Die Burgen der Mittelgebirgszone. Eisenzeitliche Fluchtburgen, befestigte Siedlungen, Zentralorte oder Kultplätze?

July 27, 2017 | Author: Jens Schulze-Forster | Category: Late Iron Age (Archaeology), Hillforts and Enclosures
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Description

RÄTSEL SCHNIPPENBURG Sagenhafte Funde aus der Keltenzeit

Herausgegeben von Sebastian Möllers und Bodo Zehm mit Beiträgen von Jochen Brandt Axel Friederichs Sebastian Möllers Hartmut Polenz Wolfgang Schlüter Jens Schulze-Forster

2007 VERLAG DR. RUDOLF HABELT GMBH · BONN

Einbandvorderseite oben: Situationsfoto des Wallrestes auf der Schnippenburg und Ausschnitt aus dem Vermessungsplan von 2001. (Foto: Axel Hartmann, Köln; Planaufnahme: IKG Hannover) Einbandvorderseite unten rechts und Rückseite: Vollplastische Fibel von der Schnippenburg in stilisierter Wiedergabe und Foto. Die geschwungenen „höckerartigen“ Wellen zwischen den vorstehenden spiralförmigen Kreisen sind ein typisches Motiv der Latènekultur in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts vor Christus. (Foto: Axel Hartmann, Köln)

Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich.

Redaktion: Axel Friederichs (Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück) Amelie Soyka, Köln

© Landschaftsverband Osnabrücker Land e.V. und Autoren Alle Rechte vorbehalten

Layout: Konrad Bokeloh (Rasch, Bramsche) Axel Friederichs (Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück)

Die Deutsche Bibliothek – CIP Einheitsaufnahme

Kommissionsverlag: Verlag Dr. Rudolf Habelt GmbH · Bonn ISBN 978–3–7749–3502–0 1. Auflage 2007 Gesamtherstellung: Rasch Druckerei und Verlag, Bramsche Printed in Germany

Einbandgestaltung: Bildschön – Büro für Gestaltung, Melle www.bildschoen-werben.de Unter der ISBN 978–3–7749–3503–7 ist der vorliegende Titel auch zusammen mit dem Kolloquiumsband „Keltische Einflüsse im nördlichen Mitteleuropa…“ erhältlich.

Inhaltsverzeichnis

Jochen Brandt Unruhige Zeiten – das dritte Jahrhundert vor Christus

17

Axel Friederichs Die vorrömische Eisenzeit des Osnabrücker Landes im Spiegel der Bestattungssitten

39

Wolfgang Schlüter Das Osnabrücker Land im Fernwegenetz Nordwestdeutschlands

61

Hartmut Polenz Kult- und Opferstätten der vorrömischen Eisenzeit in Nordwestdeutschland

97

Jens Schulze-Forster Die Burgen der Mittelgebirgszone. Eisenzeitliche Fluchtburgen, befestigte Siedlungen, Zentralorte oder Kultplätze?

109

Sebastian Möllers Rätsel Schnippenburg

145

Sebastian Möllers Funde und Befunde – entscheidend ist der Zusammenhang

197

Verzeichnis der Autoren und Herausgeber

252

15

Jens Schulze-Forster Die Burgen der Mittelgebirgszone Eisenzeitliche Fluchtburgen, befestigte Siedlungen, Zentralorte oder Kultplätze?

Schon lange vor den Steinburgen des Mittelalters prägte ein dichtes Netz von Befestigungen die Mittelgebirge. Die verfallenen Wälle haben sich vor allem in den Wäldern erhalten, wo sie früh die Phantasie der Menschen bewegten. Die volkstümliche Verknüpfung mit übernatürlichen Wesen („Hünenburg“, „Riesenkopf“) oder historischen Namen („Wittekindsburg“) waren erste Versuche, den Ursprung der rätselhaften Bauwerke zu erklären. Seit gut 100 Jahren beschäftigt sich die Ringwallforschung mit dieser Denkmälergruppe. Am Anfang standen die katalogartige Erfassung der Befestigungen und die Vorlage präziser Pläne. Prägende Akteure der frühen Burgenforschung waren Carl Schuchhardt in Niedersachsen, die Altertumskommission für Westfalen und das Museum Wiesbaden in Hessen-Nassau (Emil Ritterling, Ernst Brenner, Ferdinand Kutsch). Projekte wie der „Atlas der vorgeschichtlichen Befestigungen in Niedersachsen“ (VON OPPERMANN/SCHUCHHARDT 1888–1916) oder der „Atlas vor- und frühgeschichtlicher Befestigungen in Westfalen“ (Atlas 1920) sind Initialleistungen der Landesforschung, die bis heute Bestand haben. Begleitende Grabungen lieferten erste Hinweise auf die vorrömische Eisenzeit. Die Burgenforschung, die zunächst auf Spuren der Römer- und Sachsenkriege fixiert war, erhielt ein neues Arbeitsfeld. Die Deutungen blieben ereignisgeschichtlich orientiert. Die Ringwälle wurden als konkrete Zeugnisse kriegerischer Auseinandersetzungen in den Jahrhunderten vor Christi Geburt betrachtet („Fluchtburg“). Die zahlreichen Burgen im Lahn-Sieg-Gebiet erklärte Heinz Behaghel mit der Sicherung des erzreichen Siegerlands („Eisenland“). Seine Gliederung der Eisenzeit im Schiefergebirge kann gleichzeitig als Quintessenz der ersten Phase intensiver Ringwallforschung zwischen Main und Lippe angesehen werden (BEHAGHEL 1943), bevor Krieg und Nachkriegszeit den Faden abreißen ließen (Behaghel selbst fiel 1943). Dem furiosen Auftakt im frühen 20. Jahrhundert folgte eine lange Phase der Stagnation. Nennenswerte Untersuchungen fanden nach dem Krieg nur auf der Pipinsburg bei Osterode (1954/1975: CLAUS/SCHLÜTER 1975; SCHLÜTER 1975) und dem Christenberg bei Marburg statt (1964–1970: GENSEN 1989; WEGNER 1989). Die Tagung zum ältereisenzeitlichen Befestigungswesen 1997 in Münster ließ die unlösbaren Defizite deutlich werden: dürftige Funde (überwiegend spröde Siedlungskeramik), undatierte Wälle und fehlende Siedlungsstrukturen. 109

Akademische Theorie (die Burgen als Schlüsselquelle zur Eisenzeit im Mittelgebirgsraum) und archäologische Realität klaffen weit auseinander. Zu unterschiedlich sind die Burgen und der jeweilige Forschungsstand, zu groß die Wissenslücken, um die weiterführenden Fragen nach Ursprung, Funktion und historischer Bedeutung der Plätze zu beantworten (BÉRENGER 1997b; BÉRENGER 1999; HEINE 1999). Der Anspruch, das Phänomen der Burgen von der Hallstattzeit bis zur Spätlatènezeit darstellen und verstehen zu wollen, ist deshalb nicht einzulösen. Was hat der frühkeltische Fürstensitz auf dem Glauberg mit der mittellatènezeitlichen Schnippenburg bei Osnabrück und der spätlatènezeitlichen Großsiedlung auf dem Dünsberg zu tun? Die drei Plätze stehen für unterschiedliche historische Erscheinungen. Bei genauem Hinsehen gibt es jedoch eine Gemeinsamkeit: Alle drei weisen in größerem oder kleinerem Umfang Funde des dritten Jahrhunderts vor Christus auf. Sie befinden sich damit in bester Gesellschaft. Eine Belegung am Übergang von der Früh- zur Mittellatènezeit ist für die Befestigungen im Mittelgebirgsraum geradezu typisch. Sie bilden vom Main bis zum Wiehengebirge die größte Gruppe. Noch wichtiger ist die Feststellung, dass im Kunsthandwerk, im Brauchtum/Kult, wohl auch in der Sozialordnung enge kulturelle Gemeinsamkeiten sichtbar sind. Die Burgen des dritten Jahrhunderts vor Christus bezeichnen ein spezifisches historisches Phänomen. Neue Funde und Befunde wie von der Schnippenburg unterstreichen diese Ansicht (siehe Beiträge MÖLLERS in diesem Band). Die mittellatènezeitlichen Burgen stehen deshalb im Zentrum des Beitrags. Geographisch geht es um den westlichen Mittelgebirgsraum zwischen Taunus/Lahngebiet, nördlichem Mittelgebirgsrand und mittlerer Weser/Leinetal.

Der mittellatènezeitliche Burgenhorizont – Definition und Chronologie

3 Abb. 1 Plastisch profilierte Ringe und Fibeln aus Höhensiedlungen des nordwestlichen Mittelgebirgsraums. 1–7, 10–14 Bronze; 8–9 Bronze mit hinterlegtem Eisenband. (nach PESCHEL 1992, 114 Abb. 2)

33 Abb. 2 Kriegergrab der Stufe Lt C1 aus Wachenheim (Rheinhessen). (nach BEHRENS 1927, 60 Abb.; unmaßstäblich verkleinert)

110

Bereits vor 30 bzw. 15 Jahren haben Peter Glüsing und Karl Peschel einen signifikanten mittellatènezeitlichen Fundhorizont auf Wallanlagen im Mittelgebirgsraum herausgestellt (GLÜSING 1976/77; GLÜSING 1980; PESCHEL 1992). Sie stützten sich dabei auf zeittypische Tracht- oder Schmuckgegenstände: Ringe mit plastischen Wülsten, Rippen oder Buckeln sowie Fibeln mit langgestieltem Vasenfuß (Abb. 1). Die Stücke stehen unverkennbar in der keltischen Stiltradition der ausgehenden Frühlatènezeit („plastischer Stil“), lassen aber örtliche Herstellung erkennen. Zeitlich markieren sie den Übergang von der Stufe Lt B2 zur Stufe Lt C1 (Mittellatènezeit), also die Mitte des dritten Jahrhunderts vor Christus. Grabfunde aus Süddeutschland belegen das Nebeneinander traditioneller (Frühlatèneschema-Fibeln mit Vasenfuß) und fortschrittlicher Elemente (Fibeln vom Mittellatèneschema, Schwertketten, Gürtelketten = Lt C1) in dieser Phase (Abb. 2). Den beiden Forschern standen damals nur wenige Funde zur Verfügung. Die Ära der Schatzsucher hat zu einer sprunghaften Vermehrung des Fundmaterials geführt. Die Ringwallforschung musste kurz vor ihrem 100. Geburtstag lernen, dass sie vom Reichtum des Fundstoffs keine Vorstellung

gehabt hatte. In Hessen hat sich die Zahl der mittellatènezeitlichen Wallanlagen auf diese Weise fast verdoppelt. Diese Kennziffer, die viel über den begrenzten Wissensstand aussagt, dürfte auf den gesamten Mittelgebirgsraum übertragbar sein. Komplexe wie Holzhausen-Oberwald bei Wetzlar, der Negenborn bei Einbeck oder die Schnippenburg bei Osnabrück sind Entdeckungsfahrten in eine 111





  

  

      



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