gefahr Kommunikation Kontakte mit anderen Sinn für Normen und Werte Alltagsaktivitäten Freizeitaktivitäten Lernfähigkeit eigenvalue % Varianz * Dijkstra, 1998 Tabelle 3: PPR-Stufen und PAS

Homogenität Die statistische Analyse ergab einen Cronbachs AlphaWert von 0,98. Ein solch hoher Wert entspricht einem starken Zusammenhang der Items untereinander. Korrespondierend zu dieser ausgeprägten inneren Konsistenz der

PPR

126

Th. Dassen Die Pflegeabhängigkeitsskala, eine methodische Studie Tabelle 4: Probandengruppe und PAS Station

Mittelwert

S.D.

n

geriatrische pädiatrischeq chirurgische I chirurgische II

39,3 55,4 64,1 60,9

19,9 15,9 12,3 14,7

113 54 46 48

gesamt

50,9

19,9

261

Tabelle 5: Multiple Regression Geriatrie Pädiatrie Alter Chirurgie Geschlecht

Beta

P

–.39 –.21 –.20 .09 –.07

< 0.01 < 0.05 n.s. n.s. n.s.

R2 = 0.29

dass die Mittelwerte und Standardabweichungen dieser vergleichbaren Stichproben nahezu identisch sind. Da, mit Ausnahme von den geriatrischen Patienten, unterschiedliche Werte erwartet wurden, weist das Ergebnis auf ein, aus dieser Sicht, valides Instrument hin. Multiple Auswertung Eine multiple Regressionsanalyse unter Einbezug der Merkmale Geschlecht, Alter und Art der Station erwies, dass nur letzteres Merkmal entscheidend ist. Zwischen der Art der Patientenpopulation und der Pflegeabhängigkeit besteht ein Zusammenhang, der mehr als ein Viertel der Gesamtvarianz erklärt (siehe Tab. 5). Diese Analyse macht deutlich, dass die unterschiedlichen Werte der genannten Fachbereiche nicht durch eine ungleiche Verteilung der Geschlechter und/oder der Altersgruppen entstanden ist. Anders gesagt: Das Instrument ist in der Lage, zwischen den Patientenkategorien zu differenzieren. Schlussfolgerung und Diskussion In dieser Studie wurden die Gütekriterien eines auf Deutsch übersetzten Instrumentes zur Messung der Pflegeabhängigkeit überprüft und mit den korrespondierenden Ergebnissen der niederländischen Originalstudien verglichen. Sowohl die Angaben zur inneren Konsistenz und Beobachterübereinstimmung als auch die zur Kriteriums- und Konstruktvalidität weisen Werte auf, die mindestens so gut wie die aus den Originalstudien oder sogar noch etwas besser sind. Damit hat sich das Instrument für den Einsatz in der deutschsprachigen Pflegepraxis bewährt. Da diese Skala zudem bereits in mehr als sieben Sprachen vorliegt, bietet sich nunmehr die Möglichkeit, Daten über die Pflegeabhängigkeit in Deutschland mit denen zahlreicher anderer europäischer Länder zu vergleichen. Selbstverständlich ist die Erhebung der Pflegeabhängigkeit aus der Sicht der Pflegenden nur eine Vorgehensweise, denn ebenso wie ein Vergleich mit den entsprechen127

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den Aussagen der Pflegebedürftigen selbst sollten zukünftig auch noch weitere Überprüfungen des Instrumentes bei anderen Patientengruppen durchgeführt werden. Nach den Ergebnissen der hier vorgestellten Studie kann die deutsche Skalenfassung bei geriatrischen Patienten zur Einschätzung der Pflegeabhängigkeit in der Praxis genutzt werden. Dies geht deutlich aus der Validierung des Instruments hervor, wobei die guten Ergebnisse der Überprüfung der Konstruktvalidität dafür sprechen lassen. Jedoch sollten weiterhin bei jedem Einsatz der Skala die Gütekriterien überprüft werden, da ein erster Test stets nur zu vorläufigen Aussagen führen kann. Dankesworte Wir bedanken uns bei den Pflegekräften und Patienten des «Klinikums Buch» zu Berlin für die Zusammenarbeit, welche die Durchführung der Studie in dieser Form erst ermöglicht hat. Literatur Carmines, E. G.; Zeller, R. A.: Reliability and Validity Assessment, Sage University Paper 17, Sage Publications, Newbury Park, 1979. Dijkstra, A.; Buist, G.; Dassen, Th. W. N.: Nursing Care Dependency: Development of an assessment scale for demented and mentally handicapped patients, Scandinavian Journal of Caring Sciences, 10, 1996, 13–143. Dijkstra, A.: Care Dependency, an assessment instrument for use in long-term facilities, Doktorarbeit, Universität Groningen, De Regenboog, 1998. Dijkstra, A.; Buist, G.; Dassen, Th. W. N.: A criterion related validity study of the Nursing-Care Dependency (NCD) Scale. International Journal of Nursing Studies, 35 (3), 1998, 163–170. Dijkstra, A.; Buist, G.; Moorer, P.; Dassen, Th. W. N.: Construct validity of the Nursing Care Dependency Scale, Journal of Clinical Nursing, (8), 1999, 380–388. Dijkstra, A.; Brown, L.; Havens, B.; Romoren, T. I.; Zanotti, R.: Dassen, Th.; van den Heuvel, W.: An International Psychometric Testing of the Care Dependency Scale, Journal of Advanced Nursing, 31, 2000, 944–952. Flatley Brennan, B.; Hays, B. J.: Focus on Psychometrics, The kappa statistic for establishing interrater reliability in the secondary analysis of qualitative clinical data, Research in Nursing & Health, 1992, 15, 153–158. Harris, M. R.; Warren, J. J.: Patient outcomes: assessment issues for the CNS, Clinical Nurse Specialist, 9, 2, 1995, 82–86. Henderson V.: The nature of Nursing: A Definition and its Implications for Practice, Research and Education, MacMillan Press, New York, 1966. Mckenna, H. P.: The Delphi technique: a worthwhile research approach for nursing? Journal of Advanced Nursing, 19, 1994, 2121–1225. Norbeck, J. S.: What constitutes a publishable report of instrument development?, Nursing Research, 34, 6, 1985, 380–382. Pflege Heute: Gustav Fischer, Stuttgart, 1998. Polit D. F.; Hungler, B. P.: Nursing Research, Principles and Methods, sixth edition. Lippincott, Philadelphia, 1999. Prescott, P. A.: Multiple regression analysis with small samples: cautions and suggestions. In: Downs, F. S. (Ed.): Handbook of research methodology, American Journal of Nursing Company, New York, 1988. Rienhoff, O.; Leiner, F.: Daten sammeln und auswerten, In: Schwarz, Das Public Health Buch. Urban & Schwarzenberg, 1998.

Prof. Dr. Theo Dassen, Humboldt Universität, Medizinische Fakultät, Institut für Medizin-/Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft, Ziegelstraße 5, D-10117 Berlin-Mitte, Deutschland



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