Seminararbeit
Die 9. Symphonie von Dimitri Schostakowitsch vorgelegt im Rahmen des Seminars : " Die Symphonien von Schostakowitsch " Sommersemester 2015 LVNummer: 160038 LVLeite r: ao. Univ.Prof. i.R. Dr. Herbert Seifert von : Svenja Rainer Matrikelnummer: 0908834 Studienkennzahl: 066 836 email:
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung Kapitel 1: Kulturpolitischer Kontext 1.1 Ansprüche Stalins 1.2 “musikalische Komödie [...] deren heiteres Spiel einen ernsten Sinn hat.” 1.3 Rezeption in Russland 1.4 Aufführungen USA, UK, F, AUT, CZ
Kapitel 2: Musikalische Anmerkungen 2.1 Allegro 2.2 Moderato 2.3 Presto 2.4 Largo 2.5 Allegretto
Resümee Literaturverzeichnis
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Einleitung Die vorgelegte Arbeit entstand im Zuge des Seminars “Die Symphonien von Schostakowitsch” und behandelt die 9. Symphonie in EsDur. Der Schwerpunkt liegt auf den musikalischen Bemerkungen, zu welchen Kapitel zwei Ausführungen bietet. Jene analytischen Befunde sind aber vor allem in den historischen Kontext des Werkes gestellt zu betrachten. Auch wenn die Komposition als isoliertes Kunstwerk betrachtet wird, könnte es dieselbe Analyse ergeben, jedoch ist es der kulturpolitische Hintergrund, welcher eine neue Ebene in der Deutung der verwendeten Symboliken zulässt. Daher beginnt diese Seminararbeit mit dem ersten Kapitel als eine einleitende Instanz, welche die historischen Gegebenheiten darstellt. Der Beginn des zweiten Kapitels beschreibt die Eckdaten der Komposition, sowie die kompositorischen Mekrmale der 9. Symphonie von Schostakowitsch. Darauf folgend werden in den fünf Unterkapiteln die fünf Sätze einzeln abgehandelt und interpretiert. Abschließend wird im Resümee die Verbindung der symbolischen musikalischen Merkmale mit dem kulturpolitischen Kontext verdeutlicht.
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Kapitel 1: Kulturpolitischer Kontext Dieses Kapitel umreißt kurz den kulturpolitischen Kontext der Entstehung der 9. Symphonie Schostakowitschs, der Schwerpunkt der vorgelegten Arbeit liegt allerdings auf den analytischen Bemerkungen zur Musik, welche in Kapitel 2 folgen. 1.1 Ansprüche Stalins Die verschiedenen Etappen Schostakowitschs Symphonien, zeigten ab der 6. die Verwendung von Groteske, ab der 7. handelte es sich um Kriegssymphonien; Letztere thematisierten vor allem Heroik und Patriotismus.1 Die Ansprüche Stalins an diese, dritte Kriegssymphonie waren an erster Stelle ein würdiges Werk zur Beendigung des zweiten Weltkrieges durch die Siegermächte zu schaffen sowie die Huldigung des Staatmannes. Außerdem wurde durch die Ziffer dieses Werkes ein gewisses Anschließen an die aus der Historie bekannten 9. Symphonien (Beethoven, Schubert) erwartet.2 1.2 “ musikalische Komödie [...] deren heiteres Spiel einen ernsten Sinn hat. ”3
Die Verwendung von Groteske einerseits und Kriegssymboliken andererseits brechen durch ihre Doppeldeutigkeit die Erwartungshaltung, welche durch den Vorentwurf vermeintlich getroffen worden waren.4 Diese Doppeldeutigkeit wird, wie in Kapitel 2 der vorgelegten Arbeit genauer erläutert werden wird, vor allem durch das akzentuierte Einsetzen von, dem Kontext nicht angepassten Elementen sowie durch die Besetzung und die Verwendung von diversen, stereotypisierten musikalischen Stilmitteln erzielt. Der “ernste Sinn”, der von Heinz Albrecht Brockhaus angesprochen wird, sind die 1
vgl. Rosenlechner (2012), S. 107. vgl. ebd., S. 79, S.106f. 3 Brockhaus (1962), S.100 4 vgl. ebd., S. 108. 2
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Kehrseiten des Krieges, welche der Komponist in seinem Werk thematisiert.5 Das “heitere Spiel” meint die Groteske, welche, neben den offensichtlich traurigen Passagen, als maskierendes Mittel gegenüber der Darstellung des Krieges genutzt wird, wodurch die Trauer um die Kriegsopfer und alle mit dem Krieg einhergehenden, negativen Umstände angesprochen werden. Ebenso wird die Groteske verwendet um die siegeswürdenden Passagen der Komposition ad absurdum zu führen.6 1.3 Rezeption in Russland Die Thematisierung der Leiden des russischen Volkes kam bei jenem an, doch die eigentlich positive Reaktion des Volkes wurde nicht nach Außen getragen, da die Denunziation durch die Regierung drohte.7 Stalin war bei der Präsentation des Werkes am 25.09.1945 sehr enttäuscht, nachdem vom Komponisten eine große, siegeswürdige Symphonie mit allen treffenden musikalischen Mitteln, wie eine üppige Orchesterbesetzung und pompöse Gesangsteile von Solisten und Chor, versprochen worden war; Schostakowitschs endgültige Version des Werkes nannte Stalin “volksfeindlich”.8 Die Konsequenz der Enttäuschung war der Beschluss zur Verfolgung des Komponisten bei den “Schdanow”Referaten 1948 sowie die Ächtung durch den Komponistenverband der UdSSR.9
1.4 Aufführungen USA, UK, F, AUT, CZ Die Kritiker in Europa unterstellten der 9. Symphonie Schostakowitschs durch die diversen abstrusen musikalischen Mitteln eine gewisse Oberflächlichkeit. Andererseits gab es allerdings auch Stimmen, die dem Werk Vielfältigkeit in der Darstellung von den vermeintlich positiven durch die Groteske ad absurdum geführten und den negativen 5
vgl. ebd., S. 111. vgl.Rosenlechner (2012), S. 74, 77, 109. 7 vgl. ebd., S. 109. 8 vgl. ebd., S. 75, Wolkow (2006), S. 313. 9 vgl. Rosenlechner (2012), S. 77. 6
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Seiten des Krieges zusprachen. Die Popularität der Symphonie war jedenfalls sehr groß, sie war die am häufigsten in England, Frankreich, Wien und Prag aufgeführte Symphonie des Komponisten. In den USA fand die Uraufführung der 9. Symphonie am 25. Juli 1946 statt und die Rezeption brachte ebenfalls beide Sichtweisen hervor.10
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vgl. Rosenlechner (2012), S. 78. 5
Kapitel 2: Musikalische Anmerkungen Beginnend mit den allgemeinen Daten und den kompositorischen Merkmalen der 9. Symphonie, wird das zweite Kapitel der vorgelegten Arbeit die musikalischen Aspekte des Werkes darstellen. In die einzelnen Formteile aufgesplittet wird Schritt für Schritt auf die Besonderheiten dieser Komposition eingegangen. Als Primärquellen dienen eine Aufnahme vom Symphonieorchester des Kulturministeriums der ehemaligen UdSSR unter Gennady Rozhdestvensky11, sowie die Taschenpartitur von Hans Sikorski 1946. Zur differenzierten Betrachtung bezieht sich die Autorin auf diverse, in den Fußnoten angegebene Sekundärliteratur. Die 9. Symphonie Schostakowitschs entstand im August 1945, wobei bereits erste Enwürfe ab dem Ende das Jahres 1944 vorhanden waren. Der Komponist war zu der Zeit 38 Jahre alt und komponierte an dem besagten Werk sowohl in Moskau, als auch im Erholungsgebiet Iwanowo, welches vom sowjetischen, mit der Regierung eng verknüpften Kulturverband zur Verfügung gestellt wurde.12 Die Uraufführung erfolgte 1945, die Klavierversion am 25. September13 und am 3. November die Orchesterbesetzung.14 Die Grundtonart des Stückes ist EsDur, welche eine stereotyp militärische Stimmung ist, da sie symbolhaft für Krieg und Sieg eingesetzt wird; so ist beispielsweise die Grundtonart der 3. Symphonie Beethovens “Eroica” ebenfalls in EsDur gehalten.15 Der Aufbau des im Schnitt ca. 24 Minuten dauernden16 Werkes ist typisch symphonisch
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Youtube (02.05.2014). vgl. Rosenlechner (2012), S. 67, 69. 13 vgl. Glikman (1995), S. 76f. 14 vgl. Meyer (1995), S. 298. 15 vgl. ebd., Schick (2007), S. 214. 16 vgl. ebd., S. 211; in der Quelle für die vorgelegte Arbeit beträgt die Dauer gesamt 26:38 Minuten (Youtube 02.05.2014). 12
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in fünf Sätzen realisiert; namentlich Allegro, Moderato, Presto, Largo und Allegretto.17 Wobei hier anzumerken ist, dass dieses klassische Formmodell im Vergleich zu Schostakowitschs bisherigen Symphonien untypisch ist.18 Die Besetzung mit Bläsern, Streichern und Schlagwerk ist hingegen vor allem im Vergleich zur 4. Syphonie eher untypisch minimalistisch gehalten (vgl. Fig. 1).19 Bläser
Streicher
Schlagwerk
Piccolofl. 2 Flöten 2 Klarinetten 4 Hörner 2 Trompeten 3 Posaunen 1 Tuba
Violine I Violine II Viola Violoncelli Kontrabässe
Pauken Triangel Tamburin Trommel Becken Basstrommel (Xylophon)
Fig. 1: Besetzung: Sikorski 1946.
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vgl. Sikorski (1946). vgl. Rosenlechner (2012), S. 72, Koball (1997), S. 193. 19 vgl. Rosenlechner (2012), S. 72, Koball (1997), S. 71. 18
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2.1 Allegro Das Allegro mit seinen 05:15 Minuten20 ist vom Eindruck her, an ein klassischen Tanzsatz erinnernd 21, “fröhlich und humorvoll”22 . In diesem, dem ersten Satz, spiegelt sich die schon erwähnte klassische Struktur, in der exakten Wiederholung der Exposition nach Manier der Sonatenhaupsatzform wider.23 Zwei besondere musikalische Mittel sind der GesTriller in Takt 3 (vgl. Fig. 2)24 und das C in Takt 2426 (vgl. Fig. 3)25. Nachdem jene beiden musikalischen Bausteine nicht in den unmittelbaren harmonischen Zusammenhang passen und sie Fig. 2: Partitur: Sikorski 1946, S. 1.
somit als störend empfunden werden, könnte man sie als Symbol für eine “Kriegswaffe” sehen;26 Allerdings ist die Wirkung der Bausteine andererseits auch als grotesk einzustufen27. Letztere ist m.E. nach die passendere Analyse, da eine Assoziation mit Krieg beim ersten Höreindruck dieser Stellen nicht in den Kopf schießt. Ebenjener erste Höreindruck sollte doch mit den Fig. 3: Partitur: Sikorski 1946, S. 3. 20
Youtube (02.05.2014). vgl. Brockhaus, 1962, S. 102. 22 Meyer (2008), S. 463. 23 vgl. Rosenlechner (2012), S. 72. 24 vgl. ebd., S. 83f., Youtube (02.05.2014), Allegro: Min. 0:00 bis 0:20. 25 vgl. ebd., S. 85f. 26 vgl. Schick (2007), S. 216, Rosenlechner (2012), S. 84. 27 vgl. ebd. 21
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Erwartungen Stalins übereinstimmen (vgl. Kapitel 1.1) und die Analyse einer “Kriegswaffe” ist dafür zu weit her geholt. Wenn man sich andererseits jedoch die maskierte Darstellung der negativen Umstände des Kriegs28 als Schostakowitschs Ziel in Erinnerung ruft (vgl. Kapitel 1.2), passt die Assoziation doch. Als grotesk stellt sich auch die kontrastreiche Verwendung der Instrumente Piccolo, Triangel und Posaune ab Takt 45 dar.29 Schon in diesem ersten Satz ist ein wichtiges Moment der immer wieder kehrende unerfüllte Spannungsaufbau, der bis zum Schluss des gesamten Werkes häufig eingesetzt wird30. Das ist m.E. das auffälligste Mittel, welches den Erwartungen Stalins zuwider handelt. Im Allegro werden die in der Exposition vorgestellten musikalischen Themen in der Durchführung durch typische Mittel, wie dem starken Einsatz der Blasinstrumente und der Dynamiksteigerung, weiter verarbeitet.31 Allerdings befriedigt die ledigliche Andeutung einer Siegesfanfare am Schluss die, schon in der Durchführung entstehende Erwartungshaltung nicht. Die Reprise gestaltet sich als etwas lautere Version der Exposition in den Streichern.32
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vgl. Rosenlechner (2012), S. 85. vgl. ebd., S. 86f., Koball (1997), S. 194., Youtube (02.05.2014), Allegro: Min. 0:42 bis 0:51. 30 vgl. Rosenlechner (2012), S. 109. 31 vgl. Youtube (02.05.2014), Allegro: Min. 2:54 bis 3:43. 32 vgl. Rosenlechner (2012), S. 91., Youtube (02.05.2014), Allegro: Min. 5:00 bis 5:14. 29
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2.2 Moderato Als Besonderheiten stellt sich die im Anfang des 07:37 minütigen33 zweiten Satzes Moderato in hMoll34 auftretende Klarinette dar, welche in einer Manier komponiert ist, die als Zeichen “des kraftlosen Friedens” gesehen werden kann35 und offensichtlich nichts mehr mit dem tanzsatzähnlichen Allegro zu tun hat, sondern melancholisch36 wirkt. So spielt das Holzblasinstrument einen mit ihrem, durch große Intervallschritte traurig wirkenden musikalischen Gedanken immer wieder an und lässt ihn abrupt abbrechen.37 Auch der schleppende Rhymthmus in den Streichern ab Takt 99 sowie die,
durch
den
lang
gezogenen
Piccoloton
am
Schluss
erzeugte
Trauermarschcharakteristik schließen an die Stimmung vom Beginn an.38 Dieser Satz verwendet keine musikalischen Mittel, die als grotesk interpretiert werden können39 , wobei m.E. ebendieses kontrasive Einsetzen von Melancholie wiederum mit der Erwartungshaltung einer Siegessymphonie bricht und somit dem vorgegebenen Anspruch zuwider komponiert ist. Die maskierende Groteske wird hier nicht als Puffer zwischen Stalins und Schostakowitschs Wahrheit des Krieges benutzt, sondern die Melancholie spricht das Leiden des Volkes eindeutig an. Die Diversität der 9. Symphonie Schostakowitschs zeigt sich vor allem in den Übergängen der einzelnen Sätze, nachdem ihre Eindrücke stark divergieren; sowie auch in dem, durch zwei kontrastierende Wirkungen darstellende Sätze, eingekesselten Moderato.40
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Youtube (02.05.2014). Die Tonart hMoll ist in Russland typsich für Trauer: v gl. Schick (2007), S. 220. 35 vgl. Feuchtner (2002), S. 153, Rosenlechner (2012), S. 91. 36 vgl. ebd., S. 72. 37 vgl. Youtube (02.05.2014), Allegro: Min. 5:14 bis Moderato: Min. 0:25. 38 vgl. ebd., Moderato: Min. 2:33 bis 2:50, Rosenlechner (2012), S. 91f. 39 vgl. ebd., S. 108. 40 vgl. Youtube (02.05.2014), Moderato: Min. 6:58 bis Presto: Min. 0:17. 34
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2.3 Presto Zu Beginn des 03:02 minütigen41 dritten Satzes, dem Presto, leitet die Klarinette als Soloinstrument ein "galoppierendes Zirkusscherzo"42 ein, welches allerdings seinen lustig wirkenden Charakter bald wieder ablegt.43 Die als grotesk einstunfbare, ab Takt 33 (und damit schon vor der Wiederholung des ersten Themas) anklingende "Bedrohlichkeit"44, wird spätestens mit Takt 60 sehr deutlich; Hier stellen nämlich die Blechbläser das besagte Thema in" aggressiver Manier"45 dar und ein gewisser Unmut breitet sich aus. Eine Art “dramaturgischen Wendepunkt”46 bietet die “siegesverkündende, majestetische Fanfare”47 der Trompete in Takt 68.48 Jener kristallisiert sich allerdings zu einem wieder unerfüllten Spannungsaufbau heraus, der in Takt 96 und 97, durch die rhythmusbildenden Trommler und die melodietragenden Hörner, am höchsten ist.49 Am Ende des Satzes kehrt durch das gemäßigte Wiederholen des Anfangsthemas sowie durch das WozzeckZitat “Wir arme Leut” in Takt 14350 Ruhe ein. Die für Schostakowitsch nicht untypische Wiederverwertung von eigenem oder wie in dem Fall fremden, von Alban Berg ausgeborgten, musikalischen Materials wird hier zur Darstellung der eben angesprochenen und schon in Satz zwei zum Ausdruck gebrachten kriegsbedingten Leiden verwendet. Zusammenfassend ist der allgemeine Eindruck des Prestos m.E. als nicht eindeutig zu
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Youtube (02.05.2014). vgl. Kopp (1990), S. 289. 43 vgl. Rosenlechenr (2012), S. 92. 44 vgl. ebd., S. 108. 45 vgl. ebd., S. 93. 46 vgl. Brockhaus (1962), S. 99. 47 vgl. Rosenlechner (2012), S. 108. 48 vgl. Youtube (02.05.2014), Presto: Min. 0:37 bis 1:14. 49 vgl. Rosenlechner (2012), S. 93. 50 vgl. Koball (1997), S. 196f, Youtube (06.04.2012): Wozzeck ist eine Oper von Alban Berg; besagtes Zitat ist aus dem ersten Akt und stellt durch das Vorkommen von “absteigenden punktierten Viertelnoten in den Celli und den Violinen” Ähnlichkeit zum Presto dar. , Youtube (02.05.2014): Presto: Min. 2:30 bis 3:02. 42
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konkludieren, da diverse “Stimmungen”51, die heitere und die des Sieges sowie die der kriegsbedingten
Leiden
vertreten sind und somit nicht maßgeblich der
Erwartungshaltung Stalins zuwider komponiert ist. Allerdings hat das Einsetzen von mehreren emotionalen Gehalten, als handle es sich um “Stimmungsschwankungen”, auch eine Art groteske Wirkung.
51
vgl. Rosenlechner (2012), S. 94. 12
2.4 Largo Die 04:05 Minuten52 des vierten Satzes der 9. Symphonie sind von der Gegenüberstellung des Fagott zu den Blechbläsern in einer dialogartigen Auseinandersetzung geprägt53. Letzere Instrumente übernehmen mit ihren wuchtigen Klängen die Rolle des kriegerischen Herrschers, was vor allem durch die traurigen Melodien des Fagotts, welches das leidende Volk darstellt, auf der anderen Seite schwer anders gedeutet werden kann. 54 Wurden bisher die negativen Wahrheiten des Krieges zwar indirekt thematisiert, ist das, an eine menschliche Stimme erinnernde Fagott hier das direkte Mittel, wodurch das Volk sein Leiden ausdrücken kann.55 Zu Beginn des Largos erklingt ein Blechbläsersignal, das gegenüber dem kraftlosen Ende des vorangehenden Prestos wieder einen großen Kontrast im Übergang der Sätze darstellt.56 Passend ist allerdings die Grundtonart bMoll, welche in Russland ebenso wie hMoll aus dem zweiten Satz, für Trauer und Tod steht. Der schon angesprochene Dialog zwischen Fagott und den Blechbläsern beginnt mit dem eben erwähnten Signal bei letzteren und somit der Stimme des Herrschers.57 Immer wieder erklingen drei Posaunen zusammen mit einer Tuba gefolgt von einem akzentuierenden Beckenschlag, was überaus bedrohlich und auch aufdringlich durch Dynamiksteigerungen wirkt.58 Man könnte diese Stellen sogar als übertrieben präsent beschreiben und als ob ein Hauch von Groteske vermittelt werden soll.59 Das Fagott, welches auch schon in früheren Kompositionen Schostakowitschs für die menschliche Stimme steht60, setzt danach mit einem Rezitativ ein. Durch die
52
Youtube (02.05.2014). vgl. ebd., Largo: Min. 0:35 bis 2:30. 54 vgl. Rosenlechner (2012), S. 108. 55 vgl. ebd., S. 109. 56 vgl. Youtube (02.05.2014), Presto: Min. 2:50 bis Largo: Min. 0:20. 57 vgl. Rosenlechner (2012), S. 95. 58 vgl. ebd. 59 vgl. ebd., S. 97. 60 vgl. Feuchtner (2002), S. 152f. 53
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chromatischen Wendungen und die sprunghaft absteigende Quarten wird das Klagen und die Trauer des Volkes ausgedrückt.61 Die Dramatisierung durch die Streicher in den Schlusstakten hat eine gewisse Stilistik von symphonischer Filmmusik. Beide Facetten des Largos, dargestellt durch die beiden Dialogpartner Trauer und Heroik, kommen in dieser Form auch bei Schostakowitschs 8. Symphonie aus der Reihe der Kriegssymphonien vor62, was wiederum das für den Komponist typische recyclen von musikalischem Material zeigt.
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vgl. Koball (1997), S. 197. vgl. Rosenlechner (2012), S. 95f. 14
2.5 Allegretto Das Fagott des vorangehenden Satzes spielt hier im Allegretto weiterhin eine tragende Rolle. Allerdings kehrt die fröhliche Stimmung EsDur des ersten Satzes wieder und löst so die Trauer des dritten und vierten Satzes abstrus ab. Wiederum ist also der Übergang zwischen den Sätzen signifikant.63 Dieser neuartige Ausdruck des Holzblasinstrumentes ist m.E. nun die, schon angesprochene, maskierende Groteske, ganz im Gegensatz zu seiner Ehrlichkeit aus dem vierten Satz, wo eben die tatsächlichen Gefühle des Volkes ausgedrückt werden. In der Literatur wird dieser Sachverhalt verschiedenartig interpretiert; einerseits ebenso 64
und andererseits umgekehrt, sodass im vierten Satz das Fagott eine Maske trage und
sein wahres Gesicht hier im finalen Satz hervor tritt.65 Nach der anfänglichen Vorstellung des fröhlichen Themas durch das Fagott, übernehmen es die Streicher und verleihen ihm mit Achtelbewegungen und Terzsprüngen eine gewisse Dringlichkeit und einen marschartigen Charakter.66 Das skurile Staccato lässt diesen Marsch an einen Zirkusmarsch erinnern.67 M.E. wird so die eigentlich im Marsch liegende Kriegssymbolik bizarr verzerrt. Der Spannungsaufbau im Allegretto entwickelt sich aus der geringen Dynamik in den Bassinstrumenten, der Klarinette und der Oboe ab Takt 161; In weiterer Folge steigt die Dynamik und lang angehaltene Töne der Blechbläser ab Takt 195 erarbeiten eine gespannte Erwartung68, die allerdings wie schon so oft unerfüllt bleibt. Abgelöst wird dieser Aufbau nämlich von einem Thema, welches in den Violinen liegt und doppelte Sechzehntelnoten, begleitet von Hörnerakkorden bietet, sowie von einem skurilem Zirkusmarsch ab Takt 288. Gezeichnet ist dieser Zirkusmarsch von dem Cancan als Stretta.69 63
vgl. Youtube (02.05.2014), Largo: Min. 4:00 bis Allegretto: Min. 0:27. vgl. Schick (2007), S. 223. 65 vgl. ebd., zit. von Koball. 66 vgl. Rosenlechner (2012), S. 100. 67 vgl. Brockhaus (1962), S. 98, Koball (1997), S. 200. 68 vgl. Youtube (02.05.2014), Allegretto: Min. 2:42 bis 2:59. 69 vgl. ebd., Min. 4:11 bis 5:17. 64
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Das Ende dieses letzten Satzes und somit der gesamten 9. Symphonie gestaltet sich als operettenartig durch seine schnelle Dynamik im Unisono und durch zwei akzentuierte Paukenschläge, was einen abstrusen Eindruck hinterlässt.70 Die Besonderheiten dieses finalen, 06:39 minütigen71 Satzes sind also nochmal auf den Punkt gebracht die neue Rolle des Fagotts, der groteske Zirkusmarsch sowie der wieder bis zu letzten Note unerfüllte Spannungsaufbau. Der allgemeine Eindruck im Allegretto vermittelt Leichtigkeit mit zwischendurch eingestreuter Dramatik; letztere spielt allerdings die kleinere Rolle. Das Ende der 9. Symphonie veranschaulicht überaus nachvollziehbar ein letztes Mal den Bruch mit der Erwartung von Stalins Seite. Der Komponist bringt zwar eine kriegssymphonische Realisierung zum Ausdruck, verzerrt diese aber durch diverse musikalische Mittel.
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vgl. Youtube (02.05.2014), Allegretto: Min. 6:00 bis 6:39. Youtube (02.05.2014). 16
Resümee In Anbetracht dessen, dass von Schostakowitsch eine pompöse Siegessymphonie, anschließend an seine beiden bisherigen die 6. und die 7. erwartet wurde, ist die Enttäuschung auf Seiten Stalins gut nachvollziehbar. Erwartet wurde die Würdigung des Staatsmannes durch musikalische Mittel, wie ein groß besetztes Orchester mit einem mächtigen Chor gespickt mit prachtvollen Stimmen der Solisten. Ebenso sollte eine würdige Komposition den erfolgreiche Ausgang des Krieges symbolisieren. Die, von dem Komponisten verwendeten musikalischen Symbole stellen hingegen ganz andere Facetten, die wahrhaftigen Auswirkungen des Krieges aus Sicht des Volkes, dar. Die karge Besetzung sowie die Verwendung von skuril realisierten, ausdrucksstarken Soloinstrumente und bewusst aneinander gereihten, abstrusen Zusammensetzungen der Sätze erzielten keine Zufriedenstellung Stalins Erwartungen. Immer wieder wird man in dieser Symphonie durch unerfüllten Aufbau von Spannung vor den Kopf gestoßen, wie beispielsweise gegen Ende des ersten Satzes (Allegro) durch die Andeutung einer Siegesfanfare. Der Zirkusmarsch im Allegretto, dem letzten Satz, zeigt die ad absurdum geführte Verwendung von Kriegssymbolik am deutlichsten. Die Beschreibung der Komposition einiger Kritiker in Europa als “oberflächlich” ist m.E. nicht gerechtfertigt. Die Verwendung der Trauer bzw. Todestonarten hMoll und bMoll im Moderato und im Largo sowie das WozzeckZitat “Wir arme Leut” im dritten Satz (Presto) vermittelt Eindeutige; die Kehrseite des Krieges, das Leiden des Volkes wird hier unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Ist es im zweiten Satz (Moderato) noch die Thematik, welche sich im musikalischen Eindruck widerspiegelt, so kommt das Volk durch die Stimme des Fagotts im vierten Satz (Largo) zu Wort. In beiden Fällen spricht der Komponist den Opfern und Hinterbliebenen aus tiefster Seele, seine Klänge kommen direkt bei den Menschen an; jedoch durfte diese positive Reaktion nicht in der Öffentlichkeit der damaligen UdSSR preisgegeben werden.
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Die 9. Symphonie Schostakowitschs zeichnet sich zusammenfassend also durch die Doppeldeutigkeit in der Verwendung von Kriegselementen ebenso wie Elementen der Trauer und von grotesken musikalischen Stilmitteln aus.
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Literaturverzeichnis Heinz Alfred Brockhaus, Dimitri Schostakowitsch, Leipzig 1962, S. 98, 99, 100, 102. Bernd F euchtner, Dimitri Schostakowitsch. „Und Kunst geknebelt von der groben Macht“ Künstlerische Identität und staatliche Repression. Kassel, 2002, S. 152, 153. Isaak Dawydowitsch Glikman (Hrsg.), Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch, in: Chaos statt Musik? Briefe an einen Freund. Berlin 1995, S. 76, 77. Michael K oball, Pathos und Groteske. Die deutsche Tradition im symphonischen Schaffen von Dimitri Schostakowitsch. Berlin, 1997, S. 71, 193, 194, 196, 197, 200. Karen Kopp, Form und Gehalt der Symphonien des Dmitrij Schostakowitsch. Bonn 1990, S. 289. Krzysztof M eyer, Dimitri Schostakowitsch, Leipzig 1995, S. 298. Krzysztof Meyer, Schostakowitsch. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit. Mainz 2008, S. 463. Susanne R osenlechner, 1945 Die 9. Symphonie von Dimitri Dimitrijewitsch Schostakowitsch. Ein Werk des Krieges oder der Groteske?, Dipl., Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien 2012, S. 67, 69, 72, 7476, 7779, 8386, 95, 97, 100, 111, 106108. Hartmut S chick, Die unpolitisch Heitere? Versuch einer Neuinterpretation von Schostakowitschs IX. Symphonie von 1945, in: Hein, Hartmut (Hrsg.) und Steinbeck, Wolfram (Hrsg.): Schostakowitsch und die Symphonie. Referate des Bonner Symposions 2004, Frankfurt am Main 2007, S. 211, 214, 216, 220, 223.
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Hans Sikorski (Hrsg.) / D. Schostakowitsch, Symphonie Nr. 9 Op. 70, Taschenpartitur, Ed. Nr. 2220, Hamburg 1946. Solomon W olkow, Stalin und Schostakowitsch. Der Diktator und sein Künstler. Berlin, 2006, S. 313. Y outube, “Shostakovich Symphony no. 9 Rozhestvensky Symphonieorchester des Kulturministeriums der UdSSR”, Playlist hogeladden von ‘Dan the Jazzman’ am 02.05.2014, © Youtube 2015, Onlinequelle: https://www.youtube.com/playlist?list=PL9ayJpUnLlGbkfMmxT7LzmTXrUA_4pBM [Zugriff am 17.3.2015], insbes.: Allegro: Min. 0:000:20, 0:420:51, 2:543:43, 55:15; Moderato: Min. 0:000:25, 2:332:50, 6:587:37; Presto: Min. 0:000:17, 0:371:14, 2:303:20; Largo: Min. 0:000:20, 0:352:30, 4:004:05; Allegretto: Min. 0:000:27, 2:422:59, 4:115:17, 6:006:39. Youtube, “Wir arme leut from Wozzeck Fredrick Zetterström barritone”, hochgeladen von ‘boccanagra52‘ am 06.04.2012, © Youtube 2015, Onlinequelle: https://www.youtube.com/watch?v=Zo46STDmQvI [Zugriff am 27.11.2015].
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