Der Richard Sorge-Kult und seine Autoren: Ruth Werner und Julius Mader

May 19, 2017 | Author: Thomas Kampen | Category: Publishing, Propaganda, Japan, Nazi Germany, Berlin, DDR, KPD, Sino-German Relationship, Gerhart Eisler, Julius Mader, Ursula Hamburger, Sorge - Zoruge - Zuoerge, DDR, KPD, Sino-German Relationship, Gerhart Eisler, Julius Mader, Ursula Hamburger, Sorge - Zoruge - Zuoerge
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Der Richard Sorge-Kult und seine Autoren: Ruth Werner und Julius Mader


Vor zehn Jahren - im Juli 2000 - starb in ihrer Heimatstadt Berlin die im Westen kaum, im Osten jedoch sehr bekannte Autorin Ruth Werner. Die am 15. Mai 1907 als Ursula Kuczynski geborene Kommunistin gehörte einer der prominentesten DDR-Familien an; ihr Bruder, Jürgen Kuczynski (1904-1997), war nicht nur einer der bekanntesten Intellektuellen der Republik, sondern auch einflußreicher Berater Erich Honeckers. Trotz ihres langen, aktiven und ereignisreichen Lebens wurde ihr Name vor allem mit einem Mann assoziiert, dem Sowjetspion Richard Sorge mit dem sie von 1930 bis 1932 in Shanghai zusammen gearbeitet hatte. Ihr größter Erfolg war wohl die Tatsache, daß ihre Spionagetätigkeit für die sowjetische Rote Armee niemals entdeckt und sie selbst nie verhaftet wurde. Daher war auch in den frühen Publikationen über Richard Sorges Spionagering nichts über sie zu erfahren. Erst durch die Veröffentlichung ihres Buches Sonjas Rapport hat Ruth Werner selbst ihren Anteil an der Arbeit des Sorgerings bekannt gemacht und damit auch einen wichtigen Beitrag zum osteuropäischen Sorgekult geleistet.


Ein Gutachten des Verlags Neues Leben zeigt, daß die Publikation von höchster Stelle gefördert wurde: "Im November 1976 teilte uns der Genosse [...] mit, daß er vom Büro Honecker beauftragt worden sei, uns davon in Kenntnis zu setzen, daß im Verlag Neues Leben das Manuskript Sonjas Rapport' in einer möglichst hohen Auflage zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution herausgegeben werden soll. Wir bekamen das Manuskript Anfang Februar vom Ministerium für Staatssicherheit übermittelt. Es ist vereinbart worden, daß die Genossen dort den Umbruch zu lesen bekommen. Von diesem Ministerium wurden 18.000 Exemplare für den Direktbezug bestellt." (19.4.1977)


Ursula Kuczynski, eine Tochter des Wirtschaftswissenschaftlers René Kuczynski, hatte in Berlin eine Buchhändlerlehre gemacht und war 1926 der KPD beigetreten. 1929 heiratete sie den Architekten Rudolf Hamburger und ging mit ihm im Sommer 1930 nach Shanghai, wo ihm eine Stelle angeboten worden war. Noch im gleichen Herbst lernte sie dort die amerikanische Journalistin Agnes Smedley kennen, die zuvor mehrere Jahre in Berlin gelebt hatte.(>> Ausländerinnen in China: Die amerikanische Journalistin Agnes Smedley und ihre chinesischen Freundinnen) Sie hatte Smedleys Buch Eine Frau allein schon in Deutschland gelesen und war sehr erfreut, die Autorin zu treffen. Smedley stellte sie im November 1930 Richard Sorge (1895-1944) vor, der zu Beginn des Jahres in Shanghai eingetroffen war, um einen Spionagering aufzubauen. In den folgenden zwei Jahren unterstützte Ursula Hamburger Richard Sorge und seine Mitarbeiter vor allem indem sie ihr Haus für Treffen und die Lagerung von Waffen und Dokumenten zur Verfügung stellte. So begegnete sie 1932 auch Otto Braun, der kurz darauf als einziger Europäer am Langen Marsch teilnahm, und Manfred Stern, der im Spanischen Bürgerkrieg berühmt wurde (>> und später in einem sibirischen Lager starb). Im gleichen Jahr traf sie Egon Erwin Kisch, der gerade >> für sein Buch China geheim recherchierte, und feierte mit ihm und Agnes Smedley ihren 25. Geburtstag.

Sie arbeitete auch gelegentlich in einem Buchladen und lernte den bekannten Schriftsteller Lu Xun kennen, mit dem sie eine Käthe Kollwitz-Ausstellung organisierte. Der Spionagering löste sich im Winter 1932-33 auf und die Wege trennten sich: Sorge wurde nach einem Aufenthalt in Moskau nach Japan versetzt (und dort 1944 getötet); Ursula Hamburger nahm in der Sowjetunion an einer Funkerausbildung teil. 1934 ging sie noch einmal für ein Jahr nach China und arbeitete in Shenyang, das von japanischen Truppen besetzt war, als Funkerin. 1935 wurde sie nach Polen versetzt und 1938 in die Schweiz. In den vierziger Jahren arbeitete sie (weiterhin für die sowjetische Militärspionage) in England, wohin auch ihre Eltern geflohen waren. Sie traf 1950 mit ihrem englischen Gatten und drei Kindern in der DDR ein. In Berlin arbeitete sie zunächst im Amt für Information, dann für die Presseabteilung der Kammer für Außenhandel und wurde schließlich zur Schriftstellerin Ruth Werner. Obwohl sie über ihre Spionagetätigkeit selbst nicht reden (und schreiben) durfte, hat sie immer wieder über China geschrieben und schon ihr erstes Buch Ein ungewöhnliches Mädchen (1957) wurde ein großer Erfolg. Ihr zweites Buch schilderte das tragische Leben von Otto Braun's früherer Freundin Olga Benario (1961), die ebenfalls für die sowjetische Militärspionage gearbeitet hatte und dann von den Nazis umgebracht wurde. Erst 1977 - mehr als zehn Jahre nach dem Ausbruch des Sorge-Kults und nach der Aufhebung des Schreibverbots - veröffentlichte sie ihr autobiographisches Werk Sonjas Rapport, das schnell zu einem Bestseller wurde. Hierin beschrieb sie ihre Zusammenarbeit mit Richard Sorge und ihre Aufenthalte in Polen, der Schweiz und Großbritannien. (Im gleichen Jahr wurde ihr von Honecker der Nationalpreis I. Klasse verliehen, schon in den dreißiger Jahren hatte sie im Kreml von Kalinin persönlich einen Orden erhalten.) Der Sorge-Kult war 1964 zum 20. Todestag Sorges in der Sowjetunion initiiert woren. In der DDR war vor allem der kürzlich im Alter von 71 Jahren verstorbene Julius Mader für die Propagierung Sorges verantwortlich. Mader war Offizier im besonderen Einsatz (OibE) des Ministeriums für Staatssicherheit und verfasste mehrere Bücher über westliche Geheimdienste, besonders den CIA. Schon 1966 veröffentlichte er im Militärverlag Dr. Sorge funkt aus Tokyo, dessen erweiterte Neuauflage später als der Dr. Sorge Report verbreitet wurde. Mader hatte mit einigen früheren Mitarbeitern Sorges wie >> Otto Braun und Max Christiansen-Clausen Gespräche geführt und zahlreiche Dokumente ausgewertet, die letzten Auflagen hatten einen Umfang von über 500 Seiten. Richard Sorge, der einen deutschen Vater und eine russische Mutter hatte, wurde zum Symbol für die deutsch-sowjetische Freundschaft und wurde gleichzeitig als Opfer des Faschismus verehrt. Daß die sowjetische Führung zu seinen Lebzeiten seine Berichte nicht besonders ernst genommen hatte und nach seiner Verhaftung keine Bemühungen um seine Freilassung unternahm, wurde nicht erwähnt. Auch die unrühmlichen Geständnisse von Sorge und Christiansen-Clausen, die noch für die Sowjetunion tätige Spione gefährdeten, wurden ignoriert. Während sich Sorge durch Mader und andere zum Vorbild für die Männer der Staatssicherheit entwickelte, wurde Ruth Werner bzw. Sonja' das Modell für die Agentinnen. Beide spielten für die Legitimierung des MfS eine wichtige Rolle.


Dr. Thomas Kampen

 
Literatur zum Thema:
Charles Willoughby: "Sorge: Soviet Master Spy"
Julius Mader : "Dr. Sorge-Report"
Robert Whymant: "Richard Sorge - Der Mann mit den drei Gesichtern"
 



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