Die Autorität der Tradition im Dekret des Bischofs Burchard von Worms - ein Phänomen der Interpassivität?

July 10, 2017 | Author: Birgit Kynast | Category: Mittelalter, Burchard of Worms, Mittelalterliche Geschichte, Kirchenrecht, Kanonistik
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Silvan Wagner (Hrsg.)

Interpassives Mittelalter? Interpassivität in mediävistischer Diskussion

PETER L A N G

EDITION

B A Y R E U T H E R BEITRÄGE ZUR LITERATURWISSENSCHAFT Herausgegeben von Walter Gebhard, Michael Steppat, Gerhard Wolf

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PETER L A N G

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier.

ISSN 4721-2844 ISBN 978-3-631-66225-0 (Print) E-ISBN 978-3-653-05224-4 (E-Book) DOI 10.3726/978-3-653-05224-4 © Peter Lang G m b H Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2015 Alle Rechte vorbehalten. Peter Lang Edition ist ein Imprint der Peter Lang GmbH. Peter Lang - Frankfurt am Main • Bern • Bruxelles • New York • Oxford • Warszawa • Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Diese Publikation wurde begutachtet. www.peterlang.com

Birgit Kynast

Die Autorität der Tradition im Dekret des Bischofs Burchard von Worms - ein Phänomen der Interpassivität?

0. Vorbemerkungen Bei dem sogenannten Dekret' des frühmittelalterlichen Bischofs Burchard von Worms (1000-1025) handelt es sich um eine Quelle aus dem Bereich des frühmittelalterlichen Kirchenrechts. Eine solche Quelle mit dem Theorem der Interpassivität, das Robert Pfaller erstmals in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts benannte, in Verbindung zu bringen, bedarf zunächst einer Rechtfertigung. I m primären, noch nicht genau definierten Entwurf Robert Pfallers ging es vor

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Abgesehen von den umfangreichen Handschriften- und Quellenstudien von Hartmut Hoffmann und Rudolf Pokorny wurde das Dekret als Ganzes bisher kaum ausführlich untersucht. Der überwiegende Teil auch der jüngeren Forschungen zum Dekret beschränkt sich dagegen auf einzelne Aspekte oder Teilbereiche des Werkes. Vgl. dazu Hoffmann/Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms; Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000; Corbet: Autour de Burchard de Worms. Ausführlicher auch bei Ubl: Inzestverbot und Gesetzgebung. Zahlreiche Einzelstudien und unterschiedliche Aspekte zum Dekret enthält: Hartmann [Hg.]: Bischof Burchard von Worms 1000-1025. Vgl. ferner Kerner: Studien zum Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Ältere, doch immer noch wichtige Beiträge bieten Paul Fournier und Gabriel LeBras; vgl. dazu vor allem: Fournier/Le Bras: Histoire des CoUections canoniques en Occident depuis les Fausses Decretales jusquau Decret de Gratien. Vgl. zum Text des Dekrets die Ausgabe von J.-P. Migne: Burchard von Worms: Opera omnia; ebenso als ND der Editioprinceps Köln liegt vor: Burchard von Worms: Decretorum libri viginti. Bis heute ist jedoch keine kritische Edition des Textes verfügbar. Vgl. dazu auch die Anmerkungen bei Hartmann: Burchards Dekret, S. 161. Ebenso Fransen: Le Decret de Burchard, S. 25: „Seul ce texte [original, B.K.] permettra des conclusions plus ou moins assurees sur la probite de Burchard, les sources utilisees, sa maniere de travailler" („Allein aufgrund dieser Textgrundlage wäre es möglich, mehr oder weniger gesicherte Aussagen über Burchards Rechtschaffenheit zu treffen, über die Quellen, die er benutzt hat, oder über seine Arbeitsweise")- Leider bedeutet das auch, dass alle Aussagen, die auf der Basis von Mignes Text in der Patroligia latina, bzw. auf der Basis des Textes der Editio princeps erfolgen, nur vorläufig sein können.

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allem um eine „Antwort auf die Zumutungen allgegenwärtiger Interaktivität", die der zeitgenössische Kunstbetrieb hervorrief.^ In der weiteren Ausgestaltung durch Pfaller selbst, aber auch in der Rezeption von Seiten ganz verschiedener Disziplinen haben sich jedoch mehrere unterschiedliche Ansätze zu einem Verständnis von Interpassivität herausgebildet, wie nicht zuletzt der vorliegende Band zeigt. Grundsätzlich und im Einklang mit den ersten Entwicklungen des Begriffs der Interpassivität lässt sich der zentrale Inhalt des Theorems als eine Delegation von Genuss beschreiben. Diese Delegation meint dabei eine von einer behebigen Instanz ausgehende Auslagerung einer Erfahrung oder Handlung an einen Dritten, wobei diese Übertragung entweder an einen anderen Menschen, an einen Gegenstand oder einer abstrakten Größe vollzogen wird.' Der Genuss spielt dabei als zentrales Moment vor allem in einem psychoanalytischästhetischen Verständnis von Interpassivität eine Rolle: Personen können ihre Genüsse, das heißt eigentlich positiv konnotierte Erlebnisse oder Erfahrungen, an einen Stellvertreter delegieren, um diese nicht mehr selbst wahrnehmen zu müssen. E i n eigenthch positiver, allgemein als erstrebenswert gedachter Genuss wird in diesem Verständnis vom Delegierenden subjektiv als Last empfunden, derer er sich zu entledigen sucht. Eine andere Instanz übt nun die Genuss evozierende Handlung aus und erst dadurch kann der Delegierende den Genuss eigentlich erleben." In einem kulturwissenschafthch-historischen Verständnis von Interpassivität, wie es hier zugrunde gelegt werden soll, besteht der interpassive Akt in einer Abgabe im Sinne einer Übertragung oder Delegation einer subjektiv von den delegierenden Protagonisten empfundenen Last an eine von ihnen getrennte Instanz. Die dann von dieser anderen Instanz in stellvertretender Position ausgeführte Handlung ist dabei nicht mehr konstitutiv für die Beschreibung des Aktes

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Vgl. dazu Pias: Genießen unterstellen: „Die Antwort auf die Zumutungen allgegenwärtiger Interaktivität heißt .Interpassivität' und bedarf erheblich geschickterer Konstruktionen als sich einfach zu verweigern und bloß nicht mitzumachen. Wer sich wirklich entspannen mag, dem muß es gelingen, passiv durch jemand anderen zu werden." Vgl. zum Theorem der Interpassivität und seinen verschiedenen Ausprägungen und Interpretationsansätzen insbesondere Pfaller [Hg.]: Interpassivität. Vgl. neuerdings auch Feustel/Koppo/Schölzel [Hg.]: Wir sind nie aktiv gewesen. Vgl. dazu den Beitrag von Robert Pfaller in diesem Band. Vgl. ders.: Einleitung; vgl. ebenso ders.: Das Kunstwerk, hier besonders S. 49f

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vordergründiges Problem, führe es doch häufig dazu, „dass denjenigen, die das Heilmittel der Buße suchen, wegen des ungeordneten Zustands der Bücher, wie auch wegen der Unwissenheit der Priester auf keine Weise geholfen werden"^ könne. Wenn aber die Buße nicht in angemessener Weise geleistet werden kann, dann ist nach dem Verständnis der frühmittelalterhchen Kirche das Seelenheil der Sünder gefährdet. Genau diesem Problem will Burchard von Worms mit seiner Sammlung Abhilfe schaffen. E r will dafür, wie dem Vorwort zu entnehmen ist, das überlieferte Kirchenrecht ordnen und ihm zugleich ein autoritatives Fundament verleihen. Burchard hat dafür, laut eigener Aussage, ausschließlich aus der überlieferten kirchlichen Tradition und deren Rechtsquellen geschöpft.*

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„Multis tarn sfpe diebus familiaritas tua, frater carissime, praesens nobis hortando suggessit, quatenus libellum ex uariis utilitatibus ad opus conpresbyterorum nostrorum tarn ex sententiis sanctorum Patrum quam ex canonibus seu ex diuersis poenitentialibus uigilanti animo corpus in unum colligerem, ob id maxime, quia canonum iura et iudicia poenitentium in nostra diocesi sie sunt confusa atque diuersa et inculta ac si ex toto neglecta et inter se ualde discrepantia etpene nullius auctoritate suffulta, utpropter dissonantiam uix a sciolis possint discerni. Vndefit plerumque, ut confugientibus ad remedium poenitentiae tarn pro librorum confusione quam etiam presbyterorum ignorantia nullatenus ualeat subueniri." („Schon während vieler Tage hast du uns, teuerster Bruder, indem du uns vertrauensvoll ermahntest, vorgeschlagen, dass ich dieses kleine Buch mit wachem Geist zum vielfältigen Nutzen unserer Mitpriester zusammenstellen solle, und zwar aus den Sentenzen der heiligen Väter, aus den Kanones, sowie aus verschiedenen Bußbüchern, und dies vor allem deswegen, weil das kanonische Recht und das Bußwesen in unserer Diözese so durcheinander, uneinheitlich, ungepflegt und vernachlässigt ist, und in sich außerdem so viele Widersprüche enthält und kaum durch eine Autorität gesichert ist, dass es aufgrund dieser Widersprüchlichkeit kaum von Halbwissenden angewandt werden kann. Von daher kommt es meist, dass denjenigen, die Zuflucht beim Heilmittel der Buße suchen, sowohl aufrgund des ungeordneten Zustands der Bücher, wie auch wegen der Unwissenheit der Priester, kaum geholfen werden kann.") In: Burchard von Worms: Decretorum libri viginti, S. 45 (Übersetzung B. K.). Vgl. zur Problematik der Überlieferung und Authentizität des Vorworts: Hartmann: Burchards Dekret, S. 162; Fuhrmann: Zum Vorwort des Dekrets Bischof Burchards von Worms. Vgl. zur Problematik, die im Vorwort des Dekrets angesprochen wird im Zusammenhang mit dessen Abhängigkeit von verschiedenen Vorlagen auch Körntgen: Fortschreibung frühmittelalterlicher Bußpraxis, S. 210f

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„[Qluatenus libellum [...] tam ex sententiis sanctorum Patrum quam ex canonibus seu ex diuersis poenitentialibus uigilanti animo corpus in unum colligerem, [...]" (Burchard von Worms: Decretorum libri viginti, S. 45, Übersetzung vgl. Anm. 7) Die Aussagen des Vorworts sind im spezifischen Kontext seiner Überlieferungsproblematik zu sehen. Die Vorlagen, auf die Burchard in seinem Vorwort Bezug nimmt, bzw. in deren

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vordergründiges Problem, führe es doch häufig dazu, „dass denjenigen, die das Heilmittel der Buße suchen, wegen des ungeordneten Zustands der Bücher, wie auch wegen der Unwissenheit der Priester auf keine Weise geholfen werden"^ könne. Wenn aber die Buße nicht in angemessener Weise geleistet werden kann, dann ist nach dem Verständnis der frühmittelalterhchen Kirche das Seelenheil der Sünder gefährdet. Genau diesem Problem will Burchard von Worms mit seiner Sammlung Abhilfe schaffen. E r will dafür, wie dem Vorwort zu entnehmen ist, das überlieferte Kirchenrecht ordnen und ihm zugleich ein autoritatives Fundament verleihen. Burchard hat dafür, laut eigener Aussage, ausschließlich aus der überlieferten kirchlichen Tradition und deren Rechtsquellen geschöpft.*

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„Multis iam sfpe diebus familiaritas tua, frater carissime, praesens nobis hortando suggessit, quatenus libellum ex uariis utilitatibus ad opus conpresbyterorum nostrorum tam ex sententiis sanctorum Patrum quam ex canonibus seu ex diuersis poenitentialibus uigilanti animo corpus in unum colligerem, ob id maxime, quia canonum iura et iudicia poenitentium in nostra diocesi sie sunt confusa atque diuersa et inculta ac si ex toto neglecta et inter se ualde discrepantia etpene nullius auctoritate suffulta, utpropter dissonantiam uix a sciolis possint discerni. Vndefit plerumque, ut confugientibus ad remedium poenitentiae tam pro librorum confusione quam etiam presbyterorum ignorantia nullatenus ualeat subueniri." („Schon während vieler Tage hast du uns, teuerster Bruder, indem du uns vertrauensvoll ermahntest, vorgeschlagen, dass ich dieses kleine Buch mit wachem Geist zum vielfältigen Nutzen unserer Mitpriester zusammenstellen solle, und zwar aus den Sentenzen der heiligen Väter, aus den Kanones, sowie aus verschiedenen Bußbüchern, und dies vor allem deswegen, weil das kanonische Recht und das Bußwesen in unserer Diözese so durcheinander, uneinheitlich, ungepflegt und vernachlässigt ist, und in sich außerdem so viele Widersprüche enthält und kaum durch eine Autorität gesichert ist, dass es aufgrund dieser Widersprüchlichkeit kaum von Halbwissenden angewandt werden kann. Von daher kommt es meist, dass denjenigen, die Zuflucht beim Heilmittel der Buße suchen, sowohl aufrgund des ungeordneten Zustands der Bücher, wie auch wegen der Unwissenheit der Priester, kaum geholfen werden kann.") In: Burchard von Worms: Decretorum libri viginti, S. 45 (Übersetzung B. K.). Vgl. zur Problematik der Überlieferung und Authentizität des Vorworts: Hartmann: Burchards Dekret, S. 162; Fuhrmann: Zum Vorwort des Dekrets Bischof Burchards von Worms. Vgl. zur Problematik, die im Vorwort des Dekrets angesprochen wird im Zusammenhang mit dessen Abhängigkeit von verschiedenen Vorlagen auch Körntgen: Fortschreibung frühmittelalterlicher Bußpraxis, S. 210f

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„[Qluatenus libellum [...] tam ex sententiis sanctorum Patrum quam ex canonibus seu ex diuersis poenitentialibus uigilanti animo corpus in unum colligerem, [...]" (Burchard von Worms: Decretorum libri viginti, S. 45, Übersetzung vgl. Anm. 7) Die Aussagen des Vorworts sind im spezifischen Kontext seiner Überlieferungsproblematik zu sehen. Die Vorlagen, auf die Burchard in seinem Vorwort Bezug nimmt, bzw. in deren

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Tatsächlich lassen sich jedoch an zahlreichen Stellen in den Texten, das heißt in den Kanones, wie sie aus mehreren Vorlagen in das Dekret übernommen wurden, Änderungen nachweisen; das hat bei einigen Kanones eine bedeutende Änderung der spezifischen Aussage zur Folge.' Für einige Kanones konnte darüber hinaus allerdings noch keine Vorlage ermittelt werden, was daher einen Vergleich in Bezug auf eventuelle Änderungen des Textes ausschließt."' Als gesichert kann jedoch mittlerweile gelten, dass Burchards nachweisbare Eingriffe in die Texte nicht völlig willkürlich erfolgten; Greta Austin stellte etwa fest, dass er versucht hat, Bußbestimmungen systematisch biblischen Prinzipien anzugleichen, um so vor allem Konsistenz in den Aussagen der Kanones herstellen zu können. Das deckt sich mit dem zentralen Anspruch, Widersprüche im überlieferten Recht aufzulösen, um es so benutzbar und anwendbar zu machen."

Kontext seine Aussagen gesehen werden müssen, hat Fransen eruieren können und untersucht. Vgl. zu den Quellen und Vorlagen des Vorworts daher die Ausführungen bei Fransen: Les sources de la Preface du Decret de Burchard de Worms. Burchard von Worms hat unabhängig von seiner systematischen Kirchenrechtssammlung, dem Dekret, noch eine weitere Sammlung kompiliert, die sich jedoch speziell auf die Wormser/ami'/ifl beziehen sollte. Vgl. dazu Schulz: Das Wormser Hofrecht Bischof Burchards. Vgl. zur Problematik der Übernahmen aus dem kirchlichen Recht und der Bezugnahme auf säkulare Rechtstraditionen: Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 73f. und S. 104; vgl. Koal: Studien zur Nachwirkung der Kapitularien in den Kanonessammlungen des Frühmittelalters, S. 20f 9

Zum Vorwurf der Fälschung und zu den Eingriffen Burchards in die Texte vgl. zuletzt Ubl: Inzestverbot und Gesetzgebung, S. 430, im Zusammenhang mit dem Verbot von Ehen bis zum siebten Verwandtschaftsgrad. Das ist eine Verschärfung der Rechtsbestimmungen, bei der Burchard laut Ubl „nicht vor offenkundigen Fälschungen zurück[scheut], um diese Grenze durch konziliare Quellen abzusichern." Ubl begründet dies damit, dass diese Verschärfung hier als „zentrale Botschaft Burchards zu sehen" sei. Grundlegend für den Fälschungsbegriff im Mittelalter wird in der vorliegenden Untersuchung die Perspektive Horst Fuhrmanns gesetzt; vgl. dazu vor allem Fuhrmann: Von der Wahrheit der Fälscher. Darüber hinaus konnte zuletzt Greta Austin in ihrer Studie zum Dekret im Vergleich zu den formalen Vorlagen der Kanones einen prozentualen Anteil von 75% abweichenden Rechtszuschreibungen in den Büchern 6, 10, 11 und 12 nachweisen, vgl. Austin: Shaping Church Law around the Year 1000, S. 199, sowie S. 131ff. Vgl. dazu auch die Angaben bei Hoffmann/Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, S. 173-244. Hier finden sich Angaben zu den tatsächlich benützten Quellen, sowie der vermutlichen Provenienz, also der formalen Quelle des jeweiligen Kanons.

10 Vgl. Hoffmann/Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, S. 166f. 11 Vgl. Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. l"39f, 153f In die gleiche Richtung geht letztlich auch Karl Ubl, der Burchards Bemühen um die

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Die Schwierigkeiten, mit denen Burchard dabei konfrontiert war, das tradierte Kirchenrecht nicht nur zu ordnen, sondern es auch kongruent und erst damit leichter nutzbar zu machen, dürfen nicht unterschätzt werden. Burchard war auch nicht der erste, der sich diesem Problem zuwandte. Nachdem die Bußbücher, die einem frühmittelalterlichen irisch-angelsächsischen Kontext entstammten, im Zuge der karolingischen Reformbemühungen immer mehr in Verruf geraten waren, hatte es mehrere Anläufe gegeben, den daraus resultierenden Problemen entgegenzutreten. Die Bestimmungen der zahlreichen in Gebrauch befindlichen Bußbücher^^ waren nicht nur ungeordnet, sondern auch in sich oft widersprüchlich und mit keiner ausreichenden kirchlichen Autorität versehen. Hrabanus Maurus, Halitgar von Cambrai, sowie später Regino von Prüm hatten sich dieser Probleme bereits auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Kontexten angenommen. Hrabanus Maurus und Halitgar von Cambrai unternahmen unter anderem die Aufgabe ein Bußbuch zu kompiheren, das auf kirchenrechtlichen Traditionen fußte, während Regino von Prüm in seinen Libri duo de synodalibus

causis eine Art Handbuch für den bischöflichen

Send anfertigte." Ihnen, wie auch Burchard selbst, waren dabei enge Grenzen gesetzt, vor allem bezüglich der autoritativen Grundlage, mit der ihre Werke versehen sein sollten. Burchard versuchte nun diese autoritative Fundierung seiner

Vereinheitlichung des Rechts, hier insbesondere mit Bezug auf die widersprüchlichen Bußmaße in einer seiner Vorlagen folgendermaßen charakterisiert: „In den Zeiten einer fehlenden Positivierung des Rechts war es für Burchard unvermeidlich, sich der Methode eines Fälschers zu bedienen, wenn er die Systematisierung der Tradition vorantreiben wollte" (Ubl: Inzestverbot und Gesetzgebung, S. 427). Horst Fuhrmann hat bereits Ende der 1980er Jahre wegweisende Aussagen bezüglich des Wahrheitsverständnisses im Mittelalter getroffen; er sprach von der „Wahrheit der Fälscher". Als Richtschnur dessen, was als „wahr" und was als „falsch" zu gelten habe, konnte er das augustinische Verständnis („falsa significatio cum voluntate fallendi") zusammen mit dem Aussagewert der Bibel als richtungsweisend nennen. Vgl. Fuhrmann: Von der Wahrheit der Fälscher, S. 85f Burchard selbst äußert sich zu seinem Umgang mit den Quellen, die er benutzt haben will, in seinem Vorwort wie folgt: „[...] denn mir allein ist es nicht erlaubt Kanones zu machen. Es ist erlaubt diese zu sammeln, was ich getan habe [...]"(„[...] quia mihi soll canones facere non licet, colligere licitum est, quod et feci, [...]". Burchard von Worms: Decretorum libri viginti, S. 48). 12 Vgl. zur Buße im frühen Mittelalter und insbesondere zum Gebrauch der Bußbücher: Meens: The Frequency and Nature of Early Medieval Penance. 13 Vgl. dazu Kottje: Die Bußbücher Halitgars von Cambrai und des Hrabanus Maurus, besonders S. 2-12; Körntgen: Bußbuch und Bußpraxis in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts.

Die Autorität der Tradition

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Sammlung in Form einer Zuschreibung an eine kirchenrechtliche Tradition, deren Anspruch allgemein anerkannt wurde," zu erreichen: Im Vorwort verweist er zweimal auf die Quellen, die er benutzt haben will. Einige dieser Angaben hat Burchard möglicherweise anderen Vorworten entnommen, etwa der

Collectio

Anselmo Dedicata, wie Fransen gezeigt hat.'^ Gab es möglicherweise eine Art Kanon der Tradition, in Form einer bestimmten, aber nicht näher umrissenen Gruppe von rechtlichen Quellen, deren Autorität als solche anerkannt wurde? E i n solcher Rechtskanon ist, zumindest im Sinne einer maßgeblichen Sammlung, für diese Zeit unwahrscheinlich; eher kann man von einer Gruppe von Texten im Sinne einer Rechtstradition ausgehen.'' Burchard jedenfalls geht hier nicht näher darauf ein, was er mit dieser, von ihm im Vorwort unter dem Begriff nucleus

canonum genannten Gruppe

von Texten meint. Er stelh nur fest, dass eine autoritative Fundierung für sein Werk von äußerster Wichtigkeit ist, vor allem um die Bestimmungen für die Buße wirksam zu machen.'^ Dazu versichert Burchard, dass er keine Kanones

14 Vgl. zum Rechtsverständnis in der Salierzeit unter Einbeziehung der Bedeutung des Dekrets: Hartmann: Autoritäten im Kirchenrecht und Autorität des Kirchenrechts in der Salierzeit. 15 Vgl. Fransen: Les sources de la Preface du Decret de Burchard de Worms. 16 Vgl. Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 17ff Hartmann vermutete, dass es sich bei diesem nucleus canonum um eine Rechtstradition handeln könnte, auf der Burchard sein Werk aufbauen konnte. Vgl. Hartmann, Autoritäten im Kirchenrecht und Autorität des Kirchenrechts in der Salierzeit, S. 425f. 17 Vgl. dazu u.a. folgende Stellen im Vorwort des Dekrets: „Tarnen tuis sanctis petitionibus oboediens synodalia praecepta et sancta statuta tam ex sententiis sanctorum patrum quam ex canonibus Deo largiente collegi et proutpotui corpore conexui in uno [...]" („Dennoch habe ich, deiner Bitte folgend, aus den Vorschriften und heiligen Beschlüssen der Konzilien, aus den Sentenzen der heiligen Väter, sowie aus den Kanones mit Gottes reichem Beistand gesammelt und diese in einem Werk zusammengefügt." Burchard von Worms: Decretorum libri viginti, S. 46-46a); ebd., S. 49: „[...] Ex ipso enim nucleo canonum, quod a quibusdam Corpus canonum uocatur, qufque [...] excerpsi: ex canone apostolorum qufdam, ex transmarinis conciliis qufdam, ex Germanicis et Galileis et Hispanis qufdam, ex decretis Romanorum pontificum qufdam, ex doctrina ipsius ufritatis qufdam, ex Veteri Testamento quqdam, ex apostolis qufdam, ex dictis sancti Gregorii qufdam, ex dictis sancti leronimi qufdam, ex dictis sancti Augustini qufdam, ex dictis sancti Ambrosii qufdam, ex dictis sancti Benedicti qufdam, ex dictis sancti Ysidori qufdam, ex dictis sancti Basilii qufdam, ex Poenitentiali Romano qufdam, ex P^nitentiali Theodori qufdam, ex P^nitentiali Bedf qufdam." („Aus diesem Kern der Kanones nämlich, der von einigen Corpus canonum genannt wird, habe ich geschöpft: Kanones der Apostel, überseeische Konzilien, aus den germanischen.

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gemacht, also keine eigenen Rechtsvorschriften erfunden habe, sondern dass er nur aus der überlieferten Tradition geschöpft und gesammelt habe.'* Damit betont er noch einmal besonders die Gültigkeit der von ihm ausgewählten und in der Sammlung vorgelegten Rechtssätze.

2. Interpassivität und Generierung von Autorität Eine zentrale Funktion bei der Generierung von Autorität kommt im Dekret offensichtlich den eigentlichen Rechtszuschreibungen, den Inskriptionen, zu. Sie ordnen jeden einzelnen Kanon einer kirchhchen Rechtsquelle und damit einer Autorität zu: Diese Autorität bildet entweder ein Konzil, ein Papst, ein Kirchenvater, manchmal auch ein Bußbuch; wenige Kanones enthalten auch Z u schreibungen zu einem Bibeltext. Mithin handelt es sich dabei also stets um eine besondere kirchlich-traditionelle Autorität. Diese Inskriptionen stehen jeweils vor dem eigentlichen Rechtstext, womit sie die rechtliche Zuordnung des jeweiligen Kanons bereits vor dessen eigentlicher Rechtsaussage nennen." Diese Funktion der Inskriptionen als der wesenthchen Instanz der Generierung von kirchenrechtlicher Autorität soll im Folgenden mit Hilfe des Theorems der Interpassivität ausführlicher analysiert werden. Dabei wird das eingangs skizzierte, kulturwissenschaftlich-historische Verständnis des Begriffs zugrunde

gallischen und spanischen, aus den Dekreten der römischen Bischöfe, aus den Lehren der Wahrheit selbst, aus dem Alten Testament, von den Aposteln, aus den Sprüchen der Hl. Gregor, Hieronymus, Augustinus, Ambrosius, Benedikt, Isidor, Basüius, sowie aus dem römischen Bußbuch, aus dem Bußbuch Theodors, sowie aus dem Bußbuch Bedas."). 18 Burchard von Worms: Decretorum libri viginti, S. 48: „[...] quia mihi soli canones facere non licet, colligere licitum est, quod etfeci [...]"(„[...] denn mir allein ist es nicht erlaubt, Kanones zu machen, aber es ist mir erlaubt, diese zu sammeln, was ich auch getan habe [...]"; vgl. oben, Anm. 7). Ebd., S. 49: „Nihil addidi de meo nisi laborem, sed ex diuinis testimoniis ea quae in eo inueneris [...] collegi." („Nichts habe ich hinzugefügt, außer meiner Anstrengung, sondern aus den göttlichen Zeugnissen habe ich gesammelt, was ich darin gefunden habe.") Vgl. zur Entwicklung der frühmittelalterlichen Kanonistik, insbesondere der Sammlungen historischer, beziehungsweise systematischer Ordnung Mordek: Kirchenrecht und Reform im Frankenreich, S. 1-17. 19 Buch 19, Kanon 5, bildet eine Ausnahme innerhalb des Dekrets bezüglich der Inskriptionen. Kanon 5, der mehr als 190 Fragen zu den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens der Laien beinhaltet, enthält keinerlei Inskriptionen. Der Befund der vorliegenden Untersuchung bezieht sich daher nicht auf diesen Teil des Dekrets. Auf diesen Teil soll hier auch nicht gesondert eingegangen werden. Vgl. zu BD 19,5 Körntgen: Fortschreibung frühmittelalterlicher Bußpraxis.

Die Autorität der Tradition

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gelegt, für das der Vorgang der Delegation im Mittelpunkt steht. Der Kompilator der Sammlung, also Burchard selbst, wird dabei als delegierende Instanz angenommen; von ihm geht die Übertragungsleistung aus. Der Delegationsakt, der für ein kulturwissenschaftlich-historisches Verständnis von Interpassivität konstitutiv ist, besteht hier in der Übertragung oder Abgabe der Autoritätsfundierung an eine weitere Instanz. Diese bilden die Rechtszuschreibungen, also die Inskriptionen der einzelnen Kanones. Durch die Übertragung erhalten diese Inskriptionen eine die Inhahe des Dekrets legitimierende Funktion zugesprochen, die zur Entlastung des Kompilators selbst dient: Er überträgt diese Notwendigkeit, Autorität zu garantieren, an eine dritte Instanz, die hier in Form der Inskriptionen jeden einzelnen Kanon in dieser kirchenrechtlichen Sammlung einer kirchlichen Autorität zuschreibt. Dass diese Übertragung und dadurch letztUch die Versicherung von Autorität tatsächlich nicht als interkommunikative Verständigung zwischen Burchard, dem Kompilator der Sammlung, und dem jeweiligen Benutzer über die Autorität der Kanones verstanden werden kann, sondern als interpassiver Vorgang, bei dem sowohl der Kompilator als auch der Benutzer von ihrer jeweils geforderten Leistung entlastet werden, während die Inskriptionen als dritte Instanz beides leisten, die Generierung und dadurch die passive Garantie von Autorität, soll im Folgenden demonstriert werden. Dabei handelt es sich um ein Problem, das die kanonistische Forschung für das Dekret Burchards im Speziellen schon längst beschrieben hat, aber bisher nicht auflösen konnte. Im Speziellen deswegen, weil dieses Problem der Generierung und Garantie von Autorität für eine Zeit, die noch nicht über die Methoden der Scholastik verfügte, im Allgemeinen als kaum lösbar gih. Wie stelh sich das aber in diesem konkreten Fall, dem Dekret des Wormser Bischofs, dar? Die A u torität, die in den Inskriptionen des Dekrets jeweils genannt wird, ist nicht zwingend identisch mit der tatsächlich von Burchard im Einzelnen dafür benutzten Vorlage: Die Inskriptionen, wie sie als Quellenzuschreibungen zu Beginn der einzelnen Textstücke im Dekret im Wortlaut zu finden sind, helfen bezüglich der Eruierung der tatsächlich benutzten Vorlagen häufig allenfalls bedingt und über mehrere Umwege weiter. Für die Belange der vorliegenden Untersuchung ist es jedoch in erster Linie relevant, dass Burchard hier überhaupt Quellen und damit Zuschreibungen zu Rechtstexten angibt. Diese Zuschreibungen verweisen stets auf eine der Vorlagen, die im Vorwort des Dekrets genannt sind.^° Paul Fournier

20 Vgl. zuletzt Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 131ff. 1750 von den insgesamt 1785 Kanones im Dekret enthalten eine Zuschreibung zu einer der Quellen, die im Vorwort der Sammlung aufgeführt sind. Vgl. ebd., S. 104.

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hat das Vorgehen Burchards bezüglich der Inskriptionen besonders drastisch ausgedrückt: II en est un bon nombre qu'il a syst^matiquement [!] dtoarqu^s; ainsi a-t-il agi [...] dont il jugeait insufFisantes la notoriet^ ou l'autorit^ [...] Remarquez que Burchard ne se contente pas d'effacer Yinscriptio v^ritable; il attribue faussement les textes ainsi dimarques ä des papes, ä des conciles ou des ecrivains ecclisiastiques choisis suivant son caprice.^' Diese ältere Aussage, dass Burchard die Inskriptionen den Kanones aber nur gemäß seiner „Laune" zugeordnet habe, erweist sich schnell als eine zu weitgehende Verallgemeinerung, wie in Jüngster Zeit vor allem von Greta Austin anhand einiger Auszüge des Dekrets gezeigt werden konnte. Betrachtet man allein die zahlreichen Rasuren, die in der ältesten, noch in Worms entstandenen Handschrift des Dekrets erkennbar sind, kann man mehrere Überarbeitungsstufen im Entstehungsprozess der Sammlung auch bei den Inskriptionen selbst nachweisen.^^ Auch dieser Befund lässt vermuten, dass den Inskriptionen eine besondere Bedeutung zugedacht gewesen sein musste, sonst könnte man sich einen entsprechenden Aufwand nur schwer erklären. Das Vorgehen potentieller Benutzer des Dekrets wird man sich kaum so zu denken haben, dass sie tatsächhch die Inskriptionen, mithin die Quellenangaben der einzelnen Kanones jeweils nachverfolgt haben. Dazu waren die entsprechenden Werke oftmals an Ort und Stelle gar nicht vorhanden;^' abgesehen davon sollte das Dekret aber ohnehin einen anderen Zweck erfüllen, nämlich den eines nützhchen Handbuchs und eines Nachschlagewerks. Es sollte darin alles unmittelbar Notwendige enthalten sein, was dem einfachen, wenig oder kaum

21 Fournier: Le Decret de Burchard de Worms, S. 455; ebenso in ders.: Mäanges de droit canonique 1, S. 397. („Bei einer nicht unerheblichen Menge hat er deren Herkunft systematisch verschleiert [demarqu^s]; so mag er auch [...] bei denjenigen verfahren sein, deren Bekanntheit oder Autorität er EJS unzureichend einstufte. [...] Wohlgemerkt hat Burchard sich nicht damit zufrieden gegeben, die wahre inscriptio zu entfernen; er hat fälschlicherweise Texte, deren Herkunft er auf diese Weise verschleiert hat, Päpsten, Konzilien oder kirchlichen Schreibern zugeteilt, die er frei nach seiner Laune gewählt hat."). 22 Vgl. Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 131f£ Vgl. zu den Entstehungsstufen des Dekrets Hoffmann/Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, S. 29-64, darin insbesondere zu den Codices Vaticani Palatini 585 und 586, S. 29-37. Auch die Textentwicklung konnte durch Hoffmann und Pokorny nachvollzogen werden; danach war das Dekret ursprünglich weit weniger umfangreich gedacht. Vgl. ebd., S. 40-58. 23 Vgl. Staub: Domschulen am Mittelrhein um und nach 1000.

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gebildeten Priester erlaubte seine Pflichten angemessen zu erfüllen. Darüber hinaus sollte es aber auch für die Ausbildung der Schüler dienen, mithin musste es also auch für den Kathedralklerus anwendbar sein; auch die Gehilfen beziehungsweise Mitarbeiter des Bischofs werden als potentielle Nutzer des Dekrets im Vorwort der Sammlung genannt.^" Doch welche Funktion war dabei den Inskriptionen zugedacht - oder, anders gefragt: Wie genau trugen sie in der Art und Weise, wie sie im Dekret zu finden sind, und mit ihrem darin enthaltenen Aussagen zu einer autoritativen Fundierung des Dekrets bei? Als reine „Platzhalter" kann man sie sich schwer vorstellen; dafür weisen sie eine zu große Varietät auf, zusätzlich zu den bereits erwähnten mehrfachen Korrekturen, die in den Palatina-Codices 585 und 586, den ältesten, noch in Worms entstandenen Handschriften des Dekrets, nachweisbar sind.^^

24 Vgl. dazu folgende Auszüge des Vorworts in Burchard von Worms: Decretorum libri viginti, zunächst zum Dekret als Hilfestellung für die Mitpriester im Bistum, S. 45: „ [... ] quatenus libellum ex uariis utilitatibus ad opus conpresbyterorum nostrorum [...] colligerem [...]". (vgl. oben, Anm. 7) Vgl. zum Dekret als Unterrichtswerk ebd., S. 46: „[...] siquidem utpriusfierentprobi discipuli,postplebium et doctores et magistri, et ut perciperent in scolis quid quandoque dicere deberent sibi commissis." {„ [... ] damit sie jedenfalls erst gute Schüler werden, später Lehrer der Volksmenge, und damit sie in der Schule das lernen, was sie irgendwann den ihnen Anvertrauten beibringen sollen.") Vgl. zum engeren Geltungsbereich des Dekrets ebd., S. 48: „Non rogo ut nostri episcopii limen transeat, sed nostris addiscendus remaneat." („Ich verlange nicht, dass es die Grenzen unseres Bistums verlasse, sondern dass es [hier] verbleibe, auf dass die Unseren davon lernen.") Vgl. zum Dekret als Handbuch für Priester ebd.: „Nonusdecimus Uber, qui Corrector uocatur [et Medicus], continet correctiones corporum et animarum medicinas et docet unumquemque sacerdotem, etiam simplicem, quomodo vel qualiter unicuique succurrere ualeat [...]". („Buch 19, das auch Corrector genannt wird [und Arzt], enthält sowohl Berichtigungen für den Körper, als auch Heilmittel für die Seele, und es lehrt einen jeden Priester, auch den einfachen, auf welche Weise er einem jeden zu Hilfe eilen kann [...].") Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Fuhrmann: Zum Vorwort des Dekrets Bischof Burchards von Worms, S. 387f. und 392. Vgl. zum Nutzen und zum Adressatenkreis des Dekrets v.a. Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 16, 29-31,40. 25 Vgl. zu den Ausführungen zu den Cod. Vat. Pal. lat. 585 und 586 Hoffmann/Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, S. 29-37, sowie S. 55f und 58. Vgl. zu den Änderungen an den Inskriptionen Austin: Shaping Church Üäw Around the Year 1000, S. 14, bes. S. 131.

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Birgit Kynast

Wie hat man sich aber das Aussehen, beziehungsweise das äußere Erscheinungsbild eines solchen Kanons im Dekret eigentlich vorzustellen? Um die weiteren Überlegungen besser nachvollziehen zu können, soll der typische Aufbau eines solchen Kanons kurz skizziert werden. Bezogen sind die folgenden Ausführungen wieder auf die beiden ältesten Handschriften, die Codices Vaticani Palatini 585 und 586. Das typische Erscheinungsbild eines Kanons sah in etwa wie in Abbildung 1 aus. Abbildung 1: Vat. Pal. lat. 586, fol. 32v

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Die Autorität der Tradition

199

Vor dem eigentlichen Kanon findet sich - in meist farblich hervorgehobener Schrift - die Rubrik des Stückes, in dem jew^eils der zentrale Inhalt des angeschlossenen Kanons wiedergegeben wird. Gelegenthch besteht diese Rubrik auch nur aus der Wortgruppe „De eadem re" - „Über dieselbe Sache"; der Kanon soll inhaltlich dann auf den vorangegangenen Kanon bezogen sein. Unmittelbar an die Rubrik angeschlossen folgt der Textteil des Kanons. Marginalisiert findet sich neben der Rubrik die Nummer des Kanons; unterhalb davon steht die Inskription, also die Rechtsquelle, der Burchard den Kanon entnommen haben will. Diese kann etwa, wie beispielsweise bei Kanon 40 in Buch 10, folgendermaßen lauten: „Ex dictis Augustini"

- „Aus den Sprüchen des Augustinus". Die

dazugehörige Rubrik lautet hier: „Dass Beschwörungen und magische Künste Fallstricke des Teufels sind."^* Die Inskription zum darauffolgenden Kanon 41 verweist ebenfalls auf Augustinus, genauer auf dessen Werk De civitate Dei?'^ Die beiden nachfolgenden Kanones tragen als Rubrik jeweils die Worte „De eadem re"; inskribiert sind alle folgenden bis einschheßlich Kanon 47 „Sprüchen des Augustinus". Darüber hinaus handelt es sich bei diesen Passagen, insbesondere bei den Kanones 41 bis 47, um äußerst umfangreiche Textteile; inhaltlich gleichen sie weniger rechtlichen Bestimmungen als vielmehr theologischen Traktaten. Ihre Rubriken lauten etwa: „Von jenen, die ihr Heil nicht beim Erlöser, sondern bei seiner Kreatur suchen." (c. 41)^* - „Von scheußlichen Heilmitteln, welche Ärzte mit ihren Beschwörungen machen." (c. 44)^' - „Über die Natur der Dämonen." (c. 45)'° - „Von der Beschwörung der Dämonen." (c. 46)'' In diesen langen Passagen geht es vor allem um Glaubensvorstellungen, die im Zusammenhang mit einem Abfall vom Glauben an den christlichen Gott stehen, der hier klar im Kontext eines einzigen Gottes, vor allem aber mit dem Bild des Schöpfergottes gezeichnet ist. Diesem Verlust des richtigen Glaubens voraus geht eine Absage an und daraufhin die Abkehr von Gott, die bereits in der Rubrik von B D 10,41 angesprochen werden.'^

26 „Quod incantationes et magicae artes laquei diaboli sint" (Patrologia Latina 140, Sp. 839B). 27 „August, in libro de Civitate Dei" (Patrologia Latina 140, Sp. 839C). 28 „De Ulis qui salutem non a Salvatore, sed ab ejus creatura requirunt" (Patrologia Latina 140, Sp. 839C). 29 „De execrabilibus remediis quae medici suis in praecantationibus faciunt" (Patrologia Latina 140, Sp. 841C). 30 „De natura daemonum" (Patrologia Latina 140, Sp. 844B). 31 „De divinatione daemonum" (Patrologia Latina 140, Sp. 845D). 32 Eine Auflistung und Erläuterung sämtlicher superstitiöser Genera, die darin als klar dem christlichen Glauben entgegengesetzt definiert werden, findet sich in BD 10, 43;

200

Birgit Kynast

Überprüft man nun die Angaben der Inskriptionen dieser Kanones mit den entsprechenden Quellenangaben in der den aktuellen Forschungsstand zusammenfassenden Quellenanalyse bei Hoffmann und Pokorny, so wird dort für die Kanones 41 bis 47 tatsächlich eme andere Quelle angegeben; Diese Auszüge gehen demnach entgegen der Inskription im Dekret direkt auf Texte des Hrabanus Maurus zurück, genauer auf Auszüge aus dessen Traktat De

consanguineorum

nuptiis et de magorum praestigiis.^^ Nur für Kanon 40 in Buch 10 trifft dies nicht zu; dieser entstammt entweder einem Konzilskanon von Tours, oder er ist den Falschen Kapitularien des Benedictus Levita entnommen.'" Die ausführhchen Quellenstudien des Dekrets von Hoffmann und Pokorny identifizieren für die meisten Kanones im Dekret sowohl eine materielle Quelle, als auch eine formale; letztere bezeichnen sie als Provenienz. Als solche geben

eine Auflistung der „falschen" Vorspiegelungen von Zauberern findet sich in Kanon 42; die Illusionstheorie, wonach nur Gott alleine Dinge erschaffen und verändern kann, findet sich in BD 10,44. - Vgl. dazu Baroja: Witchcraft and Catholic Theology, S. 26f Ebd. S. 27: „It may be called an Augustinian doctrine of an essentially psychological or spiritual characten" Vgl. hierzu auch Wittmer-Butsch, Zur Bedeutung von Schlaf und Traum im Mittelalter, ebd., S. 991: „Nach dem Vorbild des griechischen Neuplatonikers Porphyrios unterschied er [Augustinus] dabei drei Klassen: zunächst einmal die in der Erinnerung gespeicherten Bilder oder Eindrücke von körperlichen Sinneswahrnehmungen, dann die eigenständigen Phantasien, welche die Seele aus solchem Material gestaltet und schließlich die nur im Geiste vorhandenen abstrakten Aussagen." Vgl. ferner Dulaey: Le rfive dans la vie et la pens6 de saint Augustin. Kanon 47 schließt inhaltlich an den vorangegangenen Kanon 46 an und beschäftigt sich schließlich mit der Vorrangigkeit Gottes vor allen anderen Göttern, Götzen oder eben Dämonen, ausgehend von einem Wort des Propheten Zephanja. Patrologia Latina 140, Sp. 847D: „Praevalebit Dominus adversus eos, exterminabit omnes deos gentium terrae, et adorabunt eum, unusquisque de loco suo, omnes insulae gentium. Vgl. Zeph. 2,11: horribilis Dominus super eos et adtenuabit omnes deos terrae et adorabunt eum vir de loco suo omnes insulae gentium." („Schrecklich wird der Herr über sie sein, denn er wird alle Götter auf Erden vertilgen; und es sollen ihn anbeten alle Inseln der Heiden, ein jeglicher an seinem Ort"). 33 Vgl. Hoffmann/Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, S. 217; vgl. ferner Hrabanus Maurus: De consanguineorum nuptiis et de magorum praestigiis, in: Patrologia Latina 110, Sp. 1097A-11 lOA. 34 Vgl. Tours (813) c. 42, bzw. Benedictus Levita Add. III 93. Die Kanones des Konzils von Tours finden sich in Concilia Aevi Karolini I, S. 286-293. Die Edition der Falschen Kapitularien des Benedictus Levita findet sich für den hier angegebenen Auszug in Monumenta Germaniae Historia. Leges 2,2,S.17-158. Vgl. ebenso Hoffmann/ Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, S. 217.

Die Autorität der Tradition

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sie hauptsächlich zwei Sammlungen an, nämlich das Sendhandbuch Reginos von Prüm sowie die Collectio Anselmo dedicata; daneben werden als Provenienz noch an einigen wenigen Stellen die Bußbücher des Hrabanus Maurus (Paenitentiale ad Heribaldum,

Paenitentiale ad Otgarium)

sowie die Collectio

canonum

des Pseudo-Remedius angegeben. Darüber hinaus sind jedoch für zahlreiche Kanones im Quellenregister des Bandes gar keine materiellen Vorlagen angegeben. Für einige Kanones konnten Hoffmann und Pokorny weder eine mögliche materielle, noch eine mögliche formale Vorlage ermitteln, was bei einer Gesamtzahl von 1785 Kanones mit zum Teil sehr unklarer Quellenlage alles andere als überraschend ist.'^ Bei den vorhegenden Kanones B D 10, 40-47 ist keine Provenienz, also keine materielle Quelle angegeben. Hrabanus Maurus, sowie der Konzilskanon von Tours, als auch Benedictus Levita gelten hier also als formale Quelle, die jedoch als solche in der Inskription nicht genannt wird. Die Frage ist daher, warum Burchard hier diese Quellen, die mit großer Wahrscheinlichkeit die tatsächlichen Vorlagen waren, nicht nennt, sondern weshalb er eine Z u schreibung zu einer anderen „Quelle" vorzieht.

3. Die Inskriptionen und ihre Aussagen Für die Inskriptionen ergeben sich bezüglich der in ihnen angegebenen Quellen zwei mögliche Deutungen, die materiellen Quellen betreffend: Entweder wurde die Inskription direkt aus einer formalen Vorlage übernommen, sofern diese nachweisbar ist; ein Beispiel hierfür wäre der sogenannte Canon episcopi, der in Kanon 1 in Buch 10 zu finden ist. Dieser findet sich erstmals im Sendhandbuch Reginos von Prüm, der diesen Kanon über Vorstellungen eines nächtlichen Hexenfluges einem Konzil von Ancyra inskribiert - eine Zuschreibung, die fraglich ist, da dieser Kanon erstmals bei Regino von Prüm belegt ist.'* Burchard von Worms hat diesen Kanon aus Reginos Sendhandbuch in sein Dekret übernommen, zusammen mit der bei Regino von Prüm angegebenen Inskription.

35 Dies gilt etwa für BD I 232, II 15 u. 78, III 22,193, 222; IX 4; XI74; XII13; XVI7; XIX 10,14-16,21 mit Einschränkungen BD 1 131,233; II 52,188; III 1, 6, 17,136; IV 60; V 12; VI 20, 33, 38, 42; VII21; IX 18; XI8,27; XII4,9, 28; XIII1; XIV 8,15; X V 23; X V I 12,37; XVII24, 34,55; XVIII praef (Ordo), 11; XIX 5,9,18,30, 87,119,141,148. Vgl. dazu die Angaben zu den Dekretkapiteln und ihren Quellen bei Hoffmann/Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, S. 173-244. Ebd. konnten die Voriagen einiger spezieller Quellen auch in bestimmten Handschriften ermittelt werden. 36 Vgl. RPH, 371.

202

Birgit Kynast

Möglicherweise verweist die Inskription im Dekret, insbesondere insofern sie geändert worden ist, aber auch in der Art einer „Korrektur" auf eine tatsächliche Vorlage, die dann primär herangezogen worden sein könnte. Dies kann zutreffen, falls die formale Quelle eine andere Inskription als der Kanon im Dekret aufweist, oder für den Fall, dass gar keine formale Quelle eruiert werden konnte. Dies ist etwa für Kanon 61 in Buch 8 des Dekrets nachweisbar. Die Inskription lautet hier „Ex eodem" und verweist damit, wie die Inskription des vorangegangenen Kanons 60, auf ein Konzil von Gangra (342).'^ Die wörtliche Aussage der Inskription kann somit in beiden Fällen zunächst einmal entweder wahr oder falsch sein, zumindest solange, bis sie nicht mit den entsprechenden Vorlagen verghchen worden ist, sofern diese noch eruiert werden können. In dem Fall, dass die Inskription im Dekret auf eine „falsche" materieUe Quelle verweist, kann sie jedoch auch bereits in der Inskription der formalen Quelle falsch angegeben gewesen sein; Burchard kann andererseits die Inskription bei der Übernahme des Kanons in sein Dekret auch verfälscht haben, in bewusster Absicht oder in Annahme einer anderen Vorlage, die tatsächlich nicht zutreffend war. Welche Intention einem solchen „verfälschenden" Vorgehen zugrunde gelegen haben mag, ist dabei nur schwer zu ermitteln. Letztlich ist eine einigermaßen gesicherte Aussage in diese Richtung nur anhand der systematischen, externen und internen Überprüfung des Textes selbst möglich, jeweils im Zusammenhang mit den benutzten Vorlagen. Die Kanones 40 beziehungsweise 41 bis 47 in Buch 10 sind, folgt man den Inskriptionen, Werken des Kirchenvaters Augustinus entnommen.

Martin

Brett hat vermutet, dass diese angebhchen Augustinus-Zitate in ihrer im Dekret überlieferten Form auf Florilegien zurückgehen könnten.'* Das wäre eine kaum überprüfbare Variante, die zudem wenig Aussagewert hat. Nach den Angaben im Vorwort ist Augustinus darüber hinaus eine Quelle, aus der Burchard geschöpft haben will. Hrabanus Maurus, dessen Werk De consanguineorum

nup-

tiis et de magorum praestigiis nach den Befunden von Hoffmann und Pokorny als materieUe Quelle fungiert haben könnte, nennt er dagegen nicht. Burchard könnte diese Texte nun einer anderen Vorlage, das heißt einer Vorlage, die nicht von Augustinus stammte, entnommen und sie dennoch diesem inskribiert haben. Bei dieser Vorlage könnte es sich um Hrabanus Maurus gehandelt haben.

37 Patrologia Latina 140, Sp. 805B. Vgl. Hoffmann/Pokorny: Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, S. 211. 38 Vgl. Brett: Canon Law and Litigation, S. 24f.

Die Autorität der Tradition

203

Burchard könnte diese Texte aber auch direkt Werken Augustins entnommen haben, womit die Inskription weitgehend korrekt wäre. I n indirekter oder bedingter Weise könnte es sich auch um augustinische Texte handeln, falls die Vorlagen tatsächhch aus Florilegien stammen.'' Ferner besteht noch die Möglichkeit, dass die tatsächliche Vorlage dieser Texte Werke eines anderen Kirchenvaters waren, den Burchard unter seinen Quellen im Vorwort namentlich nennt, nämlich Isidor von Sevilla.*" A n einer anderen Stelle inskribiert er diesem auch einen Kanon, was deutlich zeigt, dass er für ihn eine Autorität war, die eine autoritative Fundierung ermöglichte.'" Über Schriften dieses Kirchenvaters wurden zahlreiche Werke und vor allem auch Vorstellungen Augustins an das Frühmittelalter weitergegeben;

oftmals

fand eine (früh)mittelalterliche Rezeption nicht nur augustinischen, sondern generell spätantiken Wissens über Werke wie eben Isidors Etymologiae

statt. Einige

der Stellen in Buch 10, gerade die Kanones 41 bis 47, stehen zum Teil diesen Texten in Isidors Etymologiae

sehr nahe, die eine Überlieferung augustinischen

Gedankenguts darstellen. Die von Burchard gewählte Inskription könnte damit für diese Auszüge einen näheren Hinweis auf eine materielle Quelle geben, die hier als ältester Beleg für Vorstellungen gelten kann, die in den Texten im Dekret noch enthalten sind. Valerie FUnt hat diesen komphzierten Sachverhalt für die Kanones 41 und 42 in Buch 10 nachgezeichnet: Burchard in fact takes Isidore's section De magis from Rabanus, complete with Rabanus's own adaptations, and with Rabanus's additions from Augustine's De Divinatione Daemonum and from Ambrosiaster too, and attributes the whole to Augustine. Thus here patristic authority is annexed, once more and clearly, to a conservative position [...].''^

4. „Authentizität" mittelalteriicher Texte Tatsächlich sind die intertextuellen Bezüge und Abhängigkeiten konkret für jeden Kanon im Dekret nur schwer zu klären und im Einzelnen kaum nachzuvoUziehen. Für die angeführten Auszüge aus dem Dekret, die dem Kirchenvater Augustinus inskribiert sind, kann konstatiert werden, dass ihnen augustinisches

39 Vgl. Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 132f. und 34; Brett: Canon Law and Litigation, S. 24f 40 Vgl. Editio princeps, S. 49. 41 Vgl. BD VIII68: Hier lautet die Inskription Ex dictis S. Isidor. (Patrologia Latina 140, Sp. 806C). 42 Vgl. Flint: The Rise of Magic in Early Medieval Europe, S. 50-58;

204

Birgit Kynast

Denken oder entsprechende Vorstellungen zugrunde hegen."' Horst Fuhrmann hat für das ausgehende 12. und das beginnende 13. Jahrhundert einen Umgang mit Texten festgestellt, der nur bedingt an „wahr" oder „falsch" orientiert war: Es sollte daran erinnert werden, daß das Wort .authenticus' nicht eigentlich ,originär', sondern ,wahr' oder .auctoritate plenus' bedeutet. Ein Uber authenticus des Augustin ist nicht unbedingt ein von Augustin selbst ausgefertigtes Exemplar, sondern ein Buch, das Augustins .wahren Text enthält und Beachtung verdient."" Neues, Unbekanntes wurde an der festgelegten Norm gemessen, ob es damit übereinstimmte. I m vorliegenden Fall bedeutet dies, dass Burchard die Kanones in seinem Dekret, für die er stets Rechtsquellen angibt, nicht schlicht gefälscht hat, indem er sie als Ganzes selbst verfasst und dann einer beliebigen Autorität inskribiert hat. Eine Vorlage gab es für die hier besprochenen Kanones B D 10, 40-47 mit großer Wahrscheinlichkeit; das kann zumindest nach den Forschungen Hoffmanns und Pokornys, sowie nach den Befunden von Valerie Flint als gesichert gelten. Auch sind einige der Passagen direkt auf den Kirchenvater zurückzuführen, wenn auch eine Vermittlung über Werke Isidors von Sevilla und des Hrabanus Maurus stattgefunden haben wird."' Darüber hinaus kann man für die anderen, möglichen, zum Teil aber auch sicheren Quellen der Kanones 41 bis 47 davon ausgehen, dass Burchard diese kannte. Dies trifft sowohl für Werke Hrabans, als auch für die Falschen Kapitularien des Benedictus Levita zu, beziehungsweise für die Konzilskanones einer Synode von Tours von 813. Weder Hraban noch Benedictus Levita werden jedoch in irgendeiner der Inskriptionen im Dekret genannt. Die Autorität Augustins scheint hier gleichsam von Burchard als fundierter angesehen worden zu sein, zumindest für die Kanones 40 bis 47 in Buch 10."'^

43 Greta Austin tritt bezüglich der Autoritätskonzeptionen im Dekret für die Möglichkeit ein, dass es sich hier um eine doppelte handeln könnte: Das Verständnis von Autorität, wie es im Dekret umgesetzt ist, könnte demnach von dem Konzept abweichen, wie es im Vorwort skizziert wird. Vgl. Austin: Authority and the canons in Burchard's Decretum and Ivo's Decretum, S. 52. 44 Fuhrmann: Von der Wahrheit der Fälscher, S. 92. 45 Vgl. dazu gleichermaßen Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000. S. 103ff., sowie 131ff. Sie begründet die Bevorzugung einiger Autoren hier, indem sie sie als „.inspired' sources" beschreibt. Zur geringeren Gewichtung karolingischer Autoren in den Inskriptionen im Dekret, vgl. ebd., S. 105. 46 Vgl. Hoffmann/Pokorny, Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms, Quellenregister S. 266f Für BD I 226, III 106, 235 und 234, sowie VII 29 geben Hoffmann und Pokorny ebenfalls das Konzil von Tours an. Zumindest BD III 234 und 235 werden

Die Autorität der Tradition

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Die primäre Kenntnis augustinischer Werke und entsprechender VorsteUungen ist für das Umfeld, zu dem Burchard von Worms gehörte, ebenfalls wahrscheinlich. Es dürfte in diesen Kreisen bekannt gewesen sein, worauf Autoren wie Hrabanus Maurus, oder auch Isidor von Sevilla einige ihrer Texte bezogen haben, oder woher darin enthaltene Vorstellungen kommen. Z u dieser Einschätzung passt der Befund Greta Austins, dass Burchard grundsätzlich in der Lage war, Vorstellungen, die ursprünglich auf Augustinus zurückgingen, bei Hraban festzustellen.*' Diese Kenntnis kann nicht zuletzt auf die Zeit zurückzuführen sein, in der Burchard in Mainz tätig war, bevor er im Jahr 1000 Bischof von Worms wurde. E r war dort unter anderem als Kämmerer von Erzbischof Willigis nachweisbar, dem er generell seit dieser Zeit sehr nahe stand."* In Mainz hat nun unter Willigis eine aktive Augustinus-Rezeption stattgefunden, auch im schulischen Umfeld. Das lässt sich an einer Handschrift belegen, die sich heute im Besitz der Forschungsbibhothek Gotha (Memb 158) befindet. Der Codex enthäh die 22 Bücher von Augustins Werk De civitate Dei, und in eben diesem Codex finden sich Vermerke von Willigis selbst: In diesem Bande stehen die 22 Bücher, die der große Lehrer und Autor Augustinus erstmals herausgab, erfüllt von heiUgem Geiste. Der große und nicht weniger verehrungswürdige Bischof Willigis Heß sie in dieser Bibliothek schreiben und hat sie selbst mit seinen Schülern sorgfältig korrigiert und sie dem Nießbrauch des Heiligen Martin zu ewigem Eigentum vermacht mit der Androhung, dass aus dem Buch des Lebens getilgt, dem Untergang geweiht und dem Zorn Gottes anheimfallen soll, wer auch immer versuchen sollte, diese Bücher jemals von hier zu entwenden."'

5. Die Technik der Inskribierung Burchards Vorgehen bei der Inskribierung der hier behandelten Kanones könnte folgendermaßen ausgesehen haben: Burchard hat Teile aus Hrabans' De consanguineorum

nuptiis et de magorum praestigiis,

systematisch für seine Belange

dem Konzil von Tours auch inskribiert. Vgl. Patrologia Latina 140,723CD.Vgl. ebenso Austin: Authority and the canons in Burchard's Decretum and Ivo's Decretum, S. 36-55, vor allem S. 55. Hier, S. 36ff, wird auch die Vorstellung angesprochen, dass etwas grundsätzlich als autoritativ höherstehender angesehen wurde, je älter es war 47 Vgl. Austin: Shaping Church Law Around the Year 100, S. 133. 48 Vgl. Hehl: Willigis von Mainz, hier besonders S. 52f 49 Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, S. 237f; vgl. Weinfurter: Kollegen des Königs, S. 39. Ebd. Abb. Bl. 16vb. Übers, von Johannes Staub und Ernst-Dieter Hehl. Für den Hinweis auf diesen Zusammenhang danke ich Herrn Prof Dr. Ernst-Dieter Hehl.

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exzerpiert und in die entsprechenden Stehen i m Dekret eingefügt, allerdings mit der Zuschreibung zu Augustinus. Erstaunlich ist daneben auch die bereits erwähnte Länge dieser Kanones, die theologischen Traktaten gleichen; unmittelbar nach ihnen beginnt, thematisch gesehen, der zweite Teil des Buches, das sich im Ganzen laut Überschrift mit „Beschwörern und Weissagern"™ befasst. In diesem zweiten Teil geht CS uni )> Lästerer, Streitsüchtige, Verschwörer",'' letztiich um Verschwörungen und Ungehorsam gegen den Bischof Dies ist eine Zweiteilung, die sich so ähnhch auch i m Sendhandbuch Reginos von Prüm findet,'^ die aber auch direkt auf 1. Sam. 15,23 zurückgehen könnte, worin es heißt: „[...] denn Ungehorsam ist eine Zaubereisünde, und Widerstreben ist Abgötterei und Götzendienst."" Augustinus ist nun eine unbestrittene Autorität i m Bereich des kirchlichen Rechts und der Tradition; für Hrabanus Maurus gilt dies bei weitem nicht in gleichem Maße. E r war zwar einer der herausragenden Gelehrten der späten Karolingerzeit'" und seine nachkarolingische Wertschätzung zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass Burchard an zahlreichen Stehen Werke Hrabans benutzt, wie Hoffmann und Pokorny nachweisen konnten." Zur autoritativen Fundierung der entsprechenden Dekretpassagen scheint der Name Hrabans jedoch in Burchards Augen nicht ausreichend gewesen zu sein. Für die Gewährleistung einer autoritativen Fundierung der Texte wurden die Inskriptionen der hier untersuchten Kanones 40 bis 47 dagegen mit einer der höchsten Autoritäten ausgestattet, die die kirchliche Tradition zu bieten hatte. Dass hier aber gerade Augustinus in den Inskriptionen zu finden ist, und nicht ein anderer Kirchenvater, wird vor allem mit dem thematischen Gehalt der Texte zu tun haben; Augus-

50 Decretorum Uber decimus. De incantatoribus et auguribus (Patrologia Latina 140 Sp. 831/832B). 51 „[...] demaledicis, contentiosis, conspiratoribus [...]" (PatrologiaLatina 140Sp. 831C). 52 Vgl. Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 175. 53 „Verepeccatum hariolandi est repugnare, et scelus idololatriae nolle acquiescere." Vgl. zur Bibel als Richtschnur im Dekret Burchards von Worms die Ausführungen bei Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 145-154. 54 Zu Werk und Bedeutung Hrabans seien hier nur einige der jüngsten Veröffentlichungen angeführt: Kottje: Verzeichnis der Handschriften mit den Werken des Hrabanus Maurus; Goetz: Was wird im frühen Mittelalter unter Häresie verstanden?; Depreux/ Lebecq/Perrin [Hg.]: Raban Maur et son temps; Dreyer/Ferrari: Vana in imagine forma?; Embach: Die Kreuzesschrift des Hrabanus Maurus ,De laudibus sanctae crucis'; Kottje: Bibel. 55 Zur mittelalterlichen Nachwirkung Burchards vgl. zuletzt: Austin: Shaping Church Law Around the Year 1000, S. 26ff; vgl. auch die Angaben bei Kery: Canonical CoUections of the Early Middle Ages, S. 134-148.

Die Autorität der Tradition

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tinus' kritische Haltung zum Realitätsgehalt „abergläubischer" Vorstellungen, vor allem zu Gestaltverwandlungen, galt vor allem im Frühmittelalter als maßgeblich.'* Er kann in dieser Hinsicht auch als ein sehr „subtiler Kritiker" bezeichnet werden, was sich vor allem an der Illusionstheorie erkennen lässt, wonach nur Gott Dinge oder Geschöpfe tatsächlich verändern kann, der Teufel aber nur die Sinne des Menschen täuscht.'^ Diese grundsätzliche Aussage findet sich auch in ausführlicher Form im Canon episcopi, der Buch 10 einleitet. Hier hat Burchard die Inskription aus dem Sendhandbuch Reginos übernommen: Sie schreibt den Kanon einem Konzil zu, was laut den Aussagen im Vorwort eine ausreichende autoritative Fundierung darsteUt; Konzilstexte sind in dieser Hinsicht eine der höchsten Autoritäten. Die Frage, warum er die Zuschreibung zu einem Konzilstext hier nicht geändert hat, an anderer Stelle aber sehr wohl, kann allerdings nicht eindeutig beantwortet werden. Möglicherweise hängt dies mit der Existenz materieller und formeller Vorlagen zusammen. Für den Canon episcopi ist keine materielle Vorlage nachweisbar; diesen Kanon hat Burchard sehr wahrscheinlich zusammen mit der I n skription zu einem Konzil von Ancyra aus Regino von Prüms Sendhandbuch übernommen. Für die Kanones B D X 41-47 ist die Frage nach der materieUen und nach der formalen Quelle zwar nicht offen; es scheint zumindest einen näheren Bezug zu Hrabans Traktat zu geben. Fraglich ist jedoch, ob Burchard für diese Kanones nur aus Hraban geschöpft oder möglicherweise noch andere Quellen herangezogen hat, etwa Florilegien, wie Martin Brett vermutet hat. Thematisch bilden die Kanones 40, beziehungsweise 41-47 zusammen mit dem Canon episcopi am Beginn von Buch X, B D X 1, eine Klammer, die die einzelnen Bestimmungen dazwischen einzuschließen scheint. Die letzten Kanones in dieser Reihe dem Augustinus zu inskribieren kann vor diesem Hintergrund als kluger Schachzug Burchards zur autoritativen Fundierung der übrigen Bestimmungen in Buch X gewertet werden.

6. Die Inskriptionen als dritte Instanz Anhand vor allem der untersuchten Auszüge des Dekrets wurde deutlich, dass die autoritative Fundierung der Kanones in ihrem wesentlichen Teil in den Inskriptionen stattfindet: Durch sie verfügen die Texte über einen klaren Bezug zu

56 Vgl. Baroja: M^itchcraft and Catholic Theology S. 24ff 57 Siehe oben, Anm. 32. Zu Augustinus als früher Kritiker heidnischer und insbesondere abergläubischer Vorstellungen vgl. Boulois: References poür la conversion du monde pa'ien aux Vlle-VIIIe siecles, S. 93ff

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einer rechtlich fundierten Tradition. Zumindest in den hier untersuchten Kanones stellt es dabei kein Problem dar, dass die wörtliche Aussage der Inskriptionen dabei nicht immer auf die formale oder materieUe Vorlage verweist, die Burchard direkt benutzt hat. Die Vorstellungen, die in den fraglichen Kanones 40 bis 47 in Buch 10 enthalten sind, sind mit der angegebenen Zuschreibung an Augustinus dennoch nicht falsch zugeordnet. Potentielle Benutzer des Dekrets profitieren von dieser autoritativen Fundierung: Die Inskriptionen kommunizieren dem Leser eindeutig, dass er es hier mit einer auf Tradition und Kirchenrecht basierenden und damit autoritativ fundierten Sammlung zu tun hat; darin bestätigen sie die Angaben, die Burchard bereits in seinem Vorwort macht. Gerade in der kirchlichen und vor allem in der seelsorgerlichen Praxis war es besonders wichtig, für eine Frage eine klare rechtliche Anweisung zur Verfügung zu haben, deren Autorität gesichert war. Das eigene Suchen nach autoritativen Fundierungen in anderen QueUen hat Burchard damit dem Benutzer seiner Sammlung erspart; er hat es für diesen bereits übernommen und diese Leistung dann an die Inskriptionen übertragen, die diese Aufgabe nun steUvertretend für den Leser übernehmen, wann immer er das Dekret benutzen möchte. Dass ihm dies auf eine sehr aussagekräftige und dennoch subtile Weise gelungen ist, ließ sich an den hier näher untersuchten Kanones erkennen. Die Inskriptionen konstituieren damit eine dritte Instanz, auf die sich der Kompüator, Burchard, und der Leser beziehungsweise Nutzer der Sammlung gemeinsam beziehen, was beide davon entlastet, sich in direkter Interkommunikation über diese Autorität zu verständigen. Die Autoritätsgrundlage der Kanones, die von zentraler Bedeutung für deren Anwendbarkeit und vor aUem für die Geltung der darin enthaltenen Grundsätze ist, muss daher nicht mehr weiter verhandelt werden: Sie wird von den Inskriptionen in ihrer Funktion garantiert und kann vom Nutzer der Sammlung interpassiv erfahren werden. Herauszuheben wäre daher nochmals die Funktion der Entlastung: Mithilfe der Delegierung des Autoritätsproblems an die Inskriptionen entledigt sich der Kompilator der Notwendigkeit, Autorität weiter begründen zu müssen; der Rezipient wiederum wird davon entbunden, sich selbst der Autorität des Materials versichern zu müssen. In diesem Sinne eröffnet das Interpassivitätstheorem eine andere Lösungsmöghchkeit (oder auch Ausweichmöglichkeit) für das Problem des Fälschungsvorwurfes:'* Der Kompüator der Sammlung, Bischof Burchard von Worms, entbindet sich durch den Akt der Delegierung von Autorität über-

58 Vgl. oben, Anm. 9-11.

Die Autorität der Tradition

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haupt von der Notwendigkeit einer Fälschung. E r delegiert die Autoritätsfrage und damit die Konstituierung von Autorität an eine dritte Instanz in Form der Inskriptionen. Diese enthalten anerkannte kirchliche Autoritäten, die im Vorwort zusammenfassend genannt sind. Jede einzelne Inskription enthält eine spezielle dieser Autoritäten und kommuniziert durch diesen autoritativen Gehalt die rechtliche Fundierung eines Kanons an den jeweiligen Nutzer. Durch diese Festschreibungen ist dieser nicht gezwungen, selbst Autorität herzusteUen. Burchard selbst entledigt sich durch diese Übertragungsleistung der Notwendigkeit, Autorität zu garantieren oder gar zu generieren, eine Funktion, die ihm laut eigener Aussage auch gar nicht zukam und die folglich eine Anmaßung bedeutet hätte. In einem Verständnis, das durch Augustinus geprägt war, ist von einer „echten" Fälschung dann auszugehen, wenn der falschen Bedeutung (falsa tio) auch eine Absicht zu täuschen (voluntas fallendi)

significa-

zugrunde gelegt werden

kann.'' Dass dieses augustinische Verständnis für das Mittelalter als prägend angesehen werden kann, hat nicht zuletzt Horst Fuhrmann festgesteUt.*" Für Burchard trifft daher eine etwaige Fälschungsabsicht nicht zu; die Nutzbarmachung des überlieferten Kirchenrechts in seiner richtigen Bedeutung und in einer kongruenten Form war ihm dagegen ein Anliegen, das er versucht hat im Einklang mit der als gültig erachteten, im vorliegenden Fall vor allem einer auf den Kirchenvater Augustinus Bezug nehmenden, Tradition umzusetzen. Die Anwendung des Theorems der Interpassivität macht hier eine mögliche Frage nach einer Fälschung oder Täuschungsabsicht vielleicht nicht überflüssig, doch bietet es eine weitere, vor allem auch konstruktive Möglichkeit, die Autoritätsfundierung im Dekret nachvollziehen zu können. Der Bezugspunkt war in diesem Verständnis auf einer intertextuellen Ebene zu verorten; dies gilt vor allem, insofern die in der Inskription genannte Autorität mit dem zugehörigen Text im Dekret über Rezeptionsvorgänge verbunden ist, die keinesfaUs für die Gesamtheit der möghchen Benutzer der Sammlung transparent gewesen sein kann. Autorität wird hier also intertextuell konstituiert und von dieser intertextuellen Ebene nach außen kommuniziert. Das ist somit weder die Leistung des Benutzers, der die intertextuellen Bezüge nicht nachvollziehen muss, noch ist es die Leistung Burchards, des Kompilators der Sammlung, der den Text auch nicht selbst in der

59 Vgl. Augustinus: De mendacio, IUI 4: „[...] mendacium est enuntiatio cum voluntate falsum enuntiandi [...]" Vgl. ebd., IUI 5: „quapropter enuntiationem falsam cum voluntate ad fallendum prolatam manifestum est esse mendacium" (Augustinus: De mendacio, S. 418,15f und 419,18-20). 60 Vgl. Fuhrmann: Von der Wahrheit der Fälscher, S. 85. Vgl. auch'oben, Anm. 46.

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Tradition verankern muss oder verankern kann: Dies wird stellvertretend für Benutzer und Kompilator von den Inskriptionen übernommen und geleistet, die als dritte Instanz die autoritative Fundierung des jeweiligen Textes übernehmen. Sie konstituieren damit Recht und Autorität auf einer eigenen Ebene. Die Frage nach dem „Fälscher" Burchard aber hat in dieser Interpretation ihre Relevanz verloren.



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