Der „Untergang tschechischer Demokratie“ als Spektakel. Luděk Marolds Panorama der Schlacht bei Lipany. In: Bartetzky, Arnold/Jaworski, Rudolf (Hg.): Geschichte im Rundumblick. Gestaltungsformen und Funktionen von Panoramabildern im östlichen Europa. Köln 2014, S. 91-113.

June 4, 2017 | Author: Michaela Marek | Category: Cultural History, Panoramas, Nineteenth-Century Panoramas, Central European history, National Identity, 19th Century (History), History Painting, Bohemia, History of architecture, Central and Eastern Europe, History of 19th and 20th Century East Central Europe, 19th Century (History), History Painting, Bohemia, History of architecture, Central and Eastern Europe, History of 19th and 20th Century East Central Europe
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Arnold Bartetzky, Rudolf Jaworski (Hg.)

Geschichte im Rundumblick Panoramabilder im östlichen Europa

ELEKTRONISCHER SONDERDRUCK

2014 BÖHL­AU VER­LAG KÖLN WEI­MAR WIEN

BEITRAG aus: ARNOLD BARTETZKY, RUDOLF JAWORSKI (HG.): GESCHICHTE IM RUNDUMBLICK. PANORAMABILDER IM ÖSTLICHEN EUROPA. ISBN 978-3-412-22147-8  © 2014 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CIE, WIEN KÖLN WEIMAR

In h al t Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Das Panorama als europäisches Massenmedium Arnold Bartetzky Das Panorama als kommerzieller Vergnügungsort und nationale Weihestätte . . . 13 Rudolf Jaworski Historische Panoramen in den Geschichtskulturen Ostmitteleuropas . . . . . . . . . . 27

Nationalgeschichte in Panoramen Ost- und Mitteleuropas um 1900 Anna Baumgartner Das Racławice-Panorama in Breslau. Ein Erinnerungsort für die polnische Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Robert Born und Orsolya Heinrich-Tamáska „Der Einzug der Ungarn“ von Árpád Feszty im Kontext der Geschichtspolitik in Ungarn. Genese und Wiedergeburt eines Panoramas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Michaela Marek Der „Untergang tschechischer Demokratie“ als Spektakel. Luděk Marolds Panorama der Schlacht bei Lipany . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Susanne Gurschler Das Innsbrucker Riesenrundgemälde „Schlacht am Bergisel“. Eine Momentaufnahme bewegter Tiroler Geschichte zwischen touristischer Vermarktung und patriotischer Vereinnahmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Konstantin Tsimbaev Das Moskauer Panorama der Schlacht von Borodino. Konstruktion von Geschichte und Kriegserinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

Wiedererweckungen des Panoramas im Sozialismus und danach Rosalinde Sartorti „Ewiger Ruhm den Helden von Stalingrad!“ Das Schlachtenpanorama in Wolgograd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

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Inhalt

Nikolai Vukov Das Gedenkpanorama für den Russisch-Osmanischen Krieg in Plewen. Repräsentationspolitik im kommunistischen Bulgarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Thomas Topfstedt „In unserer Republik ist Müntzers Zukunftsvision in Erfüllung gegangen.“ Das Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Karl Kaser Große Geschichte für kleine Kinder. Istanbuls Identitätspolitik und sein Panoramamuseum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Werner Telesko Das Panorama in seiner Bedeutung für die europäische Bildkultur des 19. und 20. Jahrhunderts. Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Über die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

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D e r „ U n t erg an g t sc h ec h i s che r De mok ra tie “ al s Sp ekt a k e l Luděk Marolds Panorama der Schlacht bei Lipany

Michaela Marek „Unter den ungezählten Tragödien, die unser Vaterland in der gesamten Geschichte des tschechischen Volkes gesehen hat, haben wir hier den Schlusspunkt der blutigsten und traurigsten vor uns: das große Morden unter Brüdern [...], den Untergang der tschechischen hussitischen Demokratie des 15. Jahrhunderts.“1 So lautet der erste Satz in einem der beiden offiziellen Führer zu dem Prager Panorama der Schlacht bei Lipany. Anders als etwa die Panoramen von Racławice oder vom Bergisel2 – in der weitläufigen Nachfolge des Berliner Sedan-Panoramas3 – aktualisiert diese Variante kein Ereignis, das geeignet war, ein nationales Hochgefühl zu wecken. Und es erscheint im Horizont der Bildgattung noch unter etlichen weiteren Gesichtspunkten als eine Anomalie: Erst 1898 entstanden, war es dennoch das erste Panorama in Böhmen. Die Konzeption und Ausführung war weder einem Spezialisten für diese Produktionsform von Malerei noch einem ausgewiesenen Historienmaler anvertraut worden, sondern trotz der damit verbundenen Risiken einem Künstler, der in erster Linie als Gebrauchsgrafiker zu Ruhm gekommen war. Vor allem war es nicht in einem primär kommerziellen Kontext entstanden und sollte auch nicht, wie üblich, an verschiedenen Orten gezeigt werden. Es wurde – in dieser Hinsicht vielen zeitgenössischen Panoramen vergleichbar – als Attraktion für eine große Gewerbeausstellung angefertigt. Aber es sprach nicht nur Schaulust an. Vielmehr fungierte es im herrschenden konfliktgeladenen Klima – so die zentrale These, die in diesem Beitrag entwickelt werden soll – als hochaktuelle politische Intervention. Diese spezielle Funktion bedingte auch die weiteren atypischen Züge, welche das Gemälde gegenüber den Konventionen der Bildgattung aufweist.

1 Průvodce panoramou Bitva u Lipan od L. Marolda [Führer zum Panorama der Schlacht bei Lipany von L. Marold]. Praha o. J. [1898], S. 3. 2 Vgl. die Beiträge von Anna Baumgartner und Susanne Gurschler in diesem Band. 3 Zum Sedan-Panorama zuletzt Grau, Oliver: Das Sedanpanorama. Einübung soldatischen Gehorsams im Staatsbild durch Präsenz. In: Panorama: Virtualität und Realitäten. II. Internationale Panoramakonferenz in Altötting 2003 / Panorama: Virtuality and Realities. II. International Panorama Conference in Altötting 2003. Hg. v. Gebhard Streicher. Altötting 2005, S. 38–52. Der Text entspricht im Wesentlichen einem Kapitel in Graus Dissertation: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Visuelle Strategien. Berlin 2001, S. 66–100. Vgl. auch Baldus, Alexandra: Das Sedanpanorama von Anton von Werner. Ein wilhelminisches Schlachtenpanorama im Kontext der Historienmalerei. Phil. Diss., Bonn 2001, die sich dem Objekt jedoch mit traditionell kunsthistorischen Fragen und Methoden nähert.

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Im Folgenden wird das Panorama hauptsächlich unter zwei Gesichtspunkten analysiert: als Kunstwerk im Kontext der zeitgenössischen tschechischen Malerei sowie, mit Blick auf das Sujet, im Verhältnis zu den politischen Ereignissen in seiner Entstehungszeit, wobei den öffentlich geführten Debatten eine grundlegende Rolle zukommt. Die Beobachtungen werden in Thesen überführt, die geeignet erscheinen, mögliche Spezifika der Bildaufgabe Panorama unter den Bedingungen des östlichen Mitteleuropa um 1900 aufzuspüren.

Anlass und Kontext: Die Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens in Prag 1898 Im Jahr 1897 lancierte der Verein tschechischer Architekten und Ingenieure die Idee einer großen Ausstellung für das folgende Jahr. Begründet wurde das Vorhaben mit den bevorstehenden infrastrukturellen Maßnahmen in Prag, für die es einheimisches Know-how vorzuführen galt. Unausgesprochen spielte bei der Wahl des Zeitpunkts sicher eine Rolle, dass die Ausstellung im Sommer 1898 in die Feierlichkeiten zum fünfzigjährigen Thronjubiläum Kaiser Franz Josephs I. fallen und so größere Aufmerksamkeit gerade von staatsoffizieller Seite auf sich ziehen würde. Diese Idee wuchs rasch zum Projekt einer umfassenden Präsentation nicht nur der Architektur und des Ingenieurwesens, sondern praktisch sämtlicher technischen Fächer und Gewerbezweige. Entscheidend war von Anfang an, dass – wie schon im Fall der beiden Vorgängerveranstaltungen seit 18914 – ausschließlich die Leistungsfähigkeit tschechischer Fachleute beworben werden sollte: Die parallelen deutschböhmischen Standesund Berufsverbände wurden unter Verweis auf ihre – ob vorgebliche oder wirkliche – Vorrangstellung nicht zur Mitwirkung eingeladen.5 Die Planungen konnten erst im Herbst des Vorjahres konkrete Formen annehmen.6 Das Organisationskomitee unter Federführung der Handels- und Gewerbekammer7 4 Hlavačka, Milan: Jubilejní výstava 1891 [Die Jubiläumsausstellung 1891]. Praha 1991; Brouček, Stanislav; Pargač, Jan; Sochorová, Ludmila; Štěpánová, Irena: Mýtus českého národa aneb Národopisná výstava českoslovanská 1895 [Der Mythos der tschechischen Nation oder Die Tschechoslawische ethnografische Ausstellung 1895]. Praha 1996. 5 Zur Planungsgeschichte des Vorhabens vgl. insbes.: Kavka, B[ohumil]: Výstava architektury a inženýrství [...] [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens < ... >]. In: Zprávy spolku architektů a inženýrů v království Českém 32 (1898), S. 27–29, 53–55, 92–94; „Ž“: Výstava architektury a inženýrství I. [...] [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens I. < ... >]. In: Světozor 32 (1897/98), Nr. 31, 10. 6. 1898, S. 368–370; Výstava architektury a inženýrství v Praze roku 1898 [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens in Prag im Jahr 1898]. In: Národní listy Nr. 295, 24. 10. 1898, S. 2. In dramatischer Zuspitzung auf die Verteidigung nationaler Interessen: Čížek, Ludvík: Výstava architektury a inženýrství [Die Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens]. In: Osvěta 28 (1898), S. 754–759, S. 755 f. 6 Meldung: Výstava architektury a inženýrství v Praze r. 1898 [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens in Prag im Jahr 1898]. In: Národní listy Nr. 246, 5. 9. 1897, S. 3. 7 Detaillierte Information über die Organisationsstruktur sowie die involvierten Körperschaften und Personen in: „Ž“: Výstava I. (wie Anm. 5) und Kavka (wie Anm. 5).

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Der „Untergang tschechischer Demokratie“ als Spektakel

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beschloss auch eine Reihe von Attraktionen, wie sie alle Veranstaltungen dieser Art begleiteten, um die Besucherzahlen über das unmittelbar interessierte Publikum hinaus zu steigern: darunter ein Theater für populäres Schauspiel und Konzerte, aber auch für Bildungsvorträge,8 eine „Künstlerkneipe“ („U Nesmysla“ – Zum Unsinn), das Freilichtmuseum eines „tschechoslawischen Dorfes“, das seit der Ethnographischen Ausstellung von 1895 noch existierte, und der erste „Kinematograf“ in Böhmen9 sowie schließlich das Panorama.10 Nicht realisiert wurden eine Eislaufbahn und eine Ruhmeshalle nationaler Geistesgrößen („Slavín“).11 Die Bilanz des Unterfangens fiel unrühmlich aus. Das hohe finanzielle Defizit lastete man hauptsächlich der ausgebliebenen Subventionierung seitens des Staates12 an; es wurde nachträglich durch eine Lotterie sowie durch Spenden national gesinnter Gemeinden, Unternehmen und Körperschaften ausgeglichen.13 Die Veranstalter zeigten sich zwar zufrieden mit dem Integrationseffekt – war die Ausstellung in der nationalen Konkurrenzsituation auch als Demonstration „nach außen“ gedacht, so sollte sie doch in erster Linie tschechische Auftraggeber und Konsumenten animieren, dem Können ihrer Konnationalen zu vertrauen.14 Aber sie mussten auch eingestehen, dass vor allem das begleitende Bildungsprogramm weitaus schlechter angenommen worden war als erhofft.15 Das Panorama sollen während der viermonatigen Ausstellungsdauer vom 15. Juni bis zum 15. Oktober 1898 immerhin rund 82.000 Neugierige besichtigt haben, das entspricht rund einem Siebtel der Gesamtbesucherzahl der 8 Zu den Attraktionen: Průvodce panoramou Bitva u Lipan (wie Anm. 1), S. 33–37; „Ž“: Výstava architektury a inženýrství III. [...] [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens III. < ... >]. In: Světozor 32 (1897/98), Nr. 36, 15. 7. 1898, S. 426 f., und Nr. 37, 22. 7. 1898, S. 440 f., hier S. 426 f. und 440; Předběžné práce výstavy architektů a inženýrů [Vorbereitungsarbeiten für die Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens]. In: Národní listy Nr. 41, 10. 2. 1898, S. 2; „La“: Výtvarné umění. Na jevišti české práce [Bildende Kunst. Auf der Bühne tschechischer Arbeit]. In: Národní listy, Beilage zu Nr. 58, 27. 2. 1898, S. 13; Čížek (wie Anm. 5). 9 „Ž“: Výstava III. (wie Anm. 8), S. 440 f. 10 Panoramen gehörten seit ca. 1880 zum Standardprogramm unter den Attraktionen auf Industrie- und Gewerbeausstellungen. Vgl. dazu Oettermann, Stephan: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums. Frankfurt am Main 1980, S. 201. Vgl. auch den Bericht über die Leipziger Ausstellung 1897: Kučera, Vratislav: Výstava v Lipsku III. [Ausstellung in Leipzig III.]. In: Národní listy, Beilage zu Nr. 216, 6. 8. 1897, unpaginiert. 11 Kavka (wie Anm. 5), S. 28. Vgl. auch die Meldung: Výstava architektury a inženýrství (wie Anm. 6). 12 Das wird hervorgehoben in „ž“: Výstava I. (wie Anm. 5), S. 369, und in: B. K. [Bohumil Kavka]: Výstava architektury a inženýrství v Praze 1898 [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens in Prag 1898]. In: Zprávy spolku architektů a inženýrů v království Českém 34 (1900), S. 9–12, hier S. 10 f. 13 Vgl. die kommentierte Bilanz in B. K. [Bohumil Kavka]: Výstava architektury a inženýrství v Praze r. 1898 [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens in Prag im Jahr 1898]. In: Zprávy spolku architektů a inženýrů v království Českém 35 (1901), S. 96–98; Informationen zum Defizit und den Spendenaktionen in: Kavka (wie Anm. 5), S. 55; B. K. 1900 (wie Anm. 12), S. 11. 14 „Ž“: Výstava I. (wie Anm. 5), S. 369. Vgl. die Rede des Vorsitzenden des Organisationskomitees zum offiziellen (wirtschaftlichen) Abschluss des Ausstellungsunternehmens, abgedruckt in: B.  K. 1901 (wie Anm. 13), S. 97. 15 B. K. 1900 (wie Anm. 12), S. 10.

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Ausstellung.16 Man hatte – ähnlich wie früher beim tschechischen Nationaltheater17 – Gruppenreisen aus Provinzstädten organisiert,18 und Interessenvertreter der Kleinbürger und Arbeiter hatten in Teilen erfolgreich für eine Senkung des Eintrittspreises agitiert, um auch diesen „kleinen Leuten“ den Besuch zu ermöglichen, für die gerade das Panorama in erster Linie gedacht sei.19

Die Genese des Panoramas Wie es zur Wahl des Themas und zur Auftragsvergabe an Luděk Marold kam, lässt sich nur mehr in groben Zügen nachvollziehen: Die Idee zu einem Panorama als Spektakel kam im Organisationskomitee der Ausstellung auf;20 dieses bat dann den nationalen Kunstverein Umělecká beseda als Expertengremium, für die konkrete Konzeption zu sorgen. Nach Aufzeichnungen der Abteilung für bildende Kunst der Umělecká beseda war es Luděk Marold selbst, der die Schlacht bei Lipany vorgeschlagen hatte,21 wäh16 Zítko, Karel: Průvodce po Maroldově panoramatu Bitva u Lipan s rozpravou o lipanské tragoedii pro návštěvníky panoramatu i skutečného bojiště [Führer zu Marolds Panorama der Schlacht bei Lipany mit einer Abhandlung über die Tragödie von Lipany für Besucher des Panoramas wie auch des realen Schauplatzes der Schlacht]. 3. Aufl. Nové Benátky 1923, S.  7. In zeitgenössischen Berichten sind keine Besucherzahlen – sei es des Panoramas oder der Ausstellung insgesamt – greifbar. Lediglich B. K. 1900 (wie Anm. 12), S. 10, beklagt, dass die Einnahmen aus Eintrittsgeldern mit 133.000 Gulden weit hinter dem kalkulierten Volumen von 200.000 Gulden geblieben seien. Der Vergleich zwischen Besucherzahlen von Panoramen ist schwierig, weil die Literatur nicht die Zeiträume angibt, auf welche sich die Zahlen beziehen. Comment, Bernard: Das Panorama. Die Geschichte einer vergessenen Kunst. Berlin 2000, S. 115, gibt für Paris in den 1870er und 1880er Jahren einen Jahresdurchschnitt von 200.000 Besuchern an. Nach Oettermann (wie Anm. 10), S. 191 f., wurde das 1898 in München ausgestellte Rom-Panorama von 17.000 bis 20.000 Menschen besichtigt; das Berliner Sedan-Panorama hatte während der gesamten Dauer seines Bestehens von 1883 bis 1908 weit über eine Million Besucher. 17 Šubert, Fr[antišek] Ad.: Národní divadlo v Praze. Dějiny jeho i stavba dokončená [Das Nationaltheater in Prag. Seine Geschichte und sein vollendetes Gebäude]. Praha 1881, Teil III [1883], S. 365–371. 18 Vgl. z. B. die organisatorischen Hinweise in Národní listy Nr. 222, 13. 8. 1898, S. 2 f. 19 Dies wird in der Meldung in: Zlatá Praha Nr. 36, 15.7.1898, S. 432, betont. Vgl. zu den Eintrittspreisen und ihrer Senkung für bestimmte Zeiten außerdem die Appelle: Výstava architektury a inženýrství v Praze. Z výstavní kroniky [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens in Prag. Aus der Ausstellungschronik]. In: Národní listy Nr. 182, 4.  7.  1898, S.  1  f.; Panorama Bitva u Lipan [Das Panorama Schlacht bei Lipany]. In: Národní listy Nr. 222, 13. 8. 1898, S. 2. Die Preissenkungen zu festgelegten Stunden an bestimmten Tagen waren durchaus üblich; vgl. dazu Oettermann (wie Anm. 10), S. 191; Comment (wie Anm. 16), S. 115. 20 Kavka (wie Anm. 5), S. 28. 21 Sitzungsprotokoll der Sektion bildende Kunst der Umělecká beseda (Výtvarný odbor Umělecké besedy, VOUB) vom 1.  10.  1897. Památník národního písemnictví, Praha [Archiv des nationalen Schrifttums, Prag], Umělecká beseda, Kart. C59; vgl. Orlíková, Jana: Luděk Marold (1865–1898). Ausstellungskatalog Prag. Praha 1999, S.  99 (dort aus dem Protokoll zitiert, jedoch ohne genauen Beleg). Im Geschäftsbericht der Abteilung bildende Kunst der Umělecká beseda für das Jahr 1897 heißt es hingegen, dass das Gremium dem Organisationskomitee der Ausstellung auf dessen Anfrage hin Marold als ausführenden Künstler empfohlen habe, „der auch mit dem vorgeschlagenen Motiv ‚Schlacht bei Lipany‘ einverstanden gewesen“ sei. Ebd., Kart. C56. Vgl. dazu auch die Informati-

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rend andere, nicht weniger glaubwürdige Berichte davon sprechen, dass ihm das Sujet „vorgeschrieben“ worden sei.22 Es setzte sich „nach längerer Debatte“23 innerhalb wie auch außerhalb der Umělecká beseda und nach Konsultationen mit „Experten“24 durch: zuletzt gegen die Schlacht bei Taus von 1431, in der die Hussiten den Kreuzzügen gegen sie ein Ende gesetzt hatten und die daher – im Gegensatz zur Schlacht bei Lipany – als größter nationaler Triumph dieser Epoche erinnert wurde.25 Alternativen zur hussitischen Thematik waren offenkundig nicht ernsthaft in Betracht gezogen worden. Das nach einem Entwurf des Architekten Jiří Justich in Zimmerwerk errichtete Gebäude stand Anfang Februar 1898 bereit (Abb.  1).26 Es war vergleichsweise bescheiden dimensioniert und auch gestaltet: zwölfeckig im äußeren Grundriss, mit einer Fassade, die von einer Vorhalle mit zwei flankierenden massigen Türmen markiert wurde, welche in ihren Erdgeschossen die Kasse und eine Schreibstube aufnahmen.27 Die Malerei und die Staffierung wurden dann – pünktlich zum Eröffnungstag der Ausonen bei Zítko (wie Anm. 16), S.  5; Petřík, Josef: Vznik Maroldova panoramatu [Die Entstehung von Marolds Panorama]. In: Maroldovo panorama Bitva u Lipan [Marolds Panorama Schlacht bei Lipany]. o. O. [Praha] 1932, S. 8 f. 22 So Mádl, Karel B.: Panorama bitvy u Lipan. In: Zlatá Praha Nr. 36, 15. 7. 1898, S. 423, und Nr. 37, 22. 7. 1898, S. 438 f., hier S. 423. Tyršová, Renáta: Panorama bitvy u Lipan na výstavě architektury a inženýrství [Das Panorama der Schlacht bei Lipany auf der Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens]. In: Osvěta 28 (1898), S. 949–952, hier S. 949, schreibt, dass über die Themenwahl „nicht von den beteiligten Künstlern entschieden worden“ sei. 23 Sitzungsprotokoll vom 1. 10. 1897 (wie Anm. 21). 24 Nach Petřík (wie Anm. 21), S. 9, hat das Organisationskomitee der Ausstellung eigens eine Expertenkommission einberufen. Die Primärdokumentation zu der Ausstellung befindet sich im Národní technické muzeum (Nationalmuseum für Technik) in Prag, dessen Archiv auf unbestimmte Zeit geschlossen ist. 25 Widerstände gegen die Themenwahl kommentieren z.  B. „La“: Výtvarné umění (wie Anm. 8) und Tyršová (wie Anm. 22), S.  949. Vgl. auch Zítko (wie Anm. 16), S.  5, und Petřík (wie Anm. 21), S. 8, dem zufolge die Schlacht bei Taus von Jan Herain, dem Vorsitzenden des Organisationskomitees, vorgeschlagen wurde; vgl. dazu auch Čornej, Petr: Lipanské ozvěny [Echos von Lipany]. Praha 1995, S. 94. Der Führer von 1948 nennt noch weitere historische Ereignisse, die zeitweilig in der Diskussion waren. Průvodce po Maroldově panoramatu „Bitva u Lipan“ s historickou rozpravou [Führer zu Marolds Panorama „Schlacht bei Lipany“ mit einer historischen Abhandlung]. 7. neu bearb. Aufl. Hg. v. Verein Tschechoslowakischer Architekten und Ingenieure. Praha 1948, S. 5. 26 Vgl. u. a.: „Ž“: Výstava III. (wie Anm. 8), S. 426. 27 Výstava architektury a inženýrství spojená s výstavou motorů a pomocných strojů pro maloživnostníky, s přidruženou výstavou vynálezů pro živnostníky a s odbornou výstavou klempířů zemí koruny České v Praze 1898. Hlavní katalog a průvodce [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens, verbunden mit einer Ausstellung von Motoren und Hilfsmaschinen für Kleingewerbetreibende, mit angegliederter Ausstellung von Erfindungen für Gewerbetreibende und einer Fachausstellung für die Klempner der Länder der böhmischen Krone in Prag 1898. Hauptkatalog und Führer]. Red. v. Josef Kafka. O. O., o. J. [Praha 1898], S. 34; Průvodce panoramou Bitva u Lipan (wie Anm. 1), S. 8; „Ž“: Výstava III. (wie Anm. 8), S.  426. Zur üblichen Bauweise der Panorama-Rotunden vgl. Lieblein, Jacob; Wagner, Heinrich: Panoramen. In: Handbuch der Architektur. IV. Theil, 4. Abt.: Gebäude für Erholungs-, Beherbergungs- und Vereinszwecke. Hg. v. Eduard Schmitt unter Mitwirkung v. Josef Durm u. Hermann Ende. 2. Heft, 7. Abschnitt: Sonstige Baulichkeiten für Vergnügen und Erholung. 3. Aufl. Stuttgart 1904, S. 272–288.

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Abb. 1  Die Panoramarotunde auf der Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens in Prag 1898.

stellung und damit in Rekordzeit28 – an Ort und Stelle ausgeführt.29 Mit Marold, der für die Konzeption des Bildes und, unterstützt von Teodor Hilšer, für die Ausführung der Figuren zuständig war, arbeiteten daran vier Spezialisten: der Landschaftsmaler Václav Jansa, der Pferdemaler Ludvík Vacátko, der Experte für die Übertragung der Entwürfe auf die Leinwand mittels Lichtprojektion Karel Rašek und Karel Štapfer als

28 Dies wurde in der Presse immer wieder mit Stolz vermerkt; in gleichem Duktus auch noch Orlíková (wie Anm. 21), S. 101. Oettermann (wie Anm. 10), S. 190, gibt die durchschnittliche Produktionsdauer mit 6 bis 12 Monaten an. Allerdings war das Panorama mit 11 Metern Leinwandhöhe, 90 Metern Länge und 30 Metern Durchmesser auch deutlich kleiner als üblich; vgl. „Ž“: Výstava III (wie Anm. 8), S. 426; „Hda“: Panorama bitvy u Lipan na výstavě architektury a inženýrství [Das Panorama der Schlacht bei Lipany auf der Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens]. In: Národní politika Nr. 113, 24. 4. 1898, S. 3 f., hier S. 4; Führer zum Panorama: Průvodce panoramou Bitva u Lipan (wie Anm. 1), S. 8; L. Marold. Bitva u Lipan. S básní Svatopluka Čecha [L. Marold. Schlacht bei Lipany. Mit einem Gedicht von Svatopluk Čech]. Praha o. J. [1898], S. XI; Zítko (wie Anm. 16), S. 12. Aufschlussreich ist, dass die Größe in der Presse mehrfach weit übertrieben wurde; so sprechen die Národní listy von 300 Metern Leinwandlänge (Předběžné práce, wie Anm. 8), ebenso Kavka (wie Anm. 5), S. 28. Im Deutschen Reich wiesen die Panorama-Pavillons gegen Ende des 19. Jahrhunderts üblicherweise einen Durchmesser von 38–39 Metern auf und konnten Leinwände mit etwa 15 Metern Höhe und 120 Metern Länge aufnehmen. Diese „Normierung“ ermöglichte es, die Rundgemälde an verschiedenen Orten zu zeigen. Oettermann (wie Anm. 10) S. 194, 200; Comment (wie Anm. 16), S. 66; vgl. auch Kemp, Wolfgang: Die Revolutionierung der Medien im 19. Jahrhundert. Das Beispiel Panorama. In: Moderne Kunst. Das Funkkolleg zum Verständnis der Gegenwartskunst. 2 Bde. Hg. v. Monika Wagner in Zusammenarbeit mit Franz-Joachim Verspohl und Hubertus Gassner. Reinbek bei Hamburg 1997, Bd. 1, S. 75–93, hier S. 76. 29 Andernorts etablierte sich inzwischen die Produktion in speziellen Fabrikhallen, vor allem um das Gebäude nicht zu lange zu blockieren. Vgl. dazu Oettermann (wie Anm. 10), S. 190.

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Experte für die Gestaltung des faux terrain.30 Während das Haus im Bau war, nahmen Marold und Václav Jansa die Topografie am Ort des Geschehens auf und studierten – oder eher: rekonstruierten – historische Realien: Kostüme, Waffen, nicht zuletzt die legendären hussitischen Wagen und Wagenburgen,31 bei alledem unterstützt von dem dilettierenden Historiker und Hussitenspezialisten Hugo Toman, der ihnen auch die Forschungsergebnisse von František Palacký und Václav Vladivoj Tomek vermittelte.32 Diese Verfahren zur Herstellung der Suggestion wissenschaftlicher bzw. reportagehafter „Objektivität“ gehörten zur Topik der Gattung33 und wurden in diesem Fall von der Presse immer wieder gewürdigt.34 Dennoch blieb den Malern Kritik nicht erspart,35 allerdings beschränkte sie sich vor allem auf Details der Requisiten, während an Komposition und Dramaturgie, der Charakterisierung der Hauptfiguren und der Malweise keinerlei Zweifel aufkamen.

Exkurs: Zur Nachgeschichte des Panoramas Nach Abschluss der Ausstellung versuchte das Organisationskomitee, das Panorama – wie andere für die Ausstellung errichtete Pavillons – zu verkaufen, jedoch ohne Erfolg. Auch die Bemühungen, es der Stadt Prag zu übereignen und auf dem Karlsplatz in der Neustadt aufstellen zu lassen, schlugen fehl, ebenso das Ansinnen, dass es die (staatliche) Moderne Galerie in ihre Obhut nehmen sollte.36 Das Panorama verblieb im

30 Průvodce panoramou Bitva u Lipan (wie Anm. 1), S.  8; L. Marold. Bitva u Lipan (wie Anm. 28), S. XI. Außerdem wurden die Künstler in der Presse wiederholt genannt und bei der Arbeit „beobachtet“; vgl. Čapek, K[arel] M[atěj]: „Bitva u Lipan“ v práci [Die „Schlacht bei Lipany“ in Arbeit]. In: Světozor 32 (1897/98), Nr. 23, 22. 4. 1898, S. 273 f., Abb. noch auf S. 270 f. Die Projektionstechnik war seit den 1860er Jahren in Gebrauch. Grau, Virtuelle Kunst (wie Anm. 3), S. 79 f. 31 Vgl. u. a. „La“: Výtvarné umění (wie Anm. 8); Výstava architektury a inženýrství v Praze [Ausstellung der Architektur und des Ingenieurwesens in Prag]. In: Národní politika Nr. 146, 28.  5.  1898, S. 2 f.; Průvodce panoramou Bitva u Lipan (wie Anm. 1), S. 8. 32 Vgl. die Angaben in Anm. 31, außerdem „Ž“: Výstava III. (wie Anm. 8), S. 426. Toman hatte einige Jahre zuvor eine detaillierte Studie über den Verlauf der Schlacht bei Lipany vorgelegt: Toman, Hugo: O bitvě u Lipan. Poměry válečné a taktický postup boje, dle pramenů podává [...] [Über die Schlacht bei Lipany. Die Verhältnisse zwischen den Kriegsparteien und das taktische Vorgehen im Kampf. Nach Quellen dargelegt von < ... >]. In: Osvěta 20 (1890), S. 861–874 und S. 1083–1097. Noch während der Arbeit an dem Panorama ist Toman im März 1898 gestorben, vgl. den Nachruf in Světozor 32 (1897/98), Nr. 20, 25. 3. 1898, S. 238. 33 Vgl. dazu Comment (wie Anm. 16), S. 129; Oettermann (wie Anm. 10), S. 206. 34 Vgl. beispielhaft die Angaben in Anm. 31 und 32; auch Mádl, Panorama (wie Anm. 22), S. 423, und Tyršová (wie Anm. 22), S. 950. 35 Zusammengefasst bei Mádl, Panorama (wie Anm. 22), S. 438, und Tyršová (wie Anm. 22); Zítko (wie Anm. 16), S. 9 f. und 13. 36 B. K. 1900 (wie Anm. 12), S. 12; Zítko (wie Anm. 16), S. 7 f.; Čtrnáctý, Miloš: Vznik a osud Maroldovy panoramy „Bitva u Lipan“ [Entstehung und Schicksal von Marolds Panorama „Schlacht bei Lipany“]. In: Národní politika Nr. 69, 20. 3. 1929, S. 3, Abb. S. 4 f.; Průvodce 1948 (wie Anm. 25), S. 7.

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Eigentum des Vereins tschechischer Architekten und Ingenieure37 und stand weiterhin für Besichtigungen offen. Nach zehn Jahren, anlässlich der Jubiläumsausstellung der Handels- und Gewerbekammer 1908, musste es an eine weniger exponierte Stelle auf dem Messegelände versetzt werden.38 Im Winter 1929 stürzte die hölzerne Rotunde unter der Schneelast ein und begrub die Leinwand unter sich. Diese wurde „in Fetzen“ geborgen,39 und die Eigentümer beschlossen „aus ethischen Erwägungen“, das Panorama restaurieren zu lassen und neu zu installieren.40 Dies gelang wegen größter Schwierigkeiten bei der Mittelbeschaffung erst fünf Jahre später.41 Im neuen Pavillon – einem wiederum zwölfeckigen, nunmehr schmucklosen Stahlbetonskelettbau des funktionalistischen Architekten Vojtěch Krch, der bis heute unverändert besteht – wurde das Panorama 1934 am Jahrestag der Schlacht bei Lipany „im Beisein zahlreicher Mitglieder der tschechoslowakischen Regierung und herausragender Persönlichkeiten aus der Kunst, Wissenschaft, Intelligenz, Arbeiterschaft, dem Journalismus und der Politik“ feierlich wiedereingeweiht.42 Dass das Panorama bis heute, wenn auch kaum beachtet, auf dem Prager Messegelände erhalten blieb, ist hauptsächlich zwei Faktoren zu verdanken: Marolds frühem Tod – noch im Jahr 1898 –, der die Wertschätzung des Rundgemäldes als Kunstwerk, ja als Denkmal nationaler Kunst hochschnellen ließ, und der Adaptierbarkeit des Sujets für den wechselnden Deutungsbedarf der nachfolgenden historischen Staatssysteme. So hebt der Führer von 1923 gleich eingangs nicht nur hervor, dass das Panorama „zu den größten und wertvollsten Schöpfungen tschechischer Malerei gehört“: Vielmehr gelte es auch, die – wiewohl „schmerzliche“ – „Wahrheit“ im öffentlichen Bewusstsein wach zu halten, dass die „tschechische Demokratie“, die im Bruderkrieg von Lipany durch eigene Schuld untergegangen sei, erst mit der Gründung des selbstständigen tschechoslowakischen Staates „am 28. Oktober 1918 glorreich zu neuem Leben erweckt wurde“.43 Im Jahr der Regierungsübernahme durch die kommunistische Partei 1948 wiederholt die 7. Auflage des Führers das Kunsturteil wörtlich und beschwört das Werk als Mahnung, „in unseren Herzen dafür zu sorgen, dass sich Lipany nie mehr wiederholen kann. [...] Die moralische Lehre, die der Blick auf Marolds Werk bewirkt, [stellt uns vor Augen], wohin Uneinigkeit und Zwietracht führen, 37 Heute befindet es sich im Eigentum der Betreibergesellschaft des Prager Messegeländes, der slowakischen Firma Incheba Expo; vgl. http://www.incheba.cz/areal-vystaviste/maroldovo-panorama.html (Aufruf 13. 3. 2013). 38 Zítko (wie Anm. 16), S. 8; Průvodce 1948 (wie Anm. 25), S. 7. 39 Čtrnáctý (wie Anm. 36), S. 3. 40 Ženatý, Emil: Nová budova a obnovený obraz [Das neue Gebäude und das wiederhergestellte Gemälde]. In: Maroldovo panorama (wie Anm. 21), S. 10 f., hier S. 10. 41 Die Finanzierung wurde über Sammlungen und mithilfe eines Darlehens der Stadt Prag bewerkstelligt. Průvodce 1948 (wie Anm. 25), S. 11. Die Broschüre von 1932 diente der Werbung um Spenden, vgl. Ženatý (wie Anm. 40), S. 11. Die Restaurierung wurde von einer Künstler- und Expertenkommission unter Vorsitz von Alfons Mucha organisiert. Průvodce 1948 (wie Anm. 25), S. 10. 42 Ebd., S. 3, vgl. auch S. 10. 43 Zítko (wie Anm. 16), S. 5.

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[aber auch,] dass ein Tscheche nur von einem Tschechen besiegt und niedergerungen werden kann“.44

Das Gemälde zwischen Panorama- und Historienmalerei Mit seinem Kriegssujet reihte sich das Gemälde in eine inzwischen reiche und fest etablierte Tradition der Schlachtenpanoramen ein, deren Inkunabel und Maßstab im Horizont der Zeit Anton von Werners Sedan-Panorama war. Der Bildtyp zeichnete sich durch ein Kompositionsprinzip aus, das allenfalls Rhythmisierung erlaubte, zuvorderst aber für gleichmäßige Präsenz des Kampfgetümmels rundum sorgte, um den gewünschten Illusionseffekt zu erzielen und den Betrachtern „Immersion“45 zu er-

Abb. 2  Luděk Marold: Panorama der Schlacht bei Lipany, Hauptszene.

Abb. 3  Luděk Marold: Panorama der Schlacht bei Lipany, eine Nebenszene. 44 Průvodce 1948 (wie Anm. 25), S. 6. 45 So der Begriff von Grau, Virtuelle Kunst (wie Anm. 3).

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Abb. 4  Führer zum Panorama der Schlacht bei Lipany, Titelblatt.

Abb. 5  Luděk Marold: Panorama der Schlacht bei Lipany, Hauptszene.

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möglichen. Marold wählte hingegen eine andere, diesem Prinzip geradezu entgegengesetzte Konzeption: Er bestimmte eine Hauptszene, „ein großes zentrales Knäuel“, aus dem „die Horden und verstreuten Einzelkämpfer heraus stoßen und sich bis in die niedere Ebene verlaufen, immer spärlicher“ (Abb. 2, 3).46 Den dramatischen Angelpunkt der Komposition artikulierte Marold mittels einer paradoxen Wendung: der Stillstellung einer Figurengruppe inmitten des wirren Schlachtgetümmels, welches die Hauptszene ausmacht (Abb. 4, 5). Diesen Anblick hat der Besucher vor sich, sobald er die Treppe auf die Plattform erklommen hat. Hervorgehoben durch aufragende Standarten, steht der Befehlshaber der Taboriten, Prokop der Kahle, mit seinen Getreuen dicht beieinander und wie erstarrt auf einem Wagen in dem Moment, da sie begreifen, dass die Schlacht verloren ist:47 Die Wagenburg wurde infolge einer List gerade durchbrochen, und der Ko-Befehlshaber, Anführer der sogenannten „Waisen“ Jan Žižkas, hat die ausweglose Situation erkannt und die Flucht ergriffen – ein zweiter, allerdings deutlich schwächerer Schwerpunkt der Komposition einige Schritte auf der Besucherplattform nach links von der Hauptszene. Dazwischen öffnen sich Ausblicke auf das Schlachtfeld mit flüchtig skizzierten, weit entrückten und luftperspektivisch verwischten Kampfszenen, die eher Atmosphäre vermitteln als die physische Präsenz konkreten Kampfgeschehens. Auch wenn man in Betracht zieht, dass dem „Porträt des Schauplatzes“ das gleiche Gewicht zukam wie den szenischen Komponenten – schon weil man damit rechnen musste, dass viele Besucher die Örtlichkeit kannten und ihre Wiedergabe „prüfen“ würden –,48 erscheint die nur eingeschränkt gattungskonforme Konzeption der Schlachtendarstellung erklärungsbedürftig. Dass hierzu der Verweis auf die knapp bemessene Produktionszeit und auf die mangelnde Erfahrung Marolds in der Panoramamalerei nicht ausreicht, merkte schon die zeitgenössische Kunstkritik an. Karel B. Mádl und Renáta Tyršová, beide profilierte Kunstkritiker aus dem national orientierten Lager, kommentierten das Panorama unter künstlerischen Gesichtspunkten,49 während sich die gedruckten Führer auf die Vermittlung des dargestellten historischen Geschehens konzentrierten und Informationen über das Panorama als Artefakt nur ergänzend lieferten. Mádl und Tyršová hoben als Einzige das Vorhandensein und vor allem die 46 So Mádl, Panorama (wie Anm. 22), S. 438. 47 Die Szene gibt den entsprechenden Passus bei Toman (wie Anm. 33), S.  872, geradezu illustrativ wieder. Der Führer L. Marold. Bitva u Lipan (wie Anm. 28) beschränkt sich zur Erläuterung des Gemäldes auf Auszüge aus Tomans Text und beschreibt die Szene daher in dessen Worten (S. XI). Der zweite zeitgenössische Führer, Průvodce panoramou Bitva u Lipan (wie Anm. 1), paraphrasiert die Ausführungen František Palackýs und Tomans stark verkürzt, gibt aber ebenfalls die Lesart vor, dass Prokop und seine Getreuen „angesichts [der] entscheidenden und vollständigen Niederlage nicht einmal mehr die Wagenburg verließen, sondern an Ort und Stelle gemeinsam mit ihren Brüdern den Tod wählten“ (S. 7). 48 Auch für Panoramen von Schlachten des Deutsch-Französischen Kriegs im Deutschen Reich ist eine solch „überprüfende“ Rezeption belegt: Bartmann, Dominik: Katalog. In: Anton von Werner. Geschichte in Bildern. Hg. v. dems. Ausstellungskatalog Berlin. München 1997, S.  271; Comment (wie Anm. 16), S. 129. 49 Mádl, Panorama (wie Anm. 22); Tyršová (wie Anm. 22).

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Konzeption der Haupt- und Schlüsselszene hervor, Mádl brachte diese explizit mit dem Lessingschen „prägnanten Augenblick“ in Verbindung.50 Die schreibenden Betrachter des Gemäldes nahmen die Hauptfiguren durchaus in Nuancen unterschiedlich wahr, aber alle erkannten sie in der Szene den Moment, in dem das Geschehene sich verdichtet und gleichzeitig das Künftige als Vorschein schon präsent ist – sei es der unmittelbar bevorstehende Tod Prokops des Großen und seines Gefolges oder das Ende der hussitischen Bewegung, also der „Untergang der tschechischen Demokratie im Bruderkrieg“. Marold versuchte offenbar, die formalen Eigenschaften und Wirkungsstrategien eines Schlachtenpanoramas mit denen einer als Historienbild konzipierten Schlachtendarstellung zur Synthese zu bringen.51 Möglicherweise wollte er sich im Prager Milieu für Aufgaben der Monumentalmalerei empfehlen.52 Entscheidend dürfte aber sein, dass er damit das Werk aufwertete: ihm eine „ideelle Botschaft“ einschrieb und es so über die bloße, mit einem belehrenden Mehrwert ausgestattete Sensation hinaushob. Aus diesem Befund lässt sich eine erste These folgern: Während kommerzielle Panoramaunternehmen attraktive, nicht selten emotional ansprechende Sujets nutzten, um ein möglichst zahlreiches Publikum für das spektakuläre Medium zu gewinnen, verhielt es sich hier tendenziell umgekehrt. Auch wenn die Idee zu dem Panorama im Rahmen der Ausstellung zunächst ökonomischen Erwägungen geschuldet war,53 wurden diese im Zuge der Auseinandersetzungen um den historischen Stoff schließlich durch agitatorische Absichten einer Interessengruppe überlagert: Das Medium hatte dafür zu sorgen, dass die im Bild – oder genauer: im Bildsujet und seiner spezifischen Interpretation – artikulierte Botschaft ein möglichst breites Publikum erreichte. Dennoch bleibt das Panorama in seinen künstlerischen Qualitäten ambivalent.54 Der für die Bildgattung charakteristische Naturalismus kommt nur punktuell zur Geltung, besonders entlang der „Naht“ zwischen faux terrain und Leinwand. Vorherrschend ist ein Eindruck, der zwischen der Akzentuierung der Idee und einer nahezu impressionistischen, suggestiv skizzenhaften Malweise oszilliert – zwei Orientierun50 Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei (1766); vgl. Hoffmann, Detlef: Bedeutungsvolle Momente. Bemerkungen zur deutschen Geschichtsmalerei im 19. Jahrhundert. In: Bilder der Macht – Macht der Bilder. Zeitgeschichte in Darstellungen des 19. Jahrhunderts. Hg. v. Stefan Germer u. Michael F. Zimmermann. München–Berlin 1997, S. 324–351, hier S. 333; Mádl, Panorama (wie Anm. 22), S. 438. Tyršová (wie Anm. 22), S. 951, spricht von einem „Kompositionsmotiv alten Stils“, das sie – trotz der Rundform der Leinwand – „direkt in der Mitte“ angeordnet sieht. 51 Vgl. dazu Mádl, Panorama (wie Anm. 22), S. 438; Tyršová (wie Anm. 22), S. 949, 951; beide (S. 439 bzw. S. 950) bekräftigen diese Lesart mit der angedeuteten Kritik, dass die Hauptgruppe allein durch Größe noch stärker hätte herausgehoben werden können. Vgl. auch: Vycházky dělnictva do Maroldova panoramatu „Bitva u Lipan“ [Gruppenbesuche der Arbeiterschaft in Marolds Panorama „Schlacht bei Lipany“]. In: Právo lidu Nr. 257, 17. 9. 1899, Nedělní příloha [Sonntagsbeilage], unpaginiert. 52 Památce Luďka Marolda [Zum Gedenken an Luděk Marold]. Hg. v. Jednota umělců výtvarných v Praze. [Praha] 1899, S. 7; vgl. Orlíková (wie Anm. 21), S. 21. 53 Vgl. Čížek (wie Anm. 5), S. 757: um auch ein Publikum anzuziehen, dem das eigentliche Anliegen der Ausstellung „weniger am Herzen liegt“. 54 Das Folgende ist unter den Vorbehalt zu stellen, dass das Gemälde nach seiner Beschädigung 1929 restauriert wurde und dass das Ausmaß der Eingriffe nicht dokumentiert ist.

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gen, die in der sich pluralisierenden Malerei um 1900, mit divergenten Kunstidealen verknüpft, geradezu gegeneinander positioniert wurden. Als Mádl und Tyršová diese vexierbildhafte Doppelrolle des Panoramas zwischen Historiengemälde und quasifotografischem Blick in die Geschichte hervorhoben, wiesen sie damit die unkritische Begeisterung für den täuschenden „dokumentarischen“ Verismus in Schranken, mit der Teile der Presse Besucher anzulocken suchten,55 brachten die Nörgler zum Schweigen, die Fehler bei der Rekonstruktion vor allem der Realien bemängelten, und artikulierten zugleich auch feine – am Ende doch noch ins Positive gewendete – Kritik an Marolds Konzeption der Szenerie, die letztlich unentschieden zwischen den beiden Bildgattungen stehe. Als Einziger stellte Mádl klar, dass Historien- und Panoramamalerei unvereinbare Anforderungen an den Künstler stellten und dementsprechend auch konträre Wahrnehmungsformen provozierten: Während ein gerahmtes Bild in erster Linie als Kunstwerk betrachtet und gewürdigt werden müsse, gelte es im Falle des Panoramabildes, über seine Artefaktqualität hinwegzutäuschen und so auch die innere Instanz des Kunsturteils auszuschalten, um dem Betrachter die unmittelbare Teilhabe am Bildgeschehen zu ermöglichen.56 Marold habe sich, so Mádl, die künstlerisch legitimierte Freiheit genommen, historische Details großzügig zu interpretieren oder zu verschleiern, um gerade dadurch den Illusionseffekt zu erhöhen. Seine Figuren seien in Mimik und Gestik zeitgenössischen Sehgewohnheiten angepasst, deshalb gelinge es ihm, die Distanz zwischen dem Jahrhunderte zurückliegenden Ereignis und der Gegenwart ebenso wie die zwischen den Betrachtern und dem Bildgeschehen aufzuheben: Die „Wahrhaftigkeit“ suche Marold in glaubwürdigen Bewegungsmotiven und verachte „der schönen Linie“ verpflichtete „Posen“ ebenso sehr wie historischarchäologische Rekonstruktion.57

Der Künstler und sein Werk im zeitgenössischen nationalen Kunstdiskurs Eben in diesen Voraussetzungen dürfte der Schlüssel zur Frage nach der auf den ersten Blick irritierenden Wahl Luděk Marolds zum federführenden Künstler liegen: Mutet es doch überraschend an, dass mit dem riesigen Geschichtsgemälde ein Zeichner und Illustrator betraut wurde, der nur gelegentlich malte und, wenn überhaupt, dann auf den Spuren der Impressionisten – nicht aber einer der ausgewiesenen und routinierten Prager Historienmaler wie Václav Brožík, František Ženíšek oder Mikoláš Aleš. Aufschlussreich sind hier die zeitgenössisch publizierten Darstellungen von Marolds Werdegang und das damit verbundene Kunsturteil. Marold wird als autodidaktisch gewachsenes Zeichengenie charakterisiert, das sich dem Regelkorsett akademischer 55 Z. B. Čapek (wie Anm. 30), S. 274. 56 Mádl, Panorama (wie Anm. 22), S. 423, 438. 57 Ebd., S. 438; die Befähigung Marolds, das Ereignis durch die „Lebendigkeit“ der Figuren zu vergegenwärtigen, hebt nachdrücklich auch Tyršová (wie Anm. 22), S. 952, hervor.

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Ausbildung stets entzogen hat.58 Er war frühzeitig als minderbegabt von der Prager Akademie verwiesen worden und zeigte sich in München wie auch später in Paris gegenüber jeder Unterweisung als resistent. Der Erfolg eines seiner ersten Gemälde, einer Alltagsimpression vom Prager „Eiermarkt“,59 hatte ihm die Nominierung für eine Professur in „Dekorationsmalerei“ eingetragen, und er sollte sich mit einem staatlichen Stipendium in Paris auf dieses Amt vorbereiten. Dort entwickelte er sich dann aber rasch zu einem „international“ anerkannten Gebrauchsgrafiker.60 Er zeichnete für die französische und reichsdeutsche, auch für die tschechische illustrierte Presse, entwarf Plakate und bebilderte Literatur für Verlagshäuser in allen drei Ländern, darunter die ehrwürdige „Histoire de France“ von Victor Duruy, die der Verlag Hachette in den 1890er Jahren mit neuen Illustrationen herausbrachte.61 Marold erfüllte also die Anforderung, intuitiver Virtuose und Gegner der schematischen und zudem „entnationalisierenden“ Akademielehre zu sein: ein Kriterium, das im tschechischen Milieu – trotz entgegengesetzter Praxis – seit den 1870er Jahren Gültigkeit besaß.62 Die internationale Wertschätzung war ein weiteres wichtiges Moment.63 Gleichzeitig pflegte er von Paris aus steten Kontakt mit der Heimat64 und war Mitglied der Umělecká beseda, womit er seine nationale Gesinnung unter Beweis stellte. Seine wenigen Gemälde zeigen nahezu durchweg Alltagsszenen, die ohne narrative oder gar moralisch-belehrende Elemente auskommen, wie sie die traditionelle Genremalerei kennzeichneten, und stattdessen mit dem Farben- und Lichtspiel des leichten impressionistischen Pinselstrichs schnappschussartig Stimmungen einfangen.65 Die Kunstkritik überging seine Roman- und Geschichtsillustrationen ebenso wie die Gelegenheitsgrafiken, für die er verschiedenste Stile anbieten konnte (Abb. 6). Umso nachdrücklicher heben die zeitgenössischen Laudatoren Marolds Fähigkeit 58 M[ádl, Karel B.]: [ohne Titel]. In: Zlatá Praha Nr. 39, 5. 8. 1898, S. 466; Mádl, K[arel] B.: Luděk Marold. In: Volné směry 3 (1899), Sp. 175–186, hier Sp. 178; Památce Luďka Marolda (wie Anm. 52), S. 3 f.; Braunerová, Zdenka: [Nachruf]. In: Volné směry 3 (1899), Sp. 191–201, hier Sp. 195. 59 „Eiermarkt“, 1887; das Ölgemälde wurde auf der Akademieausstellung 1888 vom Kultusministerium für die „Moderne Galerie“ im Prager Rudolfinum angekauft. Heute befindet es sich in der Prager Nationalgalerie. Památce Luďka Marolda (wie Anm. 52), S. 3; vgl. Orlíková (wie Anm. 21), S. 39. 60 Die dichteste Biografie und Charakterisierung enthält Památce Luďka Marolda (wie Anm. 52); vgl. auch Orlíková (wie Anm. 21). 61 Abb. einer Zeichnung mit dem Einzug Karls VIII. in Florenz von 1891. ebd., S. 69, jedoch mit fehlerhaften Angaben (S. 71). 62 Marek, Michaela: Kunst und Identitätspolitik. Architektur und Bildkünste im Prozess der tschechischen Nationsbildung. Köln–Weimar–Wien 2004, S. 239–249. 63 Vgl. die Sammlung von Zitaten aus Beurteilungen Marolds durch namhafte Pariser Künstler wie Ernest Meissonier, Léon Bonnat oder Jean-Léon Gérôme bei Mádl, Luděk Marold (wie Anm. 58), Sp. 175 f., und den Bericht über Marolds Ansehen in München von Ludvík Kuba, der als Nachruf in Volné směry 3 (1899), Sp. 209–211, erschien. 64 Das geht aus den zahlreichen Nachrufen im Themenheft der Volné směry 3 (1899) hervor. 65 Mádl, Luděk Marold (wie Anm. 58), Sp. 179, bescheinigt ihm ein „fotografisches“ Auge. Laut Orlíková (wie Anm. 21), S. 109, wurde in seinem Nachlass eine große Sammlung Fotografien gefunden; der Historiker Petr Čornej befindet, allerdings ohne Beleg oder weitere Diskussion, dass er sich von der Fotografie habe „beeinflussen“ lassen; Čornej, Lipanské ozvěny (wie Anm. 25), S. 100.

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Abb. 6  Luděk Marold: Plakat für Aufführungen des Ausstellungstheaters, 1898.

hervor, auch und gerade mit dem Zeichenstift gleichsam im Vorbeigehen das „wahre Leben“ festzuhalten. Er sei dank seines „kindlich reinen Gemüts“66 gar nicht erst imstande, das Beobachtete durch Stilisierung zu verfälschen, vielmehr flössen die Eindrücke durch sein Auge und seine Hand direkt aufs Papier, ohne von einem sei es psychologisch oder philosophisch reflektierenden Intellekt aufgehalten und in Bahnen einer Kunst gelenkt zu werden, die sich über chronikalisch wiedergegebene Realität erhebt (Abb.  7). Eben darin liege das Geheimnis der bezwingenden Suggestivkraft seiner Figuren und atmosphärischen Impressionen.67 Hier wird – neben der allseits bewunderten Schnelligkeit seiner Arbeitsweise68 – ein möglicherweise entscheidender 66 Památce Luďka Marolda (wie Anm. 52), S. 7. 67 Ebd., S.  5  f. Die Autoren lassen durchaus Kritik anklingen, wenn sie betonen, dass Marold seine Motive weder „psychologisierte“ noch „philosophierte“ und nicht einmal „reflektierte“. 68 Ebd., S. 5.

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Abb. 7  Luděk Marold: „Neugierige in Paris“, 1896, aquarellierte Federzeichnung. Plzeň, Západočeská galerie.

Grund dafür fassbar, dass gerade der populäre Grafiker und „moderne“ Maler Marold als Idealbesetzung für die zugleich prekäre und verantwortungsvolle Rolle erachtet werden konnte. Traten die Künstler üblicherweise hinter die Panoramen betreibenden Firmen zurück, wurde in diesem Fall Marolds schöpferische Leistung stets nachdrücklich hervorgehoben, oft auf Kosten der übrigen beteiligten Maler. Schon damit wurde dieses Panorama – anders als für die Gattung üblich – in die Sphäre der Kunst und in die Nähe der Historienmalerei gerückt.69 Marolds Status und die ihm zugeschriebenen Eigenschaften versprachen Publikumskreise zusammenzuführen, die sich bei ihrem Kulturkonsum kaum auch nur begegnen konnten: Allein er vermochte sowohl die be69 Ein Kritiker schrieb 1893 über Panoramamalerei (in Bezug auf das Sedan-Panorama): „Hier verschwindet jede [...] technische und künstlerische Eigenart des Malers. Es ist buchstäblich farbige Momentphotographie.“ Zitiert bei Bartmann (wie Anm. 48), S. 271; vgl. Kemp (wie Anm. 28), S. 85. Allerdings wurde auch das Sedan-Panorama als ein Meisterwerk Anton von Werners gewürdigt, der die Entwürfe geliefert hatte, selbst aber nicht an der Ausführung beteiligt war, während – noch ausgeprägter als im Fall der Prager Gruppe um Marold – die ausführenden Maler gleichsam hinter ihm verschwanden; ebd., S. 270 f.; Grau, Virtuelle Kunst (wie Anm. 3), S. 82.

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grenzte Gruppe der kunstverständigen Galeriegänger zufriedenzustellen, welche den ambitionierten Rückgriff auf Lessings Lehre vom „prägnanten Augenblick“ würdigen konnten, als auch – gleichzeitig und mit denselben Mitteln – die „kleinen Leute“, die, vom Spektakel angelockt, in aller Naivität das gemalte Geschehen für bare Münze nehmen und sich von ihm emotional überwältigen lassen sollten. Ob für das Panorama einer der namhaften Prager Historienmaler in Betracht gezogen wurde, ist nicht überliefert. Aber die Wahrscheinlichkeit ist gering, und die möglichen Gründe dafür eröffnen eine weitere Perspektive auf die Motivationen und die an das Sujet geknüpften Erwartungen. Alle drei hauptsächlich infrage kommenden Künstler waren akademisch ausgebildet und gehörten dem national orientierten Künstlerverein Umělecká beseda an, verfolgten aber unterschiedlich ausgerichtete Karrieren. Václav Brožík und František Ženíšek mögen sich als hoch angesehene Meister dem populären Medium verweigert haben, beide bedienten ein großbürgerliches Publikum mit konservativen Wertmaßstäben. Brožík genoss zudem – gleichsam „trotz“ seines nationalen Bekenntnisses – den Status eines staatsoffiziell anerkannten Künstlers und führte auch Aufträge des kaiserlichen Hofes aus.70 Ženíšek hatte zu Beginn der 1880er Jahre im Rahmen eines Privatauftrags das Schicksal der hussitischen Bewegung thematisiert, es damals aber allegorisch überhöht71 – eine der traditionellen akademischen Historienmalerei verpflichtete Konzeption, der sich Marold mit seiner Auslegung diametral entgegenstellte. Mikoláš Aleš schließlich war für die Aufgabe des Panoramas grundsätzlich schon dadurch qualifiziert, dass er für die Prager Ethnografische Ausstellung von 1895 das große Diorama mit der Darstellung des „Sieges des tschechischen Volkes über die sächsische Armee bei Großskal im Jahr 1203“ nach einer Dichtung aus der Königinhofer Handschrift, der später als Fälschung erkannten Sammlung tschechischer nationaler Mythen, entworfen hatte. Die Ausführung hatten 70 Zuletzt war das 1896 das Monumentalgemälde „Tu, felix Austria, nube!“, dessen staatstragendes Sujet ein Zeichen gegen die zunehmend brisanten Nationalitätenkonflikte in der Habsburgermonarchie setzen sollte. Das Gemälde befindet sich in der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien. Vgl. dazu Václav Brožík (1851–1901). Hg. v. Naděžda Blažíčková-Horová. Ausstellungskatalog Prag. Praha 2003, S. 272–274; Rak, Jiří; Vlnas, Vít: Umění ke cti, národu ku slávě. Programní historické malby Václava Brožíka v dobovém kontextu [Der Kunst zur Ehre, der Nation zum Ruhm. Václav Brožíks programmatische Historiengemälde im Kontext ihrer Zeit]. In: Ebd., S.  141–169, hier S.  165  f. Zudem waren Brožík wie auch Ženíšek am Ende der 1890er Jahre mit großen Historienbildern für das Landesmuseum des Königreichs Böhmen (das spätere Nationalmuseum) beschäftigt. BlažíčkováHorová, Naděžda: František Ženíšek, život a dílo [František Ženíšek, Leben und Werk]. In: František Ženíšek (1849–1916). Hg. v. ders. Ausstellungskatalog Prag. Praha 2005, S. 11–176, hier S. 116, Kat. S. 234 f. 71 Vgl. ebd., S.  85  f. und Kat. S.  221. Er knüpfte damit an die „akademie-offizielle“ Ikonografie des Themas an; s. die Komposition von Joseph Matthias Trenkwald aus dem umstrittenen Zyklus zur Geschichte Böhmens im Belvedere auf dem Hradschin, die 1852 in druckgrafischer Form als Jahresprämie des „Kunstvereins für Böhmen“ ausgegeben worden war; Abb. bei Vlnas, Vít: „Výroční trh obrazový“. Krasoumná jednota a její výstavy před rokem 1918 [„Der jährliche Bildermarkt“. Der Kunstverein und seine Ausstellungen vor 1918]. In: Obrazárna v Čechách 1796–1918 [Die Gemäldegalerie in Böhmen 1796–1918]. Hg. v. dems. Ausstellungskatalog Prag. Praha 1996, S. 183–201, hier S. 184; vgl. zur Bildtradition auch Čornej, Lipanské ozvěny (wie Anm. 25), S. 96–99.

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allerdings schon seinerzeit andere übernommen.72 Aleš war mit der Geschichte der Hussiten bestens vertraut; er formulierte heroische hussitische Sujets als Grafiker und Illustrator zur Vermittlung an bildungsbedürftige Konnationale aus und verwendete sie bevorzugt auch für seine Fassadenmalereien.73 In seiner nationalistischen Gesinnung mag er die Wahl des Lipany-Stoffes für das Panorama nicht gutgeheißen haben. Ebenso dürfte einer Auftragserteilung aber seine Manier entgegengestanden haben: ein konturenbetonter, zunehmend ornamentaler Duktus, in dem er die Tradition des nazarenischen Idealismus in einen zeitgemäßen Jugendstil zu überführen suchte und den er bekenntnishaft kultivierte – gegen den akademischen Realismus, den er seinen wenigen Staffeleigemälden vorbehielt. Wiewohl Mitglieder ein und desselben Kunst- und Künstlervereins, markieren die vier Maler unterschiedliche Positionen im breit ausgefächerten Tableau der Prager Kunst kurz vor 1900, in dem sich das Panoramaprojekt recht präzise verorten lässt. Die Umělecká beseda74 stand weiterhin zu ihrem Gründungsvorsatz aus den 1860er Jahren, gegen den traditionell auf „deutsche“ Malerei konzentrierten Kunstverein für Böhmen nationale Kunst zu fördern, um die Ausbildung einer „eigenen“ Kultur voranzutreiben und damit auch tschechischen Künstlern einen Markt zu eröffnen, die erst seit 1896 zu den Jahresausstellungen des Kunstvereins zugelassen wurden.75 Während dieser in erster Linie ein national indifferentes, monarchietreues Publikum – mithin den Adel und die bürgerlichen Oberschichten – bediente76 und daher als „deutsch“ galt, suchte die Umělecká beseda ein vielfältiges Publikum zu erreichen: gebildete und wohlhabende Kunstliebhaber mit dem Argument nationaler Loyalität dem Kunstverein abzuwerben und zugleich breite Schichten für die Kunst zu gewinnen. 1887 formierte sich die jüngste Generation zum Spolek výtvarných umělců Mánes (Verein 72 Die 10 x 8,5 Meter große Leinwand befindet sich im Muzeum Českého Ráje in Turnov. Ausführende Maler waren Vojtěch Bartoněk, Karel Vítězslav Mašek und (der später auch am Panorama beteiligte) Václav Jansa – jüngere Maler, die sich zugunsten eines atmosphärischen Naturalismus vom akademischen Stil zu befreien vermochten. Vgl. Fabelová, Karolína: Karel Vítězslav Mašek. Praha 2002, S. 51–54. 73 Zu Aleš liegt keine aktuellen wissenschaftlichen Standards entsprechende Monografie vor. Vgl. daher Mádl, Karel B.: M. Aleš. Praha 1912; Mikoláš Aleš. Vlast a národ. Obrazy z dějin [Mikoláš Aleš. Vaterland und Nation. Bilder aus der Geschichte]. Hg. v. Maryna Svobodová-Alšová u. Emanuel Svoboda. Praha 1940; Štech, Václav V.: České dějiny v díle Mikoláše Alše [Tschechische Geschichte im Werk Mikoláš Alešs]. Praha 1952. 74 Gegründet 1863. Vgl. Art. „Umělecká beseda“. In: Ottův slovník naučný, Bd. 26. Praha 1907, S. 168– 170. Die skizzenhafte Darstellung bei Matys, Rudolf: V umění volnost. Kapitoly z dějin Umělecké besedy [Freiheit in der Kunst. Kapitel aus der Geschichte der Umělecká beseda]. Praha 2003, trägt nicht zur Präzisierung bei. 75 Vgl. die Rezension der Jahresausstellung 1897: 58. výroční výstava Krasoumné jednoty pro Čechy v Praze [58. Jahresausstellung des Kunstvereins für Böhmen in Prag]. In: Volné směry 1 (1897), Sp. 337 f., 383–388, 436–444, hier Sp. 338. 76 Gegründet von der Gesellschaft patriotischer Kunstfreunde 1835. Hojda, Zdeněk: Kdo nakupoval na výstavách Krasoumné jednoty? [Wer kaufte auf den Ausstellungen des Kunstvereins ein?]. In: Město v české kultuře 19. století [Die Stadt in der tschechischen Kultur des 19.  Jahrhunderts]. Hg. v. Jiří Kotalík. Praha 1983, S. 133–153; Vlnas (wie Anm. 71).

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bildender Künstler Mánes), der ebenfalls das nationale Bekenntnis deklarierte, aber von dieser Warte aus die tschechische Kunst modernisieren und internationalisieren wollte. Er brach mit nahezu allen akademischen Traditionen hinsichtlich Bildgattungen, Inhalten und formaler Standards, um in Böhmen Impressionismus, Jugendstil und Symbolismus zu implementieren,77 musste sich aber noch lange mit der Rolle einer – mit Ausnahme einer schmalen intellektuellen Elite – belächelten Randerscheinung zufriedengeben. Im Frühjahr 1898 provozierte ein Konflikt in der Umělecká beseda die Abspaltung einer künstlerisch durchaus heterogenen Gruppe zur Jednota umělců výtvarných (Vereinigung bildender Künstler). Unter den Initiatoren finden sich sowohl Brožík, Ženíšek und Aleš als auch Marold. Ihr Antrieb war bezeichnenderweise, den Primat der traditionellen akademischen Kategorien für die Malerei zu bewahren und in diesem Rahmen die Entfaltung einer spezifisch nationalen Kunst wieder zu stärken.78 Damit stellten sich diese Künstler nicht gegen die vermeintlichen „Auflösungserscheinungen“, für die der junge Mánes-Verein eintrat, sondern gegen einen Werteverfall in der bildenden Kunst, wie ihn die Umělecká beseda in den Augen Vieler mit ihrer allzu ausgeprägten Offenheit für Erwartungen des kaufenden Publikums beförderte.79 Zur Zeit der Auftragserteilung für das Panorama an Marold ist also die Umělecká beseda künstlerisch im traditionalistischen Lager – mit starker Orientierung am populären Kunstkonsum – zu verorten. Soziokulturell war sie zwischen dem anationalen, tendenziell großbürgerlichen Publikum des Kunstvereins und dem kleinen Kreis der intellektuellen Sympathisanten des Modernismus und internationaler Standards um den Künstlerverein Mánes – als Verfechterin „künstlerischer Erziehung und Bildung breitester Schichten“80 einer nationalbewussten tschechischen Bevölkerung – angesiedelt. Vor diesem Hintergrund kann aus der Analyse des Panoramas und seiner kunsttheoretischen Kommentierung eine zweite These gefolgert werden: Die Verschmelzung divergenter, im zeitgenössischen Horizont unvereinbarer künstlerischer Konzeptionen in einem Werk, das eben dadurch prinzipiell die gesamte nationale Gesellschaft über alle Schranken von Bildung, Kunstverstand, sozialem Status und Vermögen ansprechen sollte, kommt einem programmatischen Statement gleich. Dieses Statement galt sowohl den Entwicklungsperspektiven der Malerei in einer Situation, als sich Maß77 Gegründet 1896. Vgl. Freie Richtungen. Die Zeitschrift der Prager Secession und Moderne. Hg. v. Roman Prahl u. Lenka Bydžovská. Praha 1993. 78 Nová encyklopedie českého výtvarného umění [Neue Enzyklopädie der böhmischen/tschechischen bildenden Kunst]. Hg. v. Anděla Horová. 2 Bde. Praha 1995, Bd. 1, S. 318 f. 79 So wird die Jahresausstellung der Umělecká beseda in der Rezension der Volné směry 3 (1898), Sp. 141 f., als „Weihnachtsmarkt“ bezeichnet, die dort ausgestellten Werke werden als „süßliche, glatte Bildchen“ qualifiziert, die allenfalls „biedere Pfarrer, die von Kunst ‚auch etwas verstehen‘, begeistern“. Die Künstlergruppe verwahrte sich gegen das starke Mitspracherecht der Laienmitglieder; vgl. den ausführlichen Bericht aus der Umělecká beseda in Národní listy Nr. 295, 24. 10. 1897, S. 2, aus dem hervorgeht, dass der Vereinsvorstand darauf beharrte, „als sein Hauptziel das Verständnis für künstlerische Bestrebungen in breiten Kreisen“ zu fördern. 80 Zitat nach Bohuslav Schnirch, dem Vorsitzenden der Sektion für bildende Kunst in der Umělecká beseda. Rezension der Jahresausstellung in Volné směry 3 (1898), Sp. 141 f., hier Sp. 141.

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stäbe des künstlerisch Erstrebenswerten bedrohlich zu verschieben begannen, wie auch der Rolle der Kunst als Integrationsfaktor für die nationale Gesellschaft und ihre Wertvorstellungen. Bezeichnenderweise qualifizierte Karel B. Mádl Marolds Syntheseleistung als „modern“81 und ging an anderer Stelle so weit, darin die Keimzelle einer fortschrittlichen Neuentwicklung der Historienmalerei zu erkennen,82 die als traditionsreiche Leitgattung der akademischen Malerei um 1900 ihre Dämmerung erlebte.83 Renáta Tyršová sah besonders in Marolds „Vergegenwärtigung“ des mittelalterlichen Bildpersonals einen Beleg dafür, dass Historienmalerei keineswegs veraltet sei; überholt seien lediglich „die alten Rezepte zur Produktion historischer Kompositionen“, nicht aber der Bedarf, Stoffe aus der nationalen Geschichte immer wieder neu zu aktualisieren.84 In diesem Zusammenhang dürfte auch der Grund dafür liegen, dass die – ungewöhnliche – eigenhändige Ausführung des Gemäldes durch den Künstler stets betont wurde.85

Der Lipany-Stoff als Gleichnis aktueller Ereignisse Die inhaltliche Bedeutungsdimension des Sujets und seiner spezifischen Interpretation durch Marold zu erschließen, ermöglicht ein Blick auf die Situation, in der die Idee zu der Ausstellung und zu dem Panorama aufkam. Wenn die Initiatoren der Ausstellung versicherten, es gehe ihnen darum, das Können tschechischer Experten nicht nur „deutschen“ Auftraggebern – einschließlich der Staats- und der Landesverwaltung – vor Augen zu stellen, sondern auch der tschechischen Öffentlichkeit, um diese zu nationaler Solidarität zu ermuntern, so ist dieser doppelte Appell ernst zu nehmen, reagierte er doch offenkundig auf damals hochaktuelle politische Desintegrationsprozesse. Das Jahr 1897 verbindet sich in der Habsburgermonarchie und speziell in Böhmen mit der sogenannten Badeni-Krise: dem – letztlich zum Scheitern verurteilten – Versuch der Wiener Regierung unter dem Grafen Kasimir Felix Badeni, das Wahlrecht zumindest in Teilen zu demokratisieren und vor allem für Böhmen die seit Jahrzehnten konfliktgeladene ungleiche Konkurrenz zwischen den beiden Nationalitäten endlich durch Gleichstellung der Landessprachen als Amtssprachen per Verordnung

81 Mádl, Panorama (wie Anm. 22), S. 438. 82 Mádl, Luděk Marold (wie Anm. 58), Sp. 185 f. 83 „[...] sogar bei uns“, heißt es in einer Rezension von Václav Brožíks Gemälde „Wahl Georgs von Poděbrad zum böhmischen König“ in Volné směry 2 (1898), Sp. 194 f., hier Sp. 195, sei die Ära „der kolossalen, theatralischen Historien schon vorbei“. 84 Tyršová (wie Anm. 22), S. 952. 85 Im Unterschied sowohl zum Sedan-Panorama (vgl. Anm. 69) als auch zu Alešs Diorama von 1895 (vgl. Anm. 72).

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zu lösen.86 Das provozierte in Prag Unruhen, die nur durch Verhängung des Ausnahmezustandes eingedämmt werden konnten.87 Die auf den ersten Blick defätistische Themenwahl für das Panorama ist aber kaum aus dem tschechisch-deutschen Konflikt zu erklären, den Zeitgenossen am Ende der 1890er Jahre sicher nicht (mehr) als einen „Krieg unter Brüdern“ apostrophiert hätten. Vielmehr dürften die Gründe dafür in innertschechischen Konflikten liegen, die sich im Zuge der Badeni-Krise dramatisch zuspitzten. Die Reforminitiativen des Ministerpräsidenten Badeni waren überhaupt erst möglich geworden, weil die maßgebliche politische Repräsentantin der Tschechen, die sogenannte Jungtschechische Partei, einen Schwenk vollzogen hatte: vom kompromisslosen Eintreten für das „böhmische Staatsrecht“, das de facto Autonomie für Böhmen bei kultureller und politischer Dominanz der Tschechen beinhaltete,88 hin zu einer ergebnisorientierten und deshalb kooperationswilligen Politik gegenüber der Wiener Zentralregierung.89 Das wurde der Parteiführung von einem radikalen Flügel als Verrat am nationalen Interesse angekreidet. Zum ersten Mal artikulierten sich jetzt das Kleinbürgertum und die national gesinnte Arbeiterschaft, die sich einerseits von den Jungtschechen im Stich gelassen fühlten und sich andererseits von der programmatisch übernationalen Sozialdemokratie abgrenzen mussten, die sich erst jüngst offiziell gegen die Staatsrechtsforderungen gewandt hatte.90 Diese große Gruppe wurde zur Klientel einer radikal-nationalistischen Sezession von der Jungtschechischen Partei, die sich 1897 zur National-Sozialen Partei formierte.91 Nur wenig später spalteten sich von den Jungtschechen noch weitere Parteien mit verwandten Zielrichtungen ab.92 In diesem Auseinanderbrechen des jungtschechischen Blocks wurde, so der Historiker Otto Urban, für alle Beteiligten endgültig deutlich, dass die tschechische Nation nicht mehr das organisch-monolithische Gebilde war, als das man sie in der politischen Arena – trotz älterer Erfah-

86 Vgl. dazu Mommsen, Hans: 1897: Die Badeni-Krise als Wendepunkt in den deutsch-tschechischen Beziehungen. In: Wendepunkte in den Beziehungen zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken 1848–1989. Hg. v. Detlef Brandes, Dušan Kováč u. Jiří Pešek. Essen 2007, S. 111–118. 87 Zur Ereignisgeschichte: Urban, Otto: Die tschechische Gesellschaft 1848 bis 1918. 2 Bde. Wien– Köln–Weimar 1994 (tschech. Erstausg. 1982), Bd. 1, S. 668–682, hier bes. S. 681 f. 88 Vgl. Haslinger, Peter: Staatsrecht oder Staatsgebiet? Böhmisches Staatsrecht, territoriales Denken und tschechisches Emanzipationsbestreben 1890–1914. In: Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa. Historische Beziehungen und politische Herrschaftslegitimation. Hg. v. Dietmar Willoweit u. Hans Lemberg. München 2006, S. 345–357. 89 Urban (wie Anm. 87), Bd. 1, S. 654–672. 90 Ebd., S. 671; Čornej, Lipanské ozvěny (wie Anm. 25), S. 106. 91 Gegründet im Frühjahr 1897, offiziell konstituiert im Frühjahr 1898; Urban (wie Anm. 87), Bd. 1, S. 715–717. 92 Im Frühjahr 1897 bildete sich die staatsrechtlich und sozialreformerisch orientierte Radikal-Fortschrittliche Partei; ebd., S. 713 f. Seit Mitte der 1890er Jahre hatte sich die nationalistische, aber antisozialistische Radikal-Staatsrechtliche Partei zunächst als Flügel der Jungtschechen formiert, gegründet wurde sie dann in mehreren Schritten im Frühjahr 1897 und 1898, offiziell konstituiert Anfang 1899. ebd., S. 711–713.

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rungen, die bereits dagegen sprachen93 – bis dahin stets beschworen hatte.94 Sie hatte sich längst zu einer pluralen Gesellschaft entwickelt, in der verschiedene Schichten und Gruppen durchaus disparate Interessen verfolgten und demzufolge auch die nationalen Werte und Ziele unterschiedlich veranschlagten. Mit den Vorgängen von 1897 war es aber zum ersten Mal zu einem Bruch auf breiter Front, nicht mehr nur auf der politischen Bühne, gekommen. Die Konstellation des „Bruderkriegs“ bei Lipany, in dem tschechische „Herren“ das tschechische „Volk“ ohne Rücksicht auf nationalen Zusammenhalt bekämpft und dank List und Verrat am Ende auch besiegt haben, auf diese Konflikte innerhalb der national orientierten tschechischen Gesellschaft zu projizieren, mag auf den ersten Blick konstruiert erscheinen. Und dennoch kann diese Analogie Plausibilität beanspruchen. Denn das Thema der Hussitenkriege und besonders der Gedächtnisort Lipany waren seit Langem Kristallisationspunkte der jungtschechischen Konzeption von Nation, Gesellschaft und ihrer Politik gegenüber dem Gesamtstaat gewesen. Seit den ausgehenden 1860er Jahren organisierten die Jungtschechen gemeinsam mit dem Turnverein Sokol und weiteren ihnen verbundenen Vereinen an den Jahrestagen der Schlacht „Wallfahrten“ zum fiktiven Grab Prokops des Kahlen bei Lipany.95 1881 wurde auf der vermeintlichen Grabstelle Prokops unter maßgeblicher Mitwirkung der Umělecká beseda ein Denkmal errichtet, und im selben Jahr weihte das tschechische Nationaltheater seine Schauspielsparte mit einem Drama über die Schlacht bei Lipany ein.96 Zielte das Lipany-Gleichnis in dieser Zeit noch auf die staatsrechtliche Situation und allenfalls auf den Antagonismus zwischen Alt- und Jungtschechen, so verschob sich seine Bedeutung mit den Spaltungstendenzen merklich.97 Vor diesem Hintergrund ist nicht mehr verwunderlich, dass die Umělecká beseda gegen alle Alternativen gerade den „Bruderkrieg“ von Lipany für das Panorama durchsetzte. Sie war ideell wie personell dicht mit der jungtschechischen Politik, dem Sokol und weiteren großen Vereinen im national-staatsrechtlichen Lager verflochten, sodass sie die gleich mehrfache Aufkündigung der bis dahin kaum ernsthaft in Zweifel gezogenen einheitlichen Linie – auch in ihren eigenen Reihen – direkt betraf. Es ist sicher kein Zufall, dass sich die dichte Berichterstattung über das Panorama nahezu ausschließlich in der jungtschechischen Presse und Publizistik abspielte, während es 93 Eine erste Erschütterung des Glaubens an Einheit bedeutete die Spaltung der politischen Repräsentanz der Tschechen in die Nationalpartei (Alttschechen) und die Freisinnige Nationalpartei (Jungtschechen), die nach langjährigen Flügelkämpfen 1874 vollzogen wurde. Vgl. ebd., S. 430–453; Čornej, Lipanské ozvěny (wie Anm. 25), S. 60. 94 Dazu und zum Folgenden: Urban (wie Anm. 87), Bd. 1, S. 694–698. 95 Čornej, Lipanské ozvěny (wie Anm. 25), S. 49–58. Zum breiteren Kontext der Hussitismus-Rezeption in Böhmen: Ders.: Zrození husitského mýtu: problém optiky [Die Entstehung des Hussitismus-Mythos: Das Problem der Optik]. In: 19. století v nás. Modely, instituce a reprezentace, které přetrvaly. Hg. v. Milan Řepa. Praha 2008, S. 86–103. 96 Čornej, Lipanské ozvěny (wie Anm. 25), S. 61–71. 97 Vgl. die ausführlichen Berichte über die Demonstrationen: Lipany. In: Národní listy Nr. 150, 31. 5. 1897, S. 1; Pouť českého lidu k mohyle lipanské [Die Wallfahrt des tschechischen Volkes zum Grabhügel bei Lipany]. In: Národní listy Nr. 148, 31. 5. 1898, S. 2.

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BEITRAG aus: ARNOLD BARTETZKY, RUDOLF JAWORSKI (HG.): GESCHICHTE IM RUNDUMBLICK. PANORAMABILDER IM ÖSTLICHEN EUROPA. ISBN 978-3-412-22147-8  © 2014 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CIE, WIEN KÖLN WEIMAR



Der „Untergang tschechischer Demokratie“ als Spektakel

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praktisch alle anderen Blätter mit Schweigen übergingen.98 Aus diesen Befunden kann eine dritte These gefolgert werden: Das Sujet des Panoramas ist als ein Kommentar zur aktuell-politischen Situation zu lesen, genauer: als Warnung und Appell, möglicherweise auch als Parteinahme im momentanen innertschechischen Konflikt. In diesem Sinne wurde es erfolgreich lanciert von einer Interessengruppe, die als – wiewohl nicht gänzlich unabhängiges – Expertengremium um ein Votum gebeten worden war und die dieses Votum dann in der Rolle einer politischen pressure group abgab. Bezeichnend ist dafür, dass bei der konkreten Planung des Panoramas nicht über den Augenblick und den Ort hinaus gedacht wurde: Schon das Format der Leinwand schloss eine Translozierung und damit die übliche Tournee aus,99 und nicht nur wäre der Stoff einem unbeteiligten Publikum wohl nur schwer verständlich gewesen, auch die gattungsuntypische Konzeption band das Gemälde an sein unmittelbares Umfeld zurück. Die vierte und abschließende These ergibt sich, wenn man den gesamten Entstehungskontext des Panoramas in den Blick nimmt. Folgten Panoramaunternehmen überwiegend einem doppelten Ziel, nämlich der Rendite und einem Bildungsimpetus bzw. einer patriotischen Propagandaabsicht (wobei die Priorität wechseln konnte), so unterlag die Ökonomie des Mediums im Prager Fall anderen Logiken. Dies gilt schon im engsten Sinn des Begriffs: Denn selbst das Renditeinteresse auf Seiten der Veranstalter zeigt nur bedingt Ähnlichkeit mit dem Üblichen, wurden doch die gattungsspezifischen Vermarktungsstrategien nur zu geringen Teilen mitrezipiert. In dem breiteren Blickwinkel werden die verschiedenen Bedeutungsdimensionen, wie sie im Vorangehenden dargelegt wurden, erkennbar als ein Geflecht von Interessensträngen, die sich in dem Panoramaprojekt kreuzten, erstaunlicherweise ohne dabei in Konflikt zu geraten. Vom Architekten- und Ingenieurverein und der Handels- und Gewerbekammer über die Umělecká beseda und, indirekt, Repräsentanten und Anhängerschaft der sich ausdifferenzierenden politischen Richtungen bis hin zum Maler Luděk Marold knüpften die involvierten Akteure an das Projekt je eigene Erwartungen, die weder strukturell noch inhaltlich einen eindeutigen gemeinsamen Fluchtpunkt hatten. Von allen geteilt wurde allein das Interesse, im tschechischen Prag endlich auch ein Panorama zu haben – eine Motivation, wie sie im westlichen Europa kaum denkbar ist.

98 Národní listy war das Organ der Jungtschechischen Partei; Osvěta, Zlatá Praha, Světozor wurden von bekennenden Jungtschechen betrieben; der Katalog der Architektur-Ausstellung erschien im Verlag der Národní listy. Beide Führer zum Panorama druckte der Verleger und Galerist František Topič, der mit der Umělecká beseda zusammenarbeitete, aber zugleich Raum für Ausstellungen der internationalen (vor allem französischen) und der einheimischen Avantgarde bot; vgl. http://euro.e15.cz/profit/ frantisek-topic-nejvyznamnejsi-prazsky-nakladatel-897979 (Aufruf 15. 3. 2013). Daneben nahm das Panorama nur Národní politika zur Kenntnis, das Organ der Alttschechen. 99 Vgl. oben, Anm. 28.

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