Die Kunst der Täuschung - Retuschetechniken der Fotografie und ihr Einsatz in der stalinistischen Bildpolitik

June 1, 2017 | Author: Louis K. | Category: Anthropology, Art History, Soviet History, Photography, Stalin and Stalinism
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Louis Killisch / Matrikelnummer: 566510
1. Semester Kulturwissenschaften (HF) /
Regionalstudien Asien/Afrika (NF) an der HU Berlin
SE Die Materialität der Fotografie bei Holger Brohm






Thesenpapier zur mündlichen Prüfung

Die Kunst der Täuschung
Retuschetechniken der Fotografie und ihr Einsatz in der stalinistischen Bildpolitik





Einleitung
Die Fotoretusche ist so alt wie das Medium selbst. Sie findet Einsatz sowohl in der privaten, als auch der öffentlichen Fotografie. Während erstere sich eher an ästhetischen Maßstäben orientiert, kommen in letzter vermehrt manipulative Aspekte zum tragen. Es bedarf dabei komplizierter Verfahren, die hohe technische Raffinesse für sich beanspruchen.
Welche Möglichkeiten der nachträglichen Bildbearbeitung gibt es? Wie erlaubten verbesserte technische Möglichkeiten beispielsweise der staatlich gelengten Propaganda in der Sowjetunion (1929 -1953) politische Schlüsellereignisse nachträglich glaubhaft zu verklären?



I.
In den analogen Retuschetechniken kann man sowohl das Positv, als auch den Negativfilm (früher: Glasplatte) bearbeiten. Es lassen sich dabei unterschiedliche mechanische und chemische Techniken anwenden.
Die mechanische Arbeitsweise erfordert großes Geschick und Feingefühl vom Retuscheur, der sein Handwerk meist in einer umfangreichen Ausbildung erlernen muss. Als Werkzeuge kommen sehr weiche Bleistifte, Wattebausche, feine Pinsel, skalpell-, spatel- und lanzenförmiges Retuschierbesteck, Schleifsteine und Luftpinsel (Airbrush) zum Einsatz.
Grundlage fast aller chemischen Methoden ist das Bad in einer Lösung, um bestimmte Farb- und Deckungstöne zu erhalten. Soll ein bestimmtes Areal nicht behandelt werden, so muss dieses mit einem transparenten Abdecklack bestrichen werden.
Unter Einsatz obengenannter Techniken lassen sich ähnliche Ergebnisse wie in der digitalen Bildbearbeitung erzielen.



II.
Ein historisch einzigartiges Beispiel sind die umfangreichen Fotomanipulationen in der Stalinära von 1929 bis 1953. Die Gründe für die massiv betriebene Veränderung offizieller Fotografien liegen in der Person Stalins selbst. So existieren von ihm weniger als ein dutzend Fotografien vor 1923. Insbesondere aus der glorreichen" Revolutionszeit der 1910er Jahre gibt es kaum Aufnahmen. Durch nachträgliche Fotocollage konnte er jedoch an wichtigen Ereignissen teilnehmen", neben Lenin und anderen Größen.
Eine anderer, umso erschreckendere Praktik, war das Entfernen bestimmter, in Ungnade gefallener Personen aus den offiziellen Veröffentlichungen. Die Löschung aus einem Foto korrespondierte dabei tatsächlich mit der mörderischen Realität. Während der politischen Säuberungen" in den 1930ern wurden viele frühere Weggefährten Stalins, auf seinen Befehl hin, eliminiert. Um keine Fragen aufzuwerfen, wurden auch alle Fotografien mit betreffenden Personen retuschiert. Gängige Verfahren waren hierbei die Airbrush-Methode oder das Ausschneiden und Neuarrangieren eines Fotos.
Die Zensur drang sogar in das Privatleben ein: um nicht als abtrünnig zu gelten, mussten die Sowjetbürger die Verräter" auch aus allen privaten Fotoalben und Büchern ausschneiden, Bibliotheken und Buchläden wurden gefilzt und ganze Auflagen eingestampft. Ziel war es, nicht nur die Person selbst zu vernichten, sondern auch die Erinnerung an diese auszulöschen.



III.
Wissenshistorisch steht die stalinistische Bildpolitik ganz im Zeichen eines pictorial turns (vgl. Albrecht 2007). Das fotografische Abbild seiner Person lässt sich ebenso so lesen" wie ein Quelltext. Es ist interessant zu sehen, wie unter Zuhilfenahme der Fotoretusche ein komplett neuer Geschichtskanon geschaffen wurde.
Dies gibt Anlass sich aus einer neuen Perspektive dem Stalinismus zu nähren und die Fotografien zum Ausgangspunkt einer Argumentation zu machen. Statt sie lediglich als visuelles Anschauungsmaterial zu verwenden, könnte sie so eigentlicher Gegenstand von Untersuchungen werden.


Literatur
Hicks, Roger W.: Finishing. In: The Oxford Companion to the Photograph. Oxford University Press. Online seid 2006.
Sachsse, Rolf/Lenman, Robin: Propaganda. In: The Oxford Companion to the Photograph. Oxford University Press. Online seid 2006.
Welz, Reinhard (Hrsg.): Lexikon der Reprotechniken. Mannheim 2007. Online einsehbar auf http://www.openisbn.com/preview/3866565364/ (Stand: 17.02.2015), S. 488-491.
King, David: Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulation in der Sowjetunion. Hamburger Edition. Hamburg 1997, S. 7-13, S. S. 100f.
Albrecht, Clemens: Interpretationsfälschung. In: Liebert, Wolf-Andreas/Metten, Thomas (Hrsg.): Mit Bildern lügen. Herbert von Halem Verlag. Köln 2007, S. 38-43.
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