Der verspätete moderne Staat-Die polnische Maiverfassung von 1791

July 18, 2017 | Author: Michael Pietrucha | Category: Cultural History, Early Modern History, Polish History, Political History
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Der verspätete moderne Staat – die polnische Maiverfassung von 1791

Magisterarbeit im Studiengang MAGISTER ARTIUM der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen – Nürnberg in der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie

Betreuer: Professor Doktor Helmut Altrichter vorgelegt von Michael Pietrucha aus Laura Hütte

Erlangen, im Februar 2010

Inhaltsverzeichnis: A. Einleitung..………………………………………………………..4 B. Hauptteil I.

Polens Probleme.…………………………………….....……9

1.

Die Gesellschaft – Adel, Bürger, Bauern…………………..10

2.

Die Politik – Adel gegen König………………………........15

II.

Die Gründe für den Wunsch nach Reformen………………21

III.

Die Phasen der Reform…………………………………….23

1.

Die Jahre 1764 bis 1788……………………………………23

2.

Die Bildung als Mittel zum Zweck………………………...28

3.

Die Jahre 1788 bis 1792……………………………………31

IV.

Die „Verfassungsväter“ und die „Hufschmiede“…………..35

1.

Die „Hufschmiede“ als Ideengeber….……………………..37

a.

Hugo Kołłątaj - Der Karrierist, Eine Publikation.……….....37

b.

Franciszek Salezy Jezierski - Der Radikalere, Ein Aufruf....39

2.

Die „Hufschmiede“ als Kommentator.……………………..40

3.

Die neue Größe: Patriotismus.......…………………………42

V.

Die Verfassung vom 3. Mai 1791.………………………….44

1.

Das neue Regierungsgesetz...................................................46

2.

Der Verfassungstext...............................................................46

a.

Die Gesellschaft – Religion, Adel, Bürger, Bauern..............46

i.

Artikel I Die herrschende Religion.......................................46

ii.

Artikel II Der Grund besitzende Adel...................................47

iii.

Artikel III Die Städte und die Bürger....................................49

iv.

Artikel IV Die Bauern...........................................................51

b.

Die Politik – Legislative, Exekutive, Judikative, Regentschaft, Thronfolger, Heer..........................................52

i.

Artikel V Die Regierung und die Festsetzung der öffentlichen Gewalten...........................................................52

ii.

Artikel VI Der Sejm oder die gesetzgebende Gewalt...........53

iii.

Artikel VII Der König, die vollziehende Gewalt..................55

iv.

Artikel VIII Die richterliche Gewalt.....................................58

v.

Artikel IX Die Regentschaft.................................................59

vi.

Artikel X Die Erziehung der Königskinder..........................60

vii.

Artikel XI Die bewaffnete Macht der Nation.......................60

VI.

Die Aufnahme der Verfassung nach innen und außen..........61

1.

Der Begriff der Nation..........................................................62

2.

Das neue Bewusstsein des Abgeordneten.............................64

3.

Die Position des Klerus.........................................................66

4.

Die Aufnahme bei den Teilern und Frankreich.....................67

VII.

Gezwungene Rücknahme......................................................72

C. Schluss..........................................................................................76 D. Quellen - und Literaturverzeichnis............................................79

A. Einleitung Am 3. Mai 1791 wurde der polnische Staat ausgerufen! Am 23. Januar 1793 wurden die Polen gezwungen, ihn wieder zurückzunehmen. Das Reich hatte Jahrhunderte lang vor dem Ausruf existiert und sollte nur noch etwa zwei Jahre nach der Rücknahme bestehen. Im Jahre 1788 trat in Warschau ein konföderierter Sejm unter der Ägide der Magnaten Nestor Kazimierz Sapieha und Stanisław Małachowski zusammen, mit dem der polnische König ursprünglich nur ein Bündnis mit Russland beschließen wollte. Als aber die Abgeordneten mehrheitlich eine lautstarke antirussische Stimmung an den Tag legten, die auf der zunehmenden und als demütigend empfundenen Bevormundung durch den östlichen Nachbarn fußte, sahen die

Reformbefürworter

eine

einmalige

Chance,

die

Bewältigung der weit gefächerten polnischen Probleme endlich in Angriff nehmen zu können. Die außenpolitische Situation unterstützte ihr Ansinnen. Der Höhepunkt und die Krone dieser reformatorischen Tätigkeit wurde am 3. Mai 1791 die Verabschiedung eines neuen Regierungsgesetzes, das

die

modernen

polnisch-litauische Adelsrepublik Staat

hätte

machen

sollen,

zu

einem

der

seine

Herausforderungen bewältigen und seinen Nachbarn wieder ebenbürtig

auf

gleicher Augenhöhe

gegenüberstehen

konnte. Die Probleme der Adelsrepublik waren mannigfaltiger Natur und gründeten auf vieljährigen Entwicklungen, doch

in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war klar, dass der Bestand des Staates gefährdet war, wenn man nicht versuchte, jene zu beheben. Die Wehrlosigkeit mit der die erste Teilung 1772/73 hingenommen werden musste, hatte diese Gefährdung in vielen Köpfen deutlich gemacht. Die Gesellschaftsstrukturen waren verkrustet und hatten die politische und wirtschaftliche Übermacht der Magnaten über den Rest der Szlachta, den Großteil der Bauernschaft, das Bürgertum, aber eben auch über den König und damit die Zentralgewalt hervorgebracht. Der König war nämlich sowohl aufgrund seiner Position im Staatswesen, als auch durch

das

geringe

Steueraufkommen

praktisch

handlungsunfähig, die Wirtschaft agrarisch geprägt und das Bürgertum, das in mittel – und westeuropäischen Staaten ein

kulturelles,

politisches

und

ökonomisches

Selbstbewusstsein entwickelte, wenn überhaupt, auf sein lokales, direktes Umfeld beschränkt. Insbesondere Kołłątaj äußerte, dass sicher spätestens nach 20 Jahren die Leibeigenschaft und die

Standesordnung abgeschafft

worden wären, wenn die Verfassung bestand gehabt hätte! Die Wehrhaftigkeit des Landes war außerdem durch die geringe Heeresgröße erheblich eingeschränkt und Konflikte zwischen den Konfessionen und Übergriffe aufeinander bestimmten ebenfalls die politische Tagesordnung des polnischen 18. Jahrhunderts. Anfängliche Reformversuche seit 1764 hatten in den überwiegenden

Fällen

gezeigt,

dass

die

sich

das

traditionelle Regierungs- und Verwaltungssystem nicht reformieren ließ, weil auch die traditionellen Eliten und Funktionsträger nicht mitspielen wollten, geschweige denn die Nachbarstaaten. Diese hatten bereits 1732 in Warschau den so genannten „Traktat der drei schwarzen Adler“ geschlossen,

um

die

Freiheiten

und

die

damalige

„Verfasstheit“ Polens zu erhalten1. Diese Verfasstheit wurde jedoch seit der Mitte des 16. Jahrhunderts, als die polnischlitauische Realunion in Lublin geschlossen worden war, nahezu unverändert tradiert und gepflegt, was die Entwicklung zu einem modernen Staat verhinderte. Diese Entwicklung hatte sich jedoch in den Nachbarstaaten vollziehen können und machte Polen ihnen innenpolitisch und außenpolitisch unterlegen; übrigens stand die jeweilige Staatsgewalt dabei vor ähnlichen Problemen. Moderne Staatlichkeit2 und der Staat an sich wuchsen durch die Akkumulation und Konzentration der Herrschaftsrechte in einer zentralen Hand, indem Konkurrenten ausgeschaltet und ständische Gewalten wie Kirche oder eben Adel zurückgedrängt oder integriert wurden. Erstere wurde von Peter

dem

Großen

in

Russland

nach

einigen

Reformmaßnahmen und der Ersetzung des Patriarchats durch den „Heiligsten regierenden Synod“ 1721/22 „gefügig“ und faktisch zu einem Ministerium gemacht3. In Frankreich konnte Ludwig XVI erst den Anspruch erheben, ein absolut regierender König zu sein, nachdem die „Fronde“, also die adeligen Aufstände gegen das Königtum, endgültig niedergeschlagen worden waren4. Ein weiterer wichtiger Faktor für moderne Staatlichkeit war das Ausgreifen der Herrschaftstätigkeit auf das Rechtswesen und die Friedenswahrung durch den Ausbau bzw. Aufbau von Bürokratie, Justiz und des Militärs, das zu einer stehenden Armee umgebaut wurde, welche das bisherige 1

2

3

4

Vgl. Liszkowski U.: Rußland und die polnische Maiverfassung, S.67 in: Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791. Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte. Frankfurt am Main. 1993. Siehe dazu: http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/ recht/prozesse/unterpunkte/wachstum.htm Vgl. Zweiter Teil Die Autokratie zwischen Erstarrung und Reform, Heiligster Synod und Geistliches Reglement: Kirche und Staat unter Peter I. S.246-250 in Haumann H.: Geschichte Russlands, München 1996. Vgl. Premiere Partie De Chambourd au Petit Trianon, Chapitre III De l'art de gouverner in Histoire de la France tome 3, Meyer J.: La France moderne de 1515 a 1789, Fayard 1988.

Söldnerheer ablöste. Unter genau diesem Aspekt, dem Versuch, aus dem polnisch-litauischen Reich einen modernen Staat zu formen, müssen die 11 Artikel und zwei Gesetze der Maiverfassung betrachtet werden. Die Aussagen über die mangelnde Vollständigkeit in der Kritik Jerzy Łojeks beispielsweise, der schrieb, sie habe „(…) die konservativen Nörgler wütend gemacht, das patriotische Sejmzentrum befriedigt und den großen Teil der Radikalen enttäuscht, und zwar als ein unvollkommenes Halbwerk, weil sie in der sozialen Sphäre der Anforderungen der Zeit nicht gewachsen war (...)“5 sind für die Ursachen und Ziele der Maiverfassung irrelevant, weil sie ähnliche Voraussetzungen wie in der englischen oder französischen Gesellschaft und eine ähnlich revolutionäre Mentalität wie gerade in Frankreich seit spätestens 1789 suggerieren. Damit würde man der Verfassung nicht gerecht. Auch die Aussage, dass das Bürgertum nicht vollständig und gleichwertig mit dem Adel an der politischen Partizipation beteiligt worden wäre, scheint zu übersehen, dass das passive und aktive Zensuswahlrecht erstens auch für die Szlachta galt, die sich ja

aus

ökonomischer

Sicht

erheblich

voneinander

unterschieden hatte, zweitens die Beteiligung der etwa 7% polnischen Bürgertums, das ebenfalls wirtschaftlich weit auseinander driftete, dementsprechend nicht hätte größer ausfallen können, sowie drittens die Tatsache, dass jenes Wahlrecht, welches eben nur demjenigen, der Besitz hatte auch das Recht einräumte, sich politisch vertreten zu lassen, in England lange Tradition hatte, in der Amerikanischen Verfassung ebenso galt und selbst in der norwegischen Eidsvoll-Verfassung von 1814 manifestiert wurde, mit 5

Witkowski W., Die Verfassung vom dritten Mai – Ursprung einer modernen Nation und der Idee des „politischen Mannes“, S.19 aus Reinalter H. / Leisching P.(Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3.Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt a. Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

anderen Worten bis ins 20. Jahrhundert hinein eher Regel als Ausnahme darstellte6. Die polnische Maiverfassung muss deswegen vielmehr als der Versuch, teils typisch polnische, aber eben auch typische Probleme eines frühneuzeitlichen Staatswesens zu lösen und des damit zu etablierenden modernen Staates gesehen und untersucht werden. In dieser Ausarbeitung geht es deshalb um die Fragen, ob und inwiefern die Maiverfassung die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Probleme Polens unter der Berücksichtigung der oben genannten Kriterien der Schaffung eines modernen Staates mit den Hinweisen auf aktuelle Ideen des späten 18. Jahrhunderts hätte lösen können. Dazu komme ich nicht umhin, in einem ersten Abschnitt, eben diese Probleme konkret und in gebührender Kürze darzustellen, wobei das Verhältnis zwischen dem König einerseits und Magnaten und Szlachta andererseits im Mittelpunkt stehen wird. Als nächstes muss das Reformbestreben vor dem Beginn des „Großen Sejms“ von 1788 betrachtet werden, um den signifikanten Unterschied verdeutlichen zu können zwischen dem Versuch, das althergebrachte Staatswesen zu reformieren und eben der letztendlichen Einsicht, das ein Systemwechsel erfolgen musste. Der Blick auf das Bildungswesen erfolgt dann, da es, trotz einer langen Tradition, ab 1775 durch die „Kommission für Nationale Edukation“ verstaatlicht wird und dem Dienst im Staat, sowie seinen Bedürfnissen, angepasst wird. In einem weiteren Punkt wird es um ausgewählte Publikationen Hugo Kołłątajs, Franciszek Salezy Jezierskis und Franciszek Ksawery Dmochowskis gehen, welche einerseits ohne den neuen Wert der Bildung und ihrer Verbreitungsmöglichkeiten, sowie der stärker 6

Vgl. d) Wahlrecht, S.431-434 in Reinhard W.: Geschichte der Staatsgewalt, Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999.

werdenden Bedeutung des Patriotismus nicht möglich gewesen wären und welche andererseits entscheidenden Einfluss auf die Gesetzgebung in der Periode des Großen Sejms hatten. Obwohl dabei auch die Vorstellungen zur brisanten Bauernbefreiung näher betrachtet werden – daran wird im Endeffekt deutlich, dass freie Bauern zwar in jener Zeit zu den sich immer weiter entwickelnden Ländern, auch ideologisch, dazugehörten7, sie aber eben nicht zwingend notwendig sind für moderne Staatlichkeit – so dient die Analyse

der

Schriften

Problembewusstseins

und

der

Verdeutlichung

ihren

Bezügen

auf

des die

Verfassungsartikel. Diese wiederum stehen danach im Vordergrund. Zuletzt erfolgt mit den Reaktionen auf die Maiverfassung der Beweis dafür, dass sie selber einerseits einen modernen, und damit überlebensfähigen Staat geschaffen hätte, und dass sie, selbst wenn im Inneren nicht von

jedem

Polen

begriffen,

nur

aufgrund

des

außenpolitischen Drucks scheiterte, da seine Nachbarn den befürchteten polnischen Staat nicht gern sich entfalten sehen wollten.

I.

Polens Probleme

Während in west- und mitteleuropäischen Staaten seit jeher eine Ständegesellschaft vorherrschte, in der einerseits nur ca. 2% der Bevölkerung adelig war und andererseits sich ein starkes Bürgertum herausbilden konnte, war die polnisch-litauische Gesellschaft, obwohl freilich ebenfalls ständisch, in ihren Strukturen verkrustet und ungleich anders als diejenige ihrer westlichen Nachbarn. 7

Joseph II hob die Leibeigenschaft im Jahr 1781 auf.

In Frankreich ging das soweit, dass, als der große konföderierte Sejm gerade einmal ein Jahr in Warschau getagt hatte, die französischen Bürger eine Revolution in Gang brachten, um größere politische Partizipation zu erzwingen.

1.

Die Gesellschaft – Adel, Bauern, Bürger

Im Jahr 1770 war der Anteil derjenigen Einwohner, die sich zum Adel zählten 8-10% und damit im Vergleich mit anderen europäischen Staaten ungewöhnlich hoch. Sie kontrollierten 78% des Landes und 64% der bäuerlichen Bevölkerung. Dabei unterschieden sich die Adeligen sozial erheblich voneinander. Von den 80 000 Familien konnten nur 300 als Magnaten, angesehen werden und die größte politische Macht war bei 12 Geschlechtern konzentriert. So besaß 1739 Stanisław Lubomirski 1071 Landgüter mit etwa einer Million Bauern8, die Zamoyskis verfügten über 4000km² Land mit 10 Städten, 200 Dörfern und an die 100 000 „Untertanen“, damit in der Regel größere Einkünfte als der König und damit auch die Zentralgewalt. Mit der Maiverfassung hatte der Staat später endlich fiskalischen Zugriff auf diese Latifundien. In der Mitte des 18. Jahrhunderts

konkurrierten

die

Potockis

und

die

Czartoryskis ganz besonders um Einfluss im Staatswesen. Die Szlachta beanspruchte ihre Führungsposition und Privilegien

aus

einer

Geistesströmung

heraus,

die

„Sarmatismus“ genannt wird. Sie äußerte sich unter anderem durch fanatische Religiosität und ein ausgeprägtes Standes- und Selbstbewusstsein, die auf der Überzeugung gründeten, dass man durch die Abstammung von den 8

Vgl. VIII. LUMEN: Oświecenie i absolutyzm, ok. 1650-1789, in Davies N.: EUROPA – rozprawa historyka z historią, Kraków 2001. S. 627.

Sarmaten etwas Besonderes war.9 Daraus legitimierte sich auch eine innerhalb des Standes gültige, rechtliche Gleichheit, die aber, wie an den sozialen Unterschieden geschildert, in der politischen Realität mit der Zeit allein durch das Geld der Magnaten ausgehebelt wurde. Diese ganz eigene Geisteshaltung verhinderte bis tief ins 18.

Jahrhundert

konkrete

Reformen

sowie

eine

Transformation und Durchlässigkeit in der Gesellschaft, die bei Polens westlichen Nachbarn, wie bereits erwähnt, eingesetzt

hatten.

traditionellen

Zudem

beharrte

Bewirtschaftungssystem.

man

auf

dem

Die

bäuerliche

Lebensweise10 entfremdete sie im Grunde in gewisser Weise von

der

Lebensweise

der

Stadtbürger

und

gerade

kaufmännische Tätigkeiten empfand man als Schande. Hinzu kam, dass die Szlachta in früheren Statuten verboten hatte,

ihren

Standesgenossen

sich

in

der

Stadt

niederzulassen, um dort ein Handwerk auszuüben. Dieses Verbot trieb im Laufe der Zeit die landlosen Adeligen in die Hände der Magnaten, selbst wenn für jene wahrscheinlich im 18. Jahrhundert der Gesichtspunkt der mit städtischer Arbeit verbundenen Schande keine so große Rolle mehr spielte. Nur staatliche und militärische Posten sollten überall angenommen und ausgeübt werden dürfen. Mit der Zeit sahen die Adeligen ein, dass die Fronwirtschaft unrentabel geworden war. In der Zeit also, in der man im Westen

Europas

zur

Fruchtwechselwirtschaft

mit

mindestens vier Kulturen überging, wurde beispielsweise in Polen-Litauen noch die Dreifelderwirtschaft gepflegt, was 9

10

Im Jahr 1521 hatte Maciej z Miechowa in seinem Werk Tractatus de duabus Sarmatiis eine Kontinuität zwischen den Sarmaten und dem polnischen Adel verkündet. Darin behauptete er, dass ein Teil des Nomadenvolkes im ersten Jahrtausend n. Chr. an die Weichsel gezogen war, die ansässige Bevölkerung unterworfen, sich aber auch mit ihr vermischt hatte. Aus dieser Vermischung wären die Adelsgeschlechter hervorgegangen. Der wichtigste Wirtschaftszweig in Polen war der Getreidehandel. Zeitweise exportierte man im 17. Jahrhundert 100 000 Tonnen, am Anfang des 18. Jahrhunderts waren es jedoch nur mehr 38 000 Tonnen und stieg am Ende desselben Jahrhunderts nur auf 44 000 Tonnen.

nicht nur bedeutete, dass man geringere Ernten zu verzeichnen hatte, als die ausländische Konkurrenz, sondern man konnte diese auch nicht mehr zu einem adäquaten Preis absetzen. Deshalb mussten sich auch zwangsläufig wirtschaftliche Umorientierungen anbahnen. Großpolnische und kleinpolnische Adelige führten die Zinspflicht der Bauern statt des Frondienstes ein, was wiederum

dazu

führte,

dass

kurzfristig

800

neue,

vorwiegend deutsch besiedelte Niederlassungen entstanden. Die Zinspflicht sollte die Produktivität auf den Ländereien erhöhen, war ein Schritt auf die Bauernschaft zu, die damit einen größeren Gewinn aus ihrer Arbeit erzielen konnte und gleichzeitig dem Grundbesitzer ein stabiles und besseres Einkommen

garantierte.

Jene

Zinspflicht

und

die

Niederlassungen werden in der Maiverfassung im Artikel über die Bauern legalisiert und legitimiert. Im Übrigen muss betont werden, dass gerade die Verschiedenheit innerhalb des Adelsstandes ausschlaggebend für den Wandel ab der Mitte des 18. Jahrhunderts waren. Die Befürworter neuer Ideen und unterschiedlicher Reformen fanden sich bei Magnaten, mittlerer und niederer Szlachta und die Dominanz des Adels an sich verlieh ihm so manche Möglichkeit, Ideen in die Tat umzusetzen. Die Bauern durften das so genannte Eingaberecht zur Einreichung von Beschwerden nur lokal wahrnehmen. Am 28. April 1785 kam beispielsweise das letzte Gesuch des Dorfes Wrzecko beim Gnesener Primas an. „Man führte darüber Klage, daß die Zahl der Höfe (…) von 15 auf acht gesunken sei, nicht aber der Umfang der Fron. Spanndienst sei jährlich an 15 Tagen zu leisten, Fußdienst an 26. (...)“ 11. Diese Zahlen stehen exemplarisch für den Druck, der die leibeigenen Bauern beschränkte. Im selben Gesuch hieß es 11

Schmidt Chr.: Leibeigenschaft im Ostseeraum. Versuch einer Typologie. Köln, Weimar, Wien 1997. S.90.

auch, dass man einen der Bauern geschlagen habe, weil er sich wegen eines Kindestods geweigert hatte, zum Dienst anzutreten. Im Jahr 1791 gab es etwa 6,3 Millionen Bauern, von denen 54% der Gutswirtschaft unterlagen, je 13% waren Kirchen – und Domänenbauern und 3% königliche Apanagebauern; nur 16% waren frei. Die letzten vier Gruppen hatten traditionell Zugriff auf das bereits etablierte Justizwesen. Die Koexistenz von Staats- und Patrimonialjustiz hatte eine mildernde Wirkung auf letztere, denn von Gutsherren verhängte Todesstrafen sind nicht überliefert. Dennoch waren ein Drittel der 8,8 Millionen Einwohner 1791 Leibeigene. Der Zustand der polnisch-litauischen Städter war nicht minder kompliziert, wenn gleich wirtschaftlich und rechtlich weit weniger eingeschränkt. Ein „Bürgertum“ wie es sich im westlichen Europa herausgebildet hatte, konnte sich bekanntlich nicht entwickeln, obwohl die polnischen die einst von Max Weber festgelegten Kriterien für westeuropäische Städte sehr früh erfüllten 12. Die adelige Dominanz verhinderte bürgerlichen Landbesitz, versuchte, das

Zunftwesen

abzuschaffen

und

unterband

den

Außenhandel der städtischen Kaufleute.13 Die Bürger, ethnisch14 und sozial sehr gemischt, besannen sich deshalb auf die Angelegenheiten der eigenen Stadt und entwickelten vorerst kein Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie vom Adel hätte emanzipieren können. Damit verbauten sie sich teils auch selbst die Möglichkeit einer politischen Partizipation. In königlichen Städten besaß man die größten Freiheiten. Die Kirche verbot in ihren eine Ansiedlung von 12

13 14

Befestigung, Markt, eigenes Gericht/teilweise eigene Rechte, Verbandscharakter, Autonomie/Autokephalie aus Noga Z.: Städtische Freiheit und bürgerliche Partizipation in den polnischen Städten des Mittelalters und der Neuzeit im Lichte der polnischen Historiographie. S.1. Noga Z.: S.4. Je nach geografischer Lage: Polen, Deutsche, Juden.

Juden und adelige Privatstädte waren oftmals nicht viel größer als ein Dorf und ihre Herren ernannten teils selbstherrlich die Stadträte oder erhoben Steuern. Im Inneren konnte jedoch, abhängig von der Größe, sowie ökonomischen und kulturellen Stellung, eine erhebliche politische Organisation zustande kommen. So hatte Krakau eine communitas, d.h. eine Versammlung aus Schöffen, Handwerkern und Kaufleuten, die auf Initiative des Stadtrats einberufen wurden. Der Bürgermeister trug der communitas die Problempunkte vor, zu denen diese Stellung

beziehen

und

ihre

Meinung

durch

den

Schöffenältesten verkünden musste. Als die Tagungen sich immer mehr in die Länge zogen, wurden straffere Prozeduren eingeführt: „(...) Der Schöffenälteste als Vertreter des gemeinen Volkes erhielt nun vom Rat eine Tagesordnung. Die Beratungen durften (...) höchstens drei Stunden dauern, (...). Wenn die Versammlung nach zweifacher Anfrage nicht zu einer Stellungnahme gelangte, konnte der Rat selbstständig Beschlüsse fassen, (...)“ 15. Diese Versammlung hatte erheblichen Einfluss auf das städtische Finanzwesen, denn ohne ihre Einwilligung durften keine Steuern erlassen werden. So lange auch die Städter vornehmlich Partikularinteressen verfolgten, beschränkte sich ihr Standesbewusstsein auf die Überlegenheit gegenüber den Bauern. Von der Adelskultur beeindruckt, sahen die Stadtbürger in ihren Berufen nichts ehrbares, selbst wenn sie sehr gut davon lebten, und ahmten die adelige Lebensführung nach Möglichkeiten nach. Die Reformer sahen auch hierin eine Fehlentwicklung, auf die sie in ihren Vorhaben auf dem Sejm ab 1788 eingingen und Antworten zu finden versuchten und aktivierten die Bürger, die jenes Bewusstsein auch mithilfe der Polemik und Publizistik zu entwickeln begannen oder es bereits teils 15

Noga Z.: S.8.

getan hatten, wodurch sie zu Mitträgern der angestrebten Staatsform wurden. Bis kurz vor der Zweiten Teilung dauerte Polens Erholung von der demografischen Katastrophe, die der Große Nordische Krieg für das Land bedeutet hatte. Jedoch hieß das, dass trotz eines jährlichen Bevölkerungswachstums von 1,2% von 1750-9016 zunächst einmal nur wenig mehr Menschen als gegen Ende des 17. Jahrhunderts dort lebten. Als nach 1772 der wichtigste Zugang zum Ostseehandel abgeschnitten war, begannen vornehmlich die Magnaten rudimentäre Industrien aufzubauen. Sie waren schon vorher die Einzigen, die sich solche oder ähnliche Investitionen finanziell leisten konnten oder den Mut dazu hatten. So entstand z.B. in Krakau eine Schwerindustrie. Die größte Veränderung erlebte jedoch Warschau, in dem größere Manufakturen gebaut wurden und dessen Einwohnerzahl von 30 000 im Jahr 1760 auf 150 000 im Jahr 1792 stieg. Die langwierige Friedensperiode und eine kleine Armee hatten neue ökonomische und letztendlich auch kulturelle Kräfte freigesetzt. 2.

Die Politik – Adel gegen König

Während sich in vielen anderen europäischen Reichen bis zum Ende des 17. und in den Anfang des 18. Jahrhunderts hinein eine effizientere, moderne Staatlichkeit entwickelt hatte, die darauf zurückgeführt werden kann, dass es an der Spitze einen verhältnismäßig starken Regenten gab, der immer

wieder

mit

den

übrigen

Ständen

um

die

Führungsrolle rang, verblieben die polnische Staatstheorie und Staatlichkeit eher auf dem Stand der Union von Lublin17. Ein Resultat dieses oben genannten Ringens war 16

17

Bideleux R. /Jeffries I.: A history of Eastern Europe, Crisis and Change, Part II East Central Europe prior to the Habsburg ascendancy, London 1998. Vgl. Roos H., Ständewesen und parlamentarische Verfassung in Polen (1505-1772) in Dietrich G. (Hrsg.): Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert, Göttingen 1969.

entweder der in seinem Anspruch absolutistische Staat, in dem schließlich der Monarch nur Gott unterstand und damit über dem Gesetz stand; ein anderes Resultat war die konstitutionelle Monarchie, die sich theoretisch18 in Großbritannien widerspiegelte und in der der König in Gesetzgebung

und

Steuererhebungsfragen

von

einer

parlamentarischen Versammlung eingeschränkt wurde. Die kulturelle Dominanz des Adels wirkte sich auch auf seine politische Stellung innerhalb des polnisch-litauischen Staatswesens

aus.

Seitdem

es

eine

Wahlmonarchie

geworden war, entwickelte sich die so genannte Adelsnation zur staatstragenden Schicht. Der Adel teilte sich zwar wirtschaftlich in die überaus reichen Magnaten, die mittlere und kleine Szlachta und eine verarmte Masse, die „hołota“ (dt. in etwa „Pöbel“), aber in der Politik hatten sie alle eine Stimme. Die Magnaten konnten mithilfe der hołota, die wie eine Klientel gesammelt wurde, ihre Interessen auf den Land- und Reichstagen durchsetzen. Dabei verlangte die Verabschiedung eines neuen Gesetzes Einstimmigkeit. Jedoch wurde seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Arbeit eines jeden Sejms durch das so genannte liberum veto torpediert, welches jedem Stimmberechtigten zur Verfügung stand. Jenes liberum veto, also das Einspruchsrecht eines jeden Adeligen bei Sejmbeschlüssen, genügte, damit ein Gesetz des Sejms nicht in Kraft trat. Umgekehrt hielt man sich dann wiederum auch an das Gesetz, das eben einstimmig erlassen worden war, um so mehr. In der Regierungszeit König Augusts III. (1733-63) konnte beispielsweise nur ein einziges Gesetz den Sejm verlassen. Dadurch, dass die Zentralgewalt nach innen schwach war, weil kein entsprechender Staatsapparat für ein effektives Regieren zur Verfügung stand, bildete sich, anfangs auch 18

„Theoretisch“ nur deshalb, weil Großbritannien bekanntlich keine geschriebene Verfassung besitzt.

von Städten organisiert, dann aber praktisch ausschließlich von Adeligen, die Institution der „Konföderation“ heraus, „(...) für das Erreichen fest umrissener Ziele, z. B. der Kampf gegen Verbrechen (...)“19. Das besondere an ihr war, dass sie sich, sobald das festgelegte Ziel erreicht war, aufzulösen hatte. Manchmal benötigte man sie, um während eines Interregnums den Frieden zu garantieren. Mit der Zeit jedoch wandte sie sich auch gegen die Könige oder aber diese bildeten sie selbst. Einem festen staatlichen Organ unterstanden die Konföderationen jedoch viel zu selten. Nachdem August III. aus dem sächsischen Haus Wettin 1763 verstorben war, begann ein einjähriges Interregnum in der Adelsrepublik. Wieder einmal wurde die Königswahl zu einem

Politikum,

in

das

sich

die

Nachbarstaaten

einmischten. Preußen und Russland bestanden auf einen Kandidaten, der nicht mit Österreich oder Frankreich sympathisierte und nicht bestrebt war, Staatsreformen durchzuführen. Sie einigten sich sehr schnell auf den russischen Vorschlag, den ehemaligen Liebhaber der Kaiserin, Stanisław August Poniatowski, der als sicherer Garant dafür galt, Polen instabil zu halten. Damit es nicht zu einer Doppelwahl kam, vertrieben russische Truppen den von den Potockis aufgestellten Gegenkandidaten, so dass Poniatowski, auch mit dem Kauf weiterer Stimmen, am 7. September 1764 auf dem Sejm von Wola bei Warschau, zum König gewählt werden konnte. Anders als seine Vorgänger ließ sich Poniatowski nicht etwa in der Königskirche des Krakauer Wawel, sondern in Warschau am 25. November desselben Jahres krönen. Der neue Mann auf dem Thron besaß anders als viele seiner Vorgänger keinen Rückhalt durch die Herrschaft über einen weiteren europäischen Staat und hatte, obwohl aus einer verdienten und adeligen, aber väterlicherseits nicht sehr 19

Vgl.: Mały Słownik Historii Polski, Wydanie III Rozszerzone, Warszawa 1964. S.135.

reichen Familie stammend, auch kaum eigene Zustimmung in der polnischen Szlachta. Einerseits hing ihm ständig die Affäre mit der russischen Kaiserin nach, andererseits war der neue König in den Augen des Adels seines Amtes nicht würdig; der polnische Adel, der innerhalb seines Standes auf Gleichheit pochte, glaubte trotz allem an eine besondere Würde des Königtums20. Das hinderte die Edelleute zwar nicht, gegen den König zu ziehen oder sich über ihn hinweg zu setzen, aber sein Leben war dabei eigentlich nicht in Gefahr. Bereits seit dem Beginn seiner Herrschaft sah Poniatowski die Notwendigkeit, das politische System zu reformieren, was nicht nur durch einen misstrauischen Adel, sondern auch wegen seiner überaus schwachen Position als König Polen-Litauens erschwert wurde. Der polnisch-litauische Doppelstaat wurde zwar von einem gemeinsamen Sejm und einem gewählten König regiert, jeder Teilstaat behielt aber seine eigenen Gesetze und Administrationen bei. Die Könige sollten von der adeligen Vollversammlung gewählt und erst nach dem Eid auf ein Abkommen gekrönt werden. Dieses Abkommen, die so genannten Pacta conventa und die Articuli Henriciani21 definierten die „Verfasstheit“ des polnisch-litauischen Staatswesens, letztere ganz konkret die Rolle des Königs darin. Während die Pacta conventa sich im

Laufe

der

Zeit

änderten,

da

sie

eine

Art

Regierungsprogramm des jeweiligen Königs darstellten, das er im Konsens mit dem Adel erstellte, blieben die „Artikel“ bis

zur

Krönung

Stanisław

August

Poniatowskis

unverändert für jedes neue Oberhaupt. Sie bestanden aus sieben Punkten und wiesen den König an, den Sejm alle zwei Jahre für höchstens sechs Wochen einzuberufen, freie 20

21

Vgl.: Dembiński B., Chapter VI The Age of Stanislas Augustus and the National Revival, S. 112-137 in Reddaway W. F., Penson J. H., Halecki O., Dyboski R.: The Cambridge History of Poland 1697-1935, From Augustus II to Pilsudski, Cambridge at the University Press 1951. Benannt nach dem ersten gewählten König nach Zygmunt Augusts Tod, Henry Valois.

Glaubensausübung für die Dissidenten zu garantieren, Außenpolitik jeder Art nur mit dem Einverständnis eines Senatorenrates zu führen, dessen Mitglieder vom Sejm ernannt wurden, auch keinen Adelsaufstand22 herbei zurufen ohne die Zustimmung des Sejms und diesen nicht bei außenpolitischen Konflikten zu benutzen, die Verteidigung der Landesgrenzen mit eigenen Mitteln zu gewährleisten, sowie keine neuen Steuern ohne die Konsultierung des Sejms zu erheben und keine Monopole zu errichten; der siebte Artikel erlaubte ihm nicht, wieder eine Erbmonarchie einzuführen

und

der

letzte

erlaubte

den

adeligen

Untertanen, ihrem König den Gehorsam zu verweigern, wenn er gegen einen der Artikel verstieß23. Dieser Katalog voller politischer und wirtschaftlicher Einschränkungen machte den König zu einer Art Diener des Adels, dem militärischen

Oberbefehlshaber

mit

repräsentativen

Funktionen nach außen24. In dem System, das den König staatsrechtlich zu nicht mehr als einem „Ersten unter Gleichen“ gemacht hatte, der durch sein Amt der Theorie nach zu einer besonders respektierten Person aufstieg, hing die Verwirklichung seiner Ideen offensichtlich vor allem von seinem Charisma, Durchsetzungsvermögen und im Allgemeinen seinem Charakter ab. Spätestens im 18. Jahrhundert

zeigte

sich,

dass

die

dem

Königsamt

aufgebürdeten Pflichten nicht erfüllt werden konnten, da die Zentralgewalt institutionell und fiskalisch zu schwach war. Einzig auf den Königsgütern, zu denen immerhin große Städte gehörten, durfte er verhältnismäßig uneingeschränkt walten; im Übrigen genauso wie die Magnaten auf ihren Gütern. 22

23 24

Das polnische „ruszenie pospolite“ hatte nur in dem während der Revolution in Frankreich entstehenden „levée en masse“ ein adäquates Pendant. Lewicki A., Friedberg I.: Zarys Historii Polski (do r. 1795), London 1944. S.148-49. Norman Davies prägte die interessante Definition eines „unter Vertrag stehenden Geschäftsführers“. Vgl.: Davies N.: Im Herzen Europas, Geschichte Polens, München 2000. S.169.

Auch Stanisław August Poniatowski waren durch die pacta conventa

die

Hände

gefesselt25.

Er

und

seine

Zentralregierung hatten nur auf eine geringe Steuereinkunft Zugriff und die Finanzierung eines Heeres, das dem seiner Nachbarn ebenbürtig gewesen wäre, war damit unmöglich. 1772/73

erfolgte

eine

Annexion

polnisch-litauischer

Gebiete durch Preußen, Russland und Österreich, welche als Erste Teilung in die Geschichte einging und gegen die sich das Land nicht erwehren konnte, weil die Armee seit 1717 auf gerade einmal 12 000 Mann begrenzt war. Die Teilung ergab sich nachdem der polnische Sejm im Januar 1768 zu einem „Ewigen Vertrag“ mit Russland gezwungen, eine Reihe von gerade erst verabschiedeten Gesetzen nichtig gemacht worden war und sich die Konföderation von Bar gegen den russischen Einfluss und den polnischen König am 29. Februar in Podolien gebildet hatte. Sie bestand aus konservativen Kleinadeligen und Klerikern, deren Devise lautete: „Glaube und Freiheit“ 26. Ein vier Jahre dauernder, wirrer und regelloser Kampf zwischen der Konföderation von Bar und den Russen brach aus. Diese konnten sich nicht vollkommen auf die Polen konzentrieren, da Istanbul ebenfalls 1768 Petersburg den Krieg erklärt hatte. Poniatowski blieb neutral, aber die Barer erklärten ihn am 22. Oktober 1770 für abgesetzt. Als mit der Hohen Pforte wieder Frieden geschlossen worden war, wurde die Konföderation im Frühjahr 1772 von den Russen aufgerieben. Abgesehen von der zahlenmäßigen Überlegenheit hatten die ausländischen Truppen auch deshalb relativ leichtes Spiel, weil die Konföderierten sich in der Zwischenzeit aufgrund interner Zwiste und Eitelkeiten zerstritten hatten. 25

26

Poniatowskis pacta conventa sahen z.B. vor, dass er „(...) keine Prärogativen usurpiert, die im Gegensatz zur aegalitas stehen (...)“. Roos H., Ständewesen und parlamentarische Verfassung in Polen (1505-1772), S. 327, in Dietrich G. (Hrsg.): Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert, Göttingen 1969. Schmitt-Rösler, A.: Polen, Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 1996. S.55.

Preußen hatte schon am Anfang des 18. Jahrhunderts eine Angliederung bestimmter Territorien angestrebt, um sein Staatsgebiet abzurunden, konnte das damals jedoch nicht gegen den Willen Peters des Großen durchsetzen. Dieser wollte

seinen

westlichen

Nachbarn

lieber

für

machtpolitische Zwecke nutzen und nicht andere auf seine Kosten sich bereichern sehen27. Österreich hatte bereits 1770 einige südpolnische Städte okkupiert und hatte im Endeffekt, trotz Bedenken seiner Kaiserin, nicht vor, Preußen zu stark werden zu lassen. Außerdem befürchtete man in Wien, dass Russland durch seinen Sieg über das Osmanenreich zu mächtig werden würde. St. Petersburg verzichtete nach Protesten auf die Besetzung der Moldau und Walachei, Preußen und Österreich waren bereit, Russland mit polnischem Gebiet zu entschädigen. Obwohl Katharina II. im Vertrag von 1768 die territoriale Integrität der Adelsrepublik garantiert hatte, marschierten die Nachbararmeen ein und unterzeichneten am 5. August 1772 den Teilungsvertrag. Westpreußen fiel an Berlin, Galizien mit Teilen Kleinpolens an Wien und Polnisch-Livland

mit

weißrussischen

Gebieten

an

Petersburg, damit ein Viertel des vormaligen Staatsgebietes und ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Da die inneren Unruhen28 als Vorwand zum Einmarsch genommen wurden, sahen die Teilungsmächte in ihrem Werk ein Mittel zur Pazifikation.

II. Gründe für den Wunsch nach Reformen Trotz seiner Dominanz in dieser polnisch-litauischen Gesellschaftsordnung vor der Verfassung vom 3. Mai 1791 27

28

Vgl. Feldmann W.: Geschichte der politischen Ideen in Polen seit dessen Teilungen (1795-1914), Erstes Kapitel: Der Werdegang der neuzeitlichen politischen Richtungen in Polen, München und Berlin 1917. Vgl. Müller M. G.: Die Teilungen Polens 1772-1793-1795, München 1984. S.38/39.

entwickelte der staatstragende Stand ein Interesse für Reformen und in wie auch immer geartete Veränderungen in seinem Heimatland. Die mächtigsten Magnatenfamilien erstellten

jeweils

eigene

Konzepte:

Die

Potockis

befürworteten eine Stärkung der Königsmacht, während die Czartoryskis eher zu einem Ausbau der Sejmmacht tendierten. Beide suchten Unterstützung im Ausland, erstere bei Frankreich und letztere bei Russland. Die Intellektuellen ahnten bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein mögliches Auflösen des Staates und wurden in ihrer Annahme nach 1772 nur bestärkt. Der neue König bot ihnen im Rahmen seiner Möglichkeiten ab 1764/65 Bedingungen, um ihre Ideen zu entfalten. Die wirtschaftlichen Veränderungen, auch und gerade nach der ersten Teilung, waren sicherlich wichtig für die Reform der Gesellschaft; sie beschleunigten den Reformprozess jedoch nicht unmittelbar. Immerhin konnte man sich in der Zeit der Wettiner, als die Krise der Landwirtschaft noch deutlicher

zu

spüren

war

und

trotz

langwieriger

Diskussionen, sowie erster größerer politischer Schriften, im Endeffekt nicht dazu durchringen, die ökonomische und politische Beschaffenheit des Staates zu reformieren. In dem von Stanisław Poniatowski, dem Vater des späteren Königs, verfassten „Brief eines Landadeligen an einen Freund aus einer anderen Wojewodschaft, geschrieben ante annum 1744, id est vor dem Sejm“29 wurde zumindest das Programm für die wirtschaftliche Veränderung postuliert, denn es strebte eine Abwendung von der agrarischen Monokultur der Getreideproduktion, die Öffnung der Wirtschaft für einen lebensfähigen Binnenmarkt, sowie eine effektive indirekte Besteuerung an; der letzte Punkt hätte damit eine Stärkung des Staates bedeutet, obwohl dieser 29

Müller M. G.: Polen zwischen Preussen und Russland, Drittes Kapitel: Staatliche Modernisierung und wirtschaftliche Stagnation, Berlin 1993. S.238.

Reformvorschlag sich in erster Linie auf die Ökonomie bezog. Eine Generation später begann man schließlich, ganz ähnliche Maßnahmen zu ergreifen, wenn auch zunächst nur mit geringem Erfolg. Die Adelsrepublik des frühen 18. Jahrhunderts war ein typischer Personenverbandsstaat und hatte die damit in Verbindung

stehenden

Probleme

und

Schwächen

aufgewiesen. Während in vielen europäischen Staaten bis ins erste Drittel desselben Jahrhunderts die Macht dezentralisiert worden war in dem Sinne, dass durch den Aufbau eines stärkeren Beamtenapparates und damit die Einbeziehung einer größeren Zahl von Menschen in die Administration mit dem damit einhergehenden Ausgreifen der Zentrale auf die lokale Ebene, und wenn es dabei auch nur um die Demonstration von staatlicher Präsenz gehen konnte, durchgeführt wurde, war Polen-Litauen in der Hinsicht dezentralisiert, als dass nach wie vor das Klientelwesen

in

einer

geradezu

extremen

Form

ausschlaggebend war für den Gesetzeserlass oder die Ämtervergabe, während die Zentralgewalt außerhalb ihrer Domäne, d. h. der Krongüter, nahezu keine Präsenz hatte. Den Adeligen, die ähnlich wie ihre Standesgenossen in anderen

Ländern

ihrem

Ehrenkodex

zufolge

daran

interessiert waren, Ruhm zu erlangen und Karriere zu machen, wurde schließlich klar, dass sie das langfristig nur in einem Staat konnten, dessen Heer stark und dessen Regierungs- und Beamtenapparat vielfältiger waren und bessere besitzlose

Aufstiegschancen Adel

wurde

boten.

Gerade

beispielsweise

jener durch

fast seine

Ideengebung zu einem entscheidenden Standbein für den Umbau des Staates, das andere war der von vornherein einsichtige Teil der Magnaten. Angefeuert wurde alles durch einen gewissen „jugendlichen Tatendrang“, da wichtige Reformer und Mitglieder der Patriotenpartei in

Poniatowskis letztem Regierungsjahrzehnt zwischen 30 und 50 Jahre zählten30.

III. Die Phasen der Reform Die Versuche und Unternehmungen der Reformbefürworter kann man in zwei Phasen unterteilen. Hierbei unterschieden sich die Gruppierungen, ihre Pläne und die Methoden. 1.

Die Jahre 1764 bis 1788

Dadurch, dass er mütterlicherseits mit der mächtigen Magnatenfamilie der Czartoryski verwandt war und diese wiederum durchaus gewillt war, den polnischen Staat in Anlehnung an Russland zu reformieren, blieb Poniatowski nichts anderes übrig als sich auf die Familie und ihre Szlachta-Klientel zu stützen. Dazu war er im Übrigen solange

bereit,

Magnatensippe

wie

sein

konform

Programm ging.

Der

mit

dem

bei

der

seiner

Thronbesteigung gerade einmal 32 Jahre zählende König war durch seine stolze Mutter in seiner Jugend in die einschlägigen Institutionen geschickt worden und kam im Haus Michał Czartoryskis in Berührung mit dem kulturellen und intellektuellen Leben der Adelsrepublik; außerdem hatte Stanisław August politische Erfahrung als Sejmabgeordneter gesammelt, war in England Augenzeuge bei Sitzungen des House of Lords, was ungemeinen Eindruck auf ihn gemacht haben soll und hatte im Pariser Salon von Madame Geoffrin bedeutende „Aufklärer“ kennen gelernt31, wie den Autor des „L'Esprit des Lois“, Montesqieu. 30

31

Adam Kazimierz Czartoryski lebte von 1734 bis 1823, Ignacy Potocki von 1750 bis 1809 und Hugo Kołłątaj von 1750 bis 1812, nur um die bedeutendsten Vertreter genannt zu haben. Vgl. Dembiński B., Chapter VI The Age of Stanislas Augustus and the National Revival, S. 112-137, in Reddaway W. F., Penson J. H., Halecki O., Dyboski R. (Hrsg.): The Cambridge History of Poland 1697-1935, From Augustus II to Pilsudski, Cambridge at the University Press 1951.

Die

Familie32

wollte

zwar

eine

Stärkung

der

Funktionsfähigkeit der Staatsregierung, aber ohne eine Stärkung der Königsmacht. Ihre Vorstellungen ließen sogar eine Verletzung der goldenen Adelsfreiheit für mehr Effizienz im Sejm zu. Um ihre Interessen durchzusetzen, griff die Familie auf russische Hilfe zurück. Petersburg sah darin eine willkommene Möglichkeit, die Adelsrepublik quasi im Auge zu behalten! Als Poniatowski ankündigte, die Kompetenzen der Landtage (sejmiki) zu beschneiden und im Zuge einer möglichen Umwandlung des Sejms in eine Generalkonföderation das liberum veto abzuschaffen, drohte das Russische Reich 1766 mit einem Einmarsch. Bald fand sich für Russland und Preußen mit der Dissidentenfrage ein hervorragender Vorwand, um in Polen einzugreifen. Die Dissidenten waren protestantische und orthodoxe Geistliche und Adelige, die ebenso wie ihre übrigen Glaubensgenossen nicht denselben Status in der Adelsrepublik inne hatten wie ihre katholischen Nachbarn. Preußische und russische Unterstützung sollte ihnen zu ihrem Recht verhelfen. Zunächst aber bildeten sie im Juni 1767, nach einer Initiative einer russischen Gesandtschaft,

zusammen

mit

Reformgegnern

die

Konföderation von Radom unter Führung von Karol Radziwiłł, einem einstigen Gegenkandidaten Poniatowskis. Mithilfe russischen Geldes und russischer Truppen konnten die Konföderierten Gleichbehandlung fordern und drohten mit dem Sturz des Königs. Proteste einiger weniger blieben erfolglos und so schloss ein Sejmausschuss am 24. Februar 1768 den „Ewigen Vertrag“ zwischen Polen und Russland, der den territorialen Bestand sowie die „Kardinalsrechte“ garantierte, also die freie Königswahl, das liberum veto, das Recht auf Widerstand 32

Zur damaligen Zeit gebrauchte man in Polen in der Tat das Wort „Familia“ und meinte explizit die Czartoryskis.

gegen die Staatsgewalt, das ausschließliche Recht des Adels auf Ämter und Grundbesitz, sowie die volle Macht der Grundherren über ihre Bauern. Auf dem Sejm von 1764 wurden 180 Gesetze verabschiedet. Die wenigsten konnten sich halten, da die Kardinalsrechte z. B. die ursprünglich geplante Beschneidung des liberum veto faktisch wirkungslos machten. Aber die Einführung eines Generalzolls für den Binnenmarkt und damit einhergehend der Abbau privater Zölle, sowie die Aufhebung der Steuerfreiheit der Geistlichkeit verblieben und zeigten, dass man sich vorerst nicht nach der Aufklärung richtete, sondern vielmehr die eigenen traditionellen Institutionen reformieren wollte33. Auf dem Sejm, der wiederum die Gebietsabtretungen von 1772

anerkennen

sollte,

dominierten

von

1773-75

Abgeordnete, die wie der Sejmmarschall Adam Poniński zwar von polnischen Steuergeldern lebten, aber eher den Nachbarstaaten

gehorsam

waren.

Einsprüche

solcher

Abgeordneter wie Reytan und Wybicki verhallten politisch in der Wirkungslosigkeit. Die Adelsrepublik blieb jedoch, obwohl sie gerade an Österreich und Preußen wirtschaftlich wichtige Gebiete verloren hatte, weiterhin ein durchaus lebensfähiger Staat, der versuchen konnte, eine unabhängige Existenz zu führen. Die konservativen Magnaten um den Gnesener Wojewoden August

Sułkowski

wollten

den

1775

einberufenen

„Ständigen Rat“ (Rada Nieustająca) als Kontrollinstanz gegen den König benutzen. Dieser aber konnte die russische Kaiserin und ihren neuen Gesandten Stackelberg davon überzeugen, dass Polen ein funktionierendes Exekutivorgan benötigte. Tatsächlich schränkte der Rat den König teilweise 33

Vgl.: Olszewski H., Die Maikonstitution als Krönung der Reformbewegung in Polen im 18. Jahrhundert, S. 24-43, in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

ein, richtete sich aber schließlich gegen die Allmacht der Magnatenminister. Poniatowski wurde Vorsitzender von 36 Ratsherren, die sich zur Hälfte aus dem Senat und zur Hälfte aus dem Abgeordnetenhaus zusammensetzten und vom Sejm quasi „ausgewählt“ worden waren. Es galt die Meinung der Mehrheit, der König hatte nur bei einem Gleichgewicht eine Stimme. Dem Rat wurden fünf Departements zugewiesen: Ausländische Interessen, Polizey, Armee, Gerechtigkeit und Staatsschatz34. Zudem beschloss der Sejm eine grundlegende Militärreform. Die Armee sollte auf 30 000 Mann erhöht, die Husarenreiterei durch nationale Kavalleriebrigaden ersetzt, die man durch Strenge nach dem Vorbild anderer europäischer Armeen disziplinieren wollte, und das alles durch Steuererhöhungen finanziert werden. Schon bald musste diese Reform wieder verworfen werden, da man die nötigen 18,5 Millionen Złoty35 einfach nicht auftreiben konnte. Weitaus

erfolgreicher

war

die

Einberufung

einer

„Kommission zur Nationalen Edukation“. Mit dieser bis dahin in Europa einzigartigen Institution wollte man daran gehen, das polnische Bildungssystem zu modernisieren. Andererseits war man unfähig sich bei der Frage zu einigen, wie man die Situation der Bauern verbessern könnte. Als vorgeschlagen

wurde,

die

Kategorie

„freier

Bauer“

auszuweiten und zu ermöglichen, dass das zweite und vierte Bauernkind in die Stadt zum Erlernen eines Handwerks ziehen durfte, boykottierten zu viele Adelige das Gesetz im Sejm.36 Obwohl die Vergabe der Offiziersränge und die Oberhoheit über das Heer auf Poniatowski übertragen worden waren und damit die Bedeutung des Hetmanats geschmälert, war die Opposition der konservativen Magnaten um den Hetman der 34 35 36

Gierowski J. A.: Historia Polski 1764-1864, Warszawa 1984. S.72. Gierowski J. A.: Historia Polski 1764-1864, Warszawa 1984. S.73. Gierowski J. A.: Historia Polski 1764-1864, Warszawa 1984. S.73.

Krone, Franciszek Ksawery Branicki, erheblich; dieser Faktor, zusammen mit den Einmischungen des russischen Gesandten Stackelberg machte es vorerst unmöglich, effektiv in der angeschlagenen Richtung weiter zu arbeiten. Einige Schritte waren jedoch getan oder auch nur angedacht worden. Die Zeit von der Thronbesteigung Stanisław August Poniatowskis bis zum Ende der 80er Jahre war geprägt von zwei groß angelegten Versuchen. Allerdings glaubte der König, gestützt auf das Programm der Czartoryskis, in Anlehnung an Russland sein Land reformieren zu können. Das liberum veto musste abgeschafft werden, eine starke Regierung gebildet und Besteuerungsrechte für diese ausgeweitet werden, um eine Armee finanzieren zu können. Dabei musste der König anfangs einen herben Rückschlag hinnehmen, profitierte nach der Teilung jedoch von den Institutionen, die eigentlich angedacht worden waren, um ihn einzuschränken.

Die

konservativen

Oppositionellen

überwogen bei Szlachta und Magnaten. Auf der anderen Seite stand die junge Generation einst verfeindeter Sippen, wie Adam Czartoryski, sowie Ignacy und Stanisław Potocki, die von den Ideen der europäischen Aufklärung begeistert waren,

zusammen

mit

dem

König

und

einigen

Intellektuellen. 2.

Die Bildung als Mittel zum Zweck

Obgleich die konkreten politischen Erfolge nur bescheiden waren, so konnte sich doch eine Institution, nämlich die „Kommission Außerdem

für

Nationale

unterstützte

vor

Edukation“, allem

durchsetzen.

Poniatowski

alle

Einrichtungen und Möglichkeiten, Bildung, Aufklärung und Information unter seinen Untertanen zu verbreiten. Während die Kommission ein wichtiges Mittel dafür war, den Unterricht zu verstaatlichen, vereinheitlichen und zu verknüpfen, sorgten die Bemühungen des Königs dafür, dass

sich aufklärerische Ideen durch ein zeitgemäßes Pressewesen durchsetzten. Beides hatte den Zweck, ein Beamtenwesen und eine Gesellschaft zu bilden, die den Ansprüchen eines modernen Staates genügen würden. Mit dem Einzug der Aufklärung musste man in Polen feststellen, dass das „Bildungswesen“ sich festgefahren hatte und Bildung an sich nur bei einem Bruchteil der Bevölkerung konzentriert war, vornehmlich bei Magnaten und geistlichen Würdenträgern, obwohl das Bewusstsein für die Vorzüge einer breit gefächerten Bildung eine lange Tradition hatte. Es gab Dom- und Klosterschulen, lutherische und calvinistische Gymnasien, katholische Kollegien der Piaristen und Jesuiten, sowie zu guter Letzt aus privater Hand finanzierte Einrichtungen37. Das kulturelle

Leben

spielte sich zuletzt nur noch auf den Magnatenhöfen ab, womit einem zu großen Teil der Gesamtbevölkerung neue zivilisatorische

Impulse

verschlossen

blieben.

Eine

Entwicklung des Staatswesens konnte somit kaum getragen werden, da das „Bildungswesen“ und die Bürokratie dafür unzureichend waren. Ohne eine zeitgemäße Bürokratie konnte das polnischlitauische Staatswesen jedoch nicht überleben und jene konnte wiederum nicht eingerichtet werden ohne eine effizientere und weit größere Teile der Bevölkerung erreichende Bildung, weshalb es für die Kreise um Stanisław August Poniatowski galt, eben diese zu reformieren. Auf der „Ritterschule“ (Szkoła Rycerska) bildete man ab 1765 nach deutschem und französischem Muster eine staatliche Elite aus. Ein direktes Vorbild mag die 1751 in Wien gegründete „Theresianische Militärakademie“ gewesen sein. In der „Kommission für Nationale Edukation“ von 1773 saßen die so wichtigen Adam Kazimierz Czartoryski, Ignacy 37

Ein Beispiel hierfür sei die Akademia der Familie Zamoyski in ihrer „Residenzstadt“ Zamość im Jahr 1594.

Potocki und Hugo Kołłątaj, die nun „das einheitliche Bildungssystem von den Gemeinde- bis zu den Mittel- und Hochschulen [einführten] mit den Universitäten Krakau und Wilna als Zentren der Bildungsbezirke“ 38. Neue Schulen wurden gegründet, in denen bis 1790 etwa 17 000 Schüler lernten; und es bewegte sich auch das polnische Bürgertum, denn immerhin die Hälfte kam aus diesem Stand! Allerdings war die Kommission auch eine staatliche Maßnahme, um die Ressourcen und Einrichtungen des kurz zuvor vom Papst aufgelösten Jesuitenordens zu übernehmen und nicht verkommen zu lassen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts nahm die Zahl der weltlichen Lehrer in Polen zwar zu, aber die Geistlichen hatten immer noch eine dominante Position im Erziehungswesen inne. Das war ein entscheidender Grund weshalb die polnischen Aufklärer nicht so strikt gegen den Klerus vorgingen, wie das in anderen Staaten der Fall war, da man so das Bildungswesen viel zu sehr geschwächt hätte; der andere Grund war, dass viele wichtige Aufklärer wie Konarski, Krasicki oder Kołłątaj selbst aus klerikalen Reihen stammten. In

derselben

Zeitspanne

blühten

Journalismus

und

Verlagswesen auf. Der Büchermarkt wuchs um das Anderthalbfache und 60 Zeitschriften kamen neu heraus, von denen der Monitor und der Magazyn Warszawski die einflussreichsten waren. Daneben versammelte der König intellektuelle Zeitgenossen wie

die

Schriftsteller

Ignacy

Krasicki

und

Adam

Naruszewicz bei seinen “Donnerstagmittagessen“, auf denen sie sich austauschen und Reformvorschläge machen konnten. Auf den ausdrücklichen Wunsch des Königs verfasste Naruszewicz, der Historiograf war, das „Leben des Hetman Chodkiewicz“ sowie zwischen 1780 und 1786 eine 38

Sdvižkov D.: Das Zeitalter der Intelligenz, Zur vergleichenden Geschichte der Gebildeten in Europa bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen 2006. S.109

sechsbändige „Geschichte des polnischen Volkes“39. Dabei war nicht zuletzt das Ziel, Vorbilder in der eigenen Vergangenheit zu suchen und den Zeitgenossen näher zu bringen. Die Publikationen, Schriften und Polemiken nahmen in der Zeit des „Großen Sejms“ zu, weil man immer mehr Reformideen hatte. Zudem bildeten sich in derselben Periode Clubs und Gesellschaften, wie beispielsweise die „Freunde der Verfassung vom 3. Mai“ (Stowarzyszenie Przyjaciół Konstytucji 3 maja)40. Ohne alle diese Bildungsmaßnahmen sind die Vorgänge von 1788-1792 und die Gestalt der Verfassung, wenn nicht sogar der Wunsch nach einer solchen, nicht denkbar. Die „aufgeklärten“ Köpfe hinter diesen Ideen waren fest davon überzeugt, dass der Mangel an gut ausgebildeten Eliten behoben werden musste, damit auch der Staat reformiert und somit sein Überleben gesichert werden konnte. Die Zusammensetzung dieser neuen Bevölkerungsschicht, die die polnischen Aufklärer darstellten, war ähnlich wie bei ihren westlichen Entsprechungen sehr unterschiedlich. Sie bestand aus vereinzelten Magnaten, Bürgern, aber vor allen Dingen Vertretern der mittleren und kleinen Szlachta; letztere waren oft, aber eben nicht unbedingt, Geistliche. Die Kommission wiederum sollte die Lehrpläne von der Akademie bis zur Dorfschule erstellen. Der König hatte eine Militärakademie gegründet, in der auch unter anderem Tadeusz Kościuszko oder Nestor Kazimierz Sapieha ausgebildet wurden, die die Vorgänge von der zweiten großen Reformphase bis zum Ende Polens fundamental prägten. Die Idee, die Staatsreform in einer Verfassung münden zu lassen, resultierte schließlich aus dem Konsens der vielen neuen inspirierten Intellektuellen. 39

40

Dembinski B.: The Age of Stanislas Augustus and the National Revival in: Reddaway W. F., Penson J. H., Halecki O., Dyboski R. (Hrsg.): The Cambridge History of Poland 1697-1935, From Augustus II to Pilsudski, Cambridge at the University Press 1951. S.127/28. Janowski M.: Narodziny inteligencji 1750-1831, Warszawa 2008. S.78.

3.

Die Jahre 1788 bis 1792

Zunächst schien es so, dass der dritte Versuch des Monarchen, weiter gehende Reformen durchzubringen genau so ablaufen würde, wie die vorherigen, nämlich im Einverständnis mit der russischen Kaiserin. Als diese sich 1787 zum Krieg gegen das Osmanische Reich rüstete, bot der polnische König ihr militärische Unterstützung an und wünschte im Gegenzug territoriale Belohnung in Bessarabien und der Moldau, sowie Zustimmung für Reformen, die seine Position und das Heer stärken sollten. Die Kaiserin lehnte jedoch nicht nur Zugeständnisse ab, sondern verlangte trotzdem 12 000 polnische Soldaten. Der König akzeptierte widerwillig, berief einen Sejm ein und wollte den Kriegseinsatz

absegnen

lassen.41

Die

Abgeordneten

protestierten aber aus Empörung über die russische Protektorats- und Bevormundungspolitik, ermuntert durch die Unterstützungszusage des preußischen Botschafters, und weigerten sich. Da Preußen tatsächlich Druck auf Russland machte, distanzierte sich Katharina II. wieder von diesem Bündnis.

Stattdessen

formulierte

der

Führer

der

Patriotenpartei Ignacy Potocki einen Bündnisvertrag mit Preußen aus, der von Poniatowski gutgeheißen wurde. Der König gab das Reformruder aus der Hand. Die Abgeordneten nutzten die Chance „frei von schändenden Befehlen der fremden Übermacht“42 zu sein. Potocki und die Patrioten setzten auf das Bündnis mit Preußen, weil man wenigstens einen Nachbarn als Bündnispartner brauchte, sich Preußen und Russland in den letzten Jahren etwas 41

42

Vgl.: Liszkowski U., Rußland und die polnische Maiverfassung, S. 64-86, Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Lewandowski J.: Der Große Sejm (1788-1792) – Ereignisse, Probleme und Leute, S.28 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

voneinander entfernt hatten und Österreich nicht in Frage kam, da es gerade mit Russland verbündet gegen das Osmanische Reich vorging, an dessen Seite wiederum Schweden kämpfte. Zudem waren Großbritannien und die Niederlande mit Preußen verbündet, so dass man sich in Polen sicher genug fühlte, da Russland einerseits beschäftigt war und andererseits hoffte man, dass es, selbst mit Österreich an seiner Seite, keinen Krieg gegen vier weitere Gegner riskieren würde. Der Sejm trat also am 6. Oktober 1788 zusammen für, wie üblich, sechs Wochen und sollte aufgrund seiner endgültigen Dauer als „Vierjähriger Sejm“ oder auch wegen seiner Größe, nach nur zwei Jahren befanden sich 500 Abgeordnete auf ihm, als „Großer Sejm“ in die Geschichte eingehen. Sehr früh ließen wahrscheinlich die Patrioten anonym ein Flugblatt publik machen, auf dem sie in sechs Punkten ihr Reformprogramm

umrissen.

„Was

auf

diesem

Sejm

unbedingt festzusetzen ist“43 forderte ein 100 000 Mann starkes Heer gegen den Kaiser und Moskau, dieses sollte einer vom Sejm einberufenen Kommission unterstehen; gegen die fremdländischen Staatsfeinde muss man vorgehen und auch die Landesverräter von 1772 müssen bestraft werden; dann soll der Sejm unbedingt den Charakter einer ständigen

Regierung

bekommen,

damit

seine Arbeit

effektiver werde und schließlich ermahnt der letzte Punkt die Abgeordneten die Zeit, die ihnen für die Reform gegeben ist, unter allen Umständen auszunutzen! Das alles waren konkrete politische und militärische Forderungen, die wenig mit so ideellen Bestrebungen, wie beispielsweise der Abschaffung der Leibeigenschaft, gemein hatten. Bereits zwei Wochen später beschloss er die Aufrüstung der Armee auf 100 000 Mann. Im Frühjahr 1789 erst 43

Co na tym sejmie koniecznie ustanowić potrzeba (Druk anonimowy), S. 57-61 in Leśnodorski B. (Hrsg.): Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949.

verabschiedete er zwei Steuergesetze, um dieses Heer auch finanzieren zu können: die Steuer „des zehnten Groschen“ auf das Einkommen von Adelsgütern und die Steuer „des zwanzigsten Groschen“ auf Kirchenguteinkommen44. Als trotzdem nicht in Aussicht stand, ein so großes Heer finanzieren zu können, wurde die anzustrebende Zahl auf 60 000 herabgesetzt. Im Dezember 1788 übernahm der Sejm die außenpolitischen Angelegenheiten und betraute eine Deputation damit („Deputacja Spraw Zagranicznych“) und bis 1791 war es ebenso der Sejm, der alle Vollzugsgewalt ausübte, nachdem der Ständige Rat am 19. Januar 1789 abgeschafft worden war. Obwohl im Grunde nicht erfolglos, haftete dem Ständigen Rat der russische Einfluss an. Deshalb wollte man dieses Organ wieder loswerden. Im Sommer 1789 schwang sich Potocki endgültig zum wirklichen Leiter der Arbeiten im Sejm auf. In der zweiten Hälfte desselben Jahres begann man, die grundlegende Staatsreform in Angriff zu nehmen. Am 7. September wurde eine Deputation zur Bestimmung der Regierungsform („Deputacja do Ułożenia Formy Rządu“) unter Potockis Vorsitz gebildet, der König zum „Korrektor der Projekte“ erklärt und die Arbeit am so genannten Regierungsgesetz dauerte bis 4. Januar 1791. Im Sommer 1790 hatte man sich dazu durchgerungen, den ehemaligen Sejmmarschall von 1773 Adam Poniński als Landesverräter zu verurteilen und zu verbannen. Im Mai 1791 erfolgte der einem Staatsstreich ähnliche Erlass eines neuen Regierungsgesetzes, an dem die führenden Köpfe der Patriotenpartei im Geheimen gearbeitet hatten und das dem polnisch-litauischen Staat ein neues Gesicht geben sollte und am 20. Oktober 1791 erfolgte mit der 44

Lewandowski J.: Der Große Sejm (1788-1792) – Ereignisse, Probleme und Leute, S.29. in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

„Gegenseitigen Garantie45 beider Nationen“ die Stärkung der Union durch die vollständige Gleichberechtigung der Unionsterritorien in dem weiter zentralisierten Staat. Darin verkündete man eine gemeinsame Schatzkommission mit genauso vielen Mitgliedern aus der Krone und Litauen, dessen Minister gleichberechtigt mit ihren kronpolnischen Amtsgenossen werden sollten. Dieser letzte große Erlass machte das Staatsgebiet und das Staatsvolk sehr viel einheitlicher und beseitigte damit den letzten wichtigen Aspekt vormoderner Staatlichkeit!46 Am 29. Mai 1792 wurde der Sejm aufgelöst. Ein Krieg gegen Russland hatte zehn Tage zuvor begonnen und die Erwartungen an das mühsam geschmiedete Bündnissystem hatten sich nicht erfüllt. Die zweite Reformphase zeigt, wie viel doch von der Außenpolitik abhängen konnte. Die Initialzündung waren ein Bündnis mit Russland abzuschließen, dass gegen das Osmanische Reich und später auch Schweden kämpfte, und auf das Katharina II. dann doch verzichtete und die gleichzeitige, offen ausgesprochene Unterstützung des preußischen Staates bei polnischen Reformen. Das Bündnis mit Berlin, das im Anschluss unterzeichnet wurde, hätte eine weitere Absicherung bedeuten sollen. Davon angespornt, erließ der „Große Sejm“ eine Vielzahl von Gesetzen und Beschlüssen, die letztendlich dazu führten, dass man auf Seiten der Patrioten zu dem Schluss kam, diese am Besten durch

ein

neues

geschriebenes

Regierungsgesetz

vervollkommnen und verbinden zu können. Sie wäre zudem wahrscheinlich die einzige Möglichkeit gewesen, die Position des Königs und der Regierung tatsächlich in dieser Adelsrepublik stärken zu können. Im Jahr 1791 wurde eine 45

46

Vgl.: Zaręczenie Wzajemne Obojga Narodów, S. 38-42, in Konstytucja 3 Maja 1791/1791 Gegužės 3-osios Konstitucija/The Constitution of May 3, 1791, Wydawnictwo Sejmowe, Warszawa 2001. Das Wort „zaręczenie“ bedeutet sowohl „Verlobung“, als auch „Garantie“! Vgl. http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/recht/ prozesse/unterpunkte/wachstum.htm

moderne, jedoch auf dem Fundament der traditionellen Ständegesellschaften

Europas

aufgebaute

Verfassung

verabschiedet, die auf dem besten Wege war, das Land zu stabilisieren, indem sie seine Verwaltung stärker aufeinander abstimmte. Aber in dem Krieg gegen Russland und gegen die Konföderation von Targowica, der bereits zehn Tage tobte als sich der „Große Sejm“ am 29. Mai 1792 auflöste, musste sich noch zeigen, ob diese gewaltige Reform schon Früchte trug.

IV.

Die

„Verfassungsväter“

und

die

„Hufschmiede“ Obwohl politische Schriften mit Reformideen spätestens seit Stanisław Konarski immer weitere Verbreitung erlebten – so hatte Józef Wybicki, einer jener Intellektuellen, 1777 in seinen „Patriotischen Briefen“ die Notwendigkeit der Stärkung der staatlichen Zentralorgane gefordert, die Berücksichtigung der Städter, sowie die Schaffung besserer Bedingungen für das Bauerntum ohne die Adelsprivilegien anzurühren, jedoch vielen Städten ein Vertretungsrecht bei den Sejmberatungen zuzugestehen und den Bürgern die Adelung erleichtern – so erlebte diese Tätigkeit während der Jahre des Großen Sejms einen Zenit. Das ging so weit, dass einige der Autoren an der Ausarbeitung der neuen Gesetze beteiligt waren und ihren Inhalt dann mit ihren Pamphleten oder Essays geradezu propagierten. Nicht alle können als „Verfassungsväter“ angesehen werden, da viele lediglich Ideengeber waren und die Reformer schließlich erst nach fast zwei Jahren begannen, an einer konkreten Verfassung zu schreiben, nachdem in Wechselwirkung zwischen Ideengebern und Reformern so manches wichtige Gesetz entstanden war. Die Wirkung der „Hufschmiede“

hatte also viele Gesichter. Ihre publizistische Tätigkeit erreichte die wichtigsten Köpfe und die beiden Zielgruppen, die im zukünftigen Staat politisch partizipieren sollten, da sich diese wie jene im großstädtischen Warschau befanden. Die Publizisten erfreuten sich dabei jedoch nicht unbedingt nur großer Beliebtheit. Ein Indiz dafür ist die Tatsache, dass nicht wenige ihrer Schriften anonym erschienen sind. Zu den „Verfassungsvätern“ gehörten allerdings noch einige andere Männer, wie der König oder Ignacy Potocki. Nachdem die Verfassung verabschiedet worden war, begannen die Mitglieder der „Hufschmiede“ für ihre Akzeptanz zu werben. In dieser Funktion ähnelten sie den „Federalists“, die mit ihren Schriften und Essays während und nach der Arbeit an der amerikanischen Verfassung ebenso gezielt für diese warben47. Vor allem aber zeigten die Schriften der Publizisten, dass die Intellektuellen und die Reformer sehr gut über die Probleme der Adelsrepublik Bescheid wussten und sowohl polemisch, als auch mit konkreten Vorschlägen die Bewältigung dieser Probleme forderten. Das Kapitel steht aber auch an dieser Stelle, um Artur Korobowiczs These zu untermauern, dass die Verfassung „(...) ein originales Ergebnis des polnischen gesellschaftlichen und sozialen Denkens, das in der reichhaltigen Publizistik dieser Zeit seinen Ausdruck gefunden hat (...)“48 war.

1. 47

48

Die „Hufschmiede“ als Ideengeber

Vgl. Kapitel 2 Revolution, Verfassungsgebung und Anfänge des Bundesstaates, 17631814, 4 Die „kritische Periode“, 1783-1787/88, S.63f. in Heideking J./Mauch Chr.: Geschichte der USA, Fünfte, ergänzte Auflage, Tübingen und Basel 2007. Korobowicz A., Die Reform des politischen Staatssystems in der Verfassung vom dritten Mai 1791, S. 47 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

Hugo

Kołłątajs

„Hufschmiede“

(poln.

Kuźnica

Kołłątajowska) war eine Vereinigung von Politikern, Schriftstellern und Publizisten, die sich seit dem Beginn des Großen Sejms regelmäßig in Solec, einem Warschauer Stadtteil, im Haus ihres Namensgebers traf und so tituliert wurde, „weil man dort eine Reihe bedeutender Projekte geschmiedet hat“49. Neben dem Organisator gehörten dieser Vereinigung noch unter anderem Franciszek Salezy Jezierski, Antoni Trębicki oder auch Franciszek Ksawery Dmochowski an, die in vielen Fällen sich auf bestimmte Angelegenheiten konzentrierten. a. Hugo Kołłątaj – Die Karriere, Eine Publikation Der Priester Hugo Kołłątaj gehörte der Generation an, die aktiv am Reformprozess teilnehmen konnten. Er schrieb maßgeblich am Verfassungstext mit und war durch seine publizistische Tätigkeit schnell bekannt geworden. Nachdem er die Krakauer Akademie einige Jahre als Rektor verwaltet und erneuert hatte, kam Kołłątaj kurz vor dem Beginn der Sejmtagungen 1788 in Warschau an, einer endlich zur europäischen Großstadt mit dem dazu gehörigen Flair avancierten Hauptstadt. Unter ihren nunmehr knapp 120 000 Einwohnern fanden sich die führenden Köpfe aus Politik, Wissenschaft, der Literatur und anderer schöner Künste, die in Clubs und Cafés zu debattieren begannen; auch Freimaurerlogen hatten sich bereits in Warschau etabliert. Der aus niedrigstem Adel stammende Mann, der durch sein Priesteramt finanziell über die Runden kam, war nicht etwa als Abgeordneter tätig; vielmehr erhielt er, durch die Bekanntschaft mit dem Bruder des Königs, Michał Poniatowski, den Posten des litauischen Referendars und wurde damit Beamter in der königlichen Kanzlei. Damit 49

Leśnodorski B. (Hrsg.): Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. S. XXXV-XXXVI.

war er in einer optimalen Ausgangslage, um am politischen Geschehen mitzuwirken. Schließlich Gewann er das Vertrauen des Führers der Patriotenpartei, Ignacy Potocki, und freundete sich mit dem Referendar der Krone, Stanisław Małachowski, an, der dann zum Sejmmarschall berufen wurde. An diesen wandte sich offiziell auch Kołłątajs Hauptwerk, seine von 1788-1790 publizierten „Briefe eines Anonymen“ („Do Stanisława Małachowskiego referendarza koronnego, o przyszłym sejmie Anonima listów kilka“). Darin bezog er Stellung zu sämtlichen Problemen Polen-Litauens, sei es durch Vorschläge

zur Stärkung der Armee, über die

„Verbesserung der Adelsrepublik“ und dann die „Sache der Städter“ bis hin zu einem vierten Teil, der im Grunde genommen nicht mehr zu den „Briefen“ gehörte, da sein Stil ein vollkommen anderer war. Darin besprach er die politischen Rechte des polnischen Volkes. Einer

der

Briefe

war

vollständig

der

Sache

der

Leibeigenschaft gewidmet und gehörte zum zweiten Teil, also „Über die Verbesserung der Adelsrepublik“. Er trug den Titel „Geben wir dem Bauern seine Freiheit zurück!“50 (poln. „Oddajmy chłopu wolność!“). Gleich zu Anfang beruft sich der Autor auf den Willen Gottes, indem er feststellt, dass die „(...) Person eines jeden Menschen, da sie Gottes Schöpfung ist, darf nicht von jemandem abhängig sein, außer von seinen ewigen Gesetzen. (...)“ 51. Er beweist im Weiteren seinen Landsleuten, dass ihr König Kasimir der Große einst die Bauern vor ihren Herren abgesichert habe. Im Statut von 1374 wurde ihnen nämlich zugesichert, den Grundherren

verlassen

zu

dürfen,

wenn

dieser

beispielsweise Gewalt gegen sie übte. Irgendwann aber sei der Bauer zu einem Gegenstand des Adeligen deklassiert 50

51

Vgl. Hugo Kołłątaj, Oddajmy chłopu wolność! (Wyjątek z Listów Anonima), S. 29-34 in Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. S.29.

worden. Diesen Umstand ficht Kołłątaj an, fordert jeden noch so wohlhabenden Staatsbürger dazu auf, die Menschlichkeit im Bauern zu sehen und ihm, weil er eben ein Mensch ist, seine Freiheit zurückzugeben. Dadurch bestünde auch die Hoffnung, dass er produktiver arbeitet und vom übermäßigen Alkoholkonsum ablässt, in den er quasi aus Verzweiflung über seine Situation derzeit gedrängt wird. Zuletzt behauptet der Autor, dass die innere Beschaffenheit eines Staates nur dann gut ist, wenn man gemäß der ewigen Gesetze Gottes handelt. Von ganz entscheidender Bedeutung in diesem Aufruf ist Kołłątajs Lösungsvorschlag. Er rief offensichtlich nicht dazu auf, den Bauern sofort und von oben verordnet zu befreien und ihm dann Land, z. B. das ursprünglich dem Adel gehörte, zuzuteilen, sondern ihn vielmehr als Pächter mit dem Grundbesitzer zu verbinden, wie es bereits in „ganzen Provinzen“52 der Fall war. Es ist jedoch leicht nachvollziehbar, dass seine Gegner zwecks eigener Polemik und Propaganda ihm vorwarfen, ein Demokrat zu sein, der den Adel enteignen wolle. b. Franciszek Salezy Jezierski – Der Radikalere, Ein Aufruf Anders als sein guter Freund Kołłątaj war Jezierski ganz offen einer der am radikalsten denkenden Publizisten dieser Zeit. Auch er entstammte dem Kleinadel und entschied sich für das Priesteramt, war Rektor an mehreren Instituten bevor er nach Warschau kam und sich der „Hufschmiede“ anschloss. Er griff die Szlachta und ihre Privilegien an und rief vor allen Dingen die Stadtbürger dazu auf, sich vom Adel zu emanzipieren und auf die ihnen zustehenden Rechte zu pochen. Die Broschüre mit dem Titel „Für Zusammenarbeit, Gegen

52

Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. S.31.

Nobilitierungen“53 verdeutlicht dieses Ansinnen besonders gut. Darin wendet sich Jezierski an den Bürgerstand als Person und appelliert an die bereits geadelten Bürger, sich auf jeden Fall dem Gemeinwohl zu verschreiben und zu fragen, ob sie die Nobilitierung aufgrund einer großen Tat für das Vaterland empfangen haben oder einfach wegen ihres Geldes. Er beschuldigt nämlich die Szlachta, durch die Vergabe von Titeln die neuen Adeligen von ihrem eigentlichen Stand wegziehen zu wollen, sowohl im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn, damit die Städte noch tiefer in der Bedeutungslosigkeit versinken. Der Autor spricht die neuen Adeligen und die, die es noch werden könnten auf ihr Standesbewusstsein an und mahnt, dass ihre bürgerlichen Nachbarn sie in einem besseren Licht sehen würden, wenn sie bei ihrem Stand verblieben und sich seinem Vorankommen vollkommen widmeten. Zuletzt ermutigt Jezierski die polnischen Bürger geschlossen und friedlich von den „Allerhellsten Ständen“54 die ihnen zustehenden Rechte einzufordern, da sie im Laufe der letzten Jahrhundert entweder unter den adeligen Aufständen gelitten oder für adelige Interessen gekämpft hätten. Dann gewännen sie „(...) unserem Vaterland treue Verteidiger aller Freiheiten (...)“55. 2.

Die „Hufschmiede“ als Kommentator

Neben der bereits geschilderten Funktion des Verbreitens von Ideen für die Reformer auf dem „Großen Sejm“, sowie nicht zuletzt die damit einhergehende Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Vorgänge, übernahmen die Publizisten auch die Aufgabe, die erlassenen Gesetze zu kommentieren und sie damit allen Beteiligten näher zu bringen. Nach dem 53

54 55

Vgl. Franciszek Salezy Jezierski, Za współpracą, przeciw nobilitacjom (Głos na prędce do Stanu Miejskiego), S. 37-46 in Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. Gemeint sind die im Sejm vertretenen Adeligen. Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. S.46.

3. Mai 1791 verschrieben sich die Hufschmiede sogar vornehmlich der Propagierung und Verteidigung der Verfassung. Auch an dieser Stelle kann Franciszek Ksawery Dmochowski, ein rede- und schreibbegabtes Mitglied und ein Kenner polnischer Gebräuche, und sein Brief an den Starosten und den Kämmerer von Nowogródek „Über das richtige Verständnis des Regierungsgesetzes“56 genannt werden. Er steht beispielhaft dafür, welcher Kritik die Maiverfassung ausgesetzt war und teilweise auch dafür, dass sie durchaus nicht von allen begriffen wurde. Darin berichtigt Dmochowski nämlich vornehmlich falsche Annahmen eines anonymen Autors über die Verfassung. Er warnt auch grundsätzlich davor, dem Halbwissen so mancher Publizisten blind zu vertrauen und sieht darin eine Ursache für das Misstrauen in der Bevölkerung. Er behauptet, dass die Verfassung „die Frucht kluger und langer Abwägung“57 sei und sich jeder Gegner mit dem Verstand ihrer Schöpfer und von ganz Europa anlegt. Der Adel und der Großteil der Nation haben die Verfassung begrüßt, weil sie im Grunde wissen, dass sie das Beste für sie ist und Unruhen verhindert. Es ist ganz natürlich, dass man einen Teil der Herrschaftsausübung an andere abgibt und die Anschuldigung, der König habe die Ressorts Bildung, Heer und Schatz bekommen, falsch, da sie einzelnen Kommissionen anvertraut worden sind. Es ist außerdem wichtig, dass die Legislative ständig ist und nicht wie bisher für nur sechs Wochen alle paar Jahre zusammenkommt, da sie andernfalls von der neuen Exekutive irgendwann dominiert würde. Die Nation habe, so Dmochowski, durch die Stärkung des Königtums dennoch ihre Freiheit gesichert. Deshalb fordert er dazu auf, 56

57

Vgl. Franciszek Ksawery Dmochowski, O właściwe rozumienie Ustawy Rządowej (Do JWP. Tadeusza Czackiego i Mikołaja Wolskiego z okoliczności wydanego pisma o Konstytucji 3 Maja . W wyjątkach), S. 177-189 in Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. S.180.

guten Willen gegenüber der Konstitution an den Tag zu legen, weil das Land vergleichbar macht mit den besten Regierungen der Welt und außerdem Neid bei Polens Nachbarn schürt. 3.

Die neue Größe: Der Patriotismus

Obwohl der Patriotismus als ideelle Größe nicht erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand, denn schließlich war die Szlachta seit jeher von ihrer Vaterlandsliebe überzeugt, so nahm er eine andere Qualität an und sprach immer mehr Bevölkerungsteile an. Der erste größere Schub erfolgte unmittelbar nach der Ersten Teilung. Sie löste nämlich eine Welle patriotischer Klage- und Volkslieder aus, die das harte Los Polens besangen. Der Schriftsteller und Gelehrte Stanisław Konarski beispielsweise schrieb nicht etwa eine Ode zur Hochzeit Ignacy Potockis und Elisabeth Lubomirskas, wie ursprünglich vorgesehen, sondern eine Elegie58. Der zweite Schub vollzog sich in den ersten beiden Jahren des Großen Sejms und wurde unzweifelhaft von den Vorgängen in Frankreich geprägt. Diese Prägung fußte sicherlich nicht nur auf der Berichterstattung, sondern hatte sicherlich

auch

ihren

Ursprung

in

der

schnellen

Übersetzung des Textes „Was ist der dritte Stand?“ von Siéyes ins Polnische durch Jezierski. Mit der Zeit entstand analog

zum

Brüderlichkeit“

französischen das

polnische

„Freiheit, „Ganzheit,

Gleichheit, Freiheit,

Unabhängigkeit“. Auch diese neue Größe, den Patriotismus, nutzten die Mitglieder der „Hufschmiede“, um die gesetzgeberischen Vorgänge zu legitimieren und einer breiteren Öffentlichkeit 58

Vgl.: Dembinski B., Chapter VI The Age of Stanislas Augustus and the National Revival, S.123 in Reddaway W. F., Penson J. H., Halecki O., Dyboski R. (Hrsg.): The Cambridge History of Poland 1697-1935, From Augustus II to Pilsudski, Cambridge at the University Press 1951.

zugänglich zu machen. So wurde 1789 anonym ein Brief mit dem Titel „Wahre und falsche Patrioten“59 publik gemacht, dessen Urheber höchstwahrscheinlich Hugo Kołłątaj selbst war. Darin antwortet der Autor, der sich einfacher Staatsbürger nennt, auf Fragen eines Kämmerers. Er geht dabei auf die Behauptungen und Gerüchte ein, die Verfassungsdeputation wolle sämtliche Adelsfreiheiten abschaffen, das Bürgertum an der Macht beteiligen, das Bauerntum befreien, den Adel erniedrigen und damit den Weg frei machen für die Despotie. Er definiert dabei zugleich, was ein wahrer und was ein falscher Patriot seien an konkreten Beispielen. So wolle der wahre Patriot zwar ein größeres Heer, aber im Rahmen

des

Landespotentials

und

ein

besonnenes

Vorgehen, um seine Nachbarn nicht unnötig zu reizen und herauszufordern. Der falsche Patriot hingegen wolle auch eine Vergrößerung des Heeres, aber gezielt über das Machbare hinaus, wettert und hetzt dabei gegen den russischen Feind und behindert das Vorankommen der Regierung. Für das Prinzip, eine ganze, freie und unabhängige Nation sein zu wollen, fährt der Verfasser fort, sei die Abschaffung des Ständigen Rates und seiner Departements ganz entscheidend gewesen, weil man damit das fremde Diktat losgeworden sei. Er erklärt weiter, dass die Gewaltenteilung wichtig ist, da wenn die Legislative die Exekutive übernimmt, der Weg zur Anarchie nicht weit ist und wenn die Exekutive sich die Legislative einverleibt, die absolute Monarchie oder eine Diktatur drohe. Deshalb soll man als guter Patriot dem Tun des Sejms und der Deputation vertrauen, weil sie um das Wohl des Vaterlandes besorgt sind und davon ihre Vorhaben geprägt. Zuletzt gibt der Autor offen zu, dass die Städtebewegung von der

59

Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. S.98-108.

„niederländischen und Pariser Revolution“60 herrührt und er rechtfertigt sie, weil die Bürger in allen Ehren von König und Adel die ihnen zustehenden Rechte eingefordert haben, mit „ihren ans Vaterland gebundenen Herzen“61. Der Patriotismus wurde also zu einer zunehmend wichtigen Größe, die man während der Reformen des „Großen Sejms“ nutzen wollte. Wie später noch deutlich wird, wenn es um die Position der Kirche und den Abgeordnetenstatus gehen wird, wollten Machthaber und Intellektuelle zunächst diesen Patriotismus lenken, um Reform und Verfassung populär zu machen. Dabei war diese Komponente der größte Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Reformphase.

V. Die Verfassung vom 3. Mai 1791 Die Maiverfassung bildete die Krone der polnischen Reformschöpfung62 und zwar nicht nur, weil sie nach der amerikanischen die zweite geschriebene Verfassung der Welt war, sondern weil sie ein Versuch war, viele traditionelle Institutionen mithilfe neuer Ideen bindend zu verknüpfen, um die Verwaltung effizienter zu machen und die Überlebensfähigkeit Polens zu gewährleisten. Die Verfassung vom 3. Mai 1791 war ein politisches Symbol der Aufklärung „nach polnischer Art“ nach außen, ein Wiederanknüpfen an die im Westen entstandenen und gleichzeitig entstehenden Ideen unter Berücksichtigung der Landestradition, sowie vor allen Dingen die Demonstration dafür, dass man einen Staat auch mit kleinen Schritten 60 61 62

Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. S.104. Leśnodorski B.: Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. S.106. Vgl. Olszewski H.: Die Maikonstitution als Krönung der Reformbewegung in Polen im 18. Jahrhundert, S. 24-43 in Jaworski R.(Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

reformieren und modernisieren konnte. Sie wäre aber auch geeignet gewesen, die vielfältigen inneren Probleme Polens zu lösen. Der 3. Mai jenes Jahres war von der Partei der Verfassungsbefürworter

und

Patrioten

ausgesprochen

geschickt gewählt worden, um eine außerordentliche Sitzung des Sejms abhalten zu können. Dadurch, dass Ostern auf späte Tage im April gefallen war, hatten sich nur 1/3 der Abgeordneten im Sejm eingefunden, von denen der Großteil in die Absichten der Patrioten und des Königs eingeweiht war. Diese wussten um die Unbeliebtheit ihres Reformvorhabens sehr gut Bescheid und beabsichtigten deshalb, alles auf eine Karte zu setzen; nämlich auf den Überraschungseffekt. Andernfalls, dessen waren sie sich ebenfalls bewusst, würde zu viel durch eine endlose Debatte und Arbeitsdauer versanden. Zudem wollte man so gut es nur ging Einsprüche aus dem Ausland umgehen. Trotzdem entbrannte eine Debatte, die insgesamt sieben Stunden dauerte und durch den hysterischen Auftritt des Abgeordneten von Kalisz, Jan Suchorzewski, unterbrochen wurde. Dieser zerrte seinen minderjährigen Sohn vor das Plenum und drohte: „Ich töte mein eigenes Kind, damit es die Gefangenschaft nicht erlebt, die dieses Projekt dem Staat

bereitet.“63

Daraufhin

hob

der

Sejmmarschall

Stanisław Małachowski die Formalitäten auf und kurze Zeit später begrüßte man die Reform des Regierungsgesetzes unter Beifallrufen „Es lebe der König“ und „Es lebe die Verfassung“, aber vor allem ohne eine Abstimmung. Stattdessen folgte eine Prozession in die nahe gelegene Johannes Stiftskirche, wo noch am selben Tag der König, die Senatoren und die Abgeordneten unter feierlichem „Te 63

Lewandowski J.: Der Große Sejm (1788-1792) – Ereignisse, Probleme und Leute, S.30 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

Deum laudamus“-Gesang auf die neue Verfassung vereidigt wurden. Ein Protestschreiben der Opposition, das am Tag darauf eingereicht wurde, blieb wirkungslos und schien den Siegeszug des Regierungsgesetzes nicht mehr aufhalten zu können. Im Folgenden geht es um ihre Verabschiedung und ihren Inhalt, weitestgehend gemäß der Übersetzung Gotthold Rhodes. 1.

Das neue Regierungsgesetz

In der Präambel verkündete der König im „Pluralis Maiestatis“ die Verfassung, legitimiert durch die Nation, die sich im Sejm, den sogenannten „konföderierten Ständen“, repräsentiert sehen sollte. Dem Präambeltext zufolge wurde die Verfassung der Nation vom König gegeben, zu ihrem eigenen Wohl, aus der Lehre aus den vergangenen Fehlern heraus und unter Ausnutzung der außenpolitisch günstigen Situation. Am 3. Mai wurde also die Staatsreform verabschiedet, die so viele Publizisten in den vorherigen Jahren schreibend beschworen und an der die Patrioten im Geiste der Aufklärung unter der Führung des Königs und Angehöriger der beiden mächtigsten Magnatenfamilien lange gearbeitet hatten. Das Ergebnis war ein 11 Artikel umfassendes Dokument, welches die Rollen des Königs, der Adeligen und des einfachen Volkes im Staatsverband teils neu ordnete und eine Verfassung beschrieb. Während die Gesellschaft offenbar unangetastet blieb, bedeutete das Regierungsgesetz auf politischer Ebene vielmehr einem Systemgesetz.64

64

Vgl. Korobowicz A., Die Reform des politischen Staatssystems in der Verfassung vom dritten Mai 1791, S. 47 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

2.

Der Verfassungstext

Die Analyse der Verfassungsartikel orientiert sich im Folgenden nach der Problematik der Gesellschaft und des politischen Systems. a. Die Gesellschaft – Religion, Adel, Bürger, Bauern i. Artikel I Die herrschende Religion Bereits der erste Artikel erklärte den Katholizismus zur Staatsreligion und ahndete den Austritt aus der katholischen Kirche mit der Apostasie. Dennoch wurde gleichzeitig jeder anderen Religion und Konfession freie Glaubensausübung zugesichert und zwar mit der Begründung, dass der Katholizismus lehrt, seine nächsten zu lieben.65 Das war ein enormer Fortschritt dahingehend, dass noch wenige Jahrzehnte zuvor Reibereien zwischen den Konfessionen keine Seltenheit waren, wie das „Thorner Blutgericht“ 66 von 1724 zeigt. Religionsfreiheit herrschte seit 1573, allerdings nur für die Angehörigen des Adelsstands67 und wurde auf dem Sejm von 1717 aufgehoben68. ii. Artikel II Der Grund besitzende Adel Gleich zu Anfang des Artikels heißt es: „Indem wir die Erinnerung an unsere Vorfahren ehren als die Begründer einer freien Regierung, bestätigen wir auf das feierlichste dem Adelsstande alle Freiheiten und Prärogativen des Vorranges im privaten und öffentlichen Leben.“ 69 Des Weiteren garantierte dieser Artikel die Unantastbarkeit des 65

66

67

68

69

Vgl. Konstytucja 3 maja 1791-1791 Gegužės 3-osios Konstitucija-The Constitution of May 3, 1791. Wydawnictwo Sejmowe Warszawa 2001. S. 56 und S. 202. Vgl. Meyer E.: Grundzüge der Geschichte Polens, Dritte, erweiterte Auflage, Darmstadt 1990. S. 49. Vgl. Reinhard W.: Geschichte der Staatsgewalt, Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999. S. 274. Vgl. Meyer E.: Grundzüge der Geschichte Polens, Dritte, erweiterte Auflage, Darmstadt 1990. S. 49. Rhode G.: Verfassung, S.129-144 in: Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. S.130.

Adelsbesitzes, erklärte die Aristokratie aber auch zum „ersten Verteidiger der Freiheit und dieser Verfassung“70. Im Gegensatz zu der Verfassung, die zur selben Zeit in Frankreich im Entstehen begriffen war, rührten die polnischen Reformer ausgerechnet die Position des Standes, der auch in den vergangenen Jahrhunderten tonangebend in Polen war, und gegen die insbesondere die Radikalen anzukämpfen versucht hatten, so gut wie nicht an. Nicht einmal die erklärte Gleichheit aller Adeligen vor dem Staat in allen Pflichten, Privilegien und Rechten auf Ämter war streng genommen eine Neuerung, weil das in der Theorie bereits durch die Goldene Freiheit die Regel war; dahingehend bestätigte der Artikel den Adel in dem neu entstehenden Staat. Am 24. März 1791 wurde das „Gesetz über die Provinziallandtage“71 verabschiedet und in die Verfassung

aufgenommen,

das

neben

akribischen

Regelungen über die Art und Weise, wie und wann die Sejmiki zustande kommen sollten, der besitzlosen Szlachta das aktive und passive Wahlrecht entzog und damit auch langfristig einen Pfeiler der Macht der Magnaten zum Einsturz brachte, da der politische Sinn ihrer Klientel wirkungslos

wurde.

Nur

noch

Land

besitzende,

selbstverständlich männliche Adelige und deren volljährige Söhne durften auch vom aktiven Wahlrecht Gebrauch machen. Im Artikel I heißt es „(...) 1. Für jeden Landtag bestimmen wir eine Stadt und in dieser Stadt für immer einen Tagungsort. (...)“72, der also den Ort festlegt und im 70

71

72

Rhode G.: S.131 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. vgl. Die Landtage. Gesetz, verabschiedet am 24. März 1791, übersetzt von Eligiusz Janus u. Andreas Warnecke, S. 151-170, in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Die Landtage. Gesetz, verabschiedet am 24. März 1791, übersetzt von Eligiusz Janus u. Andreas Warnecke, S. 151, in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

Artikel II wird die Zeit der unterschiedlichen Sejmiki bestimmt. Diejenigen beispielsweise, auf denen Landboten, Wojewodschafts- und Kreiskommissare gewählt würden, sollten am 18. August jeden zweiten Jahres stattfinden, beginnend mit dem kommenden Jahr 1792, Deputationsund Wirtschaftslandtage am 14. Februar jedes Jahres. Wenn man jedoch dieses Gesetz und seine wahlrechtlichen Beschränkungen berücksichtigte, war klar, dass mit den Verordnungen gerade die Magnaten „gleich gemacht worden sind“. Dieser Artikel, so wenig er auf den ersten Blick zu verändern schien, war dennoch ein kluger Schachzug, denn er sollte das Gros der Adeligen auf die Seite des Regierungsgesetzes

ziehen.

Im

Lager

der

Patrioten

vermutete man, dass noch zu viele, aber vor allem wichtige Aristokraten gegen das Reformieren des Staatswesens waren. Er betonte die außergewöhnliche Stellung des ersten Standes

in

der

Gesellschaft,

appellierte

an

sein

Ehrbewusstsein und versuchte, ihm die Angst vor möglichen Enteignungen zu nehmen, die durch das französische Exempel geschürt worden war. Gleichzeitig sollte die Masse der Szlachta gegenüber den Magnaten aufgewertet werden, indem jene politisch mit letzteren gleichgestellt wurden. Nicht zuletzt sollten die Magnaten damit von ihrer Klientel getrennt werden und somit von einem entscheidenden Fundament ihrer politischen Macht. iii. Artikel III Die Städte und die Bürger Dieser Artikel nahm das im April verabschiedete Gesetz über die königlichen Städte in die Verfassung vollständig auf und berief den Adel erneut zum Garanten und Beschützer dieses Gesetzes. Er diente nämlich dem Wohl der Nation und seine Erhaltung war, dem Verfassungstext gemäß, oberste Priorität der Aristokraten.

Am 18. April war das „Gesetz über königliche Städte“ erlassen worden73. Hier wurde einerseits den Bürgern das bisher nur adeligen Grundbesitzern zustehende Recht auf persönliche Unversehrtheit zugesprochen, als es im Artikel II heißt „(...) Das Grundgesetz der Republik neminem captivabimus nisi jure victum. Dieses Grundgesetz soll in Zukunft auch für die städtischen Bürger gelten (...)“74; andererseits sollten auf jedem Sejm bis zu 30 Grund besitzende Bürger, verdiente Militärs oder reiche Kaufleute nobilitiert werden. Alle Städte und ihre Bewohner auf Krongütern wurden für frei erklärt und Bürgerliche durften in Zukunft problemlos Karriere im Militär machen, außer in der

Nationalkavallerie. Allen

Stadtbewohnern

wurde

erlaubt, jedes beliebige Handwerk auszuüben, sobald sie das Bürgerrecht erworben hatten und jedem Adeligen wurde gestattet, Stadtbürger zu werden, was eine wichtige Maßnahme war, um die hołota aufzufangen und sie gesellschaftlich und wirtschaftlich neu zu integrieren. Weder einem nichtadeligen, noch einem adeligen Bürger sollten Handel oder Handwerk hinsichtlich ihres Standes schaden. Das Gesetz wertete also Handwerk und städtische Berufe auf und legalisierte diese quasi für die ärmsten Adeligen, die sich durch diese Betätigung nicht in ihrem Standesbewusstsein

benachteiligt

fühlen

sollten.

Des

Weiteren waren die Städte verpflichtet, alle Christen unentgeltlich

als

Bürger

aufzunehmen.

Die

eigene

städtische Gerichtsbarkeit blieb unangetastet und jeder Bewohner unterstand der jeweiligen. Es sollten jedoch in den größten Städten Großpolens, Kleinpolens und Litauens 73

74

Vgl. Freiheitsbrief der königlichen Städte in Polen vom 18. April 1791 übersetzt von Georg Christoph von Unruh S.144-151, in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791 Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Freiheitsbrief der königlichen Städte in Polen vom 18. April 1791 übersetzt von Georg Christoph von Unruh , S. 146, in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791 Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

spezielle

Appelationsgerichte

entstehen,

die

über

Berufungen gegen Entscheidungen bei einem Streitwert von 300 bis 3000 złoty oder dreiwöchigen Haftstrafen entschieden. Die Aufsichtsbehörde über alle Vorkommnisse in den Städten wurde die lokale, aber eben staatliche, Polizeikommission. Außerdem besagte der sechste Punkt des Artikel I, dass „(...) Jeder adlige Grundherr (...) auf seinen Gütern Städte mit freien Leuten oder freigelassenen Bauern gründen oder bereits bestehende, ihm gehörende Städte zu freien Städten erklären [kann]. (...)“75. Mithilfe der neuen Gesetze hätte man erfolgreich die Durchlässigkeit zwischen Adel und Bürgertum gefördert, indem man dem Adel erlaubte und ihn ermunterte, gewerblich tätig zu werden und auf der anderen Seite Nobilitierungen in größerem Ausmaß zuließ; allerdings war gerade das keine echte Förderung der Bürgerlichkeit, weil man davon auszugehen schien, dass reiche Bürger einen Adelstitel als oberstes Ziel und größte Ehre anstrebten. Derartiges aber hätte die Städter nicht angetrieben, eine stärkere eigene Kultur des Bürgertums zu entwickeln; ein Mangel, den beispielsweise

Jezierski

vorauszusehen

schien

und

anprangerte. iiii. Artikel IV Die Bauern Der Artikel über die Bauern stellte in der Tat die größte Enttäuschung gegenüber den Erwartungen so mancher Publizisten dar, aber nicht zuletzt freilich gegenüber den Hoffnungen der Bauern selbst. Denn er verkündete nicht die Abschaffung der Leibeigenschaft. Im ersten Satz heißt es lediglich: „Das Landvolk, (...) das den größten Teil der Bevölkerung in unserer Nation stellt (…), nehmen wir unter 75

Unsere königlichen freien Städte in den Staaten der Republik, übersetzt von GeorgChristoph von Unruh, S. 144 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

die Obhut des Rechtes und der Landesregierung, sowohl aus

Gerechtigkeit,

Menschlichkeit

und

christlicher

Verpflichtung, (...)“76. Das bedeutete dennoch keine geringe Verbesserung ihrer Situation, da die Bauern allem Anschein nach rechtlich nicht mehr der Willkür der Grundbesitzer ausgeliefert waren. Bedenkt man, dass die Adeligen rechtlich bis vor kurzem nach der Devise „Ja tobie król“ (dt. „Ich bin dir wie ein König“) 77 walten konnten, bedeutete

die

Inschutznahme

unter

ein

staatliches

Justizwesen eben einen großen Fortschritt. Aber die Abmachungen zwischen beiden Parteien sollten weiterhin Gültigkeit haben und vom Staat unangetastet bleiben. Die hier erwähnten Abmachungen meinen vor allen Dingen die bereits erwähnten zinspflichtigen, die sich in einigen Provinzen durchgesetzt hatten einerseits; andererseits ist an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass diese Formen von Hugo Kołłątaj in seiner Schrift „Geben wir dem Bauern seine Freiheit zurück!“ bevorzugt wurden, was als ein Hinweis darauf zu deuten ist, dass die Adeligen ermuntert werden sollten, ähnlich wie sie im „Freiheitsbrief der königlichen Städte in Polen vom 18. April 1791“ angehalten werden, ihre Städte für frei zu erklären, auch ihre Bauern selbst zu befreien und ihnen dann die Möglichkeit zu geben, Land zu pachten. Der

letzte Abschnitt

dieses Artikels

ist

besonders

interessant, da darin „(...) die vollständige Freiheit für alle Menschen, die neu in das Land hineinkommen und auch für die, die sich früher aus dem Land entfernt haben, jetzt aber in das Vaterland zurückkehren wollen (...)“ 78 deklariert 76

77

78

Rhode G.: S.131 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Vgl. Schmidt Chr.: Leibeigenschaft im Ostseeraum, Versuch einer Typologie, Köln, Weimar, Wien 1997. S.93. Rhode G.: S.132 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

wurde. Sicherlich spielte hier nicht zuletzt der grundlegende Gedanke eine Rolle, Polen für mögliche „Migranten“ attraktiv

zu

machen,

denen

eben

auch

freie

Gewerbeausübung zugesichert und damit ein Aufbau des Landes ermöglicht wurde. Zudem waren geflohene Bauern, deren Zahl nicht gering war, ebenso angesprochen. Sowohl die Empfindlichkeit des Adels, als auch die Angst vor

eben

jenen

französischen

Verhältnissen

mögen

ausschlaggebende Gründe dafür gewesen sein, dass man sich trotz ausführlicher Debatten nicht dazu hat durchringen können, die Leibeigenschaft abzuschaffen; ein weiterer mochte sein, dass man nicht die Zeit und die Möglichkeit hatte, die freien Bauern im Staat zu platzieren, weder wirtschaftlich, noch politisch. Die Leibeigenschaftsfrage wurde verschoben. b. Die Politik - Legislative, Exekutive, Judikative, Heer i. Artikel V Die Regierung oder die Festsetzung der öffentlichen Gewalten Im fünften Artikel spiegelte sich eindeutig der Einfluss des französischen Philosophen Montesqieu wider, denn die Reformer pochten darin auf eine strenge Gewaltenteilung, damit „(...) die Freiheit des Bürgers und die Ordnung innerhalb der Gesellschaft immerdar im Gleichgewicht bleiben (...)“79. In diesem Artikel, so kurz er auch ist, findet sich gleich im ersten Satz Rousseaus Souveränitätstheorie mit den Worten wider: „Alle Gewalt der menschlichen Gesellschaft nimmt ihren Anfang vom Willen der Nation.“ 80 Damit wurde die Staatsgewalt bzw. die Regierung teils 79

80

Rhode G.: S.133 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Vgl. Korobowicz A., Die Reform des politischen Staatssystems in der Verfassung vom dritten Mai 1791, S. 48 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

säkularisiert, durch die Teilung im Montesqieu'schen Sinne im weiteren Verfassungstext mit einem Rang versehen, durch die Berufung auf die Nation mit sämtlicher Souveränität ausgestattet und erfüllte eben, der Theorie Wolfgang Reinhards zufolge81, fundamentale Kriterien eines Modernen Staates. ii. Artikel VI Der Sejm oder die gesetzgebende Gewalt Der Sejm, die traditionelle Adelsversammlung, blieb das Organ, das sich vor allem mit der Gesetzgebung befassen sollte. Bezeichnet wurde er jetzt aber ganz dezidiert als „die versammelten

Stände“82,

Abgeordnetenkammer

der

und

zum

zum

einen

aus

der

anderen

aus

der

senatorischen Kammer unter dem Vorsitz des Königs bestand. Sämtliche Gesetze, von den Verfassungsgesetzen bis hin zur Festsetzung der Steuern oder die Frage nach Krieg und Frieden, sollten in der Abgeordnetenkammer beraten und entschieden werden, wobei die Vorschläge des Throns, der Regierung also, Priorität hatten. Jedes Gesetz, das formell die Abgeordnetenkammer passiert hatte, würde dem Senat zur Abstimmung gegeben, der es dann mit einem Mehrheitsbeschluss in Kraft treten ließ. Der ordentliche Sejm hatte immer bereit zu sein, sollte jedoch alle zwei Jahre regulär neu einberufen werden. In eiligen Fällen würde ein Sejm einberufen, der sich nur mit den akuten Problemen auseinander setzen sollte. Wichtig war auch der Zusatz, dass kein Gesetz auf ein und demselben ordentlichen Sejm wieder aufgehoben werden könnte. Das hätte dem Gesetz wenigstens eine gewisse Wirkungsdauer 81

82

zugesichert.

Dasselbe

galt

für

die

Vgl. Reinhard W.: Geschichte des Modernen Staates, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2007. S.12-14. Rhode G.: S.133 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

Wirkungsdauer der gesamten Verfassung, die sich bewähren sollte, weshalb Änderungen erst nach 25 Jahren getätigt werden sollten. Wären die Verfassungsväter von der „Unvollkommenheit“ ihres Werkes überzeugt gewesen, hätten sie diese Periode verkürzt oder Änderungen bei jedem ordentlichen Sejm durchführen lassen! Der Artikel bestätigt das bereits besprochene „Gesetz über die

Provinziallandtage“

und

verkündet,

dass

die

Abgeordneten Vertreter der gesamten Nation sein sollten, worüber noch näher zu sprechen sein wird. Trotz der Gewaltenteilung, die von Montesqieu als Ideal angepriesen worden war und im englischen Modell ein Vorbild hatte, besaß der Sejm, in dem jetzt auch die Bürger eine echte Stimme haben sollten, in diesem polnischen System ein gewisses Übergewicht. Essentielle Neuheit in diesem Artikel war die Aufhebung des liberum veto und das Verbot aller Art Konföderationen, „(...) da sie dem Geist dieser Verfassung widersprechen, die Regierung stürzen und die Gesellschaft vernichten (...)“83. Ersteres schränkte die Beschlussfähigkeit des Staates ein, letztere waren quasi eine außerstaatliche Konkurrenz im Anspruch auf das alleinige Gewaltmonopol. iii. Artikel VII Der König, die vollziehende Gewalt Um die neue Regierung als solche zu legitimieren, bezogen sich die Verfasser auf ihr Versagen in der Vergangenheit. „(...) Das Glück der Nation hängt von gerechten Gesetzen, die Wirkung der Gesetze von ihrer Ausführung ab. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Vernachlässigung dieses Teiles der Regierung Polen mit Unglück überhäuft hat (...)“84. Nunmehr sollte die oberste Exekutive beim König 83

84

Rhode G.: S.135 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Rhode G.: S.135 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur

und seinem Rat liegen, welcher in „Wache der Gesetze“ (straż praw) umbenannt wurde. Die Wache musste, streng ihrem Namen gemäß, die verabschiedeten Gesetze erfüllen, durfte aber weder eigene erlassen, noch irgendeine andere Befugnis des Sejms an sich reißen. Lediglich vorläufige Verhandlungen mit anderen Staaten, sowie auch „(...) vorläufige und für die Sicherheit und den Frieden des Landes wichtige Notwendigkeiten (...)“85 waren diesem „Regierungskabinett“ gestattet. Was unter letzteren konkret zu verstehen war, darüber ließ der Artikel den Leser im Unklaren. Klar war jedoch, dass die „Wache der Gesetze“ über jene Notwendigkeiten dem Sejm immer Rechenschaft schuldete. Das war eine zum ersten Mal festgeschriebene parlamentarische Neuerung86. Des Weiteren wurde Polen, mit der Begründung der verheerenden Interregna einerseits und mit dem Hinweis auf seine Glorie als es von Dynastien beherrscht wurde, wieder zu einer Erbmonarchie erklärt. Der Thron sollte nach Poniatowskis Tod an den sächsischen Kurfürsten Friedrich August und seine Nachfolger übergehen, wobei das Recht der Primogenitur gelten würde. Vorsorglich wurde aber die Tochter des Kurfürsten, Maria Augusta Nepomucena, zur polnischen Infantin erklärt und nur wenn auch sie keine männlichen Nachfolger hervorgebracht hätte, hätte die polnische Nation ein anderes Herrscherhaus wählen dürfen. Der König hatte bei der Thronbesteigung Gott und der Nation Eide zu leisten, dass er die Verfassung und alle Übereinkünfte 85

86

achten

wird.

Entscheidend

war

die

osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Rhode G.: S.136 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Vgl. Korobowicz A., Die Reform des politischen Staatssystems in der Verfassung vom dritten Mai 1791, S. 51 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

unbedingte

Aussage,

der

zufolge

trotz

ihres

herausgehobenen Status, die Könige keine absolutistischen Autokraten waren, sondern an Gesetz und Verfassung gebundene „Väter und Oberhäupter der Nation“. Dazu gehörte jedoch der Oberbefehl über das Heer in Kriegszeiten und die Ernennung der Offiziere, obgleich diese durch den Willen der Nation abgelöst werden konnten. Die Rolle des Königs bei der Gesetzesinitiative wurde,

in

Übereinstimmung

mit

den

Ansichten

Montesqieus, gemindert, er war nicht mehr der „dritte Sejmstand“ und auch nicht mehr persönlich für die Ausübung der Regierungsarbeit verantwortlich, weshalb die Möglichkeit, ihm den Gehorsam zu verweigern, ebenso ausgeschlossen war87. Ein weiteres Zugeständnis der Articuli

Henriciani

an

die

Szlachta

wurde

damit

zurückgenommen. Der Wächterrat, der den König unterstützte, sollte aus dem Primas der polnischen Geistlichkeit und dem Primas der Erziehungskommission bestehen; außerdem noch dem Polizeiminister, dem Siegelminister, dem Kriegsminister, dem Schatzminister und dem Minister des Siegels für auswärtige Angelegenheiten; und zu guter Letzt aus zwei Sekretären. Auch der Thronfolger durfte, wenn er volljährig geworden war, an Staatsratssitzungen teilnehmen, jedoch ohne Stimmrecht. Wenn Minister, die von der zu ihrer Kontrolle eingesetzten Deputation wegen einer Rechtsübertretung angeklagt wurden, sollten sie mit ihrer Person und dem Vermögen haftbar gemacht werden. Dann brauchte der gesamte Sejm eine einfache Stimmenmehrheit, um die Beschuldigten den Sejmgerichten überantworten zu können. 87

Vgl. Korobowicz A., Die Reform des politischen Staatssystems in der Verfassung vom dritten Mai 1791, S. 50/51 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997.

Mit dem Staatsrat waren besondere Kommissionen verbunden, deren Mitglieder vom Sejm gewählt werden sollten. Jene waren die Erziehungskommission, die Polizeykommission, die Militärkommission, sowie die Finanzkommission. Ihnen untergeordnet waren schließlich die Wojewodschaftskommissionen. Der siebte Artikel war der längste und ausführlichste, wohl nicht zuletzt deshalb, weil er sehr genau die Stellung der vollziehenden Gewalt definieren musste, welche als solche, sieht man von dem aufoktroyierten Ständigen Rat einmal ab, überaus geschwächelt hatte. Es wurde wert darauf gelegt, das Königtum in keiner Weise absolutistisch erscheinen zu lassen; wichtig war, Polen von einer Wahlmonarchie zu einer Erbmonarchie zu machen und damit

einerseits

keine

Spannungen

zwischen

den

Adelsgeschlechtern aufkamen, noch den Thron einer mächtigen ausländischen Dynastie zu überlassen, entschied man sich für das verhältnismäßig kleine Haus der Wettiner, die bereits zwei Könige für Polen im 18. Jahrhundert gestellt hatten. Zu guter Letzt definierte der Artikel das Kabinet, den Staatsrat, und die Ministerien, Kommissionen genannt, mit ihren jeweiligen Kompetenzen, nicht ohne den deutlichen Verweis, dass sie ebenso wie alle bisher in den Artikeln

besprochenen

Gesellschaftsschichten

und

Institutionen unter dem Gesetz standen und der Verfassung verpflichtet waren. Verfassungsrechtlich befand sich die gesamte Exekutive in einer stärkeren Position gegenüber dem Sejm, als es das vorherige Königtum gegenüber dem Adel gewesen war und ebenso im Vergleich zu ihrer zeitgenössischen

amerikanischen

Variante.

Die

neue

Exekutive war bemüht, die Verwaltung staatlich zu zentralisieren, da man die bereits existierenden lokalen Institutionen gebrauchen konnte, ordnete diese aber den neuen großen Kommissionen unter.

iv. Artikel VIII Die richterliche Gewalt Gleich zu Anfang dieses Artikels wurde explizit verkündet, dass die Judikative streng von den beiden anderen Gewalten getrennt sein sollte. Sie „(...) darf weder durch die gesetzgebende Gewalt noch durch den König ausgeübt werden, sondern durch Behörden, die zu diesem Zweck eingesetzt und gewählt werden (...)“88. Damit so viele Menschen wie möglich für die Gerichtsbarkeit zugänglich waren, sollten Gerichte in allen Wojewodschaften, Gebieten und Kreisen eingerichtet und deren Richter auf den Sejmiki gewählt werden. Diese so genannten Landgerichte befassten sich mit den Angelegenheiten des Adels. In

den

königlichen

Freistädten

hatten

städtische

Gerichtsbehörden zu entstehen und in jeder Provinz sollten besondere Referendargerichte für alle freien Bauern zuständig sein. Die traditionellen Hofassessorialgerichte, Relationsgerichte und

die

kurländischen

Gerichte

blieben

erhalten.

Interessanter jedoch erscheint, dass sich die am Anfang des Artikel gemachte Aussage mit folgendem Satz zum Teil widersprach: „Die vollziehenden Kommissionen werden Gerichtsbarkeiten haben in allen den Angelegenheiten, die zu ihrer Administration gehören.“89 Leider konkretisierte der Text nicht, was das für Angelegenheiten sein könnten. Um Verbrechen gegen die Nation und den König sollten sich hingegen die obersten Sejmgerichte kümmern, deren Angehörige bei der Eröffnung der Sejmtagungen gewählt werden sollten. Im letzten Satz erfolgt die Anweisung, ein umfassendes Strafgesetzbuch in Bälde zu erstellen. Dieses 88

89

Rhode G.: S.140 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Rhode G.: S.141in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

Unterfangen kann jedoch nicht mehr in die Tat gesetzt werden. Die Judikative sollte wiederum effizienter arbeiten, dadurch dass versucht wurde, alle bereits bestehenden Gerichte miteinander zu verknüpfen und dort neue zu gründen, wo sie benötigt wurden. v. Artikel IX Die Regentschaft Selbst die Regentschaft im Falle einer Unpässlichkeit des Königs

regelt

die

Verfassung

sehr

akribisch.

Die

Regentschaft soll aus dem Wächterrat zusammen mit der Königin oder dem Primas bestehen und überhaupt nur in drei Fällen zustande kommen. „(...) 1. In der Zeit der Minderjährigkeit des Königs, 2. Im Falle einer Krankheit, die eine dauernde Geistesgestörtheit hervorruft, 3. Im Falle, daß der König in Kriegsgefangenschaft fällt. (...)“90.Wichtig und interessant ist auch, dass jene Krankheit und die daraus resultierende Geistesgestörtheit einzig und allein mit einer Dreiviertelmehrheit beider Sejmkammern erklärt werden kann, sie also gründlich geprüft werden muss. Im Falle der Regentschaft soll auch der Sejm die Minister im Wächterrat zur Not neu ernennen. Wird der König volljährig, wieder gesund oder freigelassen, muss die Regentschaft ihm Rechenschaft ablegen, weil sie genauso haftbar und verantwortlich ist, wie eine reguläre Regierung. Dieser Artikel zeigt, dass man in der neuen Erbmonarchie die teils neuen Anforderungen an den Königsthron erkannt hatte und dass auch sie streng konform mit der Verfassung ablaufen sollten. vi. Artikel X Die Erziehung der Königskinder Der zehnte Artikel wiederum widmete sich der Erziehung der Thronfolger. Ein eigens vom Sejm ernannter Erzieher, 90

Rhode G.: S.141in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

sowie von der Nationalen Bildungskommission erstellte Unterrichts - und Erziehungspläne, die ebenfalls durch den Sejm bestätigt werden mussten, sollten dafür sorgen, dass die Thronfolger von der Religion, Freiheitsliebe, der Liebe zum Vaterland und zur Verfassung geprägt würden. Sie „(...) sind die ersten Kinder des Vaterlandes, deshalb gehört die Sorge für ihre gute Erziehung der Nation (...)“ 91. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Tatsache, dass Poniatowskis Nachfolger Wettiner, und somit Ausländer, hätten werden sollen und der Zusatz „Vaterlandsliebe“ garantieren sollte, dass sie eben als allererstes bei Entscheidungen an Polen dachten; oder aber jener Zusatz griff ganz einfach die allgemein breiter werdende Tendenz hin zum Patriotismus auf.

Beide

Gedanken

entsprachen

dem

Geist

der

Verfassungsgeber.

vii. Artikel XI Die bewaffnete Macht der Nation Der elfte und somit letzte Artikel hingegen definierte die Rolle der Armee. Er unterstellte sie, die nunmehr eine stehende sein sollte, dauerhaft der Exekutive und erlaubte ihren Einsatz sowohl gegen äußere Feinde, als auch bei inneren Unruhen und notfalls als Mittel, um dem Gesetz zu seinem Recht zu verhelfen. Stehende Heere entstanden in Europa seit den französischen Kriegen der Mitte des 17. Jahrhunderts92. Mit der Französischen Revolution änderte sich die Zusammensetzung, Idee und Funktion des Stehenden Heeres, das jetzt nicht mehr einfach einem Fürsten unterstand. So verwundert es nicht, dass diese hochaktuellen Gedanken gleich in die ersten beiden Sätze 91

92

Rhode G.: S.142 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Vgl. Stehende Heere, S. 355-59 in Reinhard W.: Geschichte der Staatsgewalt, Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999.

des elften Artikels Einzug hielten. „Die Nation ist sich selbst gegenüber verpflichtet, sich gegen einen Angriff zu verteidigen

und

gleichzeitig

ihre

Unversehrtheit

zu

bewahren. Deshalb sind alle Bürger Verteidiger der Unversehrtheit der Nation und ihrer Freiheiten. (...)“ 93. Über die Problematik des Nationenbegriffs in der Verfassung wird noch zu sprechen sein. Im Allgemeinen lässt sich jedoch feststellen, dass durch die Unterordnung des Heeres unter die zentrale Staatsgewalt, sich diese die Monopole auf die legitime Anwendung physischer Gewalt nach innen und außen

staatsrechtlich

gesichert

hatte,

damit

ihre

Souveränität behauptet und dabei ein weiteres Kriterium für einen Modernen Staat erfüllt hatte94.

VI.

Die Bedeutung der Verfassung nach innen

und außen Sie stellte politisch und freiheitlich jeden Landbesitzer, gleich ob adelig oder nicht, auf eine Stufe und förderte damit

die

Transparenz

immerhin

zwischen

den

Bevölkerungsteilen, die politische Rechte hatten und denen damit Partizipation zustand, welche wiederum genau bestimmt wurde. Rechte, Pflichten und Freiheiten wurden außerdem präzise definiert und ausformuliert. Schließlich wurden Staatsgesetze und Rechtsprechung auch auf die Leibeigenen ausgedehnt, die zwar unfrei und an die 93

94

Rhode G.: S.143 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Vgl. Reinhard W.: Geschichte des Modernen Staates, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2007. S. 12-14.

Schollen gebunden blieben, aber eben nicht mehr der Willkür des Grundbesitzers ausgesetzt. Es herrschte Gewerbe- und Handelsfreiheit, wodurch man langfristig auf private Investitionen hätte zählen können. Alle Bürger, gleich welchen Standes auch immer, sollten in Zukunft besteuert werden, wodurch die nun gestärkte Zentrale, welche sich das Gewalt- und Rechtsmonopol endgültig aus den Händen der Adelsnation wenigstens auf dem Papier verschafft

hatte,

das

stehende

Heer

und

den

zu

vergrößernden Beamtenapparat hätte finanzieren können. Auf den ersten Blick hatte die Verfassung mit sehr wohlüberlegten Worten

ein revolutionäres Staatswesen

geschaffen, in dem viele Prärogativen beim Adel belassen worden waren, der in nicht unerheblichem Maße an ihrer Gestaltung beteiligt war. Die Reformer waren an einer konstitutionellen Monarchie interessiert, mussten sich aber gegen Vorwürfe der Feinde und Kritiker aus dem Inland, wie auch aus dem Ausland, sie wollten französische Verhältnisse etablieren, immer wieder verteidigen. 1.

Der Begriff der Nation

Eine große Neuerung und wichtig für die Botschaft der Verfassung an das gesamte Volk war die neue Definition des Begriffs „Nation“. In der Tat kannte die polnisch-litauische Gesellschaft bis ins 18. Jahrhundert eine ganz eigene, durchaus politische Auffassung von Nation. Allerdings gehörte zur Nation nur der Adel („naród szlachecki“), da nur dieser politische Rechte besaß. Die polnische Historiografie scheint sich seit jeher darin einig gewesen zu sein, dass sich diesbezüglich durch die Verfassung einiges verändert hat. Wojciech Witkowski liefert einen kleinen Überblick, indem er Łepkowski („Geburt einer modernen Nation“), Kowecki („der Anfang einer modernen Nation“) und Leśnodorski („am Beginn einer modernen Welt“)

zitiert, um zu dem eigenen Schluss zu kommen, dass es sich um eine sich im Umbruch befindende Standesstruktur gehandelt habe.95 In der Präambel, in der es heißt „(...) Stanisław August von Gottes Gnaden und durch den Willen der Nation König von Polen, Großfürst von Litauen, (...)“96, war selbstverständlich mit „Nation“ auch der Adel gemeint, der 1764 Poniatowski nicht gewählt hatte; im Artikel II, der die Rolle des Adels im Staat definiert, werden der Szlachta keine der Rechte, Pflichten und Vorrechte aberkannt, die die politische Adelsnation ursprünglich beanspruchte. Spätestens jedoch wenn man den Artikel XI über die Landesverteidigung durchgeht, wird einem bewusst, dass vor der Verfassung zur Nation gehörte, wer Landesbewohner war: „Die Nation ist sich selbst gegenüber verpflichtet, sich gegen einen Angriff zu verteidigen (…). Deshalb sind alle Bürger Verteidiger der Unversehrtheit der Nation (...)“ 97. Zudem waren die Städter

den

Adeligen

rechtlich

gleichgestellt,

ihre

Aufnahme in den Adelsstand ermöglicht und die eigene Präsenz im Sejm zugesprochen worden, was bedeutete, dass politische Rechte auf einen weiteren Stand ausgeweitet worden sind. Und obgleich nur rechtlich und nicht politisch dazu gerechnet, wurden auch die Bauern zumindest personell in die Nation aufgenommen, da sie im Artikel IV „(...) den größten Teil der Bevölkerung in unserer Nation stellt(...)“98. Vorsichtig und unterschwellig, um die einstige 95

96

97

98

Vgl. Witkowski W., Die Verfassung vom dritten Mai – Ursprung einer modernen Nation und der Idee des „politischen Mannes“, S. 23 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997. Rhode G.: S. 129 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Rhode G.: S.143 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993. Rhode G.: S.131 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

und einzige „Nation“ nicht vor den Kopf zu stoßen, wurde der Nationsbegriff erheblich modernisiert und ausgeweitet. Geht man von Wolfgang Reinhards These aus, „(...) die moderne Nation beschränkt sich im Gegensatz zu früheren Formen nicht mehr auf die Eliten, sondern mobilisiert das ganze Volk (...)“99, so wurden die Polen in der Verfassung tatsächlich zu einer modernen Nation, insbesondere wenn man sich den Inhalt des elften Artikels in Erinnerung ruft. Es ist in der Tat sehr schwierig, ein eindeutiges Urteil darüber zu fällen, weil das Staatsvolk von der Verfassung aus gesehen insofern einheitlich war, als dass sie von einer „polnischen Nation“ spricht, andererseits wurden zwar die Standesunterschiede gemildert, aber eben nicht vollständig aufgehoben und eben nicht jeder dieselben politischen Rechte besaß; zuletzt verhindert der kurze Bestand der Maiverfassung, dass man sich ein Bild darüber machen kann, wie die gesamte Reform in der Praxis ausgesehen hätte. In der Theorie, aber eben vor allen Dingen in dieser, war

dieses

Verständnis

der

Nation,

die

offiziell

standesübergreifend und zudem nicht an eine Ethnie gebunden schien, seiner Zeit voraus. 2.

Das neue Bewusstsein des Abgeordneten

In der Periode des Großen Sejms hatte sich vor den Reformern ein weiteres Problem aufgetan, das vielen schon lange bewusst war, welches sie aber nie ernsthaft beheben konnten. Wie sollte der Status des Abgeordneten aussehen? Das Problem des adelsrepublikanischen Parlamentswesens war nämlich, dass die Abgeordneten sich traditionell als Botschafter für die Territorien sahen, in denen sie gewählt und von denen sie gesandt waren. Das wurde sehr früh ein Ausdruck des Partikularismus, da sie an die Direktiven ihrer 99

Reinhard W.: Geschichte der Staatsgewalt, Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999. S. 446.

Wojewodschaft gebunden waren und den Sejm schnell mithilfe des liberum veto lahm legen konnten. König Zygmunt

III

Wasa

bemerkte,

dass

offenbar

„jede

Wojewodschaft eine Adelsrepublik sein möchte“100. Da sich der Sejm aus Abgeordneten zusammensetzen sollte, die auf den Sejmiki gewählt worden waren, kam aufgrund der strikten Bindung an das Mandat in der Praxis die Sitzung noch nicht einmal zustande.101 Dennoch wurde die Stellung des Abgeordnetenmandats bis 1788 nie wirklich angerührt. Erst mit dem Beginn des Großen Sejms änderte sich das. Der wolhynische Abgeordnete Walerian Stroynowski hatte mit seiner Aussage „(...)wenn ein Abgeordneter auf den Sejm kommt, dann wird er in diesem Moment nicht der Repräsentant einer bestimmten Wojewodschaft, von der er gewählt ist, sondern der gesamten Nation(...)“ 102 eine Idee formuliert, die offenbar im Raum schwebte. Es begann eine heiße Diskussion darüber, welche Rolle der Abgeordnete in Zukunft spielen sollte, und zwar vor allen Dingen unter den Reformern selbst. Während Potocki und Kołłątaj für ein imperatives Mandat und damit die uneingeschränkte Bindung des Abgeordneten an seinen Sejmik plädierten, letzterer befürchtete in seinen „Listy Anonima“ (dt. Briefe eines Anonymen) bei einer Abschaffung, dass der Abgeordnete zu einem „Despoten für das Land“ würde; der König wiederum argumentierte gegen das imperative Mandat, weil die Sejmiki damit viel zu sehr die Arbeit des Sejms beeinträchtigen würden, selbst nachdem das liberum veto abgeschafft sein würde. In der Tat konnte sich Poniatowski bis zum 3. Mai 1791 durchsetzen, die 100

101

102

Lityński A.: Status posła po Konstytucji 3 maja, S.55 Kocój H. (Hrsg.): Pierwsza w Europie, 200 Rocznica Konstytucji 3 Maja 1791-1991, Katowice 1989. Vgl. Korobowicz A., Die Reform des politischen Staatssystems in der Verfassung vom dritten Mai 1791, S. 48 in Reinalter H. / Leisching P. (Hrsg.): Die polnische Verfassung vom 3. Mai 1791 vor dem Hintergrund der europäischen Aufklärung, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1997. Lityński A., Status posła po Konstytucji 3 maja, S.60 in Kocój H. (Hrsg.): Pierwsza w Europie, 200 Rocznica Konstytucji 3 Maja 1791-1991, Katowice 1989.

Abgeordneten verloren ihre Bindung an die Instruktionen der Sejmiki und wurden damit auf dem Sejm zu Repräsentanten der ganzen Nation. Ein weiterer Schritt zu einer moderneren bzw. der bis dahin kaum verbreiteten Auffassung dieses noch untypischen Abgeordnetenstatus war verfassungsrechtlich getan worden, aber ob auch wirklich alle Betroffenen intellektuell diesen Schritt mitgehen

würden,

mussten

die Verfechter

zunächst

bezweifeln. 3.

Die Position des Klerus

Auch eine Betrachtung der geistlichen Position gegenüber der Maiverfassung muss an dieser Stelle erfolgen, wenn man berücksichtigt, was für eine herausragende Rolle die Kleriker in der Gesellschaft spielten. Wie bereits erwähnt waren Geistliche sowohl vor der Etablierung der Nationalen Bildungskommission, als auch danach wichtige Vermittler von Bildung. Hinzu kam, dass sie oftmals nicht nur auf Kirchengütern Beamtenposten inne hatten und damit zum Verwaltungsapparat gehörten. Zu guter Letzt legten nicht wenige Vertreter des Klerus bei der Formulierung der während des Großen Sejms verabschiedeten Gesetze und am Verfassungstext selbst mit Hand an. Aber obgleich viele bedeutende Bischöfe wie Krasicki, Dorzyński, Turski und Naruszewicz die Verfassung befürworteten, stand auch die Geistlichkeit, wie auch die Aristokratie, nur offiziell geschlossen hinter der Staatsreform. An der Sitzung am 3. Mai 1791 nahmen sechs Bischöfe teil, jedoch war der livländische

Bischof

Józef

Kazimierz

Kossakowski

entschieden gegen das Regierungsgesetz. Anders als viele andere schwor er auch erst am 5. Mai widerwillig den Eid auf die Verfassung und schließlich sollte er ein wichtiges Mitglied der Konföderation von Targowica werden. Ein Einzelfall war Kossakowski jedoch nicht.

Als sehr interessant erwiesen sich die Begründungen der Anhänger. Der Eid auf die Verfassung hatte für sie geradezu religiösen Wert und sie war, ihrer Auffassung nach, eine Rückkehr zu der staatlichen Größe, die nach den Jagiellonenkönigen zusehends schwand103. Der Papst sprach sogar von der „Wohltat, die der barmherzige Gott den Polen zukommen ließ“104. Entscheidend für die Reformer war, dass die Annahme durch die Bischöfe gleichbedeutend mit der Verteidigung der Verfassung durch die Kirche zu sein schien. Am 8. Mai gab es Gottesdienste im ganzen Land zur Preisung der Verfassung. Das Anliegen des Staates war die Verbreitung der Reform unter großen Bevölkerungsteilen und die Kirchen eigneten sich hervorragend dazu, da die Pfarrer mit ihren Predigten in den Gottesdiensten beinahe alle

Menschen

erhebliches

erreichten;

Vertrauen

bei

außerdem breiten

genossen Schichten

sie der

Gesellschaft. Aber nicht nur Katholiken und Protestanten sprachen sich für die Verfassung aus; auch die orthodoxen Würdenträger erklärten sich am 1. Juli 1791 solidarisch mit dem Staat. Mit dem Eid des Klerus auf die Verfassung hatte die Staatsgewalt sich, ohne eine gewaltsame Entmachtung, einen weiteren Stand untergeordnet und in das moderne Staatswesen integriert! 4.

Die Aufnahme bei den Teilern und Frankreich

Ausschlaggebend für die Bedeutung und Wirkung, bzw. Auswirkung, der polnischen Maiverfassung bei der zugrunde liegenden Ausarbeitung und zum besseren Verständnis für die Ereignisse nach dem Mai 1791 ist die Betrachtung 103

104

der

Reaktionen

Europas,

wobei

das

Ziółek J., Duchowieństwo wobec ustanowienia Konstytucji 3 maja, S.42 in Kocój H. (Hrsg.): Pierwsza w Europie, 200 Rocznica Konstytucji 3 Maja 1791-1991, Katowice 1989. Ziółek J., Duchowieństwo wobec ustanowienia Konstytucji 3 maja, S. 46 in Kocój H. (Hrsg.): Pierwsza w Europie, 200 Rocznica Konstytucji 3 Maja 1791-1991, Katowice 1989.

Hauptaugenmerk auf die Teilungsmächte von 1772/73, insbesondere das von den Patrioten besonders gefürchtete Russland, sowie auf Frankreich, dessen innenpolitische Umwälzungen für die Veränderungen und das Vorgehen aller beteiligten Parteien in Mittel- bzw. Osteuropa verantwortlich gemacht wurden. Letztendlich sollte sich herausstellen, dass zwar innere Widersacher schnell gefunden und benutzt werden konnten, dass das polnische Gesamtreformwerk und damit der Eintritt in die moderne Staatlichkeit, in manchen Bereichen sogar weitergehend und seine Nachbarn überholend, v. a. aus Gründen fehlender Akzeptanz im direkten äußeren Umfeld scheiterte. Schließlich

fielen

die

Bewertungen

der

polnischen

Verfassung nicht alle so positiv aus wie diejenige, die der englische Philosoph Edmund Burke noch im Jahr der Verfassungsverabschiedung machte. Seiner Ansicht nach war die Maiverfassung „(...) the noblest benefit received by any nation at any time and contained seeds of continuous improvement, being built on the same principles which make our British constitution so excellent (...)“ 105. Den Vergleich

mit

Verfassungen

den bzw.

englischen

und

amerikanischen

Regierungssystemen

hatte

auch

Małachowski in der Sejmsitzung am 3. Mai gezogen mit der Überzeugung, das beste aus beiden Varianten sei in das polnische Regierungsgesetz eingearbeitet worden. Die ersten Reaktionen auf die Verabschiedung des Regierungsgesetzes hätten bei den drei Teilungsmächten unterschiedlicher nicht sein können. Während nämlich Preußen, welches noch mit Polen verbündet war, offiziell die Verfassung anerkannte, insgeheim aber sich immer weiter von seinem Bündnispartner distanzierte, da man, 105

Dembinski B., Chapter VI The Age of Stanislas Augustus and the National Revival, S. 135 in Reddaway W. F., Penson J. H., Halecki O., Dyboski R. (Hrsg.): The Cambridge History of Poland 1697-1935, From Augustus II to Pilsudski, Cambridge at the University Press 1951.

wahrscheinlich nicht zu unrecht vermuten musste, dass das erste Opfer eines sich in der eingeschlagenen Richtung stabilisierenden und erstarkenden Polens die kleinste es angrenzende Großmacht, also Preußen, werden könnte, fand sie beim habsburgischen Kaiser echte Anerkennung, der schon

bald

die

russische

Kaiserin

schlechterdings

diplomatisch bedrängen ließ, es ihm gleich zu tun. Wien wollte

damit

Petersburgs

Expansion

einzudämmen

versuchen Katharina II soll bei der Nachricht über die Maiverfassung ausgerufen haben: „Die Polen übertreffen die Tollheiten der Nationalversammlung!“106 Sie sah darin die Auswüchse des Jakobinertums und war entschlossen, gegen die Verfassung vorzugehen. Es vergingen jedoch annähernd 11 Monate bis Russland tatsächlich handelte. Dafür gab es einige Gründe. Zum einen bekriegten sich Russland und das Osmanische Reich immer noch, dann war das Verhältnis zu Preußen unklar, womöglich herrschten innerhalb der politischen Spitze in Petersburg Zwiste über die Art des Vorgehens und schließlich musste man der europäischen Diplomatie glaubhaft vermitteln, dass es den Russen vor allen Dingen darum ging, nur die Verfassung abzuschaffen und nicht etwa eine weitere Teilung angestrebt wurde. Im Mai 1792 schien die außenpolitische Lage Katharina das Blatt in die Hände zu spielen. Den Anfang machte ein klassischer Zug der russischen Polenpolitik: Die Bildung und Nutzung einer Konföderation. Ihr Kern war die von Beginn des Großen Sejms an Widerstand leistende Magnatenclique. Die französische Meinung, oder vielmehr die Meinungen, die daraus resultierten, dass das Land innenpolitisch so gespalten war zwischen Revolutionären und Monarchisten, 106

Liszkowski U., Rußland und die polnische Maiverfassung, S.64 in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

bewerteten die Verfassung der jeweiligen Weltanschauung nach oder fanden aufgrund der räumlichen Distanz auch eine ausgewogene Kritik; außerdem

entschieden das

Vorgehen oder eben die Passivität Frankreichs, sowie die Positionen der europäischen Höfe zu Paris letztendlich das Schicksal der polnischen Reform mit. Als der königliche Bevollmächtigte Feliks Oraczewski im Frühjahr 1791 in Paris ankam, musste er feststellen, dass die Franzosen Polen offenbar bereits abgeschrieben hatten und über die polnische Situation ein verfälschtes Bild vorherrschte. Das schien auf allzu desillusionierte und demoralisierte

Exilpolen

zurückzugehen.

Aufgabe war es, dauerhafte

Oraczewskis

diplomatische Beziehungen

zwischen Paris und Warschau zu knüpfen. Zunächst einmal schickte man jedoch einen eigenen Gesandten nach Polen, Descorches de Sainte-Croix, der strikt angewiesen wurde, nur das Geschehen zu beobachten und nicht den Anschein zu erwecken, dass die Franzosen versuchten, ihre Ideen zu propagieren. Noch vor seiner Ankunft erreichten die Franzosen

die

ersten

Nachrichten

über

jene

Verfassungsverabschiedung der Polen. Das revolutionäre Lager kritisierte die Unvollkommenheit dieses Projektes, während die liberalen Monarchisten sich durchaus positiv über die Konstitution äußerten, weil es in vielen Bereichen Übereinstimmungen mit ihrem eigenen Programm gab. Der in dieser Zeit in Wien lebende Baron d'Escors meinte: „Ich bin ein Feind aller Revolutionen, außer der polnischen Revolution. In Frankreich wurde alles gewaltsam in Bewegung gesetzt (…) in Polen sind die Gesetzesausübung, Gerechtigkeit, Ruhe, mit einem Wort allgemeines Glück gesichert worden, und das alles ohne Blutvergießen. (...)“107. Und die Gazette de Paris schrieb über die Maiverfassung, 107

Komaszyński M., Opinia publiczna Francji wobec Konstytucji 3 maja, S. 73 in Kocój H. (Hrsg.): Pierwsza w Europie, 200 Rocznica Konstytucji 3 Maja 1791-1991, Katowice 1989.

sie sei „gleichzeitig ein wunderschönes Denkmal, als auch eine große Lektion für die Franzosen“108. Kritischere Stimmen meinten, die Verfassung sei vor allen Dingen das Werk des Königs und einer Handvoll Adeliger und zwar für sich selbst, wohingegen der Journalist Camille Desmoulins sie als einen dringend benötigten Schritt aus den Auswüchsen des Feudalismus in Richtung Freiheit bezeichnete, der nur dann an den französischen Schritt heranreichte,

wenn

man

die

unterschiedlichen

Ausgangslagen bei einem Vergleich berücksichtigte. Im Übrigen hielt sich Frankreichs Gesandter Descorches nicht an seine Instruktionen und ließ sich schon bald zu Aussagen über eine Unterstützung der Polen durch Frankreich hinreißen, angesteckt von der Stimmung vor Ort und der eigenen Überzeugung von der Richtigkeit der Französischen Revolution. In dieser Hinsicht wurde er v. a. Stanisław August Poniatowski sehr lästig109. Der polnische König fürchtete ein Schicksal wie es Ludwig XVI erleiden musste, der seit seinem misslungenen Fluchtversuch immer mehr an Zuspruch im eigenen Land verlor. Descorches warb in seiner Heimat für ein französisch-polnisches Bündnis; auf dieses konnte man jedoch aufgrund der eigenen schwierigen und unklaren Lage nicht eingehen. Als im März/April 1792 Preußen und Österreich gegen die französischen Revolutionsarmeen zogen, fürchtete man in Warschau nicht zu Unrecht, dass es jetzt nur noch eine Frage der Zeit war, dass Russland gegen Polen gewaltsam vorgehen würde. Interessanterweise hatte der französische Außenminister 108

109

Komaszyński M., Opinia publiczna Francji wobec Konstytucji 3 maja, S. 74 in Kocój H. (Hrsg.): Pierwsza w Europie, 200 Rocznica Konstytucji 3 Maja 1791-1991, Katowice 1989. Vgl. Rozdział II. Działalność posła francuskiego w Warszawie, Marie-Louis Descorchesa (lipiec 1791-paźdźiernik 1792 r.), S. 28-115 in Kocój H.: Wielka Rewolucja Francuska a Polska, Zarys stosunków dyplomatycznych polsko-francuskich w okresie Sejmu Wielkiego i powstania kościuszkowskiego (problemy wybrane), Warszawa 1987.

Armand Montmorin seinem Gesandten Descorches auch deshalb eine rein beobachtende Rolle vorgeschrieben, weil er voraus sah, dass dieses veränderte Polen erst dann außenpolitisch reizvoll sein würde, wenn alle seine Nachbarstaaten es in seinem neuen Zustand anerkannten. Die Maiverfassung war für ihn erst einmal nur ein Dekret, dass Polen aus dem 9. ins 18. Jahrhundert geführt hatte.110

VII. Gezwungene Rücknahme Die Partei der konservativen Magnaten unter Führung von Szczęsny Potocki, Seweryn Rzewuski und Franciszek Ksawery Branicki, die sich besonders stark gegen die Verfassung und die anderen Reformen auflehnten, fand in Katharina II. schnell ein eine mächtige Unterstützerin. Zunächst übten russische Diplomaten solange Druck auf den sächsischen Kurfürsten Friedrich August aus, bis dieser auf die polnische Krone verzichtete. Daraufhin bereiteten die drei Magnaten in Übereinstimmung mit der Kaiserin im April 1792 eine Akte vor, die den Grundstein für die Konföderation legte, deren Ziele es waren, die MaiReformen abzuschaffen und den Stand von 1768 mit allen Kardinalsrechten wieder herzustellen, verkündeten sie in Targowica und riefen russische Truppen zu Hilfe, die am 18. Mai einzufallen begannen. In der Akte wurden die „Usurpatoren“ in Warschau angeklagt, durch das „freche Verbrechen“, das am 3. Mai 1791 begangen worden war, „alle

Kardinalsrechte“

umgestoßen

und

das

„Gift

demokratischer Ideen“ nach „dem traurigen Beispiel von Paris“ verbreitet zu haben und in Konsequenz Katharina, als 110

Komaszyński M., Opinia publiczna Francji wobec Konstytucji 3 maja, S. 77 in Kocój H. (Hrsg.): Pierwsza w Europie, 200 Rocznica Konstytucji 3 Maja 1791-1991, Katowice 1989.

„Schutzgöttin“ Polens, um Hilfe angerufen111. So falsch diese Vorwürfe auch gewesen sein mochten, so subsumieren sie einerseits die Akzeptanzprobleme, mit denen die Reformer während des „Vierjährigen Sejms“ zu kämpfen hatten und geben andererseits einen Einblick in die Weltanschauung

der

zeitgenössischen

polnischen

Konservativen, obgleich die Formulierungen mit Sicherheit in besonderem Maße optimiert wurden. Gerade einmal 40 000 unerfahrene Männer auf polnischer Seite - die Steuereinnahmen und die Ausbildungsprobleme konnten also nicht die ursprünglich angestrebten 60 000 Mann auftreiben und angemessen ausrüsten - standen in etwa 100 000 Russen gegenüber. Die Konföderierten nutzten den Schutz durch Russlands Armeen und statuierten an den Verfassungsbefürwortern reihenweise Exempel, indem sie viele ihrer Dörfer und Städte nieder brannten oder Vermögen beschlagnahmten. Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Krone Józef Poniatowski konnte zunächst noch erfolgreich Widerstand leisten. Die erste größere Niederlage erlitt General Tadeusz Kościuszko bei Dubienka, woraufhin sich das Heer an die Weichsellinie zurückziehen musste. Der Oberbefehlshaber und der General hofften darauf, die gesamte Bevölkerung mobilisieren zu können und rechneten sich dadurch große Chancen

aus,

weil

sich

die

preußischen

und

österreichischen Armeen bereits allzu sehr gegen die französischen

Revolutionstruppen

engagierten.

Der

preußische Verbündete, der noch ein Jahr zuvor dem polnischen König zur Verfassungsreform in einem Brief gratuliert und sich dabei positiv über das engere polnischpreußische Verhältnis geäußert hatte, entschied sich jetzt 111

Liszkowski U., Rußland und die polnische Maiverfassung, S. 79, in Jaworski R. (Hrsg.): Nationale und internationale Aspekte der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791, Kieler Werkstücke Reihe F: Beiträge zur osteuropäischen Geschichte, Frankfurt am Main 1993.

den Vertrag auf zu kündigen. Da Polen zudem bankrott gegangen wäre, wenn Russland das ihm geliehene Geld zurückgefordert hätte, bot Stanisław August in einem Brief an Katharina II. die Hand der polnisch-sächsischen Infantin ihrem Enkel Konstantin und bat förmlich darum, zu dessen Gunsten auf den Thron verzichten zu dürfen. Die Kaiserin lehnte ab und forderte stattdessen, dass er sich der Konföderation anschließt. In der Hoffnung, wenigstens einen Teil des Reformwerks retten zu können und wohl auch aus dem Wunsch heraus, die in seinen Augen aussichtslosen

Kampfhandlungen

damit

einzustellen,

entschloss sich Poniatowski, der Konföderation von Targowica am 24. Juli 1792 beizutreten. Mit seinem Beitritt jedoch legalisierte er nach altpolnischem Rechtsverständnis das Tun der Konföderation. Am 23. Juli hatte er seine Absicht dem Wächterrat vorgetragen und sie wurde mit einer knappen Mehrheit gutgeheißen. Nicht wenige Patrioten schlossen sich ihm an. Andere, wie z. B. Stanisław Małachowski, Ignacy Potocki oder Hugo Kołłątaj flohen ins Ausland, vornehmlich nach Sachsen. Da der König laut Verfassung Oberbefehlshaber aller Armeen war, gehorchte man seinem Aufruf des 25. Juli, die Waffen zu strecken. Die Konföderierten besetzten nun, da kein Widerstand mehr geleistet wurde, alle Wojewodschaften und schafften, entgegen der Hoffnungen ihres Königs, die neu installierten Staatsorgane ab. Als jedoch klar wurde, dass die Konföderierten, nicht zuletzt aufgrund der überhand nehmenden Rachefeldzüge und der Bereicherung, nicht in der Lage waren, PolenLitauen unter Kontrolle zu halten, entschieden sich Russland und Preußen für eine zweite Teilung. Für Katharina war es offensichtlich einfacher geworden, sich am Land ihres westlichen Nachbarn zu bereichern, als um

Einfluss in seinem Inneren zu ringen112. Außerdem meinte die Kaiserin, dass es ihre historische Aufgabe war, die Territorien der alten Rus' wiederzuvereinen. Der preußische König unterstützte ja bereits seit April 1792 Österreich gegen die französischen Revolutionstruppen. Da diese jedoch ab September zusehends die Oberhand gewannen, verlangte

Friedrich

Wilhelm

polnisches

Gebiet

als

„Kompensation“113. Andernfalls drohte er mit dem Austritt aus der antifranzösischen Koalition, was Katharina nicht riskieren wollte. Ohne die einstige dritte Teilungsmacht wurde am 23. Januar 1793 in Petersburg der zweite Teilungsvertrag unterzeichnet. Preußen nahm sich Danzig, Thorn und die Provinz Großpolen, während Russland beinahe das gesamte weißrussische Gebiet und die Reste der polnischen Ukraine annektierte. Um den Vorgang wie bei der ersten Teilung zu legalisieren, ließen die Eroberer einen Sejm, dieses Mal in Grodno, einberufen, der die neuen Grenzen rechtskräftig anerkennen sollte. Er führte den Ständigen Rat wieder ein und schloss mit Russland Frieden. Die Konföderation von Targowica, für deren Gründer, die die russische Kaiserin noch wenige Monate zuvor aus Überzeugung als Befreierin der polnischen Nation gefeiert hatten, die Teilung ein ebensolcher Schock war wie für das restliche Volk, wurde aufgelöst. Der König verblieb auf seinem Thron, aber der nunmehr nur noch 4 Millionen Einwohner zählende Pufferstaat sank endgültig zu einem Vasallen Russlands herab, der von Katharinas Truppen kontrolliert werden sollte. Das Damokles-Schwert einer weiteren Teilung hing in der Luft, wessen sich die 112

113

Vgl.: Reddaway W. F., Chapter VII The Second Partition (1793), S. 137-153, in Reddaway W. F., Penson J. H., Halecki O., Dyboski R. (Hrsg.): The Cambridge History of Poland 1697 – 1935, From Augustus II to Pilsudski, Cambridge at the University Press 1951. Vgl.: Lukowski J./Zawadzki H.: A Concise History of Poland, Part I Poland, to 1795, 3The Commonwealth of the two Nations, 1572-1795, Cambridge University Press 2001. S.102.

Bevölkerung vollkommen bewusst war.

C. Schluss Etwas mehr als ein Jahr nach der Verabschiedung der Maiverfassung war das Reformwerk der polnischen Aufklärer durch den Beitritt Stanisław August Poniatowskis zur Konföderation von Targowica und letztendlich formal nach der Zweiten Teilung untergegangen. Sie hätte einen Modernen Staat geschaffen. Erstens war das Staatsgebiet mit dem „Gesetz über die Verlobung der beiden Nationen“ vereinheitlicht worden. Zweitens wurde das Staatsvolk durch die ihrer Zeit in gewisser Weise vorausgehenden Definition der polnischen Nation ebenfalls einheitlich. Drittens stellten die Verfassungsorgane eine einheitliche Staatsgewalt dar, die sämtliche Souveränität beanspruchte. Diese Zentrale, anders als bei vielen Nachbarn eben nicht auf eine monarchische Person beschränkt, besaß mit den Kommissionen und der zu verknüpfenden Justiz das Monopol der legitimen Anwendung physischer Gewalt nach innen und durch das ihr unterstehende Stehende Heer das Gewaltmonopol nach außen. Zuletzt schwor dieser Staat seine Nation auf die Verfassung ein und unterstellte jeden, gleich ob privilegiert oder nicht, unter sein Rechtswesen. 114 Obwohl dieses Regierungsgesetz damit eindeutig nicht unvollständig war, hatten die Reformer nach dem 3. Mai 114

Vgl. Reinhard W.: Geschichte des Modernen Staates, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2007. S. 12-14.

weitergearbeitet. Die Verfassung stellte einen Kompromiss zwischen dem traditionellen System und den zeitgemäßen Ansprüchen an einen Staat her, indem sie die gewachsenen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht von heute auf morgen umwälzte und es doch fertig brachte, traditionelle und neue Eliten einer modernen Zentralgewalt unterzuordnen. Alle diese aufklärerischen Ideen machten die Maiverfassung zu einem Rechts – und Freiheitsdokument, das Polen politisch und gesellschaftlich auf den zweiten Blick auf eine Stufe mit England, den Vereinigten Staaten und Frankreich hätte führen können, wenn gleich die wichtigsten Träger und Profiteure zunächst die um das Bürgertum bereicherten traditionellen Eliten gewesen wären und wenn dieses Regierungsgesetz länger Gültigkeit besäßen hätte. Polen wäre ein Moderner Staat geworden. Es ist auffällig, wie konform mit der Verfassung sich die neue Regierung bis fast zum Schluss verhielt, was wiederum die Vermutung bestärkt, dass genug Überzeugung und Kraft vorhanden war, um die letzten inneren Widerstände langfristig zu überwinden, es aber aufgrund des außenpolitischen Drucks, nämlich konkret durch das russische Eindringen, unmöglich war, die Maiverfassung in Kraft zu lassen. Selbst wenn es in der Bevölkerung nur Befürworter und Unterstützer gegeben hätte – wie so oft spalteten Aufklärung und Reform jede Schicht und nicht nur den Adel – so hätte Polen gegen die militärische Überlegenheit seiner Gegner nicht viel ausrichten können, da durch die Vorgänge in Frankreich die bisherigen europäischen Bündnissysteme zerbrochen waren. Der polnische König stellte dabei ebenfalls eine interessante Figur dar. Einerseits wollte er sein Land reformieren und verändern und ging dabei auf das Programm der Patrioten ein; andererseits dachte er wohl noch bis zum Schluss in den traditionellen politischen Kategorien, d. h. er schien zu

glauben, dass sich Monarchen noch untereinander einig werden konnten. Die aus den Bildungsmaßnahmen neu entstehende Schicht arbeitete mit den Ideen der Aufklärung weiter, so dass noch vor der dritten Teilung eine Aussage Ignacy Potockis im Jahr 1794, der Außenminister geworden war, zu diesem Zeitpunkt bewies, dass die Maiverfassung die Erwartungen und Anforderungen der

gesamten Bevölkerung nicht

erfüllen konnte, die vom Patriotismus während des Großen Sejms ergriffen worden ist. Auf die Frage, warum man nicht einfach die Maiverfassung mit allen ihren königlichen Prärogativen einführte, antwortete jener, dass man das zwar wollte, aber der König laut dieser der Oberbefehlshaber der Armeen wäre und das der Autorität, die das Volk Tadeusz Kościuszko anvertraut hat, vollkommen zuwider laufen würde115. Dieser hatte den Bauern die Freiheit versprochen! Die Bestimmungen der Verfassung und damit die moderne Staatlichkeit

hatten

sich,

wie

man

sehen

konnte,

„verspätet“, da gerade das finanzielle Versagen, das ausschlaggebend für das militärische wurde, der Reform letztlich

das

Genick

brach,

weshalb

weder

die

Unabhängigkeit, noch das Überleben des Staatswesens sicher gestellt werden konnte, als der verbliebene Rumpfstaat 1795 nach der Niederschlagung des Aufstands endgültig verschwand. Als die polnischen Anhänger Napoleons

das

Herzogtum

Warschau

1807

eine

Konstitution geben wollten, brachten sie die Maiverfassung wieder ins Gespräch116, allerdings erfolglos. Das bewies nicht nur die Achtung vor dem Reformwerk, sondern auch die Überzeugung, dass die Verfassung vom 3. Mai 1791 zeitgemäß und modern war. 115 116

Leśnodorski B.: Les Jacobins Polonais, Paris 1965. S.34. Vgl.: Handelsmann M., Chapter XI The Duchy of Warsaw, S. 236-257 in Reddaway W. F., Penson J. H., Halecki O., Dyboski R. (Hrsg.): The Cambridge History of Poland 1697 – 1935, From Augustus II to Pilsudski, Cambridge at the University Press 1951.

D. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen: Konstytucja 3 Maja 1791 / 1791 Gegużės 3-osios Konstitucija / The Constitution of

May 3, 1791,

Wydawnictwo Sejmowe, Warszawa 2001. Leśnodorski B.(Hrsg.): Kuźnica Kołłątajowska, Wybór Źródeł, Wrocław 1949. Literaturverzeichnis: Die Titel, wobei nicht alle zitiert worden sind, die für die zugrunde

liegende

Ausarbeitung

verwendet

wurden,

erscheinen im Folgenden alphabetisch. 

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http://www.uni-muenster.de/FNZ/Online/recht/prozesse/ unterpunkte/wachstum.htm (zuletzt am 22.02.10)

Lebenslauf Name:

Michael Stefan Pietrucha

Adresse:

Käsröthe 9 in 91301 Forchheim

Geburtsdatum:

28.11.1983 in Laura Hütte/Oberschlesien

1991-1994:

Besuch der Martins Grundschule Forchheim

1994-2003:

Besuch des Herder Gymnasiums Forchheim

seit 2004:

Studium der Osteuropäischen Geschichte, Slavistik, Nordischen Philologie an der FAU Erlangen-Nürnberg

seit 2006:

Ausübung diverser SHS-Stellen, z.B. Tutor für Polnisch am SZ, Tutor für polnische Literatur am Institut für Slavische Philologie, Tutor für Geschichte der nordischen Länder am Institut für Germanistik, HiWi der Teilbibliothek der Slavischen Philologie

Wahrheitsgemäße Erklärung

Ich erkläre hiermit, dass ich 

die eingereichte Magisterarbeit selbständig und ohne unerlaubte Hilfe angefertigt habe,



außer den im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Quellen und Hilfsmitteln keine weiteren benutzt und alle Stellen, die aus dem Schrifttum ganz oder annähernd entnommen sind, als solche kenntlich gemacht und einzeln nach ihrer Herkunft unter Bezeichnung der Ausgabe (Auflage und Jahr des Erscheinens), des Bandes und der Seite des benützten Werkes in der Magisterarbeit nachgewiesen habe,



alle Stellen und Personen, welche mich bei der Vorbereitung und Anfertigung der Magisterarbeit unterstützten, genannt habe,



die Magisterarbeit noch keiner anderen Stelle zur Prüfung vorgelegt habe.

Erlangen, den………………….

………………………………... (Unterschrift)



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