Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen
Herausgegeben von
Anton Bierl Rebecca Lämmle Katharina Wesselmann
Walter de Gruyter · Berlin · New York 2007
Der eingeschlossene Dritte. Zur Funktion des Dionysos im Satyrspiel1 I Die folgenden Ausführungen gehen von der überraschenden Beobachtung2 aus, daß das attische Satyrspiel, soweit es sich für uns greifen läßt, wiederholt die Abwesenheit des Dionysos inszeniert. Das erstaunt vor allem deshalb, weil das Satyrspiel als generische differentia specifica einen immergleichen Chor von Satyrn3 und als choregos beziehungsweise Akteur den Silen aufweist, Wesen, die zum engsten Gefolge des Gottes gehören und in ihrer figuralen Konzeption als durch und durch ‘dionysisch’ zu klassifizieren sind.4 Die Inszenierung der Abwesenheit des Dionysos, die sich bisweilen wie eine regelrechte Unterdrückung des Gottes ausnimmt, soll zunächst am einzigen vollständig erhaltenen Satyrspiel, dem 1 An dieser Stelle sei Anton Bierl gedankt, der die hier vorgelegten Ergebnisse intensiv und mit großem Wissen und Engagement mit mir diskutiert hat; gleichzeitig sei auf seine jüngst publizierten Ausführungen zum Satyrspiel verwiesen (2006), wo eine entschiedenere Meinung zur Entwicklungsgeschichte von Satyrspiel und Tragödie vertreten wird als hier (111-113), und wo viele der in diesem Aufsatz zitierten Satyrspielpassagen in einer rituellen Theorie des Ludischen, des Tänzerischen und Chorisch-Selbstreferentiellen unter der Ägide des Dionysos Lysios kontextualisiert werden. Vgl. auch Bierl 2001, 64-86 (“Der komische Chor im Vergleich mit der Tragödie und dem Satyrspiel”). – Die hier präsentierten Thesen sind Teil meines laufenden Dissertationsprojektes bei A. Bierl zu einer Poetik des Satyrspiels. 2 Diese Beobachtung ist unterschiedlich interpretiert worden: vgl. Seaford 1984, bes. 28-29, 31, 33-36 (35: “the contrast between the old service of Dionysos and some newly adopted activity seems to have been a feature of the genre”). Seaford sieht die sich so ergebende Spannung zwischen Dionysischem und Nicht-Dionysischem besonders im Zwang zur jährlichen Neuerung der dramatischen Handlung begründet, vgl. auch unten 374 mit Anm. 139. – Bakola 2005 behandelt das Phänomen im Rahmen ihres Aufweises des “generic play” (58), das Kratinos in seiner Komödie Dionysalexandros mit dem Satyrspiel betreibe. Auch im Dionysalexandros scheint sich der Satyrchor zeitweilig – und wahrscheinlich im Streit – von Dionysos distanziert und einer neuen, fremden Tätigkeit hingegeben zu haben. – Bierl 2006 wiederum sieht das Phänomen der Distanzierung des Chors von Dionysos und der Übernahme fremder Rollen rituell begründet, vgl. unten 373. 3 Vgl. unten 364 mit Anm.109. 4 Vgl. die Ergebnisse von Voelke 2001, der einen Großteil seiner Arbeit der Figur des Satyrn widmet und das Genre hauptsächlich über deren Analyse zu erfassen sucht: bes. 53-299 (Kap. 3-8).
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Kyklops des Euripides, aufgezeigt und vor dem Hintergrund bisheriger Interpretationsversuche diskutiert werden (II). Das im Kyklops in mancher Variation vorliegende Phänomen findet sich in weiteren Ausprägungen auch im übrigen Satyrspiel-Textkorpus, zumal in den Stücken, die in einigem Umfang erhalten sind. Für den Kyklops wie für die anderen Satyrspiele gilt, daß die Ausklammerung des Dionysos nie dauerhaft gelingt: Dionysos droht jederzeit ins Spiel zu dringen und tut dies auch in zu erläuternder Weise (III). Was bedeutet es also, daß dieses manifest dionysische Genre mehrfach oÈd¢n prÚw tÚn DiÒnuson zu sein vorgibt? Eine Erklärung könnte sich dadurch ergeben, daß das Phänomen, das sich in den früheren Satyrspielen abzuzeichnen beginnt und im Kyklops der eindringlichen Diskussion unterzogen zu werden scheint, als Reflex eines kulthistorischen wie poetologischen Diskurses gelesen wird. In einer knapp gehaltenen und selektiven, die Rolle des Satyrspiels fokussierenden Skizze des Diskursfeldes, in dem ich die Inszenierung der Abwesenheit des Dionysos verorten möchte, werden zunächst einige Koordinaten desselben beleuchtet, die in der parömiographischen und der lexikographischen Tradition sowie in den antiken Poetiken auf uns gekommen sind. Herausgegriffen wird zum einen das Sprichwort oÈd¢n prÚw tÚn DiÒnuson mit seinen antiken Auslegungen, die sich als Stellungnahmen zum Verhältnis der Tragödie zum Dionysoskult, der Tragödie zum Satyrspiel, des Satyrspiels zum Kult einordnen lassen. Dies wiederum zieht die Frage nach dem genealogischen oder chronologischen Verhältnis von Tragödie und Satyrspiel nach sich. Antike wie gegenwärtige Versuche ihrer Beantwortung involvieren in der Regel die eine oder andere Etymologie der Begriffe tragvido¤ und tragvid¤a; eine der beiden grundsätzlichen Erklärungslinien weist dabei den Satyrn und dem Satyrspiel eine wichtige Rolle zu – entsprechend wird auch diese Fragestellung beleuchtet. So hypothetisch der hier vorgeschlagene Weg auch bleiben muß, weil die Probleme, an denen er entlanggeht, äußerst umstritten sind, so sind doch einige gemeinsame Nenner der verschiedenen Lösungsversuche erkennbar, auf deren Basis wiederum argumentiert werden kann (IV). Der Inszenierung der Abwesenheit des Dionysos wird anschließend innerhalb einer Formel Platz gegeben, welche die Satyrspielhandlung darstellt. Der zeitweiligen ‘Eliminierung’ von Dionysos (bei gleichzeitigem Aufweis seiner NichtEliminierbarkeit) kommt eine nicht unerhebliche Rolle bei der Generie-
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rung dramatischer Handlung einerseits und komischer5 Effekte andererseits zu (V). Die Natur dieser Effekte wird dann unter Einsatz einer Theorie des Komischen erläutert. Dabei soll gezeigt werden, daß Dionysos in seiner Konzeption, und entsprechend ein Großteil der Mythen über ihn, immer schon ein Potential zum Komischen haben, und daß im Satyrspiel genau darauf insistiert wird (VI). Die abschließenden Bemerkungen sind der Frage gewidmet, welche Funktion die im Satyrspiel festzustellende Inszenierung der An-/Abwesenheit des Dionysos hat. Nicht nur reflektiert das Satyrspiel seine rituelle Dimension, sondern zugleich seine Stellung gegenüber der Tragödie, zu der es in einem besonders engen (wenn auch nach wie vor ungeklärten) Verhältnis steht. Dafür werden, so die hier vorgebrachte These, bestehende mythische und rituelle Strukturen genutzt und umgedeutet. Argumentieren werde ich dabei in folgenden drei Schritten: 1. Ein Grundmotiv der meisten Mythen um Dionysos ist der Widerstand einer Gruppe oder, abstrakter, eines Systems gegen ihn und seine Überwindung dieses Widerstands dergestalt, daß er sich als diesem System zugehörig erweist und Anerkennung der resistenten Gruppe findet. Im Satyrspiel findet eine komische Aufnahme dieses Motivs statt. 2. Das Satyrspiel steht – das erhellt aus der Diskussion des genealogischen beziehungsweise chronologischen Verhältnisses der beiden Gattungen – in einem Rivalitätsverhältnis zur Tragödie. Daß im Satyrspiel die Abwesenheit des Dionysos betont wird und die Satyrn sich fast ausschließlich in ihnen fremden mythologischen Gefilden aufhalten und entsprechend fremde Rollen ausüben, erweist sich als eine parodistische Wiederholung der Tendenz oder Praxis der Tragödie, Dionysos, zumal seine heiteren und komischen Aspekte, auszuschließen und nicht-dionysische Mythen zu thematisieren.6 3. Diese im Satyrspiel wiederholten Praktiken der Tragödie werden, in der in den meisten Mythen um Dionysos selbst angelegten Bewegung, Dionysos zu unterdrücken, in komischer Weise in ihr Gegenteil
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Hier wie im folgenden wird der Begriff des Komischen in einer sehr allgemeinen, vom Lachhaften oder Lächerlichen nicht unterschiedenen Bedeutung verwendet, d. h. ohne spezifischen Bezug auf die Komödie. Dies mag allzu vereinfachend anmuten, hat sich aber im hier gewählten lachtheoretischen Ansatz von Joachim Ritter durchaus bewährt. Gleiches gilt z. B. für die Arbeiten François Lissarragues zum ikonographischen Satyr-“comique” (z. B. 2000, 112). 6 Vgl. aber Bierl 1991 und die weiteren in Anm. 140 genannten Arbeiten.
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überführt: Dionysos, das lernen wir aus dem Satyrspiel, gehört zum tragischen System (VII).7
II Warum wächst auf Euripides’ Kyklopeninsel kein Wein?8 Auf der Homerischen Insel, deren vegetative, agrarische, ökonomische und soziopolitische Verhältnisse sich im Kyklops in allenfalls leicht modifizierter Form wiederfinden,9 wachsen êmpeloi, a· te f°rousin o‰non §ristãfulon – ‘Reben, die großtraubigen Wein tragen’ (Od. 9.110-111).10 Daß Wein vor der Ankunft der Griechen nicht vorhanden ist, stellt eine der entscheidenden Abweichungen von der Homerischen Version der Kuklvpe¤a dar. Richard Seaford gibt hierfür zwei Erklärungen: Einmal könne so der Satyrspiel-Topos der Einführung oder Offenbarung eines Kulturguts eingehalten werden,11 zweitens, und hier fügt sich ersteres in einen weiteren 7 Fragmentzählung und -texte sind diejenigen der Tragicorum Graecorum Fragmenta (TrGF) von Snell, Kannicht und Radt. Die Anordnung der Fragmente in den Anmerkungen sowie der Umgang mit den adespota ist an die auf TrGF basierende Satyrspielfragmentsammlung von Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999 angelehnt. – Die verwendete Ausgabe des Euripideischen Kyklops ist, wo nicht anders vermerkt, jene von Diggle 1984. 8 Cyc. 123-124. – Dieselbe Frage stellt Kassel 1955, 174, der die Trennung der Satyrn und des Silen von Dionysos als “poetisches Grundmotiv des Stückes” (175) bezeichnet, die Funktion des Motivs aber nicht weiter untersucht. 9 Anders Seaford 1984, ad 121-124. Als sich Odysseus erkundigt, wovon man sich auf der Insel ernähre und ob man die Frucht der Demeter anbaue (Cyc. 121), antwortet der Silen, nur auf die Teilfrage “µ t«i z«si;” Bezug nehmend, man lebe von Milch, Käse und dem Verzehr von Kleinvieh. Daraus mit Seaford den Schluß zu ziehen, daß Euripides den Kyklopen nicht nur den Wein, sondern auch das Getreide ‘weggenommen’ habe, und damit seiner Vertrautheit mit dem zeitgenössischen Konzept “of an earlier time in which man had neither agriculture nor its benefits” (Seaford 1984, 125) Ausdruck verleihe, ist kein zwingender Interpretationsschritt. 10 Die Homer-Übersetzungen sind jene von Schadewaldt 1958. 11 Seaford 1977/1978, 91; 1984, 37. Zwei Charakteristika des Satyrspiels, das hält schon Guggisberg fest, sind die Erfindung, eÏrhma, beziehungsweise die Entzückung der Satyrn über dieselbe, und das Wunder, t°raw (Guggisberg 1947, 71-72 und 74), wobei erstere als Unterart des letzteren begreifbar ist (Seaford 1976, 216): beide lösen übermäßiges Staunen, Erschrecken, große Faszination aus. Vgl. z. B. die Begeisterung für das erste Feuer in A. **F 204b (Prometheus Pyrkaeus), den ersten Wein in S. F 172 (Dionysiskos), die neugeschaffene Lyra in S. F 314 (Ichneutai). Entsprechend können die Verse 464-465 des Euripideischen Kyklops als generelle oder gar metatheatrale Aussage interpretiert werden: fioÁ fioÊ: / g°ghya mainÒmesya to›w eÍrÆmasin – ‘Juuhuu! Wir
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Zusammenhang, stelle Polyphems Unkenntnis von Wein die Bedingung für seine Initiation in die Dionysosmysterien dar, die im Kyklops in komisch verzerrter Weise inszeniert werde. Die Offenbarung eines Kulturguts ist demnach in Analogie zur Enthüllung heiliger Objekte (flerã) im Verlauf der Initiation zu verstehen. Diese These ist ein wichtiges Glied in Seafords ebenso beachteter wie umstrittener,12 auf ähnlich rezipierte Vorarbeiten zurückgreifender Theorie, wonach Euripides’ Kyklops, wie seine Bakchen, nach der mystischen Initiation in den dionysischen Thiasos und damit nach dem anläßlich der Initiation inszenierten flerÚw lÒgow der Mysterien modelliert sei.13 Der in den Bakchen dargestellte Widerstand gegen Dionysos, der in der Gefangennahme des Gottes respektive seiner Anhänger seinen Höhepunkt erreicht, findet in der Gefangenschaft der Satyrn und des Silen im Kyklops sein Pendant.14 Soweit es sich aus dem erhaltenen Material, zumal —————————————————————————————— freuen uns (immer) riesig, geraten in Raserei bei Erfindungen!’ So wird auch die in diesem Kontext überraschende Pluralform eÍrÆmasin erklärbar, antworten die Satyrn doch vordergründig nur auf Odysseus’ Offenbarung seines Plans (Seaford 1984, 190). 12 Vgl. die kritische Würdigung dieses Aufsatzes bei Schlesier 1995a, 411-415; vgl. auch Bierl in diesem Band. 13 Seafords Ansatz stellt in vielerlei Hinsicht eine Aufnahme und Weiterentwicklung von Theorien dar, die von den ersten Jahrzehnten des 19. bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts virulent waren (zunächst bei K. O. Müller; in der Folgezeit z. B. bei J. Bernays; E. Rohde; F. Nietzsche; H. Usener; A. Dieterich; M. P. Nilsson; J. E. Harrison; G. Murray) und seither nur vereinzelte Renaissancen erlebt haben (z. B. bei G. Thomson; H. Jeanmaire; J.-P. Guépin). Pionierarbeit leistet Seaford aber gerade im Bereich des Satyrspiels, dem er wesentlich mehr Bedeutung beimißt als diese seine Vorfahren. Zu einem detaillierten Nachvollzug der betreffenden Interpretationsgeschichte, d. h. zum Verknüpfen von Tragödientheorie und Mysterienwesen, sowie zu neuen Forschungsperspektiven vgl. Schlesier 1995a; auch Bierl 1999. 14 Seaford nennt eine lange Reihe paralleler Motive zwischen den beiden Stücken (vgl. 1981, 272-274) und erklärt ihre Ähnlichkeit damit, daß sie die einzigen unter den erhaltenen Dramen seien, die das ‘ursprüngliche Drama’ repräsentieren, in dem der Chor ein dionysischer Thiasos ist und die Handlung sich um die Initiation in den Thiasos drehe. Während in den Bakchen aber der traditionelle Mythos des Thiasos, der flerÚw lÒgow seiner Mysterien, thematisiert werde, bleibe im Kyklops lediglich diese traditionelle “‘initiatory’ form fused (often with humorous results) with a novel and somewhat discrepant (Homeric) content” (Seaford 1981, 274). – Selbstparodie scheint aufgrund von Datierungserwägungen ausgeschlossen: Seaford 1982 datiert den Kyklops mit schlagenden Argumenten auf 408 v. Chr.; die Bakchen wurden frühestens 406 aufgeführt (vgl. Schol. Ar. Ra. 67; Cropp/Fick 1985, z. B. 20, 23) – Zu einer Frühdatierung des Kyklops vgl. aber z. B. Kaibel 1895, 82-88; Murray 1901, (xviii); Sutton 1974a; 1974b, 175-176; (tendenziell) Müller 1991, 103-104 mit Anm. 25; 110; Hose 1995, 198-203. Für eine Spätdatierung wiederum plädieren neben Seaford u. a. Marquardt 1912; Parry 1930, 319320 mit den Anm. 5 und 6; Dale 1959, 129; Paganelli 1979; Marshall 2001.
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aus den bekannten Titeln,15 erschließen läßt, gehört eine solche Gefangenschaft und/oder ein zu verrichtender Sklavendienst zu den weiteren konventionellen Motiven des Satyrspiels.16 Von vielen schlicht damit erklärt, daß der Satyrspieldichter die Anwesenheit der Satyrn in ihnen fremden mythologischen Gebieten am einfachsten so begründen könne, daß er sie zu Gefangenen eines fremden Herrschers mache,17 wird das Motiv bei Seaford zum Relikt der Mythen um Dionysos. Die “original story” des Satyrspiels stelle sich folgendermaßen dar: Der Thiasos wird von einem Feind und Leugner des Gottes gefangen, schließlich aber befreit (und zu Dionysos zurückgebracht); in der Bezwingung des Feindes, seiner Anerkennung der Göttlichkeit des Dionysos kann demnach ein Reflex des gelungenen Initiationsprozesses gesehen werden, durch den ein dem Uninitiierten verborgen bleibendes Wissen erlangt worden ist. Dem Kyklops sei das initiatorische pattern des ursprünglichen Dramentyps unterlegt, heißt es bei Seaford, der durch die Amalgamierung mit einem Homerischen Stoff komisch verzerrt werde.18 Die resultierende “mock-initiation”19 nun setzt das Nicht-Eingeweihtsein des Kyklopen ebenso voraus wie seinen Widerstand gegen Dionysos: “It is in a sense Dionysos who prevails (454, etc.). Despite his sophistication Polyphemos knows nothing of wine or of Dionysos, is disdainful of the thiasos (204-
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Vgl. die Liste sämtlicher bekannter Satyrspieltitel in Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 661-662. 16 E.: F 375 (Eurystheus); POxy. 2455, fr. 6 (E. Skiron, vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 450-451). Aus den Fragmenten nicht klar ersichtlich, aber denkbar aufgrund der Titel: Pratin.: Palaistai; A.: Isthmiastai oder Theoroi; Kerkyon; Kirke; Lykourgos; Aristias: Kyklops; S.: Amykos; Epi Tainaro; Ichneutai; Inachos; Kedalion; Kophoi; Krisis; Oineus-Satyrspiel; Pandora; Salmoneus; Unsicheres aus dem Sophokleischen Textkorpus: Daidalos; E.: Busiris; Syleus; Unsicheres und Verlorenes aus dem Euripideischen Textkorpus: Theristai; Ion Trag.: Omphale; Achae.: Aithon; Omphale; Python: Agen; Sosith.: Daphnis oder Lityerses; adesp. F 681. – Vgl. zu diesem Topos z. B. bereits Robert 1912, 550; Wilamowitz 1912, 454 (= 1935, 354); Guggisberg 1947, 60-63. 17 So z. B. bei Seidensticker in Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 29; vgl. auch Seaford 1981, 272 Anm. 181; 1984, 34. 18 Vgl. Anm. 14. 19 Auch im Falle der ‘Initiation’ des Pentheus in den Bakchen spricht Seaford 1984, 44 von einer “mock-initiation”. Das Attribut ‘mock’ ist demnach nicht hinsichtlich der Amalgamierung mit einem homerischen Stoff gewählt, sondern deshalb, weil auch in den Bakchen keine eigentliche Initiation dargestellt, sondern nur auf eine angespielt wird.
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205, 220-221), and has to be instructed in the manners of the symposium” (1984, 57).20 Das folgende close reading einiger Passagen des Kyklops ergeben nun aber den Befund, daß es eines immensen rhetorischen Aufwands seitens der Akteure bedarf, um darstellen zu können, wie ‘dionysos-los’ die Kyklopeninsel sei, die von Odysseus auf den ersten Blick für eine Brom¤ou pÒliw (Cyc. 99) gehalten wird. Die Unterdrückung des Thiasos durch den Kyklopen ist tatsächlich ein Thema zu Stückbeginn, hauptsächlich aber im Prolog (Cyc. 1-40), den sein Sprecher, der Silen, zur Inszenierung seiner selbst nutzt. Der Prologbeginn âV BrÒmie, diå s¢ … (1) – suggeriert ein Gebet und dankende Worte an Dionysos, mutiert aber sogleich zu einem Nestorschen Heldenepos auf seine, Silens, Jugend, in der er Dionysos in den abenteuerlichsten Situationen tatkräftig und rettend zur Seite stand (1-9). ka‹ nËn (10) ist Dionysos auf Silen angewiesen: Er ist von tyrrhenischen Piraten geraubt und entführt worden, der Silen und die t°kna, die Satyrn, wären ihnen dicht auf den Fersen, hätte sie nicht just das Schicksal ereilt, das aus der Homerischen Version der Geschichte als Schicksal des Odysseus bekannt ist: beim Kap Malea sind sie in einen Sturm geraten, haben Schiffbruch erlitten und sind auf die Insel der Kyklopen verschlagen worden (10-22). Einer der Inselbewohner, ‘man nennt ihn Polyphem’, hat den Silen und die pa›dew ergriffen und knechtet sie seither aufs abscheulichste: Während die selbst noch jungen Kinder das junge Vieh weiden müssen (28: n°a n°oi), muß der Silen sa¤rein st°gaw, den Palast wischen, beziehungsweise die Höhle mit einer eisernen Harke sauberkratzen (23-35). Der Silen – Dionysos-Retter, Piraten-Jäger, Odysseus und tragisch gefallener König zugleich – steht einem Sklavenschinder gegenüber, der énÒsiow (26; vgl. 31) ist und dussebÆw (30). Die Selbststilisierung zum Opfer eines Dionysosfeindes fügt sich demnach in eine ganze Reihe fremder Rollenbilder, die der Silen sich andichtet. Der Effekt der Rede wird weiter konterkariert durch die Parodos des Chores, der ‘nun wie damals, als er mit Bakchos zum Haus der Althaia zog’ (38-39), die Sikinnis tanzend am Horizont erscheint, und sich zudem 20 Vgl. bereits Seaford 1981, 272-273 (zur Feindseligkeit des Kyklopen gegenüber Dionysos und dem Thiasos); 273 mit Anm. 199 (zur Initiation des Kyklopen: “… Polyphemos is introduced to wine for the first time”).
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erstaunt zeigt über die offenbar ungewohnte spoudÆ des Vaters: étår dØ t¤na, pãter, spoudØn ¶xeiw; ‘Was legst du denn da für einen Ernst an den Tag, Vater?’ (84). Das Einzugslied endet jedoch mit folgender §pvidÒw:21 oÈ tãde BrÒmiow, oÈ tãde xoro‹ Bãkxai te yursofÒroi, oÈ tumpãnvn élalagmo¤, oÈk o‡nou xlvra‹ stagÒnew krÆnaiw par' ÍdroxÊtoiw oÈd' §n NÊsai metå Numfçn ‡akxon ‡akxon »idån m°lpv prÚw tån ÉAfrod¤tan, ìn yhreÊvn petÒman Bãkxaiw sÁn leukÒposin. ~Œ f¤low Œ f¤le Bakxe›e po› ofiopole›w janyån xa¤tan se¤eiw;~ §g∆ d' ı sÚw prÒpolow KÊklvpi yhteÊv t«i monod°rktai doËlow éla¤nvn sÁn tçide trãgou xla¤nai mel°ai sçw xvr‹w fil¤aw.
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Hier weilet kein Bromios, hier gibt es kein Tanzen und keine thyrsosschwingenden Bakchen, kein Dröhnen der Pauken an plätschernden Quellen, keine perlenden Tropfen des Weines. Auch nicht in Nysa, den Nymphen gesellt, laß den Iakchos ich, den Iakchos erschallen, an Aphrodite, die zu erhaschen dahin ich gestürmt im Schwarme weißfüßiger Bakchen. Mein Lieber, du! Mein lieber Bakchos, wohin gehst du, allein? 21 Vgl. die Charakterisierung dieser Stelle bei Bierl 2001, 78-79 als “typisch negative chorische Projektion, die trotzdem als Selbstbezug zu ihrem eigenen Tanzen, Singen und Musizieren fungiert” (78); 2006, 130-131.
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Wo schüttelst du dein blondes Haar? Ich, dein Gefährte, muß für den Kyklopen, das Einaug, mich tummeln im Sklavendienst, mit diesem erbärmlichen Ziegenpelz, ohne deine Liebe! (63-81; Übersetzung von Ebener 1980)
Zu dieser Darstellung der Unterdrückung bakchischen Treibens durch den Kyklopen aus dem Munde der Thiasos-Mitglieder kommen die von Seaford genannten Verse des Polyphem. Bei seinem Auftritt schilt er den Chor: ... t¤ tãde; t¤w ≤ =aiyum¤a; t¤ bakxiãzet'; oÈx‹ DiÒnusow tãde, oÈ krÒtala xalkoË tumpãnvn t' érãgmata. … Was ist denn das? Was für ein Lärm? Was tanzt ihr da bakchisch herum? Hier gibt’s keinen Dionysos, keine Metall-Kastagnetten und keine Paukenschläge! (203-205)22
Wenn Polyphem ‘nichts über Dionysos weiß’, warum verfügt er dann über ein so präzises dionysisches Vokabular, wie es sich in dieser seiner Schelte artikuliert? Woher kennt er,23 um vorerst nur ein Detail herauszugreifen, die tÊmpana, die im 5. Jahrhundert v. Chr. ausschließlich in kultischem Kontext erscheinen?24 Der zweite von Seaford beigebrachte Beleg für Polyphems Feindseligkeit gegenüber dem Thiasos ist eine Replik des Kyklopen auf die ängstliche Bitte des Chores, ihn beim Frühstück nicht mitzuverschlucken: “¥kist': §pe¤ m' ín §n m°shi t∞i gast°ri / phd«ntew épol°sait' ín ÍpÚ t«n sxhmãtvn.” – ‘Nein danke! Ihr würdet mir im Magen rumhüpfen und mich umbringen mit euren Tanzfiguren!’ (220-221). Daß es sich hier um einen Ausdruck des Widerstands gegen den Thiasos und nicht etwa um Angst vor Bauchschmerzen handelt, erscheint alles andere als klar.
22 Übersetzung
angelehnt an Biehl 1986, ad loc. Zum Phänomen des ‘Mehr-’ bzw. ‘Zuviel-Wissens’ der Figuren im Kyklops sei auf meine unveröffentlichte Lizentiatsarbeit Intertextualität und Euripides’ Kyklops, Basel 2001 sowie auf meine im Entstehen begriffene Dissertation verwiesen. 24 Seaford 1984, ad 205; Wegner 1949, 64-65, 228-229. Vgl. auch Voelke 2001, 107-111. 23
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Ist es ferner wirklich so, daß Polyphem in den Regeln des Symposions unterwiesen werden muß?25 Aus den Worten bei seinem ersten Auftritt geht hervor, daß er sich seine Milch – im Gegensatz zu seinem Homerischen Vorfahren – gerne mischen läßt, er trinkt ‘Ziegenmilch, Kuhmilch oder ein Gemisch’ (Cyc. 218: mÆleion µ bÒeion µ memeigm°non; dagegen Od. 9.297: êkrhton gãla26). Die dionysische Kunst des Mischens, von Wein und Wasser natürlich, gehört zu den fundamentalen Regeln zivilisierten Weinkonsums. Gemischt wird beim Kyklopen in Gefäßen, die für Wein angemessener wären: in krat∞rew , p¤yoi und émfor∞w (Cyc. 216: krat∞rew , 217: p¤yon, 327: émfor°a, 388: krat∞ra ... …w dekãmforon)27 und daß er einen ‘drei Ellen weiten und vier Ellen tiefen’ Becher aus Efeuholz (390: skÊfow ... kissoË) besitzt, aus dem er die Milch zu trinken pflegt, ist ein in der Forschung mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit hingenommenes Detail.28 Der mit skÊfow ... kissoË paraphrasierte kissÊbion, in dem der Homerische Odysseus dem Kyklopen den Wein serviert (Od. 9.346), stammt dagegen nicht aus Polyphems Besitz.29 Seafords Initiationsthese ist aufgrund unserer naturgemäß bescheidenen Kenntnisse30 der Dionysosmysterien problematisch. Insofern aber, als sie sich in erster Linie auf einen Mythos um Dionysos stützt, d. h. auf die Version des Pentheus-Dionysos-Mythos der Bakchen, die er als Dramatisierung des flerÚw lÒgow der Dionysosmysterien begreift, ist sie in neuerer Zeit durchaus weitergeführt worden. In der jüngsten Monographie zum Satyrspiel (Voelke 2001) beispielsweise werden Euripides’ Kyklops und 25
Vgl. zum Symposion im Kyklops mit teilweise ähnlichen Beobachtungen Rossi 1971; Hamilton 1979; Napolitano 1999. 26 Daß es sich bereits bei dieser Homerstelle um eine komische Bezugnahme auf die Praxis des Weinmischens handelt (und nicht, wie auch behauptet wurde, um ein Indiz für spezifische Arten der Milchverarbeitung), hat man längst erkannt: Robbins 1915; Lofberg 1921. 27 Vgl. Voelke 2001, 185-189 und 326 mit Anm. 68. 28 Vgl. aber Napolitano 1999, 58. 29 Seaford 1984, ad loc. bemerkt zwar den ‘Besitzerwechsel’, reflektiert ihn aber nicht. Zu Beschaffenheit, antiken wie modernen Etymologien, Synonyma und den gebräuchlichen Paraphrasen von kissÊbion vgl. Dale 1952. Daß es sich bei der Verbindung mit kissÒw um eine Volksetymologie handelt, ist möglich, doch “Euripides, and Timotheus after him, writing as town poets, not country craftsmen, assumed the derivation ‘vessel of ivy-wood’ for kissÊbion …”, befindet Dale 1952, 102. 30 Vgl. aber z. B. Burkert 1987 passim zu den Mysterienkulten im allgemeinen; Seaford 1981; Schlesier 1995a, bes. 389-397; Seaford 1996, 39-44; Bierl 1999.
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diverse Satyrspieltopoi vor dem Hintergrund des den Großen Dionysien zugrundeliegenden Festmythos interpretiert:31 Auch im Mythos des Dionysos Eleuthereus finden sich,32 wie in Seafords aus den Bakchen (und Kyklops) extrapoliertem flerÚw lÒgow, die Motive der anfänglichen Mißachtung des Gottes, des Widerstands und der axenia33 gegen ihn, die erst durch eine Bestrafung der Widerständischen gebrochen und in eine Initiation in dionysisches Wissen überführt werden können.34 Drei antiken Zeugnissen zufolge gestaltet sich der Mythos von Dionysos Eleuthereus folgendermaßen:35 Als in Athen einer aus Eleutherai in Böotien eingeführten Statue des Dionysos jede Ehrerbietung verweigert wurde, bestrafte der erzürnte Gott die athenischen Männer mit einer Geschlechtskrankheit. Erst die Herstellung kultischer Phalloi seitens der Athener vermochte ihn zu besänftigen. An den Tisch des Athener Königs Amphiktyon gebeten, führte Dionysos ihn in die Kunst zivilisierten Weingenusses, das heißt des Weinmischens ein. Voelke konzipiert daher Dionysos als ‘Gott der Mischung’:36 Euripides’ Polyphem, der als êmeiktow énÆr (Cyc. 429) charakterisiert wird, der nach dem Weingenuß eine êkratow xãriw (577) erlebt und von Odysseus in einen Ïpnow êkratow (601-602) gewünscht wird, wird bei Voelke in Opposition zum ‘Gott der Mischung’ gedacht und als ein Widersacher des Gottes verstanden, wie ihn im Festmythos der Großen Dionysien die Athener, in weiteren Dionysos-Mythen Figuren wie Lykurg oder Pentheus verkörpern: “… son châtiment viendra d’un vin bu en solitaire et sans mélange, qui le fera jouir d’une joie sans mélange …, avant de le plonger dans un sommeil également pur …” (2001, 387).
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Voelke 2001, 386-389. Vgl. auch 19 Anm. 10, 49-50 und 307-309; Stellungnahme zu Seafords Theorie: Voelke 2001, 384-386. 32 Zur Bedeutung dieses Mythos und der ihm zugrundeliegenden oder auf ihn bezugnehmenden Rituale im Kontext der Großen Dionysien vgl. auch Sourvinou-Inwood 1994; 2003, bes. 72-75, 100-104 und 149-154; 2005, bes. 14-15. Siehe zum rituellen xenismos (der in der Einladung des Dionysos an den Tisch des Amphiktyon sein mythisches Pendant findet) Sourvinou-Inwood 1994; 2003, bes. 69-100. 33 Zur axenia gegen Dionysos vgl. Voelke 2001, 378, 381, 386-387, auch 301-313. 34 Vgl. weiter unten VII, 1. 35 Schol. ad Ar. Ach. 243a; Paus. 1.2.5; Philoch. FGrH 328 F 5b. Ferner PickardCambridge 1988, 57-58. 36 “Le dieu étranger s’avère ainsi également dieu du mélange: mélange entre vin et eau et, grâce à lui, mélange entre citoyens buveurs” (Voelke 2001, 386).
346
Rebecca Lämmle
Die Selbstverständlichkeit, mit der Voelke davon ausgeht, daß der Kyklop seinen Wein ungemischt trinkt, fügt sich zwar stimmig in ein diskursives Umfeld, das die fraglos vorhandenen barbarischen Züge des Euripideischen Kyklopen betont, ist angesichts verschiedener Überlegungen aber nicht zwingend berechtigt: Im Verlaufe ihrer ersten Begegnung bietet Odysseus dem Silen eine Kostprobe des von ihm mitgebrachten Weines an und fragt: “boÊlhi se geÊsv pr«ton êkraton m°yu;” – ‘Willst du nicht kosten von dem Wein, noch unvermischt?’ (149). Wie erklärt sich Odysseus’ Betonung der Weinkonzentration besser als dadurch, daß er den Wein nachher zu mischen gedenkt? Innerhalb der Symposionszene, in welcher der diebische Silen allen Wein, dessen er nur habhaft werden kann, verstohlen wegzutrinken sucht, besteht der Kyklop auf sein Recht, auch aus dem Becher trinken zu dürfen. Der Silen legitimiert seine Unverschämtheit damit, daß er die Mischung prüfen müsse: “p«w oÔn k°kratai; f°re diaskec≈meya.” – ‘Wie ist er denn gemischt? Das muß man doch wohl prüfen!’ (557). Zu diesen beiden textinternen Indizien dafür, daß der Kyklop seinen Wein mit den erforderten belles manières zu sich nimmt, kommen folgende weitere Überlegungen: Einmal scheint das Mischen von Wein ein beliebtes Satyrspiel-Motiv zu sein.37 Besondere Aufmerksamkeit gebührt hier dem einzigen erhaltenen Fragment des gleichnamigen Vorläufers des Euripideischen Kyklops, Aristias F 4, einem sprichwörtlich gewordenen Vers:38
37
Aristias F 4 (Kyklops); adesp. F 90 (Euripides’ Syleus zugeschrieben) = Ath. 2.48a, vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 464-465 mit Anm. 21; Achae. F 9 = Ath. 10.427c (Aithon), vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 499-500 mit den Anm. 21 und 23; Achae. F 14 (Alkmeon) = Ath. 11.480f, vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 509; Astyd. F 3 (Hermes) = Ath. 11.496e, vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 576; Lyc. F 2 (Menedemos) = Antigonos von Karystos (p. 100b Wil.) = Ath. 10.420b, vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 620-621 mit Anm. 8; adesp. F 420 = Plu. mor. 1109e = sat. inc. F 40 Steffen (die Genrezugehörigkeit dieses Fragments ist allerdings nicht gesichert), vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 634. 38 Überliefert ist das Sprichwort u. a. in der Suda s. v. ép≈lesaw und beim byzantinischen Sprichwortsammler Michael Apostolios (Apostol. 3.60 = Leutsch 1951, 300301), mit dem Quellenverweis auf eine Schrift des Peripatetikers Chamaileon per‹ satÊrvn; vgl. auch Zen. 2.16 = Leutsch/Schneidewin 1839, 35-36; Diogenian. 2.32 = Leutsch/Schneidewin 1839, 200. Vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 219 mit Anm. 5.
Der eingeschlossene Dritte
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POLUFHMOS (ad Ulixem) ép≈lesaw tÚn o‰non §pix°aw Ïdvr Verdorben hast du den Wein, weil du Wasser hineingegossen hast!
Page 1955, 308; Seaford 1984, 130-131 zu Cyc. 149. Seaford 1984, ad loc. erklärt épole›w denn auch als ‘épole›w me’ und fügt vorsichtig hinzu, daß möglicherweise, als sous-entendre, der Wein mitgemeint sei. 41 Es ist zu erwägen, ob mit dem Verderben des Weines nicht die Berührung des lechzenden Silen gemeint sei (vgl. Seaford 1984, ad loc.), der interessanterweise wenige Verse später den Kyklopen auffordert, sich erst die Nase zu schneuzen oder, hier gibt es keinen philologischen Konsens, den Mund abzuwischen (561). Die handschriftliche Überlieferung lautet épomukt°on; die Stelle bedeutete demnach, daß sich der Kyklop erst die Nase von mucus säubern müsse. Daß mucus sich auch in Haar und Mund verfangen kann, hat Kassel mit einer Plautus-Parallele gezeigt (1955, 279). Seaford 1984, ad loc. schlägt dagegen vor, die in den kritischen Ausgaben von Wecklein, Méridier, Duchemin und Diggle, nicht aber von Murray und Biehl übernommene Emendation Cobets, épomakt°on, zu halten – unappetitlich ist beides. 40
348
Rebecca Lämmle Und wenn sie ihn trinken wollten, den honigsüßen roten Wein, so füllte er einen Becher auf zwanzig Maße Wasser und goß ein, und ein süßer Duft duftete von dem Mischkrug auf, ein göttlicher … (Od. 9.208-211a)
Die Beteuerung der ungeheuren Potenz dieses Weines ist für den Homerischen Odysseus entscheidend, um plausibel machen zu können, daß der Inhalt des von ihm mitgeführten Weinschlauchs ausgereicht habe, um einen Riesen trunken zu machen, ‘der keinem brotessenden Manne gleicht, sondern einer bewaldeten Felsenkuppe’ (Od. 9.190-191), dessen Türstein nicht einmal ‘zweiundzwanzig Wagen, tüchtige, vierrädrige, wegwuchten könnten von dem Boden’ (240-241). Daß der Silen über Odysseus’ Weinschlauch befindet: “otow m¢n oÈd' ín tØn gnãyon plÆsei° mou” – ‘Das bißchen wird mir ja kaum die Backen richtig füllen’ (Cyc. 146), nährt die Vermutung, daß der Kyklops mit diesem Homerischen Motiv spielt. Fassen wir das bisher Gesagte kurz zusammen: Der von der Forschung zum barbarischen Uninitiierten stilisierte Kyklop wird von den Thiasosmitgliedern als Dionysosfeind eingeführt, und bei seinem Auftritt verbittet er sich tatsächlich jegliches dionysisches Treiben auf der Insel; dabei verfügt er aber über ein präzises dionysisches Vokabular,42 einen eigenen Becher aus Efeuholz sowie die beim Symposion üblichen Gerätschaften und Manieren: Sowohl seine Milch als auch den Wein trinkt er gemischt und – wie es sich gehört – nach dem Essen.43 Daß es sich bei Polyphem um einen Dionysosfeind handele, erscheint schon aufgrund dieser Beobachtungen als fraglich. Bereits nach dem ersten Schluck Wein ist Polyphem glücklich, lobt den herrlichen Trank und beginnt zu singen. So berichtet es Odysseus, der vor die Höhle getreten ist, um die Satyrn über das grausame Schauspiel, das sich im Höhleninnern abspielt, und seinen Rache- und Fluchtplan ins Bild zu setzen (375-376, 379-380, 382-436). Das größte Problem für Odysseus scheint nicht die unmittelbar vorhergegangene Verspeisung 42 Vgl.
oben 343 sowie folgende Anmerkung. Cyc. 325-327. Voelke 2001, 185-186 mit Anm. 7 führt ferner an, daß die in der Rhesis des Kyklopen verwendeten, auf seinen Milchkonsum bezogenen Begriffe t°ggv und Ípt¤ow (326) auch in den Bereich der Sprache des Weins gehören: ersteres, (an-) feuchten, kann sich auf den Konsum von Wein beziehen, letzteres ist ein Adjektiv, das die Lage eines Betrunkenen bezeichnen kann. So schon Burzacchini 1979, 66-68, der den Vers und ihren unmittelbaren Kontext als Anspielung(en) auf Alkaios (fr. 338 Voigt) auffaßt (vgl. auch Seaford 1984, ad 326, 329). 43
Der eingeschlossene Dritte
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zweier seiner Gefährten zu sein, sondern vielmehr die sich offenbarende Symposion-Kompatibilität des Kyklopen: “§p‹ k«mon ßrpein prÚw kasignÆtouw y°lei / KÊklvpaw ≤sye‹w t«ide Bakx¤ou pot«i.” – ‘Er will zum Zechen gehen, zum Komos, mit seinen Brüdern, / den Kyklopen, beglückt durch meinen Bakchos-Trank.’ (445-446)44 Die in diesem Falle einmal pragmatische Idee der Satyrn, den Unhold auf dem Weg zu seinen Brüdern von einem Fels zu stürzen, schmettert Odysseus kurzerhand ab: oÈd¢n toioËton: dÒliow ≤ proyum¤a – ‘Nichts dergleichen! Listiges hab’ ich im Sinn’ (449); er wolle ihn von der Idee eines k«mow abbringen, ihm zureden, er solle den Wein alleine trinken. Odysseus verschwindet in der Höhle, der Chor beginnt ein Lied zu singen, in das der im Höhleneingang erschienene Polyphem bei Vers 503 einstimmt: papapa›: pl°vw m¢n o‡nou, ... Ípãgei m' ı fÒrtow eÎfrvn §p‹ k«mon Σrow Àraiw §p‹ KÊklvpaw édelfoÊw. f°re moi, je›ne, f°r', éskÚn ¶ndow moi. Lalala! Bin voll des Weines, … Mich verlockt die Freudentrift zum Gelag zur Frühlingszeit, lockt mich hin zu den Kyklopenbrüdern! Los doch, Fremdling, gib mir den Schlauch zur Hand! (503; 507-510; Übersetzung von Ebener 1980)
Auf das Chorlied folgt eine Stichomythie zwischen Odysseus und Polyphem über Bakchos, die Odysseus in durchaus initiatorischem Wortlaut eröffnet: “KÊklvc, êkouson: …w §g∆ toË Bakx¤ou / toÊtou tr¤bvn e‡m', ˘n pie›n ¶dvkã soi.” – ‘Hör zu, Kyklop; ich verstehe mich ja gut auf den Bakchos, den ich dir da zu trinken gab.’ (519-520) Polyphem ist interessiert und erkundigt sich nach dem Gotte; die Antwort des Odysseus, es handele sich um den größten Gott für die Freude der Menschen, kommentiert er beipflichtend. Auf Odysseus’ Aussage hin, 44
Selbstredend stellt ein Komos von Kyklopen eine besonders große Gefahr dar. Zum Diskurs des Komos siehe ausführlich Bierl 2001, 300-361.
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der Gott schade auch keinem Menschen, zeigt sich Polyphem nur darüber verwundert, daß ein Gott sich freiwillig einsperren lasse, und ist von Odysseus nicht davon abzubringen, seinem Befremden Ausdruck zu verleihen: Ku. Od. Ku.
Wie kann der Gott bloß gern in einem Schlauch hausen? Wohin man ihn auch tut, er paßt sich an. Kein Gott sollte seinen Körper in einem Fell stecken haben. (525-527)
Ein paar weitere Verse werden ausgetauscht, der Kyklop bekundet abermals seine Zuneigung zum Inhalt des Schlauches. Als Odysseus ihn zum Weitertrinken auffordert, unterbricht ihn der Kyklop mit der Frage: “oÈ xrÆ m' édelfo›w toËde prosdoËnai potoË;” – ‘Muß ich denn nicht den Brüdern von diesem Trank etwas abgeben?’ (531). Hier bezieht sich der Kyklop offensichtlich auf den Verhaltenskodex des Symposions und Odysseus kann ihn nur unter Aufbietung seines (selbst unter den Satyrn) legendären45 rhetorischen Talents von der Idee eines k«mow abbringen: Od. Ku. Od. Ku. Od. Ku. Od. Ku. Si.
Behältst du ihn für dich, wirst du um so ehrwürdiger. Geb’ ich den Freunden davon ab, um so nützlicher. Gelage arten doch bloß aus zu bittrem Streit und Prügeln. Gut, ich bin betrunken: Doch wird mich ja wohl niemand anfassen. Mein Freund, wer gezecht hat, soll zu Hause bleiben!
45 Vgl.
z. B. Cyc. 314-315.
Der eingeschlossene Dritte Ky. Od. Ky. Si.
351
Ein Dummkopf, wer sich nach dem Zechen nicht nach einem Komos sehnt! Weise hingegen, wer im Rausch zu Hause bleibt! Was tun, Silen? Bist auch du dafür, zu bleiben? Aber sicher! Wozu braucht man zum Zechen schon Genossen? (532-540)
Nicht nur verfügt Polyphem über diverse symposion- und komosbezogene Sentenzen, er drängt geradezu darauf, dem betreffenden Verhaltenskodex zu entsprechen: Er ist, so scheint es, schon vor der Begegnung mit Odysseus in die Abläufe des Symposions initiiert und eine allzu dionysosfreundliche Postfiguration eines Pentheus oder Lykurg. Im Kyklops wird also wiederholt auf der Abwesenheit des Dionysos beharrt, der doch allenthalben hervorschimmert: Obwohl sie vom erbitterten Dionysosgegner jeder dionysischen Freude beraubt und von ihrem geliebten Herren getrennt zu sein vorgeben, tanzen die Satyrn noch vor der Ankunft der ‘weinbringenden’ Griechen die Sikinnis, als ob sie in Begleitung des Dionysos wären.46 Obwohl auf der Insel keine Traube wachse und Wein ein unbekanntes Gut sei und obwohl der Kyklop kein dionysisches Treiben dulde und ein épa¤deutow sei, den es in den Komos zu ‘initiieren’ (paideÊein) gelte (492-493), hat er die beim Symposion erforderten Geräte und Manieren, ist der ‘Sprache des Weines’ mächtig und will zum Komos mit seinen Brüdern schreiten. Falls Seafords These gehalten werden soll, daß dem Kyklops eine initiatorische Struktur zugrundeliege, muß das permanente Betonen der Abwesenheit des Gottes zu Stückbeginn demnach als der Versuch gewertet werden, dem initiatorischen pattern zu entsprechen. Die eigentümliche Spannung zwischen der Ab- und Anwesenheit, der ‘Unterdrückung’ und dem ‘Hervordrängen’ des Dionysos, soviel mindestens läßt sich sagen, träte im Fall der Richtigkeit der Initiationsthese nur um so deutlicher zu Tage. Zunächst ist aber nach dem Vorkommen des Phänomens im übrigen Satyrspielkorpus zu fragen.
46
2006.
Siehe aber auch die “performativ-rituelle” Erklärung dieses Umstands bei Bierl
352
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III47 In den vermutlich zu rund zwei Dritteln48 erhaltenen Ichneutai des Sophokles sind die Satyrn, angelockt durch ein Kopfgeldversprechen des Apollon, auf der Suche nach den gestohlenen Rindern. Man kann sich vorstellen, wie hilfreich eine Horde wild Tanzender beim Verfolgen verworrener Spuren ist, zumal plötzlich nie gehörte Laute erklingen und die Satyrn in Panik versetzen – es sind die der Lyra, die der Säugling Hermes soeben erfunden und geschaffen hat. Die Suche gilt nunmehr der rätselhaften Quelle dieser Klänge. Der Chor gerät an die Nymphe Kyllene, in deren Obhut sich das Kleinkind befindet. Sie begrüßt den Chor mit wenig Charme: y∞rew, t¤` [tÒ]nde xloerÚn Íl≈dh pãgon ¶n`[y]hro`n …rmÆyhte sÁn poll∞i bo∞i; t¤w ¥de t°xnh; t¤w metãstasiw pÒnvn, oÓw prÒsyen e‰xew despÒthi xãrin f°rvn, u..i`now afie‹ nebr¤nhi kayhmm°n[o]w dorçi xer[o]›`n t`e` y`Ê`r`s`[o]n` eÈpal∞ f°rvn ˆpisyen eȤazew émf‹ tÚn yeÚn sÁn §ggÒnoiw nÊmfaisi kafipÒlvn ˆxlvi; nËn d' égno« tÚ xr∞ma: po› strofa‹ n°a`i` mani«n str°fousi; yaËma går kat°kl`[u]o`n ımoË pr°pon k°leumã pvw ku`n`h`get[«]n §ggÁw molÒntvn yhrÚw eÈna¤[ou] t`ro`[.]hw ...
225
230
Ihr Tiere, was stürmt ihr meinen grünen, waldigen, wildreichen Hügel mit lautem Gebrüll? Was ist das für eine Art? Was für eine Abkehr von deinem 47
Eine ähnliche Zusammenstellung von Satyrspielpassagen bieten Seaford 1984; Bakola 2005; Bierl 2006. Vgl. Anm. 2. 48 Erhalten sind rund 450 Verse; Der Kyklops ist mit seinen 709 Versen das weitaus kürzeste erhaltene griechische Drama; obwohl das Papyrusfragment der Diktyulkoi mit Vers 832 vor Stückende abbricht, ist es sehr wahrscheinlich, daß darauf nur noch die Schlußszene folgte, das Stück folglich ebenfalls deutlich kürzer war als eine Tragödie; auch die Euripideische Alkestis, als viertes Stück in der Tetralogie in ‘Satyrspielposition’, fällt mit 1163 Versen deutlich kürzer aus als die erhaltenen Tragödien. Zum allgemein akzeptierten Charakteristikum der brevitas des Satyrspiels vgl. Casaubon 1605, 15: “propria etiam satyricae videtur fuisse fabulae simplicitas et breuitas … .” Vgl. auch Conacher 1967, 323; Storey/Allan 2005, 157.
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früheren Dienst, als du dem Herrn Freude machtest, betrunken und ins Rehfell gehüllt in den Händen den leichten Thyrsosstab bakchantisch zu jauchzen pflegtest, im Gefolge des Gottes zusammen mit den Nymphen aus eurer Sippe und dem Haufen der Ziegenhirten? Doch das hier ist mir unbekannt! Wohin lenken euch die neuen Windungen eurer Raserei? Verwundert hörte ich zugleich ein helles Rufen wie von Jägern … (S. F 314, 221-232; Übersetzung von Scheurer/Bielfeldt49)
Daß Kyllene hier die eigentliche Satyrtätigkeit beschreibt, scheint evident,50 findet sich diese doch auch in anderen Satyrspielen formuliert. Bereits im sogenannten Hyporchema des Pratinas (F 3)51 tut ein Satyrchor seine Empörung darüber kund, daß ein offenbar neuartiger ‘Lärm’, ein ‘freches Tun an Dionysos’ tumultreichen Altar gedrungen’ sei, und pocht auf sein exklusives Recht – §mÚw §mÚw ı BrÒmiow ... (1) – für Dionysos singen, toben, tanzen und mit den Najaden übers Gebirge stürmen zu dürfen.52 Ausführlicher noch und in vergleichbar “vigorous parataxis” (Seaford 1984, ad 63-67) ist das eigentliche Dasein der Satyrn im Kyklops in der zitierten §pvidÒw des Einzugslieds umrissen: Es sind die Begleitung des Bakchos und thyrsosschwingender Bakchen und Nymphen, Tanz und Gesang, dröhnende Pauken, der stürmische Versuch, ‘Aphrodite zu erhaschen’, die dieses Dasein ausmachen.
49 In
Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 302-303. Allerdings besteht kein Konsens in der Frage, welchen Herrn Kyllene hier meine: Dionysos (Maas 1912, 43; Robert 1912; Maltese 1982, 21-22; Martino 1987/1988, 13-19; Lloyd-Jones 1996, 141-142; Conrad 1997, 100-104), Apollon (diskutiert bei Maltese 1982 und Martino 1987/1988) oder Pan (Siegmann 1941; Seaford 1984): vgl. Seaford 1984, 34-35 mit Anm. 89 und 90. Voelke 2001, 77 liegt sicher richtig mit der Bemerkung, daß Kyllene in der zitierten Passage “évoque … une époque où ils servaient un maître qui ne peut être que Dionysos.” Auch Bakola 2005, 52 hegt keinen Zweifel an der Richtigkeit der Identifizierung mit Dionysos. 51 Zu Pratinas vgl. Hermann 1848; Blaß 1888; Becker 1912; Pohlenz 1927; PickardCambridge 1962, 17-20, 65-69; Lloyd-Jones 1966; Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 74-87 (mit umfassenden Literaturangaben); speziell zu Pratin. F 3 (‘Hyporchema’): Garrod 1920; Roos 1951, Exkurs II, 209-235; Pickard-Cambridge 1962, 5, 17-20, 35; Seaford 1977/1978; 1984, 15-16; Zimmermann 1986; Melero 1991; Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 81-87; Seaford 2004, 86; Bierl 2006, 120-128. 52 Meine Paraphrase basiert auf der deutschen Übersetzung des Fragments von Schloemann in Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 82-83. 50
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Kyllene bringt demnach die Spannung zum Ausdruck, die sich für die Satyrn zwischen ihrer eigentlichen und der neuen, im Auftrag eines anderen Gottes übernommenen Rolle ergibt. In Aischylos’ Isthmiastai oder Theoroi53 sind die Satyrn offensichtlich aus dem Dienst bei Dionysos ausgebrochen;54 sie haben sich nach Isthmia begeben, um bei Poseidon anzuheuern.55 Nicht nur haben sie sich davongestohlen, sie haben auch den Tanz aufgegeben,56 für die Isthmischen Spiele57 zu trainieren begonnen58 und sich bereits in Athleten-Manier ihre sonst exponierten Phalloi zurückgebunden.59 Sie sind mit Fichte bekränzt, ‘statt dem Efeu Ehre zu erweisen’;60 sie lästern über Dionysos61 und verschleudern seine Güter:62 Kein Wunder, daß er ihnen folgt63 und daß es Ärger64 gibt und Vorwürfe65 hagelt. So schwierig sich eine Rekonstruktion der Isthmiastai oder Theoroi angesichts der Fragmentarität des Textes auch gestalten mag, scheint doch klar, daß hier eine vergleichsweise extreme Form von Spannung zwischen der An- und Abwesenheit des Dionysos vorliegt. Bezeichnenderweise provoziert dieser radikale Emanzipationsversuch der Satyrn einen der seltenen Auftritte des Gottes in persona im Satyrspiel. Die Gefangenschaft des Satyr-Thiasos bei einem fremden Herrscher oder mindestens sein Aufenthalt bei einer ihm fremden Person dürfte, wie erwähnt, zu den Topoi des Genres gehört haben. Damit geht die Ausübung fremder Rollen einher – fremd in bezug auf die ‘eigentliche’ Rolle der Satyrn, wie sie Kyllene in den Ichneutai, die Satyrn im Hyporchema oder 53 Die Übersetzungen der Isthmiastai-Passagen sowie die (auf den Vorschlägen Bruno Snells und anderer basierende) Rekonstruktion des plots sind jene von Wessels und Krumeich in Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 136-141. 54 A. F 78a, col. I, 23-24. 55 Vgl. die Erwähnung des Poseidon-Heiligtums in F 78a, col. I, 18, 22; F 78c, col. II, 43-48. 56 F 78a, col. I, 32-33; F 78c, col. II, 37-38; evt. F 79. 57 F 78a, col. I, 30, 34; F 78c, col. II, 39, 46, 58. 58 F 78a, col. I, 30-31, 34-35; F 78c, col. II, 39-40. 59 F 78a, col. I, 29. 60 F 78c, col. II, 39-40. 61 F 78a, col. II, 64-72; F 78c, col. II, 40, 42. 62 F 78a, col. I, 35. 63 F 78a, col. I, 23-27. 64 F 78c, col. I, 1-2; col. II, 41. 65 F 78a, col. I; col. II; F 78c, col. I; col. II, 37-42.
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am Ausgang der Parodos des Kyklops formulieren. Die Satyrn und/oder der Silen scheinen, entsprechend der großen Anzahl fremder Herren, denen sie zu dienen hatten, in unzähligen Rollen aufgetreten zu sein.66 Daß die Abwesenheit oder versuchte Eliminierung des Gottes in diesen Stükken des öfteren thematisiert wurde, läßt sich mit gutem Grund vermuten. Dionysos in den Händen von Piraten; kein Wein auf der KyklopenInsel; Milch- statt Weingemisch in den krat∞rew ; Dionysos in einen engen Schlauch gesperrt; Jagd nach Kühen und Klängen statt nach Nymphen; Infibulation statt freie Phalloi; Sport statt Tanz; Fichten- statt Efeukränze; Dienst bei fremden Göttern und Herren, bei Bösewichtern und Monstern statt bei Dionysos; der Thiasos in fremden Rollen:67 Das Phä-
66 U. a. scheinen sie aufgetreten zu sein als Anwärter für die Lösung des SphinxRätsels (evt. A. Sphinx), Arzt des Herakles (sc. der Silen; Dionysios Limos), Athleten (evt. Pratin. Palaistai; A. Isthmiastai oder Theoroi; evt. Kerkyon; Achae. Athla oder Athloi; evt. S. Amphiareos; **F 1130 (Sophokles’ Oineus-Satyrspiel zuzuordnen: vgl. Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 368-374); E. Autolykos; Busiris), Flötenspieler (evt. Iophon Aulodoi; vgl. auch adesp. F 381), Hämmerer (evt. S. Pandora oder Sphyrokopoi), Händler (sc. der Silen; E. Cyc.), Haushofmeister (sc. der Silen; evt. S. Inachos; E. Syleus; Cyc.), Heloten (S. Epi Tainaro), Hirten (evt. S. Inachos; evt. Admetos (?); E. Cyc.), Jäger (S. Ichneutai), Keren (evt. Aristias Keres), Köche (Achae. Aithon), Kultanhänger des Poseidon (A. Isthmiastai oder Theoroi), Lohndiener (evt. S. Salmoneus), Mitstreiter des Herakles im Kampf gegen die lernäische Hydra (evt. E. Eurystheus), pary°noi und Luda‹ cãltriai (evt. Ion Trag. Omphale), propompo¤ (A. Propompoi; Achae. Hephaistos), prÒskopow (sc. der Silen; evt. E. Skiron; vgl. mit Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 450-451, POxy. 2455, fr. 6.81-82), Raumpfleger (sc. der Silen; E. Cyc.), Schicksalsgöttinnen (evt. Achae. Moirai), Schmiedegesellen (evt. S. Kedalion), Schnitter (evt. E. Theristai; evt. Sosith. Daphnis oder Lityerses), Schüler (adesp. F 5g (Mathetai Satyroi)), Seefahrer (E. Cyc.), Seher (evt. S. Amphiareos; vgl. auch **F 1130.12-13), Sportreporter resp. Boxkampf-Kommentatoren (evt. S. Amykos.), Symposiasten (Achae. Linos), Tochter des von Autolykos Bestohlenen (sc. der Silen; E. Autolykos, vgl. Tz. H. 8.435-438, 442-453), Reiseleiter respektive prÒjenow (sc. der Silen; A. Diktyulkoi, vgl. E. Cyc.), Verehrer des (als Frau verkleideten?) Achilleus (evt. S. Achilleos Erastai), Wächter eines Heiligtums (evt. S. Amphiareos), Weinberg-Arbeiter (evt. E. Syleus). 67 Nur ein relativ geringer Anteil der überlieferten Satyrspieltitel läßt sich dem dionysischen Mythenkomplex zuordnen: A. Lykurgos und vielleicht Trophoi, deren Genrezugehörigkeit allerdings nicht gesichert ist; S. Dionysiskos; Achae. Iris und Hephaistos; Polyphrasmon Lykurgeia-Satyrspiel (Snell/Kannicht 1986 = TrGF 1, 7, F 1); Timokles Lykurgos (Snell/Kannicht 1986 = TrGF 1, 86, T 2). Seidensticker in Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 19 Anm. 100, vermutet in einigen Vasendarstellungen Hinweise auf Satyrspiele über die Teilnahme von Satyrn and der Gigantomachie (so schon Seaford 1984, ad 5-9, der die Teilnahme allerdings den frühen ‘fremden’ Rollen zurechnet), ferner Stücke über die Rückführung des Hephaistos und den Diebstahl der Iris (hierbei könnte man ebenfalls an frühe ‘fremde’ Rollen denken, vgl. vorherige Anm. s. v. propompo¤).
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nomen der Abwesenheit oder der versuchten Eliminierung des Dionysos erweist sich als äußerst persistent.
IV Ehe dieses Phänomen in einem kulthistorischen und poetologischen Diskurs verortet wird, sollen zunächst die hierfür relevanten Manifestationen dieses Diskurses oder vielmehr die Versuche ihrer Rekonstruktion in der antiken wie modernen Gelehrsamkeit skizziert werden. Die folgenden Punkte werden dabei herausgegriffen: 1. das Sprichwort oÈd¢n prÚw tÚn DiÒnuson und seine antiken Auslegungen; 2. die Tragödienentstehungshypothese in Aristoteles’ Poetik; 3. weitere Versuche, den Ursprung der Tragödie zu rekonstruieren sowie die korrelierenden Etymologien von tragvido¤ und tragvid¤a. 4. wird ein allen Rekonstruktionen inhärentes Moment von Komik thematisiert und 5. die Frage nach der ‘Dionysizität’ des Satyrspiels gestellt. Um eine detaillierte Darstellung, geschweige denn eine Klärung dieses vielleicht meistdiskutierten Problemfeldes antiker Kulturgeschichte kann es im folgenden nicht gehen. Ziel dieser Ausführungen ist es, einige Koordinaten bereitzustellen, zu denen sich das hier bedachte Phänomen in Beziehung setzen läßt. 1. Die Inszenierung der Abwesenheit des Dionysos im Satyrspiel dürfte man zunächst mit dem Sprichwort oÈd¢n prÚw tÚn DiÒnuson assoziieren, das in der antiken parömiographischen Tradition gleich mehrfach68 – aber mit unterschiedlichen Erklärungen – auf uns gekommen ist.69 Als größter gemeinsamer Nenner der verschiedenen Interpretationen läßt sich herausstellen, daß es sich bei der Wendung um einen Protestruf des Theaterpublikums, eine Reaktion auf Veränderungen der Theaterdarbietungen handelte. Als Anlaß zum Protest werden genannt: a.) das Verfassen einer Tragödie zu Ehren des Dionysos durch Epigenes von Sikyon. Diese ver68 Vgl. die diversen Stellenangaben zu Zen. 5.40 in Leutsch/Schneidewin 1839, 137 Anm. ad loc. 69 Zur modernen Diskussion des Sprichworts vgl. z. B.: Pickard-Cambridge 1927, 166-168; Pohlenz 1927, 299-303 = 1966, 474-478; Ziegler 1937, 1931-1935; Murray 1943, 52; Roos 1951, 136-137; Pickard-Cambridge 1962, 124-126; Else 1965, 18; Burkert 1966, 89 mit Anm. 3; Seaford 1976, 209; 1981, 269 mit Anm. 155; Vernant 1981; Friedrich 1983, 159, 212 et al. Anm. 1; Seaford 1984, 11-12; Introduction zu Winkler/ Zeitlin 1990, 3; Bierl 1991, 5-8; Schlesier 1995b, 132-133; Friedrich 1996, 259, 263, 272, 274, 278 Anm. 10 und 11; Graf 1998, 12; Voelke 2001, 395; Bierl in diesem Band.
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knappte, weil als wertlos erachtete Erklärung findet sich in der Suda, ihre “Urform” scheint in der Sprichwörtersammlung des Coislinianus erhalten zu sein, wo der Ausruf als Reaktion darauf erklärt wird, daß Epigenes, nachdem die Dichtung ihren Auftakt im Dithyrambos genommen und tå prÚw tÚn DiÒnuson énÆkonta thematisiert habe, oÈx oÏtv poiÆsaw;70 b.) das Ersetzen ursprünglicher saturikã über Dionysos durch Tragödien über andere Stoffe und Geschichten, die nicht mehr von Dionysos handelten. So soll Chamaileons Erklärung in seiner Monographie per‹ Y°spidow (fr. 38 Wehrli = 48 Giordano = 4 Bagordo) gelautet haben; c.) die Verdrängung der ursprünglichen Heiterkeit der Stücke, als Phrynichos und Aischylos mÊyouw und pãyh einzuführen begannen. Plutarch läßt diese Erklärung in einem Vergleich verlauten – ihm sei danach, mit diesen Worten zu protestieren, wenn Gespräche beim Symposion zu ernst und tiefsinnig werden;71 d.) die Verdrängung von Dithyramben zu Ehren des Dionysos durch ‘Aianten und Kentauren’. Diese letzte Erläuterung des Protestrufs findet sich bei Zenobius (5.40), bei dem als einzigem eine Reaktion auf den Publikumsprotest erwähnt wird: Man habe daraufhin SatÊrouw eingeführt, damit nicht der Eindruck entstehe, man habe den Gott vergessen (diå goËn toËto toÁw SatÊrouw Ïsteron ¶dojen aÈto›w proeisãgein, ·na mØ dok«sin §pilanyãnesyai toË yeoË). Für eine philologische und historische Wertung dieser einzelnen Erklärungen ist hier nicht der Platz. Ich möchte sie aber in einem Diskursfeld verorten, in dem nicht nur der Status der Tragödie, sondern auch jener des Satyrspiels reflektiert wird. Dieses Vorhaben führt unweigerlich zu der noch immer ungeklärten Frage nach dem genealogischen beziehungsweise chronologischen72 Verhältnis von Satyrspiel und Tragödie.73 2. Der älteste bekannte Versuch, die attische Tragödie systematisch zu erfassen, jener des Aristoteles in der Poetik, nennt als ihren Ursprung die ‘Improvisationen der Anstimmer des Dithyrambos’ (Po. 1449a 9-11) sowie, in voraussetzender Selbstverständlichkeit, ein saturikÒn, eine Art 70
Leutsch/Schneidewin 1839, 137 zu Zen. 5.40. Vgl. Pohlenz 1927, 475; Ziegler 1937, 1933-1934. 71 Plu. mor. 615a-b. 72 Vgl. das in Horaz’ Ars 221 konservierte alexandrinische Theorem, wonach das Satyrspiel eine späte Zutat zum Tragödienagon war und seine erhellende Diskussion bei Seaford 1984, Introduction, III, (I) “Origins”, bes. 10-12. 73 Für eine umfassende ‘Ursprungsproblem’-Darstellung vgl. z. B. Patzer 1962; Lesky 1972, 17-48 und Latacz 1993, 51-65.
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von performance, die §k mikr«n mÊyvn ka‹ l°jevw gelo¤aw – ‘aus kleinen Geschichten und einer lachhaften Diktion’ bestanden und als bestimmendes Metrum den trochäischen Tetrameter aufgewiesen habe, letzteres diå tÚ saturikØn ka‹ Ùrxhstikvt°ran e‰nai tØn po¤hsin – ‘weil die Dichtung satyr(spiel)artig und mehr tänzerischer Natur war’ (1449a 19-23). Die Übersetzung von saturikÒn hat implikationsreiche Schwierigkeiten bereitet. Wurde der Begriff nämlich mit ‘Satyrspiel’ gleichgesetzt, oft unter Bezugnahme auf das zitierte Chamaileon-Fragment,74 so ergab sich daraus einerseits die Notwendigkeit, den Ursprung der hehren Tragödie in diesem als ‘niedrig’ erachteten Genre anzunehmen, andererseits die Möglichkeit,75 über die Identifikation trãgow = Satyr die tragvido¤ als Sänger in Satyrgestalt, den Begriff der tragvid¤a als einen von (als) Satyrn (verkleideten Männern) aufgeführten ‘Bocksgesang’ zu etymologisieren.76 Die alternative Übersetzung von saturikÒn mit ‘satyrhaft’,77 in dieser Bedeutung freilich erst bei Plutarch belegt,78 sowie jene mit ‘satyrspielartig’79 enthebt den Interpreten zwar der Notwendigkeit, die Herkunft der Tragödie im Satyrspiel zu verorten, nicht aber davon, einen ‘niedrigen’ Ursprung der Tragödie annehmen zu müssen. Zweierlei Wege 74
Burkert 1966, 89 beispielsweise liest die Stelle dahingehend, daß Chamaileon “expressis verbis” den Ursprung der Tragödie im Satyrspiel verorte. Ähnlich 1990, 14 mit Anm. 3. Freilich stellt sich hier die identische Frage (sc. nach der Übersetzung von saturikÒn beziehungsweise in diesem Fall saturikã). 75 Scott Scullion unterläuft ein logischer Fehlschluß, wenn er behauptet, daß diejenigen, die mit einer satyr(spiel)haften Frühform der Tragödie rechnen, “support it with the argument that tragedy, tragôidia, means the ‘song of the goats’, that is, of performers costumed as goat-like satyrs” (2005, 28). Für Wilamowitz und einige nach ihm mag das richtig sein, doch gilt vielmehr umgekehrt, daß die Verfechter der “Bocksgesang-Theorie”, sofern sie mit den Böcken Satyrn (und nicht, wie etwa John Jack Winkler 1985/ 1990, ironisch bezeichnete Pubertierende) identifizieren, die frühe Tragödie als von Satyrn bestritten denken. Vgl. auch Scullion 2005, 25-26; 27-28. 76 Diese Identifikation erscheint erstmals in EM s. v. tragvid¤a (764.5), nach drei anderen Erklärungsmöglichkeiten: µ ˜ti tå pÒlla ofl xoro‹ §k satÊrvn sun¤stanto, oÓw §kãloun trãgouw. Welcker 1826, 240 findet die Etymologie “nicht verwerflich”; Wilamowitz 1889, 81-84 befürwortet sie klar. Ebenso Pohlenz 1930, 2-4; 1954, 18-20; tendenziell wieder Webster in Pickard-Cambridge 1962, 123-124. Für weitere Vertreter dieser lange Zeit dominanten These vgl. Burkert 1966, 88 Anm. 2. 77 So übersetzen z. B. Thomson 1941, 236; Graf 1998, 17. 78 Plu. Cat. Ma. 7. 79 Seaford 1984, 11: “saturikÒn here means neither ‘satyr-play’, which would probably have been expressed §k t«n saturik«n, nor merely ‘boisterous’, but ‘satyr-playlike’, just as by tragikÒn Aristotle can mean a quality appropriate to tragedy (Rhet. 1506b 8).”
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sind hier eingeschlagen worden: Entweder bezweifelte man – aus Unbehagen oder Ungläubigkeit einer solchen Vorstellung gegenüber –80 die Richtigkeit von Aristoteles’ Aussage,81 oder man anerkannte die Möglichkeit – oft unter Beibringung komparatistischen Materials82 – einer sehr schnellen Entwicklung weg von einem Ursprung in einer improvisatorischen, bisweilen komischen und obszönen, hauptsächlich vom Chor getragenen performance hin zur erhabenen Tragödie, wie sie uns erhalten ist.83 3. Darf man gegenwärtig von einer weitgehenden Akzeptanz gegenüber dem Theorem einer rituellen Herkunft des attischen Dramas sprechen – daß es sich bei der attischen Tragödie um eine reine Kopfgeburt eines
80 Vgl. stellvertretend für eine große Gruppe von Forschern Pickard-Cambridge 1962, 92-93: “… and, above all, it is extraordinarily difficult to suppose that the noble seriousness of tragedy can have grown so rapidly, or even at all, out of the ribaldic satyric drama; nor is there any parallel to such a development.” Die letzte Bemerkung ist freilich widerlegt, vgl. Anm. 82. Vgl. auch Burkert 1966, 91 in ähnlichem Wortlaut: “At any rate there would remain the deeper question – what ever could be the relation between satyrlike gaiety and the high seriousness of tragedy?” 81 Vgl. z. B. Pickard-Cambridge 1962, 95: “We have, in short, to admit with regret that it is impossible to accept his authority without question, and that he was probably using that liberty of theorizing which those modern scholars who ask us to accept him as infallible have certainly not abandoned.” Widerspruch gegen diese Ansicht erhebt beispielsweise Thomson 1941, 237. Zu Verwerfung beziehungsweise Skeptizismus gegenüber den relevanten Passagen in der Poetik einerseits (z. B. Nilsson, Schmid, Cantarella, Patzer, Else, Burkert) beziehungsweise weitgehender Akzeptanz (Wilamowitz, Kranz, Pohlenz, Ziegler, Lesky) vgl. Lesky 1972, 22-23. 82 Am häufigsten ist der Verweis auf die Entwicklung des japanischen Noh-Dramas, vgl. Chamberlain 1890, 463; Dieterich 1908, 192 mit Hinweis auf eine in diese Richtung weisende Bemerkung von Karl Florenz in dessen Geschichte der japanischen Literatur von 1904-1906; Arnott 1959, 8-9 (allerdings ohne einen Vergleich der Entwicklung der beiden dramatischen Traditionen); Takebe 1960 mit einem Nachwort von Lesky; Lesky 1963; Sutton 1979; Nagy 1990, 385; zur rituellen Herkunft des japanischen Dramas: Dunn 1983; Gontard 1987. Das japanische Kyogen, ein komisches Intermezzo zwischen den ernsthaften Noh-Stücken, war ein konservativer Speicher für die Komik des älteren Sarugaku; in ähnlicher Weise wurde die Antimasque zum Gefäß für Groteskes und Komisches, als sich die English Court Masque als ernsthaftes Drama etabliert hatte. Vgl. Seaford 1976, 210-211; 1984, 12. 83 So z. B. Thomson 1941, dessen Theorie auf der Annahme basiert, daß das attische Drama aus dionysischen Ritualen hervorgegangen sei, die durchaus viel enthalten hatten “that we should describe as obscene”, was wiederum in Zusammenhang mit mimetischer Fruchtbarkeitsmagie zu sehen sei. Mit dem Verlust des magischen Elements könne ein Ritual in die Liturgie einer “ruling class” gelangen; was repressive Kräfte wachrufe, die das Element “of sexual self-expression” (237) wenn nicht eliminieren, so doch in klar definierte Schranken weisen. Das Satyrspiel ist für Thomson demnach der Ort, an dem die supprimierte Obszönität des Rituals wiederkehren darf.
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Thespis oder Aischylos handele, wird nur noch selten84 behauptet – so unterscheiden sich die Charakteristiken der ursprünglichen Rituale noch immer massiv, was sich nicht zuletzt im Beibehalten der einen oder anderen vorgebrachten Etymologie von tragvid¤a – beziehungsweise und primär –85 tragvido¤ manifestiert.86 Die Auffassung von tragvid¤a als »idØ trãgvn, ‘Gesang der Böcke’ in Verbindung mit der Identifikation der trãgoi mit den Satyrn hat zwar den Vorteil, die zitierte Passage der Poetik stimmig einordnen zu können, muß es sich aber unter anderem87 zum Vorwurf machen lassen, daß es sich bei den Satyrn/Silenen der klassischen Zeit um Mensch-Pferd- und nicht um Mensch-Bock-Mischwesen handelt.88 Eine weitere Deutung von tragvid¤a als »idØ trãgvn legt 1985 John Jack Winkler im Rahmen einer Theorie vor, wonach die Tragödie in Athen ursprünglich eng an die Ephebie gebunden, die früheste Form der
84 Vgl. aber Else 1957; 1965 und seither diverse Arbeiten von Scott Scullion, bes. 2002; 2005. 85 Die primäre Wortbildung ist tragvidÒw respektive tragvido¤; Vgl. Else 1957, 19; 1965, 55-56; Burkert 1966, 91-92; 1990, 15-16. 86 Vgl. umfassend zur Debatte um die Etymologie von tragvid¤a Burkert 1966; Silk/Stern 1981, 142-150; Latacz 1993, 53-56. 87 Vgl. zu den “wohlbekannten Schwierigkeiten” dieser Theorie (sc. zu den Postulaten eines Satyrdithyrambos und eines Proto-Satyrspiels vor Pratinas, der notwendigen Verortung desselben nicht in Athen, sondern in der Peloponnes, dem Fehlen eines archäologischen Belegs für Chöre von ‘singenden Böcken’ sowie zu besagten Problemen der Wortbildung) Burkert 1990, 14-16. 88 Daß die Satyrn/Silene keine Equiden sind (vgl. dazu z. B. Burkert 1966, 90-91; 1990, 14-15) hat freilich schon Wilamowitz gesehen (vgl. 1889, 82-83). Bei Wilamowitz wie z. B. bei Dieterich (Wilamowitz 1889, 81-82; Dieterich 1908, 168-169), der die tragvid¤a ebenfalls als ‘Gesang der Böcke’ deutet, kommt aber **F 207 aus dem Aischyleischen Satyrspiel Prometheus Pyrkaeus, in dem ein Satyr als trãgow angesprochen wird, selbst für den neutralen Betrachter befremdlich große Bedeutung zu; vgl. den Kommentar von Harrison 1903, 421: “To reconstruct a goat-chorus out of a casual joke is labour in vain.” – Mit Hunts Edition eines großen Teils der Sophokleischen Ichneutai gesellt sich 1912 zu dieser einen freilich noch eine weitere Stelle, in der ein Satyr zwar nicht als trãgow bezeichnet, jedoch mit einem solchen verglichen wird: S. F 314, 366367. Allerdings werden die Satyrn im Satyrspiel mit Tieren so mannigfaltiger Art verglichen, daß dem Vergleich mit dem trãgow nicht zu viel Bedeutung beizumessen sein dürfte. – Vgl. zur Interpretation auch der tragiko‹ xoro¤ im Kult des Adrastos in Sikyon (Hdt. 5.67) als Chöre von Böcken Wilamowitz 1889, 8 und einige nach ihm (genannt bei Burkert 1966, 91 mit Anm. 7). Gegen diese Interpretation spricht sich Pickard-Cambridge 1962, 101-107, bes. 102 aus; dies wiederum relativiert Webster in Pickard-Cambridge 1962, 103-104. Vgl. auch Burkert 1990, 15.
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tragischen performance “by, for, and about” Epheben war (1985, 30).89 Damit einher geht sein Vorschlag, tragvid¤a als den Gesang der, die tragvido¤ als die ‘sich im Stimmbruch Befindenden’ zu etymologisieren.90 tragvido¤ wäre demnach eine leicht ironische91 Bezeichnung für die Epheben. Winklers These steht in keinem Widerspruch zu der neben der ‘Bocksgesang-Theorie’ anderen bedeutenden theoretischen Richtung, die in Walter Burkert ihren prominentesten modernen Advokaten hat,92 wonach nämlich tragvid¤a ursprünglich das Lied sei, das die tragvido¤, eine Gruppe maskierter Männer, beim Opfer eines Bockes respektive um den Preis eines Bockes sangen.93 Daß das Opfer eines Bockes in den Dionysos-Kult gehört, ist unbestritten;94 strittig ist lediglich sein Vorkommen im engeren Kontext des tragischen Agons an den Großen Dionysien.95 Es ist nun aber nicht zuletzt die im vermutlich ältesten Satyrspielfragment (Pratin. F 3)96 genannte yum°lh, möglicherweise im Zentrum der Orchestra plaziert,97 die Burkert als deutliches Indiz für den engen Zusammenhang 89
In der überarbeiteten Fassung dieses Aufsatzes von 1990 sind einige Paragraphen weggelassen worden, u. a. jene zum Satyrspiel. Die beiden Texte werden daher gesondert zitiert. Vgl. zu Winklers These und ihrem Kontext Bierl 2001, bes. 34-36, 282-287. 90 Trag¤zein ist bei Aristoteles einmal im Kontext der Pubertät belegt, ein weiteres Mal im Zusammenhang mit dem Stimmbruch, den Buben in der Pubertät erleben; in de generatione animalium als die Art, wie kaloËs¤ tinew diese stimmliche Veränderung: Arist. HA 581a21; GA 787b32-788a2; [Arist.] Aud. 804a17. Vgl. bereits Hp. Epid. 6.3.14 (hier ist allerdings nicht klar, ob sich der Terminus auf den Stimmbruch oder eine andere Begleiterscheinung der Pubertät bezieht, was aber Winklers These keinen Abbruch tut). 91 Winkler vermutet daher, daß “tragôidoi began as slightly jocular designation of ephebes, not because their voices were breaking (that was long past and anyway no one can sing well whose voice is breaking) but because they were identified as those undergoing social puberty” (Winkler 1985, 47-48; 1990, 60; Hervorhebung RL). 92 Winkler 1990, 59. 93 Diese letzteren beiden Deutungen sind für Burkert insofern identisch, als der gewonnene Preis geopfert wird: Burkert 1966, 93; 1990, 16. Ein Bock als Preis für den siegreichen Tragödiendichter ist erstmals auf dem Marmor Parium (3. Jh. v. Chr.) dokumentiert (FGrH 239 A 43) und findet sich bei späteren antiken Autoren oftmals in Zusammenhang mit der entsprechenden Etymologisierung von tragvid¤a – vgl. Burkert 1966, 93 und Anm. 14 (mit sämtlichen Stellen). Burkerts Identifikation des gewonnenen Bockes mit dem zu opfernden Bock ist nicht unkritisiert geblieben: vgl. jüngst Scullion 2005, 36. 94 Burkert 1966, 98; vgl. z. B. auch Reisch 1902, 468. 95 Burkert 1990, 18-19. 96 Für Literatur zum ‘Hyporchema’ vgl. Anm. 51. 97 Burkert 1966, 101; 1990, 19; contra: Sourvinou-Inwood 1994, 276-277.
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von Opferkult und Tragödie wertet.98 Begrifflich nicht von yÊein zu trennen, wird die yum°lh zum “memory of sacrifice … in the center of the Dionysiac performance” (Burkert 1966, 102). Die hochliterarisierte Tragödie, wie sie uns erhalten ist, so fügt es sich in Burkerts Hypothese, bleibt immer ihrem Ursprung verbunden: Sie ist “eine einzigartige Leistung, die sich doch auf vorgegebene Elemente gründet: Gebrauch von Masken, Gesang und Tanz auf der yum°lh, Klage, Flötenmusik, der Name tragvido¤, alles vereint in der Grundsituation des Opfers: Der Mensch im Angesicht des Todes” (1990, 26). 4. Nun gibt es hier aber interessanterweise ein diskursives Element, das in einem Analogieverhältnis zu dem Problem steht, die Herkunft der erhabenen Tragödie aus dem niederen ‘Satyr(spiel)artigen’ denken zu müssen: “What has the vilis hircus to do with tragedy?” fragt Burkert (1966, 102).99 Ein Bock ist lüstern und riecht schlecht,100 sein Fleisch ist alles andere als eine Delikatesse. Das Bocksopfer, dessen im grotesken Namen101 der Tragödie gedacht werde, sorgt in seiner scheinbaren Unvereinbarkeit mit dem erhabenen Ernst der Tragödie für einige Irritation. Burkerts Erklärung, daß das Bocksopfer, gerade weil es ein leicht albernes ist, der Reflexion des Opferwesens und des Tötens Raum aufgetan habe –102 und daß es, gerade weil in ihm “Gehalt und Form … nicht zur Deckung” kommen (1990, 27), dem Bedürfnis nach neuen Ausdrucksformen, der Möglichkeit der Improvisation Vorschub leisten konnte, erscheint plausibel.103 98 Die yum°lh, in ihrer Bedeutung bereits in der Antike umstritten, war vermutlich eine Art Tisch, der als Altar verwendet werden konnte, wenn das dramatische Spiel es erforderte (e‡te b∞mã ti e‡te bvmÒw – ‘ein Podium oder ein Altar’ (Pollux 4.123). Vgl. zur Problematik des Begriffs und zu weiteren Stellen Burkert 1966, 101 Anm. 32; zur yum°lh ferner Vernant 1981, 18, 20; Rehm 1988, 264-274, bes. 270-271; Burkert 1990, 19-20. 99 Vgl. auch Burkert 1990, 20. In den Worten John Jack Winklers läßt sich bedenken: “that it [sc. tragedy] should have grown from the sacrifice of a goat rather than, say, a bull seems … faintly ludicrous: can we imagine Aiskhylos saying of great Agamemnon that he was cut down like a goat at the manger?” (Winkler 1990, 58 Anm. 121). 100 Das sind, nebenbei gesagt, zwei weitere tertia comparationis im ‘Bock-Teenager-Vergleich’ Winklers; vgl. Burkert 1966, 100; Winkler 1985, 48. 101 Vgl. die Bezeichnung von tragvid¤a als einem Begriff, der “die Fratze des Tieres in die Entwicklung hoher Menschenkultur hineinblicken läßt, das Primitive und Groteske in die erhabenste literarische Schöpfung” (Burkert 1990, 13). 102 Dies ist eine Möglichkeit, die auch Winkler erwägt: 1990, 58-59 Anm. 121. 103 “Eben weil es (sc. das Opferritual) nicht eigentlich ernst war, konnte das Maskenspiel sich entfalten” (Burkert 1990, 27, Hervorhebung RL).
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Gleichwohl bleibt die Anerkennung eines Elements von Unernsthaftigkeit und Komik beim Bocksopfer zu vage,104 um in diesem tiefschürfenden Traktat über das Töten nicht beinahe unterzugehen. Sarah Peirce kommt in ihrer (auf einer Analyse der Opfer-Ikonographie basierenden) Fundamentalkritik an den Theorien Burkerts und der Paris-LausanneSchule um Jean-Pierre Vernant105 zu einem für hiesige Belange interessanten Ergebnis: aus ihrer Analyse der attischen Opfer-Ikonographie geht hervor, daß yus¤a nicht als rituelles Schlachten (das wiederum bei den am Opfer Beteiligten psychische oder emotionale Prozesse wie z. B. Gewissensbisse in Gang setzt) wahrgenommen worden sein dürfte, sondern vielmehr als ein Aspekt von Fest und Feierlichkeit, als “visual metaphor for ideas of festivity, celebrations, and blessings” (1993, 260). Der “revelry”, so scheint es, gehört ein Platz am Opferaltar, zumal an jenem, vor dem sich möglicherweise die Tragödie zu entfalten begann. Wie man sie auch etymologisieren mag – als Gesang der Böcke, der Satyrn, der “slightly jocular” bezeichneten Epheben, als Gesang um das Opfer eines vilis hircus – etwas Komisches bleibt hartnäckig an der Tragödie in ihrer Frühform haften.106 Auch Jane Harrisons ‘Bierlied’ bildet keine Ausnahme zu dieser Regel.107
104 Vgl. Burkert 1990, 26: “Ernst und ‘satyrhafte’ Lustigkeit mögen sich in eigentümlicher Weise durchdrungen haben.” 105 Vgl. zu den Arbeiten (von Vernant, Durand, Detienne, Loraux), auf die sich Peirce hauptsächlich bezieht, Peirce 1993, 220 Anm. 3. 106 Das gilt auch für die hier nicht besprochenen Theorien zum Ursprung der Tragödie. So mußte z. B. selbst Gerald F. Else, der jegliche Form von kultischer Herkunft der Tragödie verwarf, konzedieren, daß der Begriff tragvidÒw zu Beginn “clearly jocose or sarcastic” (Else 1957, 42) oder “very likely … ironic” (Else 1965, 70) war. Doch nicht nur der Begriff des tragvidÒw stellt ein hartnäckiges Moment von Lachhaftigkeit am Beginn der Tragödie dar, das nach einer Erklärung verlangt, sondern gleichermaßen die Existenz des zweifellos lachhaften Satyrspiels, das in direkter Juxtaposition an die tragische Trilogie und von demselben Schauspielerensemble gespielt wurde wie diese, und von einem tragischen Dichter, weitgehend in tragischer Struktur, Diktion und Metrik, verfaßt wurde. Spätestens auf diese Punkte hingewiesen, geraten auch jene Theorien, die die Herkunft der Tragödie z. B. im Totenkult verorten (Nilsson), in Erklärungsnotstand. 107 In ihren Prolegomena to the Study of Greek Religion verweist Jane Harrison auf die sehr selten und spät belegte Bedeutung von trãgow “an inferior kind of wheat, spelt” (Harrison 1903, 415, Hervorhebung RL); die tragvid¤a wird so zum “harvest-song”, “spelt-song” und daher zum ‘Bierlied’, womit Harrison die ‘Bocksgesang-Etymologie’ für obsolet erklären kann. Da Bier im Zusammenhang mit Dionysos allerdings kaum belegt ist, hat diese bereits in Harrison 1902 veröffentlichte Etymologie kaum Gehör gefunden.
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Daß das Satyrspiel demnach einem dem ursprünglichen Ritualkomplex inhärenten Moment von Lachhaftigkeit seine Rechte zurückzugeben beansprucht, läßt sich mit gutem Grund vermuten. 5. Aus der Frage nach dem Ursprung der Tragödie ergibt sich die Suche nach seinen Spuren in den erhaltenen Texten. Diese Spurensuche hat ihre Vor- und Nachteile: Erhöht sie einerseits die Relevanz der Ursprungsrekonstruktion, kann sie sich andererseits nur allzu leicht in zirkulären Argumentationsweisen verfangen, denen nur dann beigekommen werden kann, wenn entweder Evidenzmaterial von außen beigebracht oder der Hypothesencharakter der Ursprungsrekonstruktion kaschiert oder mindestens ausgeblendet werden kann. Entsprechend kann von einer Einigkeit der Forschung in den Fragen, ob sich ein (allfälliger) kultischer Ursprung in den erhaltenen Texten manifestiere – und wenn ja, in welchem Ausmaß –, ob die Dramenaufführungen in klassischer Zeit von ihren primären Rezipienten als “part of the religious discourse of the polis,” als Teil einer rituellen performance wahrgenommen wurden, oder schlicht als eine “purely ‘theatrical’ experience, a discrete dramatic unit, simply framed by ritual” (Sourvinou-Inwood 2003, 1, 513), in keiner Weise die Rede sein. Die seit langem geführte Diskussion um die Bezüge der Tragödie zum Dionysoskult, die zwischen den Polen oÈd¢n prÚw tÚn DiÒnuson und pçn prÚw tÚn DiÒnuson jede denkbare Position hervorgebracht hat,108 ist nun aber für das Satyrspiel zu beträchtlichen Teilen hinfällig. Denn das Satyrspiel hat zweifellos mit Dionysos zu tun: Einmal ist mit dem genrekonstituierenden Thiasos von Silen und Satyrn die stete Präsenz dionysischen Personals gegeben.109 Die häufige Erwähnung des Gottes, sei es auch nur 108 Vgl. z. B. den Streit zwischen Rainer Friedrich und Richard Seaford: Seaford 1996b zu Friedrich 1996; Friedrich 2000 zu Seaford 1996a; Seaford 2000 zu Friedrich 2000; Friedrich 2001 zu Seaford 2000; außerordentlich kritisch gegenüber einer ‘ritualistischen’ Lektüre der Tragödie sind neuerdings z. B. auch die Arbeiten von Scullion 2002 und 2005. 109 Der Satyrchor darf als genrekonstituierendes Charakteristikum des Satyrspiels angesehen werden. Nur in einigen wenigen Fällen (und ohne schlagende Beweise) ist bezweifelt worden, daß im Satyrspiel immer ein Satyrchor figurierte: Vgl. den Hinweis (u. a. auf Steffen 1971, 215-216) bei Seidensticker 1989, 338 mit Anm. 20. Dagegen z. B. Seaford 1984, 2 zu Euripides’ Alkestis: “… having no chorus of satyrs, it cannot be called a satyr-play …”; 29: “… satyric drama retained for centuries the constituent of its identity: the ancient Dionysiac nucleus, the thiasos of satyrs …”; Voelke 2001, 28: “… l’identité sémantique du drame satyrique est définie en premier lieu par la présence constante d’un chœur de satyres et de Silène …”; 393: Satyrchor als “élément constitutif
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seiner Abwesenheit, und von Elementen, die für seinen Kult konstitutiv sind, des Weines, des Tanzes, des Gesangs,110 der Erotik, lassen dies ebenso deutlich werden wie die Tatsache, daß das Genre hauptsächlich von einem immergleichen Chor nicht individualisierter stock-figures und seinem wilden Gesang und Tanz getragen wird, der, zumal in den früheren Satyrspielen,111 nicht so strikt zwischen die Epeisodia gebannt ist wie in den anderen dramatischen Genera.112 Daß das Satyrspiel – soweit sich das aus dem spärlichen Material erschließen läßt – über vergleichsweise stark typisierte ‘Themen’ und Motive verfügt, zeugt von einem in diesem Sinne konservativeren Charakter, einer, wenn man so will, rituellen Repetitivität. Satyrspiel-settings sind in der Regel solche, die als ‘dionysisch’ bezeichnet werden dürfen,113 typische Motive des Genres werden durch ihre Verortung in einem mythisch-rituellen Kontext erklärbar.114 Daß im Satyr—————————————————————————————— du genre” et al.; ähnlich die Bezeichnung des Satyrchors bei Sourvinou-Inwood 2003, 170-171 als “what most basically defines satyr drama.” Vgl. bereits Welcker 1826, 335. 110 Wie bei der Tragödie und Komödie sind in jüngster Zeit auch Arbeiten zur ‘chorischen Selbstreferenz’ im Satyrspiel erschienen. Der Satyrspielchor, so das Ergebnis dieser Arbeiten, verweist in auffälliger Häufigkeit auf sein eigenes rituelles Tun: vgl. Bierl 2001, 77-79; Kaimio et al. 2001 und Bierl 2006; vgl. auch Voelke 2001, 394-395 sowie, zur “réfléxivité médiate” und “projection chorale”, 118, 121, 182, 395. 111 Vgl. z. B. Taplin 1977, 57-58: “In the fragments of Aeschylus and Sophocles choral lyrics, …, are not related with any consistency to entrances and exits, and conversely the movements of actors are not grouped round the songs. Compared with tragedy satyr play has a loose and undefined structure that makes for a rambling continuity which does not really fall into parts”; zur weit ‘tragischeren’ Struktur des Euripideischen Kyklops: 57; vgl. ferner Seaford 1984, 16-18; Seidensticker in Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 14-15; Voelke 2001, 20. 112 Vgl. z. B. Seaford 1976, 211: “It is impossible to resist the impression that the chorus of satyrs is at any moment ready to burst out into vigorous dance and song.” 113 Voelke 2001; vgl. vorangehende Anm. 114 Die Isolation typischer Satyrspielthemen hat bei Richard Seaford und neuerdings Pierre Voelke in je eigener Nuancierung die rituelle wie mythische Verankerung des Genres, seine dionysische Durchdrungenheit, zutage gefördert. Seaford 1984, 33-44 nennt als typische Satyrspielthemen: (a) die Gefangenschaft, Versklavung und Befreiung der Satyrn, (b) wundersame Erfindungen und Gestalten (c) die Anodos aus der Unterwelt, (d) die Betreuung von göttlichen oder heroischen Kleinkindern, (e) Sexualität, (f) “athletics” – fünf Themen, die aus rituellen Gegebenheiten, vornehmlich solcher aus dem Mysterien- aber auch aus dem öffentlichen Dionysoskult, herzuleiten sind. Voelke 2001 hat mit seiner Analyse figurativer und konfigurationeller Aspekte des Satyrspiels, wie es sich im 5. Jahrhundert v. Chr. fassen läßt, nicht nur den “espace satyrique” – das übliche setting des Satyrspiels am Rande zivilisierter und urbanisierter Gebiete, im Gebirge, in Höhlen, am Meer etc. – als “espace dionysiaque” (37-51) herausgestellt, sondern auch die typischen Themen des Genres als “étroitement associés au dieu du vin” (381). Voelke nennt ebenfalls fünf Themen, um die sich das Satyrspiel drehe und die sich teilweise mit den von Seaford genannten überschneiden: 1. Neutralisation einer Figur, die die Werte
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spiel, wie bei der Tragödie, vergleichsweise selten auf Stoffe aus dem dionysischen Mythenkomplex zurückgegriffen wurde, ändert nichts am Befund der engen Bezogenheit des Genres auf den Gott des Thiasos.115 Das zeigt sich nicht zuletzt darin, daß die Satyrn in ihren fremden Rollen topischerweise versagen, weil ihnen ihre dionysische Natur in die Quere kommt: Statt als geschundene Sklaven das Vieh des Kyklopen zu weiden, stampfen sie fröhlich die Sikinnis. Statt wie angekündigt116 beim Feuerscheit, das den Kyklopen blenden soll, heroisch mitanzupacken, ziehen sie sich im entscheidenden Moment wegen akuter Fußschmerzen, getrübter Sicht und dergleichen von ihrem Vorhaben zurück117 und bieten ihre Hilfe nunmehr in Form eines orphischen Liedes mit magisch-paränetischer Wirkung an.118 In den betrachteten Passagen ist verschiedentlich von einem ‘Neuen’ die Rede, zu dem die Satyrn in einem problematischen Verhältnis stehen: In Isthmiastai macht ihnen Dionysos die trÒpouw kainoÁw zum Vorwurf (F 78a, col. I, 34); die ‘neuartigen Spielzeuge, ganz neu geschaffen von Axt und Amboß’ (neoxmå ... éyÊrmata / épÚ [ske]pãrnou kãkm[onow n]eÒkt[ita: F 78c, col. II, 50-51), die Sisyphos119 dem Chor mitbringt, weil jener ‘das Neue zu lernen liebe’ (kainå taËta ma[…]nein file›[: 49), werden, wie gesagt, im Moment der Übergabe zurückgewiesen. In
—————————————————————————————— der Zivilisation – wie etwa die Gastfreundschaft – negiert, und anschließende Befreiung der Satyrn; 2. “la production d’objets, de figures et de phénomènes revêtant un caractère prodigieux et l’experience dont en font les satyres” (378); 3. göttliche und heroische Kleinkinder, die sich als Träger der Eigenschaften, die sie im Erwachsenenalter bestimmen werden, erweisen; 4. die “prétentions sexuelles affichées par les satyres à l’égard de parthenoi et déjouées par l’intervention d’un héros ou d’un dieu” (379), 5. die Übernahme fremder Rollen durch die Satyrn. 115 Die gängige Erklärung für die Wahl nicht-dionysischer Mythen, daß nämlich auch hier, wie beim Verfassen von Tragödien, der sich aus dem agonalen Rahmen ergebenden Forderung nach alljährlicher Neuerung Genüge getan werden mußte (so z. B. Seaford 1984, 28-29, 44), greift m. E. zu kurz, vgl. unten VII, bes. 375. 116 Cyc. 469-475, 483-494, 596-598, 608-623, 632-634. 117 Cyc. 635-645. 118 Cyc. 646-649, 654-662. 119 Die Identität des Sprechers sowie der Dialogpartner ist umstritten, doch scheint hier Sisyphos mit Sportgeräten auf die Satyrn zuzukommen: vgl. Krumeich/Pechstein/ Seidensticker 1999, 140 Anm. 40 und 41. Vgl. zur Annahme, daß Sisyphos in Isthmiastai figuriert habe ebd. 132 mit Anm. 13, 134 Anm. 15.
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Ichneutai wiederum macht der Silen den Satyrn,120 Kyllene dem Silen und den Satyrn das unpassend neuartige Verhalten zum Vorwurf (S. F 314, 223-231, 229: strofa‹ n°ai). Die Verse 250-251b des Silen im Euripideischen Kyklops können demnach als Teil einer poetologischen Aussage begriffen werden: “tå kainã g' §k t«n ±yãdvn, Œ d°spota, / ≤d¤on' §st¤n” – ‘Das Neue nach dem Altgewohnten, Herr, / ist das Angenehmere’: Die ≤donÆ, die das Satyrspiel generiert, basiert just auf der Integration des Neuartigen in den eigentlichen (Un)tätigkeitsbereich der Satyrn.121 Seine Komik, müssen wir ergänzend festhalten, besteht nun aber nicht nur in der evidenten Inkongruenz dieser zu einem grotesken ‘double’122 vereinten Bereiche,123 sondern in der zelebrierten Re-Integration des Dionysos ins Zentrum des Geschehens, oder, präziser noch, in der Inszenierung der Tatsache, daß er aus dem ‘System’, das ihn auszuschließen versucht, nicht wegzudenken ist, weil er ihm angehört.
V Ich möchte dem aus den Satyrspieltexten extrapolierten Konzept eines abwesenden und gleichzeitig nicht wegzudenkenden Dionysos einen Platz innerhalb einer Formel zuweisen, welche die Satyrspielhandlung abbildet. Die mathematisch nicht exakte, sondern metaphorisch zu verstehende Formel basiert auf François Lissarragues vielzitiertem ‘Rezept’ zur Her120
S. F 314, 124: t¤n' aÔ t°xnhn sÁ tÆn[d' êr' §j]∞urew, t¤n' aÔ – ‘Was ist das nun wieder für eine Methode, die du dir da ausgedacht hast? Was ist das denn …’ (Übersetzung Scheurer/Bielfeldt in Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 298). 121 Der genannte Satyrspieltopos der Erfindung oder Einführung eines Kulturguts (vgl. oben 339 und 365, Anm. 114) ist in diese Überlegung miteinzubeziehen; auch hier dürfte des öftern von einem nicht zum eigentlichen Bereich des Satyrdaseins gehörigen Neuen die Rede gewesen sein. 122 Begriffsanleihe bei Kristeva 1967, 146. 123 Vgl. Lissarrague 1990, 236: “The comic effect springs from this collage of satyrs and myth, the revision of myth through this specific filter. The joke is one of incongruity, which generates a series of surprises.” – Auf dem in vielen Theorien des Lachhaften und Komischen oft allzu dominanten Moment der Inkongruenz beruht auch Seidenstickers Erläuterung der Satyrspiel-Komik: Er spricht von einem “sudden clash between two entirely different worlds” (Seidensticker 2002, 397). Bierl 2006 arbeitet ebenfalls mit dem Theorem der Inkongruenz (vgl. bes. 125 mit Anm. 47, 128). Vgl. die Stellungnahme hierzu unten Anm.126.
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stellung eines Satyrspiels: “take one myth, add satyrs, observe the result” (1990, 236), das formalisiert folgendermaßen aussähe: Satyrspiel = (fremder) Mythos + Satyrn. Diese Formel ergänze ich durch das hier vorgestellte Phänomen des an/abwesenden Dionysos (+ Dionysos – Dionysos). Das ergibt für die Satyrspielhandlung folgende Formel: Satyrspiel = Satyrn + Dionysos – Dionysos + ‘neuartiger’/fremder (in der Regel mythologischer) Stoff. Wiewohl die Assoziation der Satyrn mit Dionysos nicht zwingend sehr alt ist und sich erst im Verlauf des 6. Jahrhunderts konsolidiert haben dürfte124 – in diese Zeit fällt auch die Amalgamierung der Begriffe sãturoi und silhno¤ –,125 ist die Zugehörigkeit der Satyrn zum engsten Gefolge des Gottes zur Zeit der Entstehung des attischen Dramas sicher etabliert. ‘Satyrn + Dionysos’, damit sei die erläuterte ‘eigentliche Tätigkeit’ oder ‘condition’ der Satyrn erfaßt. Diese Formel ist gleichzeitig die Wiedergabe der satyrspielspezifischen Art von Parodie, die nicht schlicht darauf beruht, daß die Satyrn eine Figur in einer bekannten Konstellation ersetzen oder begleiten, sondern darauf, daß die Satyrn überdies permanent – gezwungenermaßen oder freiwillig – ihre Verbundenheit mit Dionysos zu negieren oder zu unterdrücken suchen, was nie gelingt und im Gegenteil um so deutlicher auf seine Präsenz und Nicht-Eliminierbarkeit hinweist und zur Dynamisierung der Situation führt, in die sie interpoliert worden sind. Die erste Hälfte dieser Formel, Satyrn + Dionysos, dürfte als Bühnenperformance für ein nicht-beteiligtes Publikum von einigermaßen geringem Unterhaltungswert sein. Nimmt man den Satyrn Dionysos und was der Verbindung mit ihm angehört versuchsweise weg und überantwortet man ihnen stattdessen andere, fremde Aufgaben, verpflanzt man sie – der Lissarragueschen Formel entsprechend, in einen fremden Mythos, so entsteht ‘Handlung’; Handlung, die deswegen komisch wird, weil sich die Satyrn bei allen Adaptionsversuchen oder gar Anstrengungen, ihre eigentliche, von Dionysos durchdrungene Natur zu unterdrücken, doch nie reüssieren.
124 Vgl.
z. B. Seaford 1984, 6; Easterling 1997b, 38. Seaford 1984, 6 mit Anm. 13; vgl. aber auch Brommer 1941, bes. 225 und 227, der die Austauschbarkeit der Begriffe erst fürs 5. Jh. sicher nachweisen zu können glaubt. 125
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VI Warum ist das komisch? Ich will diese Frage unter Einsatz einer Theorie des Lachens beantworten, die sich als besonders geeignetes Modell erweist, im Kontext des Dionysos-Kults erscheinende Formen des Lachhaften oder Komischen zu beschreiben. In einem Aufsatz mit dem Titel Über das Lachen von Joachim Ritter heißt es vom Komischen, es entstehe “in einer doppelten Bewegung, einmal im Hinausgehen über die jeweils gegebene Ordnung zu einem von ihr ausgeschlossenen Bereich, und zweitens darin, daß dieser ausgeschlossene Bereich in und an dem ihn ausschließenden Bereich selbst sichtbar gemacht wird.” In jeder Ordnung, in der Sitte, im Anstand, im Ernst, so Ritters Gedanke, werden unzählige Verhaltensweisen oder Dinge als unzulässig, als nichtig ausgeschlossen, hören dadurch aber nicht auf zu existieren, im Gegenteil: Dadurch, daß die Ordnung etwas ausgrenzt, ist das Ausgegrenzte nur – in der Negation – über diese Ordnung faßbar. Daher ist was “mit dem Lachen ausgespielt und ergriffen wird, … diese geheime Zugehörigkeit des Nichtigen zum Dasein” (1940, 75-76).126 Ausschließendes und Ausgeschlossenes werden im Komischen derart verschmolzen, daß eine Identifizierung der beiden erfolgt: “Im Komischen geht es darum, die Identität zwischen dem Entgegenstehenden und Ausgegrenzten mit dem Ausgrenzenden herzustellen” (78). Sofern es nicht der Allgemein- und Vagheit der hier gewählten Begriffe zuzuschreiben ist, liest sich Ritters Charakteristik des Lächerlichen oder Komischen wie die Beschreibung einer in den Mythen um Dionysos und in dem, was seinen Kult konstituiert, häufig zu beobachtenden Bewegung.127 126 Mit diesem theoretischen Entwurf gelingt Ritter manches: Einmal überwindet er, freilich nicht als erster, jeden Ansatz zur Bestimmung des Komischen ohne Rücksichtnahme auf ein den komischen Stimulus rezipierendes Subjekt, womit er, und hierin ist ein nächster Gewinn seiner Theorie zu sehen, der Möglichkeit einer ahistorischen Konzeption des Komischen eine klare Absage erteilt. Dies gelingt ihm, weil er das Theorem der ‘Inkongruenz’ oder des ‘Kontrasts’ insofern, als er es in Abhängigkeit von der jeweils gültigen Norm definiert, klar relativiert (1940, 68): Inkongruenz allein, um es lakonisch zu sagen, macht noch keine Komik. 127 Zur Diskussion von Ritters Theorie in der Erforschung der Aristophanischen Komödie vgl. von Moellendorff 1995, 47-49, der auf die Parallelen zwischen Ritters Theorem der lachenerregenden Wahrnehmung und Michail Bachtins ‘dialogischer Perzeption’ sowie die sich bei beiden Denkern manifestierende Konzeption einer Ambivalenz des Lachens hinweist.
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Zwei Beispiele mögen dies illustrieren: 1. die Figur des Satyrn und 2. der Pentheusmythos, wie er in Euripides’ Bakchen vorliegt (als ein Exemplar der sogenannten Widerstandsmythen)128. 1. Ein Beispiel für das Sichtbarmachen des Ausgeschlossenen in und an dem Ausschließenden ist in gewissem Sinne die Figur des Satyrn. In seiner Grundgestalt ist der Satyr ein menschliches Wesen.129 Er ist mit tierhaften und göttlichen Attributen ausgestattet und daher eine hybride Figur. Stellen wir ihn aber, ausgehend von seiner menschlichen Grundgestalt,130 dem klassischen Ideal des zivilisierten Menschen gegenüber, so läßt er sich als Mensch begreifen, an dem das, was bei jenem unterdrückt ist, alle Triebhaftigkeit und Maßlosigkeit, sichtbar gemacht ist. Mensch, der er ist, kennt der Satyr die Errungenschaften oder Gepflogenheiten der Zivilisation oder lernt sie gerade kennen – er kann sich als Athlet gebärden, über Helena fachsimpeln (E. Cyc. 177, 179-187), kennt den Ablauf eines Symposions – und ist dennoch seinen Trieben und seiner Ungeschicklichkeit ausgeliefert, ist zu faul für den Sport, will mit Helena ins Bett und den Wein alleine trinken. Sein einziges, aber nie viel ausrichtendes ‘Über-Ich’ ist der fremde Herrscher, in dessen Fängen er gerade weilt. Daß sich der Satyr oft da aufhält, wo Kultur aus Natur entsteht, wo Kulturgüter (mindestens für die Satyrn oder eine bestimmte Figur im jeweiligen Stück) neu sind oder gerade entdeckt werden, entspricht der Liminalität seines eigenen Wesens: Er ist, könnte man sagen, Körper gewordene Erinnerung an den ‘Naturzustand’ des Menschen. Sein lächerliches Potential besteht im Sichtbarmachen dessen, was beim zivilisierten Menschen effizient unterdrückt ist. 2. In den Bakchen erscheint Dionysos in Gestalt eines Jünglings in seiner Geburtsstadt Theben – er ist der Sohn der Semele, einer Tochter aus dem thebanischen Königshaus –, um Anerkennung als Gott zu finden und seinen Kult zu institutionalisieren. Dabei erfährt er härtesten Widerstand seitens fast aller Thebaner und ganz besonders ihres Regenten Pentheus, der Dionysos’ Göttlichkeit leugnet und den ‘Fremden’, den er nicht als 128 Vgl.
unten VII. Vgl. z. B. Seaford 1984, 6: “[satyrs] are in general more human than animal …”; Lissarrague 1988, 336 über die Satyrn der Ikonographie des ausgehenden 6. und beginnenden 5. Jh.: “[Les satyres] sont plus proches de l’homme que du cheval, et ont presque toujours des pieds humains.” 130 Seaford 1984, 31 weist überdies auf eine kontinuierliche ‘Vermenschlichung’ der Satyrn vom 6. bis ins 3. vorchristliche Jahrhundert hin. 129
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den Gott erkennt, in Fesseln legt. Es folgt eine eindrückliche Machtdemonstration des ‘Fremden’, die Pentheus immer mehr in ihren Bann zieht und seine Sichtweise allmählich ändert, was aber seine Vernichtung durch die von Dionysos besessenen Mänaden nicht mehr aufhalten kann. Der zu Beginn Geleugnete findet Anerkennung als Gott in Theben: Dionysos wird, abstrakt formuliert, als Teil des Systems kenntlich gemacht, das ihn auszuschließen versucht.131 Dies gilt gleichermaßen für den referierten Mythos um Dionysos Eleuthereus und die weiteren Mythen, in welcher eine (oftmals durch 131
Mag man diese Inhaltsangabe auch als ein Beispiel für das Sichtbarmachen des Ausgeschlossenen im Ausschließenden anerkennen, dürfte ihrer Kontextualisierung in einer Theorie des Lachhaften dennoch mit Skepsis begegnet werden. Sind die Bakchen bisher auf ihre ‘Komik’ hin untersucht worden, so geschah dies in der Regel in Bezug auf hauptsächlich zwei Szenen, die Teiresias-Kadmos-Szene im ersten Epeisodion, in der die beiden Ältesten Thebens sich in dionysischer Kluft auf den Weg zum Gottesdienst in den Bergen machen (Ba. 170-369) sowie jene, in der sich Pentheus als Bakchantin verkleidet (912-970); vgl. Seidensticker 1978; 1982, 115-129, 115-116 zu Skepsis gegenüber beziehungsweise Anerkennung einer ‘komischen’ Lektüre dieser Szenen in der Forschung vor 1982, 127-129 zu weiteren Stellen der Bakchen, an denen sich “mehr oder minder deutliche komische Töne” (127) konstatieren lassen; ferner Foley 1980; 1985, 205-258; Segal 1982, 255; vgl. auch Bierl 1991, Kap. 5. Hatte Seidensticker ein an der “irritierenden Ambivalenz des Dionysischen” (1982, 129) ausgerichtetes Modell des Tragi-Komischen entworfen, das die spezifische Geartetheit komischer Elemente dieser Tragödie ausmache, diente Segal die konstatierte Koexistenz komischer und ernster, grausamer, ‘tragischer’ Elemente als ein Argument für eine ‘metatragische’ Lektüre des Stücks. Gerade in diesen beiden Travestieszenen werde manifest, daß “Euripides … also depicts the ambiguity of illusionistic representation in the theater, the paradox that the same mimetic art may give us both pleasure and pain” (1982, 255). Jedoch beschränkt auch Segal seine ‘komische Lektüre’ der Bakchen nicht auf die Travestieszenen, sondern nimmt weiter das Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander in den Blick: “The play … shifts ambiguously between hero and monster, and we are not fully sure who is the more monstrous. Likewise, rather than developing a full-blown comic mood in the grotesque scenes of the bacchantic elders or the king dressed as maenad, Euripides gives us a problematical and elusive shifting of tone. We do not know for certain whether we should laugh or grieve” (1982, 255). Die Nähe zu Ritters Konzeption einer im Komischen stattfindenden Identifizierung dessen, was sich ‘entgegensteht’, scheint evident. – Sansone 1978 stellt in einem Versuch, Burnett 1971 zu widerlegen, die rhetorische Frage, ob die Bakchen ein Satyrspiel seien. Burnetts Auflistung von ‘satyr-play elements’ oder ‘motifs’ in verschiedenen Euripideischen Tragödien versucht er dadurch zu diskreditieren, daß er die Bakchen, “this most tragic of plays” (1978, 46), als das Stück mit dem größten Anteil ‘satyrischer’ Elemente ausweist. Bemerkenswert ist dabei, daß wie bei Seaford 1981 eine Affinität zwischen Bakchen und dem Satyrspiel aufgedeckt wird, wiewohl in gegenteiliger Absicht. Im Kontext der hier vorgebrachten Überlegungen, die u. a. auf das komische Potential des ‘Konzepts Dionysos’ zielen, überrascht es nicht, daß just in der einzigen erhaltenen Tragödie, in der Dionysos in persona auftritt, zahlreiche Stellen dem Verdacht ausgesetzt sind, komisch und/oder satyrspielhaft zu sein. Vgl. allgemein zu komischen Elementen in der Tragödie unten Anm. 141.
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ihren Regenten repräsentierte oder symbolisierte) Gemeinde oder eine Gruppe von Menschen sich weigert, den Gott anzuerkennen.132 Auch in den diesen Mythen zugrundeliegenden, aus ihnen hervorgegangenen oder sie begleitenden Ritualen,133 das sei hier nur andeutungsweise gesagt, läßt sich das nämliche Sichtbarmachen des Ausgeschlossenen im Ausschließenden erkennen. Hier möge das Beispiel jenes Rituals genügen, das am Vorabend der Großen Dionysien stattfand und in der Regel als ‘re-enactment’ der ursprünglichen Ankunft des Dionysos aus Eleutherai verstanden wird: Eine zuvor zur Akademie gebrachte Statue des Dionysos, die normalerweise im Dionysos-Tempelbezirk plaziert war, wurde in einer Prozession zurück ins Zentrum geholt:134 In dieser efisagvgØ épÚ t∞w §sxãraw zeigt sich plastisch ein Einschließen des Ausgeschlossenen im Ausschließenden.135
VII Das hier vorgestellte Phänomen der Inszenierung des Dionysos als eines versuchsweise unterdrückten, aber letztlich nicht unterdrückbaren Gottes begründet Bierl (2006) “rituell-performativ”: 132 Weitere Dionysosgegner aus der Mythologie sind Lykurgos, die Minyas-Töchter, die Nachbarn des Ikarios, Perseus, die Proetiden, die Töchter des Eleuther und die tyrrhenischen Seefahrer. – Marcello Massenzio präsentierte 1970 eine strukturale Analyse dionysischer Mythen, deren Zentrum die Gabe des Weinbaus bildet und die er zunächst in zwei Gruppen teilte: Mythen über “gli ospiti di Dionysos” (Ikarios, Oineus, Ankaios, Oinopion, Orestheus, Staphylos) beziehungsweise “gli antagonisti di Dionysos” (Lykurgos, Pentheus, Minyaden und Proetiden). Ungeachtet der ideologisch-marxistischen Vereinseitigung von Massenzios Lektüre dieser Mythen ist sein Hinweis auf ihre Komplementarität interessant, die er darin begründet, daß Dionysos permanent den Status eines xenos hat, d. h. sowohl eines Fremden als auch eines Gastes (vgl. 1970, 104-108). – Unbedingt zu beachten ist weiter der Umstand, daß auch im Falle seiner gastlichen Aufnahme das Motiv des Widerstands gegen Dionysos (oder gegen jemanden, der mit ihm assoziiert ist) auftreten kann. So z. B. im Mythos über Ikarios, der Dionysos gastlich aufnimmt und von ihm die Gabe des Weins erhält, der aber von seinen Nachbarn, denen er Wein anbietet und die sich dadurch vergiftet glauben, getötet wird. Vgl. auch die Kontextualisierung des Ikariosmythos in ihrem Modell des rituellen xenismos bei Sourvinou-Inwood 2003, z. B. 100-104, 151; weitere Literatur zu Ikarios: ebd. 187 Anm. 54. 133 Vgl. zur Diskussion des genealogischen Verhältnisses von Mythos und Ritual Bierl in diesem Band. 134 Vgl. Deubner 1932, 139; Pickard-Cambridge 1988, 59-61. 135 Zu einer sehr ausführlichen Kontextualisierung dieses Rituals und seiner Bedeutung für die Großen Dionysien vgl. Sourvinou-Inwood 1994 und 2003.
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Das Thema der Befreiung unterstreicht die zentrale Vorstellung der Entladung der chorisch-dionysischen Energie, was in den Aufgabenbereich des Dionysos Lysios fällt. Als Satyrn verkörpert man die rituelle Garantie dafür, daß das Drama mit Dionysos und spielerischem Chortanz zu tun hat. Die angebliche oder wirkliche Unterdrückung läßt die angestaute dionysische Lebenskraft umso deutlicher manifest werden. Der eigentliche Herr dieser infantilen Spieler ist Dionysos selbst, dem man sich absurderweise am liebsten entzöge. (128)
Im folgenden schlage ich hingegen eine poetologische Interpretation136 vor, die ich in drei Schritten erläutern möchte: Das Satyrspiel soll 1. als komische Aufnahme eines typischen Motivs der Mythen um Dionysos und 2. als in spezifischem Sinne parodistische Bezugnahme auf die Tragödie ausgewiesen werden; 3. soll gezeigt werden, daß und inwiefern diese beiden Eigenschaften des Genres zusammenhängen. 1. Die Mythen um Dionysos sind nicht sehr zahlreich; zwei zentrale Motive sind seine Geburt und der Widerstand gegen ihn, den er mit Vehemenz überwindet, was wiederum meist zur Anerkennung seiner Göttlichkeit und zur Etablierung seines Kults im erschütterten Kreis der Gegner führt. Selbst der Mythos von Dionysos’ Geburt enthält das Motiv des Widerstands gegen ihn, der auf spektakuläre und in der griechischen Mythologie einzigartige Weise zur Welt kommt.137 Die hier aufgezeigte zeitweilige Unterdrückung, Mißachtung, versuchsweise Eliminierung des Dionysos in einigen Satyrspielpassagen sowie der gleichzeitig erbrachte ‘Beweis’, daß Dionysos nicht eliminierbar ist, kann demnach als Reflex dieser im Mythos vorgeprägten Struktur gesehen werden. Daß es sich bei dem Satyrspieltopos der Gefangenschaft und Unterdrückung des Thiasos um die Aufnahme eines Motivs der Mythen um Dionysos handelt, hat Richard Seaford mit Nachdruck hervorgehoben.138 Im Satyrspiel findet eine komische Aufnahme eines Grundmotivs der Mythen um Dionysos statt, nämlich des Motivs der versuchten Unterdrückung des Gottes, die sich als unmöglich erweist.
136
Eine Relativierung meiner Interpretation wiederum legt Bierl mit der oben zitierten “rituell-performativen” Deutung vor; vgl. Bierl 2006, 128 Anm. 59. 137 Vgl. hierzu den Beitrag von Renate Schlesier in diesem Band. 138 Diese Idee ist verschiedentlich aufgenommen worden, z. B. bei SourvinouInwood 1994, bes. 289 und 2003, passim. Vgl. auch oben Anm. 32 und 132 zu ihrem Konzept des xenismos, der oft an den Widerstand gegen Dionysos gekoppelt ist.
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2. Im zweiten Argumentationsschritt gehe ich von der im bisher Gesagten gründenden Hypothese aus, daß die attische Tragödie – in welcher Weise auch immer – aus dem Dionysoskult hervorgegangen ist, aus einem Ritualkonglomerat, das unter anderem die Inszenierung von Mythen über Dionysos und ein lachhaftes Element barg. Daß die sich entwickelnde Tragödie über eine schrittweise Erweiterung ihres Stoffkreises der sich aus dem agonalen Rahmen ergebenden Forderung nach Neuerung zu entsprechen versuchte, ist eine plausible und in weiten Kreisen anerkannte These.139 Die Mythen über Dionysos sind, wie eingangs gesagt, nicht sehr zahlreich und strukturell auf wenige Handlungselemente reduzierbar; daß ein Übergang zum wettbewerbstauglichen Drama daher über die Öffnung für andere Handlungselemente und Stoffe möglich wird, ist denkbar. Fest steht – das geht aus den Statistiken der ‘Ritualistengegner’ nur zu deutlich hervor –, daß die uns erhaltenen Tragödien sowohl Dionysos als Akteur als auch Stoffe aus seinem Mythenkomplex vergleichsweise marginal behandeln. Nimmt man nun die Ergebnisse jenes Forschungszweigs in den Blick, der die nicht offen zutage liegenden Beziehungen der Tragödie zu Dionysos untersucht hat,140 so kann man präzisierend zumindest festhalten, daß die Tragödie die heiteren und/ oder komischen Aspekte des Gottes weitgehend ausblendet. Stimmt die Hypothese, daß am Ursprung der Tragödie ein Ritualkomplex mit explizit dionysischen und komischen Elementen stand, so liegt in der Tragödie, wie sie für uns greifbar ist, das Produkt eines Sublimierungsprozesses vor. Dionysos (zumal seine heiteren Seiten), Komik,141 Wein, Ausgelassenheit, Obszönität, wildes Tanzen und Singen etc. sind, wenn nicht ganz, so doch weitgehend aus ihr verdrängt.
139
Vgl. z. B. Friedrich 1983, 186-187; Seaford 1981, 272; 1984, 28-29, 31, 33-34,
44. 140 Stellvertretend für die Flut von Publikationen in den letzten Jahrzehnten seien hier die Arbeiten von Richard Seaford genannt (jüngst 2005 und 2006, bes. 94-98); ferner Bierl 1989; 1991 (zum Stand der Forschung bis 1991: 2-4); Easterling 1988; 1993; 1997b; Foley 1980; 1985; Henrichs 1995; 1996; 2000; Schlesier 1985; 1988; 1993; 1995b; 1998; Segal 1982; Sourvinou-Inwood 1994; 2003; 2005; die Beiträge in Winkler/ Zeitlin 1990. 141 Freilich bestreitet niemand jegliches Vorkommen lachhafter Momente in der Tragödie; vgl. die große Untersuchung von Seidensticker 1982; in jüngerer Zeit auch Jouanna 1998; speziell für die Euripideische Tragödie: Burnett 1971; Seidensticker 2005, 5253. Vgl. oben Anm. 131.
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Die Komik des Satyrspiels, so scheint es, funktioniert nun just über den Versuch, das in den vorangegangenen Tragödien Sublimierte als Dionysos und dem tragischen System zugehörig auszuweisen. Das Satyrspiel, so meine These, ist nicht nur das dionysische, sondern auch das komische Gedächtnis der Tragödie, d. h. die Erinnerung nicht nur an das verlorene explizit dionysische Element, wie es bei Zenobios heißt, sondern zugleich, und vielleicht gar nicht davon zu trennen, an das komische Element aus dem Ritualkonglomerat, aus dem sie hervorgegangen zu sein scheint. Nun bin ich aber in meinen Überlegungen davon ausgegangen, daß das Betonen der Abwesenheit des Dionysos ein in früheren Satyrspielen mehrmals zu beobachtendes, ein im Kyklops dominantes Motiv ist und daß sich die Satyrn im Satyrspiel grundsätzlich in Situationen befinden, die nicht zu ihrem eigentlichen Daseinsbereich gehören, und daß sie in den Stücken des öfteren nichts mit Dionysos zu tun zu haben vorgeben. Sind das Wegdrängen des Dionysos aus dem Satyrspiel und die Übernahme fremder Rollen durch die Satyrn demnach als spielerische Antworten auf die Tendenz oder die Praxis der Tragödie zu verstehen, sich des Dionysos zu entledigen und anderen Stoffen zuzuwenden? Halten wir das Satyrspiel nicht nur für “something for the groundlings” (Sutton 1980a, 163) und gestehen wir seinen Verfassern, die zugleich die Verfasser der als “erhabenste literarische Schöpfung” (Burkert 1990, 13) anerkannten Tragödie sind, stattdessen die Möglichkeit zu, auch das Potential dieses Genres zur poetologischen und kulthistorischen Reflexion genutzt und im Satyrspiel ihr tragisches Schaffen der komischen Reflexion unterzogen zu haben, so lassen sich diese Fragen bejahen. Das Satyrspiel würde so in ein Rivalitätsverhältnis zur Tragödie gestellt,142 gegenüber der es sich – sei es, weil es als Gattung erst spät geschaffen worden ist, sei es, weil es, in seinem Charakter dem ursprünglichen Ritual näherstehend, von ihr weggedrängt worden ist – in seiner Existenz ohnehin zu legitimieren hat.143 Ein Großteil der bei Seaford und Voelke ge142 Vgl. auch die Charakterisierung des Verhältnisses der beiden Genera bei Marshall 2000, 230: “Satyr drama injects elements of k«mow into tragedy.” Das Satyrspiel verhalte sich gegenüber der Tragödie wie der auf zwei attischen Oinochoen (5. Jh.; Bildnachweis vgl. ebd. Anm. 4) abgebildete Satyr Kissos, der eine schlafende oder sich kleidende Nymphe Tragoidia anspringt: “like the satyr itself, satyr drama rapes (corrupts, attacks, dissects, deconstructs …) an innocent and unsuspecting tragedy; and satyr drama clings parasitically to its host like ivy.” 143 In diese Überlegung miteinzubeziehen ist auch der Umstand, daß im Rahmen des ca. 440 v. Chr. institutionalisierten tragischen Agons der Lenäen keine Satyrspiele aufge-
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nannten144 typischen Themen des Satyrspiels erhalten dann eine weitere Bedeutungsebene: Der fremde, aus der Mythologie bekannte Herr oder Despot wird lesbar als die die heiteren Aspekte des Dionysos unterdrückende Tragödie; die Freilassung der Satyrn zum Stück-Ende als die Freilassung des heiteren Dionysos am Ende der Tetralogie, d. h. im Satyrspiel; die mit viel Freude verbundene Offenbarung oder Erfindung eines Kulturguts weist auf die Frühform der Tragödie, zu der das Satyrspiel – über die Elemente des explizit Dionysischen und des Komischen – eine große Affinität besitzt;145 daß sich die Satyrn fast ausschließlich in fremden Rollen und im Dienste fremder Herren versuchen, kann als Replik auf die Erweiterung des Stoffkreises der Tragödie verstanden werden; die Zentralität des Athleten-Motivs wird lesbar als eine Bezugnahme auf den agonalen Rahmen, in dem sich die Dramen zu bewähren haben. Könnte man auf dieser Basis sogar die vielzitierte Klage der Satyrn in Euripides’ Kyklops, sÁn tçide trãgou xla¤nai mel°ai – ‘mit diesem erbärmlichen Ziegenpelz’ (80) dem Kyklopen statt Dionysos dienen zu müssen, als Klage über die Mühen interpretieren, die das ‘tragische Spiel’ ihnen abverlangt?146 Daß im Kyklops zunächst beteuert wird, weder Dionysos, noch Wein, noch Sex, noch wilder Tanz und Ausgelassenheit sei auf der Insel vorhanden oder zugelassen, um damit eine um so effektvollere Rückkehr des und Rückkehr zu Dionysos herbeizuführen, erweist sich als komische Wiederholung des Ablaufs der Tetralogie, die in tiefem Ernst beginnt und im Satyrspiel, in das sie mündet, ihr heiteres, dionysisches Finale findet. —————————————————————————————— führt wurden. Vgl. Pickard-Cambridge 1988, 40-41; Voelke 2001, 18 Anm. 9. Dieses nur vereinzelt und erst für das 4. Jh. v. Chr. bezweifelte Faktum (vgl. Sutton 1980b) ist ein erster Hinweis auf die häufig konstatierte allmähliche Auflösung der engen Bindung von Tragödie und Satyrspiel, die Mitte des 4. Jh. manifest wird. Vgl. Seaford 1984, 24-26; Krumeich/Pechstein/Seidensticker 1999, 2-3. 144 Vgl. oben Anm. 115. 145 Man könnte, so eine von mir dankbar aufgenommene Anregung Glenn W. Mosts zur ursprünglichen Fassung dieses Textes, das Satyrspiel in diesem Sinne selbst als ‘Kulturgut im Anfangsstadium’ verstehen – oder vielmehr als die Inszenierung eines solchen. 146 Die Stelle wurde bisher entweder als Hinweis auf die “goatishness” der Bühnensatyrn verstanden – und damit zum Argument für die Etymologie von Tragödie als ‘Gesang der Böcke’ – oder aber mit dem per¤zvma, einem bei Pollux 4.118 genannten Bestandteil der Bühnensatyrkostümierung, in Verbindung gebracht, vgl. Seaford 1984, ad 80. Vgl. ferner jüngst Anton Bierls Deutung dieses Verses als Bezeichnung der Verkleidung jener Satyrn, die in dieser Szene das Vieh des Kyklopen darzustellen gehabt hätten: 2006, 131. Die hier vorgeschlagene Interpretation schließt keine dieser Deutungen aus.
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3. Wie lassen sich nun die Überlegungen unter 1. und 2. zusammenführen? Im Satyrspiel wird die in den Tragödien praktizierte Ausklammerung des Dionysos und seiner heiteren Aspekte sowie die Öffnung für andere mythische Stoffe wiederholt und – auf Basis der in den Mythen um Dionysos angelegten Bewegung, daß nämlich Dionysos von einem beliebigen System zunächst versuchsweise geleugnet, unterdrückt, eliminiert wird, um schließlich den Beweis seiner Zugehörigkeit zu diesem System zu erbringen – auf komische Weise in ihr Gegenteil überführt. Zwar werden auch ins Satyrspiel mËyoi aufgenommen und gerade darob entstehen pãyh (Sehnsucht nach Dionysos, Streit mit ihm, Ängste vor den fremden Herren und Situationen), doch wird in komischer Weise vorgeführt, daß dieses Projekt zum Scheitern verurteilt ist. Die im Satyrspiel sich offenbarende komische Selbstreflexion der tragischen Dichter legt dar, daß es zwar zu Dionysos gehört, daß man ihn zu eliminieren sucht, daß man damit aber nicht reüssieren kann, weil er nicht eliminierbar ist. Das Satyrspiel ist demnach die lachenerregende Offenbarung der wesenhaften Zugehörigkeit des Dionysos, ganz besonders seiner heiteren Aspekte, zum tragischen System.
Rebecca Lämmle Seminar für Klassische Philologie, Universität Basel
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