Die Burganlage Grzybowo-Rabieżyce vor dem Hintergrund der piastischen Staatsbildung

May 23, 2017 | Author: Ingo Petri | Category: Early Medieval And Medieval Settlement (Archaeology), Fortified Settlements (Archaeology), Piast Dynasty, Early Medieval Fortifications, Slavic Archaeology, Medieval Poland
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Starigard Jahresbericht des Fördervereins des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel

Band 8 / 2007

Inhaltsverzeichnis Vorwort

3

Haus-, Diplom-, Magister- und Doktorarbeiten Ingo Petri Die Burganlage Grzybowo-Rabieżyce vor dem Hintergrund der piastischen Staatsbildung

6-14

Marcus Gerds Boote für die Toten - Eine skandinavische Grabsitte des frühen Mittelalters an der südlichen Ostseeküste in Groß Strömkendorf bei Wismar

15-22

Ben Krause-Kyora Scharbeutz, Kr. Ostholstein, LA 252. - Überlegungen zum Leben und Sterben anhand eines Gräberfeldes der Jastorfkultur in Schleswig-Holstein.

23-35

Benjamin Irkens Sejlflod in Himmerland - Auswertungsperspektiven eines Gräberfeldes

36-45

Florian Trede Formenbestand und Distribution hochmittelalterlichen Glases in Mitteleuropa

46-54

Institut der Ur- und Frühgeschichte der CAU Doris Mischka Die Grabungskampagne 2007 auf dem neolithischen Fundplatz Bad Oldesloe-Wolkenwehe LA 154 im Brenner Moor

55-61

Johannes Schroeter Exkursionsbericht zur Jahresexkursion nach Kleinpolen, Ostungarn, Slowakei und Tschechien vom 22. bis 31. Oktober 2007

62-66

Stefan Auber & Tomasz Staniewicz Die frühbronzezeitliche Siedlung in Bruszczewo, Polen, Grabungskampagne 2007 Sunhild Kleingärtner Unterwasserarchäologische Prospektion und Dokumentation von Flussübergängen des 7.16. Jahrhunderts – Einblicke in die unterwasserarchäologische Ausbildung am Kieler Institut für Ur- und Frühgeschichte

67-71

72-77

Christoph Rinne

Archäoinformatik – Verantwortung für das materielle und digitale kulturelle Erbe

78-80

Neue Forschungen Timo Ibsen Die Suche geht weiter – das Rätsel der wikingerzeitlichen Siedlung von Wiskiauten

81-87

Stefanie Klooß Entwicklung einer internationalen Datenbank zu Unterwasserfundplätzen Das MACHU Projekt der EU Hauke Dibbern Stare Bojanowo, Bericht zur Sondagegrabung 2006 Arne Paysen Meilergrabung Bargstedt, 4.-19. Oktober 2007

88-90

91-95

96-104

Archäologie in der Öffentlichkeit Luise Lorenz Cinarchea 2008 - Archäologie trifft Film

105-107

Förderverein intern Tätigkeitsbericht des Jahres 2008 der Arbeitsgruppe für maritime und limnische Archäologie (AMLA)

108-114

Vortragsreihe im Winter 2007/2008

114-115

Kassenbericht vom 31. Dezember 2006 - 31. Dezember 2007

104

Beitrittserklärung

105

Haus-, Diplom-, Magister- und Doktorarbeiten Starigard 8, 2007, 6-14

Die Burganlage Grzybowo-Rabieżyce vor dem Hintergrund der piastischen Staatsbildung Ingo Petri Einleitung: In dem vorliegenden Artikel soll die Burganlage Grzybowo-Rabieżyce vor dem Hintergrund der piastischen Staatsbildung in Großpolen am Beginn des 10. Jahrhunderts betrachtet werden. Lage und Beschreibung: Das Dorf Grzybowo liegt im Landkreis Wreschen (powiat wrzesiński) in der Woiwodschaft Großpolen (województwo Wielkopolskie) in Polen (Abb. 1). Außerhalb des Dorfes, in der Flur Rabieżyce, befindet sich der Ringwall einer frühmittelalterlichen Burganlage. Sie ist unweit der Landstraße von Wreschen (Września) nach Witkowo gelegen, aus dieser Richtung ist sie heute durch einen Zufahrtsweg zu erreichen (Brzeski u. Abb. 1: Frühpiastische Burgen in Großpolen: 1 - Burgen des 10./11. Jhs.; 2 Burgen vermutlich des 10./11. Jhs.; 3 - kleine, lokale Burgen; 4 - Burgen zweiten a. 2000, 57). Ihre Lage ist typisch für frühmittelalterli- Ranges; 5 - Burgen ersten Ranges; 6 - Kirche, archäologisch oder schriftlich belegt; 7 - vermutliche Kirche; 8 - Palatium, archäologisch belegt; 9 - vermutliches che Burgen in Großpolen. Sie liegt in einem Palatium; 10 - Bischofs- bzw. Erzbischofssitz (Kurnatowska 1995, Abb. 1). schmalen Flusstal auf dem Ostufer des Baches Struga, der auch Rudak genannt wird, eines ZuOstseite der Burg erreicht er noch eine Höhe von flusses der Warthe (Warta). Ungefähr die Hälfte der ca. 6,5 m über dem Außenniveau. Richtung WesBreite des Flusstales wird von der Burg eingenomten nimmt die Höhe kontinuierlich ab und auf der men (Kowalenko 1938, 48). Im Westen, Norden Westseite ist er stark verebnet (Schwarz 1878, 315). und Süden der Burg befanden sich bis vor wenigen Im Bereich des heutigen Zufahrtsweges ist der Wall Jahren feuchte Wiesen (Brzeski u. a. 2000, 57). 1878 obertägig nicht mehr zu erkennen. Der Innenraum erinnerte sich der damalige Besitzer des Geländes der Burg ist um ca. 1,5 m gegenüber dem Außengenoch daran, dass diese Wiesen einst ein Sumpf walände erhöht, in seiner Nordhälfte befindet sich eine ren (Schwartz 1878, 315). Im Osten ist das Gelände weitere Erhöhung um ca. 0,5 m. höher gelegen und damit trockener (Brzeski u. a. Auf der Nord-, Süd- und Ostseite ist die Anlage von 2000, 57). einem ca. 2 m tiefen und ca. 5 m breiten EntwässeDer Grundriss der Burganlage lässt sich als rungsgraben umgeben. Dieser wurde 1935 gegraben Viereck mit abgerundeten Ecken beschreiben (Brzeski 1938, 152) und ist im Westen mit der Stru(Schwartz1878, 315) (Abb. 2). Ihr Wall ist heute ga verbunden. Heute führt er nur selten Wasser. dicht mit Bäumen und Büschen bewachsen, auf der Die Gesamtfläche der Burg beträgt ca. 4,4 ha inner-

Die Burganlage Grzybowo-Rabieżyce vor dem Hintergrund der piastischen Staatsbildung



Abb. 2: Höhenlinienplan der Burg mit den Grabungsschnitten der Ekspedycja Wykopaliskowa w Grzybowie (I. Petri 2006, Abb. 4).

halb des Entwässerungsgrabens und die Innenfläche ca. 2,3 ha (B. Petri 1998, 16 ff.). Damit gehört sie zu den größten frühmittelalterlichen Burganlagen in

Großpolen (Kowalenko 1938, 53). Südwestlich der Burg wurde bei Grabungen eine offene Siedlung erfasst (Kurnatowska u. Tuszynski

 2003b, 169). Östlich und südöstlich der Burg kamen beim Pflügen und bei Altgrabungen Knochen und Keramikscherben zu Tage (Brzeski 1938, 152; Schwarz 1878, 315). Diese könnten ebenfalls von einer offenen Siedlung oder von einem Gräberfeld stammen. Forschungsgeschichte und Publikationsstand Die Burg erregte schon immer das Interesse der örtlichen Bevölkerung, die sie als „Schwedenschanze“ bezeichnete und damit mit dem Krieg zwischen Polen und Schweden im 17. Jahrhundert in Verbindung brachte. Diese Benennung ist häufig für ur- und frühgeschichtliche Befestigungsanlagen in dieser Gegend (Tuszynski 2004, 12 f.). Auf dem Messtischblatt 2001 ist die Anlage als „Slaven Schanze“ eingetragen (Kowalenko 1938, 218). Erste archäologische Ausgrabungen in der Burg und außerhalb des Walles wurden 1878 von W. Schwartz durchgeführt. Die genaue Lage seiner Schnitte ist unbekannt. Von den gefundenen Keramikscherben ordnete er einige dem so genannten „Burgwalltypus“ zu, womit sich die Burganlage ins Früh- bis Hochmittelalter datieren ließ (Brather 2005, 81). Seine Ergebnisse veröffentlichte er in den „Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte“ (Schwarz 1878). Irgendwann vor 1889 wurde beim „Abfahren der Burg“ (Übers. Verf.) ein Silberschatz in einem Keramikgefäß gefunden. Es handelte sich um Münzen, die teilweise zerteilt waren. Das genaue Funddatum und der Verbleib der Stücke sind unbekannt (Slaski u. Tabaczynski 1959, 23). In jüngerer Zeit wurden bei Metalldetektorbegehungen wahrscheinlich weitere Reste dieses Schatzes gefunden (AndraŁojĆ u. AndraŁojĆ 2002, 134). 1937 führte der damalige Gymnasiast O. Brzeski Ausgrabungen in der Burg durch. Auch die genaue Lage seines Schnittes ist unbekannt. Er veröffentlichte seine Ergebnisse in der Zeitschrift „Z otchłani wieków“ (Brzeski 1938). Außerdem wurde der Fundort in mehrere Kataloge und Kartierungen von Burgen eingetragen (z. B. Schumacher 1924, 7; 28; Hensel 1953, 160 ff.; Kirschke u. Prinke 1995, 12 f.) und in mehreren Büchern über das frühe Mittelalter erwähnt (Kostrzewski 1949, 107 Anm. 153; 520; Kostrzewski u. a. 1965, 320; Bobinski 1975, 39 Abb. 41). Im Jahre 1984 fertigten W. Hilczer und M. Tuszyński einen Höhenlinienplan der Burg an. Die archäologischen Forschungen wurden auf Initiative von O.

Ingo Petri

Brzeski im Rahmen der Komisja Archeologiczna Poznańskiego Towarzystwa Przyjaciół Nauk (Archäologische Kommission der Posener Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften) aufgenommen. Durchgeführt werden sie bis heute von der Ekspedycja Wykopaliskowa w Grzybowie (Ausgrabungsexpedition in Grzybowo) unter der Leitung von M. Tuszyński. Die Finanzierung erfolgt über Sponsoren. 1988 wurden Bohrungen durchgeführt, seit 1989 finden jährliche Ausgrabungen statt. Bis zum Jahre 2005 wurden ca. 3 % der Gesamtfläche der Burg ganz oder teilweise ausgegraben. Zusätzlich fanden 1989 und 1990 Ausgrabungen in einer offenen Siedlung vor der Südwestseite der Burg statt. Seit 1995 erschienen einige einleitende Artikel über die Funde und Befunde der Grabungen durch die Ekspedycja Wykopaliskowa w Grzybowie (z. B. Tuszynski 1995; Kuratowska u. Tuszynski 2003a; Sikorski 2003; http://archeologia.w.toruniu.pl/grzybowo/grzybowo.htm). Die Innenfläche der Burg wurde bis zum Jahre 1997 als Acker genutzt, dann wurde das Gelände vom Muzeum Pierwszych Piastów na Lednicy (Museum der ersten Piasten in Lednica) aufgekauft und in ein archäologisches Schutzgebiet umgewandelt (Kaszubkiewicz 1998). Im Jahre 2003 wurde auch das die Burg umgebende Gelände von der Gemeinde Wreschen erworben und damit von der ackerbaulicher Nutzung ausgeschlossen. Verlauf der Befestigungsanlagen: Die Befestigungsanlagen der Burg sind heute nur noch teilweise im Gelände sichtbar. Der äußere Wall ist nicht mehr in seinem gesamten Verlauf zu verfolgen, eine Berme (Abb. 3) und ein Graben sind nicht zu erkennen. Auch die Frage nach den Toren, die in die Burg führten, ist nicht eindeutig zu beantworten. Die innere Befestigungsanlage aus Wall und Berme

Abb. 3: Bezeichnungen einiger Elemente einer Befestigungsanlage (Zeichnung: B. Petri).

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mit ihrem Anbau und der innere Graben sind komplett verebnet. Nur ihre ungefähre Lage im Nordteil des Burginnenraumes kann noch erahnt werden, da das Gelände an dieser Stelle ca. 0,5 m höher liegt (I. Petri 2006, 24) (Abb. 2). Die folgende Rekonstruktion der Verläufe der Befestigungsanlagen basiert auf den noch obertägig sichtbaren Wallresten, den Ergebnissen der geoelektrischen Prospektion des Burginnenraumes und auf den Ausgrabungsergebnissen. Der äußere Wall ist auf seiner Ostseite noch gut erhalten, hier entsprechen sein Verlauf und seine Fußbreite wahrscheinlich noch weitgehend dem Ursprungszustand. Auf der Westseite der Burg wurde der innere Teil des Walles schon im frühen Mittelalter teilweise abgetragen und überbaut. Hier war er bedeutend breiter, als er heute erhalten ist. Seine bei den Ausgrabungen nachgewiesene Fußbreite von ca. 28 m entspricht in etwa der auf der gut erhaltenen Ostseite der Burg. Der Wall war wahrscheinlich in seinem gesamten Verlauf gleich breit und damit vermutlich auch gleich hoch. Auf der Ostseite ist mindestens eine Zweiphasigkeit des Walles nachgewiesen, diese wurde auf der Westseite bisher nicht erkannt. Eine befestigte Berme um den äußeren Wall ist nicht nachgewiesen. In der Literatur wird mehrfach eine unbefestigte Berme angenommen (zuletzt Tuszynski 2004, 35). Eine unbefestigte Berme würde entstehen, wenn sich in einigem Abstand vor dem Wall eine Geländevertiefung wie zum Beispiel das Bett der Struga befände. Bisher ist jedoch unklar, ob der heutige Verlauf der Struga mit dem frühmittelalterlichen übereinstimmt. Eventuell war eine Berme zur Sicherung des Wallfußes gegen ein Unterspülen durch den Bach gar nicht notwendig. Vor der Ostseite des äußeren Walles befand sich möglicherweise ein Graben. Es handelt sich um einen Sohlgraben mit einer flachen äußeren Böschung. Seine Tiefe betrug ca. 1 m und seine Breite ca. 18 - 20 m. Er führte im frühen Mittelalter wahrscheinlich kein Wasser (Tuszynski 2004, 61). Solche meist breiten, flachen Gräben sind für slawische Burgen häufig belegt, ihre Form ist nicht immer regelmäßig. Sie stellen vermutlich sowohl Materialentnahmegräben für den Wallbau wie auch Elemente der Befestigungsanlagen dar. Vor der Westseite der Burg wurde kein Graben erfasst, hier ist jedoch fraglich, ob aufgrund des sumpfigen Geländes an dieser Stelle die Anlage eines Grabens überhaupt sinnvoll beziehungsweise möglich war. Ein Graben



Abb. 4: Verlauf der jüngeren Bauphase der äußeren Befestigungsanlage (I. Petri 2006, Abb. 7).

wurde hier möglicherweise durch den Sumpf oder die Struga überflüssig gemacht. Über Tore der äußeren Befestigungsanlage sind keine sicheren Angaben möglich, da die in Frage kommenden Bereiche nicht ausgegraben sind. Auf der Ostseite der Burganlage befindet sich eine Kerbe im Wall, außerdem ist der Wallverlauf im Bereich des heutigen Zufahrtsweges unterbrochen (Abb. 2). Bei diesen beiden Stellen könnte es sich um ursprüngliche Tore handeln. Es könnten jedoch auch nachträgliche Störungen sein. Die Unterbrechung auf der Nordseite der Burganlage (Abb. 2) stellt höchstwahrscheinlich die Überreste eines Tangentialtores dar, da sich die gegeneinander versetzten Wallenden an dieser Stelle nicht schlüssig durch nachträgliche Eingrabungen erklären lassen (I. Petri 2006, 24 ff.) (Abb. 4). Die innere Befestigungsanlage ist komplett verebnet. Sie befindet sich im nördlichen Teil des Burginnenraumes. In der Kartierung der geoelektrischen Messergebnisse ist hier eine etwa kreisrunde Struktur mit ca. 80 m Außendurchmesser zu erkennen. Dort, wo sie durch die Grabungen geschnitten wurde, kamen Wallschichten zum Vorschein. Ob sich die innere und die äußere Befestigungsanlage im Norden der Burg vereinen, ob die eine die andere überlagert,

10 oder ob sie nebeneinander verlaufen, ist nicht geklärt, da hier bisher weder Grabungen noch geoelektrische Prospektionen durchgeführt wurden. Der Wall der inneren Befestigungsanlage ist mindestens zweiphasig. Die innere Grenze des Wallfußes und die äußere Grenze des Wallfußes der jüngeren Bauphase wurden bisher durch Grabungen nicht erfasst. Für die ältere Bauphase des inneren Walles ist eine befestigte Berme nachgewiesen, die Bereiche, in denen die Berme der jüngeren Bauphase zu erwarten wäre, sind bisher nicht ergraben. Im Südwesten besitzt die innere Befestigungsanlage einen etwa halbrunden Anbau von ca. 30 m Außendurchmesser, der sowohl durch die geoelektrische Prospektion wie auch durch die Grabungen nachgewiesen ist. Dieser ist ebenfalls mindestens zweiphasig. Sein Innenraum ist aufgrund der komplizierten Befundsituation nicht genau zu lokalisieren, er wurde möglicherweise in der jüngeren Bauphase verfüllt. Beide Bauphasen des Anbaues besitzen je eine befestigte Berme. Die Funktion des Anbaues ist unklar. Im Bereich der inneren Befestigungsanlage und ihres Anbaues, in den Schnitten 4, 6, 7, 11, 21, 26, 39, 41, 47, 52 und vermutlich auch in den Schnitten 40 und 48, befindet sich ein Graben. Es handelt sich um einen Sohlgraben mit einer flachen inneren und äußeren Böschung und einer unebenen Sohle. Er war ca. 1 m tief und führte im frühen Mittelalter sicherlich Wasser. Bei diesem Graben handelt es sich wahrscheinlich nicht um einen künstlich angelegten Graben, sondern um einen natürlichen Wasserlauf. Möglicherweise wurde hier das Bett der frühmittelalterlichen Struga oder eines ihrer Nebenarme erfasst, das durch den heutigen Burginnenraum verlief und ihn im Bereich des heutigen Zufahrtsweges wieder verließ. Es wurde vermutlich bereits vor oder bei Errichtung der Befestigungsanlagen verfüllt und teilweise überbaut. Tore der inneren Befestigungsanlage oder ihres Anbaues wurden bisher nicht nachgewiesen (I. Petri 2006, 32 ff.) (Abb. 5; 6). Datierung: Die folgende Datierung basiert auf dendrochronologischen Datierungen, einer 14C-Datierung und der stratigraphischen Abfolge der Schichten. Die ältesten Hölzer, die in der Burg ausgegraben wurden, stammen aus den 10er Jahren des 10. Jahrhunderts und wurden im inneren Graben und seiner unmittelbaren Umgebung gefunden. Sie gehören

Ingo Petri

Abb. 5: Verlauf der älteren Bauphase der inneren Befestigungsanlage und ihres Anbaues (I. Petri 2006, Abb. 8).

vermutlich teilweise zu einer Konstruktion, mit der der innere Graben verfüllt wurde. Für ihre Herkunft gibt es drei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist, dass zu dieser Zeit bereits eine Siedlung oder Befestigung auf dem Gelände der späteren Burg bestand. Später wurde mit Hölzern dieser Siedlung oder Befestigung der innere Graben verfüllt und die bisher älteste Bauphase der heute sichtbaren Burg errichtet. Die zweite Möglichkeit ist, dass schon zur Zeit dieser früheren Siedlung oder Befestigung begonnen wurde den inneren Graben mit Hölzern zu verfüllen. Später wurde dann die bisher älteste Bauphase der heute sichtbaren Burg darüber gebaut. Die dritte Möglichkeit ist, dass es keine ältere Besiedlung gab, sondern dass im inneren Graben Totholz aufgefunden wurde. Damit wurde dann der Graben verfüllt und die bisher älteste Bauphase der heute sichtbaren Burg errichtet. Diese Bauphase stammt aus den 30er Jahren des 10. Jahrhunderts. Auch in ihrer Konstruktion wurden ältere Hölzer verbaut. Die Burg bestand zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich aus dem inneren Wall mit Berme und Anbau, dem äußeren Wall und möglicherweise dem äußeren Graben. Vermutlich zwischen 940 und 985 wurden die Befestigungsanla-

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gen nach einem Brand mit einer jüngeren Bauphase überbaut. Diese jüngere Bauphase lässt sich möglicherweise mit dem Aus- und Umbau der piastischen Zentralburgen in den 70er - 80er Jahren des 10 Jahrhunderts in Verbindung bringen, der durch dendrochronologische Daten aus Giecz, Gnesen (Gniezno), Posen (Poznań) und Ostrów Lednicki belegt ist (Kurnatowska 2000, 108). Dazu würde auch passen, dass der Brand in Grzybowo-Rabieżyce vermutlich von den Bewohnern der Burg absichtlich gelegt wurde. Das Ziel könnte gewesen sein, den oberen Teil der älteren, inzwischen baufälligen Phase des Walles teilweise abzutragen, um eine ebene und tragfähige Fläche für die Errichtung der jüngeren Bauphase zu schaffen. Nach einer unbestimmten Zeit verlor die Burg an Bedeutung, der äußere Wall wurde auf der Westseite teilweise abgetragen und überbaut. Nachdem die Burg vollständig verlassen war, wurden die innere Befestigungsanlage und ihr Anbau eingeebnet (I. Petri 2006, 46 ff.). Dieses Ende der Burg wird in der Literatur aufgrund des Keramikmaterials und von Münzen im 11. Jahrhundert angenommen (vergl. Kurnatowska u. Tuszynski 1996, 83 f.; Brzeski u. a. 2000, 65; Kurnatowska u. Tuszynski 2003b, 184). Geographische und historische Einordnung der Burg: Am Beginn des 10. Jahrhunderts kommt es in Großpolen zu einer Änderung in der Herrschaftsorganisation - der Wende von der Stammeszeit zum frühen Piastenstaat. Archäologisch lässt sich dies vor allem an der Entwicklung der Burgen verfolgen. In dieser Zeit wird ein Großteil der kleinen Stammesburgen verlassen, einige zeigen Spuren einer gewaltsamen Zerstörung. Stattdessen errichten die ersten Piasten im Zentrum Großpolens ein Netz stark befestigter Zentralburgen zur Konsolidierung des entstehenden Staates (vergl. Kurnatowska 1997, 28 ff.; 2000, 99 ff.; 2002, 60 ff.) (Abb. 1). Die Burganlage Grzybowo-Rabieżyce wird häufig mit dieser frühen Phasen der Entstehung des polnischen Staates in Verbindung gebracht. Weiter wird vermutet, dass Grzybowo eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Festigung des frühen Piastenstaates gespielt hat. (Kurnatowska 2002, 65 ff.; Brzostowicz 2003, 97 f.; 103; 105 Abb. 1; 7; Tuszynski 2004, 10 ff.; 99 f.). Durch die Datierung ihrer Errichtung in die 30er Jahre des 10. Jahrhunderts wird sie als eine

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Abb. 6: Verlauf der jüngeren Bauphase der inneren Befestigungsanlage und ihres Anbaues (I. Petri 2006, Abb. 9).

der ältesten frühpiastischen Burgen angesehen. Zu diesen frühesten piastischen Burgen gehören außer Grzybowo-Rabieżyce noch Giecz und wahrscheinlich auch Ostrów Lednicki und Moraczewo (Abb. 1). In ihnen wurde ein Großteil der damaligen militärischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Macht konzentriert und sie demonstrierten nach innen und nach außen die Macht und den Reichtum des Herrschers. Wie weiter oben erwähnt, lässt sich möglicherweise auch die jüngere Bauphase der Befestigungsanlagen der Burg mit einer Aus- und Umbauphase, die in anderen piastischen Zentralburgen fassbar ist, in Verbindung bringen. Von der Zugehörigkeit Grzybowo-Rabieżyces zu den Burgzentren der ersten Piasten zeugt auch ihre Lage an der Struga, einem Zufluss der Warthe, da die ersten Piasten ihr Burgennetz im Kern des sich bildenden Staates auf das Flusssystem der Warthe stützten. Bei den Ausgrabungen kamen zahlreiche Luxusgüter und Importgegenstände wie Glas-, Karneol-, Bergkristall- und Bernsteinperlen, Schleifsteine aus Phyllit, Ringe von Kettenhemden, Riemenbeschläge, von denen einer vergoldet ist, ein Fingerring, silberne

12 Münzen und Schmuckstücke, ein Silberschatz und reich verzierte Knochen- und Geweihgegenstände zu Tage (Brzeski u. a. 2000, 65 ff.; Kurnatowska u. Tuszynski 2003a; Tuszynski 2004, 99 f.), die die Anwesenheit von Mitgliedern der Elite unter den Bewohnern der Burg bezeugen. Die Größe der Gesamtanlage und die Ausmaße der Befestigungsanlagen sind weitere Indizien für die große Bedeutung der Burg. Wie weiter oben bereits erwähnt, gehört sie mit ihrer Gesamtfläche von ca. 4,4 ha zu den größten frühmittelalterlichen Anlagen in Großpolen. Die Fußbreite des äußeren Walles von ca. 28 m ist mit den Fußbreiten andere Wälle frühpiastischer Burgen vergleichbar, die ebenfalls 20 - 30 m erreichen können (Kurnatowska 2000, 108)1 . Die Höhe des äußeren Walles wurde mit verschiedenen Rechenansätzen auf ca. 11,3 m, ca. 14,4 m oder ca. 16,1 m rückgerechnet (B. Petri 1998, 127 ff.; 156 ff.). Diese Werte liegen etwas über den Höhenschätzungen für die Wälle anderer piastischer Zentralburgen, die sich meistens im Bereich von 9 - 12 m befinden2. Diese Wälle können jedoch durchaus auch höher gewesen sein. Da jedoch ihre oberen Bereiche nicht erhalten sind und auch die Wallsohle nicht auf ihrer gesamten Breite ausgegraben wurde, fallen die Höhenschätzungen dort etwas niedriger aus. B. Petri (1998, 20 f.) hat errechnet, dass zur Errichtung des äußeren Walles von Grzybowo-Rabieżyce bis zu seinem Endausbauzustand mit einer angenommenen Wallfußbreite von ca. 23 m, einer Wallkronenbreite von ca. 4,6 m und einer Höhe von ca. 16,1 m ca. 146 000 m3 Baumaterial notwendig wären. Bei einem Anteil von ca. 57 % Erde und ca. 42 % Bauholz wären dazu ca. 84 000 m3 Erde und ca. 62 000 m3 Bauholz notwendig (B. Petri 1998, 162; 165). Dieser gewaltige Bedarf an Baumaterial und damit auch an Arbeitskräften für die Errichtung der Befestigungsanlagen zeugt davon, dass die Burg Grzybowo-Rabieżyce wichtig genug war, damit sich eine 1Zum Beispiel Breslau (Wrocław) (KÓČka u. Ostrowska 1953, 772), Gnesen (Sawicki 2001, 92; 111), Ląd (Brzostowicz 2003, 99; 103), Posen (Pilarczyk 1988, 29). 2Zum Beispiel Gnesen (Żurowski 1954, 166 ff.; Sawicki 2001, 111; 115 f.), Meseritz (Międzyrzecz) (Kurnatowski 1961, 98), Posen (Karolczak 1988, 228; 233).

Ingo Petri

solche Investition lohnte. Außerdem muss eine Person dahinter gestanden haben, die die Möglichkeit hatte, diese Mengen an Arbeitskräften und Baumaterial bereit zu stellen. Die durchdachte Konstruktion wie auch der Material- und Arbeitsaufwand zeugen vom Können des Baumeisters, was die Planung der Konstruktion und die Organisation der Arbeit angeht (I. Petri 2006, 78 f.). Einige Autoren nehmen einen stammeszeitlichen Ursprung der inneren Befestigungsanlage an (z. B. KrĄpiec 1998, 265; Kurnatowska 2002, 66; Tuszynski 2004, 46; 96 f.). Dies ist jedoch nicht sicher zu beweisen, da die älteren dendrochronologischen Daten auch von Hölzern einer älteren offenen Siedlung oder von verwendeten Tothölzern stammen können (siehe oben). Aus frühpiastischer Zeit sind unbefestigte Siedlungen in der Umgebung der Burg bekannt, die das Hinterland zur wirtschaftlichen Versorgung der Burgbewohner bildeten (Brzostowicz 2003, 97 f. Abb. 7). Aus der Stammeszeit sind keine Siedlungsspuren in der näheren Umgebung der Burg bekannt, in dieser Zeit würde also gar kein wirtschaftliches Hinterland existieren, dass für das Überleben der Bewohner einer Burg sehr wichtig wäre (Brzostowicz 2003, 91 ff. Abb. 1). Warum diese wichtige Burg schon nach relativ kurzer Zeit ihre Bedeutung verlor und verlassen wurde, ist unklar. Eventuell hängt dies mit Änderungen der Organisation im Piastenstaat zusammen (Tuszynski 2003). Ausblick: Die Burg Grzybowo-Rabieżyce stellt eine wichtige frühpiastische Zentralburg dar. Warum sie so wichtig war und warum sie später ihre Bedeutung verlor ist bisher nicht bekannt. Möglicherweise befand sich direkt außerhalb des Walles auf der Südwestseite der Burg ein Eisenverhüttungsareal. Hinweise darauf sind, dass die Struga auch den Namen „Rudak“ (von poln. ruda = Erz) trägt, was auf die Existenz von Eisenerzen in ihrer Umgebung hindeutet. Auf den Äckern westlich und südlich der Burg kamen beim Pflügen immer wieder kleine Erz- und Schlackebrocken zu Tage. Hing die Bedeutung der Burg also mit der Eisenerzeugung zusammen? Dieser Frage soll jetzt im Rahmen einer Dissertation nachgegangen werden. Natürlich sind auch noch viele andere Fragen zu dem Fundort ungeklärt. Deswegen werden die Grabungen in der Burg fortgeführt •

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Autor: Dipl.-Prähist. Ingo Petri Institut für Ur- und Frühgeschichte Christian-Albrechts-Universität 24098 Kiel E-mail: [email protected]



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