Die mittelfristige Entwicklung von Schülern mit Teilleistungsschwierigkeiten im Bereich der Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten

June 19, 2017 | Author: B. Gasteiger-Klic... | Category: Psychology
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Kindheit und Entwicklung 15 (4), 216 ± 227  Hogrefe Verlag, Göttingen 2006

Längsschnittstudie Die mittelfristige Entwicklung von Schülern mit Teilleistungsschwierigkeiten im Bereich der Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten Christian Klicpera1, Alfred Schabmann1 und Barbara Gasteiger-Klicpera2 1

Fakultät für Psychologie der Universität Wien 2 Pädagogische Hochschule Weingarten

Zusammenfassung. Die vorliegende Untersuchung geht dem Entwicklungsverlauf von Teilleistungsschwierigkeiten beim Lesen und Schreiben nach. In einer ländlichen Region in Niederösterreich wurden 600 unterschiedlich leistungsfähige Schüler von der ersten bis zum Ende der vierten Klassenstufe in mehreren Kohorten in ihren Lese- und Rechtschreibkompetenzen untersucht. Es wird geprüft, ob sich die verschiedenen Teilfertigkeiten im Verlauf des Schulbesuches auseinander entwickeln oder aber angleichen. Ferner wird der Leistungsverlauf von anfänglich schwachen und leistungsstärkeren Schülern untersucht. Dabei werden die Teilbereiche Lesesicherheit, Lesegeschwindigkeit, Rekodieren, Rechtschreibfähigkeit und unterschiedliche Fehlerarten beim Rechtschreiben sowie die Gesamtleistung betrachtet. Im Ergebnis zeigt sich, dass es während der ersten Schuljahre zu einer Annäherung von schwächeren und besseren Lesern kommt. Für die schwächeren Leser stellt das phonologische Rekodieren eine besondere Schwierigkeit dar. Ein Strukturgleichungsmodell weist der Lesegeschwindigkeit eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Lesekompetenz zu. Schlüsselwörter: Längsschnittuntersuchung, Grundschulzeit, Lesegeschwindigkeit versus Lesefehler, isolierte Rechtschreibschwierigkeiten, Matthäus-Effekt The development of reading and spelling skills of students with learning disabilities during elementary school Abstract. The main objective of this research was to analyze the development of various skills pertaining to reading and writing in students with differing degrees of reading/spelling ability. In a longitudinal study that was conducted in a rural area in Lower Austria, comprising students of grades 1 to 4 (N = 600), the development of reading speed, reading accuracy, and spelling was investigated. It was examined whether the reading/spelling achievement of poor and average/good readers and spellers drifts apart over time or whether poor readers can catch up. Results show that at the end of grade 4, poor readers perform much closer to good/average readers in measures of reading accuracy, while ± to a lesser extent ± initial differences in measures of phonological decoding persist until the end of primary school. As was demonstrated in a structural equation model, reading fluency appears to play a pivotal role in the long-term development of reading ability. Key words: longitudinal study, elementary school, reading accuracy vs. reading fluency, writing disabilities, Mathew effect

Die deutschsprachige Forschung über Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben konzentriert sich auf die diagnostische Erfassung und ätiologische Erklärung dieser Schwierigkeiten. Sie folgt damit der englischsprachigen Forschung, die den Schwerpunkt auf die Diagnostik von Schwierigkeiten beim Worterkennen und beim Leseverständnis legte. Dabei wurde übersehen, dass ein Grundproblem der Leseentwicklung schwacher Leser in der Erhöhung der Geläufigkeit und Geschwindigkeit des Lesens liegt. Erst die Arbeiten von Heinz Wimmer und der Gruppe in Salzburg (Wimmer & Mayringer, 2002; Wimmer, Landerl & Frith, 1999) haben darauf hingewiesen, dass sich die Probleme von Kindern mit Lese- und RechtDOI: 10.1026/0942-5403.15.4.216

schreibschwierigkeiten im deutschen Sprachraum ± bedingt durch die gröûere Regelmäûigkeit der GraphemPhonem-Korrespondenz ± von den Problemen ähnlicher Kinder im anglo-amerikanischen Sprachraum deutlich unterscheiden. So entwickeln leseschwache Kinder im deutschen Sprachraum bedeutend rascher eine relativ groûe Sicherheit im Lesen und fallen in den späteren Klassen weniger durch besonders fehlerhaftes Lesen, sondern eher durch die geringe Geschwindigkeit beim mündlichen Lesen auf. Allerdings konnten bisherige Beobachtungen auch bei älteren Schülern Unsicherheiten beim Worterkennen und mündlichen Lesen nachweisen. So fanden wir in

Die mittelfristige Entwicklung von Schülern mit Teilleistungsschwierigkeiten einer früheren Längsschnittstudie, dass Schüler, die am Ende der zweiten Klasse Grundschule unterschiedliche Leistungen im Lesen und Rechtschreiben erbrachten, am Ende der achten Schulstufe noch immer deutliche Differenzen sowohl in der Lesegeschwindigkeit als auch in der Lesesicherheit aufwiesen. In der zweiten Klasse begingen die schwächsten 5% der Leser etwa dreimal so viele Fehler wie die durchschnittlichen Leser. Die Effektstärken liegen hier bei d = 1.8 (im Vergleich dazu Lesezeit d = 2.6). Diese Unsicherheit zeigt sich vor allem dann, wenn sich das Lesen nicht auf den Kontext und die Sinnerwartung stützen kann (Klicpera, GasteigerKlicpera & Schabmann, 1993) In der vorliegenden Längsschnittstudie wurde der Frage nachgegangen, inwieweit der Zusammenhang von Lesegeschwindigkeit und Lesesicherheit über die Grundschulzeit stabil bleibt und ob wechselseitig eine spezifische Prognose der Lesefähigkeit möglich ist. Daran knüpft sich die Frage, ob die wesentliche Beeinträchtigung schwacher Leser in höheren Klassen (am Ende der Grundschulzeit oder in der Sekundarstufe) in der geringen Lesegeschwindigkeit oder im Dekodieren der Wörter liegt (vgl. Wimmer & Mayring, 2002). Neben dem Zusammenhang zwischen den beiden Aspekten der Leseleistung wird auch der Zusammenhang von Lesen und Rechtschreibung betrachtet. Schwierigkeiten beim Rechtschreiben haben schon seit längerer Zeit besondere Beachtung gefunden (Schneider, Stefanek & Dotzler, 1997). Allerdings wurde nur selten ein direkter Vergleich des Leistungsstands in den beiden Bereichen durchgeführt. Im englischsprachigen Raum hat Uta Frith (1980, 1983) Anfang der 80er Jahre auf das gelegentliche Auftreten solcher Diskrepanzen hingewiesen und die Hypothese aufgestellt, dass Kinder, die bei guten Leseleistungen im Rechtschreiben Schwierigkeiten aufweisen, deutlich häufiger lautgetreue Rechtschreibfehler machen. Demnach beherrschen die Kinder die phonologische Rekodierung, zeigen aber Probleme im Wissen um orthographische Konventionen. Dieser Hypothese ist bisher auûer den früheren Wiener Längsschnittstudien im deutschen Sprachraum niemand nachgegangen. In den Wiener Längsschnittstudien (Klicpera et al., 1993) konnten wir zwar Gruppen mit isolierten Schwierigkeiten beim Rechtschreiben identifizieren. Allerdings konnte die Hypothese, dass diese Gruppe durch eine gröûere Zahl von lautgetreuen Fehlern gekennzeichnet wäre, nicht eindeutig bestätigt werden. Dies konnte nur für Kinder der zweiten Klassenstufe nachgewiesen werden. In der vierten Klasse bestand zwar weiterhin ein Unterschied in dem Anteil an nichtlautgetreu geschriebenen Wörtern zwischen Kindern mit isolierten Rechtschreibschwierigkeiten und lese- und rechtschreibschwachen Kindern, aber die besondere Häufigkeit von laugetreuen, aber orthographisch falsch geschriebenen Wörtern war in dieser Gruppe nicht mehr nachweisbar. Zudem zeigte sich auch im langfristigen Verlauf der Kinder mit isolier-

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ten Rechtschreibschwierigkeiten eine geringe Stabilität dieser Gruppe, da sich ein Teil der Kinder verbesserte, ein anderer Teil jedoch verschlechterte. Für den mittel- und längerfristigen Verlauf der schulischen Leistungen (insbesondere im Bereich der schriftsprachlichen Kompetenzen) gibt es unterschiedliche Annahmen und theoretische Modelle sowie widersprüchliche Befunde (siehe etwa Parrila et al., 2005). Am bekanntesten dürfte die Beschreibung des so genannten Matthäus-Effekts, eines zunehmenden Rückstands in der Entwicklung des Lesens sein, wie es etwa von Stanovich (1986) und anderen (Scarborough & Parker, 2003) berichtet wurde. Im Gegensatz dazu wurde die Entwicklung schwacher Schüler jedoch auch als kompensierbar beschrieben (Leppänen et al., 2004). Von Parrila et al. (2005) wurde die Möglichkeit diskutiert, dass es diesbezüglich durchaus unterschiedliche Verläufe geben könnte und es neben Problemen der Messmethode auch schriftsprachen-spezifische Einflüsse geben dürfte. Auch wurde angenommen, dass unterschiedliche Verläufe auch durch den jeweils untersuchten Aspekt der Schriftsprache bedingt sein könnten. In der vorliegenden Darstellung sollte neben einer Analyse der durchschnittlichen Entwicklung von drei Komponenten der schriftsprachlichen Kompetenz, nämlich der Lesesicherheit, der Lesegeschwindigkeit und der Rechtschreibsicherheit, während der gesamten Grundschulzeit auch die Frage nach der Identifizierung von Untergruppen und nach den Zusammenhängen zwischen der Entwicklung der drei Teilfertigkeiten betrachtet werden. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, die Frage zu beantworten, ob und in welchen Bereichen eher von einem Schereneffekt und in welchen doch eher von einem Angleichen der Leistungen über die Jahre gesprochen werden kann. Diese Darstellung differenziert damit die schon zuvor berichteten Ergebnisse über die mittelfristig beträchtliche Stabilität der Lese- und Rechtschreibentwicklung und deren Zusammenhang mit Verhaltensproblemen (Gasteiger-Klicpera et al., 2006).

Untersuchungsmethode Stichprobe Die Untersuchung wurde an Kindern aus 18 Grundschulen durchgeführt, die in den Schuljahren 1998/99 bis 2001/02 (also in vier aufeinander folgenden Kohorten) neu in die erste Klasse eingeschult wurden und für die das Einverständnis der Eltern zur Teilnahme an einer Längsschnittuntersuchung über die Entwicklung in der Grundschulzeit vorlag. Insgesamt nahmen vom Kindergarten bis zum Ende der vierten Klasse 733 Kinder aus 58 Klassen in 35 Schulen teil. Es handelt sich um 384 Buben (52.3 %) und 349 Mädchen.

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Christian Klicpera, Alfred Schabmann und Barbara Gasteiger-Klicpera Verschlusslauten Kontinuanten enthielten (16 Wörter mit Verschlusslauten und 8 Kontrollwörter). Die Wörter wurden in Form eines Lückentexts diktiert, für die Bewertung der phonologischen Rekodierungsfähigkeit wurden nur die Fehler bei kritischen Stellen bewertet. Die Pseudowörter wurden den Kindern hingegen als Liste diktiert, wobei die phonologische Korrektheit der Schreibung als Indikator für die phonologische Rekodierungsfähigkeit diente.

Zur Analyse der Lese- und Rechtschreibentwicklung wurden nur die Daten jener Schüler verwendet, die regulär zum ersten Mal nach dem Lehrplan der ersten Klasse Grundschule unterrichtet wurden. Jene Schüler, die die erste Klasse wiederholten, die wegen ihrer geringen Deutschkenntnisse als auûerordentliche Schüler geführt wurden oder denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf zugesprochen worden war, wurden hingegen nicht in die Analyse aufgenommen. l

Durchführung der Untersuchung Die erste Untersuchungsphase fand von April bis Juni vor Schulbeginn statt. Hier wurde unter anderem das Bielefelder Screening (Jansen, Mannhaupt, Marx & Skowronek, 1999) in einer Einzeltestung mit den Kindern vorgegeben. Die zweite Phase wurde von Anfang November bis Mitte Dezember der ersten Klasse durchgeführt. Neuerliche Untersuchungen fanden am Ende der ersten, der zweiten und der vierten Klasse jeweils von Mitte Mai bis Ende Juni statt und umfassten wieder eine Testung der einzelnen Kinder sowie eine Befragung der Lehrerinnen zu den Kindern sowie zur Gestaltung des Unterrichts. Erfasst wurden: l

l

Der Leistungsstand im Lesen und Rechtschreiben am Ende der ersten Klasse in einem Individuellen Lesetest: Zur Erfassung der mündlichen Lesefähigkeit der Kinder wurde der Individuelle Lesetest (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1994) eingesetzt. Er besteht aus sechs Listen (je eine Liste häufiger und seltener ein- und dreisilbiger Wörter sowie ein- und dreisilbige Pseudowörter) mit jeweils 15 Wörtern. Neben der Anzahl der richtig gelesenen Wörter wurde pro Liste auch die Lesezeit gemessen und das Leseverhalten registriert. Die phonologische Rekodierungsfähigkeit beim Rechtschreiben wurde mit einem Verfahren zur Überprüfung des phonologischen Rekodierens und des orthographischen Wissens beim Rechtschreiben (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 2000) erfasst. Ermittelt wurden zwei Merkmale der Phonemfolge: Konsonantenverbindungen sowie stimmhafte und stimmlose Verschlusslaute. Die Schreibung von Wörtern mit diesen Merkmalen wurde mit jener von Wörtern verglichen, die nach Möglichkeit die gleichen Buchstaben enthielten, jedoch in einer einfacheren Konsonant-Vokal-Konsonant-Vokal-Folge (z. B. Erde-Rede) (jeweils 16 Wörter mit Konsonantenverbindungen und 16 Kontrollwörter). Zusätzlich wurden den Kindern 24 Pseudowörter diktiert, die zur Hälfte Konsonantenverbindungen enthielten und zur Hälfte nicht. Im Fall der Verschlusslaute wurden die Wörter anderen der gleichen Struktur gegenübergestellt, die statt

Der Leistungsstand im Lesen und Rechtschreiben am Ende der ersten und vierten Klasse: Zur Überprüfung der Lesefähigkeit wurde erneut der individuelle Lesetest (Klicpera & Gasteiger-Klicpera, 1994) vorgegeben, zur Überprüfung der Rechtschreibfähigkeit der Rechtschreibsubtest des Salzburger Lese- und Rechtschreibtests (SLRT, Landerl, Wimmer & Moser, 1997).

Diese Testungen wurden einzeln mit den Kindern in einem ruhigen Raum der Schule durchgeführt. Sie dauerten etwa eine viertel bis halbe Stunde. Bei schwächeren Kindern wurde die Testung unterteilt, um die Kinder nicht zu überfordern.

Einteilung in Untergruppen für die statistische Auswertung Lesesicherheit. Für die Gruppeneinteilung wurden die Schüler nach den Prozenträngen der Lesefehler am Ende der ersten Klasse in fünf Leistungsgruppen eingeteilt: sehr schwach = < PR 5, recht schwach = PR 6 ± 15, etwas schwach = PR 16 ± 30, durchschnittlich = PR 31 ± 70, gut = PR > 71. Lesegeschwindigkeit. In ähnlicher Weise wurden die Schüler nach den Prozenträngen der Lesegeschwindigkeit am Ende der ersten Klasse in fünf Leistungsgruppen eingeteilt: sehr schwache = < PR 5, recht schwache = PR 6 ± 15, etwas schwach = PR 16 ± 30, durchschnittlich = PR 31 ± 70, gut = PR > 71. Rechtschreiben. Auch im Rechtschreiben wurden die Schüler nach den Prozenträngen der Rechtschreibsicherheit (Prozentsatz der richtig geschriebenen Wörter) am Ende der ersten Klasse in fünf Leistungsgruppen eingeteilt: sehr schwache = < PR 5, recht schwache = PR 6 ± 15, etwas schwach = PR 16 ± 30, durchschnittlich = PR 31 ± 70, gut = PR > 71. Gesamtleseleistung. Schlieûlich wurden die Schüler nach den Prozenträngen der Gesamtleseleistung (Anzahl der richtig gelesenen Wörter pro min) am Ende der ersten Klasse in fünf Leistungsgruppen eingeteilt: sehr schwache = < PR 5, recht schwache = PR 6 ± 15, etwas schwach = PR 16 ± 30, durchschnittlich = PR 31 ± 70, gut = PR > 71.

Die mittelfristige Entwicklung von Schülern mit Teilleistungsschwierigkeiten

Ergebnisse Entwicklung der Lesefehler Jene Kinder, die in der ersten Klasse Schwierigkeiten im Dekodieren der Wörter (Lesesicherheit) hatten, wiesen auch am Ende der Grundschulzeit einen deutlichen Rückstand auf. Schüler, die am Ende der vierten Klasse Grundschule nach der Anzahl der Lesefehler zu den Schwächsten 5 % gehörten, waren in ihrem Leistungsstand etwa drei Jahre zurück, das heiût ihre Leistungen entsprachen etwa jenen, die der Durchschnitt der Kinder in der ersten Klasse erbrachte. Neben diesem deutlichen Rückstand in der Lesesicherheit bei älteren schwachen Schülern war erkennbar, dass von guten Lesern schon relativ früh, d. h. am Ende der ersten Klasse weitgehend das Leistungsniveau der vierten Klasse erreicht wurde, das heiût gute Leser lasen bereits in der ersten Klasse so sicher wie durchschnittliche Leser in der vierten. Der Verlauf der Leseleistung wurde durch eine Varianzanalyse mit wiederholten Messungen überprüft (3 Messzeitpunkte; 5 Leistungsgruppen als interindividueller Faktor). Dabei zeigte sich, dass sowohl die Gruppenunterschiede (F [4, 632] = 425.4, p < 0.001) als auch der Effekt der Zeit (F [2, 631] = 1386.6, p < 0.001) sowie die Interaktion Zeit ” Gruppe (F [8, 1264] = 91.0, p < 0.001) signifikant waren. Insgesamt näherten sich die Gruppen somit, wie auch in Tabelle 1 bzw. Abbildung 1 zu sehen ist, einander deutlich an.

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Tabelle 1. Prozentsatz richtig gelesener Wörter (Mittelwerte, in Klammern Standardabweichung): Vergleich von Prozentranggruppen nach Lesefehlern am Ende der ersten Klasse 1. Klasse sehr schwach = PR < 5 recht schwach = PR 6 ± 15 etwas schwach = PR 16 ± 30 durchschnittlich = PR 31 ± 70 gut = PR > 71

2. Klasse

4. Klasse

43.6 (12.6) 67.4 (12.3) 78.3 (8.7) 62.1 (2.9)

77.1 (6.8)

82.3 (4.9)

70.1 (2.0)

77.3 (6.2)

83.3 (5.0)

78.2 (2.6)

81.6 (5.4)

84.9 (4.1)

85.8 (2.3)

83.8 (4.3)

86.0 (3.7)

bei Wörtern und Pseudowörtern bestand als bei durchschnittlichen und guten Lesern. Auch beim Vergleich der durchschnittlichen Schüler der ersten Klasse, die ja in etwa auf dem gleichen Leistungsstand sind wie schwache Leser in der vierten Klasse, mit den älteren schwachen Lesern, zeigten sich die deutlich gröûeren Schwierigkeiten der schwachen Leser bei bestimmten Wortarten.

Zur statistischen Überprüfung der Bedeutsamkeit der Wortart für die Leseleistung wurde die Wortart in einer multivariaten Varianzanalyse als zusätzlicher Wiederholungsfaktor neben der Zeit und der Gruppenzugehörigkeit als interindividueller Faktor berücksichtigt. Dabei Eine detailliertere Analyse, bei der zwischen den Fehlern bei häufigen Wörtern und Pseudowörtern unterzeigte sich, dass die Wortart (häufige Wörter vs. Pseudoschieden wurde, zeigte, dass bei schwachen Lesern ein wörter) neben der Zeit einen wesentlichen Einfluss hatte deutlich gröûerer Unterschied zwischen der Leseleistung (F [1, 632] = 834.5, p < 0.001) und dass auch die Interaktion zwischen Zeit und Wortart 100 (F [2, 631] = 12.6, p < 0.001) von Bedeutung war. Nach Tabelle 1 bzw. Abbildung 90 1 ist dieser Interaktionseffekt auf einen 80 geringeren Unterschied zwischen richti70 gen Wörtern und Pseudowörtern in den 60 höheren Klassenstufen zurückzuführen. 50 Hinzu kommt auch ein signifikanter Ef40 fekt der Interaktion der Gruppenunter30 schiede mit der Wortart (F [4, 632] = 20 25.5, p < 0.001) und der Dreiwegsinter10 aktion Zeit ” Wortart ” Gruppen (F [8, 1264] = 2.1, p < 0.05). Diese zusätz0 lichen Interaktionseffekte dürften nach 1. Klasse 2. Klasse 4. Klasse 1. Klasse 2. Klasse 4. Klasse den in Abbildung 1 dargestellten Ergebbekannte Wörter Pseudowörter nissen darauf zurückzuführen sein, dass zum einen die Unterschiede zwischen PR < 5 PR 6–15 PR 16–30 PR 31–70 PR > 71 richtigen Wörtern und Pseudowörtern bei geringerer Lesefertigkeit gröûer sind, also Abbildung 1. Prozentsatz richtig gelesener Wörter bei Listen mit bekannten die Pseudowörter den schwachen Lesern Wörtern und Pseudowörtern: Prozentranggruppen nach Lesefehlern am En- mehr Schwierigkeiten beim Lesen verursachen als die richtigen Wörter. Zudem de der ersten Klasse.

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Christian Klicpera, Alfred Schabmann und Barbara Gasteiger-Klicpera nen, das heiût der Anstieg der Leistungen ist insgesamt kontinuierlicher als bei der Lesesicherheit. Statistisch wurde die Veränderung über die Zeit erneut mit einer Varianzanalyse mit wiederholten Messungen getestet und für die Beurteilung der Entwicklung erwies sich die Interaktion zwischen Gruppe und Zeit erneut als bedeutsam (F [4, 630] = 576.6) (siehe Tab. 2).

12 10 8 6 4 2 0 1. Klasse

2. Klasse

4. Klasse

1. Klasse

bekannte Wörter PR < 5

PR 6–15

2. Klasse

4. Klasse

Pseudowörter PR 16–30

PR 31–70

PR > 71

Abbildung 2. Entwicklung der Lesegeschwindigkeit bei Listen mit bekannten Wörtern und Pseudowörtern: Vergleich von Prozentranggruppen der Lesegeschwindigkeit am Ende der ersten Klasse. dürfte der Anstieg an Sicherheit beim Lesen von Pseudowörtern bei den schwächsten Schülern besonders gering ausfallen.

Entwicklung der Lesegeschwindigkeit In der Lesegeschwindigkeit befinden sich die schwächsten Leser in der vierten Klasse etwa auf dem Leistungsstand etwas unterdurchschnittlicher Schüler in der zweiten Klasse. Damit ist der Rückstand in der Lesegeschwindigkeit nicht so groû wie jener in der Lesesicherheit. Auûerdem sind auch bei den besten Lesern im Verlauf der Grundschule noch beträchtliche Fortschritte zu verzeichTabelle 2. Entwicklung der Lesegeschwindigkeit (Sekunden pro gelesenem Wort; Mittelwerte, in Klammern Standardabweichung): Vergleich von Prozentranggruppen der Lesegeschwindigkeit am Ende der ersten Klasse

sehr schwach = PR < 5 recht schwach = PR 6 ± 15 etwas schwach = PR 16 ± 30 durchschnittlich = PR 31 ± 70 gut = PR > 71

1. Klasse

2. Klasse

4. Klasse

9.84 (3.3)

3.57 (1.6)

1.95 (1.2)

5.97 (0.6)

2.74 (0.9)

1.46 (0.4)

4.49 (0.3)

2.21 (0.5)

1.31 (0.3)

3.24 (0.4)

1.73 (0.4)

1.10 (0.2)

2.02 (0.4)

1.24 (0.3)

0.88 (0.2)

Auch bei der Lesegeschwindigkeit ist eine Differenzierung nach der Wortart sinnvoll. Bei sehr schwachen Lesern besteht ein deutlich gröûerer Einfluss der Bekanntheit des Wortes auf die Lesegeschwindigkeit als bei guten Lesern. Zudem lässt sich beim Vergleich der schwachen Schüler aus den höheren Klassen mit jüngeren durchschnittlichen Lesern zeigen, dass die durchschnittlichen Leser bei gleichem Leistungsstand im Lesen geringere Schwierigkeiten beim Lesen von Pseudowörtern aufweisen.

Erneut wurde der zusätzliche Einfluss der Wortart mit der Einführung der Differenzierung zwischen richtigen Wörtern und Pseudowörtern getestet und dieser Messwiederholungsfaktor war deutlich signifikant (F [1, 629] = 902.9, p < 0.001), ebenso die Interaktion mit der Gruppenzugehörigkeit (F [4, 629] = 15.5, p < 0.001) und die Dreiweginteraktion Wortart ” Zeit ” Gruppe (F [8, 1258] = 4.8, p < 0.001). Auch hier war klar, dass das Lesen von Pseudowörtern nicht nur insgesamt, sondern insbesondere den schwachen Schülern mehr Schwierigkeiten bereitete als das Lesen von richtigen Wörtern (siehe Abb. 2).

Entwicklung der Schwierigkeiten beim Rechtschreiben Der Anteil der korrekt geschriebenen Wörter ist am Ende der ersten Klasse relativ gering. Hier ist jedoch zu bedenken, dass die Ergebnisse am Ende der zweiten und vierten Klasse nicht direkt mit jenen der ersten Klasse vergleichbar sind, da ab der zweiten Klasse mit dem Rechtschreibteil des Salzburger Lese- und Rechtschreibtests ein anderes Testverfahren verwendet wurde. Beim Vergleich der Ergebnisse der zweiten und vierten Klasse sieht man jedoch, dass die Leistungen der schwächsten Schüler wenigstens einen Rückstand von zwei Schuljahren gegenüber den durchschnittlichen Schülern aufweisen. Der Verlauf der Rechtschreibsicherheit wurde erneut mit einer Varianzanalyse mit wiederholten Messungen statistisch geprüft, wobei beide Hauptfaktoren ± Zeit (F [2, 567] = 4017.1, p < 0.001) und Leistungsgruppen

Die mittelfristige Entwicklung von Schülern mit Teilleistungsschwierigkeiten Tabelle 3. Entwicklung der Rechtschreibsicherheit (Prozentsatz richtig geschriebener Wörter; Mittelwerte, in Klammern Standardabweichung): Vergleich von Prozentranggruppen der Rechtschreibsicherheit am Ende der ersten Klasse

sehr schwach = PR < 5 recht schwach = PR 5 ± 15 etwas schwach = PR 16 ± 30 durchschnittlich = PR 31 ± 70 gut = PR > 71

1. Klasse

2. Klasse

4. Klasse

18.1 (4.5)

65.9 (18.2)

77.9 (16.5)

27.5 (2.0)

70.9 (16.2)

84.2 (14.0)

34.4 (2.0)

74.6 (16.2)

88.0 (10.4)

44.9 (3.7)

80.5 (14.1)

91.4 (8.7)

60.4 (6.2)

87.9 (10.8)

96.0 (4.9)

(F [4, 568] = 147.2) ± sowie auch die Interaktion der beiden Faktoren signifikant waren (F [8, 1136] = 34.2, p < 0.001). Vor allem vom Ende der ersten zum Ende der zweiten Klasse kam es zu einer bedeutsamen Annäherung der Leistungsgruppen (siehe Tab. 3).

Entwicklung des Gesamtscores der Leseleistung Um Lese- und Rechtschreibfähigkeit miteinander in Beziehung setzen zu können und den Verlauf der Leseleistung insgesamt zu dokumentieren, wurde ein Gesamtscore gebildet, der sowohl die Lesegeschwindigkeit als auch die Fehler beinhaltete. Dieser Gesamtscore stellt die Anzahl der richtig gelesenen Wörter pro Minute dar. Wenn man nun die weitere Leistungsentwicklung für diesen Gesamtscore bei Kindern betrachtet, die am Ende der ersten Klasse bereits einen unterschiedlichen Leistungsstand erreicht hatten, so sieht man zum einen, dass in allen Gruppen ein beträchtlicher Leistungszuwachs festzustellen ist und zum anderen, dass es ± ähnlich, wie wir dies schon in der früheren Längsschnittstudie in Wien festgestellt haben ± praktisch nie zu einer Verschiebung in der Rangfolge der Gruppen über die Zeit gekommen ist. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass nach diesem Score eine etwas andere Zuordnung des Leistungsstands der schwächsten Gruppe erfolgt als nach dem Score, den die Gruppen in den beiden Einzeldimensionen des Lesens erreichten. Während die schwächsten Leser in der vierten Klasse nach den Lesefehlern in etwa den Leistungsstand der durchschnittlichen Erstklässler erreicht hatten und dies nach der Lesegeschwindigkeit in etwa für den Leistungsstand Mitte der dritten Klasse (aufgrund von Interpolationen geschätzt) galt, entspricht

221

Tabelle 4. Gesamtscore der Leseleistung (Anzahl der pro min richtig gelesenen Wörter; Mittelwerte und in Klammern die Standardabweichung): Vergleich von Prozentranggruppen der Gesamtlesefertigkeit 1. Klasse sehr schwach 4.5 (1.6) = PR < 5 recht schwach 7.8 (1.0) = PR 6 ± 15 etwas schwach 10.9 (0.7) = PR 16 ± 30 durchschnittlich 15.9 (2.3) = PR 31 ± 70 gut = PR > 71 28.1 (8.1)

2. Klasse

4. Klasse

15.9 (7 .9)

33.8 (15.7)

19.9 (5.8)

39.2 (10.9)

24.9 (6.4)

45.3 (1 1.1)

32.4 (7.9)

52.9 (12.0)

47.6 (1 1.1) 68.1 (13.1)

nach dem Gesamtmaû der Leseleistung ihr Stand in etwa dem Durchschnitt der Schüler am Ende der zweiten Klasse. Die statistische Analyse dieses Gesamtscores erfolgte wieder mithilfe einer Varianzanalyse mit wiederholten Messungen zu den drei Untersuchungszeitpunkten einerseits und dem Vergleich der fünf Leistungsgruppen andererseits. Dabei waren erneut beide Faktoren signifikant (Zeit: F [2, 630] = 313.3, p < 0.001; Gruppen: F [4, 631] = 131.3, p < 0.001), ebenso die Interaktion (F [8,1261¢2] = 17.8, p < 0.001). Tabelle 4 belegt, dass der Anstieg bei den schwächeren Schülern etwas geringer ausfiel als bei den durchschnittlichen und guten Schülern (siehe Tabelle 4). Zusätzlich wurde die Entwicklung der Rechtschreibsicherheit bei den Gruppen von Schülern betrachtet, die sich am Ende der ersten Klasse in ihrer Leseleistungen unterschieden. Wie zu erwarten, zeigte sich beim Vergleich der Leistungsentwicklung im Rechtschreiben für die schwachen bis guten Leser, dass diese Gruppen auch in den Rechtschreibleistungen deutliche Unterschiede aufwiesen, allerdings waren die Leistungsunterschiede vor allem Ende der ersten Klasse weniger hoch, als bei einer Einteilung der Gruppen allein aufgrund ihrer Leistungen im Rechtschreiben. Es gab demnach sehr wohl Kinder, bei denen die Schwierigkeiten im Rechtschreiben noch gröûer waren als die Probleme bei der Aneignung der Schriftsprache insgesamt. Bei dem Vergleich der Testergebnisse für die drei Klassenstufen wurde schon darauf hingewiesen, dass nur jene der zweiten und dritten Klasse in etwa vergleichbar sind, da ein gröûerer Teil der Wörter zu beiden Zeitpunkten diktiert wurde. Eine Varianzanalyse mit wiederholten Messungen weist neben den beiden Hauptfaktoren auch deren Interaktion als signifikant aus (F [8, 1134] = 6.7, p < 0.001) (siehe Tab. 5).

222

Christian Klicpera, Alfred Schabmann und Barbara Gasteiger-Klicpera

Tabelle 5. Rechtschreibsicherheit (Anzahl der richtig geschriebenen Wörter; Mittelwerte und in Klammern die Standardabweichung): Vergleich von Prozentranggruppen der Gesamtlesefertigkeit 1. Klasse sehr schwach = PR < 5 recht schwach = PR 5 ± 15 etwas schwach = PR 16 ± 30 durchschnittlich = PR 31 ± 70 gut = PR > 71

2. Klasse

4. Klasse

36.6 (1 1.7) 62.7 (16.9) 75.7 (16.9) 38.5 (10.5) 70.7 (18.3) 86.7 (1 1.4) 41.4 (1 1.7) 73.3 (15.4) 88.1 (10.2) 46.3 (12.2) 81.3 (13.0) 91.4 (8.8)

Umgekehrt wies etwa die Hälfte der langsam lesenden Kinder auch ungenügende Sicherheit beim Lesen auf und beging viele Fehler. Am Ende der zweiten Klasse hat sich die Situation nicht wesentlich geändert. Vielmehr besteht auch weiterhin eine beträchtliche Übereinstimmung zwischen der Lesesicherheit und der Lesegeschwindigkeit, aber etwa die Hälfte der Schüler, die in dem einen Aspekt der Leseleistung schwach sind, werden in dem anderen Aspekt als gut eingeschätzt und umgekehrt. Am Ende der vierten Klasse sind die beiden Komponenten etwas stärker zusammengerückt, deutlich diskrepante Einstufungen sind seltener geworden (siehe Tab. 6).

49.6 (12.3) 88.0 (10.8) 95.7 (5.7)

Entwicklung der Lesesicherheit und der Lesegeschwindigkeit Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Lesesicherheit und der Lesegeschwindigkeit Es zeigt sich eine beträchtliche Überlappung der Einstufungen nach den beiden Komponenten der Lesefähigkeit, aber auch ein nicht unwesentliches Auseinanderklaffen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass etwa die Hälfte der Schüler, die am Ende der ersten Klasse Schwierigkeiten in der Lesesicherheit hatten und viele Fehler beim Lesen begingen, auch sehr langsam lasen.

Um zu überprüfen, welche der beiden Komponenten bei Diskrepanzen zwischen der Lesesicherheit und Lesegeschwindigkeit für die weitere Entwicklung von entscheidender Bedeutung ist, wurde die Entwicklung der Gesamtleistung im Lesen (als Anzahl der Wörter, die pro Minute richtig gelesen wurden) für vier Gruppen verglichen: l

Schwache Leser: Kinder, die in der ersten Klasse sowohl in der Lesegeschwindigkeit als auch nach den Lesefehlern zu den schwächsten Schülern (= Prozentrang unter 15) zählten

Tabelle 6. Vergleich der Prozentranggruppen nach Lesesicherheit und Lesefehlern (LF) bzw. der Lesegeschwindigkeit (LG) am Ende der ersten, zweiten und vierten Klasse Grundschule (sehr schwache = < PR 15, schwach = PR 16 ± 30, durchschnittlich = PR 31 ± 70, gut = PR > 71) Ende erste Klasse

LG: PR < 15

LG: PR 16 ± 30

LG: PR 31 ± 70

LG: PR > 71

LF: PR < 15 LF: PR 16 ± 30 LF: PR 31 ± 70 LF: PR > 71

39 %/N = 42 17 %/N = 18 10 %/N = 27 10 %/N = 25

14 %/N = 15 21%/N = 22 17 %/N = 47 8 %/N = 20

36 %/N = 39 49 %/N = 51 45 %/N = 121 35 %/N = 88

10 %/N = 1 1 13 %/N = 14 28 %/N = 77 46 %/N = 1 15

Ende zweite Klasse

LG: PR < 15

LG: PR 16 ± 30

LG: PR 31 ± 70

LG: PR > 71

LF: PR < 15 LF: PR 16 ± 30 LF: PR 31 ± 70 LF: PR > 71

39 %/N = 41 25 %/N = 31 10 %/N = 29 5 %/N = 1 1

23 %/N = 24 21%/N = 26 17 %/N = 46 5 %/N = 12

29 %/N = 30 40 %/N = 51 50 %/N = 139 32 %/N = 73

10 %/N = 10 14 %/N = 18 22 %/N = 62 57%/N = 129

Ende vierte Klasse

LG: PR < 15

LG: PR 16 ± 30

LG: PR 31 ± 70

LG: PR > 71

LF: PR < 15 LF: PR 16 ± 30 LF: PR 31 ± 70 LF: PR > 71

46 %/N = 53 27%/N = 32 10 %/N = 32 3 %/N = 7

15 %/N = 17 13 %/N = 15 1 1%/N = 35 4 %/N = 9

31%/N = 36 32 %/N = 38 40 %/N = 128 27%/N = 59

8 %/N = 9 28 %/N = 33 38 %/N = 122 66 %/N = 146

223

Die mittelfristige Entwicklung von Schülern mit Teilleistungsschwierigkeiten

Tabelle 7. Lesefehler (LF) und Lesegeschwindigkeit (LG): Vergleich der Kinder mit geringen Leistungen in beiden Bereichen, in einem oder in keinem Bereich nach Prozentranggruppen im Gesamtscore der Leseleistung (LE) am Ende der vierten Klasse Grundschule

LF/LG 1. Kl.: beides schwach LF/LG 1. Kl.: LF schwach LF/LG 1. Kl.: LG schwach LF/LG 1. Kl.: beides durchschn.

LE: PR < 15

LE: PR 16 ± 30

LE: PR 31 ± 70

LE: PR > 71

61 % 15% 39% 3%

16 % 13 % 28 % 8%

16% 59% 23% 44 %

6% 13 % 9% 45 %

Unsichere Leser: Kinder, die in der ersten Klasse in der Lesesicherheit zu den schwächsten Schülern (= Prozentrang unter 15) zählten, aber in der Lesegeschwindigkeit zu den durchschnittlichen oder guten Schülern (= Prozentrang > 30) gehörten Langsame Leser: Kinder, für die die Diskrepanz zwischen Lesesicherheit und Lesegeschwindigkeit in die andere Richtung ging, die also in der ersten Klasse zwar in der Lesegeschwindigkeit zu den schwächsten Schülern (= Prozentrang unter 15) zählten, aber in der Lesesicherheit zu den durchschnittlichen oder guten Schülern (= Prozentrang > 30) gehörten Durchschnittliche Leser: Als Vergleichsgruppe dienten Kinder, die in beiden Dimensionen zu den durchschnittlichen bis guten Schülern gerechnet wurden.

Tabelle 8. Anteil jener Schüler, für die von den Lehrern ein Übertritt in die Hauptschule empfohlen wurde. Angaben getrennt für Schüler unterschiedlicher Leistungsstufen im Lesen und Rechtschreiben am Ende der ersten bzw. der vierten Klasse (schwach = PR < 15, etwas schwach = PR 16 ± 30, durchschnittlich = PR 31 ± 70, gut = PR > 71)

Die Kontinuität der Leseschwierigkeiten war bei den Kindern am höchsten, die am Ende der ersten Klasse sowohl in der Lesesicherheit als auch in der Lesegeschwindigkeit einen Rückstand aufwiesen. Etwas geringer war die Wahrscheinlichkeit bei den Kindern, die am Ende der ersten Klasse nur in der Lesegeschwindigkeit zurückgeblieben waren. Im Gegensatz dazu erreichte der Groûteil jener Kinder durchschnittliche Werte, deren Schwierigkeiten am Ende der ersten Klasse auf eine gröûere Unsicherheit beim Lesen beschränkt gewesen waren. Umgekehrt erzielten fast alle Kinder, die bereits am Ende der ersten Klasse sowohl in der Lesegeschwindigkeit als auch in der Lesesicherheit durchschnittliche bis gute Leistungen erbracht hatten, ähnlich gute Leistungen auch am Ende der vierten Klasse (siehe Tab. 7).

66 % der Schüler im Anschluss an die vierte Klasse die Hauptschule und etwa ein Drittel die AHS/Gymnasium. Hier ist allerdings hinzuzufügen, dass fast alle Schüler der unteren Leistungsgruppen, die nicht in die Hauptschule übertraten, die vierte Klasse wiederholen mussten.

l

l

l

Übergang Grundschule ± Sekundarstufe Am Ende der vierten Klasse wurden die Lehrer nach ihren Schulempfehlungen befragt (Gymnasium, Hauptschule, etc.). Diese Empfehlungen zeigten einen deutlichen Zusammenhang mit den Leistungen am Ende der ersten Klasse. Genauso deutlich war der Zusammenhang zwischen dem Leistungsstand im Lesen und Rechtschreiben am Ende der vierten Klasse und dem Übertritt in die Schultypen der Sekundarstufe (siehe Tab. 8). In dieser Stichprobe einer ländlichen Region besuchten insgesamt

Einteilung 1. Klasse Einteilung 4. Klasse

PR < 15

PR PR PR 16 ± 30 31 ± 70 > 71

84% 85%

69 % 76 %

68 % 63 %

54 % 49 %

Diskrepanzen zwischen der Lese- und Rechtschreibleistung Zwischen dem Gesamtmaû der Lesefähigkeit (richtige Wörter pro min) und der Rechtschreibsicherheit besteht in allen Klassen ein mittlerer Zusammenhang. Um die Diskrepanz zwischen der Leistung im Lesen und im Rechtschreiben zu erfassen, wurde die Abweichung vom Gesamtmaû des Lesens und des Rechtschreibens berechnet. Von einer deutlichen Abweichung der beiden Teilleistungen wurde dann gesprochen, wenn der Leistungsstand der Kinder in einem Teilbereich als schwach (PR < 15), im anderen Teilbereich hingegen als wenigstens durchschnittlich (PR > 30) zu bewerten war. Auf diese Weise war es natürlich nur bei einem Teil der getesteten Kinder möglich, sie einer klar umschriebenen Gruppe zuzuordnen: etwa 12.5 Prozent der Kinder wiesen entweder im Lesen oder im Rechtschreiben oder in beiden Bereichen zu den drei Testzeitpunkten eindeutige Schwächen auf und etwa die Hälfte gehörte in beiden Bereichen wenigstens zu den durchschnittlichen Schülern.

224

Christian Klicpera, Alfred Schabmann und Barbara Gasteiger-Klicpera

Tabelle 9. Leistungsstand am Ende der vierten Klasse (N = 300)

Status in der 1. Klasse

LE/RS 1. Kl.: beides schwach LE/RS 1. Kl.: LE schwach LE/RS 1. Kl.: RS schwach LE/RS 1. Kl.: beides durchschn.

Der Vergleich der Gruppen, die nach dem Leistungsstand am Ende der ersten Klasse gebildet wurden, mit derselben Einteilung am Ende der vierten Klasse zeigt deutlich, dass die allermeisten Schüler, die am Ende der ersten Klasse den durchschnittlichen und guten Schülern zugeordnet worden waren, auch am Ende der vierten Klasse keine Schwierigkeiten im Lesen oder Rechtschreiben aufwiesen. Umgekehrt verbesserte sich auch ein gröûerer Teil vor allem jener Kinder, die am Ende der ersten Klasse nur im Lesen oder Rechtschreiben Schwierigkeiten gezeigt hatten. Zwar konnte langfristig eine gewisse Stabilität isolierter Lese- bzw. Rechtschreibschwierigkeiten beobachtet werden, nur wenige dieser Kinder wiesen aber in der vierten Klasse dann in beiden Bereichen Schwierigkeiten auf. Viele der Schüler (bei den Kindern mit isolierten Rechtschreibschwierigkeiten sogar zwei Drittel) gehörten am Ende sogar zu den durchschnittlichen Schülern im Lesen und Rechtschreiben (siehe Tab. 9).

Weiterführende Ergebnisse Die Interaktion von Lesesicherheit, Lesegeschwindigkeit und Rechtschreiben ist relativ komplex. Aus diesem Grund wurden Strukturgleichungsmodelle eingesetzt, um die vielfachen Beziehungen zwischen den Leistungsdimensionen simultan zu analysieren. In das Modell gehen die Testergebnisse zur Lesesicherheit, Lesegeschwindigkeit sowie zum Rechtschreiben Ende der ersten, zweiten und vierten Klasse ein. Beim Lesen wurden jeweils Wörter mit unterschiedlicher Vorkommenshäufigkeit in der deutschen Sprache (häufige und seltene) sowie Pseudowörter als Indikatoren der latenten Variable spezifiziert (Prozent richtiger Wörter bzw. Wörter pro Minute). Beim Rechtschreiben wurde der Prozentsatz richtig geschriebener Wörter 1 : 1 einer latenten Dimension zugeordnet (Diktat am Ende der ersten Klasse, Rechtschreibteil des SLRT am Ende der zweiten und vierten Klasse). Ergänzt wurde die Analyse durch die Intelligenz (SPM; Raven, 1998), die Mitte der zweiten Klasse erhoben wurde. Tabelle 10 gibt einen Überblick über die Zuordnungen zwischen manifesten und latenten Variablen.

LE + RS schwach

Status in der 4. Klasse Nur LE Nur RS schwach schwach

LE + RS durchschn.

61 % 15 % 5% 2%

15 % 45 % 5% 1%

8% 40% 65% 95%

15% ± 25 % 2%

Für die Analyse der Stabilität von Leistungen wurde ein latent autoregressiver Ansatz gewählt, wobei Messfehlerkorrelationen bei gleichen Tests (d. h. im Lesen) zugelassen wurden (sich allerdings als minimal erwiesen). Interaktionen zwischen den Leistungen wurden über die Zeit (jeweils von einem Zeitpunkt zum nächsten) spezifiziert. Zwischen den Lese- und den Rechtschreibleistungen wurden keine Interaktionen zum gleichen Zeitpunkt spezifiziert, sondern lediglich eine Korrelation der Messfehler zugelassen. Die Lesegeschwindigkeit wurde jeweils als direkte Funktion der gleichzeitig erhobenen Lesesicherheit modelliert, weil angenommen werden kann, dass Unsicherheit beim Dekodieren die Lesegeschwindigkeit unmittelbar reduziert (langsames, stockendes Lesen). In einem ersten Lauf wurden alle entsprechenden Interaktionen spezifiziert. Alle Leistungen wurden auch direkt als Funktion der Allgemeinbegabung (Intelligenz) spezifiziert. Post-hoc-Analysen ergaben, dass verschiedene Koeffizienten sehr gering (< .10) ausfielen. Diese wurden in einem zweiten Lauf auf den Wert Null festgelegt. Die in Tabelle 10 bzw. Abbildung 3 wiedergegebenen Resultate basieren auf dem post-hoc vereinfachten Modell.

Stabilität der Leistungen Als besonders stabil erweisen sich die Leistungen in der Lesegeschwindigkeit wie im Rechtschreiben. Bei der Lesegeschwindigkeit erreicht der entsprechende Koeffizient für das Intervall von der ersten zur zweiten Klasse bereits .80, von der zweiten zur vierten ± also trotz doppelter Intervalllänge ± einen Wert von .64. Kinder, die also am Ende der ersten Klasse relativ langsam lesen, holen dieses Defizit nur mit geringer Wahrscheinlichkeit bis zum Ende der Grundschulzeit auf. Eine ähnlich ungünstige Prognose muss man für schwache Rechtschreiber machen. Hier ist die Stabilität von der ersten bis zur zweiten Klasse etwas geringer, steigt aber von der zweiten bis zur vierten Klasse (bei dann allerdings gleichen Tests, was im ersten Intervall beim Rechtschreiben nicht der Fall war) deutlich an. Erstaunlich ist, dass die Lesesicherheit nur im ersten Intervall relativ stabil ist, von

225

Die mittelfristige Entwicklung von Schülern mit Teilleistungsschwierigkeiten

Tabelle 10. Messmodell zum Verlauf und der Interaktion von Schulleistungen (Rechtschreiben und Intelligenz waren mit fixer 1 : 1 Zuordnung spezifiziert) Latente Variable

Manifeste Variable

Koeffizient

Intelligenz

SPM IQ

1.0

Lesesicherheit Ende 1. Klasse

Prozent richtige häufige Wörter Prozent richtige seltene Wörter Prozent richtige Pseudowörter häufige Wörter pro Minute seltene Wörter pro Minute Pseudowörter pro Minute Diktat Prozent richtig geschriebene Wörter

.90 .98 .96 .85 .79 .75 1.0

Prozent richtige häufige Wörter Prozent richtige seltene Wörter Prozent richtige Pseudowörter häufige Wörter pro Minute seltene Wörter pro Minute Pseudowörter pro Minute SLRT Prozent richtig geschriebene Wörter

.87 .90 .97 .82 .76 .70 1.0

Prozent richtige häufige Wörter Prozent richtige seltene Wörter Prozent richtige Pseudowörter häufige Wörter pro Minute seltene Wörter pro Minute Pseudowörter pro Minute SLRT Prozent richtig geschriebene Wörter

.94 .98 .80 .70 .82 .72 1.0

Lesegeschwindigkeit Ende 1. Klasse

Rechtschreiben Ende 1. Klasse Lesesicherheit Ende 2. Klasse

Lesegeschwindigkeit Ende 2. Klasse

Rechtschreiben Ende 2. Klasse Lesesicherheit Ende 4. Klasse

Lesegeschwindigkeit 4. Klasse

Rechtschreiben Ende 4. Klasse

der zweiten zur vierten Klasse jedoch kaum autokorreliert ist (.18). Zu diesem Zeitpunkt wird die Lesesicherheit allerdings stärker durch die Sicherheit im Rechtschreiben wie auch durch die Lesegeschwindigkeit (jeweils Ende der zweiten Klasse erhoben) vorhergesagt.

Interaktionen zwischen den Leistungen Die Interaktion von Lesesicherheit und Lesegeschwindigkeit nimmt ± kontrolliert man die wechselseitigen Einflüsse über die Zeit und die Autokorrelationen der Leistungen ± im Verlauf der Grundschulzeit deutlich ab. Der entsprechende Koeffizient am Ende der ersten Klasse ist .63, am Ende der vierten Klasse .22. Ist langsames Lesen zu Beginn der Volksschulzeit noch stark durch Unsicherheiten im Dekodieren bedingt, so werden beide Leistungsdimensionen mit der Zeit voneinander unabhängiger. Die in den zuvor berichteten Ergebnissen angedeutete Stabilität des Zusammenhangs zwischen beiden Komponenten ist also primär autokorrelativ und durch Einflüsse über die Zeit bedingt.

In den ersten beiden Jahren der Grundschulzeit zeigt sich im Verlauf deutlich ein stärkerer Einfluss des Lesens auf das Rechtschreiben als umgekehrt. Sowohl Lesesicherheit wie auch Lesegeschwindigkeit sagen in etwa gleicher Höhe die späteren Leistungen im Rechtschreiben voraus, während umgekehrt das Rechtschreiben nur die Lesesicherheit, nicht aber die Lesegeschwindigkeit vorhersagen kann. Die entsprechenden Koeffizienten liegen um .30. Von der zweiten bis zur vierten Klasse kehrt sich das Bild um: Hier wird das Lesen durch das Rechtschreiben vorhergesagt, wobei wiederum primär die Lesesicherheit eine Funktion des Rechtschreibens (in der zweiten Klasse) ist. Für die Lesegeschwindigkeit ergibt sich lediglich ein marginaler Einfluss (.16). Ein ähnliches Muster findet sich in der gegenseitigen Vorhersagbarkeit von Lesefehlern und Lesegeschwindigkeit. In den ersten beiden Jahren der Grundschulzeit findet sich ein relativ geringer Zusammenhang von .22, wobei die Lesesicherheit die Lesegeschwindigkeit vorhersagt. Der Koeffizient zwischen Lesegeschwindigkeit (erste Klasse) und Lesesicherheit (zweite Klasse) beträgt lediglich .06 (in Abb. 3 weggelassen). Zwischen der zweiten

226

Christian Klicpera, Alfred Schabmann und Barbara Gasteiger-Klicpera

.42

Rechtschreiben

Rechtschreiben

.27

.72

Rechtschreiben

.34

.21

.16 .28

Intelligenz

.23

Lesesicherheit

.65

Lesesicherheit

.27

.63 .22

.24 Lesegeschwindigkeit

.80

Ende 1. Klasse

Lesegeschwindigkeit

Ende 2. Klasse

.18

Lesesicherheit

.42 .64

.22

Lesegeschwindigkeit

Ende 4. Klasse

Abbildung 3. Strukturgleichungsmodell zum Verlauf und der Interaktion von Schulleistungen (Koeffizienten < .15 weggelassen; es liegt eine gute Modellanpassung vor, die durch die folgenden Kenngröûen beschrieben wird: AGFI = .99; NFI = .98; PNFI = .82, RMR = .08).

und der vierten Klasse ist umgekehrt ein relativ starker Einfluss der Lesegeschwindigkeit auf die Lesesicherheit vorhanden (.42), wobei der Koeffizient für den umgekehrten Effekt nahezu Null ist. Das vorliegende Modell weist einen Einfluss der Allgemeinbegabung auf die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben nur für den Beginn der zweiten Klasse aus. Der Einfluss ist relativ gering (Lesesicherheit: .23; Rechtschreiben: .21). Die Lesegeschwindigkeit erweist sich als von der Allgemeinbegabung unabhängig.

Diskussion Die Ergebnisse der Längsschnittstudie zeigen zunächst in Bezug auf die Lesefehler eine Annäherung zwischen schwächeren und besseren Lesern während der ersten Schuljahre. Man kann demnach im deutschen Sprachraum für die untersuchten Klassenstufen nicht von einem kumulativen Defizit der schwachen Schüler sprechen, vielmehr scheint es insbesondere in den ersten beiden Schuljahren zu einer deutlichen Abnahme der Unsicherheit beim Lesen zu kommen. Dieses Aufholen im Bereich der Lesesicherheit muss freilich vor dem Hintergrund der Entwicklung durchschnittlicher Schüler gesehen werden, die bereits frühzeitig eine groûe Sicherheit beim Lesen erreicht haben. Dies hat zur Folge, dass die schwächsten fünf Prozent der Leser am Ende der Grundschule erst den durchschnittlichen Leistungsstand von Schülern am Ende der ersten Klasse und damit schon einen Rückstand von drei Jahren in der Lesesicherheit erreicht haben.

Die differenzierte Testung der mündlichen Leseleistung hat zudem gezeigt, dass das Lesen von Pseudowörtern den schwächsten Lesern weit mehr Schwierigkeiten bereitet als den jüngeren durchschnittlichen Schülern, dass also das phonologische Rekodieren beim Lesen eine für diese Kinder schwierig zu erlernende und zu automatisierende Teilfertigkeit darstellt. Zudem belegt die Untersuchung verschiedener Aspekte der Lesefähigkeit, dass diese nicht zur Gänze dem Muster des Zusammenrückens und Angleichens des Leistungsstandes folgt. Maûe, die als Gesamtindikator der Lesefähigkeit gelten können und eine Kombination aus Lesesicherheit und Lesegeschwindigkeit darstellen, sprechen eher gegen die Möglichkeit, die anfänglichen Defizite beim Lesen insgesamt aufholen zu können. Das Strukturgleichungsmodell weist der Lesegeschwindigkeit eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung der Lesekompetenz im Zeitraum nach der ersten Klasse und vor allem nach der zweiten Klasse zu. Die Lesegeschwindigkeit erweist sich demnach als wichtiger Antrieb für die Weiterentwicklung der Lesesicherheit und in geringerem Ausmaû auch der Rechtschreibfähigkeit. Neben dem Strukturgleichungsmodell unterstreicht auch die Differenzierung zwischen Kindern, die nur in der Lesesicherheit oder in der Lesegeschwindigkeit einen Rückstand aufweisen, die wichtige Funktion der Lesegeschwindigkeit für die weitere Entwicklung der Lesekompetenz. Es scheint demnach leichter zu sein, Lesefehler zu überwinden, als eine zu geringe Geschwindigkeit im Lesen zu verbessern. Für Aussagen zur Prognose von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten ist es aller-

Die mittelfristige Entwicklung von Schülern mit Teilleistungsschwierigkeiten dings, ebenso wie für die Therapieplanung nötig, beides zu erfassen, sowohl die Lesesicherheit als auch die Lesegeschwindigkeit, da Kinder mit Schwierigkeiten in beiden Bereichen die ungünstigste Prognose haben und eine Steigerung der Lesegenauigkeit auch für die weitere Entwicklung der Rechtschreibfähigkeit von Bedeutung ist. Von Bedeutung für ein besseres Verständnis der Leseund Rechtschreibentwicklung dürften auch die Ergebnisse bezüglich der Merkmale von Kindern mit isolierten Rechtschreibschwierigkeiten sein. Hier wurden die früheren Ergebnisse der Wiener Längsschnittuntersuchung bestätigt. Zum einen konnte nachgewiesen werden, dass eine solche Gruppe existiert, weiters wurde gezeigt, dass sie schon relativ früh ± nämlich am Ende der ersten Klasse identifizierbar ist, allerdings erweist sie sich zu diesem Zeitpunkt als nicht besonders stabil. Geklärt wurde auch, dass die Merkmale des Rechtschreibens, die diese Gruppe auszeichnen, nur in der ersten Zeit des Schriftspracherwerbs in einer groûen Zahl von lautgetreuen, aber orthographisch inkorrekten Schreibweisen bestehen.

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227

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