2013 Jahrbuch für Archäologie und Paläontologie in Hessen Herausgegeben von hessenARCHÄOLOGIE am Landesamt für Denkmalpflege Hessen
zusammengestellt von Udo Recker
Jens Köhler Die älteste Pfeife Hessens? - Zu einem Fundstück aus Eiterfeld-Arzell. S. 67 bis 70
In Kommission bei
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Es gibt weitere Theorien über die Funktion der „Feuerböcke“, die ebenfalls kontrovers diskutiert werden. Diese reichen von Nackenstützen über Votivfeuerbock, Mondbild bzw. -idol, (Haus-/Herd-) Altar, Hüttenakroter bis hin zu Kulthorn oder astrogeodätischem Messinstrument. Eindeutig bestimmen lässt sich die Verwendung der „Feuerböcke“ bislang also nicht. Aufgrund der zumeist schlechten Machart kann man eine rein funktionelle Verwendung eher verwerfen, sodass eine kultisch-rituelle Nutzung wahrscheinlicher erscheint. Um dies jedoch genauer klären zu können, muss man weitere Stücke und eine genauere Auseinandersetzung mit diesen abwarten. Literatur R. Baumeister, Außergewöhnliche Funde der Urnenfelderzeit aus Knittlingen, Enzkreis. Bemerkungen zu Kult und Kultgerät der Spätbronzezeit. Fundberichte aus Baden-Württemberg 20, 1995, 377 – 448. – W. Diehl, Mond-Idole aus gebranntem Ton mit zoo morphen Verzierungen – die ältesten stammen aus RheinlandPfalz. Mainzer Zeitschrift 82, 1987, 251 – 257. – F.-R. Herrmann, Die Funde der Urnenfelderkultur in Mittel- und Südhessen. Rö misch-Germanische Forschungen 27 (Berlin 1966). – S. Matzerath, „Feuerbock“ und „Mondidol“ in der späten Urnenfelderzeit – Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung eines Symbolträgers und seinen
frühestens Belegen in der Beigabensitte. Vorträge des 29. Nieder bayerischen Archäologentages, 2010 (2011) 95 – 138. – O. Tschu mi, Vorgeschichtliche Mondbilder und Feuerböcke. Jahresbericht des Historischen Museums Bern 1911 (1912) 1 – 45.
4 Alsbach/Bickenbach. Um zeichnung ausgewählter Ke ramik (Zeichnung: D. Dosdall, hA. – Fotobearbeitung: D. Semper, hA).
Ein ungewöhnliches hallstattzeitliches Einzelobjekt von der Gasleitungstrasse im Landkreis Fulda
Die älteste Pfeife Hessens? – Zu einem Fundstück aus Eiterfeld-Arzell In den Wintermonaten Februar und März des Jahres 2013 war als bodendenkmalpflegerische Schutzmaßnahme im Bereich des künftigen Trassenverlaufes der FGL MIDAL-Süd Loop eine bauvorgreifende Grabung in der Gemarkung Arzell angesetzt. Die ausgewiesene Grabungsfläche lag in südöstlicher Ortsrandlage von Arzell und erstreckte sich in südlicher Richtung einen Hang hinauf (Abb. 1). Das winterliche Wetter mit sehr niedrigen Temperaturen und Schneefällen machten dabei die Arbeiten nicht immer angenehm (Abb. 2). Die etwa ersten zwanzig Meter der geöffneten Fläche zeigten, wie das stark reliefierte Gelände schon hatte vermuten lassen, eine Auflage in Form eines Kolluviums. Bis auf zerflitterte Stückchen Brandlehm und Holzkohle ließ es keine archäologisch relevanten Auffälligkeiten erkennen. In der unteren Hanglage dagegen wurden die ersten Befundverfärbungen aufgedeckt. Neben unregelmä-
ßigen Befundflecken, die ad hoc nicht näher kategorisiert werden konnten, fiel Befund 3 durch seine intensiv dunkle Färbung und seine regelmäßig runde Form als vielversprechend auf. Der im Arbeitsverlauf immer weiter nach außen erweiterte Profilschnitt ergab sehr schnell Gewissheit, dass es sich um eine Kegelstumpfgrube handeln musste. Diese üblicherweise als Getreidespeicher gedeutete Befundgattung zeichnet sich im Profil durch weit nach außen gezogene Sohlenecken aus. Die Grube in Arzell wies dabei noch zwei von der „Normalform“ abweichende Besonderheiten auf: Die unteren Ecken waren sehr schmal ausgezogen und die Verfüllung zeigte einen mehrschichtigen Aufbau (Abb. 3). Auf der Sohlenmitte zeichnete sich ein heller, flach gewölbter Bereich ab, der aus Siedlungsabfall bestand. Hier war vermutlich Abfall nach Aufgabe der Speicherfunktion in den nun leeren Hohlraum geschüttet worden. Dabei wurde die 67
Jens Köhler
1 Eiterfeld-Arzell. Blick auf die Grabungsfläche von Norden (Foto: J. Köhler, hA).
Grube nicht komplett verfüllt. Danach war im Zuge mehrerer Einfüllphasen Abfallmaterial und Brandschutt in die Grube gelangt, wie der Bereich rechts im Profil zeigte. Diese hellere Verfüllung wurde in einem letzten Schritt durch eine graubraune Einfüllung ersetzt, die wiederum als Abfall aus dem Siedlungsbereich zu deuten ist. Dieser größte Anteil der Verfüllung erfreute die Ausgräber angesichts einer Vielzahl zerscherbter Keramik, die sich aufgrund ihrer formalen Charakteristika und Machart problemlos der späten Hallstattzeit zuweisen lässt (Abb. 4). Neben Fragmenten grobkeramischer Vorratsgefäße prägten überwiegend Schalen mit leicht einziehenden und abgeschrägten Rändern das Keramikspektrum. Neben einem kleinen Henkelbecher verdient noch ein besonders schönes Miniaturgefäß Erwähnung (Abb. 5), dessen Form größeren Schalen mit ausgestelltem Rand und leicht eingezogenem Hals folgt. Im Folgenden soll ein keineswegs alltägliches, eher merkwürdiges Fundstück näher betrachtet werden. Das hier vorzustellende Objekt besteht
2 Eiterfeld-Arzell. Arbeitssitua tion auf einer „Wintergrabung“ (Foto: J. Köhler, hA).
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aus gebranntem Ton von brauner Grundfärbung. Deutlich ist der zweiteilige Aufbau des Artefaktes (Abb. 6). Den größeren Teil bildet ein 2,8 x 3 cm großer, hochovaler, oben offener Körper. Wie die einfach gerundeten Ränder ohne Brüche zeigen, war diese Gestaltung beabsichtigt. Im hinteren Bereich ist leider eine kleine Fehlstelle im Gefäßkörper zu beobachten. Dadurch offenbart sich allerdings die innere Zusammensetzung des gebrannten Tons, der nur wenige, überwiegend kleine Magerungspartikel aus anorganischen Materialien wie Steingrus enthält. Auffällig an diesem Teil des Artefakts sind Partien mit Schwärzungen, die sich vor allem im hinteren unteren Hohlkörperbereich konzentrieren. Gleiche Flecken sind auch im Innenraum in Bodennähe zu beobachten. Vermutlich bezeugen diese eine nachträgliche Feuereinwirkung. Der andere Teil des Objektes schließt sich nahtlos im unteren Abschnitt des Hohlkörpers an. Es handelt sich um eine zierliche rundliche Tülle von etwa 1,9 cm Länge und mit einem Durchmesser von 1,2 cm. Der Länge nach ist sie durchlocht, wobei die Bohrung am Tüllenansatz rund und am Tüllen ende trapezförmig ausgeführt ist. Der Boden ist asymmetrisch abgeflacht, sodass das Tüllenende immer zum Aufliegen kommt. In der Gesamtansicht ergibt sich ein kleines löffel- oder pfeifenartiges Gefäß. Zur kulturellen Einordnung und Interpretation solcher Funde, die erst ein lebendiges Bild der Vergangenheit ermöglichen, ist eine eindeutige Funktionsbestimmung anhand von Analogien bzw. Parallelen grundlegend. Vergleiche mit anderen Fundstücken bezüglich der Form grenzen die Funktionszuweisung ein. Im vorliegenden Fall kommt eine Verwendung als Sauggefäß infrage. Entsprechende Gefäße weisen neben einem geschlossenen Hohlkörper mit Einfüllöffnung eine röhrenförmige Tülle auf. Diese „Babyflaschen“ sind etwa aus dem hellenistischen Griechenland, Kreta oder Etrurien überliefert. In Mitteleuropa sind Sauggefäße gehäuft in der Urnenfelderkultur nachweisbar, wo sie als Grab- und
3 Eiterfeld-Arzell. Die Kegel stumpfgrube Befund 3 in der Profilansicht (Foto: G. Grösch, hA).
Siedlungsfunde schon fast eine Leitform darstellen. Allerdings verfügen diese spätbronzezeitlichen Exemplare über eine ausgesprochen ovale Form mit ausgezogenen Spitzen, von denen eine durchlocht ist – eine Formvariante des Sauggefäßes, die sich bis in die Neuzeit belegen lässt. In der Gegenüberstellung mit dem Objekt aus Arzell sind sie wesentlich größer und eindeutig als Hohlgefäß bestimmbar. Für den Nachweis einer zusätzlichen Gabe von Milch an einen Säugling bietet das Fundstück aus Arzell aber einfach zu wenig Inhalt. Bei der Beschreibung des Objektes wurde auf dessen pfeifenartiges Erscheinungsbild hingewiesen. Ist es möglich, dass bereits in der Eisenzeit Pfeifen als Genusshilfsmittel im heutigen Sinn benutzt wurden? Formal zeigt das Objekt aus Arzell alle Aspekte einer modernen Tabakspfeife – einen ovalen Hohlkörper als Brennraum und eine Tülle zum Ansaugen des Inhalts. Auch könnten die Erhitzungsspuren vom Entzünden des Inhaltes stammen. Die Kürze der Tülle und damit die Gefahr von Verbrennungen könnte durch das Einstecken eines eventuell hölzernen Mundstückes behoben werden. Bei dieser Betrachtungsweise wäre der wechselnde Querschnitt der Tüllenbohrung plausibel. Das trapezförmige Profil am Tüllenende konnte zusammen mit einem gleich geformten Hohlzapfen am Mundstück rutschfest verbunden werden. Eine Parallele zum Stück aus Arzell stammt aus einem Befundkomplex der Hügelgräberbronzezeit bei Bad Abbach „Heidfeld“ im Landkreis Kelheim in Bayern; M. Rind sprach sich für eine Interpretation als Rauchpfeife aus. Eine Nutzung als Pfeife zum Rauchen erscheint mir aus den genannten Gründen am wahrscheinlichsten. Zwar hat die Tabakpflanze erst in der Folge der Entdeckung Amerikas in Europa eine nennenswerte Verbreitung gefunden, jedoch wurden andere Genuss- und Rauschmittel wie etwa Hanf (Cannabis sativa) oder Schlafmohn (Papaver somniferum) nachweislich schon im Neolithikum konsumiert. Sicherlich ist auch das Rauchen von getrockneten Kräutern oder Pilzen nicht abwegig. In welchem
Kontext das Rauchen während der Hallstattzeit erfolgt sein könnte, lässt sich nicht beantworten. Neben kultisch rituellem Rauchen liegt es in der Natur des Menschen, auch aus ganz profanen Gründen dem Genuss auf mannigfaltige Art zu frönen.
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4 Eiterfeld-Arzell. Auswahl von Scherbenmaterial aus Be fund 3 (Fotos: D. Semper, hA).
5 Linke Spalte: Eiterfeld-Arzell. Das Miniaturgefäß (Foto: D. Semper. – Zeichnung: D. Dosdall, hA). 6 Rechte Spalte: Eiterfeld-Ar zell. Das „pfeifenartige“ Objekt (Foto: D. Semper. – Zeichnung: D. Dosdall, hA).
Präzisere Aussagen zu dem Fundstück aus Befund 3 von Arzell werden eventuell die in die Wege geleiteten naturwissenschaftlichen Untersuchungen des Gefäßinhaltes ermöglichen. Sollten die Ergebnisse die vorgeschlagene Deutung erhärten, liegt auf der FGL-Trasse MIDAL-Süd Loop bei Arzell eine bemerkenswerte vorgeschichtliche Fundstelle vor, die wohl die älteste Rauchpfeife in Hessen erbrachte.
LITERATUR C. Eibner, Die urnenfelderzeitlichen Sauggefäße. Ein Beitrag zur morphologischen und ergologischen Umschreibung. Prähistori sche Zeitschrift 48, 1973, 144 – 199. – M. Rind, Die älteste Ton pfeife Bayerns aus einer bronzezeitlichen Siedlung im Baugebiet Bad Abbach, „Heidfeld“. Das Archäologische Jahr in Bayern 1993 (1994) 60 – 61.
Gastrassengrabung erbringt eisenzeitliche Siedlungsstelle bei Hünfeld-Sargenzell, Lkr. Fulda
Zwei Hälften eines „Napoleonshutes“ aus zwei räumlich getrennten eisenzeitlichen Gruben Matthias Sopp
Von Ende Oktober bis Mitte Dezember 2012 wurde in der Gemarkung Sargenzell, Stadt Hünfeld, ein maximal 490 m langer und rund 15 m breiter Trassenabschnitt, der sich annähernd von Norden nach Süden erstreckte, von Mitarbeitern der hessen ARCHÄOLOGIE untersucht. Die Ausgrabungen fanden im Vorfeld des 2013 ausgeführten Baus 70
der „neuen“ Erdgasfernleitung MIDAL-Süd Loop statt. Die „neue“ MIDAL-Trasse verläuft auf diesem Streckenabschnitt in der Flur 4 nördlich von Sargenzell vollkommen parallel zu einer neu verlegten K+S Kalisalzleitung und der bestehenden MIDAL-Gasleitung von 1992, die 5 m bzw. 10 m weiter westlich verlaufen. Von einem 30 m breiten
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