Die kongestive Myelopathie durch spinale durale arteriovenöse Fisteln

June 2, 2017 | Author: Hermann Zeumer | Category: Clinical Sciences
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Nervenarzt 1998 · 69:279–286 © Springer-Verlag 1998

Übersicht C. Koch1 · H.C. Hansen2 · M.Westphal3 · T. Kucinski1 · H. Zeumer1 1 Abteilung für Neuroradiologie (Direktor:Prof.Dr.H.Zeumer) Universitäts-Krankenhaus Eppendorf,Hamburg 2 Neurologische Klinik und Poliklinik (Direktor:Prof.Dr.K.Kunze) Universitäts-Krankenhaus Eppendorf,Hamburg 3 Neurochirurgische Klinik und Poliklinik (Direktor:Prof.Dr.H.-D.Herrmann) Universitäts-Krankenhaus Eppendorf,Hamburg

Die kongestive Myelopathie durch spinale durale arteriovenöse Fisteln Anamnese, Klinik, Diagnostik,Therapie und Prognose Zusammenfassung Die kongestive Myelopathie durch die spinale Durafistelerkrankung (SDAVF) – früher oft als Varikosis spinalis oder Foix-AlajouanineSyndrom bezeichnet – wird durch eine bislang nur angiographisch nachweisbare arteriovenöse Kurzschlußverbindung verursacht, wobei der arterielle Zufluß über die meningealen Arterien und der venöse Abfluß des arterialisierten Blutes in die spinalen perimedullären Venen erfolgt.Die Erkrankung tritt bevorzugt bei Männern und jenseits der 6.Lebensdekade auf.Der chronische Rückstau in die Rückenmarksvenen führt zunächst zu funktionellen und reversiblen, schließlich bleibenden Schäden, wobei als häufigstes Symptom eine zunehmend paretische Gangstörung beobachtet wird.Die von distal nach proximal aufsteigenden, häufig symmetrischen Paresen sind im Verlauf der Erkrankung meist langsam progredient.Analog hierzu entwickeln sich Sensibilitätsstörungen, die bei Diagnosestellung überwiegend querschnittsförmig verteilt sind, und Störungen der Blasen-MastdarmFunktion, die meist zu einer Inkontinenz führen.Der kernspintomographische Befund ist durch eine typischerweise zentral im Rückenmark gelegene, leicht raumfordernde Signalanhebung, die initial einem rückbildungsfähigen Stauungsödem und später Stauungsinfarkten entsprechen, sowie erweiterte perimedulläre Gefäße gekennzeichnet.Tritt die beschriebene klinische Befund-

konstellation in Kombination mit diesem relativ charakteristischen kernspintomographischen Befundmuster auf, ist die Verdachtsdiagnose der kongestiven Myelopathie so wahrscheinlich, daß eine angiographische Abklärung indiziert werden muß.Da unsere Ergebnisse belegen, daß der therapeutische Erfolg der Behandlung und damit die Prognose der Erkrankung entscheidend vom Ausmaß der klinischen Symptome zum Zeitpunkt der Diagnosestellung abhängt, muß angesichts der guten Behandlungsmöglichkeiten die Diagnose, die bei Beachtung der klinischen Leitsymptome mit Hilfe der kernspintomographischen Schnittbilddiagnostik leichter denn je vorverlegt werden kann, so früh wie möglich erfolgen, um den Patienten vor einem bleibenden spinalen Querschnitt zu bewahren. Schlüsselwörter Arteriovenöse Gefäßmißbildung, spinale · Arteriovenöse Malformation, spinale · Fistel, arteriovenöse · Fistel, spinale durale · Rückenmark, Kernspintomographie · Magnetische Resonanztomographie,spinale · Myelographie · Angiographie · Therapie, Embolisation

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ie chronische Myelopathie durch eine kongestive Schädigung des Rückenmarks als Folge einer spinalen duralen arteriovenösen Fistel (SDAVF) ist heute eine gut behandelbare Erkrankung, wenn sie rechtzeitig erkannt wird. Bevor Kendall u. Logue [18] im Jahre 1977 erstmals die morphologischen und pathophysiologischen Zusammenhänge der Erkrankung beschrieben haben, war ein nach Foix u. Alajouanine [12] benanntes Syndrom einer Myelomalazie und erweiterter intraduraler, perimedullärer Venen bekannt, ohne daß die die Erkrankung verursachenden Pathomechanismen erklärt werden konnten. Obwohl durch zahlreiche Veröffentlichungen von Einzelfällen und Untersuchungsserien [3, 4, 6, 18, 20, 22, 25, 27, 28, 32] der Bekanntheitsgrad der Erkrankung zugenommen hat, wird sie häufig erst nach längerer Krankheitsdauer diagnostiziert. Dabei fällt auf, daß uns die an einer SDAVF erkrankten Patienten gehäuft von denselben Ärzten zur klärenden Diagnostik und Therapie zugewiesen werden, so daß eine positive Patientenselektion zu vermuten ist. Es ist also von großer BedeuDr. C. Koch Abteilung für Neuroradiologie, Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, Martinistraße 52, D-20246 Hamburg& y d & : k c o l b n f / Der Nervenarzt 4·98

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Nervenarzt 1998 · 69:279–286 © Springer-Verlag 1998

C.Koch · H.C.Hansen · M.Westphal T.Kucinski · H.Zeumer Congestive myelopathy as a result of a spinal dural arteriovenous fistula. History, clinical findings, diagnosis, therapy and prognosis Summary Congestive myelopathy, formerly referred to as varicosis spinalis or Foix-Alajouanine syndrome, is caused by a spinal dural arteriovenous fistula (SDAVF).So far, the blood supply from the meningeal arteries draining through the fistula into the medullary venous system can only be verified by spinal angiography.Patients predominantly male and over the age of 60 are afflicted.Initially reversible functional disorders caused by the congestion of the spinal cord veins eventually become irreversible, the most common symptom being an increasingly paretic gait disorder, the signs of which generally begin symmetrically and progress from distal to proximal signs.Simultaneously, predominantly transverse sensory dysfunctions develop, as well as bladder and bowel dysfunctions, most oftenly leading to incontinence. MRI typically shows a central medullary signal enhancement with slight swelling of the afflicted region, initially indicative of a reversible congestive edema and later of an irreversible infarction, and extended perimedullar vessels.Thus, if the clinical course and the characteristic MRI findings suggest the possibility of disease related to congestive myelopathy, spinal angiography becomes indispensable.Since ensuing the success of therapy and prognosis depends on rapid determination of the extent of the illness, a speedy diagnostic reaction is mandatory to institute the treatment necessary to prevent paraplegia. Key words Spine, vascular abnormalities · Arteriovenous malformations, spinal · Fistula, arteriovenous · Fistula, spinal dural · Spinal cord, magnetic resonance imaging · Myelography · Angiography · Therapy, embolization

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Übersicht tung, die klinischen Symptome und diagnostischen Befunde, die frühzeitig und zuverlässig auf dieses Leiden hinweisen, zu definieren. Mit der folgenden Übersichtsdarstellung werden die diagnostischen Gesichtspunkte dargestellt, die sich aus den Beobachtungen der eigenen Krankheitsfälle der letzten sieben Jahren ergeben haben.

Pathoanatomie und Pathophysiologie Die Ätiologie der Erkrankung ist unbekannt. Viele Indizien sprechen jedoch dafür, daß es sich um eine erworbene Erkrankung handelt [3, 6, 22, 27]. Einigkeit besteht darin, daß eine pathologische durale arteriovenöse Fistel mit venöser Drainage in das intradurale rückenmarkseigene Venensystem vorliegt [3, 18, 22]. Als fistelzuführendes Gefäß kommt jede duraversorgende Arterie in Betracht, wobei die intradural in oder an einer Nervenwurzeltasche gelegene Kurzschlußverbindung am häufigsten zwischen dem meningoradikulären Ast einer Segmentarterie und dem radikulären Segment der korrespondierenden Radikulospinalvene gebildet wird [3, 6, 18, 22, 28, 32]. Zusätzlich wirkt sich eine verminderte Drainage der intraduralen, perimedullären in die extraduralen, radikulospinalen Venen als ein die Erkrankung mitauslösender Faktor aus [6, 22, 29, 32]. Die durch das Mißverhältnis von arteriellem Zufluß und venösem Abfluß bedingte Druckerhöhung im subarachnoidal gelegenen koronalen Venenplexus führt durch den Rückstau in die das Rückenmark drainierenden Radialvenen zu einem Abfall des arteriovenösen Druckgradienten mit Störung der medullären Mikrozirkulation. Das hierdurch zunächst auftretende, anfangs noch reversible Stauungsödem mündet im weiteren Verlauf in eine oligämischhypoxische Schädigung des Rückenmarkes, die schließlich in der von Foix u. Alajouanine [12] beschriebenen nekrotisierenden Myelopathie endet. Zu akuten klinischen Verschlechterungen kann es durch spontan auftretende Thrombosen der rückenmarksdrainierenden Venen kommen [3, 18]. Im Gegensatz zu den Verläufen kranialer Durafisteln mit epizerebraler Venendrainage [7] spielen subarachnoidale und

intramedulläre Blutungen als klinisches Symptom keine Rolle [3, 6, 20, 22, 27, 28]. Bevorzugte Lokalisation der SDAV-Fisteln sind die untere Hälfte der Brustwirbelsäule und die obere Lendenwirbelsäule [3, 27].

Methode Die vorliegende Untersuchung beruht auf einer retrospektiven Auswertung der Krankenunterlagen von 40 Patienten, bei denen innerhalb der letzten 7 Jahre im Rahmen eines stationären Aufenthaltes eine SDAVF festgestellt und behandelt wurde. Es wurden neben der Alters- und Geschlechtsverteilung, der Anamnesedauer sowie der prädiagnostischen Krankengeschichte der Patienten die neurologischen Befunde zum Zeitpunkt der Diagnose erfaßt. Zusätzlich wurde die funktionelle Auswirkung der motorischen Ausfallserscheinungen auf die Mobilitität der Patienten in Anlehnung an eine von Aminoff u. Logue inaugurierte Skalierung [2] in 5 aufsteigenden Graden semiquantitativ bewertet. Von den technisch-apparativen Untersuchungen wurden die Ergebnisse der Liquoranalyse, der Elektrophysiologie (SEP) und der 3 neuroradiologischen Untersuchungsverfahren (Kernspintomographie, Myelographie und Angiographie) in die Auswertung einbezogen. Der operative Behandlungserfolg wurde getrennt nach der Art der Behandlung (chirurgisch, endovaskulär und kombiniert) untersucht. Zur Prognose nach erfolgter Behandlung wurden Befundänderungen in Abhängigkeit vom prätherapeutischen Mobilitätsgrad erfaßt, wobei als Verbesserung bzw. Verschlechterung nur eine Änderung der Mobilität um mindestens einen Grad gewertet wurde.

Ergebnisse Patienten und Anamnese Unsere Auswertung zeigt, daß es sich um eine Erkrankung mit chronischprogredientem Verlauf handelt, von der die Patienten – vorwiegend Männer – im fortgeschrittenen Lebensalter betroffen werden (Tabelle 1). Bei einem Mittelwert von 60 Jahren waren 85% der Patienten jenseits des 50. Lebensjahres mit einer statistisch signifikanten Differenz des Altersmittels

Tabelle 1 Patientenalter (in Jahren) und Anamnesedauer (in Monaten) n=40 alle Patienten [%] Intervall

Median

Mittelwert

29 11 8 32

59 66 2 17

58 65 12 24

männlich weiblich akute Symptomatik subakute Symptomatik

72,5 27,5 20,0 80,0

der männlichen und weiblichen Patienten (p


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